Es ist, milde formuliert, irritierend, mit was für einem Scheiß sich das Feuilleton des Öfteren auseinandersetzt. Ich las heute morgen, dass die ARD ein Unterformat ihrer Reihe „Wissen vor Acht“ mit dem Titel „Sprüche vor Acht“ plant. Da sollen Redensarten erklärt werden. Nun weiß ich, dass es jede Menge Menschen gibt, die in Ermangelung besserer Ideen immer noch die gruseligen Hauptprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsumieren. Eben jener Anstalten, die immer wieder (grundlos) rumjammern, dass die Zwangsabgabe nicht hoch genug sei, produzieren dabei mit Hilfe ihres unfassbar riesigen, und unfassbar nutzlosen Verwaltungsapparates nicht selten kapitalen Bullshit. So mancher Redakteur bei ZON und anderswo wäre ohne die Ausfälle des ÖR wahrscheinlich arbeitslos. Unter Beachtung des Umstandes, wie viele Menschen in Deutschland ein Smartphone besitzen, und wahrscheinlich zumindest googeln können, stellt sich mir nun die Frage, welchen Sinn oben genanntes Format haben sollte?
Glaubt die ARD, damit ihrem Bildungsauftrag nachzukommen? Das käme dann ein paar Jahrzehnte zu spät. So was hätte vielleicht vor 25 Jahren noch Sinn gemacht, aber heute? Versucht man dem eigenen Anspruch als Hüterin von Kultur gerecht zu werden? Was soll dann der Tatort, der mittlerweile nur noch aus (falschen) Milieustudien und kaputten Kommissaren:innen besteht? Versuchen die dann etwa witzig zu sein? Sorry, aber die Domäne haben die Spartensender und eigenen Landesanstalten schon seit Jahr und Tag besetzt. Und das immer noch besser, als die Privaten. Ich glaube ja, dass in manchen Köpfen von so genannten Verantwortlichen immer noch diese strikte Trennung von Hochkultur und Populärkultur existiert, die – PARDON – Unfug ist. Obsolet, Kann auf den Müll. Ich habe vor ein paar Jahren mal einen Artikel über Recycling-Kreativität geschrieben, der mir gerade wieder in den Sinn kam. Warum gibt es überhaupt so eine gedankliche Trennung: Oper ist Kunst, Heavy-Metal ist Geschmackssache, „Faust“ ist Literatur, Comics sind Schund, „Panzerkreuzer Potemkin“ ist ein Zeitdokument, „Guardians of the Galaxy“ hingegen irrelevante Unterhaltung, usw.? Ich zitiere mich mal selbst:
„Zum einen vermisse ich einen wichtigen Aspekt der Prozessualität von Leben und (menschlichem) Schaffen, nämlich den der je individuellen wie auch zeitgenössischen Eigenheiten der kreativ tätigen Menschen. Methoden ändern sich, Materialien und Techniken ändern sich; und natürlich ändern sich auch die Menschen. Das was wir als tradierte Güter ehemaligen Kulturschaffens mit uns herum tragen mag eine gewisse Präsenz haben doch es diktiert nicht mein eigenes schöpferisches Tun. Ich nutze Geschriebenes, Gemaltes nicht als Blaupause für meine eigenen Werke, so wenig wie die viele andere dies tun. Vielmehr ist diese dem Wandel innewohnende Varianz Motor für Vielfalt, für Innovation. Mag sein, dass einmal Gedachtes oder Gemachtes hie und da seinen Widerhall in den Kreationen kontemporärer Künstler findet, doch dies entwertet die Kunst in keinster Weise, wenn die Idee und Erkenntnis des Künstlers in ihm selbst gereift ist und so seinem Werk zur Kraft gereicht, Idee und Erkenntnis zu transportieren. Wie oft denkt man einen Gedanken, nur um später herausfinden zu müssen, dass ein Anderer diesen auch schon hatte. Dennoch ist der vielleicht auf ganz anderem Wege dahin gelangt und wird für sich reklamieren, von selbst darauf gekommen zu sein, selbst wenn es auch vor ihm schon mal jemanden gegeben haben sollte, usw.“
http://unlimited-imaginations.com/recyclingkreativitat-gibts-sowas-uberhaupt
Doch das ist ja nur der eine Aspekt. So sehr ich dafür eintrete, Leben, Kultur und Kunst als Prozesse zu betrachten, die ständig neue Iterationen durchlaufen, um dabei immer wieder neue, erstaunliche, schöne, gruselige, widersinnige, widerspenstige, fordernde und sonst wie spannende Produkte hervorzubringen, möchte ich mich der Ergebnisoffenheit dieser Prozesse verpflichten. Die politische Bedeutung von „ergebnisoffen“ wird von den Menschen ja oft mit „haben die doch schon im Hinterzimmer ausgekungelt und jetzt tun sie nur noch für eine Weile so, als wenn sie nach einer tollen neuen Lösung suchen“ übersetzt. Und so ganz falsch ist das ja leider oft auch gar nicht, wenn man sich auf eine geringe Anzahl mehr oder weniger opportuner Lösungen festlegt, anstatt wirklich über den Tellerrand zu schauen. Die Suche nach einem Atommüllendlager in Deutschland illustriert das höchst eindrucksvoll. Kultur und ihre Produkte (die wir manchmal als Kunst wahrnehmen) sind jedoch tatsächlich ergebnisoffene Prozesse im besten – manchmal auch schlimmsten – Sinne des Wortes. Forrest Gumps Pralinenschachtel in riesengroß…
Für mich macht das den Reiz aus. Die „Klassiker“ der Weltliteratur werden in Schulen in dem – nicht selten vergeblichen – Versuch genutzt, grundsätzliche Prinzipien menschlichen Miteinanders zu versinnbildlichen. Beim „Fänger im Roggen“ geht es nicht um das Sezieren der Worte, sondern um’s Erwachsenwerden, um die Kritik an der nivellierten Mittelstandsgesellschaft der USA in den 50ern. Ich habe das Buch nie gemocht, weil ich „Holden Caulfield“ vom ersten Moment an für einen Idioten, einen narzisstischen, selbstmitleidigen Schwafler hielt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und ich denke, ich war nicht der Einzige. Im Musikunterricht müssen sie immer noch unnötigerweise soziodemographische Fakten zu Komponisten auswendig lernen. Die Liste ließe sich noch ein Stück weiterführen, doch was ich eigentlich sagen will, passt in einen Satz: etwas ist kein Klassiker, nur weil es mal irgendwann für irgendwen eine gewisse Relevanz besessen haben mag. Ich tue mir schwer damit, in Songs von „Capital Bra“ irgend eine nennenswerte Schöpfungshöhe zu erkennen. Und dennoch reflektiert der dämliche Bruder den Zeitgeist. Zeitgeist muss einem halt nicht unbedingt gefallen…
Kulturprodukte und Kulturpraktiken ändern sich, Sinnzusammenhänge und Relevanz ändern sich, doch so lange Kunst die Funktion erfüllt, Menschen zum Denken und Fühlen anzuregen, bleibt ihr Zweck auch unter sich verändernden Vorzeichen erhalten. Sie soll faszinieren, Fragen stellen, ohne gleich platt eine Antwort mitzuliefern. Sie soll uns unsere Gefühle bewusst werden lassen; die Guten wie die Schlechten. Sie soll uns mithin dazu bringen mehr Mensch zu sein. Und dazu darf Kultur auch gerne mal rätselhaft bleiben. Viel zu oft ziehen wir unsere Taschenwanze hervor, um eine Frage instant beantworten zu können, wenn ein wenig Kontemplation enthüllen könnte, dass nicht die Antwort das Ziel war, sondern der Denkprozess. Wie beim Wandern, so ist auch beim Denken oft der Weg das Ziel, weil wir am Weg wachsen! Am Ziel wächst höchstens mein Ranzen, wenn es dann ans Schnabulieren geht… Bitte nicht missverstehen: ich schnabuliere auch gerne. Aber mehr Zufriedenheit erfahre ich entlang des Weges. Und Zufriedenheit ist mir im Moment noch immer ein rares Gut, für welches ich gerne Mühen auf mich nehme – solange ich das selbst bestimmt tun kann! Ich wünsche ein schönes Wochenende.