Manchmal schaut man in den Spiegel und fragt sich insgeheim, wer das wohl sein mag, der einen da anschaut. Keine Sorge, ich werde nicht langsam schizophren. Jedoch lässt sich schwer verleugnen, dass man sich angesichts der vielen Fragen zu allen möglichen Belangen des Daseins manchmal erst neu erden muss, bevor man weiter machen kann. Doch was erdet einen wirklich? Was bedeutet erden überhaupt? Rein technisch ist die Frage einfach zu beantworten, doch ich will mich natürlich mit dem psychologischen Aspekt befassen.
Übersetzt man es als Ableiten überschüssiger Energie, die wir in diesem Kontext mal als Stress denken wollen, bedeutet Erden aus menschlicher Sicht, festen Boden zu finden, auf dem sich Entscheidungen treffen lassen, weil man weiß, wer man ist und wo man hin will. Ein Zustand, um den vermutlich die allermeisten Menschen in unserer modernen ersten Welt immer wieder zu ringen haben. In einer partikularisierten Welt voller Optionen ist es nämlich oft gar nicht so einfach, zu wissen, was man will. Oder wer man eigentlich ist (bzw. sein möchte)?
Diesen sicheren Grund, den ich immer wieder mit mir selbst und denen, die mir wichtig sind aushandeln muss – den nenne ich Heimat. Mir ist bewusst, dass zu Heimat auch ein Gefühl der Vertrautheit, ein Wissen um das Funktionieren der Infrastruktur und ein Bewusstsein für die eigene Geschichte gehören. Doch all das bildet nur den Rahmen für mein eigenes Bild von der Realität. Das Bild, dass ich mir von meiner Heimat mache, kann von den Rahmenbedingungen ein Stück weit geprägt werden; ich muss es jedoch nicht davon bestimmen lassen. Denn so, wie mein Leben im Fluss ist, ist dies auch meine Heimat. Mich heimisch zu fühlen, dazu bedarf es neben der Vertrautheit (also zu spüren, dass hier andere wie ich sind) der Möglichkeit zur Verständigung (Die ist Teil von funktionierender Infrastruktur). Und hier beginnt – weil das vielen Menschen so geht – schon die Ebene der Probleme.
Was könnte man dann anfangen zu denken?
Zum Beispiel das hier: Er ist neu hier. Er sieht anders aus als ich. Er beherrscht meine Sprache nicht; oder zumindest nicht gut. Er ist fremd hier. Also ein Fremdkörper. Das bereitet mir Unwohlsein, weil es meinen sicheren Grund in Frage stellt. Denn, wenn viele von denen herkommen, ist es nicht mehr MEIN sicherer Grund, sondern es wird zu DEREN sicherem Grund und ich muss mir einen neuen suchen. Was ich nicht will. Außerdem haben die auch ganz andere Gebräuche (wiederum Teile von psychischer Infrastruktur). Die bedrohen mich, also müssen die weg!
Was könnte man stattdessen anfangen zu denken?
Nun, der ist neu hier und das funktioniert so nicht richtig. Er muss erst mal die Sprache und die hier üblichen Gebräuche lernen. Kann sein, dass er dann immer noch fremd wirkt, aber trotzdem reinpasst. Kann auch sein, dass das nix wird und er wieder dahin zurückgehen muss, wo er herkam. Sofern es da halbwegs sicher ist. Man kann, nein muss darüber diskutieren, wie sehr er sich den Gebräuchen anzupassen hat (bei Recht und Gesetz gibt es da allerdings keinen Spielraum); aber wenn er das schafft, soll er hier willkommen sein und sich in seiner neuen Heimat einrichten.
Einziger Unterschied zwischen den beiden Beispielen ist das Mindset des Betrachters. Über viele Dinge, wie etwa die Notwendigkeit, unsere Gesetze zu respektieren müssen wir gar nicht zu streiten. Doch was Heimat IST, definiert jeder für sich selbst. Und wie er mit seiner Heimat interagiert auch. Deshalb von vornherein ausschließen zu wollen, dass jemand von ganz woanders hier heimisch werden könnte, ist schlicht naiv. Wir Menschen sind verdammt anpassungsfähig, wenn es um das Überleben geht. Und bei so manchem ist das der Fall. Ob unser Staat die zusätzlichen Bürger integrieren kann, hängt von vielen Faktoren ab; strikte Ablehnung macht daraus allerdings eine selbst erfüllende Prophezeiung, so wie bei den sogenannten „Gastarbeitern“.
Letzten Endes wird es immer Streit darum geben, ob jemand von ganz woanders in MEINE Heimat passt, passen kann, oder nicht. Diesen Streit jedoch nur entlang ideologischer Dogmen zu führen, die reinen Befindlichkeiten entspringen, greift meines Erachtens zu kurz. Für mich ist Heimat ein multidimensionaler Begriff, dessen Rahmenbedingungen oft nur wenig mit meiner subjektiven Realität zu tun haben. Wenn ein Heimatminister also eine reale Aufgabe haben kann, dann die, diese Rahmenbedingungen für alle Menschen so zu gestalten, dass daraus ein individuelles Heimatgefühl erwachsen kann. Also Integrations-Hindernisse abzubauen. Sowohl für In- als auch für Ausländer. In diesem Sinne, noch einen schönen Tag, Her Seehofer…