Bienvenue au pays cathare N°1 – Ich könnte sie alle…

Man soll ja saftig einsteigen, also vollende ich den Satz aus der Überschrift zunächst, wie folgt: „…umbringen und ihre verk*****n Karren rechts und links der Autobahn abfackeln!!!“ Zumindest hat am Anreisetag nicht viel bis zur vollkommenen Eskalation meinerseits gefehlt, denn Autofahren können die alle nicht; andernfalls hätte es nicht all 5-7 KM einen neuen Geisterstau gegeben. Aber es hätte mir vorher klar sein können, also muss ich das nächste mal halt besser planen. Es gab aber seit der Ankunft auch schon einiges Positives zu vermelden. Unsere Unterkunft ist toll, die Menschen hier sind nett und entstpannt, Einkaufen am Sonntagvormittag ist auch in Südfrankreich überhaupt kein Problem, und die ersten Locations, die wir besucht haben, vermochten meine positiven Erinnerungen noch mal zu übertreffen. Und überhaupt – diese Landschaft entspannt mich seit der ersten Minute. Die Weite und Ursprünglichkeit lassen einen die Stadt ganz schnell vergessen. Wenn jetzt die Rückenschmerzen noch ganz weg gehen, wird auch das hier ein echter Spitzenurlaub!

Von Tautavel nach Paziols…

Die Sonne, der Geruch von Erde und Vegetation, die von den Naturgewalten geformten, karstigen, teils kargen, aber teils auch wunderbar grünen Landschaften der nördlichen Pyrenäen-Ausläufer – all das scheint noch intakt, auch wenn sich schon jetzt, Ende Mai, ein gewisser Wassermangel in den Flüssen und Bächen bemerkbar macht. Ich bin dankbar, hier sein zu dürfen! Dankbar, mit allen Sinnen genießen zu dürfen! Dankbar, die Sorgen und Probleme der Welt für einen kurzen Wimpernschlag ausblenden zu dürfen... Denn die letzten Wochen waren durchaus emotional und kognitiv anstrengend; mit körperlicher Betätigung hab ich’s ja (leider) nicht so. Ich könnte deshalb jetzt natürlich anfangen, rumzujammern, wie schlimm doch alles ist: der Job nervt, die Kinder stressen, mein Rücken spackt rum (und das ausgerechnet zu Beginn des Urlaubs), die Politiker spinnen alle, etcpp.! Aber das wäre ganz schön ungerecht. Ungerecht gegenüber meiner besten Ehefrau von allen, die sich ebenfalls ganz schön ein Bein rausreißt, um den Laden am Laufen zu halten! Ungerecht gegenüber meinen Kollegen, die sich echt was aus unserer Teamwork machen! Ungerecht gegenüber meinen Kindern, die oft einfach nur ihr gutes Recht einfordern, Kind sein zu dürfen und sich nicht in Schablonen pressen lassen zu wollen, was unser allgemeinbildendes Schulsystem nur allzu oft versucht… Ich habe safe jemanden vergessen, und ich will weder ungerecht noch undankbar sein, sondern der Typ, der die Leute inspirieren kann, besser werden zu wollen, der seinen Shit gerockt bekommt und mit dem das Abhängen Spaß macht. Und jetzt habe ich Hoffnung, hier wieder ein bisschen mehr zu diesem Typ zu werden, der die Blaupause für mein Selbstbild ist – auch wenn Selbst- und Fremdbild nur selten übereinstimmen.

Chateau d’Aguilar

Ich denke manchmal einfach zu viel. Ich denke vor allem zuviel in die täglich erlebten Situationen und Menschen hinein, ich denke zuviel Ansprüche in meine eigene Existenz (und auch in die von Anderen) hinein und ich denke manchmal zu oft und zu weit um Ecken. Wenn man aber ein Gesamtbild braucht, muss man oft im Leben drei Schritte zurücktreten (und auch zurückdenken) und erst mal wahrnehmen, OHNE überhaupt zu interpretieren. Was mir – leider, leider – verdammt schwerfällt. Ich könnte mich jetzt damit trösten, dass ich mit DEM Problem ganz gewiss nicht allein bin, steht analytisches Denken heutzutage doch total hoch im Kurs. Aber damit würde ich es mir zu einfach machen. Also will ich versuchen, denn oben in der Überschrift begonnenen Satz anders zu beenden! Wie wäre es mit: „Ich könnte sie alle… einfach beobachten!“. Oder etwa „Ich könnte sie alle… ein bisschen gern haben“ (klingt für mich radikal übertrieben, aber gibt es nicht diese Menschen die Free Hugs verteilen?). Am besten gefällt mir aber: „Ich könnte sie alle… dazu einladen, etwas besser zu beobachten und manchmal etwas länger nachzudenken!“ Ja, ich glaube der passt. Damit ist für heute genug nachgedacht. Ich lasse den Tag jetzt im Garten hinter dem Ferienhaus ausklingen. Bis die Tage.

Das große Staunen N°3 – AI anybody…?

Es ist für mich ein wenig komisch, wenn ein Blogpost nicht komplett in einem Rutsch geschrieben wird, weil ich meine Gedanken nämlich oft „hot as they come“ erst im Schreibprozess selbst sortiere; dabei Pausen zu machen, führt manchmal zu Verwirrung und Brüchen im Text. Der eine Rutsch war diesmal nicht möglich, weil Teile des Posts in Amsterdam am Flughafen entstanden sind, während ich auf meinen Flieger nach Hause warten durfte. Und dann war ein paar Tage Zwangspause, weil Hektik und Umtriebigkeit am Arbeitsplatz, gepaart mit der Notwendigkeit die Familien-Reise auf den letzten Drücker vorzubereiten, dazu geführt haben, dass das Ganze erst ein paar Tage später in Südfrankreich zu einer Konklusion kommen konnte. Aber ich will ehrlich sein – diese Gedanken haben sich schon über einen längeren Zeitraum entwickelt; und erst der Besuch einer Veranstaltung mit vielen anderen Spezialisten aus dem Feld hat dann eine Art Initialzündung in meinem Kopf bewirkt, die ich irgendwie zu fassen versuchen musste, bevor der „Spirit of thoses days“ verdampft gewesen wäre. Dieses Mal führte der beschriebene Prozess dazu, dass ich mich mit Abstand nochmal mit den Gedanken auseinandersetzen musste – und ich kam zu dem Ergebnis, dass das Geschriebene für mich immer noch passt. Also geht’s jetzt los!

„…über den Wolken…“

Es ist, wie ich denke, momentan ein Allgemeinplatz, dass AI oder Artificial Intelligence der neue heiße Scheiß ist; und zwar egal wen und egal wo man fragt. Es gibt keinen Bereich, in dem man der Thematik entgeht. Ich arbeite ja im Bereich Rettungsdienst /Rettungsdienst-Ausbildung und auch für uns ist die AI-unterstützte Evaluation der vielen Daten, welche wir im Laufe eines Jahres produzieren von erheblichem Interesse. Sie kommen aus den Geräten, die bei der Diagnostik und Behandlung der Patienten genutzt werden sowie der kumulierten Anamnese der Patienten; und sie müssen erhoben werden, weil wir zur sauberen Dokumentation unserer Befunderhebung und Behandlung gesetzlich verpflichtet sind. Und sie könnten Mehrfachnutzen haben. Einerseits, weil Evidenz-basierte Medizin Evidenz braucht. Ohne epidemiologische Daten kann man nämlich nur sehr schwer herausfinden, ob die gegenwärtig installierten Prozeduren tatsächlich tun, was sie sollen – also in unserem Fall den Patienten wirklich helfen, oder ob wir’s nur so machen, weil man’s halt schon länger (immer) so macht. Manchmal habe ich nämlich den (höchst unangenehmen) Eindruck, dass verschiedene Protagonisten gar nicht so sehr daran interessiert sind, weil eine Änderung der Prozeduren sie notwendigerweise aus ihrer Komfortzone prügeln würde. Und die Bereitschaft zum Wandel war schon immer ein Problem. Nicht nur in meiner Profession…

Andererseits, weil diese Daten verschiedenen Institutionen und Personen im Verlauf einer Behandlung zugänglich gemacht werden müssen, um einen allzeit der Patientensicherheit förderlichen Wissensstand der Behandler gewährleisten zu können. Und auch da trifft man auf eine Menge Hindernisse, weil viele unterschiedliche Institutionen und Behandler mit höchst unterschiedlicher Tech-Infrastruktur und variierender Expertise in deren Nutzung in eine Patintenversorgung involviert sein können. Sinnvoll wäre mehr und tiefgreifendere Datenanalyse aber auch, weil eine sie Aufschluss darüber geben kann, welche Klientel, denen wir begegnen tatsächlich in ein Krankenhaus gehören – und welche nicht! Und zwar unabhängig davon, ob jemand glaubt, dass seine Convenience durch den Ritt im Pflasterlaster zur Ambulanz verbessert würde, man also tatsächlich annimmt, schneller dranzukommen, weil Blaulichtauto. Das ist nämlich eine Legende! Wie wir allerdings dahin kommen – also, ob wir uns darauf verlassen können, dass die Industrie und ihre Vertreter im Rahmen ihres Profit-Interesses jene Lösungen liefern können und wollen, die uns wirklich helfen, oder ob wir doch besser selbst zu Entwicklern unserer Arbeitsumgebung werden sollten – steht derzeit noch nicht fest. Nur eines ist sicher: alles bleibt anders. Oder besser: ALLES MUSS ANDERS BLEIBEN! Andernfalls fährt unser Gesundheitswesen mit Wucht an die Wand. Und das nicht nur in Deutschland.

Da aber aus meiner Sicht der Ruf laut werden muss, dass man der Wirtschaft durchaus einen guten Teil der Entwicklung von Produkten überlassen kann, politische Prozesse jedoch von Stakeholdern aus dem Feld moderiert und mit verhandelt werden sollten, gibt es nur den Weg, sich noch mehr selbst Lobby zu werden und alle möglichen Kanäle der Einflussnahme zu sichern. Das wird kein Leichtes sein, aber eines ist sicher: die berufsständischen Vertretungen gegenwärtigen Zuschnittes sind NICHT der Weisheit letzter Schluss, weil sie sich allzu oft in binnenpolitischem Klein-Klein verlieren und Partikularinteressen einzelner Parteien und Personen viel zu viel Raum in Diskussionen bekommen, die eigentlich sozialadäquat, sachorientiert und mit systemischem Blick von Fachleuten ohne Ego-Ambitionen geführt werden sollten. Ich sehe in Deustchland vieles, doch das eben benannte passiert VIEL zu selten! Wer hat Lust, sich mit mir und meinen Ideen auseinanderzusetzen? Ich wünsche euch ein schönes Pfingsfest. Grüße aus Tautavel.

Erwachsen bilden N°46 – unnütz…?

Ich habe am Anfang der Woche in der Klasse eines Kollegen den Unterricht übernommen, und war zuvor gebeten worden, etwas zum Thema „Lernen lernen“ zu machen; ich sollte also dazu beitragen, Metakognition und Lernstrategien der SuS zu stärken. Der Kommentar des Kollegen dazu war, dass ich sowas doch „aus dem Ärmel schütteln könne“. Um hier mit einem Vorurteil aufzuräumen – JA, ich beschäftige mich sehr intensiv mit verschiedensten Aspekten der Pädagogik, verantworte zumeist die Ausbildung der Ausbilder und bin folglich auch mit Lernstrategien, Mnemotechniken und Metakognition vertraut; aber aus dem Ärmel schüttele ich hier gar nichts, weil junge Menschen für so ein Thema abzuholen unfassbar kompliziert ist. So fiel die Reaktion auf meine Antwort, was wir denn nun machen würden am Montagmorgen auch eher verhalten aus. Subjektiv war da das Gefühl spürbar, dass sich damit befassen zu müssen für einige unnütz wäre. Davon darf man sich aber nicht ins Bockshorn jagen lassen. Das liegt einerseits an bereits vorhandenen und sattsam beübten Strategien einiger SuS; andererseits erscheint Lernen lernen zu müssen anderen wohl als zusätzliche Aufgabe. Und zusätzliche Aufgaben werden von vielen SuS nicht als Chance, sondern als Zumutung empfunden.

Ich bleibe dabei: Der Weg ist das Ziel!

Ich zog meinen Plan trotzdem durch! Das klingt jetzt ein bisschen, als hätte ich den ganzen Tag im Frontalunterricht losgelegt, was aber nicht der Fall war. Ich habe am ersten Tag zunächst in einem Impulsvortrag Lernen aus kognitions- und sozialpsychologischer Sicht dargestellt, sie eine Debatte über ein kontroverses Thema vorbereiten, führen und (kurz) selbst debriefen lassen; Dann mussten sie verschiedene Aspekte des Themas in Stufen sammeln, selbst erarbeiten und für das digitale Lerntagebuch darstellen. Am zweiten Tag habe ich dann mal in einer zweiten Präsentation unter die Haube des Lehr-Motors blicken lassen und danach die SuS dazu aufgefordert, kreativ zu werden. Mit gewissem Zeitdruck (nur 3 UE) ein Video entwickeln zu müssen (incl. obligat einzureichender Mind- Concept-Map und Storyboard/Drehbuch als weiteren Handlungs-Produkten) hat die Schüler dazu gebracht, sich dem Thema „Lernen“ auf drei sehr unterschiedliche (und wie ich fand sehr kreative) Arten zu nähern. Und ich bin noch nicht mal um eine Beurteilung sondern lediglich um ein kurzes Feedback gebeten worden. Man kann solche Handlungsprodukte auch nicht im Sinne einer Notengebung beurteilen – weil dies den selbstorganisierten Lernprozess entwerten würde. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie einerseits einer Erweiterung ihres eigenen Methodeninventars für das Lernen und anderseits einem besseren Verständnis konstruktivistischer Lerntheorie näher gekommen sind. Mehr kann man realistischerweise kaum erwarten.

Meine Vorbereitung beinhaltete dazu Arbeitsblätter zur Selbsteinschätzung des eigenen Lernstils und für die Debatte, Powerpoint-Präsentationen, Metaplanarbeit und natürlich ein Artikulationsschema – dass ich am zweiten Tag teilweise über den Haufen geworfen habe, weil ich bemerken musste, zu viele Redundanzen eingebaut zu haben. Andererseits war die Klasse auch nicht so groß, so dass der Zeitbedarf für die Präsentationen bei den Gruppenarbeiten deutlich reduziert daher kam. Ich vergleiche die Arbeit der Lehrperson im Unterrichtsraum manchmal mit dem Job eines DJs. Nicht selten muss man den Beat (Content) on the fly neu abmischen, auf die Emotionen (auch die Ermüdung) des Publikums reagieren und schließlich improvisieren können. Impro geht aber nur mit ordentlicher Vorbereitung – ansonsten verheddere ich mich in meinen eigenen Gedankenkonstrukten und labere am Ende Stuss zusammen. Das geht also nur mit profundem Wissen und einem Plan B (und manchmal auch noch einem Plan C). Tendenziell hat man besser mehr Content vorbereitet, als man braucht; dass dies aber leicht gesagt ist, weiß ich. Insbesondere, wenn man das noch nicht ganz so lange macht. Ich muss meistens nur ein opaar Momente in meinem Fundus stöbern und los geht’s…

Ich las unlängst in Bob Blumes Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse […]“, dass Bildung auch mal unnütz sein darf. Was er damit meinte, sind – so glaube ich zumindest – jene Inhalte, die nicht direkt und ohne Umweg einer irgendwie gearteten Verwertung zugeführt werden können. Und es mag sein, dass ich ihn falsch verstanden habe, aber für mich schmeckt hier das Humboldt’sche Ideal „proportionierlicher Bildung“ durch; also die Menschen in der Schule als Ganzes wachsen lassen zu wollen, auf dass sie ihre Wege in der Welt finden mögen. Mir ist das immer noch eine tröstliche Vorstellung, dass auch eine Berufsfachschule ein solcher Ort der Bildung sein könnte. Ich hatte im letzten Post dieser Serie über den Erziehungsauftrag gesprochen, den auch solche Einrichtungen haben wie jene, der ich vorstehe! Und ich nehme diesen nur ernst, wen ich einerseits meine Arbeit, aber eben auch die Subjekte dieser Arbeit – also unserer SuS – ernst nehme. Deshalb sagte ich vohin auch, dass eine Benotung bestimmter Handlungsprodukte diese entwerten würde. Denn das wäre so, als wenn ich – nachdem die SuS sich ein ganzes Stück weit selbst offenbart haben – deren Ergebnissen im Anschluss meine Sicht der Dinge überstülpe, und so Denk- und Sichtweisen quasi zu normieren und zu disziplinieren versuche. Unter solchen Voraussetzungen können wir selbstorganisiertes Lernen mit persönlichkeitsbildendem Charakter auch gleich ganz bleiben lassen!

Ich denke, dass wir gut daran täten, auch im berufsfachschulischen Bereich noch mal intensiv darüber nachzudenken, was eigentlich unsere Ziele sein sollen. Die Chefs, für die ich einer solchen Schule vorstehe, haben Erwartungen an das Tun meines Teams und meiner Person, die sich vor allem in den Bereichen Wirtschaftlichkeit und erhöhte Personalbindung abspielen. Mein Ziel jedoch ist es – und da werde ich fürderhin auch keinen Hehl drauß machen – Notfallsanitäter:innen auszubilden, welche diese Bezeichnung verdienen und überall einen guten Job machen können. Ob wir diese unterschiedlichen Interessen wirklich unter einen Hut bekommen können – und falls ja, wie – weiß ich nocht nicht, bin aber für jeden Diskurs offen. Sofern dieser nicht wieder Amygdala-gesteuert mit einem Monolog über Zahlen beginnt, und was man nicht alles tun müsste, um die Klassen voller zu bekommen, obschon jede Vernunft auf Grund der gegebenen Strukturen und Ressourcen gebietet, nicht auf Teufel komm raus Auszubildenden-Zahlen steigern zu wollen! Und aus pädagogischer Sicht schon gleich drei Mal nicht! Ach wäre es nicht schön, wenn das Leben mal einfach wäre…? Ich wünsche noch ein schönes Wochenende.

Dicker Hipster umständehalber abzugeben

Ich muss gestehen, dass ich nicht besonders oft Fernreisen mache. Ich fliege nicht gerne (und das hat noch nicht einmal etwas mit Flugscham zu tun). Für den Familienurlaub tut es das Auto, da ist es wenigstens mal voll ausgelastet. Wenn ich jedoch irgendwelche externen Geschäftstermine wahrnehmen soll, was bei mir ja bislang nur alle heiligen Hochzeiten mal vorkam, jetzt aber häufiger zu werden scheint, dann nutze ich üblicherweise die Bahn. Ja genau, dieses Dings, dass immer zu spät kommt, immer überfüllt ist und keine funktionierende Klimaanlage hat! Meine Erfahrung damit ist, dass man seine Reisen einfach ordentlich planen muss, um zum Erfolg zu kommen, und dann trotzdem besser noch etwas Geduld mitbringt. Vielleicht auch besser etwas mehr. Aber irgendwann kommt man ans Ziel – und hatte bei korrekter Ausführung unterwegs sogar noch die Gelegenheit, ein bisschen was zu arbeiten. Vergnügungs- oder Urlaubsreisen per Bahn finde ich, insbesondere mit Familie allerdings schwierig, und allein reise ich so gut wie nie; vielleicht alle paar Jahr mal. Und dann suche ich mir meist Ziele aus, die irgendwo in der Pampa liegen, wo man sowieso kaum mit Bus und Bahn hinkommt.

Alte Nationalgalerie

Auf solchen seltenen Bahnfahrten ist es unumgänglich, anderen Menschen zu begegnen und ich muss gestehen, dass ich dazu oft keine Lust habe, mich aber für bestimmte Zwecke überwinde. Zum Beispiel, wenn ich mal eben nach Berlin fahre, um mit jemandem sprechen zu können, dessen Expertise ich für ein Projekt benötige und der ein persönliches Gespräch eindeutig präferiert. Meine beste Ehefrau von allen stellte nun vor Reisebeginn fest, dass man meinen Bart-Zustand als Prä-Hipster definieren könnte, worauf ich entgegnete, dass ich auf Grund meines Alters bestenfalls als Post-Hipster in Frage käme, was überdies sicher nichts mit Briefzustellung zu tun hätte. Aber nun war es nicht mehr zu ändern und ich würde die Reaktionen Anderer auf mich dulden müssen. Diese fielen jedoch sehr überschaubar aus. Ich sehe halt so aus, wie ich aussehe und man nahm’s zur Kenntnis. Und so saß ich im Zug und fühlte mich irritiert. Einerseits waren die Umstände wie erwartet: Ersatzzug, andere Wagenreihung, alle Reservierungen gekillt, genervte Mitreisende, aber immerhin nur 6 Minuten Verspätung bei der Ankunft. Andererseits stellte sich so ein Gefühl ein, dass ich praktisch NUR bei solchen „Ausflügen“ erlebe: gespannte Erwartung gemischt mit fatalistischer Freude. Und das machte mich kribbelig. Die gespannte Erwartung konnte ich ja verstehen – aber die fatalistische Freude…

Berliner Dom

Es ist, so glaube ich zumindest, dieser Drang, ab und an Mannheim nur für mich allein im Rückspiegel verschwinden zu sehen (wenn im Zug auch nur im übertragenen Sinne), der für die Freude verantwortlich ist. Denn selbst ein kurzer Tapetenwechsel führt ja unter Umständen schon zu einer deutlichen Verbesserung der Befindlichkeiten. Allerdings behaupten Wissenschaftler, dass dieser Effekt am ehesten eintritt, wenn man sich ins Grüne begibt (Artikel auf ZON, aber hinter der Paywall). Kann ich für mich so nicht bestätigen. Wichtig sind da die alten Steine zum knipsen und evtl. etwas sinnvolles zu tun, dass aber auch gar nix mit meiner Arbeit zu tun hat. Etwas sehr sinnvolles habe ich getan; ich durfte etwas dazulernen und bin auf Spur für meine Masterthesis (und andere Ideen, die ich wälze). Und alte Steine habe ich auch geknipst; wie so’n verdammter Touri bin ich vom Hacke’schen Markt (wo wir einen Café-Betreiber davon überzeugen konnten, die Musik ganz leise zu stellen, damit das Interview von statten gehen konnte) zum Brandenburger Tor gepilgert und schließlich in meinem Hotel gelandet. Ich fühle mich jetzt noch mehr wie ein recht gewichtiger Post-Hipster als schon zuvor, allerdings mit einer Zufriedenheit im Herzen, die mich den ganzen anderen Scheiß außenrum mit Leichtigkeit vergessen lässt.

Kennt jeder, oder? Ist eigentlich aber nur echt mit Touris und Demonstranten, die ich extra NICHT mit fotografiert habe…

Die Hipster-Persona ist jetzt dann allerdings wieder abzugeben, denn ich mag vieles sein; eine Person die voll auf dem Laufenden ist über alles was gerade „hip“ ist bin ich sicher nicht; insbesondere nicht, da bei diesen Eumeln dann in ihrem Habitus auch immer noch so ein impliziter Hauch der ökologisch-ökonomischen Überlegenheit mitschwingt, der in mir bis auf Brechreiz noch andere Abwehrreize triggert. Dieses Pack kann mir vom Halse bleiben, danke dafür. Modernität findet im Kopf, im Herzen und im Handeln statt, nicht im radelnden, bejutebeutelten, markenfetischistisch eingekleideten, stolz zur Schau gestellten Abziehbild eines Möchtegern-Lumberjacks. Nun ja, genug gescholten. Ich mache heute nicht mehr viel, denn für das echte Berliner Nachtleben bin ich mutmaßlich mittlerweile zu alt und zu spießig. Da muss ein Bier an der Hotelbar genügen. Wir hören uns.

Auch als Podcast…

Träumen lernen…?

Heute ist der Tag, an dem meine große Tochter konfirmiert wird. Ich erinnere mich noch daran, dass das für mich damals ein großes Fest war und dass eine Menge Leute von weit her kamen, um mitzufeiern. Ich vermute, dass derlei Dinge – damals wie heute – in verschiedenen Familien unterschiedliche Stellenwerte haben. Und ich bin mir nicht sicher, welchen Stellenwert es für mich hat; insbesondere unter dem Aspekt, dass ich der Institution Kirche gegenüber alles andere als freundlich gesonnen bin. Das überschattet jedoch nicht das Fest für meine Tochter. Sie ist dem ganzen Konfi-Dingens gegenüber zwar auch eher kritisch, hat allerdings verschiedene Aspekte des Konfi-Unterrichtes positiv bewertet; und neue Freunde gewonnen. Heutzutage geht es da auch weniger um Bibelfestigkeit, als vielmehr darum, auf den Wert von etwas Humanismus in verdammt schnelllebigen Zeiten hinzuweisen. Damit gehe ich schwer d’accord! Ich bin darum sogar ordentlich angezogen und im Wort angemessen zurückhaltend. Und ich grille für Familie und Freunde, auf dass man sich wohl fühle. Ich nehme diesen Tag und seine Ereignisse also einfach an und mache für meine Lieben und mich das beste daraus. Dennoch hat es etwas in mir angeregt.

Wovon wohl Tiger träumen…?

Ich las neulich irgendwo, dass es immer häufiger Kinder und Jugendliche gäbe, die angesichts des gegenwärtigen Zustandes unserer Welt und mancher für die Zukunft erwarteter Entwicklungen in eine Art Katatonie, also eine Schockstarre verfallen, unfähig sich zu irgendetwas zu motivieren, weil Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu den übergeordneten Themen ihrer Leben geworden seien. Und das bringt mich zu der Frage, wie wir es schaffen, unsere Kinder zum Träumen anzuregen, zum Staunen zu bringen, schließlich dazu, die Zukunft anzunehmen, auch wenn die Herausforderungen nicht einfach sein mögen? Man könnte, wenn man sich etwas zu viel in den asozialen Medien herumtreibt den Eindruck gewinnen, dass eh alles Planen und Tun für die Katz ist. Alles egal, weil so viele „Diskussionen“ von ewiggestrigen, verzichtsunfähigen, egoistischen, asozialen Kognitionsallergikern bevölkert werden, die es für den Untergang des Abendlandes halten, wenn sie nicht mehr mit ihrem überdimensionierten Fossilverheizer bis direkt vor die Billig-Gammelfleischtheke fahren können. Insbesondere meine Generation (X) und die davor (Boomer) tun sich hier nicht gerade positiv hervor. Es tut halt aber auch weh, wenn man von diesen Rotzlöffeln, die noch ganz grün hinter den Ohren sind gesagt bekommt, dass man es auf der ganzen Linie verkackt hat, dass muss ich schon sagen (dürfen)… [/Ironie off]

Ganz ehrlich: ICH glaube an diesen Satz: „Alle haben gesagt, dass geht nicht. Dann kam eine:r und hat’s einfach gemacht!“ Sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Jeden Tag, mit kleinen Schritten und dem, was auch immer man selbst zu tun vermag, Dann kommen wir zusammen von diesem anderen Satz weg, den ich hasse, wie sonst nix auf der Welt: „Das haben wir schon IMMER so gemacht!“ Und erreichen gemeinsam, dass Träumen sich wieder lohnt. Ach was, bereits davon zu träumen, die Welt selbst mit zu verändern hilft bereits. Denn mit dieser Einstellung kannst du nicht verzweifeln, weil mit ein wenig Phantasie fast alles möglich wird. Auch unsere Welt lebenswert zu halten. Und weil meine große Tochter heute konfirmiert wird, und Konfirmation eigentlich „Bekenntnis“ und „Bestätigung“ bedeutet, konfirmiere ich hier und heute, dass ich an die Zukunft glaube, weil ich meinenTeil dafür tue (und noch mehr tun will), damit sie passieren kann! Für meine Kinder, aber auch für die anderen Menschen, die mir am Herzen liegen. Ihr wisst schon – die paar, die ich nicht hasse…

Und wie bringt man sich und andere (vor allem seine Kinder) nun zum Träumen? Ich denke, indem man ihren Ideen Flügel verleiht, indem man ihre Kreativität unterstützt, indem man ihnen so viel Freiraum wie möglich lässt – auch wenn man seinen Kindern Grenzen setzen muss, damit sie in ihrem Mangel an Lebenserfahrung nicht die vollkommen falschen Abzweigungen wählen. Ist ’ne Gratwanderung, die ganz sicher ab und an schief geht, die in Konflikte mündet und verdammt anstrengt. Doch die Alternative ist, dass wir Menschoide drillen, die dann halt im Rahmen definierter Parameter funktionieren – und tun, wie ihnen geheißen! Das haben wir als Menschheit viel zu lange getan – ich war (bin?) so ein gedrillter Menschoid, der sich erst nach und nach seines eigenen Denkens bemächtigt hat und heute der Art gegenüber, wie unsere Gesellschaft funktioniert so viel Zweifel und Widerwillen entwickelt hat, dass es nichts anderes mehr gibt, als zu versuchen, das System von innen zu verändern. Und wisst ihr, was das bedeutet – dass ich träume! Ich träume von Alternativen, die nicht braun-blau sind, von Veränderung hin zu mehr Humanismus und weniger Kapitalismus; und schließlich davon, dass meine Kinder zu verantwortungsbewussten, selbst denkenden Menschen werden, die irgendwann konfirmieren, dass sie auch solche Träume träumen, anstatt an der Zukunft zu verzweifeln. Dann hätten die beste Ehefrau von allen und ich zumindest nicht alles falsch gemacht. Hoch die Tassen – darauf, und auf meine Große. Schönen Sonntag.

Auch als Podcast…

Das große Staunen N°2 – Wie?

Es gibt da in der Kognitionspsychologie so einen Begriff: „intrinsische Motivation“. Was das hiermit zu tun hat, erläutere ich nach einer Geschichte: Es ist schon eine Weile her, da waren wir alle sehr plötzlich gezwungen, „social distancing“ zu betreiben (Gott hat das manchmal GUT getan!), man durfte nur noch zu fünfzigst in einen Supermarkt (ganz angenehm, mal nicht Omma Brömmelkamps Wagen vor Ungeduld in die Hacken geknallt zu bekommen!) und ganz viele Arbeiten mussten plötzlich von zu Hause erledigt werden (ich habe den morning commute ehrlich gesagt nicht vermisst)!. Da war Home-Office plötzlich toll! Das galt auch für Unterrichtsveranstaltungen und ich habe in der Zeit einige Male aus meinem Büro zu Hause gesendet. Dabei hatte ich auch mal – quasi als Einladung zum Unterrichtsbeginn – morgens in die Chatgruppe der Klasse ein Bild meines vorbereiteten Arbeitsplatzes gepostet. Und musste mir dann den Spott meiner Twitch-streamenden Schüler:innen anhören, dass ich total unterausgerüstet sei… Konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen! Also habe ich im Laufe der Zeit immer wieder nachgerüstet, ausprobiert, rumgefrickelt, mir mehr zum Thema Live-Streaming beigebracht, bis ich halbwegs zufrieden war. Nur um dann eine Weile später wieder rumzufrickeln… usw. Ich durchlief diesen Repeating Circle mehrfach – und tue es heute noch gelegentlich. Aber nicht, weil ich unbedingt besser ausgerüstet sein will als meine Schüler (bin ich vermutlich bis heute nicht, weil’s auch noch Anderes gibt). Auf Twitch zu zocken ist nämlich nicht mein Ding, dafür sind meine Reflexe zu langsam. Mich interessiert einfach, wie ich meinen Heimarbeitsplatz auf die Bedürfnisse meines persönlichen Workflows optimieren, und wie ich es mir dabei ein bisschen gemütlich machen kann.

Worüber Herr Gibbon wohl staunt…?

Beim Staunen als Begriff geht es mir um verschiedene Aspekte: Warum man es erlebt (Auslöser)? Wie und auch wann man es erleben kann (Umgebungsbedingungen)? Wozu es u. U dienlich ist (Kreativität und Entspannung)? Was man dafür tun kann (Achtsamkeit, und Aufmerksamkeit)? Gewiss kommen mir noch andere Gedanken dazu, aber wenn ich mir heute das „WIE“ mal genauer anschaue, ist es natürlich oft Neugier, die eine*n dazu treibt, sich mit Dingen zu befassen, die Anlass zum Staunen bieten können. Wie z. B. die oben erzählte Geschichte. Neugier erzeugt intrinsische Motivation, also den Drang, sich mit etwas aus eigenem Antrieb, ohne Not oder Zwang von Außen zu befassen. Und ich war neugierig geworden, was es bräuchte, um in diesem Bereich meiner Arbeit (Distanz-Lehre in der Erwachsenenbildung) besser zu werden, habe nebenbei ein bisschen Blut geleckt, was das Thema Vlogging angeht (obwohl ich noch nicht sehr weit gedieen bin) und durfte feststellen, dass bereits vergleichweise geringe Investitionen an Engagement, Zeit und finanziellen Ressourcen die Dinge vorangebracht haben. Wenn man die Lernkurve in Betracht zieht, bin ich daran durchaus gewachsen; denn es hat mir neue Möglichkeiten aufgezeigt, kreativ zu werden, Dinge auszuprobieren und nicht zu sehr in einen typischen Trott zu verfallen, der für meine Psyche Gift ist, wie ich mittlerweile weiß.

Ob ich dabei gestaunt habe? Nun, ich denke, dass diese fixe Idee, dass Staunen mit lautem „AH!“, „OH!“, „HEUREKA!“ und großen, glänzenden Kulleraugen einhergehen muss dem Umstand geschuldet ist, dass wir mit Staunen immer das kindliche Staunen assoziieren. Ich mag dabei vielleicht gelegentlich milde gelächelt und gegiggelt haben (vermutlich klang es eher wie dieses irre Kichern eines verrückten Wissenschaftlers), aber um das wahre Ausmaß meines Staunens quantifizieren zu können, hätte ich dazu wohl in einem MRT liegen müssen – und ich mag enge Räume nicht mehr besonders. Folglich müsst ihr mit der Versicherung leben, dass es mich fasziniert, zum Staunen angeregt und in einige sehr schöne Selbstwirksamkeitserfahrungen geführt hat – frei nach Hannibal Smith’s legendärem Satz „Ich LIEBE es, wenn ein Plan funktioniert!“ (wer’s nicht kennt => die Originalserie „Das A-Team!“). Staunen kann beim Erwachsenen vermutlich viele, ganz unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen, aber man darf sich sicher sein, dass Menschen auch oberhalb des Grundschulalters noch ganz erheblich zum Staunen fähig sind; und dann in der Folge häufig Dinge tun, die andere auch zum Staunen anregen! Und das alles nur, weil sie sich fragen „WIE geht das?“. Indem Sie sich das fragen, tauchen sie in eine neue Materie ein – und aus der Frage wird durch das Staunen die Antwort, weil Staunen Fragen aufwirft, und damit zu einem Prozess des Lernens anregt!

Igitt – Lernen? Ja genau. Im Grunde kann Lernen nur dann richtig gut funktionieren, wenn wir uns entweder für den Gegenstand des Lernens interessieren, weil dieser uns fasziniert (also zum Staunen anregt), oder wenn wir durch psychologisches Re-Framing aus der Notwendigkeit eine Tugend machen – uns also durch frommen Selbstbeschiss zum Lernen motivieren. Ob dieser Text eine Motivationshilfe ist? Keine Ahnung! Ob jemand darüber staunt? Vielleicht! Ob’s jemand kommentiert? Bestimmt wieder nicht! Macht nix – denn mich regt die Beschäftigung mit diesen Medien hier immer wieder zum Staunen an, weil ich am Anfang nie weiß, wie der Text, der gerade durch meine Hände auf den Bildschirm fließt enden wird. So ist das bei den Autoren. Oft genug sind wir von unseren eigenen Geschichten überrascht. Mal schauen, was das Wochenende noch bringt. Einstweilen einen schönen Tag.

Auch als Podcast…

Flight of the procrastinator…

Ich bin schuldig. Ich habe nicht genug getan. Oder so… Das war eine seltsame letzte Woche und es sieht nicht danach aus, als wenn die nächste anders würde; was daran liegen könnte, dass ich allen selbst getroffenen Behauptungen zum Trotze, Menschen zu hassen sehr viel mit welchen zu tun hatte und habe. Könnte an meinem Job liegen. Oder daran, dass ich, sofern ich jemanden leiden kann, eine halbwegs soziable Bedienoberfläche zu simulieren im Stande bin. Jedenfalls hatte ich mehr Input aus „dem Geschäft“, als ich haben wollte, weil manche Leute nicht so wirkliche Leuchten sind, wenn es um Personalführung geht. Was solls. Eigentlich hätte ich mich nur mit meiner Master-Thesis befassen sollen. Ich habe auch gelesen, Literatur gesichtet, viele Notizen gemacht, ein Interview geführt, weitere Kontakte geknüpft. Und nebenbei gelebt (also Zeit mit meiner Familie und Freunden verbracht, gegrillt, gezecht, gesurft, gezockt, etc.; und sogar etwas Haushalt gemacht) Oder war es andersherum? Nun, DAS ist vermutlich Betrachtungssache. jedenfalls fühle ich mich deswegen vieles – nur nicht wirklich schuldig. Weil sich momentan in mir ALLES gegen diesen dauernd propagierten Selbstoptimierungs-Leistungsträger-Wahn wehrt.

Im Moment fällt seit einer guten Stunde ergiebiger Regen über der Stadt – und irgendwie wirkt das auf meine Seele beruhigend. Ich weiß, wir haben eigentlich Frühling und Maimarkt und BUGA und wasweißichnichtnochalles in der Stadt, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist mir das alles einerlei, weil ich weiß, dass morgen früh die Ruhe vorbei sein wird – und 100 Dinge gleichzeitig über mich herfallen werden, um mein, nur unter Mühen aufrecht erhaltenes Gleichgewicht zu stören. Und im Moment geht es nicht mal um mich und meine verf****e Depression, sondern um die Sorgen und Nöte Anderer. Diese Leute, von denen ich vorhin sprach – also die, die ich leiden kann. Interessant in diesem Zusammenhang ist Folgendes: Jemand, mit dem ich schon länger keinen Kontakt mehr pflege, hat mir mal vorgeworfen, dass ich gefühlskalt sei; es sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der Anlass damals eine Beerdigung war. Und ich muss auf die Person wohl unempathisch gewirkt haben. Was bedeutet, dass diese Person damals Empathie und Mitleiden miteinander verwechselt hat. Ich weiß sehr wohl sehr oft, was gerade in meinem Gegenüber vorgeht; ich glaube nur, dass es nicht immer sinnvoll, angemessen, hilfreich oder für MICH gut ist, darauf weitschweifig und tränenreich einzugehen. Also lasse ich dass häufig sein, weil ich selbst genug Scheiß am laufen habe. Nutzt ja auch nix, wenn ich mitheule. Um das hier abzuschließen: wann und wo ich meine (Mit)Gefühle rauslasse, ist – sofern nicht gerade mal wieder mein cholerisches Temerament zur Unzeit die Oberhand gewinnt – meine Sache. Ganz allein meine Sache! Aber ich kann, wenn ich will und/oder muss!

Ich habe der Prokrastination deshalb gehuldigt, weil ich wohl geahnt haben muss, dass ich meine Zeit, selbst, wenn ich dafür Urlaubstage genutzt hatte nicht auf die Weise für mich nutzen können würde, wie ich es mir gewünscht hätte. (Für diejenigen, die der Post-Titel verwirrt: „Flight of the Navigator“ ist ein Sci-Fi-Film aus dem 80ern; ich habe nur den Titel verballhornt). Ich hasse es, dass ich Recht behalten habe, aber was rum ist, ist rum. Gefühlt spült dieser Regen gerade wenigstens nicht nur die Pollen aus der Luft, sondern auch meine Sorgen um das Morgen. Das wird jedoch gewiss nicht lange anhalten. Gerade so lange vielleicht, dass ich nach dem Schreiben dieses Posts noch ein paar Dinge organisieren, mit meiner besten Ehefrau von allen einen netten Abend verbringen und danach ruhig schlafen kann. Denn im Büro wird Prokrastination ja nicht so gern gesehen – wenngleich es mir manchmal so vorkommt, als seien manche dort tatsächlich nur so was wie animierte Toupetständer; womit nichts über die Echtheit der Haarpracht ausgesagt ist. Eigentlich wollte ich mich doch gar nicht über meinen Job definieren, tue es mittlerweile aber wohl mehr, als gesund ist. Mal sehen, ob/wie ich DAS wieder abstellen kann. Denn mein Prokrastinieren ist tatsächlich zumeist kein echtes Rumgammeln, sondern vielmehr eine Art kreativer Prozess – mit wechselnden Resultaten. Aber sowas macht mir gerade viel mehr Spaß als dass, womit ich unsere Brötchen verdienen muss. Ich wünsche dennoch allen einen geschmeidigen Start in die neue Woche. Und wetterfeste Kleidung…

Der verwirrte Spielleiter N°52 – Das Böse ist los!

Ist schon lustig, dass man im Pen’n’Paper immer davon ausgeht, dass es so etwas wie ein Alignment, oder zu Deutsch eine Gesinnung gibt – und dass eine Gesinnung ein fixes Konstrukt ist, dass sich niemals ändert und das vor allem in einer Population gleich verteilt ist. Alle Orks sind böse – oder? Alle Elfen sind gut – oder? Alle Spielercharaktere müssen guter Gesinnung sein, sonst sind sie keine Helden – oder? Alles, was kein Held ist, ist ein Monster (oder ein böser Gegner) – oder? Warum arbeiten wir im Fantasy-Rollenspiel mit derlei Aussagen? Weil ein nicht unerheblicher Teil im Ausspielen von Konflikten besteht, und Spieler:innen sich gerne darauf verlassen, dass es okay ist, den Gegnern auch mal die Schädel einzuschlagen. Denn in der Realität ist es das nicht; auch wenn ich mir zum hundertsten Mal wünsche, dass das Verbuddeln der Überreste von Idioten, die ihren Führerschein einfach nicht verdient haben straffrei bleiben sollte. Kleinbürgerliche Goßmachtträume sind in der Realität genau das – Träume. Also räumen wir mal kurz mit einigen hartnäckigen Missverständnissen auf.

Das Böse hat am Bild gespielt… 😉

Zunächst muss klar sein, dass der Begriff „böse“ im Kontext Pen’n’Paper nur auf einer rein erzählerischen Ebene funktionieren kann. Das Böse im Rollenspiel hat mit dem Bösen der realen Welt nichts gemein – es mag Erzählfiguren und NSCs geben, die von der realen Welt inspiriert sind, doch in der Secondary World sollten jene Ambivalenz und Ambiguität, welche sich in Echt-Welt-Konflikten finden nur gut dosiert eingesetzt werden, weil die Spieler:innen sonst u.U. nicht das Maß an Eskapismus erleben können, für welches sie eigentlich an den Spieltisch gekommen sind. Wenn jede Situation zu einer moralischen Herausforderung im unüberschaubaren Reich der Grautöne wird, bleibt der Spielspaß auf der Strecke. Das bedeutet NICHT, dass es KEINE moralisch fordernden Situationen geben sollte! Man ist jedoch gut beraten, diesen im Spiel keinen zu großen Raum zu geben. Das wahre Leben ist schon genug voller Uneindeutigkeiten und Dissonanzen, die uns alle erheblich kognitiv fordern.

Wenn das Böse aber als erzählerische Kategorie funktionalisiert wird, muss ebenso klar sein, dass Erzählungen – insbesondere am Pen’n’Paper-Spieltisch – dynamisch sind. Sie entwickeln sich weiter, während wir diese gemeinsam erzählen. Folglich sind auch die Charaktere und NSCs, sowie die Gruppierungen, denen sie angehören dynamisch. Die Welt entwickelt sich als fortlaufender Prozess mal mit, mal ohne Zutun der Charaktere weiter; und lässt damit den Spielern oftmals keine andere Wahl, als ihre Charaktere auch weiter zu entwickeln. Zumindest, wenn die „Rolle“ in Rollenspiel tatsächlich als solche begriffen wird. Wenn Charaktere und Ihre Persönlichkeiten dynamisch veränderliche Konstrukte sind, können sie auch böse sein, böse werden, gut werden oder gut bleiben. Denn bestimmend dafür, ob ein Pen’n’Paper-Char und seine Handlungen als böse oder gut wahrgenommen werden ist lediglich der Grad, in welchem die Ziele dieser anderen virtuellen Person mit denen meines Charakters übereinstimmen. Wir wollen alle das Selbe => alles easy => Char ist gut! Der Spieler und damit sein Char haben konträre Ziele => Feind => Char ist böse! One persons evil is another persons goal!

geklaut bei Matt Colville, ergänzt von mir

Es ist in diesem Zusammenhang evtl. von Vorteil, sich mal über verschiedene moralische Archetypen Gedanken zu machen, die ich in dem obigen Bild in einem semiotischen Rechteck nach Greimas dargestellt habe:

  • HELD: das heldenhafte Prinzip beinhaltet, sich auf jene Art zu verhalten, die wir instinktiv mit Heldentum assoziieren, also die Schwachen zu schützen, Unrecht zu bekämpfen, dem Bösen die Stirn zu bieten, etc. Ein Held zu sein entbindet Spieler:innen allerdings nicht von der Aufgabe, sich eine stimmige Motivation auszudenken, warum DIESER Charakter sich JENER Aufgabe verschreibt (trotzdem findet man hier viele typische Spielercharaktere).
  • BÖSEWICHT: der Widerspruch zum Helden, jenes ungezügelte Prinzip, in welchem sich alles Unrecht bündelt, das wir uns vorzustellen vermögen (dieser Charakter ist ein NSC und gehört den SL). Nachvollziehbare Motive können eine Rolle spielen; oftmals haben wir hier aber einfach jene chaotischen Soziopathen, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen, weil ihnen das Feuer so gut gefällt.
  • ANTI-HELD: hier wird es interessant. Anti-Helden wollen keine Helden sein, werden aber durch die Umstände dazu genötigt, heldenhafte Dinge zu tun, solange diese auch mit ihrer eigenen Agenda vereinbar sind. Der Anti-Held reist mit einer Gruppe, solange seine und deren Ziele halbwegs kongruent sind. Ist dies nicht mehr der Fall, droht die Trennung. (kann ein interessanter Spielercharakter sein, solange mit dem SL sauber festgelegt wird, welche Ziele dieser Charakter eigentlich verfolgt).
  • ANTI-BÖSEWICHT: und der hier möchte kein Bösewicht sein, fühlt sich aber durch die Umstände gezwungen, böse Dinge zu tun, um seine eigenen Ziele erreichen zu können. Solange jedoch seine Ziele auch durch Teilnahme an der Heldenreise erreichbar scheinen, wird er mit einer Gruppe nicht nur kooperieren, sondern diese auch unterstützen, sofern ihn dies seinem eigenen Ziel näher bringt. (das ist der Charakter mit dem Geheimnis, welches mit dem SL abgesprochen wurde und der u. U. in einem kritischen Moment die Gruppe hängen lässt. Das hat dann auch nichts mit Feindschaft zu tun – es ist einfach nur so, dass seine Ziele IMMER wichtiger sind, als die der Gruppe).

Es ist also nichts schlimmes dabei, einen „bösen“ Charakter spielen zu wollen, sofern a) klar ist, dass der Spielspaß für ALLE am Tisch respektiert werden MUSS und b) mit dem SL klare Absprachen über Ziele und deren Erfüllung getroffen wurden oder c) ALLE böse Charaktere spielen und eine gemeinsame Agenda haben. Kann alles funktionieren, braucht nur gute Vorbereitung auf Seiten des SL. Das bis hierher Gesagte zeigt aber auch, dass sich eine Agenda ändern kann, weil das Spiel, die Welt und damit die Charaktere in ihr ändern können. Darüberhinaus können wir das alte „Orks = böse vs. Elfen = gut“-Schema nicht stehen lassen, was aber das Problem aufwirft, das wir uns wieder in der Sphäre der Ambivalenz und Ambiguität bewegen, und nicht einfach jeden Ork umnieten lassen können. Deshalb bedarf es mindestens EINER Fraktion im Spiel, die JEDER hasst und bei der NIEMAND Einspruch erhebt, wen man denen auf die Mupfel haut. Aber auch dafür hat unser semiotisches Rechteck ja bereits eine Lösung parat: den Bösewicht (gerne auch in Mehrzahl). Ob das nun irgendwelche übernatürlichen bösen Monster sind, wie Dämonen, Zombies, Geister, etc. oder eine besonders bösartige Untergruppe einer Spezies, ist vollkommen egal. Für den Spielspaß ist es wichtig, ab und an Vertreter dieser Fraktion auftauchen zu lassen, bei denen klar ist, dass man mit ihnen a) nicht verhandeln kann und sie b) immer böses TUN, weil sie c) immer böse SIND und man ihnen folglich stets mit Gewalt begegnen darf. Wie oft diese zum Einsatz kommen, und wie wüst solche Encounter werden, hängt davon ab, wie Kampf-/Taktiklastig das Spiel insgesamt ist. Aber man braucht so eine Fraktion immer! Denn die Secondary World sollte ein Ort sein, der die Möglichkeit bietet, auch mal die einfach Lösung zu wählen; nicht immer, aber wenigstens ab und an. In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…