Erwachsen bilden N°26 – Langeweile?

Zunächst muss ich feststellen, dass ich in den letzten Tagen zu wenig Zeit und Muse hatte, hier einen Text einzupflegen. Meine neue Position hat mich wohl doch mehr gefordert, als gedacht. Heute Abend hatte ich immerhin mal wieder Gelegenheit, einem Fachgespräch mit den Kolleginnen und Kollegen von der GzFWR beizuwohnen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die gesamte Diskussion darstellen zu wollen. Eine Sache ist mir jedoch auch in diesem Moment noch sehr präsent: nämlich die Frage, was die Menschen wieder aus unserem Berufsfeld, bzw. der tatsächlichen Tätigkeit als Notfallsanitäter/in hinaus treibt?

Unsere Gesellschaft hat gerade eine Studie zum Thema Berufstreue veröffentlicht, auf die ich bei dieser Gelegenheit hinweisen möchte. Doch unsere Diskussion kam auf etwas anderes, als den in der Studie beleuchteten Punkt „Rechtsunsicherheit“; wir waren irgendwann bei „Langeweile“ und konnten uns am Schluss darauf einigen, dass die passendere Bezeichnung „subjektive Unterforderung“ sei, unabhängig davon, ob diese Betrachtung objektiv zu halten wäre. Denn schließlich gibt es ja gelegentlich durchaus Differenzen zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung der eigenen Person.

Das Gehirn ist ein wundersames Ding. Ich nehme die Art, wie meines mit mir kommuniziert immer als asynchron und asymetrisch wahr. Ideen werden rezipiert, fallen in irgendein Loch und werden, manchmal mit erheblicher Zeitverzögerung wieder ausgespien. Manchmal zerfleddert, gelegentlich aber auch angereichert mit Neuem. Die Diskussion heute Abend hat mich direkt geflasht. Irgendwas in mir wurde munter und wollte raus zum Spielen. Ich meine jetzt auch zu wissen, was das ist: Ungeduld! Ungeduld mit mir selbst und meinen Fähigkeiten. Ungeduld mit der Entwicklung meines Berufsfeldes. Ungeduld mit den strukturellen und politischen Prozessen, die dabei eine Rolle spielen. Und schließlich: Ungeduld mit einigen Protagonisten, weil sie sich gerne selbst reden hören, dabei aber allzu oft nur heiße Luft produzieren und die Berufslandschaft eher zersplittern, anstatt sie zu einen. Egal…

Ich fing an, meine eigene Berufstreue zu überdenken, die ja nun schon über 25 Jahre anhält. Und egal, wie kritisch ich auch mit meinen Motiven bin: ich brenne immer noch für diesen Job! Für das Arbeiten mit Menschen, an Menschen, für Menschen! Doch warum ist das so…? Wenn ich an meine Jugend zurück denke, dachte ich immer, Maschinen wären mein Ding. und ich verspüre bis heute eine gewisse Faszination für Technik, insbesondere für IT. Doch meine andere große Leidenschaft, nämlich das Geschichtenerzählen hat mich schon früh gelehrt, dass ich mit Menschen auch sehr gut klarkomme. Denn eben das Geschichten erzählen lehrte mich einerseits, in unterschiedlichsten Rollen denken, sie analytisch durchdenken zu können; andererseits förderte es meine Kreativität. Und so war es für mich die Mischung aus analytischer Distanz und wohldosierter empathischer Zuwendung, mit der ich meinen Patienten helfen konnte (und immer noch kann).

Als Verfechter einer konstruktivistischen Weltsicht fällt es mir einerseits nicht schwer, „subjektive Unterforderung“ als Grund zum Ausscheiden aus dem Rettungsdienst zu verstehen. Wer seinen Job als immer wiederkehrende, irgendwann öde Routine erfährt, dem fordert dieser nicht mehr so, als dass er dabei bleiben wollen würde. Ich möchte gerne herausfinden, was solche Seelen bei der Stange halten könnte. Denn vielleicht würde beim einen oder anderen ein Reframing der eigenen Situation vollkommen ausreichen. Überdies möchte ich mich gern daran beteiligen, Perspektiven für einen Verbleib im Job aufzuzeigen, denn eines ist sicher: wir müssen dem manifesten Fachkräftemangel begegnen. Das wir auch endlich neue Wege in der Präklinik beschreiten, den Rettungsdienst als Gatekeeper für die weiteren Strukturen des Gesundheitswesens etablieren und dabei auch weitere Jobperspektiven etablieren müssen, steht außer Frage. Doch für solche Vorhaben braucht es Mitstreiter. Hat jemand Interesse…?

Erwachsen bilden N°25 – Covidiantentum…

Es sind komische Zeiten. Ja, in den USA stellt sich ein Psychopath zur Wiederwahl und das Beste, was die andere Partei aufzustellen vermochte, ist ein greiser, illiberaler Parteibonze. Na ja, wird schon schiefgehen. Das ist jedoch nicht, worum es mir gehen soll. Denn mein Augenmerk richtet sich einerseits an jedem vergehenden Tag im Moment auf die Gesundheit der Schüler und des Lehrkörpers (ja, auch meine). Covid19 ist gegenwärtig eine permanente Bedrohung für regelgemäßen Präsenz-Unterricht. Das betrifft ja nun nicht nur Berufsfachschulen, sondern vor allem auch das allgemeinbildende Schulwesen. Aber aus meiner persönlichen Sicht kann ich am Besten was dazu sagen.

Gleich vorweg – ich kriege einen Hals, wenn man Lehrern, die darauf hinweisen, dass E-Learning in vielerlei Hinsicht nicht gut – teilweise auch gar nicht – funktioniert wahlweise Inkompetenz, Faulheit oder mangelndes Engagement vorwirft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben im ersten Lockdown non-existenter Infrastruktur, fehlender Ausbildung in E-Medien-Didaktik und mangelnder Unterstützung durch die zuständigen Behörden zum Trotze gezaubert. Und bekommen als Dankeschön dafür Gejammer und Gedisse. Schämen sollten sich diese Leute was. Insbesondere wieder jene, die keine Ahnung, dafür aber mal wieder verdammt viel Meinung haben.

Ich bin übrigens von einem dieser Kollegen aus dem allgemeinbildenden Schulwesen gerügt worden, weil ich Anfangs aus seiner Sicht nicht umfassend auf Hygienekonzepte hingewiesen habe. Ich kann an dieser Stelle sagen – danke für die Kritik, jedoch macht der Ton halt die Musik. Schwamm drüber, ich habe was dazugelernt. Insbesondere über Menschen. Mittlerweile sind die Konzepte ausgereift, gut beübt und dennoch, trotz aller Konformität mit behördlichen Vorgaben, vermutlich immer noch unzureichend. Wir werden sehen, wohin uns der November bringt. Ich vermute ja, dass wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Was bedeutet, dass ich von meinen Kollegen und insbesondere meinen Schülern stringente Einhaltung der Vorgaben verlangen muss. Das ist sozial nicht immer einfach.

Aber eine Einstellung des Präsenz-Unterrichtes wäre zu diesem Zeitpunkt mindesten genauso ungünstig, wie sie das Mitte März war, als ich mich hoppladihopp dazu genötigt sah, Inhalte des RS-Grundlehrganges auf Fernlehre umzustellen. Rettungsdienst ist nun mal ein Gewerk, dass sehr viel handlungspraktisch relevanten Unterricht verlangt und dies ist im E-Learning nur mühselig, wenn es jedoch um handwerkliche Skills geht gar nicht zu bewerkstelligen. Durch Nachlässigkeiten im Umgang mit den Hygienerichtlinien würden sich die Schüler also direkt ins eigenen Fleisch schneiden. Ich habe das schon bei einigen Gelegenheiten verdeutlicht; und doch…

Ich beobachte an mir eine gewisse Tendenz zur Ermüdung. So wie ich an meinen Schülern auch eine gewisse Tendenz zur Ermüdung sehen kann. Nun bin ich am Thema Risikogruppe ca. zwei Jahrzehnte näher dran als sie. Vielleicht ist es diese Abstraktheit der Bedrohung, die Menschen so große Probleme bereitet. Wenn ich mir einen Horrorfilm anschaue, dann kommt die Schreck-induzierte sympatho-adrenerge Reaktion so sicher wie das Amen in der Kirche, spätestens, wenn die Gruppe sich getrennt hat. Bei Covid19 ist das anders: da gibt es eine akute Stressreaktion erst, wenn man die Todesnachricht von Verwandten oder Freunden bekommt. Vorher ist es mehr so wie Bullshit-Bingo. Kann man spielen, es hat ja eh keine echten Konsequenzen.

Das klingt vielleicht resigniert und böse, doch so ist es nicht gemeint. Auch mir fällt das alles schwer. 7-8h am Tag mit Maske im Unterricht stehen, immer wieder ermahnen und beten das alles weiterlaufen kann, raubt einem ganz schön viel Kraft. Aber die Alternativen sind jenen, die sich mit der Materie auskennen weidlich bekannt. Also heißt die Parole: immer vorwärts, immer weiter, und nach außen immer heiter… Denn wenn entweder einer meiner Schüler, meiner Kollegen, oder ich des Covidiantentums verdächtig werden, ist der Ofen für den momentan so wichtigen Präsenzunterricht ganz schnell aus. Und wie geht’s euch anderen da draußen so? Ich wünsche eine gesunde und erfolgreiche Woche.

Erwachsen bilden #24 – Notiz an mich…

Es ist soweit. Die erste NotSan-Klasse in meiner Institution ist gestartet. Man könnte sagen, ein Meilenstein sei erreicht. Und objektiv betrachtet war es bis hierher bereits ein verdammt langer und streckenweise steiniger Weg. Ich bin ihn zumeist gerne gegangen. Doch eigentlich war der offizielle Start ein Rite de Passage. Für die erträumte Schule, weil sie nun Wirklichkeit geworden ist. Für die Schülerinnen und Schüler, weil sie eben in einen neuen, verdammt anstrengenden, sicherlich gelegentlich frustrierenden aber gewiss auch spannenden und am Ende hoffentlich lohnenden Lebensabschnitt eingetreten sind. Und für all die anderen Menschen, die das Projekt durch ihre Arbeit getragen haben, weil sie die Früchte ihrer Arbeit nun tatsächlich sehen können. Und für mich…?

Nach dem Start ist vor dem Start ist nach dem Start. Ich steh‘ erstmal selber wieder in der Bütt und gebe mein Bestes, bis mein Mitarbeiter-Stab denn tatsächlich voll arbeitsfähig ist. Kann noch ein paar holprige Wochen dauern, bis endlich alle Teile wie geplant zusammenfallen und ein halbwegs stimmiges Bild ergeben. Es hat sich also im Vergleich zu letzter Woche nichts geändert. Der Planungshorizont ist auch der gleiche geblieben: immer bis zur nächsten, kleineren oder größeren Katastrophe, die mal wieder Impro-Theater notwendig macht. Ich bin’s gewöhnt und mittlerweile auch recht geübt in Desaster-Management und Trouble-Shooting, auch wenn ich meinen Master ja in Erwachsenenbildung mache.

Erschöpft? Ja, ein bisschen schon. Resigniert? Nur, ab und an, und nur bezüglich mancher Marotten mancher Kollegoiden. Enttäuscht? Nicht die Bohne, denn – sehr zu meiner Verwunderung – läuft bisher fast alles wie am Schnürchen. Aufgeregt? Na klar, wie könnte ich auch nicht, es bleibt ja spannend. Überfordert? Vielleicht ein wenig durch den noch nicht so 100% einsatzbereiten Stab meiner Institution, was mir die eine oder andere Extrameile abverlangen wird. Herr der Lage? Tja, „Leben in der Lage“ ist so ein Motto, dass man in meinen Kreisen häufiger hört. Und ich persönlich verstehe das so: Mal habe ich die Zügel in der Hand, mal bin ich der Rodeo-Clown, aber der Zirkus muss weitergehen. Also gehe ich jeden Tag da raus und versuche mein Bestes.

Ich bin, auf Grund meiner Ausbildung und meiner Erfahrung davon überzeugt, dass es eine gute Dosis Konstruktivismus in dieser Berufsausbildung braucht, dass nur möglichst reichhaltige und realitätsnahe Selbst-Erfahrungen den Schülern wirklich weiterhelfen. Das kann manchmal ein wenig beliebig wirken, doch wenn es adäquat gerahmt und begleitet wird – nämlich in dem man sie dazu bringt, selbst die richtigen Fragen zu stellen und auch eine Antwort auf diese suchen zu wollen – wird daraus ein nachhaltiges Lernerlebnis. Und Spaß machen kann es auch. Nur die Vorbereitung ist viel Arbeit, denn den eben genannten Rahmen richtig aufzubauen und wirksam werden zu lassen braucht Geduld; und manchmal auch den Mut zu Fehlschlägen. Denn eines ist sicher – wir Berufspädagogen wissen noch nicht genau, ob wir Ihnen all das Handwerkszeug mitgeben können, dass sie in der Zukunft brauchen werden.

Die Anforderungen an unseren Beruf verändern sich momentan schnell und das erhoffte Profil der fürderhin benötigten Kompetenzen ist noch nicht erarbeitet. Wir bilden im Moment auf Basis dessen aus, was früher funktioniert hat. Doch die Realität lehrt uns unterdessen, dass wir hier noch einiges zum Nachjustieren haben werden. So ist denn eine der wichtigsten Funktionen unserer Ausbildung, den Schülerinnen und Schülern einen möglichst kompletten vorläufigen Stand der Dinge mitzugeben UND ihnen ein Verständnis für eben diese Vorläufigkeit zu geben; und die unmittelbare Konsequenz, dass sie ihr ganzes Berufsleben lang werden weiterlernen müssen. Und mir ist bewusst, dass diese Flexibilität und das Interesse am Neuen mitnichten in jedem Menschen in gleichem Maße vorhanden sind. Was die Kultivierung natürlich erschwert.

Wir werden sehen, was unterwegs noch angepasst werden muss. Für’s erste bin ich jedoch froh sagen zu können, dass ich die Ehre und das Vergnügen habe, mit einem tollen Haufen junger Leute arbeiten zu dürfen. Wenn ich es schaffe, in ihnen jenes Feuer zu kultivieren, das auch in mir immer noch brennt, darf ich mich glücklich schätzen. Der Weg ist lang, aber ich bin schon wieder unterwegs. Denn nach dem Ziel ist vor dem Ziel ist nach dem Ziel…

New Work N°3 – Flight of the Evaluator!

Um’s an dieser Stelle klar zu sagen: meine Arbeit ist nicht neu. Feldschern gibt’s schon seit langer Zeit; und Lehrer sowieso. Was sich allerdings neuerdings immer schneller ändert ist die Art, wie wir unterrichten. Zum einen technisch: Web-Streams und Online-Unterricht sind nicht erst seit Corona der neue heiße Scheiß in meinem Zweit-Gewerk. Wobei nicht wenige, die sich an Online-Lehre versuchen Methode und Medium verwechseln. Was dabei teilweise qualitativ rum kommt, gruselt mich schon ein bisschen. Zum anderen ist aber auch immer ein gewisser Wandel in den pädagogischen Theorien bemerkbar. Was auch nicht mehr ganz new ist, jedoch auf Grund der Frage nach der Wahrheit in irgendwelchen vollmundigen Qualitäts-Versprechen immer mehr in den Blick kommt, ist das Evaluieren.

Einer Sache einen Wert beimessen, bzw. herausfinden, wie viel etwas wert ist. Ich beschäftige mich momentan auch des Studiums wegen mit solchen Fragen und stoße immer wieder auf den schmalen Grat zwischen deskriptiver Forschung, die nach Erkenntnissen sucht und Evaluation, die fragt, ob der Preis für eine Veranstaltung gerechtfertigt ist – OK, das war nicht nett, aber in der Realität spricht nun mal das Geld und auch Bildung ist heutzutage (zumindest für Kostenstellenverantwortliche) erstmal eine Dienstleistung, die einbringen muss, was sie in der Herstellung kostet…

Nun ist jedem halbwegs akzeptablen Lehrer klar, dass diese Dienstleistung nicht so produziert wird, wie etwa die Arbeit eines KFZ-Mechatronikers. Denn das Auto nimmt üblicherweise nicht als aktiver Mitgestalter am Prozess der Reparatur teil. Der Schüler / Teilnehmer tut dies aber sehr wohl in nicht unerheblichem Maße, so dass man beim Lehrer nicht vom Dienstleister, sondern vom (Dienst)Leistungs-Ermöglicher sprechen sollte. Was das Thema Evaluation dort sehr schwierig macht. Das Auto funktioniert nach der Reparatur wieder, wie es soll (manchmal auch nicht); die Parameter zur Beurteilung des Wertes dieser Dienstleistung sind hingegen leicht zu ermitteln: Funktioniert es wieder wie üblich? Wie lange hat es gedauert? Wie effizient war der Ressourcen-Einsatz? Und schließlich: wie nachhaltig ist der Reparaturerfolg? Auf Grund der beschränkten Komplexität des Systems „Automobil“ kann ich das alles relativ leicht feststellen.

Habe ich nun Schüler / Teilnehmer mit stark variierendem Lernerfolg, muss ich versuchen, zu differenzieren, ob der didaktische Ansatz situationsadäquat gewählt war, ob Faktoren in der Unterrichtsumgebung eine Rolle gespielt haben, ob irgendwelche Stör- oder Begünstigungs-Faktoren auf einzelne Teilnehmer, den Lehrer oder die Veranstaltung gewirkt haben, ob das Vorwissen (oder dessen Mangel) korrekt berücksichtigt wurde, ob der Zeitansatz richtig gewählt war, ob die Kommunikation angemessen war, etcpp. Und das ist bei weitem keine erschöpfende Auflistung. Dennoch muss ich mich mit der Frage nach der Qualität der Lehre befassen. Einerseits als Dozent, andererseits als Leiter einer Bildungseinrichtung und schließlich aus Forschungsinteresse.

Denn, ob wir tatsächlich das unterrichten, was zukünftige NotSans brauchen, und falls ja, ob wir es auf sinnvolle Art unterrichten, ist im Moment ehrlicherweise Gegenstand hoch spekulativen Theoretisierens. Wir haben Gedankengebäude, an denen wir uns orientieren. Aber um wieder auf Poppers Vorläufigkeit aller Erkenntnis zu sprechen zu kommen: wir wissen nicht, wie gut oder schlecht diese Theorien tatsächlich sind. Ohne die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen (oder meine eigene) schlecht reden zu wollen – es mangelt uns einfach an empirisch belastbaren Fakten, an denen wir die Berufsbildung ausrichten können. Ein Punkt, dem wir gerne Abhilfe schaffen wollen. Mal schauen, ob das klappt.

Um aber auf das Evaluieren zurück zu kommen: dessen Apologeten meinen tatsächlich, mit trivialen Methoden (qualitative und quantitative Sozialforschung) Zustandsänderungen in nicht-trivialen Systemen – nämlich Menschen – halbwegs sicher messen zu können; um dann hinterher zu sagen „Maßnahme X ist mit einer Wahrscheinlichkeit von x wirksam.“ (Ich weiß, dass dieser Satz da so nirgends steht, es ist eine leicht polemische Überspitzung auf den oft höchst irrationalen Glauben in die Macht der Statistik) Ich staune immer wieder, wie man bei manchen Gelegenheiten auf solche Aussagen kommt, aber ich lasse mich natürlich gerne argumentativ überzeugen.

Ich denke, dass – speziell auf meinen Fachbereich bezogen – gegenwärtig das Evaluieren der Lehrmaßnahmen keinerlei Sinn macht, weil die professionswissenschaftliche Basis fehlt, an Hand derer sich festlegen ließe, was tatsächlich ein Lehrerfolg wäre. Aber wie schon gesagt, es gibt Menschen, die dran sind. Zum Abschluss möchte ich übrigens noch eindringlich davor warnen, echte Evaluation und Qualitätsmanagement in einen Topf zu werfen. Das erstere ist angewandte Wissenschaft, das letztere eine Management-Funktion, die allzu oft einer echten Qualitätsorientierung entbehrt. Denn in der EN ISO 9001 kann ich einen Haufen Scheiße als meine Qualität definieren; wenn man Blattgold draufklebt, stinkt es halt trotzdem noch. In diesem Sinne – Gute Nacht.

Erwachsen bilden #23 – …oder vielleicht doch nicht?

Im früheren Verlauf diese Abends entspann sich online eine Diskussion, die mich mehr geflasht hat, als viele Andere in der letzten Zeit. Es ging darum, ob man sich in einer Institution zuerst um die Lehre, oder doch zuerst um die Forschung kümmern soll; und vielleicht auch darum, wie beides zusammenpasst. Nun mag man sich die Frage stellen, was es denn am Rettungsdienst als solchem zu forschen geben könnte. Denn natürlich geht es bei so einer Diskussion um meinen beruflichen Background. Und der wird immer und ewig im Blaulichtgewerbe verhaftet bleiben…

Nun ist es so, dass der Rettungsdienst als professionelles Berufsfeld ja immer noch sehr neu ist und das Berufsbild Notfallsanitäter gerade mal gute 6,5 Jahre auf dem Buckel hat. Zu forschen gibt es genug, insbesondere, wenn man irgendwann erreichen möchte, dass sich der Beruf „Notfallsanitäter/in“ vom bloßen Handlanger zu dem entwickeln kann, was der Gesetzgeber von Anfang an intendiert hat: eine Fachkraft für die präklinische Triage und Versorgung. NotSans waren für den aufmerksamen Leser nämlich von der ersten Sekunde an als eine Mischung aus Berufsrettern und Gatekeepern für die nachgeordneten Funktionen des Gesundheitswesens gedacht. Das nordische Modellprojekt Gemeinde-Notfallsanitäter dekliniert diesen Gedanken lediglich ein Stück weiter, aber noch nicht konsequent zu Ende.

Es gibt so viele Themen, bei denen wir noch nicht annähernd so viel wissen, wie wir eigentlich müssten: Schnittstellenproblematiken mit anderen Akteuren der BOS und den restlichen Gesundheits- und Sozialdiensten im Berufsalltag. Die Fundierung unseres pädagogischen Handelns in der Aus- und Fortbildung. Die Bildung eines beruflichen Selbstverständnisses. Die Passung der Möchtegern-Azubis zum Beruf. Die Sinnhaftigkeit von Struktur und Inhalten der gegenwärtigen Ausbildung. Und so weiter und so fort. Um es noch mal mit Sokrates zu sagen: Wir wissen, wie wenig wir bislang verstehen. Da könnte man doch meinen, dass eine Diskussion um die Frage Lehre oder Forschung unnötig sei…

In der Lehre bin ich als Praktiker tätig. Und ich muss mit jedem weiteren Tag, der vergeht feststellen, dass wir in vielerlei Hinsicht im Nebel stochern und oft auf der Basis von Theoriegebäuden agieren, die man bestenfalls als unvollständig beschreiben kann. Doch wir haben derzeit nichts besseres. Sehr zum Schmerz mancher Kollegen. Dennoch muss es vorwärts gehen, denn wir können es uns nicht leisten, die Ausbildung ruhen zu lassen, bis wir „die Formel der Formeln“ für die Ausbildung gefunden haben. Dazu drängen die Zwänge des realen Alltagsgeschäftes viel zu sehr. Wir sind uns der Defizite unseres Tuns also durchaus schmerzhaft bewusst.

Gerade deshalb muss Beides Hand in Hand gehen, ohne einander zu behindern. Und das ist, so komisch das dem Uneingeweihten auch klingen mag, ein wahres Kunststück. Denn auf der einen Seite steht das Bestreben, junge Menschen gut auszubilden, damit sie auf der Straße einen sauberen, einen hilfreichen Job machen können; aber gleichzeitig auch der Wunsch, wissenschaftliches Arbeiten für mehr Menschen (im Rettungsdienst) verständlich und damit vielleicht auch schmackhaft zu machen. Weil man in der Zukunft nämlich Mitstreiter braucht, welche die ganzen oben genannten Forschungsfragen (und noch viele mehr) beantworten helfen können. Diese ganzen Probleme und Fragen warten nämlich auf der anderen Seite. Und wenn ich an dieser Stelle noch Karl Popper mit ins Boot nehmen und mich des Falsifikationismus bedienen darf, um mich noch einmal der Vorläufigkeit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis zu versichern, wird mir bewusst, dass die Erschaffung einer eigenständigen Professions-Wissenschaft der Schaffung von Wissen um die Profession bedarf – und des Bewusstseins für die inhärente Dynamik dieses Wissens!

Es ginge viel zu weit, hier weitere Details der Diskussion darlegen zu wollen; und es wäre den anderen Teilnehmern gegenüber auch unfair. Was ich jedoch darlegen möchte, ist der umstand, warum mich die Diskussion so geflasht hat: nämlich die, anscheinend für manche Teilnehmer gefühlte Unvereinbarkeit der beiden beschriebenen Pole. Aus meiner Sicht ist es ebenso richtig und wichtig, erst einmal Wissen schaffen zu müssen, wie dennoch gleichzeitig die Ausbildung (auch, oder besser vor allem die wissenschaftstheoretische) voran zu bringen. Ob Forscher und Praktiker mit fruchtbaren Ergebnissen zusammen kommen können? Ich bin mir da nicht mal für meine eigene Brust sicher, in der beide Herzen schlagen. Aber ich will es versuchen. Und ich hoffe sehr, dass ich mit diesem Wunsch nicht allein stehe. Denn eines ist sicher: der Rettungsdienst BRAUCHT eine eigene Professions-Wissenschaft ebenso dringend, wie er eine noch wesentlich besser am Schüler orientierte Aus- und Fortbildung braucht. Gute Nacht.

Erwachsen bilden #22 – Gehirngerechtes Lernen?

Die Diskussion um die richtige Art, Schülern etwas „beizubringen“ ist vermutlich so alt, wie die Schule und das Lehren selbst. Nun hat schon der olle Comenius in seiner Didactica Magna eine Lanze für das „Selberlernen“ gebrochen. Er nimmt in seiner Schrift eine der zentralen Ideen heutiger Lehrtätigkeit vorweg; nämlich dass der Schüler selbst tätig werden muss, sich die Inhalte (zumindest teilweise) selbst erarbeiten muss, damit sie für ihn einen Sinn ergeben können. Und der vom Kognitivismus geprägte Teil des Pädagogen und Didaktikers in mir sagt: „Jawoll. Ich biete den Schülern ein Lernbuffet an, von dem sie sich aber selbst bedienen (wollen) müssen.“

Die anderen sozial- und geisteswissenschaftlichen Teile sagen: „Ja, aber…!“. Nun habe ich ein Buch gelesen, welches auf den ersten Blick diese zweite Position unterstützt. Denn Gerhard Roth lässt in seinen Ausführungen wenig Gutes am Kognitivismus, indem er zum Beispiel einem anderen Autor (Kersten Reich) mangelnde Stringenz in der Begründung seiner didaktischen Darlegungen unterstellt und seine eigenen und von ihm sorgsam kuratierte Ergebnisse anderer Forscher als zwingend für (s)eine Sichtweise auf didaktisches Handeln formuliert; um sich dann – was er den anderen auch vorwirft – in Allgemeinplätzen wie der Forderung nach mehr Methodenpluralismus zu ergehen.

Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden: das Buch ist hochinteressant, insofern es mein physiologisches Verständnis von Lernprozessen zu schärfen weiß. Die daraus vom Autor abgeleiteten Folgerungen für die didaktische und pädagogische Handlungspraxis kann ich jedoch nicht vollumfänglich unterstützen, einfach weil sie alter Wein in neuen Schläuchen sind. In zwei relevanten Punkten hat er allerdings recht: die psychologische, die Lehr-Lern- und die Neurobiologie-Forschung müssen sich zusammentun, um zu einem besseren Verständnis und damit zu einer besseren Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen kommen zu können. Und die hochschulische Lehrerausbildung ist hinsichtlich der Vorbereitung auf die praktische Tätigkeit im Lehrsaal bestenfalls mangelhaft. Zumindest für meinen Bereich in der Erwachsenenbildung kann ich das absolut unterschreiben.

Auch mit einem weiteren Punkt gehe ich weitgehend konform. Aus den Ergebnissen der heiß diskutierten Meta-Studie von John Hattie et al. schließt er, dass die Lehrperson sehr wohl einen großen Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler habe. Das wirft jedoch die Frage auf, inwieweit ich bestimmte konstruktivistische Positionen noch einmal überdenken muss. Denn radikal und teilweise auch in sich widersprüchlich sind vor allem einige Punkte, die von Glaserfeld selbst in die Diskussion eingebracht hat. Eine im sozialen Zusammenhang umgedeutete Viabilität hingegen gilt es weiterhin zu bedenken. Denn tatsächlich scheint die Annahme einer objektiven, intersubjektiven Realität für alle auch aus der Sicht des Neurobiologen Roth auf Basis der Funktion unserer Wahrnehmung unwahrscheinlich. Womit für jeden Schüler das Für-wahr-werden im Sinne einer individuell-subjektiven Konstruktion von Verständnis, die jedoch durch die anderen Schüler und die Lehrperson sozial beeinflussbar bleibt, für mich den gangbaren Weg darstellt, den Prozess zu beschreiben, der mein Tun leiten muss.

Was bedeutet das nun für mein tatsächliches didaktisches Handeln? Es gilt, eine noch besser an die Funktion des Arbeitsgedächtnisses adaptierte Aufbereitung des Stoffes zu erreichen. Ich habe die möglichen Aufmerksamkeits-Spannen nämlich bislang falsch (eher zu lang) eingeschätzt. Ich muss die Anschlussfähigkeit der Vorträge und Materialien weiter steigern, wozu eine eingehendere Analyse des Vorwissens notwendig ist. Der von mir bislang verwendete Methoden-Mix lässt sich sicherlich noch verbessern. Und bei Simulations- und Szenariotrainings muss die Frage tiefer erörtert werden, in wie weit der Hyper-Realismus, wie er von einigen Anbietern geeigneten Equipments mittlerweile offensiv propagiert wird, tatsächlich zum Lernerfolg beiträgt? „Train as you fight“ ist ein schönes Motto und Studien weisen darauf hin, dass Simulationstrainings in der Ausbildung von EMS-Personal positiv auf die Skills der Auszubildenden wirken. Doch Abseits der Korrelationskoeffizienten wissen wir immer noch zu wenig über die tatsächliche Effizienz und Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen; oder besser – wie realistisch es denn nun sein muss? Denn der Einrichtungsleiter in mir sagt: Ressourceneinsatz und Lernerfolg müssen in irgendeinem Verhältnis zueinander stehen.

Wie man es auch dreht und wendet: wir wissen über das Lernen und die Gehirnfunktionen, die dabei Einfluss auf den Lerner nehmen einfach noch zu wenig. Was bedeutet, dass zur evidence-based medicine einstweilen das evidence-based teaching hinzutreten muss. Ich werde mein Bestes geben und gerne hier weiterhin über meine Erfahrungen und Gedanken berichten. Bis zum nächsten Mal wünsche ich eine gute Zeit,

Erwachsen bilden #21 – Feel the Flow!

Manchmal wird man beim Studieren auf etwas aufmerksam, dass man schon mal gesehen, gehört, durchdacht hatte, ohne zum damaligen Zeitpunkt recht auf einen grünen Zweig gekommen zu sein. Das ist nicht ungewöhnlich, denn Wachstum braucht gelegentlich nicht nur den richtigen Anstoß, sondern auch den richtigen Flow. Doch was ist das überhaupt – dieser Flow? Sportler sprechen davon, aber sonst… haben wahrscheinlich nicht so viele Menschen eine klare Vorstellung davon. Ich kannte den Begriff zwar, habe damit aber früher eher den richtigen Groove verwechselt; und auch, wenn Musik manchmal als Tor für Stimmungen und Inspirationen dienen kann, so nutze ich sie doch meist gezielt, um diesen Prozess zu katalysieren, bewusst hervorzurufen und darin zu schwelgen. Und erreiche damit tatsächlich auch einen Flow-Zustand.

Mihály Csíkszentmihályi, Psychologe und Urheber der Flow-Theorie beschreibt Flow als das Erleben eines Moments der optimalen Erfahrung. Flow beschränkt sich dabei nicht auf körperliche Tätigkeiten, bedarf des absichtsvollen Tuns, einer definierten Schwierigkeit, die nicht unter- aber auch nicht zu sehr überfordert und dem Wunsch, die Sache um ihrer selbst Willen zu tun. Damit kann auch der Dilettant – hier im besten Wortsinne gemeint – in den Zustand des Flows kommen. Auf den Passus „um ihrer selbst Willen“ kommen wir später noch einmal zurück, doch wenn man sich den Rest der Definition anschauen, ist hier die Rede von pädagogischem Handeln im besten konstruktivistischen Sinne.

Absichtsvolles Tun, ausgelöst durch eine pädagogische Intervention, die einen Mittelweg zwischen Unter- und Überforderung in der Beschäftigung mit einem Lerngegenstand weist; für mich klingt das so, als wenn wir als Berufspädagogen dazu aufgerufen wären, Flow in unseren Schülern zu erzeugen, weil wir dadurch deren Freude am Lernen durch positive Selbstwirksamkeits-Erfahrungen stärken könnten. Zwar ist das Buch zum Thema keine How-To-Anleitung und bedarf an einigen Stellen einer behutsamen Transponierung ins Erwachsenenpädagogische; dennoch lohnt sich die Beschäftigung, wie ich finde sehr. (übrigens nicht nur für die Lehrer, sondern auch für Schüler, wenn diese denn bereit sind, sich der Lektüre aufmerksam zu widmen. Das ist nichts für Blinkist©; ich finde diese App im übrigen schlecht…).

Was nun das Tun um der Sache selbst Willen angeht: Csíkszentmihályi geht im Buch davon aus, dass eine Beschäftigung mit einer bestimmten Sache nur dann einen Flow-Zustand auslösen kann, wenn diese autotelisch motiviert ist; wenn ich mich also ohne externen Druck auf ein Ding konzentriere, einfach, weil es für mich einen Sinn ergibt. Mache ich mich dabei jedoch von Erfolg/Misserfolg-Mustern abhängig, gibt’s keinen Flow. Exotelische (oder extrinsische) Motivation, die sich aus (beruflichen) Notwendigkeiten oder dem Wunsch, glänzen zu können (narzisstisch) speist, würde nach seiner Forschung also keinen Flow-Zustand herbeiführen können – oder zumindest nur sehr selten.

Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich so stimmt, denn ich habe auch in beruflichen Kontexten, in denen ich externem Druck unterworfen war, bereits solche Zustände erlebt. Aber zugegebenermaßen war dies weitaus häufiger bei Tätigkeiten der Fall , die ICH tun wollte, einfach, weil ICH sie tun wollte. Vermutlich hängt es im pädagogischen Kontext also nicht nur mit der hoffentlich anregenden Gestaltung einer Lernsituation zusammen, sondern auch mit der Art, wie wir das Zusammenwachsen einer Klasse fördern können; und vor allem, ob wir in der Lage sind, dass allzu frühe Entstehen einer Rangfolge (und Hackordnung) innerhalb derselben zu verhindern, um allen eine Chance auf Flow-Erlebnisse geben zu können. Denn eine weitere wichtige Botschaft ist: Flow bedeutet nicht nur Freude, sondern auch persönliches Wachstum durch Erfahrung, die gerne gewonnen wird. Was in der Folge allerdings auch bedeutet, dass die Umstände, unter denen der Flow-Zustand entstehen kann mit fortschreitender individueller Entwicklung immer wieder neu austariert/erweitert werden müssen.

Insgesamt ein spannendes Thema, das nicht nur aus meiner pädagogisch-fachlichen Sicht, sondern auch aus der Perspektive persönlicher Entwicklung einen Blick wert ist. In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Woche.

New Work N°0 – Erwachsen bilden meets New Work

„New Work“. Viele betrachten den Terminus als Hirnwichserei irgendwelcher White-Collar-Worker, die keine Ahnung von „echter Arbeit“ haben. Was im Geiste dieser Menschen mit „echter Arbeit“ gemeint ist, wird denn auch ganz schnell klar, nämlich Maloche; oder anders ausgedrückt, körperliche Arbeit. Um es gleich vorweg zu nehmen: die Art von körperlicher Arbeit, welche den meisten dabei in den Sinn kommt, wird immer weniger. Und dieser Trend wird sich auf Grund der fortschreitenden Automation weiter Bereiche unserer Industrien fortsetzen. Es wird zumindest in den nächsten Jahrzehnten noch einen Restbestand an körperlicher Arbeit geben, den Maschinen noch nicht erledigen können. Aber dieser schrumpft. Und damit entsteht automatisch mehr andere Arbeit, die mit Wissen und Kenntnissen zu tun hat und – tadaaa – im Büro stattfindet.

Es gibt allerdings zwei Bereiche, die davon zumindest teilweise ausgenommen sind – nämlich Education und Care Work. Weil sich die (wichtigen) sozialen Komponenten beider Arbeitsgebiete kaum maschinell abbilden lassen. Selbst wenn es es möglich wäre, zum Beispiel Krankenhauspatienten das Essen von einem Roboter servieren zu lassen, fehlt hier doch die menschliche Zuwendung, welche einen Genesungsprozess befördert. Gleiches gilt für den Unterricht in der Allgemein – und Berufsbildung. Auch hier ist ohne die sozialen, emotionalen und motivationalen Komponenten nichts zu erreichen. Und die gehen nur mit der Interaktion mit echten anderen Menschen einher. Was nichts daran ändert, dass genau diese beiden Bereiche unterbesetzt, unterfinanziert und organisationell-strukturell höchst reformbedürftig sind. Aber das soll hier und heute nicht das Thema sein.

Gehen wir nun also davon aus, dass der Anteil der Wissensarbeit am Gesamtvolumen der wirtschaftlichen Leistung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch zunehmen wird, stellt sich relativ schnell die Frage, wie wir diese besser organisieren können. Lasse Rheingans, Geschäftsführer der „Digital Enablers“ aus Bielefeld gibt dazu eine interessante Antwort: seit 2017 arbeiten seine Mitarbeiter nur 5h/Tag; und erreichen anscheinend trotzdem eine annähernd gleichbleibende Arbeitsproduktivität! Natürlich fragt man sich wie das geht? Doch wenn man einen typischen individuellen Arbeitstag im Büro einmal danach befragt, was denn tatsächlich erreicht wurde, fällt die Bilanz manchmal recht ernüchternd aus.

Zeit wird – und da nehme ich mich gewiss nicht aus – vor allem vertändelt mit vollkommen unnötiger Dauererreichbarkeit und /oder Dauerverfügbarkeit. Oder mit Meetings und Gesprächen, die sich immer wieder um die gleichen Fragen drehen, ohne jemals den Prozess (oder die Person!) zur Disposition zur stellen, der (die) eigentlich das Problem verursacht. Durch Unterbrechungen, die einen hernach dazu nötigen, sich mühevoll wieder in einen komplexen Sachverhalt hineindenken zu müssen. Und schließlich: mit informellem Tratsch, der zwar hier und da als sozialer Kitt dienen mag, aber letztlich NICHTS mit der Arbeit zu tun hat. Dazu zählt zum Beispiel auch das übliche Geplänkel am Wasserloch (Kaffeemaschine / Wasserkocher / Trinkwasserspender).

Nun kann man das Soziale kaum ausklammern. Aber, wenn man zumindest unnötige Unterbrechungen minimiert kommt man viel leichter in einen echten Flow, bei dem man auch wirklich was wegarbeiten kann. Und zwar wesentlich mehr, als man unter den genannten Vorzeichen in der selben Zeitspanne geschafft hätte. Dazu ist allerdings die Erfüllung mehrerer Grundvoraussetzungen notwendig:

  • Telekommunikation nur zu bestimmten, vordefinierten Zeiten (nicht dauernd auf E-Mail, Threema, Telegram. Whatsapp, Slack und was weiß ich nicht noch alles achten)!
  • Tür zu! Dieser Punkt wird in Büros, in denen sonst open-door-policy geherrscht hat, anfangs zu Irritationen führen, ist aber essentiell. Ich habe es irgendwann schon mal beschrieben, dass irgendwelche Menschen einfach durch die Tür gelatscht kommen und ansatzlos anfangen, mich mit ihrem Scheiß zuzutexten, obwohl ich noch keinerlei Gesprächsbereitschaft signalisiert habe. Sowas ist schlicht unhöflich und distanzlos; mal davon abgesehen, dass ich vielleicht gerade in eine hoch komplexe Materie vertieft bin, die – wirklich – meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Also macht die Tür zu, wenn ihr konzentriert arbeiten wollt; oder nutzt irgendein Tool / Device, dass euch störungsfreies Arbeiten ermöglicht.
  • Meetings nur, wenn es auch wirklich etwas zu besprechen gibt. Ansonsten sind sie verschwendete Arbeits- und auch Lebenszeit. Vieles lässt sich heutzutage exzellent digital darstellen und ein GANTT-Chart o. Ä. lesen zu können, würde ich von einem Projekt-Verantwortlichen jetzt einfach mal erwarten wollen.
  • Schränkt das Gelaber am Wasserloch ein – oder verschiebt es auf die Arbeitsfreie Zeit. Klingt hart, bringt aber viel.

Bevor jetzt irgendjemand denkt, ich wäre so ein knallharter Manager-Typ: NÖ BIN ICH NICHT! Ich will aber auch nicht unnötig viel Zeit auf Arbeit verbringen. Irgendwann werde ich meinen Chefs noch beibringen, dass Präsentismus im Büro Käse ist und das selbst organisiertes Arbeiten alle Beteiligten in vielerlei Hinsicht weiter bringt; z.B. durch erhöhte Arbeitseffizienz und -produktivität. Aber vor allem durch höhere Zufriedenheit und in der Folge eine höhere Arbeitnehmerbindung. Oha, klingt das jetzt vielleicht interessant?

Zu guter Letzt eine ketzerische Frage zum Thema Work-Life-Balance und Entgrenzung der Arbeit, die ich selbst so vorher noch nie betrachtet habe: wenn ich daheim ein Buch lese, dass mich einfach interessiert hat und nun feststelle, dass es doch durchaus einen Bezug zu meinem Job hat – ist dass dann Arbeit oder doch Freizeit? Zur Info: ich selbst meditiere auch noch über eine abschließende Antwort, bin aber im Moment geneigt, die Antwort „Es kommt darauf an…“ zu favorisieren. In diesem Sinne wünsche ich euch eine schicke neue Woche in Absurdistan…

Erwachsen bilden #19 – Best Practice

Schon irgendwie witzig, wie man sein eigenes Tun als Käse entlarvt, je tiefer man sich mit Methoden und Theorien befasst, die sich abseits des Tellerrandes bewegen. Studium ist ja im besten Sinne dazu geeignet, sich seines eigenen Geistes zu bemächtigen; sofern man sich denn darum bemühen möchte. Die voran geschrittene Verschulung mancher Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses war manchem Vertreter deutscher Hochschulen von Anfang an ein Graus. Und man könnte trefflich darüber streiten, ob die im Rahmen der Bachelorisierung angestrebte Akademisierung mancher Berufsgruppen nicht vielleicht doch an den Realitäten des dualen Systems der Berufsbildung in Deutschland vorbei geht. Das ist aber heute nicht das Thema…

Jedenfalls bemerke ich, dass frischer Wind durch meinen Geist weht, wenn ich mich mit den Subjekten meines Studiums befasse. Ich spüre die Erweiterung meines kognitiven Horizonts und bekomme gleichzeitig neue Ideen und Ressourcen für meine praktische Arbeit. Tolles Ding soweit. Was ich besonders erfrischend finde, ist der Umstand, dass keiner der Profs den Inhalt seiner Vorlesungen als Anleitung zur Best Practice verstanden wissen möchte, sondern im besten Falle als Anregung, seine eigene „best contemporary practice“ zu finden – also die gegenwärtig bestmögliche Art, „Es“ zu tun (was auch immer „Es“ denn auch sein mag).

Nun bin ich Pädagoge und „Es“ ist natürlich zuallererst unterrichten. Gewiss muss ich mich mittlerweile auch mit solchen Dingen wie Qualitätsmanagement, Personaleinsatzplanung, Curriculums-Entwicklung etc. herumschlagen. Aber ich will nun ehrlich sein, meine wahre Leidenschaft ist der Lehrsaal – und es ist immer die Leidenschaft, die Leiden schafft… Denn sein berufliches Handeln zur best practice zu deklarieren bedeutet: Stillstand. Stagnation geht aber immer mit Rückschritt einher, denn die Welt bleibt ja nicht stehen, nur weil ich das möchte. Ich habe und hatte mit solchen Menschen zu tun. Und neuerdings auch häufiger mit jenen, die noch nicht erfahren genug sind, stetige Methodenreflexion als wertvoll zu begreifen und lieber vorgefertigte Lösungen für den Unterrichtssaal hätten, die jedoch allzu oft mit methodologischem Dogmatismus einher gehen.

Das ist der Grund, warum ich mir ein Referendariat für Lehrer an Berufsfachschulen wünsche. Denn viele der (zumeist noch sehr jungen) Kolleginnen und Kollegen, die gerade irgend so einen Bachelor an irgend so einer (zumeist teuren, privaten) Hochschule machen, bekommen die volle Breitseite zeitlich eng gespurter, verschulter Bildungshappen, die zum Prüfungszeitpunkt regurgitiert werden müssen. Verbunden mit einem Mangel an reflektierter Methoden-Kritik. Denn das Versprechen dieser Studiengänge ist, möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt punkten zu können. Aber die wissenschaftliche Arbeit lebt von der Methoden-Kritik. Würden wir die Dinge immer noch genauso wie vor 500 Jahren tun, hätten wir die Renaissance vielleicht nie hinter uns gelassen.

Es ist erst die wissenschaftliche Arbeit, das Spiel mit unterschiedlichen Theorien und Konzepten, der Blick über den Tellerrand und die Kritik an Methoden und Programmen, die unser Verständnis von der Welt und unserer Profession so zu schärfen vermag, dass wir die Ambiguitäten und Ambivalenzen des Lehrsaales aushalten lernen; das wir stets rege und flexibel bleiben – und vor allem bereit, lieb gewonnene Angewohnheiten und angestaubte Konzepte abzulegen und etwas Neues zu versuchen; immer in der Hoffnung, dass daraus eine neue best comtemporary practice werde. Ich scheitere lieber drei Mal, als dass ich einmal stehen bleibe.

Ich bin dieser Tage kritisiert worden, weil ich es aus Sicht des Kritikers unterlassen habe, bestimmte Informationen zu Fortbildungsveranstaltungen auf unterschiedlichen Medien zu kommunizieren. Ich habe darauf verstockt reagiert, weil auf Grund der betrieblichen Übung alle Informationen als gegeben betrachtet werden könnten – und ich überdies schlicht keine Zeit mehr dazu hatte. Er wies darauf hin, dass andere Subsysteme unserer Organisation das besser machen würden. Wer hat nun Recht? Keine Ahnung. Aber ich vermute, dass sein Tonfall, der aus meiner Sicht den Passus „konstruktiv“ konterkarierte mich mehr auf die Palme gebracht hat, als angemessen gewesen wäre. Warum ich das hier thematisiere? Nun, weil es zeigt, dass meine „contemporary practice“ diesbezüglich von „best“ ein Stück zu weit entfernt ist. Ich wünschte nur, es wäre anders – nämlich tatsächlich konstruktiv und nicht … egal … – kommuniziert worden. Aber da bin ich wohl Idealist. Sei’s drum. Ich muss nicht jedermanns Freund sein. Schönes Wochenende.

Erwachsen bilden #18 – Persönlichkeitsentwicklung…?

Man liest seine Studienbriefe. Und dann kommt manchmal so ein Punkt, an dem einem die Frage gestellt wird, ob man die rote oder die blaue Pille nehmen möchte. Nein – da sitzt natürlich man nicht mit Laurence Fishbure in seinem fancy Kostümchen in einem Abbruchhaus und der gerade macht seelenruhig einen auf Morpheus. Diese durchaus eigenwillige Umdeutung des Gottes der Träume darf ruhig rein cineastisch bleiben. Aber man findet sich auch bei wissenschaftlichen Betrachtungen gelegentlich mit der Frage wieder, welcher Argumentationslinie man lieber folgen möchte. Fühlt man sich der Wissenschaft als solcher verpflichtet, wird man so lange als möglich allen gerade noch überschaubaren Pfaden folgen wollen. Aber irgendwann erarbeitet man für sich selbst einen Grad an Plausibilität der einen oder anderen Argumentationslinie, den ein weniger wacher Geist auch mit Gewissheit verwechseln könnte.

Es sei einmal mehr bekräftigt: Wer sich einer Sache gewiss wähnt, ist bereits auf halbem Wege zum Dogmatismus. Sokrates sagte nicht umsonst „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Er will uns damit auf die Verblendung hinweisen, die aus verfestigter Gewissheit erwachsen kann. Daher begnügt man sich – speziell in dem Sozial- und den Geisteswissenschaften – üblicherweise damit, hinreichend Erklärungshaltige Theoriegebäude zu formulieren, um diese dann genüsslich wieder einreißen zu können, wenn mal eine neue Erkenntnis daher kommt. Diese Vorläufigkeit des Wissens ist es, die mich stutzig werden lässt, wenn ein Studienbrief über das Thema Persönlichkeits- und Kreativitätsförderung referiert.

Dem Konstruktivisten in mir stellt sich nämlich sofort die Frage, welche theoretischen Interventionsmöglichkeiten ich – im Angesicht der individuellen Konstruktion von Realität durch den Teilnehmer in sich selbst- denn überhaupt haben könnte, hier Eingriff nehmen zu können? Und der Humanist fragt sich, welche Berechtigung ich als Pädagoge dazu haben könnte? Denn allein der Begriff legt – nach meiner Lesart – eine Defizit-orientierte Grundhaltung an den Tag, die mich nach den Kriterien für die normative Anwendung deskriptiver Methoden fragen lässt. Natürlich ist die Frage ein bisschen ketzerisch, denn prinzipiell werden solche Eingriffe regelmäßig – mit mehr oder weniger Erfolg – durchgeführt: nämlich in der Psychotherapie. Und da kommen Methoden der Gesprächsführung und der Sprachanalyse zum Einsatz, die erprobt und in vielen Fällen sehr hilfreich sind.

Dennoch muss man sich als Pädagoge meines Erachtens sehr wohl mit der Frage auseinandersetzen, wodurch und inwieweit solche, eigentlich zur Therapie pathologischen Verhaltens gedachte, Instrumente im regulären Unterricht ihren Platz haben könnten. Es ist ja nicht so, dass meine Schüler in der Mehrzahl psychopathologisches Verhalten zeigen. Die Grundhaltung scheint mit auch eher der Idee zu entspringen, Menschen zum Erreichen ihres bestmöglichen Selbst verhelfen zu wollen. Das klingt vielleicht nach einem tollen Ziel; es bleibt indes für mich der fade Geschmack der Defizitorientierung. Oder, etwas anders formuliert, die Frage, in wie weit als wünschenswert beschriebenes Verhalten tatsächlich der Person selbst dient? Oder nicht doch eher dem Staat als Ruhe stiftender Institution und potentiellen Arbeitgebern für deren Wertschöpfung? Ist Devianz stets schädlich, oder nicht vielleicht doch gelegentlich ein Hinweis auf (nützliches?) unabhängiges Denken.

In meinem Hinterkopf spielen dabei „1984“-Szenarien weniger eine Rolle. Dystopien dieser Art sind schöne Gedankenspielereien, jedoch – allen „Diktatur“-Rufern in der Corona-Zeit zum Trotz – weitab der hiesigen Realität. Dennoch ist der direkte Zugriff auf die Teilnehmer mittels Strategien aus dem psychotherapeutischen Arsenal ein zweischneidiges Schwert, da die individuelle Autonomie meiner Schüler unbedingt erhalten bleiben soll. Ich denke vermutlich zu weit, doch ich kann das begründen; nämlich, weil ich allenthalben Idioten sehe, die Führern zu den Aluhuten auf den Leim gehen. Mündigkeit im Sinne einer entwickelten Menschenwürde bedarf nämlich vor allem der Fähigkeit und des Willens auch abseits der Mehrheitsmeinungen seinen Weg finden zu können. Ob wir dem als Pädagogen dienen, oder es verhindern liegt auch an unserem eigenen Handeln und Unterlassen im Lehrsaal und im mobilen Ausbildungsort RTW.

Ich muss über diesen Aspekt noch eine ganze Weile nachdenken; und ich kann es nur in meinen Kolleginnen landauf, landab anregen, das auch zu tun: Nachdenken, welchen Einfluss ich auf meine Schüler/Auszubildenden nehme und ob dieser Einfluss DENEN dient, oder einer Vorstellung, die ICH in meinem Kopf habe? Ich würde mich freuen, wenn wir darüber ins Gespräch kämen. Gute Nacht…