Leben ist Dynamik

Auch wenn der Titel vielleicht als Allgemeinplatz wahrgenommen wird, auch wenn Binsenweisheiten einen manchmal nicht weiterbringen, auch wenn Glückskekse nicht immer sonderlich lecker sein mögen: wenn wir in den letzten 21 Monaten als Menschen irgendwas gelernt haben könnten, dann, dass das Leben kein gerader Fluss ist! War es nie, ist es jetzt nicht und wird es niemals sein. Einer unser vornehmsten Fehler als Menschen ist es, sich am Bekannten, am Gewohnten, am Eingeübten festzuhalten. Weil es uns ein (allzu trügerisches) Gefühl von Sicherheit vermittelt. Und niemand ist sich seiner Selbst gerne unsicher, oder erlebt mit Wonne das Gefühl, keine Kontrolle über die Dinge zu haben. Aber echte Kontrolle ist eine Illusion. Leben ist nicht nur Dynamik – Leben ist Chaos! Allerdings ist es schwierig, den Begriff Entropie aus der Physik auf die Sozialwissenschaft zu übertragen…

In den Sozialwissenschaften diskutiert man Entropie als Maß für die Ordnung / Unordnung innerhalb eines sozialen Systems. Wie es bei allen Systemtheoretischen Ansätzen so geht, herrscht hier vor allem eines: Uneinigkeit. Ohne auf die akademische Diskussion eingehen zu wollen, muss man sich die Frage stellen, ob man eine grundsätzliche Ordnung der Dinge unterstellen möchte, oder eben nicht? Und das ist auch eine Glaubensfrage. Beziehe ich das zum Beispiel auf die Aluhüte, dann sehen diese überall geheimnisvolle Mächte am Werk, welche die Welt nach ihrem Bild zu formen versuchen. Dann wäre die (für uns verborgene) Ordnung der Dinge eben jenes Geflecht aus obskuren, im Dunkel des Ungesehenen und Ungeahnten operierenden Geheimbünden, Regierungsorganisationen und was weiß ich nicht noch alles. Wenn ich mir ansehe, wie schwierig es ist, verschiedene Partner bei relativ einfachen politischen Projekten unter einen Hut zu bekommen, fällt es mir sehr schwer, mir ein paar geheime Regierungsmitarbeiter vorzustellen, die mal eben die ganze Bundes-Bevölkerung 5G-chippen. Die meisten Behörden in Deutschland können ja nicht mal ihre IT vor russischen Hackern schützen…

Unterstelle ich jedoch irgeneine Form von Ordnung, komme ich irgendwann nicht mehr umhin, auch eine eher deterministisch orientierte Grundhaltung einzunehmen; einfach weil die angenommene Ordnung ja unterstellt, dass es Wenn-Dann-Kausalitäten gibt, die nur jeweils wenige, vorgegebene mögliche Pfade der Weiterentwicklung zulassen. Ein kurzer Blick über den Tellerrand sagt mir jedoch, dass diese Annahme nicht so ganz stimmen kann. Man denke an Mutationen und so…? Und wieder einmal stehe ich an meinem Schreibtisch und muss feststellen, dass sicher geglaubte Dinge doch nicht so sicher sind, dass Entwicklungen plötzlich, unerwartet Wendungen nehmen, die sich der innovativste Romancier nicht ausdenken kann; und dass alles Modellieren und Abwägen manchmal für die Tonne ist. Womit wir mal wieder beim Plan X wären.

„Improvisationstalent“ nennt man es, wenn Menschen aus den wenigen vorhandenen Ressourcen kurzfristig funktionierende Lösungen zaubern können. Die Bezeichnung „MacGyvern“ wäre wohl auch legitim, zumindest, wenn es um technische Probleme geht. Ein dauerhaftes Problem entsteht daraus allerdings, wenn der regelmäßige Einsatz des Improvisationstalentes als dauerhaft verfügbar betrachtet wird, und man auf Basis dieser Fähigkeit bewusst andere Ressourcen zu sparen versucht! Das endet mit MacGyver im Burnout und kaputten Projekten. Aber das müssen manche Menschen (insbesondere sogenannte Chefs) immer erst auf die harte Tour lernen! Besonders ärgerlich wird es, wenn dann auch noch Andere sich mit den Federn erfolgreicher Arbeit schmücken, die aus solchen Umständen heraus entstanden ist. Sowas vertreibt nämlich die MacGyver…

Manchmal ist die Ferne verlockend…

Ich bin eher ein Grübler, denn ein Renner. Ich schaue mir an, was läuft, was nicht läuft, und warum es nicht läuft. Und dann versuche ich nach und nach, an den verschiedenen möglichen Stellschrauben zu drehen, bis es besser läuft. Man nennt solche Leute wie mich, wenn ich recht weiß, Realisten und Pragmatiker. Und sagt Ihnen, zu Unrecht, eine gewisse Leidenschaftslosigkeit nach. Ich bin Realist, wenn es um das Beurteilen von Chancen und Risiken geht, doch Träumer genug, auch Projekte ín diese Betrachtung einzubeziehen, die Andere von vornherein ablehnen würden. Ich bin Pragmatiker, wenn es um die Bewältigung des Tagesgeschäftes geht, aber Theoretiker genug, nach einer immer besseren Fundierung meines pragmatischen Handelns zu streben. Insofern bin ich, wie viele Andere auch ein ambivalentes Wesen. Und ich habe mich zu sehr an das „Leben in der Lage“ gewöhnt, als dass mich die Botschaft von neuen Virusvarianten noch allzusehr aus der Reserve locken könnte. Just another problem to be solved by flexible means… Ich wünsche uns allen die Geduld, es noch ein wenig länger zu ertragen, die Vernunft, uns an die notwendigen Maßnahmen zu halten, und den Mut es danach auf’s Neue zu tun. Was auch immer ES sein mag. In diesem Sinne, schönes Wochenende.

Auch als Podcast…

#zimbocompodcast

Die Gedanken treiben lassen…

In Anbetracht der gegenwärtigen Lage ist es Zeit, sich eines Zitates von Mark Twain zu erinnern: „Mensch: das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige was Grund dazu hat.“ Ich werde der Angelegenheit hier nur einen Paragraphen widmen, weil alle Argumente ausgetauscht, alle notwendigen Diskussionen geführt und alle sinnigen Angebote gemacht sind: WER BIS JETZT AUS EIGENEM ANTRIEB, UND OHNE JEDE MEDIZINISCHE NOTWENDIGKEIT FÜR SICH ODER FAMILIENMITGLIEDER DIE IMPFUNG GEGEN COVID VERWEIGERT, IST EINE ASOZIALE ARSCHTROMPETE! Ende der Durchsage! Wenn sich irgendjemand dadurch beleidigt fühlt, darf er mich gerne blocken oder sonstwas. Geht mit den Zwiebeln spielen, Schwurbler. Euch braucht eh keiner! Nachdem das nun für mich ein für alle Mal geklärt wäre – now to something completely different…

Wir steuern, einmal mehr, vollkommen unverschuldet auf Weihnachten zu. Auch hier hat die Politik nichts getan: Spekulatius und Lebkuchen gab’s schon im September. Das ist ja fast noch kränker, als diese öffentlichen Besäufnisse namens „Weihnachtsmarkt“. Vom Sodbrennen wegen des Glühweins mal abgesehen, dieses Jahr auch aus anderen Gründen Schwachsinn, da hin zu gehen. Wenn ich in Stimmung kommen will, schmücke ich meine Bude, und trinke selbstgemachten Glühwein. Ist eh besser. Scheiß auf das Sodbrennen. Aber auch andernorts ist der Konsumwahn auf vollen Touren. Heute ist dieser nervtötende, seit Wochen angekündigte Black Friday und ich frage mich immer noch, was diese Scheiße soll? Kriegen die Leute denn nicht mit, dass die Einzelhändler über das dritte und vierte Quartal langsam die Preise anheben, damit es zu Thanksgiving dann aussieht wie ein Schnäppchen?

Ich las heute auf Zeit Online ein Interview mit Gerald Hüther, diesem nervtötenden Neurodingensbummens, der immer meint, zu allem seinen Senf dazugeben zu müssen, Er könnte ruhig mal bei Würstchen bleiben, aber dieses Mal hat er zumindest einen halbwegs soliden Punkt gemacht: Konsum ist psychologisch wie eine Sucht. Seine Begründung ist abgedroschen (bei ihm findet immer alles zwischen Nucleus Accumbens, Amygdala und mesolimbischem System statt), die Folgen sind jedoch in der Tat real: je mehr man hat, desto mehr will man! Zumindest gilt das für einen nicht unerheblichen Teil der Menschen. Und, wenn ich mich mal so in meinem Büro umschaue, dann gebe ich zu, dass ich auch nicht unschuldig bin. Ich rede mich ja immer damit raus, dass ich Neues ausprobiere, und vieles in meinem Home-Office sich mittlerweile um Content-Production dreht. Was bedeutet, dass ein gewisser Professionalitätsanspruch auch gegenüber meinen Werkzeugen besteht. Zumindest in der Theorie.

Ich bin kein Streamer oder Youtuber. Jedenfalls nicht im klassischen Sinne. „Let’s Play“ wäre bei meinen miserablen Reflexen vermutlich auch eher langweilig anzusehen. Ich produziere kommentierte Präsentationen und How-Tos für meinen Job, die Ausbildung von Rettungs- und Notfallsanitätern*innen. Ich blogge und gerne möchte ich auch wieder öfter podcasten. Ich habe zwei Argumente, die jedenfalls für mich alle anderen schlagen: Arbeitsergonomie und Wohlfühlen. Ich stehe einfach gerne an meinem überarbeiteten Tisch, um kreativ zu werden (natürlich sitze ich auch gerne dran, aber allein diese Wahl zu haben…). Nach meiner Wahrnehmung braucht es bestimmte Umgebungsparameter, um überhaupt kreativ werden zu können. Zum Wohlfühlen gehört dabei für mich die Ruhe. Diese Ruhe, wenn niemand einfach so in dein Büro gelatscht kommen kann. Unbezahlbar für meine Produktivität.

Und doch hadere ich natürlich mit meinem Konsum. Einerseits kann man sagen, ich habe die Binnenkonjunktur anheizen geholfen und somit zur Stabilisierung unserer Wirtschaft beigetragen. Andererseits habe ich meinen CO2-Footprint wieder angeheizt. Und bin selbst in die zuvor beschriebene Falle getappt. Und ich werde es nicht leugnen. Allerdings bin ich jetzt auch für den nächsten Lockdown und vermehrtes Home-Office gut gewappnet. Denn solange niemand eine Impfpflicht und einen echten Lockdown JETZT durchsetzt, wird der wieder verschleppt bis Ultimo und dauert dafür dann extra lange. Weil unsere Politiker immer noch meinen, in einer Pandemie müsse man auf die Umfragewerte, anstatt auf die Fakten achten. Was das bringt, hat die CDU (Gottseidank) gerade am eigenen Leib erfahren müssen.

Ganz ehrlich – ich bin noch nicht in Weihnachtsstimmung. Zum einen, weil der Stress nicht abreißt. Und zum anderen, weil mein Körper gerade nicht so möchte, wie ich. Ich gehe davon aus, dass er mir damit etwas sagen will – und bin dementsprechend mal zu Hause geblieben. Irgendwie kriegt man den Laden immer ans Laufen. Was Weihnachten betrifft: es kommt, wie es kommt. Gerne mit wenigen, ausgewählten (geimpften und getesteten) Familienmitgliedern und Freunden. Alles Andere findet sich, wenn es soweit ist. Ein bisschen Konsum muss dann doch noch sein, weil es einige wenige gibt, denen ich gerne etwas Schönes schenken möchte. Herr Hüther meinte hierzu, man schenkt ja doch nur, um sich selbst gut zu fühlen; um sich an den positiven Gefühlen der Beschenkten zu bedienen. Solange das ein Handel auf Gegenseitigkeit ist, der nicht vollkommen aus dem Ruder läuft, bin ich dabei, scheiß auf Herrn Hüther. In diesem Sinne – mittlerweile ist draußen Black Friday. Gehabt euch wohl.

Auch als Podcast…

#zimbocompodcast

New Work N°9 – Selbstentfremdet?

Die letzten Tage waren für mich ein emotionaler Gewaltritt, weil ich wegen Corona wieder ins Home-Office und eine Klasse in den Distanzunterricht versetzen musste. Zunächst als Vorsichtsmaßnahme gedacht, die sich nun als goldrichtig erwiesen hat, bin ich einmal mehr auf meine mittlerweile gefestigten Skills als Fernlehrer zurück geworfen. Gesundeitlich war’s bei mir selbst diese Woche auch nicht so prall (aber immer negativ gestestet, toi toi toi…), so dass ich mich ein wenig gemolken fühle; und dennoch auf eine undefinierbare Weise zufrieden. Vielleicht liegt das daran, dass allen Widrigkeiten zum Trotz, alles immer irgendwie funktioniert. Nicht auf dem Level, welches ich mir in meinen kühnen Träumen ausmalen wollen würde, aber… es läuft, und läuft, und läuft…

Nun bin ich vieles, aber sicher kein VW Käfer. was im Umkehrschluss bedeutet, dass ich den Verschleiß einerseits bewusst erlebe. Ich bin – und da bin ich in meiner Organisation bei weitem nicht der Einzige – weit über alle Limits hinaus. Eigentlich brauche ich Ruhe und Zeit, um die Akkus mal wieder richtig vollzuladen. Urlaub, am besten ganz weit weg, wäre wirklich toll! Andererseits stehe ich irgendwie neben mir und treibe mich an: „Nur noch ein paar Wochen, dann bist mit dem Gröbsten durch! Lass den Kopf nicht hängen, hinter jedem Sturm kommt auch wieder Sonnenschein! Die brauchen dich!“ Hinter all dieser, offenkundig nachhaltig internalisisierten Glückskeks-Scheiße steckt vermutlich einfach nur eine (eher ungesunde) Portion Fatalismus gepaart mit klassischer protestantischer Arbeitsethik. Nur hatte ich mich bislang nie für ein Calvinisten gehalten. Zumal ich weiß, dass ich für die Arbeit bis zur Selbstentfremdung auch nicht sicherer in den Himmel komme. Vielleicht an die „Employee of the month“-Wand; aber nicht in den Himmel!

„Selbstentfremdung“ ist auch nur so ein Buzzword, dass irgendwelche Generation-Z-Kids neuerdings benutzen, um ihren Selbsthass darüber zu beschreiben, dass es ihnen trotz der gewaltigen Probleme unserer Welt an einem guten Feindbild fehlt. Die 68er konnten wenigstens gegen ihre Nazi-Verwandten rebellieren. Aber meine Generation? Wir waren entweder einfach zu blind, um zu erkennen, wie groß der Haufen Scheiße ist, der sich gerade auf uns zuwälzt, oder zu lazy, um den Arsch von der Couch hochzukriegen. Beides ist absolut menschlich und taugt daher kaum zur Dämonisierung meiner Generation (Y), auch wenn wir es klimatechnisch rund heraus mit Ansage verkackt haben! Doch sich selbst fremd zu sein, ist immer und immer wieder Teil des Lebenszyklus. Ein Blick in Erik Eriksons Lebensphasenmodell genügt, um sich dieses Umstandes zu vergewissern.

Wenn ich die beiden eben beschriebenen Phänomene zusammenfasse, weuß ich, was mein momentanes Problem ist: Ich bin in Eriksons 7.Stufe „Ich bin, was ich bereit bin zu geben.“. Was für mich bedeutet, dass ich gerade mal wieder mit mir abmachen muss, wie viel ich denn nun zu geben bereit bin? Und vor allem wofür? Das ganze Erwachsenenalter ist wohl von diesem Austarierungsprozess, dieser ständigen Suche nach innerem Gleichgewicht geprägt. Zumindest füht es sich für mich so an. Der Bezug zu New Work besteht für mich in der Frage, inwieweit sich mein, momentan stärker rufender, Drang nach mehr individuellem Freiraum mit den Verpflichtungen meiner Arbeit vereinen lässt; die mir tatsächlich immer noch ziemlich wichtig ist, weil sie sehr oft viel Spaß macht. Da haben wir mal ein Dilemma, dass sich nicht ohne Reibungsverluste auflösen lässt.

umgebauter Tisch – neues Glück…?

Wenn so ein Dilemma zufällig in mein aktuelles Lebensalter (Ende 40) fällt, sagen die Meisten mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht „Midlife-Crisis“, und es liegt sofort der Verdacht in der Luft, dass sich jetzt jemand aufmacht, eine Harley zu kaufen und sich eine junge Freundin anzulachen. Nun habe ich weder einen Motorrafführerschein, noch die Nerven, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten den Klappspaten auszupacken. Mal davon abgesehen, dass der Lack momentan schon ein bisschen ab ist… Gegen das Letztere wären Kräuter gewachsen, für die ich allerdings im Moment noch zu schlapp bin. Aber selbst wenn ich jung und hübsch wäre, fehlt mir der Antrieb. Ich hab doch meine beste Ehefrau von allen; und meine Kinder. Manchmal könnten wir uns gegenseitig One-way auf den Mond schießen. Aber meistens ist es daheim doch am schönsten. Daher kompensiere ich diese „entsetzliche Leere“ (yo, ’n bisschen dick aufgetragen, oder 😉 ), indem ich mir neue Gimmicks besorge und in meinem Home-Office rumbastele, neue Ideen ausprobiere und meinen Gimmick-Hotizont erweitere.

Mein 2-Mikro-Setup ist einsatzbereit!

Ich bin mit dem Umbau fast fertig. Die Ergonomie wird noch ein wenig gesteigert, aber ansonsten bin ich bereit für den nächsten Lockdown. Denn seien wir mal ehrlich: alles Andere ergäbe jetzt überhaupt keinen Sinn mehr, auch wenn niemand das hören will! Und was das für das Berufschulwesen bedeuten würde, ist im Moment noch vollkommen unklar. Ich möchte nur nicht wieder das Gefühl haben, mich rechtfertigen zu müssn, weil ich von zu Hause sende. So ein Studio habe ich an meinem Arbeitsplatz nämlich nicht. Und wenn ich eines einrichten wollen würde, wüsste ich jetzt schon, dass mein Chef Schnappatmung bekäme. Denn wenn’s halbwegs gut sein sollte, müsste ich ein paar Sachen verbauen, die Geld kosten. Hier im Home-Office experimentiere ich mit relativ kleinem Budget, weil’s mein eigenes Geld ist. Dass es aber mit mehr Ressourcen noch um einiges besser geht, steht außer Frage. Aber wenn ich ehrlich bin – ich hätte richtig Bock drauf. Schönen Abend noch.

Herbstwald

Oh nein, er fängt an, von Herbstwald zu schreiben, er ist wieder… wieder… DEPRESSIV! Ich kann euch beruhigen, die ist nicht der Fall. Ich hatte nur das Bedürfnis, nach einem längeren Aufenthalt im Lehrsaal, mit dem ich dieser Tage definitiv nicht zufrieden war, Abstand zu gewinnen. Und wenn man schon den Pfälzerwald direkt hinter dem Haus hat, ist es nur natürlich, einen Spaziergang zu machen; selbst, wenn man sich eigentlich ein bisschen schlapp fühlt. Die Notwendigkeit war da und dem wurde Folge geleistet.

Wie ich so ging – und unterwegs über zwei Schülerinnen stolperte, die ebenfalls ein bisschen Bewegung suchten – kam ich nicht umhin, die Ruhe zu genießen. Sein wir ehrlich: es war kalt, es war feucht, es war ein kleines bisschen nebelig (allerdings nicht annähernd so, wie gestern), aber es war so VERDAMMT RUHIG. Kein Blabla, kein Chitterchatter, keine Ablenkung von dem, was wirklich wichtig ist: endlich wieder die eigenen Gedanken miteinander streiten hören. Für mich ein Genuss, weil ich viele Dinge mit mir selbst ausfechte. Ich meine, schon mal erwähnt zu haben, dass ich gerne simulierte Gespräche mit anderen Personen führe, und dafür ist ein Waldspaziergang wunderbar geeignet.

Meine Gesprächspartner (danke der Nachfrage, ich bin NICHT Schizophren), sind dabei sehr unterschiedlicher Natur, so wie meine Gedanken höchst wandelbarer Natur sind. Ich begegne dabei Personen, die im Hier und Jetzt existieren ebenso, wie vollkommen imaginären Konstrukten aus den Tiefen meiner (gelegentlich etwas kaputten) Fantasie. Wichtig zu bemerken ist hier allerdings, dass die Themen stets um ein Vielfaches realer und eng mit meinem Leben verflochten sind. Wir reden also über Gespräche um Chancen, Risiken, Erfolge, Niederlagen, Leben und Tod. Und alles Mögliche dazwischen. Und eigentlich lasse ich mich nur ungern dabei unterbrechen.

Es mag Beobachtern deshalb gelegentlich so scheinen, als wenn ich abgelenkt, unaufmerksam, abwesend oder gar schroff und ablehnend daherkomme. Ich bitte dies zu entschuldigen, aber es ist mir seit Jugendtagen (also vermutlich seit ich langsam bewusst mit meiner Depression zu ringen begonnen habe) zur zweiten Natur geworden. Ich habe lediglich gelernt, in sozialen Situationen eine jeweils passende Benutzeroberfläche zu booten. Ich möchte nicht, dass Menschen denken, dass sie mir egal sind. Manche sind das wirklich; aber jene, mit denen ich mich auf persönlicher oder professioneller Ebene befasse, haben eigentlich meine volle Aufmerksamkeit verdient. Jedoch kriege ich es nicht immer so hin, wie’s indiziert wäre.

So sind der Nebel und das Herbstlaub eine passende Analogie. Denn darunter versteckt sich das wahre Antlitz des Waldes, wartet nur darauf, wieder erweckt zu werden. Wartet nur darauf, wieder mit seinen Besuchern spielen und sie verzaubern zu dürfen. Die abweisende Seite, die vermeintliche Abwesenheit von Leben ist nur eine Maske, die aufgelegt wurde, während sich der Wald für ein neues Spiel um das Leben regeneriert. So wie ich, wenn ich durch diesen Wald gehe. Denn natürlich haben jene, die sich auf mich verlassen meine bestes Ich verdient. Auch, wenn es sich gelegentlich unter dem Herbstlaub versteckt. Gute Nacht…

Losgelöst…?

Wann immer wir unsere angestammte Umgebung verlassen, wann immer wir an andere Orte gehen, setzen wir uns der „Gefahr“ aus, etwas zu missen. Zumeist denken wir dabei an liebgewonnene Gewohnheiten und Bequemlichkeiten. Ich finde ja, der Begriff „Komfortzone“ ist totgeritten, aber tatsächlich ist hier es wenigstens ein bisschen wahr: man lässt gewohnten Komfort hinter sich. Wenn man sich allerdings die Ziel-Location aussuchen darf, wartet dort das Versprechen auf anderen Komfort. Und sehr oft auf solchen, der einen das Vermissen des allzu Bekannten doch recht bald vergessen lässt. Natürlich hängt’s ein bisschen davon ab, wie verwöhnt man ist. Aber seien wir ehrlich, mal ein bisschen für sich sein zu können, ist der wahre Luxus unserer Zeit.

So verbindet sich für mich derzeit das Angenehme mit dem Nützlichen, denn da ich gerade wieder zu Ausbildungszwecken im bekannten Retreat im Pfälzerwald weile, kann ich nach Unterrichtsende mal für eine Weile die Tür zu machen, und ein wenig Ruhe tanken. Zudem ich mich gerade im Moment physisch ein wenig angeschlagen fühle; Test negativ, kein Fieber, aber halt doch ein wenig unfit. Mal schauen, wie’s die nächsten Tage wird. Die Bedingungen könnten diesbezüglich besser sein, aber ich werde das Beste daraus machen.

Der heutige Tag war anstrengend, weil der Unterrichtsstoff mir viel Vortrag abverlangt hat. Doch so langsam geht die Betriebstemperatur wieder auf Normallevel. Wenn man eine Diskussion über die ethischen Aspekte des Berufsfeldes anzettelt, muss man aber halt damit rechnen, dass Fragen auftauchen, die nicht mit einem JA oder NEIN zu beantworten sind. Ich hatte allerdings, ehrlich gesagt damit gerechnet, dass mich dieser Ritt weiter aus meiner emotional-kognitiven Komfortzone führen würde, aber das unterblieb heute auf wohltuende Art und Weise. Und nicht etwa, weil ich weniger kontrovers Material als bei anderen Gelegenheiten benutzt hätte. Ich bin tatsächlich angenehm überrascht und angetan von der Diskursfähigkeit meiner SuS.

Was ich an solchen, in vielerlei Hinsicht losgelösten Unterrichtssituationen schätze, ist die Möglichkeit, sich auch informell austauschen und so Fragen und Probleme lösen zu können, die andernorts vielleicht nicht in der Deutlichkeit zur Sprache kämen. Die richtige Mischung aus menschlicher Nähe und analytischer Distanz ist auch beim Umgang mit den SuS das A und O; denn natürlich reden wir hier von durchaus vielschichtigen sozialen Beziehungen, die man sich nicht verselbstständigen lassen sollte, weil die Ergebnisse von zu viel Laissez-Faire u. U. überraschend negativ ausfallen können. Ich habe mein Lehrgeld gezahlt…

Ich zweifele durchaus manchmal an der Tauglichkeit meiner didaktischen Konstruktionen, weil ich natürlich immer wieder mal einen anderen Weg versuche, und damit ebenso natürlich auch immer mal wieder Schiffbruch erleide; Trial and Error halt… Allerdings gilt für mich das Gleiche, wie für die SuS: der Unterricht ist auch für mich immer wieder ein Lernprozess. Genau deswegen ist der Wechsel des Lernortes auch für mich wertvoll, weil er mir die Chance gibt, andere Perspektiven auf das eigene Tun und Lassen nehmen zu können. Quasi losgelöst vom Tagesgeschäft. Genau dieser Komfortzonen-Shift hat mich durch den Tag getragen – und tut dies hoffentlich auch noch die nächsten Tage. Einstweilen bleibe ich da, wo Fuchs und Hase sich zum Kartenspielen treffen, und wünsche ein schönes Wochenende.

Besseres Büro – bessere Arbeit?

Menschen, die von sich behaupten, dass Ihnen Äußerlichkeiten nichts bedeuten, sind in aller Regel entweder Lügner oder Mönche. Da ich weder besonders fit, noch besonders fotogen bin, bezieht sich der Begriff „Äußerlichkeiten“ in meiner Welt eigentlich immer auf Gimmicks. Für die Meisten sind die Dinge, mit denen ich hantiere, Wohlstands-Spielzeuge; für mich sind es, (neben dem Verspieltheits- und dem Haben-will-Faktor, der manchen Objekten wohl doch innewohnt) vor allem Werkzeuge. Bei Werkzeugen denken die meisten Leute an einen schicken Werkstattwagen mit diesem Marken-Steckschlüsselsatz, und dem Marken-Drehmomentschlüssel, und der Marken-Bohrmaschine, und…. Ich denke dabei eher an Geräte, die mir einerseits beim Recherchieren, andererseits beim Ordnen, Vertonen und Visualisieren meiner Ideen helfen. Also Kameras, Mikrofone, IT-Kram und so Zeug. Aber all diese Dinge brauchen ja ein Zuhause.

Das Zuhause für die letztgenannten Gegenstände ist üblicherweise ein Schreibtisch. Ich habe einen Schreibtisch – und im Moment ist das ein relativ konventioneller Ort; vielleicht bis auf das Feature der elektrischen Höhenverstellung. Wie das bei diesen schwedischen Produkten aber manchmal so ist: die Qualität gewisser Teile ist eher problematisch. Gerade die einfachen Schribtischplatten sind dünn, und pappig, und für manche Dinge überhaupt nicht geeignet. Wenn man einen höhenverstellbaren Schreibtisch hat, wäre es z. B. total fancy, wenn der Desktop-Rechner in einem Käfig unter der Tischplatte hängen könnte, weil sich dann die Kabelführung wesentlich geschmeidiger gestalten ließe. Da steht schließlich neben dem Rechner selbst noch einiges mehr am Platz. An derlei Praktabilität haben die skandinavischen Produkt-Designer jedoch nicht gedacht. Und jetzt braucht der Tisch halt ein general make-over.

Mittlerweile tummeln sich da diverse Klemmstative für Webcams, Mikrofone, und bald auch für die Monitore, wenn ich dieser Tage eine neue, stabilere Tischplatte installiert habe. Denn: versatility is king! In meiner Theorie wird das meinen Workflow beschleunigen, ja geradezu zum Abheben bringen und ich werde ein Projekt nach dem anderen… ach Käse. Ich will das einfach ausprobieren, denn tatsächlich kommt noch ein bisschen Kleinkram dazu und dann mag ich es gerne ordentlich. Mit den (semi)professionellen Twitch-Stream-Desks mancher meiner Schüler*innen und Kollegen*innen kann und will ich nicht mitstinken. Allerdings habe ich gerade die Möglichkeiten eines Elgato-Streamdecks für mich entdeckt. Damit steuert man manche Software doch sehr viel geschmeidiger und schneller. Steh ich voll drauf. Einzig mein Budget hatte mich letzthin davon abgehalten, hier noch ein wenig zu experimentieren. Doch im Moment ist das weniger das Problem. Zeit ist eher ein limitierender Faktor. Dennoch muss ich die nächsten Tage ein bisschen basteln, denn im Moment nerven mich die Limits meines Setups doch ziemlich…

Tatsächlich probiere ich zu Hause manches aus, was später in größerem Maßstab in meiner Einrichtung implementiert werden soll. Ich war schon immer davon überzeugt, dass mehr und tiefer gehenderes Wissen über die Werkzeuge, die man nutzen möchte nicht schaden kann. Und dieses Wissen schaffe ich zu Hause. Ich habe damit eine exzellente Ausrede dafür, in Gimmicks zu investieren, die ich für meine eigenen Projekte dann genauso nutzen kann. Ich träume nämlich immer noch davon, hier auf meinem Blog eine Interview-Reihe zu starten, mit den verschiedensten Leuten, denen ich so begegne. Und eventuell das Thema Lehr-Videos auszubauen. Und meine kreativen Kräfte auch mal für meine Buchprojekte zu nutzen. Und dann ist ein Schreibtisch, an dem man sich wohlfühlt, nicht einfach nur eine Äußerlichkeit, sondern eine Notwendigkeit, weil es den Workflow tatsächlich beflügeln kann. Nicht muss, aber doch kann. In diesem Sinne wünsche ich eine gute Woche. Ihr werdet ja sehen, was draus geworden ist.

Hoch sensibel?

Wer mir hier schon länger folgt, weiß ziemlich genau, dass ich mit den jeweils gerade gängigen Labeln nicht allzu viel anfangen kann. Menschen neigen ja oft dazu, NICHT so sein zu wollen, wie alle anderen; und suchen deshalb, mal bewusst, mal unbewusst nach Merkmalen an sich selbst, die zur Distinktion vom „Mainstream“ taugen. Ganz so, als wenn in einer Mehrheitsgesellschaft integriert zu sein, etwas Schlimmes wäre. Streben nicht, solchen Moden zum Trotze, all jene Marginalisierten, wie PoC, LGBTIQ+-People, etc. danach, den Status der Integration zu erreichen? Oder besser gesagt danach, in ihrem Andersein voll akzeptiert dazugehören zu dürfen? Wie kann es dann aber sein, dass Menschen, die vermeintlich schon dazu gehören, nach Möglichkeiten suchen, sich von eben dieser Zugehörigkeit abzugrenzen?

Ich habe schon häufiger in letzter Zeit etwas über den Begriff „Hochsensibilität“ gelesen. Kurz gesprochen geht es darum, dass es angeblich Menschen gibt, deren soziale und kognitive Wahrnehmung intensiver ist, als bei den meisten Anderen, was bei den Betroffenen im Umkehrschluss einen kognitiven und sozialen Overflow erzeugt; oder vereinfacht gesprochen: sie kommen mit zu vielen Reizen einfach nicht klar! Ich sage „angeblich“, weil das Thema in der Psychologie hoch umstritten ist, und die „Diagnostik“ vollkommen auf, wissenschaftlich unzureichend getesteten, Selbstbefragungen fusst. Um es an dieser Stelle ganz klar zu sagen: ich halte das Ganze für Humbug! Bzw. für einen falschen diagnostischen Ansatz. Leider ist es in den letzten Jahren quasi zu einer Mode degeneriert, sich selbst als „hochsensibel“ zu bezeichnen, und damit ein Label zu erzeugen, welches man wie eine Monstranz vor sich hertragen kann, damit alle Anderen ja brav Rücksicht nehmen. Dass damit möglicherweise vollkommen anders gelagerte – und zum Teil vermutlich dringend behandlungsbedürftige Psychopathologien – verschleiert werden, ist nur ein bedauerlicher Nebeneffekt .

Ein anderer ist, dass das sowieso schon hohe Potential zur Stigmatisierung psychisch Kranker in unserer Gesellschaft noch mal gesteigert wird. Denn selbstverständlich fordern die Menschen, die sich selbst diese Zuschreibung geben Verständnis, Rücksichtnahme, u.U. sogar Behandlung – ohne wirklich erklären zu können, was das Problem ist. Das ist einem besseren Verständnis für die realen Leiden psychisch Erkrankter nicht zuträglich, weil es für die Nichtrkrankten wieder mal aussieht, wie eine Befindlichkeitsstörung, für die sie oft nur ein „Komm halt klar, Diggah!“ übrig haben. Als langjährig Depressionserkrankter weiß ich, wovon ich spreche. Psychisch Kranke bluten nicht, die Extremitäten sind nicht krumm, sie haben keine Schmerzen, gegen welche die üblichen Mittelchen helfen. Und was man nicht sehen oder anfassen kann, das existiert für viele Menschen nicht. Und da passen die „Hochsensiblen“ halt voll ins Feindbild: „Mensch, der sich auf meine Kosten ausruht, indem er/sie krankfeiert!“ Zudem belasten sie damit das sowieso schon überlastete System zur Behandlung psychisch Erkrankter in unserem Land.

Warum mich das so triggert, hat der letzte Absatz zum Teil erklärt. Aber da ist, zumindest für mich selbst noch etwas anderes. Natürlich habe ich, als ich zum ersten Mal von dieser Modeselbstdiagnose hörte, mal geschaut, was es damit auf sich hat, und ob das auch auf mich zutreffen könnte. In dunklen Stunden sucht man gelegentlich Trost in seltsamen Dingen. Und natürlich trafen verschiedene Aspekte der Fragebögen auf mich zu. Einfach, weil sie auf ziemlich viele Menschen zutreffen. Das ist Verarsche auf hohem Niveau. Mal davon abgesehen, dass nach meiner Erfahrung Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr häufig ein ziemlich feines Näschen für die anderen Menschen um sich herum haben. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass als Vorteil zu sehen und entsprechend zu nutzen. Aber gewiss öffnen sich hier auch Türen in die dunkleren Zimmer des Selbst. Ich würde mir einfach wünschen, dass man nicht einfach einen Selbsttest machen und sich dann auf eigenes Betreiben pathologisieren kann, wenn vielleicht die einzige Motivation ist, anders als die anderen Kinder sein zu wollen!

So kam denn in den Kommentarsektionen unterhalb solcher Artikel auch häufiger der Begriff „Snowflake“ vor. Und selbstverständlich wurde der hier mit negativer Konnotation gebraucht. So nach dem Motto „diese Pussies sollen sich mal nicht so haben“. Die oben begonnene Beweisführung ist damit für mich abgeschlossen. Allerdings kann ich nicht umhin, zumindest ein gewisses Maß an Zustimmung zu empfinden. Denn manche Artikel klangen wirklich wie Werthers Weltschmerz, und nicht wie die Erzählung über eine ernsthafte Erkrankung. Da wurden mehr so typische Erste-Welt-Luxusproblemchen mit Überforderung durch eine durchbeschleunigt-fordernde Welt beschrieben. Die habe ich auch! Dauernd! Ich kann meine Sensibilität trotzdem moderieren. Und das mit einer diagnostizierten und behandelten psychischen Erkrankung. Und da muss ich dann halt auch sagen: „Kommt klar ihr Mimosen! Andere haben wirkliche Probleme!“. Für heute ist die Sensibilität bei mir ausverkauft. Schönen Tag noch.

Erwachsen bilden N°37 – Zwischenruf!

Dieser Tage entspann sich im Dunstkreis der DGRe eine Diskussion um einen Beschluss-Vorstoß des deutschen Ärztetages, in der Ausbildung von NotSan mehr klinische und notfalldiagnostische Skills zu verankern – und diese Ausbildungsteile in ärztliche Hand zu legen. Dazu fallen mir spontan mehrere Punkte ein, die ich in dieser Debatte gerne beachtet wissen würde:

  • NotSan in Ausbildung bekommen die notwendigen notfalldiagnostische Skills für ihre spätere Arbeit bereits heute – zumindest den gängigen Curriculi nach – bedarfsgerecht und praxisorientiert vermittelt (die Güte mag hierbei einer Serienstreuung zwischen den Ausbildungs-Einrichtungen unterliegen). Das beinhaltet explizit auch die Fähigkeit zur Beurteilung klinischer Parameter, die für eine Weichenstellung der anschließenden klinischen Behandlung bedeutsam sind. Dennoch gilt, dass diagnostische Maßnahmen, die keine direkte therapeutische Konsequenz haben, in der prähospitalen Akutphase obsolet sind – sie kosten wertvolle Zeit, die bei der Versorgung kritisch kranker Patienten eh knapp ist! (Welche diagnostischen Maßnahmen jeweils schnell und sinnvoll zur Abwendung gebracht werden können und sollen, ist dabei vom Stand der Technik und der Anwendungssicherheit der Nutzer abhängig! => Sonographie anybody?)
  • Bevor man sich der Verlängerung der hospitalen Ausbildung von NotSan widmet, fände ich es sinnvoller, zunächst die vielerorts mangelhafte Verzahnung zwischen Fachschule, Rettungswache und eben den Kliniken neu aufzustellen. Die Summe der Reibungsverluste, welche durch die schlichte Non-Existenz von Kompetenz-Entwicklungs-Netzwerken entstehen zu minimieren, würde vermutlich bei allen Beteiligten erheblichen Frust und große Unsicherheit abbauen und gleichsam die Ausbildungsergebnisse verbessern helfen. Mangelnde Kommunikation, unklare Zielvorstellungen, Unkenntnis der Curriculi und persönliche Missverständnisse sind derzeit in diesem Feld an der Tagesordnung. Und es kostet sehr viel Mühe, diese Dinge immer erst in der Ex-Post-Betrachtung glattschleifen zu müssen…
  • Ein Medizinstudium befähigt NICHT automatisch zur Lehre an einer Berufsfachschule – oder an der Universität, auch wenn die Promotion (der Definition nach der Erwerb der Lehrfähigkeit für Hochschulen) dies evtl. suggerieren mag. Die pädagogischen Feinheiten sinnvoll gestalteter Lernarrangements in der Erwachsenenbildung bilden aus gutem Grund eine eigene hochschulische Domäne – und ich bin es ehrlich gesagt leid, hier immer wieder Diskussionen mit Medizinern führen zu müssen. Daher sehe ich den – vom Ärztetag explizierten – Wunsch, den klinischen Anteil der Berufsausbildung über weite Strecken in ärztliche Hände zu legen, als hoch kritisch an. Ich schicke ja auch keine Ärzte, um die Feinheiten der Gesundheits- und Krankenpflege unterrichten zu lassen; sondern Fachleute, die sowohl die Praxis kennen, als auch die notwendigen pädagogischen, psychologischen, soziologischen und didaktischen Skills erlernt und deren Beherrschung durch das Ablegen einer oder mehrere Prüfungen dokumentiert haben! Ich will an dieser Stelle erneut eine Lanze für die Schaffung einer eigenen Berufsprofessionswissenschaft innerhalb meines Berufsfeldes brechen; und das inkludiert selbstverständlich auch die Lehre in diesem!
  • Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Apekt ist die Verfügbarkeit der Ressource „Ärztin / Arzt“ im klinischen Setting. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese in ausreichendem Maße zur Verfügung stünde, um eine derartige Zusatzbelastung überhaupt leisten zu können. Betrachtet man in diesem Zusammenhang dann noch die politischen Pläne, die Krankenhaus- Landschaft bundesweit einzudampfen, sehe ich in der Zukunft tendenziell eher ein Schrumpfen der klinischen Anteile der NotSan-Ausbikldung, bzw. deren teilweise Subsititution durch reichhaltige Simulationsszenarien.

Alles in allem betrachte ich den Vorstoß also als wenig durchdacht, im Hinblick auf die tangierten Ressourcen und Bedürfnisse für nicht bedarfsgerecht, und vollkommen an der klinischen Alltags-Realität vorbei. Ich würde mich über eine Diskussion freuen.