Muss ich meine Prioritäten überdenken?

Ich weiß wirklich nicht, warum Kätzchen- und Kindervideos, Bilder vom persönlichen Mittags- oder Abendmahl, Witze aus allen erdenklichen Schubladen und dieser mittlerweile unerträglich gewordene „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Dreck, den man verdammt nochmal nicht sagen, ja nicht mal denken sollte täglich 1000-fach und öfter geteilt, geliked und kommentiert wird. Um ehrlich zu sein offenbart das in meinen Augen, dass die Gesellschaft um mich herum langsam tatsächlich an dem Punkt anlangt, an dem wir alle fit sind: (f)aul, (i)ndolent und (t)räge (für diese Interpretation kann ich dir gar nicht oft genug DANKE sagen, Jochem). Ich kann an manchen Tagen nicht mal annähernd so viel fressen, wie ich kotzen möchte, wenn ich durch’s Fratzenbuch scrolle und das passiert mir mittlerweile immer öfter. Nicht etwa, weil Facebook plötzlich schlimmer geworden wäre, sondern weil zumindest aus meiner Sicht immer mehr Menschen sich vollkommen im Eskapismus verlieren, alle Kritikfähigkeit verlierend falschen Propheten und ihrer Demagogie hinterher laufen und glauben, sie hätten wirklich eine eigene Meinung; dabei konsumieren sie lediglich Bullshit, der als ganz großes Kino verpackt wird. Sorry, ich brauche jetzt mal eben ein Bügeleisen für meine aufgerollten Zehennägel!

Ja, soziale Medien sind eine ganz hervorragende Bühne für das Paradieren der eigenen Meinung, ganz gleich wie unfundiert, unreflektiert oder auch schlicht dumm diese sein mag. Eine Zeitlang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob ich meine Prioritäten mal wieder überprüfen, ja vielleicht sogar ändern müsste. Ich habe lange nachgedacht, gelesen, wieder nachgedacht, noch Mal gelesen und noch mehr nachgedacht und ich kam niederschmetternder Weise zu dem Ergebnis: NEIN, nicht ICH bin hier zu wenig empathisch, zu unreflektiert und zu wenig Kritikfähig, sondern ganz viele andere. Leute zum Beispiel, die tolle Webmeldungen teilen, in denen die Rede davon ist, dass man ja ganz doll was für Immigranten tun kann, wenn erst mal unsere eigenen Armen abgefüttert sind. Nur so zur Info: die Grundsicherung für Asylbewerber liegt unter dem Hartz-4-Regelsatz, auf den ja noch Wohngeld und verschiedenes Anderes drauf kommt. Natürlich ist der Hartz-4-Satz eine Zumutung für Jene, die Jahrzehntelang gearbeitet haben und unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind; aber er wurde so beschlossen, weil Ende der 90er klar war, dass man das System, wie es bisher existiert hatte nicht mehr würde finanzieren können. Und das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun, sondern damit, dass man die Unternehmen mit der Möglichkeit zur früheren Verrentung dazu eingeladen hatte, Sozialkosten, die sie durch Belastung ihrer Arbeitnehmer erzeugt hatten auf die Renten- und Sozialkassen abzuwälzen. Bei Geschenken für die Wirtschaft war die CDU schon immer große Klasse.

Doch zurück zu den bösen Migranten. Sie nehmen also Geld aus „unseren“ Kassen. Den Umstand, dass viele unserer Mitbürger mit fremden Wurzeln hier seit Jahrzehnten in diese Kassen einzahlen, wird dabei gerne unterschlagen; ebenso wie der Umstand, dass die Mehrzahl von den Neuankömmlingen hier gerne arbeiten würde, dies bei schwebendem Asylverfahren jedoch nicht erlaubt ist. Lasst sie doch an der Wertschöpfung teilnehmen, solange darüber beraten wird, ob sie hier bleiben können/müssen oder nicht. Zu tun gäbe es genug. Und um Louis C K hier mal zumindest sinngemäß zu zitieren: “Klar nehmen Ausländer dir deine Arbeit weg. Aber wenn jemand ohne Sprachkenntnisse, ohne Verbindungen und ohne Lobby das kann, dann bist DU vielleicht einfach nur Scheiße!“ Ohne Polemik kann man sagen, dass unser Wirtschaftssystem, dass nur auf dem dummen Prinzip des „immer mehr“ basiert auch immer neue Arbeitskräfte absorbieren und nutzen kann. Angst vor Überfremdung? Wenn überhaupt irgendetwas auf der Erde konstant ist, dann der Wandel. Unsere Welt verändert sich ständig. Wirtschaftlich, politisch, sozial, technisch, einfach alles ist in Bewegung. Eingedenk dieser Tatsache kann man doch nicht ernsthaft erwarten, dass ausgerechnet die eigene kleine Umwelt davon ausgespart bleibt. Zudem steht jede entwickelte Industrienation vor dem gleichen Problem: stagnierende Geburtenraten, die langfristig zu einer Negativentwicklung der Bevölkerungszahlen führen. Anscheinend führt eine Zunahme des Wohlstandes zu einem Abnehmen der Gebärfreudigkeit. Das mag damit zusammenhängen, dass in weniger entwickelten Nationen Kinder für die Versorgung ihrer Eltern im Alter sorgen müssen. Halbwegs entwickelte Sozialversicherungssysteme machen derlei obsolet.

Da waren sie also, meine Prioritäten, um sie noch mal kurz aufzuzählen: Migration? Check, immer noch aktuell, immer noch zu viele Blödköpfe, die einfach nicht kapieren, dass so lange wir beim aktuellen Modell des Kapitalismus bleiben, wir uns Migration nicht verschließen können, weil sonst unsere Wirtschaft den Bach runter geht. Und bis es eine neue Wirtschaftsform gibt kann noch einige Zeit vergehen. Womit wir nahtlos zu sozialer Gerechtigkeit kämen – Check, auch hier bleiben noch einige verbale Lanzen zu brechen, bis wenigstens ein paar begriffen haben, dass Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik untrennbar verbunden sind. Ja genau – Bildung! Check, da bleiben noch einige televerbale Entgleisungen meinerseits zu erledigen: NEIN unser Bildungswesen ist nicht gut, NEIN früher war nicht alles besser! Die aktuelle Politik? Check; aber da fange ich gar nicht erst an, sonst trifft mich der Schlag. Dschihadisten und Salafisten, Außen- und Sicherheitspolitik, Beziehungen zu anderen Staaten… da gibt’s einiges zu bedenken.

Ob ich arrogant bin? Ja gelegentlich ganz sicher und zwar, weil ich es mir leisten kann, denn ich habe über das, was ich hier von Stapel lasse zuvor gründlich nachgedacht, recherchiert und auch diskutiert! Und ich kann es öffentlich zugeben, wenn ich mich mal irre. Aber meine Prioritäten und das Meinungsfundament, auf welchem sie stehen haben solide Wurzeln, die noch einige Belastungen aushalten werden. Und das ist auch wichtig, wenn ich mich vielleicht irgendwann doch anschicke, von der Position des Beobachters in die des Akteurs zu wechseln. Vielleicht nicht schnell und vielleicht nicht gleich ganz, aber irgendwann ganz sicher. In diesem Sinne, immer schön weiter den Dummschwätzern nachlabern und Dummes tun, damit ich was zum Zerfetzen habe…

Good old Bildungshysterie

Dieses Rumhysterisieren, dass mit der Bildung früher alles besser war und dieser Hype darum, dass man als Kind der 70er ja so viel cooler und normaler aufgewachsen ist, als dies heute der Fall sei, geht mir jetzt so langsam auf den Sack – und zwar gehörig. Doch zuerst zur Bildung. Ich finde es auch fragwürdig, dass jede Legislaturperiode das Rad der Bildungspolitik neu zu erfinden versuchen muss, denn obwohl sich vielleicht das Verständnis um die Kognitionspsychologie im Lauf der Zeit erweitert haben mag, ist die Zahl der als bewährt geltenden Methoden der Unterrichtung doch bis heute recht überschaubar. Dennoch führt ein verändertes Farbenspektrum in der personellen Besetzung von Ministerien stets dazu, dass auch um jeden Preis veränderte Akzente in der Politikgestaltung gesetzt werden müssen; getreu dem Motto: „Sehr her, wir machen das jetzt anders!“

Das anders nicht unbedingt besser bedeutet weiß jeder, der mal einen Wechsel an der Spitze eines Unternehmens aus erster Hand erleben durfte, denn letztlich ist das, was da in irgendwelchen Verwaltungen geschieht nichts anderes, als das „Neue-Besen-kehren-gut“-Syndrom, dass man häufig bei der Vergabe von Führungsposten beobachten kann. Bezogen auf unser Bildungswesen finde ich es besonders belustigend, dass man infolgedessen überall die Grabenlinie „links = progressiv = Vernichtung unserer edlen humanistischen Bildungstradition“ versus „rechts = konservativ = Beförderung sozialer Ungleichheit durch überkommene Strukturen“ ausmachen kann. Und beide Seiten hauen sich das genüsslich um die Ohren, setzen politisches Weltbild mit Bildungsrealität gleich und liefern sich ideologische Gefechte, die an den realen Umständen vollkommen vorbei gehen und den Opfern von Bildungspolitik – vulgo unseren Kindern – kein Stück weiter helfen.

Da wird die Aufweichung von Bildungsstandards beklagt, die zunehmende Unfähigkeit von Schulabgängern hinsichtlich Schriftsprache, Grundrechenarten, etc. und dabei immerzu darauf hingewiesen, dass der jeweilige ideologische Gegner gerade dabei sei, die Zukunft unserer Nation, die ja in den Händen unseres Nachwuchses liegt – wenigstens dabei sind sich korrekter Weise alle einig – aus Unfähigkeit auf’s Spiel zu setzen. Doch genau das, nämlich die Zukunft folgender Generationen auf’s Spiel setzen haben alle Regierungen in Bund und Ländern in den letzten 30 Jahren getan, indem sie die Bildungssysteme samt und sonders auf Verschleiß gefahren haben, sich auf den vermeintlichen Lorbeeren der Bildungsexpansion ausruhend. Anstatt dem wirtschaftlich-finanziellen Komplex die Kohle vorne und hinten reinzuschaufeln, um Ungleichheiten auszubauen und zu zementieren hätte man – so man Weitblick besessen hätte, der über die nächste Wahl hinausreichte – Bildungs-, Sozial- und Fiskalpolitik als das begreifen können, was sie sind; nämlich untrennbar verbunden. Nur dann hätte man sich ja nicht in bequemen Lobbyarrangements einrichten und auf Friede-Freude-Eierkuchen machen können. Und auch Politiker sind nun mal Harmoniebedürftig.

Dieses ganze Geseire um verfehlte Bildungspolitik, an der immer nur die Anderen Schuld haben, geht also vollkommen an des Pudels Kern vorbei. Vielmehr müsste unser komplettes Bildungswesen auf den Prüfstand, unter der Prämisse, dass man tatsächlich bereit wäre, frisches Geld in die Hand zu nehmen und – sofern sinnvoll – auch neueren Ansätzen mehr Raum zu geben. Eine deutliche Verbesserung schulischer wie hochschulischer Infrastruktur und personeller Ausstattung ist eine Sache, ebenso muss aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der frühen Dreigliedrigkeit unseres Schulwesens neu gestellt werden. Der Sinn immer weiter um sich greifender Akademisierung darf ebenso hinterfragt werden, wie das Beharren auf tradierten Unterrichtsformen. Aber all dies müsste parallel und ohne Parteiideologisches Gezuchtel geschehen. Doch dafür sind weder unsere Gesellschaft, noch jene, die sich offenkundig berufen fühlen, sie zu gestalten wohl schon reif genug. Sich aber stattdessen mit dem immerzu anklagenden Zeigefinger zufrieden zu geben, ist der Wichtigkeit der vielen, eigentlich jetzt anstehenden Probleme nicht angemessen. Und einmal mehr gilt Ghandi: sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Das bleibt gültig, auch wenn sein soziales Weltbild mittlerweile kritisch betrachtet werden muss.

Aber mit diesem Gejammer über das angeblich nicht mehr stattfindende Anhäufen enzyklopädischen Wissens, den auch viele im Bildungsgeschäft Tätige immer noch mit wahrer Bildung verwechseln, hört doch jetzt bitte mal auf. Das wird langweilig und hilft keinem weiter. Und nun, da ich mit dem eigentlich wichtigen Teil fertig bin, noch ein paar gut gemeinte Worte an all jene, die auf Facebook jeden Tag tausendfach diesen Müll teilen, wie toll sie doch sind, weil sie die 70er überlebt haben. Diese Periode war die letzte, in der hierzulande noch der ungebremste Wohlstandszuwachs und Fortschrittsglaube die Welt zu regieren schienen, während überall sonst der Friede längst am zerbrechen war. Auch ich bin in jener Zeit Kind gewesen; Kind in einer der reichsten Nationen auf dem Globus, umgeben von allem, was damals das Herz begehren konnte. Die Welt hat sich seitdem geändert und neue Zeiten bringen neue Kulturformen hervor. Hätte ich mit 10 einen Computer, ein Tablet und ein Smartphone gehabt… Tut doch bitte nicht alle so, als wäre es eure Leistung, in den 70ern aufgewachsen zu sein. Wenn Überhaupt, so war es die Leistung eurer Eltern, die all das ermöglicht haben! Ich kann’s nicht mehr sehen oder hören, wie ihr euch einen darauf runterholt, damals geboren zu sein. Ja es war ‘ne geile Zeit, aber wenn es überhaupt irgendwas gibt, worauf man stolz sein sollte, dann dafür zu sorgen, dass DIESES Jahrzehnt für die eigenen Kinder auch eine geile Zeit gewesen sein wird, wenn die irgendwann zurück blicken. Hoffentlich gibt’s dann aber kein Facebook mehr, wo unsere Kinder sich dann…

Verdammt, ich bin Egoist!

Diese Erkenntnis traf mich die Tage, als ich bei der Nachricht, dass ein guter Freund mit einer durchaus nicht unernsten Erkrankung im Krankenhaus liegen würde, zuvorderst daran dachte, wie sehr ich die Zeit mit ihm missen würde; und dass es verdammt nochmal unfair wäre, wenn wir nicht dazu kämen, eine gemeinsam erzählte Geschichte (er ist genau wie ich leidenschaftlicher Fantasy-Rollenspieler), in die alle Teilnehmer viel Zeit und Herzblut investiert haben, zu einem würdigen Ende zu bringen. Und in der nächsten Sekunde schalt ich mich dafür, wie ich nur so unsensibel sein und MEINE Erwartungen mit ins Spiel bringen kann, wenn es doch jetzt um seine Gesundheit geht. Was dazu führte, dass ich eine ganze Weile nachdenken musste. Zuerst unbewusst, doch immer mehr schälten sich aus, zunächst inkohärenten Gedanken Strukturen, die den ersten Impuls in einem nicht ganz so schlechten Licht erscheinen lassen (zumindest hoffe ich das!).

Ganz unverblümt muss ich sagen, dass wir einander nach einer langen Phase der Stille als Freunde wieder gefunden haben und dass ich seine sehr direkte und erdverbundene Art zu schätzen weiß. Die doch relativ große Gelassenheit, mit der er eine chronische Erkrankung hinnimmt und den Menschen um sich herum dennoch – auf seine besondere Art – immer etwas zu geben versteht, macht mich einfach immer wieder glücklich, ihn zu kennen. Auch wenn er manchmal hart zu mir sein kann. Ich brauche das! Das erdet mich und holt mich auch gelegentlich runter, wenn ich mich verrannt habe. Ohne dass wir darum allzu großen Bohei machen müssen. Bei guten Freunden ist das halt so. Und es gibt wenig genug Menschen in meinem Leben, von denen ich das so sagen würde.

Womit wir zum egoistischen Part kämen. Ich denke, dass es umgekehrt genauso läuft, denn wir lachen zusammen, haben wann immer wir miteinander etwas unternehmen eine gute Zeit, lassen die Sorgen nicht zu schwer werden und da ist diese Sicherheit, den Anderen rufen zu können, wenn irgendwas ist. Geben ist leicht, wenn man im Gegenzug auch etwas dafür bekommt. Das ist es, was unser Miteinander ausmacht; zu wissen, dass man zu jeder Zeit etwas zurück bekommt, wenn man es nötig hat. Freundschaft ist ein Investment auf gegenseitiger Basis zwischen Menschen, die sich verstehen, ohne allzu viele Worte machen zu müssen. Ich denke, er würde sich ganz ähnlich äußern, wenn das sein Stil wäre. Sich Sorgen machen und sich fragen, ob wir wohl noch Mal so gute Zeiten zusammen haben können. Im Moment sieht es danach aus, als ob wir uns da keine Sorgen machen müssten, aber man weiß ja nie. Und genau deshalb schäme ich mich nicht für mein kleines bisschen Egoismus. Weil ich weiß, dass wie beide wissen, dass diese gemeinsame Zeit kostbar ist und durch nichts ersetzt werden kann. Dass wir beide daran hängen und hoffen, dass es noch lange so sein möge, auch wenn niemand dafür garantieren kann.

Natürlich habe ich ihn am nächsten Tag im Krankenhaus besucht, wir haben uns lange unterhalten und ich hätte ihm sehr gewünscht, dass es ihm schon besser ginge, aber jeder, der schon mal einen lieben Menschen im Krankenhaus besucht hat weiß, dass diese Situation für beide Seiten beschissen ist, weil derjenige der liegt nicht derjenige sein kann, der er wäre, wenn alles in Ordnung wäre. Sich trotzdem zu vergewissern, dass die Dinge in nächster Zeit wieder halbwegs ins Lot kommen ist dennoch für alle Beteiligten wichtig. Für ihn, damit er weiß, dass auf der anderen Seite der hässlichen Krankenhauswände Menschen auf ihn warten, denen er etwas bedeutet; und für mich, um mir selbst beweisen zu können, dass dieses bisschen Egoismus, dass ich eben an den Tag gelegt habe nicht so schlimm ist, weil ich dennoch für meinen Freund da bin, ohne daraus erwachsende Verpflichtungen und ohne Wenn und Aber. So würde ich es mir umgekehrt auch wünschen. Weil manche Dinge wichtig sind…

Da geht man so durch die Stadt…

Boeser_Blick_klein

 

Ich finde es bemerkenswert, mit welcher Hingabe manche Menschen unser urbanes Lebensumfeld „verzieren“. Man mag natürlich geteilter Meinung hinsichtlich des Inhaltes dieses Graffitis sein, aber wie ich finde, hat der Macher sein intendiertes „Opfer“ ganz gut getroffen und ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll; aber die Tagline „böse Menschen, böse Leader“ finde ich nicht vollkommen unzutreffend. Es ist ein Hinweis darauf, dass wir uns schon sehr genau ansehen sollten, wem wir die Führung unseres Staates da so anvertraut haben. Und ob es nicht vielleicht doch Alternativen zu deren Vorgehen gibt, die man nur deshalb nicht offenbart, weil es jene, die sich Lobbyisten in Anzügen mit dicken Dienstwagen und noch dickeren Büros leisten können Geld und Einfluss kosten könnte…? Wie dem auch sei, hiermit meine Verneigung vor dem Künstler – es bleibt zwar Sachbeschädigung (das muss ich sagen, um die Spießer unter meinen Lesern zu beruhigen) und ist für mich dennoch ein Hinweis darauf, dass, um es mal mit Shakespears Worten zu sagen etwas faul ist im Staate Dänemark (ich meine natürlich Deutschland). Gute Nacht.

Adieu Facebook – bonjour privacy?

Ach ja, schon wieder schwappt eine „Ich-verlasse-jetzt-Facebook-endgültig-echt-jetzt“-Welle durch die Whazzup-Liste meiner personalisierten Fratzenparty-Seite. Drauf geschissen. Die Leute darunter, die ich unbedingt erreichen will oder muss, werde ich erreichen. Die Anderen… nun ja, die sind dann halt weg. Ich persönlich verstehe die ganze Aufregung nicht. Dass diese Änderung der Geschäftsbedingungen kommen würde, war schon lange bekannt. Da hätte man doch konsequenterweise auch schon lange Schluss machen können, oder? Seien wir doch mal ehrlich: natürlich gibt es Alternativen zu Facebook, Whatsapp, etc. Sie kosten allerdings zumeist Geld, sind nicht selten für den üblichen Standard-User, der einfach nur will, dass es läuft und seine Anwendungen den Shit rocken zu kompliziert; und keine Sau kennt sie. Super so weit, wenn man also unbedingt ins kommunikatorische Abseits will, oder schlicht keine Verwendung für den Mehrwert von Social Networking hat (wie auch immer das möglich sein soll, aber Komisches gibt’s ja überall). Falls man aber darauf angewiesen ist, community events oder Ähnliches schnell und kostengünstig zu publizieren, kommt man an solchen Diensten kaum vorbei. Wenn man im Internet irgendwas recherchieren will, kommt man ja auch nicht an Suchmaschinen vorbei, deren leistungsfähigste alle mit WerbeAdds arbeiten, die immer perfekter auf unsere Bedürfnisse abgestimmt zu sein scheinen.

Und jetzt regt sich alle Welt über Zuckerbergs Apparatschiks auf, die ihre eh schon mächtigen Tools noch mal ein bisschen aufgebohrt haben, um… tja um noch mehr, noch besser Werbung verkaufen zu können. Es gibt halt nicht sehr viele Möglichkeiten, um im Web Geld zu verdienen, um genau zu sein so ziemlich die gleichen, wie in der Realität auch; und selbstverständlich geht es im Silicon Valley um Kohle, oder dachtet ihr vielleicht, Kalifornien sei ein Paradies voller Altruisten. Die hatten immer hin einen republikanischen Gouvernator…

Meines Erachtens wird die sich eben entspinnende Diskussion falsch geführt. Wir erliegen leider immer noch zu oft drei Illusionen. Die erste ist, dass Webdienste, die umsonst sind, tatsächlich nichts kosten. Die zweite, dass im Web momentan wirklich andere Spielregeln gelten würden, als in der realen Welt (lest ihr ab und zu mal die Geschäftsbedingungen der Webshops, die normalerweise immer gleich weggeklickt werden?). Und die dritte und folgenschwerste ist der Selbstbetrug, dass unsere digitale Identität und unsere reale Identität voneinander getrennt wären. Sieht man vor allem an den vielen Trunkenheitsfotos, die man immer noch in FB-Profilen findet (kleiner Tipp: auch Personalsachbearbeiter können Internet!).

Irgend so ein Nerd hat mal den Begriff des „digital native“ geprägt, doch der Begriff ist (wie ich schon einige Male ausgeführt habe) aus mehreren Gründen Bullshit. Insbesondere eingedenk der Tatsache, dass Dinge, die wir online tun offline sehr wohl Auswirkungen haben (Danke für deine Blödheit, Bachmann!). Aber natürlich auch hinsichtlich der Frage, welchen Stellenwert Privatsphäre für uns hat und in Zukunft haben soll und ob Privatsphäre und Bürgerechte tatsächlich in einem so starken Zusammenhang stehen, wie wir uns das gerne vormachen. Denn natürlich hat jeder von uns Dinge, die er/sie nicht publik gemacht sehen möchte und da das Meiste davon eher nicht strafrechtlich relevant ist, ist das auch gut so. Aber ebenso wenig wie ich meinen Beruf und das dabei erwirtschaftete Salär geheim halte, den Umstand, dass ich Vater zweier kleiner Mädchen bin, oder meine politische Gesinnung, mache ich mir Gedanken darüber, ob Facebook mir in Zukunft auf Basis meines Surfverhaltens unmoralische Angebote machen könnte. Schließlich entscheide ich selbst darüber, ob ich diese annehmen will, oder auch nicht. Oder macht das bei euch der Genosse Computer schon alleine?

Ich meine Folgendes: wenn ich mich als Person im öffentlichen Raum bewege, trage ich auch keine Maske, oder erledige meine Verrichtungen im Schutz der Dunkelheit. Dazu mag ich die Sonne viel zu sehr. Das Internet ist ein ebenso öffentlicher Raum, in dem sich privatwirtschaftliche, aber auch der öffentlichen Hand zurechenbare Dienstleister, Vertreter der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden und anderer staatlicher Organe und natürlich wir Bürger begegnen. Man tauscht sich aus, macht Geschäfte miteinander und geht wieder seiner Wege. Und das dabei gewisse Regeln, wie etwa unser BGB oder StGB und all das Andere Zeug ebenso Geltung haben, wie draußen auf der echten Straße, wird wohl niemand bezweifeln wollen. Auch auf der Straße gibt’s Dinge, die wir nicht so prall finden: unter anderem überdimensionierte Werbetafeln, grauenhaft schlechte Straßenmusiker, offensive Bettelei und die allgegenwärtigen Umfragemenschen, die ja eigentlich nix dafür können, dass sie jung sind und das Geld brauchen. Facebook will jetzt also unsere On- und am liebsten auch unsere Offlinebewegungsprofile auswerten, um uns noch mehr Werbung schicken zu können, in der Hoffnung, dass der Algorithmus errät, was wir noch wollen könnten. Furchtbare Sache – dass die NSA, also ein ausländischer Geheimdienst immer noch in großem Stil unsere private Kommunikation belauscht, ist aber halb so wild? Jedenfalls habe ich in letzter Zeit kaum jemanden sich darüber aufregen hören. Ja wie jetzt? Ist Privatsphäre nun wichtig, oder nicht? Oder variiert hier vielleicht, wie viel davon in welchem Medium man braucht?

Vielen mag es den Anschein erregen, dass man tatsächlich mit mehrerlei Maß messen kann, im digitalen dort und im analogen hier, doch das ist nur scheinbar so. Der „digital native“ und sein „analogue carrier“ leben in der gleichen Person und zumindest den meisten Teil der Zeit auch nach den gleichen Regeln. Wenn ich aus meinem Herzen einer Mördergrube machen mag, bezüglich dieser oder jener Sache, dann darf ich sie weder im hier, noch im dort äußern. Andere dritte, also Facebook sind nicht daran schuld, wenn man zu viel von sich selbst preisgibt. Und das diese ominösen Social-Network-Betreiber Geld verdienen müssen, um die ungeheure Infrastruktur betreiben zu können, die solche Orte im Netz erst möglich macht, versteht jeder, der das Einmaleins gelernt hat.
Also mache ich entweder mit und bezahle mit etwas Info über mich für die mannigfaltigen Dienste, oder eben nicht. Nur das Argument des Datenschutzes und der Privatsphäre, das lasst bitte raus, denn wenn ihr nicht maskiert durchs Leben lauft, nehme ich euch nicht ernst. Jeder, der sich in irgendeiner Weise mehr oder weniger regelmäßig öffentlich äußert, sei er nun in der Politik tätig, irgendeinem Verein, oder so wie ich als Blogger, gibt dabei schon ein mehrfaches von dem Preis, was FB sich jetzt abzwacken will. Deswegen meine digitale Kontaktpflege zu gefährden, ist mir den Aufwand nicht wert. Viel sinnvoller wäre es, man machte sich vorher darüber Gedanken, was man wo postet bzw. welche Daten man wo ablegt, bevor man bösen Seitenbetreibern die Schuld für die eigenen Fehler gibt. Ich bleibe übrigens bei Facebook… und ihr?