Im früheren Verlauf diese Abends entspann sich online eine Diskussion, die mich mehr geflasht hat, als viele Andere in der letzten Zeit. Es ging darum, ob man sich in einer Institution zuerst um die Lehre, oder doch zuerst um die Forschung kümmern soll; und vielleicht auch darum, wie beides zusammenpasst. Nun mag man sich die Frage stellen, was es denn am Rettungsdienst als solchem zu forschen geben könnte. Denn natürlich geht es bei so einer Diskussion um meinen beruflichen Background. Und der wird immer und ewig im Blaulichtgewerbe verhaftet bleiben…
Nun ist es so, dass der Rettungsdienst als professionelles Berufsfeld ja immer noch sehr neu ist und das Berufsbild Notfallsanitäter gerade mal gute 6,5 Jahre auf dem Buckel hat. Zu forschen gibt es genug, insbesondere, wenn man irgendwann erreichen möchte, dass sich der Beruf „Notfallsanitäter/in“ vom bloßen Handlanger zu dem entwickeln kann, was der Gesetzgeber von Anfang an intendiert hat: eine Fachkraft für die präklinische Triage und Versorgung. NotSans waren für den aufmerksamen Leser nämlich von der ersten Sekunde an als eine Mischung aus Berufsrettern und Gatekeepern für die nachgeordneten Funktionen des Gesundheitswesens gedacht. Das nordische Modellprojekt Gemeinde-Notfallsanitäter dekliniert diesen Gedanken lediglich ein Stück weiter, aber noch nicht konsequent zu Ende.
Es gibt so viele Themen, bei denen wir noch nicht annähernd so viel wissen, wie wir eigentlich müssten: Schnittstellenproblematiken mit anderen Akteuren der BOS und den restlichen Gesundheits- und Sozialdiensten im Berufsalltag. Die Fundierung unseres pädagogischen Handelns in der Aus- und Fortbildung. Die Bildung eines beruflichen Selbstverständnisses. Die Passung der Möchtegern-Azubis zum Beruf. Die Sinnhaftigkeit von Struktur und Inhalten der gegenwärtigen Ausbildung. Und so weiter und so fort. Um es noch mal mit Sokrates zu sagen: Wir wissen, wie wenig wir bislang verstehen. Da könnte man doch meinen, dass eine Diskussion um die Frage Lehre oder Forschung unnötig sei…
In der Lehre bin ich als Praktiker tätig. Und ich muss mit jedem weiteren Tag, der vergeht feststellen, dass wir in vielerlei Hinsicht im Nebel stochern und oft auf der Basis von Theoriegebäuden agieren, die man bestenfalls als unvollständig beschreiben kann. Doch wir haben derzeit nichts besseres. Sehr zum Schmerz mancher Kollegen. Dennoch muss es vorwärts gehen, denn wir können es uns nicht leisten, die Ausbildung ruhen zu lassen, bis wir „die Formel der Formeln“ für die Ausbildung gefunden haben. Dazu drängen die Zwänge des realen Alltagsgeschäftes viel zu sehr. Wir sind uns der Defizite unseres Tuns also durchaus schmerzhaft bewusst.
Gerade deshalb muss Beides Hand in Hand gehen, ohne einander zu behindern. Und das ist, so komisch das dem Uneingeweihten auch klingen mag, ein wahres Kunststück. Denn auf der einen Seite steht das Bestreben, junge Menschen gut auszubilden, damit sie auf der Straße einen sauberen, einen hilfreichen Job machen können; aber gleichzeitig auch der Wunsch, wissenschaftliches Arbeiten für mehr Menschen (im Rettungsdienst) verständlich und damit vielleicht auch schmackhaft zu machen. Weil man in der Zukunft nämlich Mitstreiter braucht, welche die ganzen oben genannten Forschungsfragen (und noch viele mehr) beantworten helfen können. Diese ganzen Probleme und Fragen warten nämlich auf der anderen Seite. Und wenn ich an dieser Stelle noch Karl Popper mit ins Boot nehmen und mich des Falsifikationismus bedienen darf, um mich noch einmal der Vorläufigkeit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis zu versichern, wird mir bewusst, dass die Erschaffung einer eigenständigen Professions-Wissenschaft der Schaffung von Wissen um die Profession bedarf – und des Bewusstseins für die inhärente Dynamik dieses Wissens!
Es ginge viel zu weit, hier weitere Details der Diskussion darlegen zu wollen; und es wäre den anderen Teilnehmern gegenüber auch unfair. Was ich jedoch darlegen möchte, ist der umstand, warum mich die Diskussion so geflasht hat: nämlich die, anscheinend für manche Teilnehmer gefühlte Unvereinbarkeit der beiden beschriebenen Pole. Aus meiner Sicht ist es ebenso richtig und wichtig, erst einmal Wissen schaffen zu müssen, wie dennoch gleichzeitig die Ausbildung (auch, oder besser vor allem die wissenschaftstheoretische) voran zu bringen. Ob Forscher und Praktiker mit fruchtbaren Ergebnissen zusammen kommen können? Ich bin mir da nicht mal für meine eigene Brust sicher, in der beide Herzen schlagen. Aber ich will es versuchen. Und ich hoffe sehr, dass ich mit diesem Wunsch nicht allein stehe. Denn eines ist sicher: der Rettungsdienst BRAUCHT eine eigene Professions-Wissenschaft ebenso dringend, wie er eine noch wesentlich besser am Schüler orientierte Aus- und Fortbildung braucht. Gute Nacht.