Stuck in the middle N°3 – about the individual…

Und worum geht’s nun überhaupt – wer oder was ist hier „stuck in the middle“? Gott, Teufel, der Autor, alle und niemand? Auch auf diese Frage kann ich keine allgemeingültige Antwort geben, sondern nur eine hoch individuelle – und die ist zunächst nur für mich selbst gültig. Ob irgendjemand anders damit auch nur ein MÜ etwas anfangen kann, ist von so vielen Kontextfaktoren abhängig, dass ich darüber nicht sinnieren möchte. Aber ja – ICH bin „stuck in the middle“, gefangen ohne Chance auf Entkommen. Man nennt das Gefängnis übrigens Leben; oder anders gesagt, meine aktuellen Lebensumstände. Aber keine Sorge, das wird hier weder Ergotherapie auf Kosten der Leserschaft, noch eine weitschweifige Midlife-Crisis-getriggerte Laudatio auf den Verlust der Jugend. Der Lack is ab – damit bin ich fein! Denn ich habe dafür jede Menge Erfahrung erworben, die ich um nichts missen möchte. Die Kids werden langsam größer, selbstständiger und diskussionsfreudiger; auch das ist halt so, ich musste ihnen ja unbedingt schon früh zeigen, wie Ironie funktioniert – Karma ist auch für mich ein Bumerang. Mit der besten Ehefrau von allen läuft alles schön. Was mich derzeit hart fickt: (a) Dass ich so blöd bin, meine Selbstwirksamkeits-Erwartung immer noch an meine Kreativität koppeln zu wollen, wenn ich für meine Bosse doch nur noch ein finanzdirigierter Verwaltungsheini bin. (b) Dass ich langsam wohl doch akzeptieren muss, dass man Menschen insgesamt nur sehr sehr schwer ändern kann, ohne ihnen harte Gewalt anzutun. (c) Dass mein Ventil, um all diesen Dingen wenigstens ab und an zu entkommen momentan offen gestanden viel zu selten geöffnet werden kann – ich bin dauerunterzockt! An (a) könnte ich vielleicht etwas ändern, wenn ich wollte. Lieber wäre mir aber eine Veränderung des Aufgabenprofils oder ein anderer Job, der meine Kreativität tatsächlich fordert. Über (b) werde ich mich noch ein bisschen ärgern, bevor ich es irgendwann in den nächsten zwei bis drei Jahren vielleicht doch annehmen kann. Wir werden sehen. Aber (c)… da muss was passieren, sonst drehe ich hohl. Denn wie die letzten zwei Posts dieser Serie hoffentlich sehr klar herausgstellt haben, brauche ich JEDES Futzel frischer Energie, um dieser gequirlten Scheiße an jedem neuen Tag wieder entgegentreten zu können.

Aber woher kommt dieses „stuck in the middle“-Gefühl? ich habe neulich an einem Seminar teilgenommen und die Trainerin interpretierte das Eisbergmodell auf eine Art, die mich an alte Überlegungen erinnert hat: wenn wir uns an Freud und seine drei Instanzen der Psyche (das ES, also unsere Triebe, das ÜBER-ICH, also unsere Moral und das ICH als vermittelnde Instanz zwischen den zwei Extremen und Ausdruck unserer Persönlichkeit) erinnern mögen, so wird uns schnell klar, dass große Teile dessen, was in uns tagtäglich passiert vollkommen natürlich vor dem Zugriff der restlichen Welt verborgen bleiben müssen; und was hassen wir manchmal jene Menschen, die ihr Herz unbekümmert auf der zunge vor sich hertragen… und bewundern sie gleichsam für ihren Mut. Auch wenn dieser Mut manchmal einfach nur fehlinterpretierte Gleichgültigkeit, Unbesonnenheit oder Dummheit sein mag. Was aber bei einem genaueren Blick (unten findet sich eine Grafik dazu) ins Auge fällt, ist Folgendes: unsere Bedürfnisse und unser Wille, diese auch irgendwie umgesetzt zu sehen gründen auf einem diffusen Geflecht aus Emotionen, Trieben, internalisierten Ritualen, kulturellen Praktiken, Träumen. All das haben wir erworben durch unsere verschiedenen Sozialisationsinstanzen und unsere Bildung. Beides steht in engem Austausch miteinander, denn kulturelles und soziales Kapital wie Pierre Bourdieu dies nennt entstehen im Austausch mit unserer Familie und unseren Peergroups; je mehr an diesen Orten Wert auf Bildung gelegt wird, desto wahrscheinlicher wird ein eigener Bildungserfolg im Sinne akademischer Abschlüsse mit höherem Wert auf dem Arbeitsmarkt. Und damit automatisch sozio-ökonomischer Status. Das bedeutet aber, dass bestimmte Teile unseres Selbst von der Natur gegeben und andere Teile sehr früh erworben werden. Die Grundmauern eines Hauses lassen sich aber nur nich sehr schwer verändern, wenn es erst einmal steht…

Ich bin also „stuck in the middle“, weil wesentliche Teile von mir einfach schon Mensch Level 50 sind; und damit meine ich nicht meine Knie oder Schultern (die sind manchmal gefühlt eher Level 90…). Meine Erfahrungen, meine Sozialisation, meine Erziehung haben Errosionsspuren in meinem Hirn hinterlassen, die sich nicht so einfach glätten oder umbauen lassen; und das geht allen Menschen so. Wir können uns nicht beliebig schnell, beliebig oft an beliebig viel Neues anpassen, weil weder unsere Hirnstruktur noch die darauf basierende Psyche dazu in der Lage sind. Allerdings lernen Menschen mitnichten ab einem bestimmten Alter nichts mehr dazu; der Spruch „Einem alten Hund kannst du keine neuen Kunststücke mehr beibringen“ ist Quatsch, denn die Neuroplastizität (die Fähigkeit unseres Hirns, neue synaptische Verbindungen zu bilden) bleibt bis ins hohe Alter erhalten, außer sie wird durch neurodegenerative Prozesse (wie etwa Alzheimer-Demenz) eingeschränkt. Neues Wissen und vor allem neue Verhaltensweisen müssen jedoch in den vorhandenen Bestand einsortiert werden. Je mehr Biographie angehäuft wurde, desto größer ist der Widerstand der durch die Neuigkeit überwunden werden muss und desto größer ist die interne Koordinationsleistung, diese Neuigkeit mit allem anderen in Einklang zu bringen – oder ggfs. sogar Altgekanntes zu ersetzen. Es ist ist eben diese Anstrengung (nämlich von der Couch in der Komfortzone vertrieben zu werden), die viele Menschen (instinktiv oder bewusst) davor zurückschrecken lässt, sich mit Dingen abseits ihrer bisherigen Lebens- und Erfahrungswelt auseinanderzusetzen. And here I am, thrown in a world of constant change… and the change gets faster all the time, while I stand still, overwhelmed by the challenges imposed on my unwilling self; hoping it’ll all be over soon. But it won’t! Never!

Ich verstehe gut, warum Menschen sich lieber von ihren Blasen einfangen lassen, in denen sie gesagt bekommen, dass alles gut wird, dass sie sich nicht anstrengen müssen, dass es schon nicht so schlimm wird, dass sie sich nicht ändern müssen, das gar nichts sich ändern muss. Es sind ja nicht nur unredliche Politiker, welche auf diese Art ihre Macht zu sichern suchen. Typen und Tussen mit Heilsversprechungen gibt es da draußen mehr als genug. ANGST? STOLZ? EIGENNUTZ? Schon mal davon gehört in letzter Zeit? Heute, im Zeitalter der antisozialen Medien umso mehr, wo es so einfach geworden ist, mit einem hinreichend verlockenden Versprechen, einem bisschen geschicktem Marketing und einem MÜ Charisma fast jeden Scheiß verkauft zu bekommen – einfach weil unsere tiefe Binnenpsyche es will! Die will verarscht werden, wenn sie (und damit ich als Ganzes) sich dadurch gut fühlen kann. Daniel Kahnemann hat alles aufgeschrieben, was man dazu wissen muss. Die Frage bleibt, was man dagegen tun kann. Denn solange es immer wieder Menschen mit rein egoistischen Absichten gibt (man könnte die auch Verbrecher nennen), wird sich immer jemand finden, der unsere neurobiologische und neuropsychologische Verfasstheit als Menschen für den eigenen Vorteil ausnutzen wird. Sich dagegen zu imprägnieren bedarf es mehrerer Schutzschichten. Eine davon ist Bildung; nicht jedoch die Druckbetankung mit kontextlosem, trägem Wissen. Eine weitere ist Haltung der Ehrlichkeit, Kritikfähigkeit (aktiv wie passiv) und Wertschätzung, die sich aus dem kritischen Umgang mit Welt nährt und durch Bildung vorbereitet wird. Eine dritte ist ein humanistisches Menschenbild und der damit einhergehende Altruismus, der uns Menschen eigentlich (bis auf wenige Ausnahmen) von Natur aus zu eigen ist. Die Vierte jedoch ist die Bereitschaft, diesen Feinden des Gemeinwesens die Stirn zu bieten, wo immer dies möglich und notwendig ist; und mit ALLEN zu Gebote stehenden Mitteln. Genug für jetzt, ich wünsche noch einen schönen Tag – bis bald…

  • Kahnemann, D. (2011): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag in der Verlagssgruppe Random House.

Stuck in the middle N°2 – about society…

Now, there's one thing you might have noticed I don't complain about: politicians. Everybody complains about politicians. Everybody says they suck. Well, where do people think these politicians come from? They don't fall out of the sky. They don't pass through a membrane from another reality. They come from American parents and American families, American homes, American schools, American churches, American businesses and American universities, and they are elected by American citizens. This is the best we can do folks. This is what we have to offer. It's what our system produces: Garbage in, garbage out. If you have selfish, ignorant citizens, you're going to get selfish, ignorant leaders. Term limits ain't going to do any good; you're just going to end up with a brand new bunch of selfish, ignorant Americans. So, maybe, maybe, maybe, it's not the politicians who suck. Maybe something else sucks around here... like, the public. Yeah, the public sucks. There's a nice campaign slogan for somebody: The Public Sucks. Fuck Hope.George Carlin

Starker Tobak? Nö! Ich denke, es ist die schlichte Wahrheit und zwar unabhängig davon, ob damit in meinem Verständnis die US-amerikanische Öffentlichkeit gemeint ist (welche Carlins These gerade vor wenigen Wochen einmal mehr schlagend bewiesen hat), oder die bundesdeutsche. Unser Land mag um ein Mehrfaches kleiner sein, als die Vereinigten Staaten; unsere Politiker sind dennoch vom gleichen Schlag. Oder um noch einmal auf das kürzlich Gesagte zurückzukommen: ANGST, STOLZ, EIGENNUTZ. Ich sagte auch, dass ich mich für eine durchschnittlich intelligente Person hielte, was bedeutet, dass ich keine Ahnung habe, warum das so ist. Okay… das war gelogen. Ich glaube, eine ganz gute Vorstellung zu haben, warum unsere Gesellschaft und damit unsere Politiker als deren Produkt so ticken, wie sie ticken. Ich kann allerdings keine echte Lösung für das Problem anbieten. Es wäre mir jedoch wichtig, dass mehr Menschen begännen, diese verfickte Verfasstheit von uns allen als das PROBLEM wahrzunehmen, dass sie ist! Denn im Moment scheint einfach nur jeder zu denken, dass ihn „Das Große Ganze“ nichts anginge und dieses (also der Staat) ihm/ihr daher auch nichts zum jeweiligen Kleinen Ganzen zu sagen hätte. Hier spielen Gedanken des amerikanischen Libertarianismus eine Rolle, welche z. B. Michael Sandel in Kapitel drei seines Buches „Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun.“ beschrieben hat (S. 85 ff.). Im Grunde wollen Libertarier höchstmögliche individuelle Freiheit bei geringstmöglichem staatlichen Eingriff, weil sie – ganz dem Utilitarismus verpflichtet, aus dem sie entstanden sind – davon ausgehen, dass jede und jeder voll und ganz für sein bzw. ihr eigenes Wohl oder Wehe verantwortlich sind. Klingt ein bisschen wie die Blaupause für die narzisstischen, dogmatischen Egomanen, von denen ich in meinem letzten Post sprach, nicht wahr. Wenn aber nun ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung aus geistig und sozial derart aufgestellten Individuen besteht… nun ja. Thomas Hobbes hätte das wohl den Bellum omnium contra omnes genannt: den KRIEG ALLER GEGEN ALLE! Wie war das noch mal mit ANGST, STOLZ, EIGENNUTZ…?

Created with ChatGPT

Kant glaubte noch daran, dass auch ein moralisch schlechter Mensch prinzipiell ein guter Bürger sein könne, wenn nur die Verfassung (also die Gesetze) und die Öffentlichkeit (also, wie die Menschen diese Gesetze leben) so beschaffen seien, dass sie einander jeweils in der Balance hielten. Zumindest interpretiert Hannah Arendt ihn auf diese Weise in den Vorlesungen, welche sie 1970 an der „New School for Social Research“ gehalten hatte (nachzulesen bei Ronald Beiner, S. 16 ff.). Ich bin mir nicht sicher, aber so wie ICH unsere heutige Gesellschaft lese, halten sich die Menschen NICHT gegenseitig in der Balance. Das könnte meiner Meinung nach (und ich bin ein wesentlich geringerer Denker als Arendt oder Kant) daran liegen, dass viele Philosophen auf Grund ihrer jeweils eigenen Erfahrungen von ethnisch, religiös und sozial zumindest weitgehend homogenen Gesellschaften ausgingen. In einer solchen Konstellation, in welcher fast alle Bürger einander auf Augenhöge und auf der Basis geteilter kultureller und sozialer Praktiken begegnen, mögen Kants und Arendts Ideen (theoretisch) funktioniert haben; doch unsere moderne Gesellschaft (in den USA genauso wie in der BRD) ist in höchstem Maße pluralistisch aufgestellt. 11,5 Millionen Menschen aus Dutzenden anderer Staaten leben in Deutschland. Dazu kommen viele weitere, welche die deutsche Staatsbürgerschaft haben, jedoch ihren Migrationswurzeln verbunden bleiben wollen. Die daraus entstehende Mischung hat profunde Auswirkungen auf das Miteinander. Einerseits, weil Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund immer noch anders wahrgenommen werden, als so eine biodeutsche Alman-Kartoffel, wie ich selbst eine bin (Stichworte: Alltagsrassismus, Racial Profiling, Benachteiligung). Andererseits, weil die Art, wie mit bestimmten Situationen umgegangen wird, definitiv kulturell geprägt ist. Alles ist im Fluss, weil Kultur gleichzeitig Ausdruck und Produkt der Umstände ist unter welchen sie entsteht. Wenn das doch nur mehr Menschen mal verstehen würden, dass damit auch Heimat und Identität keine statischen Konstrukte sein können, sondern notwendigerweise ebenfalls Prozesse – und damit dynamischer Veränderung unterworfen. Und doch haben so viele Angst vor Überfremdung; ob die schon mal darüber nachgedacht haben, wie sich wohl die Bewohner dieser ach so pittoresken Bergdörfchen fühlen, die auf antisocial media immer als „must see2 gehyped werden…?

Ich stecke also fest in einer Gesellschaft, die in weiten Teilen Angst vor der Veränderung als solcher hat, weil die aus Veränderungen entstehende Dynamik immer das mühsam Gelernte, Beherrschte, schlicht die ganze Struktur in Frage stellt und ggfs. entwertet. Was uns automatisch dazu nötig, weiterlernen zu müssen, uns aus der Komfortzoe hinaustreibt und uns an die unüberwindbare Mauer der nächsten Sekunde erinnert. Jedoch wird niemand gerne daran erinnert, dass all unserem Planen und Streben, unseren Erfahrungen und Heuristiken zum Trotz die Zukunft eine Black Box bleiben MUSS. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen… Was kann ich als einzelner Mensch aber tun, wenn ich an der Gesellschaft verzweifeln möchte, in welcher ich gefangen bleiben muss, weil mir gerade unglücklicherweise (außer in meinen Tagträumen) keine andere zur Verfügung steht? I’m terribly sorry… aber diese Frage muss jeder Mensch für sich selbst beantworten. Das ist übrigens (für die nicht vollkommen Denkfaulen unter euch) mit der Frage nach dem Sinn des Lebens eng verknüpft. Descartes wird ja immer mit seinem „ergo cogito, ergo sum“ „Ich denke, also bin ich.“ zitiert. Mir wäre die aus seinen Texten ableitbare Ergänzung zu „dubito, ergo cogito, ergo sum“ wichtig, also zu „Ich ZWEIFLE, also denke ich, also bin ich.“ Die erste Voraussetzung für einen halbwegs gelingenden Umgang mit dieser verdrehten, verrückten, unlogischen, absolut subjetiv-emotional aufgstellten Menschheit wäre also aus meiner Sicht, KRITISCH zu bleiben und SELBST zu denken. Sich bitte NICHT die Dogmen anderer zu eigen zu machen und vor allem nicht den Rattenfängern mit den vermeintlich einfachen Lösungen hinterherzulaufen; für die sind nämlich immer nur die anderen (die Fremden, die sozial Schwachen, die Frauen, die Politiker, die Eliten, die…) Schuld. Niemals jedoch kämen sie auf die Idee, ihr eigenes Denken und Handeln zu hinterfragen… schaut euch die Selbstgewissheit der Nazis doch mal an. Kein vernünftiger Mensch ist sich seiner selbst so verdammt sicher. Weil wir Menschen fehlerbehaftete Wesen sind und bleiben. Lasst uns doch mal gemeinsam auf die Suche nach besseren Erkenntnissen gehen. Bis die Tage…

  • Beiner, R. (1992): Hannah Arendt. Lectures on Kant’s political philosophy. Chicago: The University of Chicago Press.
  • Sandel, M. ( 2013): Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun. Ungekürzte Ausgabe , 2. Auflage. Berlin: Ullstein Taschenbuch.

Gibt’s das auch mit Motivation…?

„Du musst einmal öfter aufstehen, als das Leben dich umwirft!“ Noch so ein beliebiger Glückskeksspruch, mit dem man auf so vieles antworten kann und der dennoch seltsam hohl bleibt; denn wir haben ja noch gar nicht definiert, was „einen umwerfen“ bedeutet – und was das „wieder aufstehen“. Dass das nicht unbedingt wörtlich gemeint ist, weil man bei einigen Gelegenheiten, zu denen man umgeworfen wird vielleicht doch eine Ambulanz braucht, könnte einem allerdings schon jetzt klar sein… Bleiben wir aber bei den eben zur Disposition gestellten Begrifflichkeiten, so wird schnell klar, das mit dem „Umwerfen“ natürlich ein Handlungs-Scheitern gemeint ist, dass unseren Vorwärtsdrang dämpft. Und was ist dann das „Aufstehen“? Ich würde meinen, die Lehren, welche wir daraus für unser weiteres Tun ziehen. Doch woraus entsteht hierin die Motivation zum Weitermachen, wenn unsere Selbstwirksamkeitserwartung doch eben nicht erfüllt wurde? Wir haben ja gerade irgendwas verkackt und wissen es vielleicht auch schon… Doch statt einfach kurz darüber nachzudenken, wie es das nächste Mal besser geht, neigen wir allzu oft dazu, solche Dinge übermäßig zu dramatisieren. Ich sprach gestern vom Scheitern und ich versuche ehrlich, solche Zwischenfälle des Daseins mittlerweile auch so zu leben, wie ich es beschrieben habe: als partikulares Vorwärts-Scheitern mit eingebauten Entwicklungseffekten. Und das bedeutet im Umkehrschluss, dass Scheitern meistens eigentlich kein großes Drama sein müsste. JA, es gibt Situationen, die fühlen sich an wie der berühmte „Gang nach Canossa“; allerdings bin ich kein König und die wenigsten meiner Probleme haben irgendwas mit Päpsten zu tun. Wir machen es uns einfach immer wieder viel zu schwer und beschädigen uns in der Folge selbst, indem wir aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Wäre es nicht viel besser, einfach mal fünfe grade sein zu lassen, den Druck rauszunehmen und den Dingen Raum und Zeit zur Entwicklung zu geben?

Ich rede hier nicht der Indolenz das Wort; mein Leben, meine Arbeit und alles darinnen sind mir weit entfernt von gleichgültig. Aber ich habe – insbesondere in meinem Arbeitsleben – zu viele Menschen kennenlernen müssen, die von sachlicher Kritik sofort dermaßen angefasst sind, dass eine sinnvolle Diskussion am Thema schlicht keinen Sinn mehr ergibt, weil sie ein angekreidetes Handlungs-Scheitern nicht von einem NICHT angekreideten Persönlichkeits-Scheitern unterscheiden können – oder wollen! Das liegt zum einen an dem Mechanismus, den ich gestern beschrieben habe, zum anderen aber vor allem an den teilweise eher ungünstigen Anreiz- und Belohnungssystemen, welche sich in meiner Arbeitswelt wiederfinden. Man unterscheidet klugerweise eigentlich drei Arten von Handeln/Verhalten: a) risiko-averses Verhalten, welches ich fördern und begünstigen möchte, da es Fehlerwahrscheinlichkeiten SENKT – nicht ausschaltet, aber senkt. b) risiko-affines Verhalten, welches ich zum Anlass nehmen möchte, eine Verhaltensmodifikation des/der Handelnden anzuregen. Hier kommt oft mangelndes Problembewusstsein zum Vorschein, dass man durch Schulung zumindest verbessern kann. c) rücksichtsloses Verhalten; dieses wird umgehend sanktioniert und die Antwort auf die Frage, ob hier irgendwelche Schulungsmaßnahmen noch irgendeine Aussicht auf Erfolg haben, ist eine Einzelfallentscheidung. Die meisten von uns bewegen sich übrigens fließend zwischen a und b. Fehler passieren trotzdem jeden Tag. Meine Motivation, zu meinen Fehlern zu stehen und etwas daraus lernen zu wollen hängt allerdings umgekehrt proportional von der Wahrscheinlichkeit ab, für einen gemeldeten Fehler nackt an einen drei Meter hohen Pfahl vor dem Geschäfts-Anwesen gebunden und öffentlich ausgepeitscht zu werden; eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit hierfür nennt man übrigens „gute Fehlerkultur“! Hier wird einmal mehr der Unterschied zwischen Boss und Leader sichtbar…

Motivation entsteht normalerweise dann, wenn man mit den Ergebnissen des eigenen Handelns positive Erfahrungen verknüpfen kann. Ich habe den Begriff Selbstwirksamkeit ja vorhin schon mal benutzt. Es fühlt sich einfach toll an, seinen Shit gerockt zu bekommen! Es fühlt sich natürlich nicht ganz so gut an, wenn man verkackt. Die Leute aus dem jeweiligen Verkacken trotzdem etwas mitnehmen lassen zu können ist die Kunst, welche dazu führt, dass mir die Leute nicht von der Fahne gehen und wir gemeinsam wachsen können! In diesem Zusammenhang ist es echt wichtig, als Leitungs- oder Lehrperson nahbar (also Mensch) zu bleiben, zu seinen eigenen Fehlern zu stehen (und so mit gutem Beispiel voran zu gehen) und die Auswirkungen eines jeweiligen Fehlers halbwegs objektiv zu beschreiben und zu beurteilen. Und meistens ist dann kein Drama notwendig. Vielleicht eine gemeinsame Fehlersuche, um das für die Zukunft verhindern zu können, aber sicher kein Punishment. Denn durch Punishment treibe ich die Leute von mir weg, selbst wenn ich sie eigentlich dringend bräuchte. Aber wie gestern schon gesagt – bis wir durchgängig zu einer guten Fehlerkultur kommen ist es noch ein weiter Weg. In diesem Sinne – startet gut in die neue Woche.

Scheitern kann erheitern!

„Fake it, until you make it!“ Ein Teilnehmer in einem meiner Lehrgänge meinte dieser Tage, das mit der Fremdsprache sei nicht so sein Ding. Kann ich nachvollziehen, viele Leute struggeln mit etwas anderem als ihrer Muttersprache; Herrgott, genug Menschen struggeln mit ihrer Muttersprache! Wie dem auch sei, ich übersetzte es für ihn mit dem „Prinzip SATAN: Sicheres Auftreten Trotz Absoluten Nichtwissens!“ Manchmal müssen wir uns durchwursteln und es auf unterschiedliche Arten probieren, bis es endlich klappt. Verschiedene Teile unserer heutige Kultur – insbesondere Verfechter und Anhänger toxischer Maskulinität, wie die ganzen Idiot*innen, die Trump gewählt haben – tun allerdings gerne und oft so, als wenn wir alle immer und überall Siegertypen sein müssten; unbezwingbar, unerschütterlich – und unbelehrbar. Man könnte fast meinen, dass die alle niemals von ihrer Mama oder ihrem Papa getröstet wurden, wenn sie als Kind mal auf die Fresse gefallen sind… Hm… Aber wenn man tatsächlich immer ein*e Sieger*in sein soll, wie kann man überhaupt gelernt haben, zwischen Sieg und Niederlage, oder besser zwischen Erfolg und Scheitern zu unterscheiden…? Sind die alle als Meister ihrer Welt vom Himmel gefallen?

Man kann das auch in einer der Fachpostillen meines Gewerkes beobachten; die haben in jeder Ausgabe Kasuistiken, also Beschreibungen rettungsdienstlicher Fälle. Fast all diesen Kasuistiken ist zu eigen, dass die Kolleg*innen kamen, sahen und siegten. Man war zu jeder Zeit Herr der Lage und hat (so gut wie) keine Fehler gemacht. Nach meiner persönlichen Erfahrunge sind solche Kasuistiken die absoluten Ausnahmen und das Bild, welches damit für die Leser*innen erzeugt wird, ist ein riesengroßer, dampfender Haufen cremiger Bullenscheiße! Mich interessieren die Fälle, bei den das typische Veni, Vidi, Violini passierte – ich kam, sah und vergeigte. Um an seinen Aufgaben wachsen zu können, ist es nämlich notwendig, die sogenannte Komfortzone zu verlassen. Jenes bequeme Sofa der gemütlichen, sich selbst niemals hinterfragenden Denk- und Handlungsschleifen in unserem Hinterkopf, dass ab und an durch die Absonderung von so unsagbar dämlichen Aussagen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ auf sein Vorhandensein hinweist, ist allerdings ein sehr verlockender Ort. Denn wer sich nicht kritisch mit dem eigenen Handeln auseinandersetzt, läuft halt auch nicht Gefahr, irgendwas zu finden, was ihm/ihr nicht gefällt. Das Verlassen der Komfortzone ist also stets mit der Gefahr verbunden, sich mal für ein paar Augenblicke nicht mehr so toll finden zu können, weil man feststellt, dass doch nicht alles so shiny war, wie man sich das immer gerne selbst einredet. Aber wer sich nicht mehr hinterfragt, wird zwangsläufig von der Welt überrollt, weil die Welt sich einfach weiterdreht. Mit oder ohne dich!

Bewusst aus der Komfortzone heraus zu kommen bedeutet, eigenes Scheitern als eine Möglichkeit anzuerkennen. Davor haben viele Menschen Angst, weil sie schon ein einzelnes Handlungs-Scheitern mit einem Persönlichkeits-Scheitern gleichsetzen; was allerdings vollkommener Quatsch ist. Niemand ist ein schlechterer Mensch, weil er oder sie mal einen Fehler macht. Denn die meisten unserer Handlungs-Fehler haben eher geringe Konsequenzen, geben uns als Individuen aber in unserer Gedankenwelt der Lächerlichkeit preis. Wir fürchten nicht die Konsequenzen des Fehlers an sich, sondern die Reaktion anderer Menschen darauf – insbesondere deren Spott oder deren Kritik. Wir wissen, dass die anderen diesbezüglich ja nicht besser sind als wir selbst und nehmen daher anderer Leute Fehler gerne als Anlass, mit dem Finger darauf zu zeigen, weil es vermeintlich vom unserem eigenen Fehler-Potential ablenkt. Aber jeder von uns macht jeden Tag Fehler; manchmal ist der erste, überhaupt aufzustehen. Unsere Fehler sind jedoch kein Anlässe, irgendjemanden der Lächerlichkeit preiszugeben, verweisen sie uns doch auf neue, andere Möglichkeiten eine bestehende Herausfoderung anzugehen oder ein Problem zu lösen. Fehler sind Lernanlässe – keine Punishment-Anlässe!

„Life is a lesson, you learn it, when you do it!“ [Limp Bizkit 2000: Take a look around] Ich würde Fehler also gerne als partikulares Vorwärts-Scheitern bezeichnen, als Momente, in denen die normative Kraft des Faktischen meine Wahrnehmung um einen Hinweis auf eine zukünftige Vermeidung durch Verhaltensmodifikation bereichert! Geht aber nur, wenn ich die Komfort-Zone verlassen habe. Womit ich nicht so verstanden werden möchte, dass ich den Menschen rate, häufiger mal „Hold my beer!“ zu sagen. Selbst risiko-averses Verhalten birgt immer ein Restrisiko in sich. Insbesondere dann, wenn man in einem riskanten Job arbeitet. Da muss man nicht auch noch nachhelfen. Aber ich plädiere dafür, endlich von diesem typisch deutschen Persönlichkeitsfehler weg zu kommen, für alles was schief läuft nach einem Schuldigen suchen zu müssen, damit ich DEN öffentlich auspeitschen kann! Das bringt niemanden weiter, weil es den oben beschriebenen Mechnismus befördert, sich mehr um das eigene Ansehen zu kümmern, als um die eigentlichen Sachprobleme und das Entstehen der Fähigkeiten, diese lösen zu können. Lasst uns doch alle gemeinsam gelegentlich vorwärts scheitern. Das würde uns wesentlich schneller voranbringen, als diese miefige Bedenkenträgerei, die narzisstische Sorge um das eigene Ansehen oder das Gejammer, wenn man mal sachlich kritisiert wird. Denn ohne eine sachliche Kritik, welche die wesentlichen Gründe eines jeweiligen Scheiterns aufdeckt, würde natürlich keine Entwicklung entstehen können! Aber soweit sind wir als Gesellschaft, selbst als einzelne Berufsgruppe wohl noch nicht. Na ja, da bleibe ich wohl doch weiter bei Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Schönen Samstag, ihr Flitzpiepen…

Auch als Podcast…

New Work N°19 – Wen sollte man zum Chef machen…?

Immerzu geht es um’s liebe Geld. Nicht das Geld jemals lieb zu irgend jemandem gewesen wäre, das können halt doch nur andere Lebewesen bewerkstelligen. Aber zur Kohle drängt, an der Kohle hängt doch alles. Muss auch meine 15jährige schon verstanden haben, wenn sie auf die Frage, was sie mal werden möchte mit dem Brustton der Überzeugung „Reich!“ antwortet. Das stellt hier keine Wertung dar, denn mit 15 materialistisch zu sein, weil man neuerdings bewußt wahrnimmt, dass ein gutes Leben gutes Geld kostet, war, ist und bleibt ein vollkommen normaler Bestandteil des Erwachsenwerdens. Ich war in dem Alter ja nicht anders. Was im Privatleben stimmt, ist im Geschäftsleben oft genauso wahr. Allerdings sollte man die Dinge hier ein wenig differenziert betrachten. Die Allermeisten von uns managen nämlich keinen Überfluss für einen Jahresbonus und irgendwelche Shareholder (auch bekannt als „Rendite“), sondern den Mangel an Überfluss vor einem jeweiligen Monatsende (auch bekannt als „überzogener Dispo“).

Dennoch denkt man naiverweise gerne, dass ein CEO, gleich in welcher Art von Unternehmen vor allem wirtschaftliche Kompetenz bräuchte. Allen die blödsinnigerweise immer noch glauben, dass studierte Wirtschaftswissenschaftler echt besser haushalten könnten, als eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern empfehle ich daher wärmstens das Buch „Der schwarze Schwan“ von Nicolas Nassim Taleb; das hilft enorm beim Realitätscheck…! Daron Acemoğlu, einer der drei diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften hat vor knapp zweieinhalb jahren ein Paper veröffentlicht, in welchem er und sein Team feststellten, dass der Einsatz von von Leuten mit MBA oder artverwandtem Abschluss als CEO in Nachfolge nicht studierter CEOs dazu führt, dass a) die Gehälter um mehrere Prozentpunkte sinken und b) der Anteil der Gehälter an der Bilanzsumme zurückgeht. Oder anders formuliert: die auf cost-efficiency dressierten WiWi-Absolventen der letzten Jahrzehnte fangen umgehend an, die wichtigste Ressource kaputtzusparen, welche jedes Unternehmen hat: nämlich jene Menschen, die tatsächlich Wertschöpfung betreiben, wenn denn überhaupt effektiv irgendwelche Werte geschaffen werden. Denn waschechte Bullshitjobs, die nichts zum Fortkommen der Menschheit beitragen, gibt es ja nun genug.

Ob ich denke, dass man gar keine Menschen mit hoher wirtschaftlicher Kompetenz bräuchte, um Unternehmen erfolgreich führen zu können? Natürlich nicht; denn ein wirtschaftlich sinnvoll geführtes Unternehmen wird alsbald zu einem sicheren Hafen für hunderte bis tausende Existenzen, welche ihr Ein- und Fortkommen an das Funktionieren der Geschäftstätigkeit ihrer Arbeitgeber geknüpft haben. Der daraus erwachsenden Verantwortung sind sich viele Chefs aber offenkundig nicht bewusst! Ob ich denke dass man manche Unternehmen lieber durch wissenschaftlich ausgebildete Menschen anderer Fachrichtungen führen lassen sollte? Oh ja; allerdings unter der Prämisse, dass man ihnen die dennoch zwingend notwendige wirtschaftliche Kompetenz an die Seite stellt. Die Krux am Leiten von Unternehmen ist jedoch, dass dieses nur vermittelt durch die Leitung und Führung der vorhin erwähnten Menschen funktioniert. Diesbezügliche Inhalte machen allerdings – gemäß einer kurzen Analyse durch ChatGPT 4o – in verschiedenen Ausbildungsprogrammen nur einen Anteil von 15 – 25% am Gesamtcurriculum aus, obwohl sich daraus später 60 – 70% der täglichen Arbeit ergeben. Ich persönlich denke, dass Psychologen und Pädagogen zumindest in Tendenzunternehmen wesentlich besser dazu geeignet sind, die Geschäftstätigkeit zu lenken, als Wirtschaftwissenschaftler. Menschen beurteilen, systemisch-analytisch denken, klare Entscheidungen treffen, ggfs. Sanktionen aussprechen und durchsetzen können wir auch – wahrscheinlich oft sogar besser. zumindest wir Pädagogen üben nämlich meistens mit viel mehr Sparringspartnern gleichzeitig…!

Ich weiß, dass es sehr, sehr viele Menschen ernsthaft denken, dass Geld sowie dessen Erwerb und Ansparung das ALLER- ALLERWICHTIGSTE im Leben seien. ICH persönlich denke jedoch, dass unsere Beziehungen das wichtigste in jedem Leben sind. Und dieses Mal sage ich ganz klar, dass diese Aussage aus meiner Sicht im Geschäftsleben genauso uneingeschränkt wahr ist, wie im Privaten. Ich habe gerade mehr oder weniger 2 Wochen ununterbrochen im Lehrsaal an Themen rings um Kommunikation, Beziehungen, Führung, Wahrnehmung und pädagogisch-didaktisches Handeln gearbeitet. Und ich kann mich deshalb genau jetzt nicht mehr des Eindruckes erwehren, dass manche Menschen in meinem beruflichen Umfeld nach falschen Prämissen handeln. Ob und wie man daran etwas ändern kann, weiß ich nicht. Aber es macht mich jedes Mal traurig, wenn ich die Zeit finde, intensiv darüber nachzudenken. Wie kann man den Elefanten im Raum nicht sehen, obwohl er einem doch den Rüssel auf die Schulter legt und laut trompetet? Nun ja… das Spätjahr wird sehr geschäftig, so dass ich – pflichtbewusst und erfüllt von jener protestantischen Arbeitsethik, die mein Vater mir vererbt hat – meine weiteren Erwägungen hierzu vermutlich auf die Zeit rings um Tannenbäume, liebliches Prassen und die stets nervige Suche nach den passenden Präsenten verlegen muss. Aus den Augen verlieren werde ich es jedoch ganz sicher nicht. Denn mein Körper ist mittlerweile einfach zu alt, um meine Zeit mit vielen nutzlosen Gesprächen, schlechtem Schnaps, unnützer, stupider, unkreativer Arbeit, miesem Essen und uninspirierenden Menschen zu verschwenden. Dafür ist meine Seele einfach noch zu jung! Wish you a nice weekend.

Out of the Box…

Ich finde es bemerkenswert, dass die vielen unterschiedlichen Menschen, die da so als Teilnehmer*innen in meine Unterrichte oder Seminare kommen immer wieder diese typischen Fragen stellen, die man eigentlich gar nicht hören möchte: „Wie lange machen wir heute?“. „Welche Inhalte kommen heute dran?“. „Ist das Prüfungsrelevant?“. „Kommt das noch mal dran?“. „Wo kann man das nachlesen?“. Und so weiter und so fort. Ich möchte dem nun in aller Form ein paar Dinge entgegnen, die mir in den letzten 9 Tagen während meiner Arbeit einmal wieder auf- und eingefallen sind:

  • Zeit- und Themenläufe sind variabel: Ich habe mir vorhin einen Moment genommen und bin auf eine direkte Frage eines Schülers hierzu eingegangen; und ich habe ihm gesagt, dass der Dozent oder Fachlehrer innerhalb eines gesteckten thematischen Rahmens nicht selten wie ein DJ vorgeht. Wir lesen den Raum, wir schauen, welche Fragen und Gespräche sich aus den gestellten Aufgaben und beschriebenen Problemen ergeben – und dann passen wir ggfs. unser Unterrichtsplanung an. Es mag sein, dass bei Lehrproben im Rahmen des Referendariats an allgemeinbildenden Schulen eine fest abzuarbeitende Unterrichtsvorplanung abgegeben werden muss, an die man sich nahezu sklavisch zu halten hat, weil der Fachleiter einem sonst die Rübe runter macht – aber das ist Bullenscheiße im Quadrat! Wenn sich der Flow im Rahmen des Themas in eine andere Richtung bewegt, aber die Fragen relevant sind, dann gehe ich den Weg mit. Und Schluss! (Ja, ja, ich weiß, die Stoffpläne – die sind in der allgemeinbildenden Schule oft genug einfach für den Arsch – und noch mal Schluss!)
  • Die Prüfungrelevanz betrifft IMMER die inhaltliche Essenz des Stoffes, nicht jedoch irgendwelche technischen Einzelheiten. Es ergibt (nicht nur aus konstruktivistischer Perspektive) absolut keinen Sinn, irgendwelche Schemata losgelöst von ihrem realen Einsatzzweck betrachten zu wollen. Die Leute suchen aber immerzu nach irgendwelchen Musterlösungen, die sie einfach nur anwenden müssen, um scoren zu können – aber weder für notfallmedizinisches Handeln noch das Leben an sich gibt es eine immergültige Musterlösung. Aber das kann man ihnen 1000 Mal erzählen und nächste Woche kommen sie wieder mit der gleichen Frage um die Ecke. Manche, weil sie sich’s einfach machen wollen und andere, weil sie an der Komplexität verzweifeln. Für beides gibt es Medizin, die allerdings nicht immer schmeckt: die Ersteren bekommen einen harten Realitätscheck, indem ihre Musterösung einfach mal im Training zerstört wird und die anderen Hilfe, indem man ihnen weitere Blickwinkel eröffnet. Kleines Einmaleins der berufsschulischen Pädagogik…
  • Der Unterricht ist zu Ende, wenn es Sinn ergibt! Manchmal ist das vor, manchmal nach der üblichen Schlusszeit. Wer hierbei nicht ein gewisses Maß an Flexibilität an den Tag legt, ist übrigens im Rettungsdienst schlicht falsch und sollte sich wohl besser was mit wirklich planbaren Arbeitszeiten suchen… weil nämlich die Struktur des Unterrichts hier aus der Metaperspektive die Struktur der eigentlichen Arbeit vorweg nimmt. Und die ist NICHT nine-to-five!
  • Die Festigung von Unterrichtsinhalten kann nie mit einem Durchlauf abgeschlossen sein. Insbesondere, weil theoretisch besprochene Inhalte sich immer einem Check an realen Einsatzsituationen unterziehen müssen, um ihre Relevanz für die Schüler*innen begreifbar zu machen. Die Antwort etwa auf die Frage „Warum müssen wir dieses Gesetz lernen?“ ergibt sich schmerzlich verständlich oft erst dann, wenn man die Gründe selbst erlebt, aus denen dieses Gesetz entstanden ist.

Fertiglösungen, die „out of the box“ funktionieren sollen kann man bestenfalls für sehr wenig komplexe Probleme formulieren, die sich in einen Wenn-Dann-Algorithmus pressen lassen. In der Notfallmedizin suggeriert man den Auszubildenden durch Algorithmen, die so aussehen, als wenn das möglich wäre, dass es fertige Musterlösungen geben könnte – nur damit wir Berufsfachschullehrer ihnen sehr mühsam den Reflex abtrainieren dürfen, auf komplexe Probleme stets einfache Antworten suchen zu wollen. Selbst Denken müssen die Azubis lernen. Aber zuerst müssen sie verstehen lernen, warum selbst denken zwar der anstrengendere, allerdings auch der wesentlich sicherere und zielorientiertere Weg ist. Und ich kann den Azubis da noch nicht einmal einen Vorwurf machen, weil es da draußen (auch und vor allem in unserem eigenen Berufsfeld) immer noch mehr als genug Menschen gibt, die ihnen vorleben, wie man es sich – vermeintlich – einfach macht. Die so tun als wenn Schema X jemals funktioniert hätte! Die alles, was nicht aussieht wie einer der Algorithmen zum „Bullshit-Einsatz“ deklarieren! Die Kolleg*innen mit einem humanistischen Menschenbild als „Schwächlinge“ verächtlich machen! Und die immerzu versuchen, den kürzesten, einfachsten, mit der wenigsten Arbeit versehenen Weg zu gehen, um sich dann auch noch ihrer Effizienz zu rühmen! SPEI! WÜRG! KOTZ! Wir haben noch einen verflucht weiten Weg zu gehen, wenn wir wirklich das Level an Profssionalität erreichen wollen, dass so viele von uns für sich reklamieren. Mal schauen, ob ich die nächsten Tage mal wieder etwas dazu beitragen kann. Hasta la Pasta, wie eine liebe Kollegin immer sagt…

Allein, allein…? Ist’s manchmal schön zu sein…

Ich meine natürlich nicht den Song von Polarkreis 18. Und ich will ganz sicher auch nicht wie Diogenes in einem Faß leben. Henry David Thoreaus Idee, sich ’ne Hütte im Wald zu bauen, die nur ein paar Kilometer von der (damaligen) Zivilisation entfernt lag, um dann Sonntags mit der Familie zu essen erscheint da schon attraktiver. Allerdings bräuchte es dazu a) ein regelmäßiges Einkommen aus irgendwas mit ohne Menschen, b) einen Wald, in dem nicht zu viele Menschen (am besten gar keine) unterwegs sind und c) ’ne Baugenehmigung, denn wir sind in Deutschland. Und damit ist das Projekt auch schon gescheitert, bevor es überhaupt begonnen hat. Denn wenn ich echt meine sozial induizierte Depression in so einer Hütte auskurieren wollen würde, hinge ich an einem der Bäume ringsum, bevor die Baugenehmigung da wäre. Die einzige Frage bliebe, was zuerst zu spät käme – die Baugenehmigung oder die Zusage für einen Therapieplatz. Keine Sorge, mir geht es im Moment soweit ganz gut, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie und vor allem wann ich die ganzen Probleme am Arbeitsplatz lösen soll, die sich einmal mehr ganz von allein aufgehäuft haben. Ist mal wieder wie mit den Pilzen im Wald nach einem feuchten Sommer: drehst dich einmal um und SCHWUPPS steht alles voll! Augen auf bei der Jobwahl kann ich da nur sagen…

Allein sein zu dürfen ist heutzutage oft ein Luxus. Ich bemerke das vor allem, wenn ich in Urlaub fahre. Ich suche heutzutage bewusst Orte aus, an denen man eher wenigen Menschen begegenet, wenn man nicht gerade auf DIE Ausflüge geht, die alle Anderen auch machen, weil’s da, wo man hinfahren kann halt im wahrsten Wortsinn pittoresk ist. Schuldig im Sinne der Anklage, da ich ja auch gerne und viel knipse. Ich las neulich in einem Interview mit einer Restauratorin, dass sie keine Bilder von ihren Auflügen in Museen machen würde, weil die Linse zwischen Auge und Objekt den Blick auf die Essenz des gerade betrachteten Kunstwerk versperre. Ich weiß was sie meint. Und bei bestimmten Exponaten ist das auch wahr. Die Abbildung sagt nicht so viel, wie tatsächlich davor zu stehen, allein schon, weil selbst gut komponierte Bilder dazu neigen, die wahren Größenverhältnisse zu verschleiern. Doch ich habe gelernt, die Welt – vermittelt durch die Begrenzung des eben genutzten Objektives – auf eine bestimmte Art wahrzunehmen, Spannung, Widersprüchlichkeit, Verspieltheit, Ästhetik zu suchen, wo man diese nicht unbedingt vermutet (aber natürlich auch da, wo diese explizit angeboten wird). Einerseits, weil ich ab und an gerne ein solches Bild teile, andererseits, weil es das Auge auch für die Details in anderen Kontexten schult. Es macht einen empfindlicher für das Rauschen, welches von Störungen ausgeht – ich bin heute recht gut darin, systemisch zu sehen. Ich bezahle dafür auf der anderen Seite immer wieder Lehrgeld, weil ich noch glaube, dass Menschen nur ausreichende und passende Denkanlässe benötigen, um ihr Handeln anzupassen, wenn selbiges nicht sozial-, sach- oder fachadäquat war. Das könnte daran liegen, dass das viele soziale Handeln, welches meine Arbeit mir abverlangt mich bisweilen erschöpft. Und im sozial erschöpften oder übersättigten Zustand sagen wir manchmal zu schnell JA zu Dingen, zu denen wir laut und deutlich NEIN hätten sagen sollen. Und wieder: schuldig im Sinne der Anklage.

Zurück zum allein sein – gerade an einem Tag wie heute, wo jeder Hans und Franz meint, seine Meinung zur deutschen (Un)Einheit kundtun zu müssen, ist es mir verdammt lieb, keinen einzigen Schritt vor die Tür machen zu müssen. Alle Erledigungen müssen warten – denn es ist Feiertag; außerdem wurde gestern alles eingekauft, was man so braucht um auch Freitag zu überleben (wenngleich ich dabei nicht so kriegerisch vorging, wie manch anderer gestern Nachmittag…). Alle Mühsal und Anforderungen der Arbeit müssen warten – denn es ist Feiertag; und ich bin nicht mehr im Einsatzdienst tätig, was bedeutet, das NICHTS von meiner Arbeit tatsächlich zeitkritisch im echten Wortsinn ist! Alle Hetze muss warten – denn es Feiertag! Was nicht warten kann, ist das Kochen für die Familie und ein bisschen leichte Hausarbeit – ich lüfte ja ganz gerne. Nein, Spaß beiseite, an einem freien Tag unter der Woche wird erledigt, was sonst auf Grund der Zeitnot liegen bleibt. Das ist aber nie so viel, dass man nicht doch noch etwas Zeit für sich selbst findet. Die Familie trifft sich zu den Mahlzeiten, ansonsten kommuniziert man, wenn was Interessantes ansteht, oder man die Anderen an etwas teilhaben lassen möchte (kleine Tochter und Ehefrau tun dies gerne, die Teenagerin eher eingeschränkt und ich, wenn mir etwas einfällt…). Aber genau jetzt, da diese Zeilen entstehen, bin ich allein. Nicht einsam, denn ich könnte jederzeit Gesellschaft haben, sondern allein, weil ich die Sozialpause brauche, bevor morgen der Terror arbeitsinduzierter Dauererreichbarkeit wieder losgeht. Gott, ich freu mir grad ’n zweites Loch in den Hintern…

Gerade wenn man ganz gut im systemischen Denken ist, fällt einem leicht auf, wie viel Zeit manchmal mit Laberei und Bedenkenwälzerei und Abwarterei und (unnötig langwieriger) Fehlersucherei verschwendet wird, anstatt man einfach Dinge tut. Wenn manche Dinge sehr erfolgreich getan werden, ist es meist EINE Person, die alleine die Situation analysiert, einen Plan fasst, diesen umsetzt, die Zielerreichung überprüft, den Plan nachjustiert und wieder umsetzt. Solange, bis es passt. Denn der Spruch „Viele Köche verderben den Brei“ kommt nicht von ungefähr, beschreibt er doch wunderbar dieses, stets in Lenkungs- und Planungs- und Entscheidungs-GREMIEN zu beobachtende Phänomen der Verantwortungsdiffusion. Kombiniert mit Angst um die eigene Position, einer „Wasch mich aber mach mich bitte nicht zu nass“-Attitüde und einer Gruppengröße, die das Bystander-Phänomen wahrscheinlich werden lässt haben wir den Salat: Stillstand allerorten! Beschreibe ich gerade persönliche Erfahrungen aus der Arbeitswelt oder den Zustand unserer Nation an diesem heutigen Feiertag eben jener Nation…? Ist auch egal, denn am Ende kriege ich weder meine Hütte im Wald, noch die Entscheidungsgewalt, die es manchmal bräuchte, um die Dinge einfach tun zu können. Ohne unnütze Gremien, ohne Übervorsichtigkeit, ohne die typischen „Reichsbedenkenträger“ – und vor allem ohne diese panische Angst, sein Gesicht zu verlieren. „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen!“ Ich weiß, wo ich hin will (da gibt es manchmal sogar nur wenige Menschen, so wie ich es eigentlich mag) – und mir ist es in der Küche nicht zu heiß! Ich wünsche euch allen einen verfickt schönen TAG DER DEUTSCHEN EINHEIT! Feiert es oder verdammt es, ganz wie euch beliebt. Wir hören uns…

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°58 – Ein AI-Experiment…

Um es kurz zu machen und das Wichtigste an den Anfang zu stellen – ich habe einfach mal zum Ausprobieren DnD 5e mit ChatGPT 4o als SL gespielt… und DAS war eine in der Tat ungewöhnliche Erfahrung. And here comes why! Bevor ich in den Teil einsteige allerdings noch ein paar wenige Kontext-Informationen vorweg: Ich nutze ChatGPT 4o schon seit einer Weile für berufliche Zwecke und auch einfach so zum rumexperimentieren. Es erschien mir nämlich sinnig, etwas über eine Technologie wissen zu wollen, die manche als dämlichen, nutzlosen Tech-Fetisch betrachten, andere als Doomsday-Maschine, die BWLler natürlich als Gelddrucker und wieder andere als das geilste Ding seit dem Buchdruck. Ob generative KI mittels Large Language Models tatsächlich die von McLuhan beschriebene Gutenberg-Galaxis endgültig zerstört hat, bleibt noch abzuwarten. Aber aus dem Alltag vieler Kreativer ist sie bereits nicht mehr wegzudenken. Und auch als Pädagoge kann man damit durchaus produktiven Quatsch anstellen. Aber als mein Gegenüber am Pen’n’Paper-Spieltisch…? Da hilft nur selbst ausprobieren. Die Erfahrung war interessant und tatsächlich alles andere als langweilig; und ich habe über den Pen’n’Paper-Chat mit GPT ein paar Aussagen zu treffen…

  • Die Regelmechaniken von DND 5e scheint GPT 4o zumindest weitgehend zu kennen, vergisst jedoch regelmäßig, dass das Würfeln zum Spiel dazu gehört. Man muss GPT 4o also regelmäßig daran erinnern, dass NICHT alles funktioniert, nur weil man es (gut?) beschrieben hat und die Maschine regelrecht auffordern, einem Würfe abzuverlangen. Und der sportliche Ehrgeiz verlangt natürlich, dass hier NICHT gefudged wird! (Versteht sich von selbst, oder?)
  • Die Korrekturen, die ich GPT 4o vornehmen ließ, wenn ich gemerkt habe, dass die Maschie es sich – und auch mir – zu leicht macht, wurden schnell und weitestgehend sauber in den Spielfluss implementiert. Trotzdem blieb das Gefühl, mit einem Lazy Gamemaster zu spielen, der lieber alles handweaved und die einzelnen Szenen bullshittet, um so etwas wie einen Spielfluss aufrecht zu erhalten. Doch dazu gleich noch etwas mehr.
  • Die Beschreibungen, welche GPT 4o verfasst, sind oft blumig, gelegentlich redundant, aber das LLM bemüht sich wenigstens redlich um den Versuch, dramatische Spannung durch stimmungsvollen Fluff zu unterstützen. Aber ja, Wiederholungen passieren dauernd, wenn man die Maschine nicht daran erinnert, dass es auch noch mehr Variationen bestimmter Themen gibt. Es wirkte ein bisschen so, als wenn die Maschie irgendwann mal Walter Ong (Buchreferenz unten) gelesen hätte, weil die Texte teilweise wirkten, wie die rein mündlich überlieferten Erzählungen der griechischen Antike; Überzeichnung von Merkmalen, Adjektiv-Überfluss, Dopplungen und so verstärkte Bilder waren als Mnemotechniken für die rein aus dem Gedächtnis rezitierenden Erzähler jener Zeit wichtig. Hier wirkte das des Öfteren ungewollt komisch.
  • Die Abenteuer, welche sich die Maschine ausdenkt, sind streckenweise sehr generisch und ein bisschen zu einfach. Man muss allerdings auch bedenken, dass die Maschine einerseits eine Lernkurve absolvieren muss, auf Material aus dem Netz zurückgreift (von dem bei weitem nicht alles gut ist) und von mir zumindest am Anfang nur recht wenig Kontextinformationen abseits der gewünschten Spielwelt, des Spielstils und der Charakterbeschreibung bekommen hatte, einfach weil ich neugierig war, was GPT 4o so zusammenbullshitten würde… Bald wusste ich, wenn du auf einer Mission bist, die urbane Informationsbeschaffung und Sabotage gegen irgendwelche Söldner beinhaltet, gibt’s in der ganzen Stadt plötzlich nur noch Lagerhäuser… Aber ich will ehrlich sein – ich habe von menschlichen SL (allerdings auch sehr unerfahrenen) schon schlechtere Szenarien serviert bekommen.
  • Die technische Reaktionszeit sinkt allerdings, je länger der Thread des Spiels wird deutlich und es kommt auch zu Bearbeitungsabbrüchen, was ein Neuladen des Threads notwendig macht. Bislang habe ich GPT 4o allerdings noch nicht dazu bekommen, den Thread durch technische Fehler komplett zu killen. Es wirkt so, als wenn die Maschine jedesmal den ganzen Thread noch mal von vorne durchgeht.

Natürlich habe ich dieses kleine Experiment zum Zwecke meiner eigenen Unterhaltung begonnen. Wenn ich jetzt allerdings so darüber nachdenke, drängt sich mir einmal mehr die Frage auf, welchen Sinn die Nutzung von Large Language Models wie GPT 4o überhaupt haben soll. Welchen Zweck ich damit verfolge, ist per Anwendungsfall klar: wenn ich das beruflich nutze, erstelle ich oft Grafiken für Präsentationen, ich lasse mir größere Datenmengen (Studien, Leitlinien, etc.) zum Überblick und/oder Vergleich zusammenfassen und wenn man etwas Handarbeit zum Feinschliff investiert, kan man sich auch für verschiedene Themengebiete Multiple-Choice-Fragenkataloge zusammenstellen lassen. GPT 4o schreibt dir theoretisch auch einen Unterrichtsverlaufsplan, wenn du die Maschine mit genügend Kontextinformationen fütterst. Man darf dann allerdings nicht mehr als Standardkost erwarten, weil die Maschhine das mit vernünftigem Methoden-Pluralismus nicht so drauf hat. Aber als Inspiration ist es manchmal ganz okay. Alles bisher genannte sind jedoch lediglich klar definierte Einsatzzwecke, bei denen eine bestimmte Partikularaufgabe aus einem Arbeitspaket an die Maschine delegiert wird, um Zeit und Nerven zu sparen. Und ich darf davon ausgehen, dass ich solche Handlungsoptionen nicht exklusiv nutze. Aber der Sinn dahinter, dass ist es doch, womit die Menschen hadern; wir fremdeln mit der Idee, dass ein Algorithmus in der Lage sein soll, eine Aufgabe zu erledigen, für die es bislang einen Menschen brauchte. Doch eigentlich ist das lediglich eine Weiterentwicklung. Einer der ersten Computer – Colossus – wurde in Großbritannien während des 2. Weltkrieges entwickelt, um die Codes der Enigma– und Lorenz-Maschinen zu knacken; weil Menschen viel zu lange gebraucht hätten, um dies zu tun. Man hatte ja eine zeitliche Dringlichkeit, weil es um laufende militärische Operationen ging. Konsequent weiter gedacht nutzen ich und viele andere Menschen auch heutzutage sogenannte KI-Anwendungen einfach nur, um bei der Arbeit Zeit zu sparen. Wie die Leute in Bletchley Park damals auch. Okay soweit.

Und jetzt habe ich KI einfach benutzt, um damit zu spielen? Ja klar – das tue ich doch auch, wenn ich irgendein x-beliebiges Videospiel an der Playse zocke. Oder was glaubt ihr, wie die Reaktionen eurer Gegner generiert werden. Dahinter steckt ein – zumeist zugegeben sehr einfach gestricktes – Small Reasoning Model, dass versucht (je nach eingestelltem Schwierigkeitsgrad, fall das Spiel so etwas hat) eine glaubwürdige, taktisch halbwegs sinnvolle Antwort auf mein Handeln als Spieler zu finden – und das bitte schnell! Ist im Kern das gleiche, wie ein LLM, nur dass man nicht das Gefühl hat, in der Maschine würde jemand sitzen und mit mir Konversation betreiben. Dem Einsatz von künstlicher Intelligenz – oder dessen, was wir heute darunter verstehen – einen Sinn zu geben, davon sind wir noch sehr weit entfernt. Was vermutlich daran liegt, dass viele Menschen nicht verstehen können, was in diesen Algorithmen passiert – und das die Ergebnisse bislang nicht viel mehr sind, als ein zufälliger, durch meine Eingaben in eine gewisse Richtung manipulierter Remix oder Mashup von Quellmaterial, dass im Internet zu finden ist – und das in den allermeisten Fällen von Menschen stammt. Letztlich ist ein großer Teil dessen, was KI heute alles kann und macht also nur geklaut. Das wird sich irgendwann ändern. Aber wie schnell und was daraus erwächst… keine Ahnung! Aber wir Menschen waren schon immer toll darin, Dinge zu entwickeln, weil wir GLAUBEN, damit ein (oft hoch individuelles) Problem zu lösen und dann einfach mal zu schauen, was man damit alles anstellen kann. Genau das passiert jetzt. Und ich habe mich zu einem Zeil davon gemacht, indem ich, von einer Mischung aus Neugier, forensischem Interesse und Spieltrieb motiviert die Maschine trainiere, als Spielleiter für Pen’n’Paper fungieren zu können. Ich bin mal gespannt, welchen Sinn ich darin finden werde. Euch einen schönen Start in die neue Woche.

  • Buchreferenz: Ong, Walter (1987, 2016): Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. 2. Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien, Kapitel 4.2, S. 31 ff.

New Work N°18 – Ein Wert an sich…?

Hört man immer mal wieder: „******** sei ein Wert an sich!“ ; man kann hier alles Mögliche einsetzen, und der Satz mag dann für den jeweils Einsetzenden einen Sinn ergeben; die Anderen werden jedoch oft zu einem divergierenden Ergebnis kommen. Das Problem mit Debatten über „******** als Wert an sich“ ist nämlich, dass sie niemals beendet sein können! Da ein ETWAS, das IRGENDJEMAND als „Wert an sich“ definiert damit nicht automatisch einer Legaldefinition unterworfen ist, sondern schlicht dem Gutdünken des jeweils tätigen Definitors. „Definitor“ klingt in diesem Fall nicht nur ähnlich wie „Dementor“, es hat auch die gleiche Wirkung: man vergisst wesentliche Dinge. Wie etwa die Notwendigkeit, Konsens herstellen zu müssen, wenn alle diesen eben definierten „Wert an sich“ dann auch als einen solchen respektieren sollen. Ich dekliniere das einfach mal kurz für mich selbst durch und setze an Stelle der ******** den Begriff „Wachstum“ ein. Ach ja, was soll ich denn jetzt noch sagen. Lest doch einfach mal „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“. Wir wissen erst seit 52 Jahren, dass Wachstum als Wert an sich NICHT FUNKTIONIERT, SONDERN DIE MENSCHHEIT IN DEN ABGRUND TREIBT! Nehmt das endlich zur Kenntnis und versteht, das Nachhaltigkeit absolut NICHTS mit dauerndem Wachstum sondern mit anhaltendem Konsolidieren, mit Degrowth, Recycling, Upcycling, Refurbishing und damit geringerem Ressourcen-Verbrauch zu tun hat. Und das Marktanteile, egal in welchem Wirtschaftsbereich damit auch kein Wert an sich sein können. NIEMALS!

Der Biene in dem Bild zuzusehen hatte einen Wert an sich, weil es mich an verschiedene Aspekte des Lebens gemahnte, die des ständigen Erinnertwerdens wert sind: a) meine geringe Rolle im großen Zyklus des Lebens, b) meine Vergänglichkeit und c) die unfassbare Wichtigkeit kleiner Dinge. „Bildung“ zum Beispiel hat einen Wert an sich – aber nur, wenn diese nicht zur Ware degradiert wird. Immer wieder wird geredet über die pädagogische Exzellenz, die man in manchen Einrichtungen der beruflichen Bildung vorfindet. Und dann wird im nächsten Atemzug nur noch über wirtschaftliche Entwicklung gesprochen – und die pädagogische Entwicklung spielt KEINE Rolle mehr, weil BWL-Menschen nur KPI im Kopf haben. Mein Key Performance Indicator ist die Menge an Zeit, welche wir tatsächlich damit verbringen können, den jungen Menschen Entwicklungsanlässe zu geben, Ihnen Entwicklungsrouten zu zeigen, ihre Entwicklungsfortschritte auf diese Routen sichtbar zu machen und ggfs. die individuellen Entwicklungsrouten anzupassen. Aber all das passiert nicht auf dem einem vorgegebenen Weg, sondern ist Ergebnis hoch dynamischer, iterativer Anpassungsprozesse, die Expertise, Geduld und Führungsstärke seitens des Lehrpersonals brauchen. All diese Dinge müssen mühsam kultiviert und entwickelt werden; denn Lehrende sind zugleich auch immer auch Lernende. Etwas, das BWL-Menschen gelegentlich zu vergessen scheinen. Und noch etwas wir immer sehr gern ignoriert: Jede einzelne abgehaltene Unterrichtsstunde erzeugt automatisch eine weitere Unterrichtsstunde an Vor- und Nachbereitungsbedarf; und diese Zeit taucht in keiner Berechnung wirklich vollumfänglich auf. Weil man dann nämlich die Idee, das Bildung Geld verdienen muss endgültig ad acta legen müsste.

Denn… die berufliche Bildung, die wir leisten, ist ein Wert an sich! Eine Investition in die Zukunft. Eine Hypothek, die wir aufnehmen in der Hoffnung und dem guten Glauben, in jungen Menschen die Haltung, die Humanität, die Professionalität und das Können entstehen zu lassen, die es braucht, um der Gesellschaft wirklich dienlich sein zu können. Wirtschaftlich sinnvolles, verantwortungsbewusstes Handeln ist ein notwendiges Übel, um diese Hypothek bezahlen zu können; nicht weniger – aber auch kein Jota mehr! Wachstum hingegen ist eine Schimäre, der nachzujagen lediglich dazu führt, dass das notwendige Übel die Oberhand über den Umfang der Hypothek bekommt – und damit den Wert an sich verkleinert, bis er kaum noch zu sehen ist. Und ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass ich derzeit den Schimären diene. Was mich in ein Dilemma führt. Denn den Schimären zu dienen, ist in unserer heutigen Gesellschaft der EINZIGE Weg in jene Jobs, die so gut bezahlt werden, dass man ehedem durchaus greifbare existenzielle Ängste einfach ablegen kann. Oder anders formuliert – ich verhure mich gerade, während meine Überzeugungen einen langen, langen Urlaub machen müssen. Wäre ich ein weniger duldsamer und verantwortungsbewusster Mensch, hätte ich schon lange hingeschmissen!

Die beste Ehefrau von allen liegt mir schon seit Monaten in den Ohren, dass ich mir was Anderes suchen soll. Vermutlich könnte ich das. Aber… zum einen mag ich mein Team, zum anderen habe ich diese Stelle angetreten, um gestalten zu können. Und ich habe diese Hoffnung noch nicht aufgegeben, auch gegen die Widerstände des Geldes gestalten zu können, weil ich von der Wichtigkeit der Kernaufgabe – nämlich berufliche Bildung richtig zu betreiben – nach wie vor überzeugt bin! Außerdem habe ich Rechnungen zu bezahlen und mit 50 wird es halt schwieriger, einen neuen, äquivalent bezahlten Job zu finden. Wer sagt mir überdies, dass es woanders nicht schlechter oder auf andere Art Scheiße ist…? Wie man es auch dreht, einfacher wird es nicht. Also kämpfe ich weiter gegen anderer Leute Schimären und versuche ihnen eine andere Wahrnehmung der Realität aufzuzeigen. Ansonsten wäre ich als Konstruktivist ja auch am falschen Platz. Aber für BWL-Menschen gilt halt: wenn du einen Taschenrechner und eine Tabelle hast, sieht alles aus wie eine Kennzahl… Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

From Hell – a little tale about dys-democracy!

Am Ende des Tages schreiben so viele Leute über das, was da am Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen passiert ist, dass ich meinen Senf eigentlich nicht mehr dazu geben müsste. Aber „eigentlich“ ist einer der Endgegner, an denen wir genausowenig vorbeikommen, wie am Wäscheberg, wenn sich das werte Auditorium entsinnen möchte… Und ich finde, dass ein Aspekt mindestens ebenso unterbelichtet geblieben ist, wie die Wahlentscheidung pro AfD. Adolf Höcke hat sich inszeniert und die AfD (Arbeitsgemeinschaft für Demokratie-feindlichkeit) hat leider ihre antisocial-media-Arbeit so richtig gut gemacht. So gut, dass über 40% Jungwähler ihr Kreuz bei diesem Faschistengeschmeiss gemacht haben! Und der EINZIGE Grund dafür ist, dass unser Bildungssystem es immer und immer wieder vergeigt, Trends in das Klassenzimmer zu holen, junge Menschen da zu packen, wo sie tatsächlich unterwegs sind und den sogenannten Bildungs-Kanon einfach mal Kanon sein zu lassen. Nehmt bitte endlich mal Folgendes zur Kenntnis: Bildung und Kultus sind NICHT Ländersache! Bildung und Kultus müssen von Menschen organisiert werden, die verstehen, wie ihre Zielgruppen ticken, ohne dabei grundlegende Ideale aus den Augen zu verlieren – niemals jedoch von irgendwelchen Hobos, die ausschließlich wegen des Parteiproporzes in Ämter gehievt werden, um von dort dann ihr Ahnungs- und Talentlosigkeitsinduziertes Unheil verbreiten zu dürfen. Gell, Frau Eisenmann und Frau Schopper…? Kann solche selbstgefälligen Idioten als Kultusminister bitte mal irgendjemand entsorgen; und am besten einen nicht geringen Teil der Ministerialbeamten gleich mit.Parteipolitiker und Verwaltungsjuristen haben nämlich in den allermeisten Fällen von Bildung so viel Ahnung, wie Schweine vom Fliegen!

Anstatt die Lebensrealität des frühen 21 Jahrhunderts einfach mal zur Kenntnis zu nehmen und Medienanalyse, Medienkritik und Mediennutzung so nachhaltig in den Unterricht zu integrieren, dass die Schüler*innen auch etwas von dem zur Kenntnis zu nehmen bereit wären, worüber da gesprochen wird, arbeitet man sich vielerorts immer noch an einem Curriculum aus der Steinzeit ab – und wundert sich dann, dass die derart Beschallten abschalten oder sich mit anderem Schall ablenken, um in den Pausen sodann schallend über die Realitätsferne ihrer Lehrer zu lachen… Ja, kann man so machen. wenn man aber nun wenigstens gelegentlich neuere Studien liest, könnte einem klar sein, dass die Gen-Z heutzutage nicht mal mehr googelt, sondern TikTokt, um sich Infos zu besorgen. Und wer ist jetzt auf TikTok noch mal besonders präsent? Ach ja – die Faschos, stimmt ja…! Ja so ein Mist aber auch. Ganz ehrlich: auch ICH habe schon als 14-, 15-jähriger nicht verstanden, wozu es gut sein soll, Gedichte interpretieren zu können. Vermutlich deshalb habe ich auch alles vergessen. Das Einzige, was mir von damals noch präsent ist, sind die Begriffe Jambus, Daktylos und Trochäus; aber wie diese Versmaße noch mal genau gingen…? Es hat mein Leben (und das war bis in meine 20er Prä-Internet) in KEINSTER WEISE beeinflusst. Genausowenig, wie die interpretation, der „Leiden des jungen Werther“. Ich habe schon lange Depressionen und weiß daher heute worum es da geht, aber dieser dämlichen Pussy aus dem Buch habe ich trotzdem von Herzen den Tod gewünscht! Wir versuchen junge Menschen von HEUTE mit Material von GESTERN für die Fragen von MORGEN fit zu machen und wundern uns, das alles den Bach runtergeht? Ja, kann man schon so machen, aber dann wird’s halt Scheiße; von der Farbe her passt es ja schon!

Die Antisozialen Medien haben eine Aufmerksamkeitsökonomie geschaffen, die viele von uns Gen-Xern nur unzureichend verstehen. Eines kann einem aber klar werden: so geht es nicht weiter! Interesse an Kunst und Kultur wecke ich nicht, indem ich den Leuten immer wieder das Gleiche serviere. Die Künstler von damals (etwa Da Vinci) haben ihre Werke nicht geschaffen, damit 550 Jahre später Massen daran vorbeigeschleust werden, damit diese enkulturalisiert werden – das funktioniert sowieso nicht. Denn Menschen suchen sich selbst aus, welche Kulturartefakte für sie relevant und damit interessant sind. Es mag den einen oder anderen jetzt irritieren, aber die subjektiven Ziele des Individuums verändern sich im Lebenslauf ganz von selbst. Und so ist es auch mit Schule. Ich kann nicht erwarten, dass Inhalte von gestern oder gar vorgestern die Kids hooken, selbst wenn diese mit Methoden von heute präsentiert werden. Fehlt der Bezug zur aktuellen Lebensrealität, funktioniert das einfach nicht. Und diesen Bezug herzustellen, ist vielen sogenannten Pädagogen offenkundig nicht gegeben; ich erlaube mir diese Kritik als einer, der selbst Pädagoge ist und vage versteht, wie Bezugsherstellung funktioniert.

Was ist also in Sachsen und Thüringen passiert? Ganz einfach: junge Menschen, die sehr wohl sehen und verstehen können, dass unsere Gesellschaft heute reale Probleme hat, bekommen auf TikTok vermeintlich schnelle Lösungen präsentiert, sind aber auf Grund ihrer Bildung und Erziehung (oder beser des Mangels daran) – und natürlich auch auf Grund ihrer Jugend – nicht in der Lage, differenziert zu sehen, dass Faschisten einen nirgendwohin führen, außer ins Verderben. Ihr haltet das für zu sehr vereinfacht? DANN ERKLÄRT MIR, WAS TATSÄCHLICH PASSIERT IST? Bis irgendjemand mit einer besseren Erklärung um die Ecke kommt, bleibe ich dabei, dass unser Bildungssystem gerade scheitert; und dass die verpopulistisierten (und teilverblödeten) Marktfetischisten von der Käsepartei (FDP heißen die glaube ich) auch noch Investitionen in Bildung kaputtsparen wollen, weil ihre Lobbyisten von solchen Investitionen keinen direkten Return of Investment generieren können. Ich kann verstehen, dass man die Ampel nicht gut findet. Ich finde sie vor allem wegen des kleinsten Lichtes nicht gut. Aber das war mit einem narzisstischen Idioten wie Christian Lindner als Finanzminister auch nicht anders zu erwarten. Genug geschimpft. Starten wir in eine tolle neue Woche und hoffen, dass die Blauen trotzdem NICHTS zu melden haben werden. Adieu!

Auch als Podcast…