Fresh from Absurdistan N°28

Ich hatte ja gedacht, dass ich diese Serie einmotte, denn Absurdistan erschien mir als neuer Normalzustand. Doch es gibt immer mal wieder Ereignisse, die mich diesen Gedanken in Frage stellen lassen. Heute ist so ein Tag: meine große Tochter wird 12! Für sie ist das Ganze noch ein Geburtstag wie die bisherigen auch. Aber aus meiner Sicht markiert er einen Wendepunkt: es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis auch sie mit dem Pubertieren beginnt, bis aus dem süßen kleinen Mädchen nach und nach eine junge Frau zu werden beginnt, die dann nicht viel später ihre ganz eigene Agenda verfolgen wollen wird. Eine, vor der alle Eltern irgendwie Angst haben. Denn man erinnert sich noch gut an den Scheiß, den man selbst in dem Alter getrieben hat…

Es ist also eine Mahnung, das eigene – aber eben auch das andere – Älterwerden anzuerkennen. OK, damit kann ich (noch) umgehen. Es ist aber auch eine verdammt sonderbare Angelegenheit, ihr, eingerahmt vom Wahnsinn dieser Zeit, dabei zuzusehen, wie sie versucht, ihren eigenen Umgang mit der Pandemie und dem ganzen Mist zu finden, der damit einher geht. Wie sie darunter leidet, ihre Freunde nicht treffen zu können, den Jubeltag nicht angemessen feiern zu können. Im Kreise der Kern-Familie ist ja nett, aber halt nicht das Selbe, wie mit ihren Freundinnen. Und trotzdem ziemlich tapfer sagt, dass es halt jetzt nicht geht. Sie ist da so verdammt viel erwachsener als diese ganzen Spacken da draußen, die ihre elfjährigen Töchter als Schutzschilde und vorher bis zum Erbrechen indoktrinierte und gebriefte Agitatoren zu Demos schleppen, um ihrem Egoismus und ihrer Verbohrtheit öffentlich Ausdruck verleihen zu können. Sowas nennt man üblicherweise „Kindswohlgefährdung“.

Ich bin aus so vielen Gründen verdammt stolz auf mein großes Mädchen. Und aus ebenso vielen Gründen traurig, dass die Pandemie ihr einen Teil ihrer Kindheit raubt, die gerade im Begriff ist, zu Ende zu gehen. Ich selbst merke, dass ich emotional auf dem Zahnfleisch gehe und mir unfassbar viele Dinge an diesem Jahr 2020 abgehen, die halt einfach nicht möglich waren, sind und dies auch noch mindestens bis Ende des ersten Quartals 2021 sein werden. Aber ich bin da wie meine Tochter: geht halt jetzt nicht. Kommen auch wieder bessere Tage. Was einen dabei am meisten stresst, ist vermutlich die Ungewissheit. Wie entwickeln sich die Fallzahlen? Werde ich’s selbst bekommen? Oder hatte ich es schon, ohne es mitzubekommen und habe ich dabei womöglich andere angesteckt? Was, wenn ich den Präsenzunterricht wieder schließen und auf Online-Lehre umstellen muss? Und, und, und…? Schwer verdaulich, das Ganze.

Sascha Lobo hat dieser Tage in seiner Spiegel-Kolumne im Zusammenhang mit den ganzen Corona-Verschwörungs-Fuzzis den Begriff „Angstporno“ benutzt. Ich fand die Bezeichnung für das rein Ich-bezogene Echo-Kammer-Gewichse der Berufs-Corona-Leugner gar nicht übel, denn letzten Endes sind viele Mechanismen Horror-Filmen nicht unähnlich. Man ergötzt sich an der Erwartung der Katastrophe, ohne vorher zu wissen ob und wie diese dann tatsächlich eintritt. Und die ganzen Bad-News-Huren in ihrer „Ich-werd-ja-sooooo-gegängelt“-Attitüde lassen sich von den braunen Profi-Bauernfängern schön ängstigen, einfangen und vor den Nazi-Karren spannen. Kannste halt so oft schreiben, wie de willst, die Honks, die’s betrifft, hören dir eh nicht zu; woll Sascha? Wenn es nicht traurige Realität wäre, hätte man ein Proto-Nazi-Zombie-Rollenspiel daraus machen können…

So vieles am „Neuen Normal“ Absurdistan bleibt tatsächlich doch absurd, weil eigentlich so undenkbar, unsagbar, unmachbar, dass ich mich wohl doch wieder öfter mit dem Scheiß befassen muss. Da ist der – wem oder was auch immer sei Dank! – abgewählte Trump nur eine Fußnote des Wahnsinns. Hat sein Verfallsdatum erreicht. Hoffentlich sperren sie ihn tatsächlich für irgendwas von dem vielen, was er verbrochen hat weg, bis er verrottet. Ich glaub nicht dran, aber in Zeiten wie diesen scheint alles möglich, oder? Wie auch immer es in den nächsten Wochen kommen mag: bleibt gesund, bleibt vernünftig und lasst euch um Himmels Willen nicht von irgendwelchen hysterischen, egoistischen, dogmatischen, asozialen Scheiße-Laberern zu irgendwas bequatschen. Weihnachten ist jedes Jahr, Sylvester auch. Und wenn’s das Letzte mal wäre… gäbe es auch kluge, der Situation angemessene Möglichkeiten, daraus ein letztes rauschendes Fest zu machen. Bis die Tage…

Zufriedenheit N°3 – macht mehr Arbeit zufriedener?

Ich bin gestern über einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen gestolpert, in dem über das Thema Rollenverteilung und Zufriedenheit berichtet wird; ich habe den Artikel der besten Ehefrau von allen vorgelesen und wir waren uns zumindest hinsichtlich einer Sache einig: die als Aufhänger für den Artikel dienende Untersuchung bildet vielleicht eine tradierte Noch-Realität ab, aber sicher nicht die in Stein gemeisselte Zukunft. Allerdings kam ich nicht umhin, mir so meine weiterführenden Gedanken zu machen.

Warum sollten Männer gerne mehr als 40h/Woche arbeiten? Wollen die alle Karriere machen (in verschiedenen Wirtschaftszweigen eher unwahrscheinlich)? Ist es für Männer bequemer, die Care-Work auf die Frauen abzuwälzen (höchst denkbar)? Liegt es an den ungerechten Gehaltsunterschieden oder dem Umstand, dass Frauen im Mittel, trotz besserer schulischer Leistungen immer noch häufiger in schlechter bezahlten, minderqualifizierten Berufen landen (traurige Realität)?

Wahrscheinlich ist eine Mischung aus all dem an den Ergebnissen der Untersuchung beteiligt. Deren Autor Prof. Dr. Martin Schröder von der Uni Marburg zeigt sich im Interview denn auch durchaus von seinen eigenen Ergebnissen überrascht und macht nicht den Eindruck, hier normative Furore für das Heimchen am Herd machen zu wollen. Allerdings – und das muss man wissenschaftlichen Publikationen immer mit einkalkulieren – ist es ziemlich wahrscheinlich, dass solche Daten Wasser auf den Mühlen der Ewiggestrigen sind. „Da schaut mal, die Frauen wollen doch daheim bleiben und einen richtigen Kerl als Versorger!“ Was für ein Käse.

Wir kamen gestern Abend überein, dass hier tradierte Strukturen am Werk sind, die zu überwinden denn wahrscheinlich auch noch Jahrzehnte dauern wird. Der Grundtenor des Artikels hingegen sagt mir, wes Geistes Kind der Autor ist: dem gefällt die Idee, Frauen empirisch belegt in den Haushalt zu verbannen anscheinend gar nicht so schlecht. Vielleicht unterstelle ich ihm auch nur zu viel Böses; der erste Absatz jedoch, der moderner Familienpolitik, die auf gleichartige Startbedingungen für die Berufstätigkeit von Mann und Frau ausgelegt ist ein klares Nein auf der Basis der Untersuchung entgegen stellt, genügt mir zur Einschätzung der Motive vollkommen…

Mich irritiert derlei Denken. Nicht, weil ich frei von den, im zweiten Absatz sattsam beschriebenen Dünkeln wäre; auch ich verschanzte mich manchmal lieber hinter meiner Arbeit, anstatt etwas mit meiner Familie zu unternehmen. Und ich werde für mich jetzt nicht die Entschuldigung geltend machen, dass meine Depressionen eben manchmal auch soziophobe Züge in mir wecken. Das wäre zu billig. Ich entstamme, wenn man mal von Generationen reden möchte, der häufig gescholtenen Generation X. Und ich kann ruhigen Gewissens sagen, dass die Rollenbilder, welche mir zuhause vorgelebt wurden, traditionell patriarchalisch waren. Ich glaube zwar, mich davon emanzipiert zu haben. Aber mit Sicherheit sind manche Stereotypen, die damals in mir fundiert wurden, bis heute wirkmächtig.

Das bedeutet, dass ich mit Erbe eines anderen Zeitalters in meinem Hinterkopf durch die heutige Welt schreite, die schon vor über 30 Jahren höchst treffend von Ulrich Beck als Risikogesellschaft charakterisiert wurde. An der, von ihm weitschweifig beschriebenen Orientierungslosigkeit ändert sich erst langsam etwas. Doch jede Pendelbewegung ist von Extremen gekennzeichnet. Wo früher das Patriarchat herrschte, kam der Feminismus ins Rollen und schuf – sich teilweise radikalisierend – seine eigenen Dämonen. Bevor ich hier zu sehr abschweife: ich bleibe als klassischer, weißer, mittelalter Cisgender-Mann nicht selten vollkommen verwirrt zurück. Denn ich sehe mich einerseits in der Pflicht, meine diesbezüglichen Ideen und Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand zu bringen.

Andererseits bin ich jedoch auch Pragmatiker und frage mich manchmal, ob es nicht doch ein Zuviel an Selbstreflexion geben kann? Nämlich dann, wenn ich mich selbst in meinen Gedankenspielen lähme und nur noch (nach)denke, anstatt zu agieren. Denn letzten Endes ist ein Lebensentwurf etwas höchst individuelles. Und wenn zwei solche individuellen Pläne zusammenpassen, ohne dabei von Traditionen abzuweichen, ist das dann zwangsweise etwas Schlechtes, weil es nicht moderneren Vorstellungen entspricht? Und sind manche dieser „modernen“ Vorstellungen nicht doch einfach nur Dogma? Ich weiß es nicht. Muss vermutlich jeder für sich selbst entscheiden. Auf wiedersehen.

New Work N°4 – Creative Chaos?

Von Zeit zu Zeit hocke ich vor dem Monitor und schaue grübelnd auf die weiße Fläche. Es ist in solchen Augenblicken nicht so, dass mir nicht irgendwelcher Mist durch den Kopf schießen würde, der es durchaus wert sein könnte, zu einem Blogpost verwurstet zu werden oder – fast noch besser – zur Reichhaltigkeit meines Hobby N°1 oder meiner Arbeit beitragen zu können. Eher komme ich nicht dazu, die ganzen unraffinierten Ideen zu kuratieren und in eine brauchbare Form zu bringen. Denn Kreativität bedeutet mitnichten, einfach Ideen generieren zu müssen. Vielmehr geht es darum, die vorhandenen Ideen zu sortieren, zu priorisieren und zu analysieren.

Man erwartet heutzutage insbesondere von White-Collar-Workern zwanghaft, dass sie kreativ sein sollen. Weil man dem Credo huldigt, dass irgendwas von dem Neuen, dem bisher nicht Dagewesenen, das dabei entsteht auf jeden Fall einen Benefit generieren wird; zuallererst natürlich für das Unternehmen. Was für eine grausige Vorstellung von Kreativität. Und überhaupt – was ist das denn, dieses „kreativ sein“? Der Definition nach soll es ja darum gehen, Neues zu erschaffen, das originell und/oder nützlich ist. Womit noch nicht darüber gesprochen wurde, für wen oder warum ich dieses Neue überhaupt brauche. Der Gedanke, der dem zugrunde liegt, ist der unbedingte Glaube an die Kraft des Fortschritts. Dinge sind halt einfach besser, weil sie neu und anders sind – oder…?

Glaube ist natürlich der falsche Begriff. Es geht in erster Linie um den Innovationszwang unseres Wirtschaftsmodells „Kapitalismus“. Nur ein Unternehmen, dass dauernd etwas (vermeintlich) Neues auf den Markt wirft, kann erfolgreich sein. Denn „etwas Neues“ wird subjektiv gleichgesetzt mit Fortschritt. Was natürlich Käse ist. Denn wenn wir zu allen Zeiten Fortschritt allein an Äußerlichkeiten festgemacht hätten, trügen wir heute einfach nur hübsch gefärbte Felle zu unseren besonders nett geschnitzten Keulen. Und vielleicht hätten wir dekorative Höhlenmalerei auch in Purpur entdeckt… Dass dieser Irrglaube auch die Konsumenten erreicht, lässt sich am Beispiel „Ei-Fon“ schön illustrieren. Das Ding kann nichts anderes, als alle anderen Smartphones auch. Weil man die Menschen aber mit einer unfassbaren Marketingmaschinerie dazu dressiert hat, zu glauben, dass ein neues „Ei-Fon“ immer wichtiger ein Fortschritt sei, kaufen sie diesen überteuerten, zu grauenhaften Konditionen hergestellten Ökomüll und fühlen sich wie Könige…

Und doch wird es einige Sillicon-Valley-Huren – pardon, ich meinte natürlich Mitarbeiter von dieser Firma „Ei-Fon“ – geben, die sich wie Innovatoren fühlen. Denn sie haben ja Ideen beigesteuert, wie man das Produkt noch etwas geschmeidiger machen kann. Ist das Kreativität in Aktion? Nö, Null! Denn sie remixen, während sie glauben, das Rad neu zu erfinden einfach nur das, was andere auch schon gemacht haben; und wenn sie in der Pause am Tischkicker ihre veganen Smoothies schlürfen und der Teamleiter Torben-Eicke-Sebastian ihnen anerkennend auf die Schulter klopft, während er sagt, dass es halt erst nächstes Jahr richtig Asche dafür gibt… Zu viele Klischees? Ganz ehrlich, wenn ich irgendwas über so genannte Start-ups, aber auch über die Branchen-Primusse lese wird immer irgendwelcher Dreck von Team-Spirit und Incentives gefaselt und zwischen den Zeilen steht ganz deutlich ein einziges Wort: „AUSBEUTUNG“.

Bis heute ist nicht wissenschaftlich geklärt, ob Teams tatsächlich kreativer sind, als Einzelpersonen. Sicher ist allerdings, dass man Kreativität zwar mit verschiedenen Techniken fördern, jedoch niemals herbei zwingen kann. Aber für viele Prozesse ist Kreativität im wahren Sinne des Wortes auch gar nicht notwendig. Eine Mischung aus gesundem Menschenverstand, Improvisation und Problemlösungskompetenzen genügt für mindestens 85% aller beruflichen Probleme vollkommen. Und bei den übrigen 15% bin ich mir ziemlich sicher, dass die allermeisten dieser Ratgeber zur Kreativitätsförderung ziemlichen Bullshit labern. Lest John Hattie. Da geht’s zwar um die Effekte pädagogischen Handelns; doch letzten Endes ist Projektmanagement genau das: eine pädagogische Intervention. Kreativität an sich hat übrigens eine Effektgröße, die unter dem (eh schon niedrigen) Durchschnitt liegt. Und wenn wir gerade bei modernen Bürodesigns sind: offene Lernumgebungen haben eine Lerneffektgröße nahe Null!

Was ich daraus lerne? Ich mache meinen Kram am liebsten alleine in meiner ruhigen, gemütlichen Kammer, wo ich alle Ressourcen, Gerätschaften und Gimmicks in Greifweite habe, ohne mich verrenken zu müssen. Einerseits huldige ich dem Credo „If you want the job done well, do it yourself!“ Klingt nach altmodischem, kleinkariertem Mikromanager? Tja, dann ist das halt so. Ich weiß nur ziemlich genau, was ich delegieren kann; und worum ich mich doch besser selbst kümmere. Andererseits habe ich heute eine präzise Vorstellung, was ich brauche, um abliefern zu können: nämlich meine Ruhe vor Menschen, die so tun, als wenn man in hippem Baustellencharme aufeinander hocken und dauerplaudern muss, um irgendwas zu erreichen. Die können mir gestohlen bleiben. Teamfähig bedeutet, die eigenen Ergebnisse überdenken zu können, wenn jemand daran berechtigte Kritik übt. Es bedeutet nicht, alles in Gruppen totdiskutieren zu müssen.

Im privaten Bereich fällt es mir sowieso viel leichter, kreativ zu sein. Denn wenn ich nicht durch die Notwendigkeiten beruflicher Vorgaben eingeengt bin, können meine Fantasie und mein Gestaltungswille sich in ungeahnter Weise austoben. Und für all jene, die jetzt „Work-Life-Balance!“ schreien: was dabei zu Tage tritt, taugt sowieso nicht sehr oft für eine berufliche Zweitverwurstung. Und wenn doch – um so besser. Gute Nacht.

Der verwirrte Spielleiter N°26 – Weekend Warriors

Ambivalenz ist ein Gefühl, dass ich aus mannigfaltigen Gründen gut kenne. Nachts mal aufzuwachen und sich zu fragen, welche Entscheidung nun die Richtige ist, eine Sache fortzuführen, obwohl man sich nicht sicher ist, dass einen das irgendwo hin bringt, ständig zwischen Polen hin- und hergerissen zu sein; wahrscheinlich ist das Meiste davon einfach nur typisch menschliche Fehlleistung, das macht die Intensität allerdings nicht unbedingt besser erträglich. Bezogen auf mein Berufsleben ist das der Normalzustand. Nun bin ich allerdings in letzter Zeit immer häufiger auf ein Phänomen gestoßen, dass ich bisher nicht kannte: mein Hobby N°1 – Pen’n’Paper – erlebt einen, vor allem von den sozialen Medien mitgetragenen Boom, den ich nie für möglich gehalten hätte.

In meiner Jugend war eine allzu intensive Beschäftigung mit dem Fantastischen die sichere Fahrkarte nach Nerdistan; zumindest in den Augen der Anderen. Heutzutage schreibt sich ja Hinz und Kunz gerne selbst zu, ein Nerd zu sein, weil es seit „The Big Bang Theory“ irgendwie hip geworden zu sein scheint. Hierzu eine Anmerkung: ich war seit mindestens 1989 zertifizierter Nerd, also 18 verf****e Jahre, bevor dieser Mist ins Fernsehen kam; schreibt euch also gefälligst hinter die Ohren, dass Nerd in meiner Jugend kein Ehrentitel war, sondern eine fremdattribuierte Pejoration. Ich habe mein Rollenspiel trotzdem geliebt und tue es noch heute.

Nun hat sich die Welt in den letzten 31 Jahren in mehr als einer Hinsicht ziemlich verändert und heute sind insbesondere D&D 5E oder sein Halbbruder Pathfinder ziemlich beliebt. Ich habe neulich sogar gesehen, dass man online einen Schreib-Workshop für die Abenteuer-Entwicklung kaufen kann. Und da war ich dann raus, denn wer SL sein möchte, ohne sich die notwendige Zeit nehmen zu können oder zu wollen, um das Geschichtenerzählen von Grund auf zu lernen, der/die sollte es – pardon, wenn ich das hier mal in aller Deutlichkeit sage – bleiben lassen. Inspiration kann man zwar nicht zwingen. Wohl aber kann man seine Fantasie anregen und seine Schreibfähigkeiten trainieren, ohne dazu einen albernen Ratgeber kaufen zu müssen. Denn wer das Netz durchsucht, findet tonnenweise Ideen und durchaus hochqualitative Ratschläge für lau. Zum Beispiel hier…

Ich möchte zugeben, dass ich den Boom zunächst witzig fand. Mittlerweile bin ich da etwas reservierter geworden. Nicht etwa, weil ich was gegen Newbees hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube jedoch, teilweise einen qualitativen Rückschritt hin zu mehr Wargaming und weniger Charakterplay ausmachen zu können. Bevor jetzt jemand wieder denkt, ich hätte etwas gegen Action im Pen’n’Paper: fragt meine Spieler. Deren Chars bekommen regelmäßig eine vor den Latz. Es darf nur nicht zum Selbstzweck geschehen, sondern soll ein Movens der Geschichte sein. Und da habe ich bei den Berichten der ganzen Weekend-Warrior-Zocker so meine Zweifel. Ich meine… Rollenspiel SOLL Eskapismus sein, es SOLL Spaß machen und es SOLL eine soziale Angelegenheit sein. Dann erfüllt es seinen Zweck. Nun ja, vielleicht bin ich einfach schon zu lange SL, um einfache Geschichten mit hohem Hack’n’Slay-Faktor noch mögen zu können. Zurück zum Ur-D&D mag ich auch aus anderen Gründen nicht gehen. Das hat mir damals schon keinen Spaß gemacht.

Ich habe mich schon immer gefragt, wieso man Kampfregeln so unfassbar kompliziert und langsam machen muss? Hier noch Modifikator für dies und dort noch eine Spezialfähigkeit, die nur diese Charakterklasse haben darf? Wozu? Um die Leute zum Teamplay zu zwingen? Kleiner Tipp vom Pädagogen: so funktioniert das nicht! Mein eigenes System ist sicher auch nicht der Weisheit letzter Schluss und weist, wenn ich die letzte Sitzung mal Revue passieren lasse noch so einige Balanceprobleme und andere Schwächen auf. Dennoch funktioniert es schnell, hart und dreckig, ohne dabei cineastische Stunts zu verhindern, wenn diese denn gewünscht sind – so wie Kampf im Rollenspiel halt sein soll. Wie in einem schönen Action-Flic.

D&D 5E jedoch kann seine Erbe (Chainmail und Ur-D&D) an vielen Stellen kaum verleugnen. Und dieses Erbe heißt Wargaming. Wenn es den Leuten denn Spaß macht, soll es mir Recht sein, mein Ding ist das allerdings nicht. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum ich mit dieser ganzen Publicity fremdele: die ganzen Newbees machen subjektiv mal eben 25 Jahre Entwicklung des Genres zunichte. Und dieses ganze „Ich-bin-jetzt-auch-ein-Nerd“-Gefasel entwertet irgendwie ein wenig meine persönlichen Jugenderfahrungen. Schwamm drüber. Ich mache einfach weiter mein Ding, Matt Mercer macht weiter sein Ding und die Firma, der das D&D-Franchise jetzt gehört, macht auch ihr Ding – und dabei jede Menge Kohle. Wo ist der Independent-Core meines Hobbies N°1 nur geblieben. Ich glaube, ich gehe den jetzt mal suchen. In diesem Sinne: always game on!

Erwachsen bilden N°25 – Covidiantentum…

Es sind komische Zeiten. Ja, in den USA stellt sich ein Psychopath zur Wiederwahl und das Beste, was die andere Partei aufzustellen vermochte, ist ein greiser, illiberaler Parteibonze. Na ja, wird schon schiefgehen. Das ist jedoch nicht, worum es mir gehen soll. Denn mein Augenmerk richtet sich einerseits an jedem vergehenden Tag im Moment auf die Gesundheit der Schüler und des Lehrkörpers (ja, auch meine). Covid19 ist gegenwärtig eine permanente Bedrohung für regelgemäßen Präsenz-Unterricht. Das betrifft ja nun nicht nur Berufsfachschulen, sondern vor allem auch das allgemeinbildende Schulwesen. Aber aus meiner persönlichen Sicht kann ich am Besten was dazu sagen.

Gleich vorweg – ich kriege einen Hals, wenn man Lehrern, die darauf hinweisen, dass E-Learning in vielerlei Hinsicht nicht gut – teilweise auch gar nicht – funktioniert wahlweise Inkompetenz, Faulheit oder mangelndes Engagement vorwirft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben im ersten Lockdown non-existenter Infrastruktur, fehlender Ausbildung in E-Medien-Didaktik und mangelnder Unterstützung durch die zuständigen Behörden zum Trotze gezaubert. Und bekommen als Dankeschön dafür Gejammer und Gedisse. Schämen sollten sich diese Leute was. Insbesondere wieder jene, die keine Ahnung, dafür aber mal wieder verdammt viel Meinung haben.

Ich bin übrigens von einem dieser Kollegen aus dem allgemeinbildenden Schulwesen gerügt worden, weil ich Anfangs aus seiner Sicht nicht umfassend auf Hygienekonzepte hingewiesen habe. Ich kann an dieser Stelle sagen – danke für die Kritik, jedoch macht der Ton halt die Musik. Schwamm drüber, ich habe was dazugelernt. Insbesondere über Menschen. Mittlerweile sind die Konzepte ausgereift, gut beübt und dennoch, trotz aller Konformität mit behördlichen Vorgaben, vermutlich immer noch unzureichend. Wir werden sehen, wohin uns der November bringt. Ich vermute ja, dass wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Was bedeutet, dass ich von meinen Kollegen und insbesondere meinen Schülern stringente Einhaltung der Vorgaben verlangen muss. Das ist sozial nicht immer einfach.

Aber eine Einstellung des Präsenz-Unterrichtes wäre zu diesem Zeitpunkt mindesten genauso ungünstig, wie sie das Mitte März war, als ich mich hoppladihopp dazu genötigt sah, Inhalte des RS-Grundlehrganges auf Fernlehre umzustellen. Rettungsdienst ist nun mal ein Gewerk, dass sehr viel handlungspraktisch relevanten Unterricht verlangt und dies ist im E-Learning nur mühselig, wenn es jedoch um handwerkliche Skills geht gar nicht zu bewerkstelligen. Durch Nachlässigkeiten im Umgang mit den Hygienerichtlinien würden sich die Schüler also direkt ins eigenen Fleisch schneiden. Ich habe das schon bei einigen Gelegenheiten verdeutlicht; und doch…

Ich beobachte an mir eine gewisse Tendenz zur Ermüdung. So wie ich an meinen Schülern auch eine gewisse Tendenz zur Ermüdung sehen kann. Nun bin ich am Thema Risikogruppe ca. zwei Jahrzehnte näher dran als sie. Vielleicht ist es diese Abstraktheit der Bedrohung, die Menschen so große Probleme bereitet. Wenn ich mir einen Horrorfilm anschaue, dann kommt die Schreck-induzierte sympatho-adrenerge Reaktion so sicher wie das Amen in der Kirche, spätestens, wenn die Gruppe sich getrennt hat. Bei Covid19 ist das anders: da gibt es eine akute Stressreaktion erst, wenn man die Todesnachricht von Verwandten oder Freunden bekommt. Vorher ist es mehr so wie Bullshit-Bingo. Kann man spielen, es hat ja eh keine echten Konsequenzen.

Das klingt vielleicht resigniert und böse, doch so ist es nicht gemeint. Auch mir fällt das alles schwer. 7-8h am Tag mit Maske im Unterricht stehen, immer wieder ermahnen und beten das alles weiterlaufen kann, raubt einem ganz schön viel Kraft. Aber die Alternativen sind jenen, die sich mit der Materie auskennen weidlich bekannt. Also heißt die Parole: immer vorwärts, immer weiter, und nach außen immer heiter… Denn wenn entweder einer meiner Schüler, meiner Kollegen, oder ich des Covidiantentums verdächtig werden, ist der Ofen für den momentan so wichtigen Präsenzunterricht ganz schnell aus. Und wie geht’s euch anderen da draußen so? Ich wünsche eine gesunde und erfolgreiche Woche.