Oh du fröhliche…

Ach ja, es ist schon seltsam. Immer wenn sich der 24 Dezember nähert, findet man in den verschiedensten Presseerzeugnissen – und heutzutage natürlich auch in den Online-Medien – satireartige Artikel, welche die höchst ambivalente Verbindung des jeweiligen Autors zum höchsten Fest im Jahr auf mal mehr, mal weniger humoreske Art kolportieren sollen. Die Basis dafür bilden die, häufig als gefährlich beschriebene, Gemengelage interfamiliärer Beziehungsgeflechte, sowie die stets überzeichneten Befindlichkeiten einiger stereotypisierter Mitglieder der Mischpoke. HA HA, WITZIG…

Ich will gestehen, dass auch in meinem Familienverbund das Eine oder Andere nicht gerade zur Gemütlichkeit gereicht, wenn denn mal wieder die (f)rohen Festtage anstehen. Und natürlich juckt es auch mich manchmal in den Fingern, eine saftige kleine Abrechnung mit den durchaus in gewisser Zahl auffindbaren Schrullen, Vorstellungen und Handlungsweisen hinzuknallen; mit jedem vergehenden Jahr wird dieser Drang allerdings ein wenig kleiner. Nicht, weil etwa plötzlich alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Wer glaubt den sowas? Allerdings wird man mit zunehmendem Alter ruhiger, duldsamer und weiß solche Zusammenkünfte auf einer anderen Ebene zu schätzen als früher.

Natürlich werden bei solchen seltenen Gelegenheiten immer die gleichen ollen Kamellen aufgekocht, natürlich sind die über Jahrzehnte ausgefeilten, in Traditionen geronnenen Rituale wenn überhaupt, so nur geringen Wandlungen unterworfen und ebenso natürlich passieren Peinlichkeiten, auf die man hätte verzichten können. Aber meine Mutter kann immer noch ziemlich gut kochen. Sich des Gesundheitszustandes meiner Verwandten versichern zu können, bekommt über die Jahre eine größere Priorität, denn wer weiß schon, wie alt sie noch werden. Das hat nichts mit Zynismus zu tun, sondern mit der schlichten Wahrheit, dass wir alle irgendwann sterben müssen. Hat man sich vorher mal damit beschäftigt, haut es einen wenigsten nicht vollkommen aus den Latschen, wenn ein lieber – das gilt aber auch für einen nicht ganz so lieben – Verwandter in Gras beißt.

Weihnachten ist das Fest der Liebe, sagt man und es kann nicht schaden, sich in diesem Zusammenhang nochmal zu vergewissern, wen man liebt und warum. Und ganz nebenbei kann man es auch als Test nutzen, um herauszufinden, wer einen selbst zurückliebt. Man sollte jetzt nur nicht dem Irrtum aufsitzen, dass sich dies anhand des summierten Wertes der Geschenke ablesen lässt. Ich gestehe: auch ich lasse mir gerne etwas schenken. Ich freue mich schon, wenn man mir eine kleine Aufmerksamkeit zukommen lässt. Wer tut das nicht? Ich schenke aber auch gerne. Und ich erlebe den Heiligen Abend im kleinen Kreise meiner eigenen Familie als eine Art Zeitreise, wenn leuchtende Kinderaugen das Ratsch-Ratsch begleiten und sich der Verpackungsaufwand in Restmüll verwandelt; ich selbst mache es auch heute noch wie früher: Ratsch-Ratsch! Früher aus reiner Ungeduld. Heute kann ich wenigstens behaupten, dass ich nicht an die Wiederverwendbarkeit von Geschenkpapier glaube…

Der ganze Trubel dauert wenige Tage und versetzt dennoch über Wochen und Monate die Gemüter in Wallung wie Nichts sonst; außer vielleicht Kriegsalarm. Das allein ist ausreichender Anlass, sich ein bisschen darüber lustig zu machen. Aber bitte nicht zu sehr. Denn bei aller Sorge um die Vorbereitung prandialer Detonationen, reicher Gabenteller und duchgestylter Wohnungen bleibt allzu oft auf der Strecke, was so viel beschworen, aber so selten erreicht wird: nö, nicht die Besinnlichkeit. Die kommt nämlich von ganz alleine, wenn man Frieden findet. Den Frieden, den Weihnachten uns eigentlich versprechen will. Mal schauen, ob wir’s dieses Jahr wieder schaffen, ihn wenigstens im Kreise der Familie zu halten? Das wünsche ich euch allen. Bis die Tage wieder.

Sozialpuzzle – oder warum Pegida-Mitläufer nicht der Teufel sind…

Hübsches Wort oder? Ist mir die Tage so eingefallen und eine kurze Googlesuche hat mir eröffnet, dass noch niemand es anscheinend in dem Zusammenhang benutzt hat, der mir jetzt gerade vorschwebt. Unsere (post)moderne Gesellschaft ist wie ein Sozialpuzzle. Viele Teile greifen auf unterschiedliche, jedoch je einzigartige Weise ineinander. Ich könnte jetzt wieder Systemtheorie zitieren, oder von dezentraler Kontextsteuerung reden, aber für die Angelegenheit, mit der ich mich auseinandersetzen möchte, ist das Bild vom Puzzle mit seinen unterschiedlichen Teilen vollkommen ausreichend. Doch zunächst ein paar Gedanken zum Thema:

Jedes Teil symbolisiert ein Subsystem unserer Gesellschaft, zum Beispiel Verwaltungseinheiten wie städtische Ordnungsämter, oder verschiedene nicht-stattliche Organisationen, die sich an der Gestaltung von Gesellschaft beteiligen, wie etwa Gewerkschaften, Interessenverbände, Bürgerinitiativen und Ähnliches. Nicht jedes Puzzleteil ist gleich groß, aber nur zusammen ergeben sie ein sinnhaftes Gesamtbild. Das bedeutet, dass man nicht einfach ein Teil wegnehmen kann, weil jedes Subsystem auf die Anderen um sich herum einwirkt. Ein gutes Beispiel sind Tarifabschlüsse. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln und wenn sie nicht im Guten zu einem Ergebnis kommen, dann wird durch Dritte Druck aufgebaut, in aller Regel durch Streiks. Dann nehmen weite Teile der Gesellschaft davon Notiz, dass ein Konflikt schwelt, was Handlungszwang aufbaut, der üblicherweise den wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber folgt. Mindereinnahmen, Imageverlust, etc. sind unübersehbare Folgen, die man nicht allzu lange tolerieren kann. Gäbe es keine Gewerkschaften, müsste man wohl davon ausgehen, dass es um die Arbeitnehmerrechte nicht so gut bestellt wäre. Ein Blick in Staaten, in denen es keine oder kaum Gewerkschaften gibt, wirkt da sehr erhellend. Oder der Blick auf Solidarnosz, jene polnische Gewerkschaft, die an der demokratischen Wende 1989 in wichtigem Maße beteiligt war.

Das Sozialpuzzle ist ein Sinnbild für die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit verschiedener sozialer Systeme. In der Systemtheorie ging man zunächst davon aus, dass jedes Subsystem den Zustand der Autopoiese erreicht, sich also zuvorderst selbst erhält und dann seine Funktionen erfüllt. Doch ein Blick in soziale Realitäten sagt uns, dass kein Teilsystem unabhängig von den Anderen agieren kann, weil in einer funktional hoch differenzierten Gesellschaft, in der jede Funktion, wie zum Beispiel die Schulbildung, oder das Gesundheitswesen ihre eigenen Spezialisten hat, alles miteinander zusammenhängt. Ohne Schule gibt es kein Ausbildungswesen, gibt es keine Industrie und kein Handwerk, gibt es keine Energieerzeugung, gibt es keine Infrastruktur gibt es keine Schule. Und solche, als Interdependenzen bezeichneten, Zusammenhänge gibt es in jedem gesellschaftlichen Teilbereich. Das Puzzle ist also nur dann sinnvoll zu betrachten, wenn es zusammengesetzt bleibt.

Eine Eigenheit, die gleichzeitig einen großen Unterschied zu „normalen“ Puzzles bildet, ist die Veränderlichkeit. Manche Teilsysteme, oder besser Puzzleteile gewinnen im Lauf der Zeit an Wichtigkeit, andere verlieren, manche verändern ihre Position, relativ zu den anderen Teilen, neue entstehen, wenn alte einfach verschwinden. Weil das Gesamtbild sich stets weiterentwickelt, da wir ja nicht einfach auf einem technologischen, kulturellen, oder politischen Niveau verweilen. Der Wandel ist offensichtlich ein Grundzug unserer menschlichen Natur und so wenig, wie wir stehen bleiben, tut es die Gesellschaft, in die wir eingebettet sind. Aber nicht alle auf die gleiche Weise. Womit einsichtig wird, dass die tatsächliche Geschwindigkeit des Wandels und die Geschwindigkeit, mit der sich unser je persönliches Bild von Gesellschaft, also das individuelle Sozialpuzzle ändern nicht zwingend gleich, ja nicht einmal ähnlich sein müssen. Ein altes Chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern und die anderen Windmühlen.“ Danke Tante Google! Für jene, die’s mal wieder nicht kapiert haben: Die Anpassungsfähigkeit an den Wandel, der einen unveräußerlicher Teil unserer Natur und damit auch unserer Gesellschaft darstellt, ist NICHT in jedem Menschen gleich entwickelt! Und das zeitigt jede Menge Probleme…

Diese waren vor allem sozialer Natur. Die neoliberalistische Entfesselung der Märkte in der 80er und 90er Jahren des voran gegangenen Jahrhunderts, die wirtschaftliche Globalisierung, der radikal schnelle technologische Fortschritt, all das zusammen hat alte Bedeutungszusammenhänge entwertet; alte Ideale, Werte, Normen taugten plötzlich nicht mehr in der schönen neuen Welt. Die Folge waren und sind immer noch, oder besser immer mehr, soziale Verwerfungen, die wir heute allenthalben spüren. Während aber alte Gewissheiten verloren gingen, hat so gut wie nichts diese bis heute ersetzen können. In der Folge fühlen sich Menschen nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht existenziell bedroht, denn so mancher kann dem nun herrschenden Anpassungsdruck nicht standhalten, was den Verlust beruflicher Qualifikation und somit nicht allzu selten auch des Einkommens bedeutet. Auch das soziale Prestige, welches sich nicht nur durch Einkommen sondern auch durch die Zugehörigkeit zu Peergroups realisiert, ist in deren Augen bedroht; weil der eigenen sozialen Gruppe vielleicht kein gesellschaftliches Gewicht mehr zufällt. Und dieses Gewicht ist wichtig für das Selbstwertgefühl.

Und dann treten auch noch die Zuwanderer auf den Plan und werden als zusätzliche Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Arbeit, daraus resultierendes Einkommen und staatliche Transferleistungen wie ALG2, Kindergeld usw. wahrgenommen; „die kommen hier her und nehmen uns unser Geld weg!“ Gewiss sind unsere Sozialsysteme umlagefinanziert, was bedeutet, alle zahlen ein und jene, die brauchen bekommen dann etwas aus dem Topf – abzüglich der Tatsachen, dass a) alle Regierungen seit 1949 auf die eine oder andere Weise Geld zum Kauf von Wählerstimmen verschleudert haben und b) unsere Gesellschaft überdies rapide altert. Es ist einfach nicht unendlich viel da.

Da sind „die Ausländer“ immer ein willkommener Sündenbock für den Fehler, zu glauben, dass überkommene ordnungspolitische Prinzipien heutzutage noch einen Pfifferling wert sind und dass Manager tatsächlich Unternehmen führen. Aber anstatt sich ehrlich vor das Volk hinzustellen und ihnen zu sagen, wie der Hase läuft, nämlich dass man in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft Kompromisse machen muss, nicht beliebig viel umverteilen kann, weil sonst auch das leistungsfähigste Unternehmen irgendwann den Geist aufgibt und wie die Kosten-Nutzen-Rechnung der Zuwanderung tatsächlich aussieht, stellt man sich verschnupft, beschimpft all die wütenden und ängstlichen Menschen als Nazis und hofft, dass keiner merkt, wie tief man den Karren selbst in die Scheiße geritten hat. Das unzählige Medienschaffende dankbar auf den satirischen Zug aufspringen und durch das billige, unreflektierte Abqualifizieren dieser Leute Lacher generieren, finde ich ehrlich gesagt zum Kotzen. Wir wurden endgültig in den Schlaf gemerkelt.

Noch ein letztes Mal für alle: Pegida ist nicht das Problem, sondern ein Symptom. Und symptomatische Therapie kann in der Medizin kurzfristig hilfreich sein, ersetzt jedoch nicht die kausale Therapie. Und die wäre auf „die braune Soße aus Leipzig“ bezogen, die Leute aufzuklären, den Populisten das Wasser abzugraben und selbst vor irgendwelchen halbgaren Äußerung erst mal lange nachzudenken. Aber wahrscheinlich sind die meisten Menschen in meinem Sermon nicht mal bis hier gekommen, wie kann ich da erwarten, dass sie komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen und entsprechen handeln können. Ach was soll‘s, macht doch, was ihr wollt, ihr Narren!

PS: Ich Simpel habe tatsächlich Leipzig und Dresden verwechselt… mea maxima culpa!

A snipet of laziness…

Wenn ich so über die letzten Jahre zurück schaue, die doch ziemlich mit Aktivität angefüllt waren, gleich ob’s dabei um die Familie, meine Hobbies, mein Studium oder meinen Job ging, entfährt mir oft der Spruch, dass ich mich 2008 das letzte Mal gelangweilt hätte; im November 2008 kam meine erste Tochter auf die Welt. Sicher ein ganz netter Spruch, der den Aufwand und die Mühen des Elternseins bei gleichzeitiger Berufstätigkeit mit einem Augenzwinkern präsentiert. Und ich versichere hiermit öffentlich, dass ich meinen Teil an der Erziehung unserer Kinder und an der Hausarbeit ziemlich ernst nehme. Fragt meine Gattin!

Aber natürlich ist der Spruch nicht so ganz richtig. Und es wäre auch schlimm, wenn ich mir tatsächlich niemals die Freiheit des Müßigganges erlauben würde. Rückzugsorte, die unsere Batterien wieder aufladen verbergen sich überall und man muss sich manchmal gestatten, Fünfe gerade sein zu lassen. Gerade, bevor ich diese Zeilen schrieb, ließ ich mich eine Weile durchs Internet treiben. Sehr oft nutze ich das Weltinformationsgewebe tatsächlich zur Recherche. Mit ein wenig Übung kann man erlernen, wo sich gute, zuverlässige Fakten finden lassen. Aber selbstverständlich ist das Netz ebenso ein Ort der Unterhaltung und ich lasse es mir nicht nehmen, dann und wann ein wenig in musikalischen Erinnerungen zu schwelgen, oder vollkommen ohne Ziel irgendwelchen Webspuren zu folgen, mich quasi einer Idee folgend von Link zu Link zu hangeln, um dabei unerwartete, wunderbare, faszinierende, interessante, nutzlose, verwirrende, falsche, gefährliche, polarisierende, abseitige, irgendwie anrüchige, seltsame und noch mit unzähligen weiteren Adjektiven beschreibbare Dinge zu finden. Einfach, weil ich es kann.

„Puh, was für eine Zeitverschwendung…“, mag der eine oder andere jetzt denken, aber wer ohne Sünde ist, darf gerne eine E-Mail an mich schreiben, um mir zu erklären, wie man andernorts das Bedürfnis nach Zerstreuung stillt und dabei gleichzeitig zunächst nutzlos erscheinendes Wissen erwirbt. Viele Menschen suchen sich Inseln des Wissens, die sie dann ausbauen und dabei nicht zu selten automatisch gegen Vernetzung fortifizieren. Dabei ist Inselwissen nutzlos, erst der Kontext vieler miteinander vernetzter Inseln bildet interdisziplinär anwendbares Wissen, oder das, was man gelegentlich als Allgemeinbildung bezeichnet. Die besteht nämlich nicht nur aus der Anhäufung enzyklopädischer Fakten, sondern vor allem aus dem zueinander in Bezug Setzen derselben. Eine gewisse Analogie zum herummäandern im Internet lässt sich da nur schwer verbergen…

Mitnichten ist alles sinnvoll, was ich mir bei solchen Streifzügen anschaue. Manches ist witzig, manches wirklich nutzlos, manches einfach nur schlecht, oder schlimm, oder beides gleichzeitig; und manches ist auch schlicht Porno, wofür ich mich mit Sicherheit bei niemandem entschuldigen werde. Aber ab und an schält sich `ne Perle aus der Auster. Also ist mein Internet-Müßiggang doch nicht ganz so sinnlos, wie es zunächst den Anschein haben mag. Trotzdem müssen wir uns alle ab und zu ein snipet of laziness gönnen; das macht locker, munter und wieder Lust auf Sinnvolles. In diesem Sinne viel Spaß – vielleicht schickt ihr mir ja mal ein sehenswertes Fundstück.

Mein unglaublicher Hulk…

Ich hatte dieser Tage ein sehr erhellendes Gespräch mit einem lieben Bekannten, der mir offenbarte, an etwas zu leiden, dass auch mich selbst bis heute immer wieder heimsucht; nämlich eine tief greifende Wut. Nicht diese Art von Ärger, die einen immer nur dann heimsucht, wenn alle Autofahrer mal wieder aus Bad Blödingen zu kommen scheinen, die Servicefachkraft unhöflich oder schlicht inept ist, man etwas beobachten muss, dass zumindest auf den ersten Blick furchtbar ungerecht ist, oder einfach nur überall zu viele Menschen vor einem genau jetzt genau das gleiche wollen, wie man selbst. Sondern vielmehr dieses unauslöschliche, weißglühende Feuer, dass bestimmte Menschen vor sich her treibt und dessen mächtige Energie manchmal nur durch blinden Aktionismus kanalisiert werden kann. Man kennt den Ausdruck, dass jemand ein Getriebener sei; Bruce Banner treibt den Sachverhalt mit folgenden Worten auf die Spitze: „Mein Geheimnis ist: ich bin einfach immer wütend…“

Nun offensichtlich teilt dieser Mensch das sich getrieben fühlen mit mir. Das äußert sich mal auf charmante Art, wenn ich die Arbeit für meinen Boss oder auch für meine privaten Projekte wie ein Maniker durchpeitsche; oder in weniger gefälliger Form, wenn ich – viel zu oft wegen Nichtigkeiten – platze wie ein Haubitzengranate. Es gibt bei solchen Eruptionen durchaus unterschiedliche Stärken, vergleichbar mit der Richter-Skala. Doch weder ich, noch Menschen, die mich wirklich gut kennen, haben bis heute ein Frühwarnsystem entwickeln können. Es ist nämlich mitnichten so, dass ich immer wegen der gleichen Sache abgehe, wie ein rotes Moped. Reizend auf der Klaviatur meiner Emotionen zu spielen, ist daher nicht berechenbar, sondern eher wie Pogo-Hüpfen im Minenfeld, wenngleich im Lauf der Jahre zumindest auf der cholerischen Seite etwas ruhiger geworden bin. Das Feuer, oder besser mein innerer Hulk als Triebfeder für meine Produktivität und Kreativität, das lodert hingegen immer noch hell – oder vielleicht auch immer heller…?

Der Volksmund spricht gerne von dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Nun war ich zwar psychisch erkrankt, im Sinne einer Depression, welche sich allerdings, wie ich mit Freude zu vermelden weiß auf stetem Rückzug befindet, aber von Wahnsinn im klassischen Sinne findet man bei mir keine Spur. Mit Bedauern jedoch muss ich vermelden, dass ich auch kein Genie bin, sondern lediglich ein Typ, der versucht über den Tellerrand zu schauen und alles, was er dabei so zu Gesicht bekommt überdenkt und des Öfteren auch kommentiert. Wenn man aber die Schwarzweißbilder mal bei Seite lässt, gibt es natürlich Gradationen von Genie und Wahnsinn, die dem Volksmund empirisch durchaus dabei helfen, seinen nicht sonderlich guten Leumund hier ein wenig aufzupolieren. An dieser Stelle noch mal der Hinweis auf das ebenfalls dem Allgemeinsprech entnommene Bild vom Getriebenen.

Bleibt man bei dieser Denkweise, dann ist mein halbwegs wacher, jedoch stets vom Feuer angetriebener Intellekt eine, na sagen wir mal, weniger leistungsfähige Unterform des Genies, sozusagen also der Bruce Banner in mir. Und mein manchmal herausplatzender Hulk das dazu passende Pendant auf der Wahnsinn-Seite. So gesehen ist meine Bilanz, wenn auch auf niedrigerem Niveau dennoch durchaus ausgeglichen. Die guten und die schlechten Eigenschaften des Getriebenen halten sich die Waage. Doch was kann alles passieren, wenn genau das nicht (mehr) der Fall ist. Mein Bruce Banner wurde nämlich sehr depressiv, er legte sich hin und ließ einfach alles passieren, wie es gerade kam; es war im einfach egal. Was dazu führte, dass auch meine Produktivität und Kreativität abgestürzt sind. Anscheinend kann ich das eine nicht ohne das andere haben und alles in allem bin ich darüber nicht mal böse oder enttäuscht.

So, wie ich die Sache sehe, muss ich mich eben damit arrangieren, dass dieses Feuer mich verzehren kann, wenn ich mich ihm vollkommen hingebe; andererseits fühlt es sich aber granatenmäßig beschissen an, überhaupt nicht vorwärts zu kommen, weil man gar keinen positiven Zugang zu seiner Energie mehr hat. Paradoxerweise machte mich das überdies fuchsteufelswild. Will heißen, während Bruce sein Jammertal durchschritt, fing mein unglaublicher Hulk an, mich richtig unschöne Dinge tun zu lassen. Es wurde… schwer kontrollierbar. Das war nicht schön, dennoch habe ich es als heilsamen Warnschuss wahrnehmen gelernt, gleichsam meinem Bruce immer mal eine schöne Pause zu gönnen und meinem Hulk genug Auslauf zu geben, so dass beiden Seiten meines Naturells genüge getan sei. Fällt immer noch schwer, sich in den richtigen Momenten zu bremsen – dafür gönne ich es mir, an anderer Stelle bewusst und mit Lust die Sau rauszulassen. Ist möglicherweise nicht nur für mich ein Modell. Und man muss ja nicht gleich einen Purge-Day einführen. Obwohl…?

PEGIDA: PErsönlich Getroffene Individuen Dürfen Alles?

Um es gleich vorweg zu nehmen: NEIN dürfen sie nicht. Allerdings darf man als Beobachter und Kommentator auch dann, wenn eine gewisse Nähe verschiedener Personen aus dem Umfeld dieser so genannten Bewegung zu rechtsnationalen Kreisen nur schwer zu leugnen ist, nicht einfach jeden, der da auf der Straße mitläuft als Nazi skandalisieren oder gar kriminalisieren. Denn damit entzieht man sich auf allzu billige Art der Verantwortung, eine eigentlich lange überfällige Diskussion um die Themen Migration und Integration endlich in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Nicht wenige Menschen, die da auf diesen, zugegeben fälschlicherweise auf die so genannten Montagsdemonstrationen Bezug nehmenden „Abendspaziergängen“ mitgehen, stammen nämlich von dort; eben aus der Mitte der Gesellschaft. Und das bei diesen Kundgebungen kaum überhörbare Maß an gefährlichem Un- bzw. Halbwissen, welches hier emotional hoch aufgeladen als Wahrheit verkauft wird, darf nicht einfach unwidersprochen bleiben! Belässt man es dabei, diese Menschen einfach zu diffamieren und alles Gesagte als Nazigeseiere abzutun, wie das von offizieller Stelle mittlerweile mehrfach getan wurde – aber unser Bundesjustizminister hatte sonst ja auch bislang kaum Gelegenheit, sich zu profilieren – dürften sich viele aktuelle Pegida-Anhänger nicht zu Unrecht in ihrer Demokratiemüdigkeit, ihren Ängsten und Vorurteilen bestätigt fühlen. Bravo! Billiger kann man die Wählerstimmen kaum von der Wahlurne weg, oder noch schlimmer, zum rechten Rand treiben!

Interessant ist dabei der Umstand, dass sich unglaublich viele Menschen unterschiedlichster Couleur dazu bemüßigt fühlen, etwas ÜBER PEGIDA und seine Mitläufer zu sagen. Den Diskurs MIT diesen Menschen hat aber, soweit ich das beurteilen kann, noch kaum einer gesucht. Und die typischen Polit-Talkshows, in denen man ja bekanntlich immer jemanden einlädt, um ihn bzw. sie öffentlich vorführen zu können zählen hier auch nicht als ernsthafte Versuche. Dafür nimmt der Zentralrat der Juden in Deutschland den Islam in Schutz, Politiker aller Parteien bezeichnen die Demonstranten einfach mal pauschalierend als Nazis, und die AfD… tja die suchen den Schulterschluss, im pathetischen Versuch, ihre langsam aber sicher – Gott sei Dank – schwindenden Krawallprozente wieder mit einem schön demagogisierbaren Thema aufzufüllen. Soweit im Osten nichts Neues.

Doch PEGIDA und die AfD sind zwei Phänomene unserer Zeit, die eigentlich nicht durch Ignoranz-getränktes Aussitzen gelöst werden können, offenbaren sie doch einen viel tiefer gehenden Bruch in unserer Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen offenbaren, so man sich die Mühe macht, sie zu lesen einen unheiligen Zusammenhang zwischen, als bedrückend empfundener sozialer Ungleichheit und dem Aufflammen nationalistischer Gesinnung. Es handelt sich dabei um einen Prozess sozialer Schließung, der weniger etwas mit tatsächlichen kulturellen oder religiösen Differenzen zu tun hat, sondern mit der Angst vor dem Verlust von pekuniärer und sozialer Sicherheit. Die Zuwanderer werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und beim Erhalt staatlicher Transferleistungen betrachtet und dann auf Grund ihrer andersartigen kulturellen Identität stigmatisiert, obschon die tatsächlichen Unterschiede zwischen „DENEN“ und „UNS“ gar nicht so groß sind, wie man sich das vielleicht gerne einreden möchte. Dennoch lässt sich vieles von dem, was da zum Beispiel in Leipzig skandiert wird, auf diese soziale Verlustangst zurückführen.

Das wahre Problem sind nicht die Populisten, die mit der vordergründigen Angstmache gegenüber dem Fremden auf Stimmenfang gehen. Das Problem ist auch nicht, dass das Boot voll wäre. Wer die Studie von Prof. Dr. Bonin vom ZEW halbwegs aufmerksam gelesen hat – sie wurde von der Bertelsmann-Stiftung beauftragt und in den Medien publiziert – weiß, dass diese Behauptung schlichter Humbug ist. Das Problem ist, dass unsere Politiker die sich in der BRD immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich schönreden, allesamt die, der FDP immer so schön vorgeworfene, Lobby- und Klientelpolitik betreiben und die daraus resultierende Unruhe pauschal als undemokratische Auswüchse bezeichnen; bei PEGIDA sind dann all diese Menschen, die meistenteils einfach Angst vor dem Weg ins soziale Abseits haben dann also plötzlich alle Nazis…

Ich gestehe, dass ich von unserer gegenwärtigen Politikergeneration nicht mehr allzu viel erwarte, aber hier muss dann mal Schluss sein damit, einfach jeden, der nicht der Frau Pastorentochter nach dem Munde redet, wahlweise als Depp, Clown oder Nazi hinzustellen. Sinnvoller wäre es, das Gespräch direkt dort zu suchen. Sich die Sorgen der Menschen anzuhören. Ihnen anschaulich zu erklären, was es tatsächlich mit Zuwanderung und Asyl auf sich hat. Ihnen zu zeigen, dass ihre Angst diesbezüglich unbegründet ist. Aber ernst zu nehmen, dass sie sich existenziell bedroht fühlen und herauszufinden, was dagegen getan werden muss. Das würde allerdings im Umkehrschluss bedeuten, dass man sich von Doktrinen und Dogmen verabschieden und tatsächliche Sozial- und Integrationspolitik betreiben müsste und sich nicht nur das Mäntelchen einer Integrationsbeauftragten mit Migrationshintergrund umzuhängen. Integration in einer pluralistischen Gesellschaft bedeutet nämlich nicht nur Islamkonferenzen und Israelbesuche. Dazu zum Abschluss noch eine Buchempfehlung für jene, die noch nicht Lese- und Denkfaul geworden sind. Das Buch ist zwar schon 17 Jahre alt, aber immer noch hochaktuell:

Von Wilhelm Heitmeyer 1997 herausgegeben: Bundesrepublik Deutschland: Was hält die Gesellschaft zusammen? (Band 2). Erschienen im Suhrkamp-Verlag. Ansonsten eine gute Zeit.