Allüberall ist die Rede vom Stau: Investitionsstau, Bildungsstau, Verkehrsstau und natürlich auch Entwicklungsstau. Gemeint ist damit üblicher Weise ein sehr stockendes Vorankommen. Woraus sich spontan – zumindest für mich – die Frage ergibt, was sich wie schnell in welche Richtung zu bewegen hätte? Und wer das bestimmt?
Wenn ich zum Beispiel ein technisches Projekt zu betreuen hätte, dann wären bestimmte Dinge, wenn auch nicht im Detail so zumindest grob, durch denjenigen vordefiniert, der dafür bezahlt; Dinge wie etwa die benötigte Dauer, das Budget, die Zahl der Personen, die daran arbeiten sollen, sowie deren mindestens notwendige Qualifikationen und noch so einiges anderes. Allerdings zeigen technische Projekte uns in schöner Regelmäßigkeit die Grenzen unserer planerischen Fähigkeiten, die damit zu tun haben, dass es eben Menschen sind, welche die Planung machen und so genannte weiche Faktoren wie eben die Eigenarten, der Umgang miteinander und je die eigenen Ideen der Beteiligten zwar dispositorisch unbeachtet bleiben aber dennoch ihre, gelegentlich durchaus unheilvolle, Wirkung entfalten. Die Elbphilharmonie, der Flughafen Berlin-Brandenburg oder Stuttgart 21 sind schöne Beispiele dafür, wie wenig Weitblick so genannte Experten bei ihrer planerischen Tätigkeit tatsächlich besitzen. Überschreitet die Zahl der an einem Projekt beteiligten Personen und Institutionen eine gewisse Menge, laufen die Dinge mal mehr, mal weniger schnell aus dem Ruder – so sicher wie das Amen in der Kirche!
Ich finde es faszinierend, wenn Menschen anfangen, Diagramme und Tabellen und anderes lustiges buntes Zeugs an die Wand zu projizieren, welche Bedarfspläne und statistische Schätzungen repräsentieren sollen. Esmeralda und ihre Kristallkugel hatten wenigstens ein bisschen mystisches Flair, doch bei solchen Veranstaltungen versucht man die vom Schamanen geworfenen Knochen als wissenschaftlich zu verkaufen. Und ich hasse Verkaufsveranstaltungen aller Art, denn es gibt kaum einen (guten) Verkäufer, der es nicht versteht, die Wahrheit ein wenig aufzupolieren. Schließlich ist das sein Job. Ich mag meine Wahrheit allerdings lieber unpoliert und authentisch.
Und die unpolierte, authentische Wahrheit, an der ich mich zu orientieren pflege ist, dass wann immer Menschen miteinander in Interaktion treten, irgendwann deren individuelle Ideen, Vorstellungen, Werte, Ziele, Wünsche, etc. miteinander konfligieren werden. Und da nicht nur sprichwörtlich jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, beginnt das Karussell der Winkelzüge, kleinen Schummeleien, taktischen Vornahmen oder Unterlassungen im Namen des eigenen Vorankommens; und zwar so lange, bis die Wellen vieler kleiner Einzeltaten beginnen, einander zu verstärken. Was bei sich gegenseitig verstärkenden Wellen passiert, sieht man gut in dem alten Filmchen über die Tacoma Narrows Bridge. Physik ist also auch im mundanen Leben zu etwas nutze.
Ein Entwicklungsstau entsteht also nicht, weil sich die Gehirne nicht bewegen, oder weil sich Werkstoffe und Geld nicht bewegen (lassen), oder weil die Umstände gerade ungünstig sind, denn die werden durch das Wunder des sich selbst organisierenden sozialen Systems ungünstig gemacht. Ein Entwicklungsstau ist stets hausgemacht, so lange man immer und immer wieder die – gedacht – Erfolgreichsten (oder aber die besten Schleimscheisser) mit den größten Projekten betreut, denn diese so genannten Erfolgreichsten (oder besten Schleimscheisser) sind in aller Regel die am wenigsten bescheidenen, menschlichen und teamorientierten Individuen. Für sie gilt nur das eigene Vorankommen. Kultiviert man solcherlei Denken in einem Projekt, wird es entweder gleich ganz sterben, oder aber sehr viel teurer, oder sehr viel weniger erfolgreich als gedacht.
Eine kleine Randbemerkung: Was ein Projekt ist, oder auch nicht, soll jeder für sich selbst entscheiden. ich meine damit nicht nur diese großen Dinger, die ich vorhin als Epic-Fail-Examples genannt habe. Auch im Kleinen geht verdammt viel daneben, weil Selbstherrlichkeit, Alleingestaltungsansprüche, Sturheit, Ignoranz und grenzenlose Überschätzung der eigenen Fähigkeiten die gestalterischen Maximen sind. Ich sehe genau das auch in meinem persönlichen beruflichen Umfeld und es macht mich krank!
Ich glaube allenfalls an die Existenz eines Entwicklungsstaus der sozialen und emotionalen Intelligenz des Menschen, denn den bekomme ich tagtäglich demonstriert. Aber man soll die Hoffnung auf die Entdeckung intelligenten Lebens auf unserem Planeten noch nicht aufgeben. Einstweilen wäre es ein Anfang, wenn man einen Algorithmus fände, nach dem man Menschen mit echten Führungsqualitäten bestimmen kann und endlich mal aufhörte, ALLES nur noch und ausschließlich nach wirtschaftlichen Aspekten organisieren zu wollen. Sind ja nur die zwei größten Aufgaben der Menschheit, kriegen wir die in den Griff, wird alles Andere (fast) ganz von selbst besser werden; davon bin ich überzeugt.