Heute Morgen war meine Welt noch in Ordnung, wenn man einmal von dem Umstand absieht, dass gegen 07:30 zwei kleine Mädchen mit einem, für ihre Verhältnisse durchaus subtilen Auftritt jeden weiteren Gedanken an prolongiertes Lümmeln in der Bettstatt ad absurdum geführt haben. Sei’s drum, soweit war alles in Ordnung. Der Rest des Tages jedoch verlief weitaus weniger erquicklich; nun eigentlich ist dies ein ziemlich dicker Euphemismus, denn heute Morgen ist mein Vater verstorben! Vollkommen unerwartet und sehr schnell.
Es fällt mir schwer, meine Gefühle dazu zu ordnen, weil das Ordnen von Gefühlen mir oft schwer fällt. Nicht, weil ich keine hätte, sondern weil sie sich gerne Zeit lassen, um an Wucht zu gewinnen und mich im Nachgang niederzuringen. Ich kann jedoch abwarten, es wäre nicht das erste Mal, darin habe ich schon Übung. Meine Gedanken jedoch, sie kreisen wie Helikopter über dem keineswegs mehr jungfräulichen Gottesacker der Träume und Pläne in meinem Hinterkopf; und über meinen Erinnerungen… Nun vielleicht ist schon dieser Blogpost ein Teil meiner Art, mit dem Verlust fertig zu werden, es sähe mir wohl ähnlich.
Ich glaube, so gut wie jeder Sohn hat ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater, was darin begründet liegen mag, dass wir sie zuerst als Meister unseres Universums erleben, um dann im Laufe der Zeit mitbekommen zu müssen, wie sich dieses Blatt wendet und sie u.U. irgendwann auf unsere Hilfe angewiesen sind – zwei Bilder, die nur schwerlich miteinander in Einklang zu bringen sind, zumal, wenn dieser Umstand von einer, oder beiden Seiten nicht anerkannt wird. Die Autonomie in allen Angelegenheiten ist eines der wichtigsten Güter und erst in dem Moment, da man diese wieder einbüßt – oder noch schlimmer, wieder abgesprochen bekommt – ist man wohl wirklich alt.
Ich habe meinen Vater in meiner Kindheit und Jugend als starken Mann erlebt, als Prinzipientreu bis hin zur Sturheit und in mancherlei Dingen oft sehr konservativ. Ebenso war er aber auch liebevoll und fürsorglich. Manch gesellschaftlicher Wandel bereitete ihm Sorge, gar Ärger, denn er stammte aus einem anderen Zeitalter. Andererseits machten Herkunft oder Ethnie für ihn kaum einen Unterschied; er maß die Menschen an ihren Taten. Ich erinnere mich noch gut, dass ich eine sehr behütete Kindheit hatte, auch wenn meine Eltern vermutlich Fehler gemacht haben; ich mache als Vater leider, weiß Gott, auch oft genug welche.
Als ich als Jugendlicher mit verschiedenen Wünschen zu ihm kam, sagte er mir, er wüsste, wie ich dazu käme und gab mir die Gelegenheit, sie mir selbst zu verdienen. Er lehrte mich so und durch andere Dinge verschiedene Tugenden, die mancher vielleicht jetzt geringschätzig als altmodisch abtun wird: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, den Wert der eigenen Arbeit zu kennen und stets gerecht zu handeln (oder es wenigstens zu versuchen). Und er lehrte mich, wie echtes Leadership wirklich funktioniert, ohne das Wort je gekannt zu haben; nämlich nichts von den Kollegen bzw. Untergebenen zu verlangen, dass man nicht selbst zu tun bereit wäre. So hat er seinen Job als Führungsperson gemacht und seine Männer (ja, es war eine wahrhaft patriarchalische Berufswelt, in der mein Vater lebte) respektierten ihn und folgten ihm stets.
Wir waren im Laufe der Jahre über so manches uneins, doch er war und blieb stets mein Vater und auch wenn Männer das sehr oft nicht so zeigen können, und es auf andere Art tun, als Frauen, habe ich ihn geliebt. Und jetzt ist er für immer fort! Also warte ich, bis die gefürchteten Gefühle kommen, um ihren Tribut zu fordern, werde einstweilen weiter mein Leben leben und versuchen, ihn zu ehren, indem ich meinen Kindern ein guter Vater bin, auch wenn sie mich am Wochenende vor der Zeit wecken. Ich weiß sowieso, dass er nicht gewollt hätte, dass man so ein Aufheben darum macht, sondern einfach auf sein gutes Leben anstößt und sich der schönen Dinge erinnert. So werde ich es halten und auf’s Beste hoffen…
PS: Danke für die Aufmerksamkeit und ich bitte es zu entschuldigen, dass die vorgelesene Version noch ein paar Tage dauert. Ich denke, jeder versteht das.