Der verwirrte Spielleiter N°46 # Der staunende Gamer

Kürzlich von mir getroffene Aussagen zum Thema Staunen, Achtsamkeit und Zweifeln sollte man vermutlich ein wenig mit Vorsicht genießen, wenn es an das Zocken geht. Denn Pen’n’Paper lebt von der „willing suspension of disbelief„, also dem Wunsch, an die „secondary world“ zu glauben. Als Spielleiter ist meine kostbarste Ressource also eine in sich kohärente Spielumgebung, in der sich die Spielercharaktere auf bestimmte Dinge verlassen können. Möglicherweise werden die Naturgesetze der realen Welt regelmäßig gebrochen – denkt etwa an Magie, die hält sich üblicherweise NICHT an die Sätze der Thermodynamik. Innerhalb der secondary world jedoch gelten eigene Gesetzmäßigkeiten, die ich auch als Erfinder derselben und SL nicht einfach brechen kann, ohne dass meine Spieler*innen auf die Barrikaden gehen. Wenn ein Breitschwert (z. B. in meinem System) xW6 + Stärkeeffekt W6 Schaden verursacht, gilt das für alle. Das gleiche Schwert verursacht nicht plötzlich in der Hand eines NSCs wesentlich mehr oder weniger Schaden, als unter Beachtung der Regeln plausibel wäre. Gleiches gilt für alle möglichen kritischen Handlungen, aber auch für das Techlevel, das Magielevel, das Sozialgefüge, etc. dieser Welt. Die Dinge mögen anders sein, als hier bei uns – im wesentlichen sind sie aber auch in „Generic Fantasyland“ erst mal so, wie sie sind; und nicht an einem Tag so, und am nächsten aber anders, weil ich gerade Lust darauf habe. Das gilt natürlich für beide Seiten. Ein Spieler kann auch nicht plötzlich die Welt aus den Fugen heben, weil’s ihm halt einfällt.

Diese Verlässlichkeit lässt aber natürlich mit der Zeit in den Spieler*innen neben einer Vertrautheit mit der secondary world auch gewisse Abstumpfungseffekte entstehen. Die Reizschwelle steigt, weil sich irgendwann so ein „Hab-ich-doch-alles-schon-mal-gesehen“-Gefühl entwickelt. Nicht unbedingt schnell und auch nicht bei allen gleich; aber bei erfahrenen Spieler*innen ist es nach einer gewissen Zeit zu beobachten. Sie fangen dann an, sich nebenher mit Anderem zu beschäftigen, weil das halbe Ohr der üblichen (allzu konventionellen) Geschichte ja so oder so folgen kann. Gefährlich wird’s, wenn der SL bei dem Spiel mitmacht, weil er ja schon so viel Erfahrung hat, dass das nicht schiefgehen kann. Ist mir auch schon passiert. Geht übrigens meistens, auf die eine oder andere Art, schief! Letztlich ist derlei die Folge eines Übersättigungseffektes. In Hollywood-Blockbustern, insbesondere im Marvel-Franchise kann man Ähnliches durch die vollkommene CGI-Überfrachtung der Bilder sehen. Die Kinematographie orientiert sich allzu häufig nicht mehr an den wichtigen Charakteren (das wäre klassisches Center-Framing, wie man’s z.B. in „Mad Max: Fury Road“ sieht) sondern am maximal möglichen Szenen-Bombast. Daraus wurde irgendwann ein Wettlauf um die meisten Effekte und hastigsten Schnitte in einer Film-Sequenz. Wenn ICH Kopfschmerzen haben möchte, trinke ich lieber Glühwein, anstatt mir handwerklich schlecht gemacht Action anzuschauen.

Was folgt nun daraus für den staunenden Pen’n’Paper-Gamer? In aller Kürze: erstmal mehr Konzentration auf die Spieler-Charaktere. Sozusagen mentales Center-Framing. Wenn wir die mentale Kamera beim Rollenspiel nahe beim Char halten wollen, ist das Erste, was zu tun ist, das Spotlight halbwegs gleichmäßig zu verteilen (ohne jedoch jene Spieler*innen zu sehr zu überfordern, die nicht solche Rampensäue sind, wie ich). Das Zweite wäre, die Spieler*innen an ihrer kreativen Ehre zu packen, und sie – zumindest ein bisschen – dazu zu bringen, WIRKLICH zu beschreiben, was ihre Chars tun. Das nötigt sie gleichsam dazu, die Szenerie zu visualisieren und sich damit mehr zu involvieren, als abgelenkt durch ein Smartphone oder irgendwelche Handarbeiten möglich wäre. Denn was ich mir nicht aktiv vorstelle, das KANN mich nicht faszinieren. Drittens müssen wir uns trauen, das allzu Bekannte neu abzumischen. Man kann konventionelle Sequenzen, wie etwa Kämpfe neu re-mixen, indem ich als SL das Terrain nutze, nicht immer die gleichen Gegner bringe (z. B. welche, die in keinem Handbuch kodifiziert sind; großer Vorteil meiner Welt: es gibt KEIN Monster Manual), und mich immer wieder daran erinnere, dass auch die Bösen gerne gewinnen. Aber auch Non-Combat-Encounter gewinnen an semantischer Tiefe und damit imaginativer Kraft, wenn ich nicht immerzu die gleichen abgedroschenen NSC-Sterotype nutze. Das Ungewöhnliche ist ein starker salienter Reiz. Diesen Umstand kognitiver Verarbeitung sollte man nutzen.

Ob man auch nach über 33 Jahren Pen’n’Paper noch staunen kann? Allerdings! Ich habe neulich an mir festgestellt, dass z.B. ich auch Serien und Bücher gut finden kann, bei denen die klassischen Franchise-Fanboys und -Girls in wütendem Chor zu einem „Das-ist-NICHT-Kanon“-Geheule anheben. Scheiß Dogmatiker. Anstatt ein Work of Art einfach in seinem eigenen Kontext sehen und bewerten zu können, sucht man immerzu nach einem Haar in der Suppe; und verbaut sich damit die Chance auf eine eigene Erfahrung. Klassisches psychologisches Framing bei der Arbeit – es kann nicht sein, was nicht sein darf! Nur so am Rande: das ist übrigens auch ein typisches Nazi-Narrativ… In der secondary world bedeutet Staunen, fast noch mehr als in der realen Welt, sich auf etwas einzulassen, dass sich als ganz und gar bekloppt herausstellen kann. Das weiß man aber erst hinterher. Und ich würde eine neue Erfahrung nur in ganz wenigen Fällen als verschwendete Lebenszeit betrachten. Eine dieser Ausnahmen ist „Sin City“. Ich finde diesen Film kinematographisch interessant; aber seine Erzählweise ist ein Storytelling-Desaster erster Güte. Folglich hasse ich diesen Film, den so viele Menschen gefeiert haben, weil Frank Miller seine Graphic Novel eins zu eins auf Zelluloid übertragen wollte; und dabei den „Space between the Frames“ ausgelöscht hat. Er hätte mal besser Scott McClouds „Understanding Comics“ gelesen.

Mit den Augen eines Anfängers zu sehen, ist eigentlich nicht schwer. Ich muss mich dazu „nur“ von dieser zeitgenössischen Erwartungshaltung des größer, weiter, höher, mehr frei machen. Ich persönlich mag kleine aber feine Geschichten mit begrenzter Umgebung und halbwegs klaren Zielen viel lieber, als diese Weltenretter-Scheiße, die man mittlerweile viel zu oft serviert bekommt. Kleiner geht’s nicht? Dann schaut euch noch mal „Mad Max: Fury Road“ an. Einstweilen wünsche ich einen schönen Sonntag. Always game on!

Auch als Podcast…

Der staunende Zweifler

Der Huzz und Buzz des alltäglichen Wahnsinns hat uns schon ganz schön heftig in seinen Klauen. Wie schön wäre es, wenn man sich tatsächlich an den „kleinen Dingen“ erfreuen und vom Trott des Hamsterrades ablenken könnte, ohne dafür etwa nach Kambodscha fliegen und Angkor Wat besichtigen zu müssen. Abseits der aberwitzigen Kosten, der zeitgenössischen Flugscham und der notwendigen Impfungen wäre das auch ein recht zeitintensives Unterfangen, um mal eben runterzukommen. Und wir wollen ja sogar unsere Achtsamkeit jetzt gleich – und zudem am besten schön Instagrammable oder Tiktokerisierbar. Ja – Social-Media-Konsum und Achtsamkeit wiedersprechen sich in vielerlei Hinsicht. Ärgerlich, oder? Nimmt man sich die ca. 30 Sekunden, die bis hierhin zum Lesen dieses Posts verbraucht wurden – KOSTBARE 30 SEKUNDEN, in denen man der Welt NICHT zeigen konnte, was für eine coole Sau man ist – einfach als Moment, in dem man evtl. zum Denken angeregt wurde, erscheint das anachronistische Element des Begriffes Achtsamkeit plötzlich sichtbar.

A better day…?

Achtsamkeit bedeutet im Kern doch erst mal nichts weiter, als seine Aufmerksamkeit gezielt lenken, und dabei Dinge, die vom derzeit individuell Wesentlichen ablenken ausblenden zu können; wenigstens zeitweise. Und hier haben wir das Hauptproblem: nämlich überhaupt erst mal zu wissen, was individuell wesentlich ist. Denn solange ich dauernd online, dauernd verfügbar bin, sind Ablenkung, Prokrastination und DAS MITTEL gegen Fear Of Missing Out immer nur einen Griff in die Tasche weit entfernt. Vielleicht wäre es ganz gut, sich zu erinnern, was „verfügbar sein“ wirklich bedeutet: nämlich das ich Anderen Gewalt über meine Zeit und damit zumindest Teile meines Lebens gebe – Verfügungsgewalt eben. Bei einem Diensthandy bekommt man dafür Bereitschaftzszeiten bezahlt. In der Social Cloud ist die Währung, in der ich bezahlt werde die Aufmerksamkeit, welche mir zuteil wird. Doch wenn ich dauernd zuerst nach der Aufmerksamkeit giere, vergesse ich möglicherweise, auf mich selbst, meine Bedürfnisse zu achten – und vernachlässe in der Folge meine Achtsamkeit.

Ich sprach zuvor von den „kleinen Dingen“. Manchen Menschen kommen dabei Begriffe wie, „die Welt mit den Augen eines Kindes sehen können“ in den Kopf; ganz so, als würde das Staunen des Kindes durch einen anderen Blick auf die Welt entstehen; eine noch nicht von Erfahrung, Verstehen und Verantwortung verbaute Sicht der Dinge. Quasi unschuldig. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Augen eines Kindes in der üblichen Auslieferungsform auch einen Mund haben, der in der Folge sehr seltsame Fragen stellen und uns ganz schnell aus der Fassung bringen kann. Mal davon ab, dass wir ja oft genug selbst unsere Kinder auf – für uns bemerkenswerte – Dinge hinweisen; womit das Kind irgendwann lernt, für bemerkenswert zu halten, was auch schon seine Eltern für bemerkenswert hielten. Das nennt man Imitationslernen. Und es ist noch dazu, wenn vermutlich im Normalfall auch ohne böse Absicht, eine durchaus manipulative Variante von Pädagogik. (Ein paar der Gedanken habe ich übrigens aus diesem Artikel auf Zeit-Online entlehnt, ist hinter der Paywall) Dennoch ist das STAUNEN KÖNNEN etwas, wonach sich viele Erwachsene anscheinend stark sehnen. Und manche zahlen dafür anscheinen sogar Geld. Ich würde das anders angehen. (Verdammt, ich begebe mich jetzt vielleicht gerade auf die Ratgeberschiene! Aber keine Sorge – ich verlange nichts dafür!)

Anekdotische Evidenz (auch bekannt als „…also bei mir ist das so…!“) hat bekanntermaßen keinerlei Beweiskraft und eignet sich bestenfalls für unernsthaften Smalltalk. Weil das hier aber MEIN Blog ist, sag ich’s einfach mal so: Achtsamkeit beginnt damit, sich selbst nicht mehr so viel abzulenken! Ist einfach, oder? Da brauch man jetzt kein Seminar für: LEG EINFACH DIE VERDAMMTE TASCHENWANZE WEG! So, der erste Schritt wäre getan. Und jetzt schau dich um. Achtsamkeit braucht KEINE Tools. Nur deine fünf Sinne. Allerdings bitte nicht immer alle, denn z. B. auf einem Waldweg einfach mal irgendwas, was du gerade gefunden hast zu schmecken, könnte medizinisch bedeutsame Konsequenzen haben. Und vor allem, versuche nicht immer alle Sinne gleichzeitig zu bedienen! Das macht einen kirre. Wenn du unbedingt etwas dafür bezahlen möchtest, digital detoxifiziert zu werden, kannst du natürlich in irgendso ein Camp gehen.

Oder du legst das Handy nach dem Fertiglesen weit weg! Noch weiter! Mindestens zwei Zimmer weiter! Dann setzt oder legst du dich bequem auf die Couch oder dein Bett und denkst mindestens 15 Minuten über folgende Frage nach: „WAS WILL ICH WIRKLICH?“ Mach dabei ruhig mal die Augen zu. Höre KEINE Musik! Schau NICHT fern! Sei ruhig mal allein mit deinen Gedanken. Ich weiß, das das beängstigend sein kann, aber das musst du jetzt aushalten! Und dann schreibst du die Antworten, die dir einfallen auf Papier! Auf Papier, hörst du? Mit einem Stift! (Ich benutze übrigens einen Füller). Das machst du mindestens einmal alle drei Tage, und du legst die Zettel in ein Glas. Kauf dir bitte NICHT extra eines dafür, sondern benutze ein gebrauchtes Marmeladeglas. Ist nachhaltiger. Und nach einem Monat kommt der Review. Ob du große, oder kleine Themen niedergeschrieben hast, ist egal. Wichtig ist, dass du jetzt darüber nachdenkst, warum du Ziele NICHT erreicht hast. Zweifele an deinen Methoden! Zweifele an deinen Zielen! Zweifele auch mal an deiner Wahrnehmung. Hat die Person das wirklich gesagt? Hat die Person das wirklich SO gesagt? Hat die Person das wirklich SO GEMEINT? Du weißt, wohin das führt, aber das muss sein. Man nennt das Selbstreflexion. Das ist der erste Schritt eines Prozesses, der länger dauert. Und wenn du Bock hast, erzähle ich dir vollkommen kostenfrei, was noch alles kommt. Aber nicht jetzt.

Wichtig ist, dass du zuerst verstehst, dass du gerade wieder lernst, zu staunen. Über dich. Über deine Mitmenschen. Über die Welt um dich herum. Dafür muss man nicht weit reisen, Geld ausgeben, oder unglaublich schlaue Bücher lesen, sondern sich mehr und öfter bewusst mit dem beschäftigen, was um einen herum und in einem drin vorhanden ist; und viel weniger mit dem, was einem Andere aufzwingen, indem man verfügbar ist. Denn man sollte öfter mal bezweifeln, dass Andere einem tatsächlich wohlmeinen. Häufig benutzen die dich nur als Mittel, ihr eigenes geringes Selbstwertgefühl zu steigern. Dazu bist DU zu schade! Probiers mal aus, und sag mir, ob es für dich auch funktioniert. Vielleicht wirst ja auch DU zu einem staunenden Zweifler. Bis dahin – schönen Abend.

Auch als Podcast…

Kurator N°2

Jetzt war ich im letzten Post voll auf der Geschäftsleben-Schiene. Aber natürlich ist unser kleiner (manchmal großer) innerer Kurator auch in anderen Bereichen tätig. Besonders, wenn es um unser Abbild in den antisozialen Medien geht. Für den eigenen Avatar – was hier nicht nur das Bildchen meint, welches in den entsprechenden Profilen zum Einsatz kommt, sondern natürlich auch den Bedeutungsgehalt, also die Wirkung, welche man mittels Social Media bei den möglichen Rezipienten erzielen möchte – wird häufig viel Zeit zur Pflege verwendet, weil viele menschliche Wesen nach ihren ganz persönlichen 15 Minuten Ruhm streben! Und es ist dabei unerheblich, ob sie dies bewusst oder unbewusst tun; die sichtbaren Auswirkungen bleiben die gleichen. Das ist, was ich meine, wenn ich von der „Kuratierbarkeit des eigenen Lebens“ spreche, welches im Jahr 2022 zu einem nicht unerheblichen Teil auch in der Virtualität stattfindet. Es wird dabei nicht selten eine Persona erschaffen, welche mit ihrem realweltlichen Analogon (also ihrer/m Schöpfer*in) nicht zwingend deckungsgleich sein muss. Manchmal ist sie dies nicht mal annähernd…

Wahrhaftigkeit und Beständigkeit…?

Die daraus resultierenden sozialen Phänomene sind oft einfach nur erheiternd, manchmal bizarr, und selten auch mal dramatisch oder gar traurig. Sie verweisen jedoch immer auf die, wie oben schon gesagt bewussten oder unbewussten Intentionen ihrer Schöpfer*innen. Die Frage, welche sich nun daraus ableitet, ist diejenige nach den Motiven. Ich meine, die von mir ins Spiel gebrachten 15 Minuten Ruhm klingen griffig; aber oft erscheint es so, als wenn es vor allem um Anerkennung und Respekt innert der eigenen Peergroup geht, weil soziale Codes benutzt werden, deren tatsächliche Bedeutung sich Typen wie mir eh nicht mehr erschließt (remember: white, middle-aged, cis-gender guy); ich sag ja zum MEME auch Meme anstatt Mim, dessen Richtigkeit sich durch Hinsehen natürlich sofort erschließt… Danke, Richard Dawkins. Das alles macht manche Bemühungen nicht einfacher. Zum Beispiel meine Arbeit in der Berufsbildung. Denn natürlich verändert die (Selbst)Erfahrung einer kuratierbaren, virtuellen Persona die Erwartungen an die Wirksamkeit des realweltlichen Verhaltens gleich mit.

Es erscheint dann oft so, als wenn nicht wenige SuS zwischen zwei Extrempolen pendeln würden: der Erwartung einer weitgehenden VERINSTGRAMUNG – oder noch schlimmer VERTIKTOKISIERUNG – von Unterricht auf der einen Seite, und dem Wunsche nach knüppelharten Frontalunterricht (wie in der guten alten Zeit an der allgemeinbildenden Schule) auf der anderen. Wobei innerhalb eines Klassenverbandes (falls es denn einen gibt) oft eine Gleichzeitigkeit beider Pole zu beobachten ist; und natürlich auch aller möglicher Spielarten dazwischen. Was es fast unmöglich macht, einen Königsweg zu finden. Vielleicht spielt dabei manchmal auch der „innere Monk“ eine Rolle, wenngleich ich vielen Mitgliedern der Generation Z unterstellen wollen würde, dass sie nie eine nennenswerte Zahl von Folgen dieser Serie gesehen haben. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen extrem und nach maximaler Desillusionierung. Doch das ist gar nicht der Fall. Für mich ist dieser Wandel in (Selbst)Wahrnehmung und (Selbst)Darstellung die logische Folge von Kultur als Prozess. Ich bin meinen SuS deswegen nicht böse, oder enttäuscht, sondern ich nehme wahr, dass sich Prioritäten und Wertigkeiten verschieben; ganz gleich, ob ich das gut finde, oder nicht. Was bedeutet, dass ich mich darauf einlassen MUSS, wenn ich als Lehrer und Leitungsperson relevant bleiben will!

Womit wir bei einer zweiten, hochrelevanten Frage wären: nämlich, was das für meine Tätigkeit als Kurator bedeutet? Als Kurator von Lern- und Arbeitsumgebungen ebenso, wie als Kurator meiner eigenen Persona, in der virtuellen, wie auch in der realen Welt. Ich sprach gestern von Honne und Tatemae; und natürlich sind die beiden Begrifflichkeiten auch jetzt wieder am Start, wenn ich für mich beantworten muss, wie ich authentisch und bei mir selbst bleiben kann, ohne in einer Welt abgehängt zu werden, deren Wandel-geschwindigkeit mich manchmal überfordert? Denn auch, wenn ich vorhin gesagt habe, dass Persona und Person nicht zwingend deckungsgleich sein müssen, werden wir, früher oder später, wenn die reale Welt wieder übernimmt auf unser reales Selbst zurückgeworfen sein. Und ICH wäre nicht mit mir zufrieden, wenn dieses reale Selbst nur noch aus Maske bestünde. Carl Rogers, der Vater der Klientenzentrierten Psychotherapie spricht in diesem Zusammenhang von Kongruenz, vom mit sich selbst eins sein. Und weil viele Menschen ein sehr feines Näschen dafür haben, wenn sie verarscht werden, ist mir Authentizität in Wort und Tat immer ein Grundbedürfnis sozialer interaktion. Wie ich das auch in der Virtualität hinbekomme, deren Verlockung ja doch immer das Vexierspiel mit der möglichen Selbst-Darstellung im Netz ist, weiß ich noch immer nicht, obwohl ich schon eine Weile übe. Wie könnte ich da von meinen SuS perfekte Out-of-the-Box-Lösungen erwarten…?

Mal schauen, was mir die Tage zum Themenkreis Kurator/Kuratierbarkeit noch einfällt. Einstweilen wünsche ich allen eine halbwegs erträgliche Woche.

Auch als Podcast…

Kurator N°1

In den vergangenen Tagen drehten sich meine Gedanken vor allem darum, diese Woche zu überleben, und all die verschiedenen Eimer voller Ärger und Arbeit, welche Andere auf meinem Schreibtisch auszuleeren beliebten irgendwie in den Griff zu bekommen. In einem Job, der viel mit Leiten und Organisieren zu tun hat, ist es oft NICHT so, dass am Ende eines Arbeits-Schrittes oder gar eines ganzen Prozesses ein fertiges Werkstück vorliegt, wie dies etwa bei meiner besten Ehefrau von Allen der Fall ist. Es gibt bei ihrer Arbeit ein greifbares Produkt, dessen Entstehung zeitlich von definierten Start- und Endpunkten begrenzt wird. Organisationsprozesse hingegen sind immerzu im Fluss; und sehr oft muss man (manchmal im wahren Wortsinn) aufstehen und sich umsehen, um herausfinden zu können, an welcher Stelle man sich gerade befindet. Einerseits bedeutet das viele Freiheiten bei der Gestaltung der eigenen Arbeit; andererseits aber auch ein andauerndes ambivalentes Gefühl, zwar viel getan aber nix fertig bekommen zu haben. Weil einem oft die Landmarken fehlen.

Auch hier hat der Kurator zugeschlagen… Ich würd‘ wieder hinwollen!

Leiten/Führen ist eine Dienstleistung, die grundsätzlich nach dem Uno-Actu-Prinzip funktioniert und sehr häufig von der Leitungsperson verlangt, Entscheidungen zu treffen, für die man eigentlich in die Zukunft schauen können müsste. Nun sind unsere armen kleinen Affengehirne zwar mit mehr oder weniger komplexen Heuristiken für das Überleben im Hier und Jetzt ausgestattet; eine mögliche Zukunft antizipieren zu wollen, deren tatsächliche Erscheinungsform von vielen Variablen abhängig ist, die wir allzu oft nicht einmal annähernd alle kennen, muss jedoch zwangsläufig oft zu Spökenkiekerei degenrieren. Auch wenn uns die Wirtschaftswissenschaftler das gerne anders verkaufen wollen. Vor allem die bizarren Produkte menschlicher Entscheidungsfindungsprozesse sind dabei ein riesiges Problem. Wir ticken recht oft erstaunlich irrational; selbst, wenn es um’s liebe Geld geht. Das führt dazu, dass man manchmal Entscheidungen hinauszögert, weil man sich eine noch bessere Entscheidungsbasis herbeizaubern zu können erhofft, und am Schluss nicht nur verspätet reagiert, sondern allen vordergründig rationalen Bemühungen zum Trotze dennoch objektiv suboptimale Entscheidungen trifft. Ich war dort! Ich weiß also, wovon ich rede (ich weiß, ich weiß, anekdotische Evidenz zählt nicht. Und doch… und doch…)

Sinn und Zweck ergeben sich oft erst in der Kommunikation…

Ich hatte letzthin davon gesprochen, dass man beim Decision Fallout auch immer mal wieder versucht ist, die Konsequenzen von Entscheidungen anderen aufzubürden; denn gerade im Geschäftsleben geht es oft darum, dass dieser oder jener „nicht sein Gesicht verlieren“ darf. In der japanischen (Geschäfts)Kultur kennt man hierbei die Trennung zwischen „Honne“ (tatsächlichen Gefühlen ) und „Tatemae“ (die Masken, welche wir in der Öffentlichkeit tragen). Ich würde nicht soweit gehen, zu sagen, dass auch viele Menschen in der westlichen Geschäftswelt diese Idee wirklich verinnerlicht haben. Aber wenn ich eine Argumentation höre, die nicht darauf basiert, was objektiv für eine Organisation gut ist, sondern, wie man sich am besten Gesicht erarbeitet und wahrt, bekomme ich so meine Zweifel an der Objektivität mancher Entscheidungen. Denn wenn es jemandem offenkundig zuvorderst darum geht, sich als Kurator seines Images bzw. seiner Reputation zu vermarkten, bleibt die Frage nach der wahren Substanz von Entscheidungen, nach dem wirklichen semantischen Gehalt von Kommunikation; und schließlich nach der Verlässlichkeit des Gegenübers, wenn es um die Konsequenzen solcherlei motivierten Handelns geht unbeantwortet. Oder wie Sartre gesagt hat: „Die Hölle, das sind die Anderen.“

Nur um das hier noch mal in aller Deutlichkeit gesagt zu haben: Wer ohne Sünde ist, und so weiter und so fort. Natürlich bin auch ich schon in diese Falle getappt und tue es wohl auch in Zukunft immer mal wieder. Aber mittlerweile seltener. Was daran liegt, dass meine diesbezügliche Wahrnehmung (Lernen durch Schmerz) immer besser wird. Was nichts daran ändert, dass ich mich manchmal im Decision Fallout Anderer stehen sehe, denen die Konsequenzen ihres Handelns entweder nicht bewusst sind, oder aus oben genannten Gründen in Kauf genommen werden; schließlich zahlt ja jemand anders die Zeche. Falls man meine Worte bis zu diesem Punkt als halbwegs wohl abgewogen wahrgenommen hat, habe ich mich selbst wohl halbwegs erfolgreich als Kurator meiner Reputation versucht – also mein persönliches Tatemae gepflegt. Mein Honne jedoch ist in Aufruhr, denn ich bin stinksauer, weil die rein gesichtsbasierten Entscheidungen Anderer mir Sorgen und Arbeit bescheren, für die ich im Moment weder die Nerven noch die Ressourcen habe. Und ich darf sie dafür nicht mal anschreien! Ich bin ehrlich gesagt gespannt, wie viel ich noch ertrage, bevor ich mit irgendsoeinem Headhunter auf XING doch mal ernsthaft ins Gespräch gehe. Schönen Sonntag.

Auch als Podcast…

Teilhabe?

Markus Söder kritisiert das Bürgergeld als ungerecht und unfair… muhahahahahahah. War das nicht der Mann, der so sehr in der Vergangenheit lebt, dass ihm das Kruzifix an der Wand wichtiger war, als Ehrlichkeit und Realitätsnähe? Markus Söder, dieser machtgeile Möchtegern-Tribun des bajwaurischen Volkes ist mittlerweile schlicht unwichtig, also muss er poltern, damit er überhaupt noch von irgendwem außerhalb des provinziellen Miefs wahrgenommen wird, aus dem er kommt – und in dem er bald auch wieder verschwinden wird. Schrotthaufen der Geschichte, Abteilung gescheiterte Populisten. Das Bürgergeld kommt, und egal ob der Mittelstands-Blackrocker Merz oder irgendwelche anderen, vollkommen realitätsfernen Lichtgestalten der größten Schmiermaschine der bunten Republik (für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: CDU/CSU) noch so dagegen wettern: bei allen handwerklichen Problemen der Jurisdiktion, die sich beim Beheben des größten sozialdemokratischen Fehlers seit dem 2. WK (für alle, die DAS nicht mitbekommen haben: HARTZ IV) so ergeben, bleibt die Notwendigkeit bestehen. Arbeiten zu gehen würde sich nicht mehr lohnen, hört man dann von den Schwarzen und den Blauen unisono. Weil der Abstand zwischen den Einkünften aus Transferleistungen und aus eigener Arbeit schrumpfen würde. Ich sehe das anders: wenn jemand, der 40h die Woche einer Arbeit nachgeht, mit dem erwirtschafteteten Salär seine Existenz nicht bestreiten kann, IST DER LOHN ZU NIEDRIG! Und entgegen aller Unkenrufe hat der Mindestlohn seit seiner Einführung 2014 kaum negative Auswirkungen auf die Beschäftigungsstabilität gehabt. (und das Handlesblatt kann man wohl als seriöse Quelle einstufen…)

Großherzoginnen taugen heute nur noch als Statuen…

Die „Preußischer-Gutsherr-Mentalität“ so vieler angeblicher Führungspersonen landauf landab ist mir mittlerweile so dermaßen zuwieder, dass es mich krank macht! Die „Abhängigkeit“ im Begriff „abhängige Lohnarbeit“ als wichtigstes Element des „Im-Zaum-Haltens“ der Plebs? Was für ein grausam inhumanes Menschenbild diese Abziehbilder der echten Manchester-Kapitalisten hier öffentlich zeigen, lässt nur einen Schluss zu: es geht ihnen nicht um die Menschen, von denen sie gewählt werden, sondern nur um sich selbst, den Erhalt ihrer Macht und die Festigung eines Status Quo, der möglichst viele Menschen von echter Teilhabe ausschließen soll, damit man die wichtigen Entscheidungen „unter sich“ abmachen kann. Klingen meine Worte ein bisschen nach Verschwörungsmythos? Nach „die da oben, wir hier unten“? Nach enttäuschtem Sozialisten? Nach Depression? Ich würde sagen, ein bisschen von allem. Denn natürlich sind Lobbyisten-Gespräche, wie wir sie in Filmen präsentiert bekommen großer Käse. Das passiert alles mehr oder weniger öffentlich. Ab und zu blubbert was an die Oberfläche, und dann wird eine Rundfunk-Intendantin abgesägt, weil Sie sich’s zu gut hat gehen lassen und noch nicht mal in der Lage ist, darin eigene Schuld zu erkennen. So wird’s auch dem Söder und dem Merz gehen. „Wir? Wir haben doch nichts böses getan…?“

Was man halt so böse nennt. Ich denke mittlerweile, dass solche Menschen soweit von meiner gesellschaftlichen Lebensrealität entfernt sind, dass sie sogar glauben, was sie sagen. Weil sie zu blind, zu entrückt und zu gut gepampered sind, um zu erkennen, welche Folgen ihre Entscheidungen an anderer Stelle haben können. Wir Menschen können mit steigender Komplexität nicht sonderlich gut umgehen. Ich würde einem Söder jetzt normale Inteligenz, Erfahrung und Bildung attestieren. d.h. er hat in etwa die gleichen Voraussetzungen wie ich, die Dinge zu durchschauen. Aber seine Lebensrealität (Achtung Konstruktivismus!) erlaubt ihm ein völlig anderes Framing, was zu völlig anderen Schlüssen führt. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass unser politisches System irreparabel ist! Es wäre wahrscheinlich gerechter und ehrlicher, alle zwei Jahre max. 500 Abgeordnete per Los zu bestimmen, anstatt unser Schicksal in die Hände von Leuten zu legen, die sich erst mühsam durch die jeweilige Parteienhierarchie hochbumsen mussten, um zu den empathiebefreiten Menschoid zu werden, die sie jetzt sind. Und wir bräuchten wesentlich weniger hechelnde Berichterstattung. Die regt nur unser schnelles Denken an, wenn doch das langsame Denken für Entscheidungen von gewisser Tragweite wesentlich sinnvoller wäre (nochmal Danke Daniel Kahnemann, DER Nobelpreis war verdient!)

Das Bürgergeld soll Teilhabe stärken und Menschen die Chance geben, auf würdige Weise wieder in Lohn und Brot zu kommen, wenn die Notwendigkeit dazu besteht. Es ist gedacht als Brücke, um lebenslanges Lernen, welches sich die EU und damit auch die BRD bereits 2000 mit dem Memorandum der Kommission auf die Fahnen geschrieben haben, besser unterstützen zu können, als HARTZ IV dies jemals realisieren konnte. Und wenn es Anfangs Inkonsistenzen erzeugt, oder jene Menschen, die auch HARTZ IV niemals erreichen konnte nicht aktiviert – DANN IST DAS VERDAMMT NOCHMAL SO! Der alte konservative Traum von der Peitsche für die Unwilligen sollte 2023 endgültig ausgeträumt sein, wenn wir damit jene überwältigende Mehrheit von willigen und dankbaren Transferleistungs-Beziehern wieder sozial gerechter und würdiger integrieren können. Und wenn das irgendwelche Mogule ein paar Milliarden ihres Vermögens kostet, mit dem sie zumeist eh nichts sinnvolles zum Gang der Welt beitragen, außer die CO2-Emmissionen immer schön weiter anzuheizen, dann wäre MIR dies hochwillkommen. Kann bitte jemand den Söder und den Merz und ihre Geistesbrüder und -schwestern abholen. Die braucht niemand mehr. Schönen Tag noch.

New work N°11 – Networking…?

Netzwerken ist in der Personal- und Organisationsentwicklung ein alter Begriff. Allerdings meinen viele Menschen höchst unterschiedliche Dinge, wenn sie diesen benutzen. Für Manche ist das lediglich die Beschreibung einer technizistischen Angelegenheit; es geht ihnen um das elektronische Verbinden von funktionalen Einheiten, seien dies Menschen, Liegenschaften oder unterschiedliche Informations- und Kommunikations-Technologien. Also Hard- und Software. Am anderen Ende der Skala finden wir den psychologisch-sozialwissenschaftlichen Ansatz, der Individuen miteinander verbunden sehen möchte, um die jeweiligen Stärken füreinander nutzbar machen zu können, also die Wetware. Zur Erinnerung, wir bewegen uns in der Welt der Arbeit – hier geht es nicht um die Dimensionen Sympathie <=> Liebe, Antipathie <=> Hass, oder Unmut <=> Spaß. Wenn wir bei der Arbeit zu viel Spaß hätten, müssten wir womöglich noch eine Gebühr an den Chef bezahlen… Nein, nein, hier geht es zuerst um die Nutzbarmachung von Potentialen zum Gewinn des Unternehmens. Auch wenn Netzwerke ein normaler, ja sogar notwendiger Bestandteil von Leben sind!

Sind in der Natur hinterlassene menschliche Artefakte auch Networking?

Allerdings haben private und geschäftliche Netzwerke eines gemeinsam: immer noch betrachten wir technologische Artefakte und Sozialbeziehungen als strikt voneinander zu trennen. Das reflektiert sich in komplexen Institutionen z. B. durch das Vorhandensein personell und räumlich voneinander getrennter IT- und HR-Abteilungen (Human Ressources, für Menschen, die mit Business-Sprech nicht so vertraut sind). Diese Trennung suggeriert, dass Mensch und Technologie voneinander unabhängig seien. Ich behaupte, das ist falsch. Schauen wir uns Twitter als Beispiel an. Dieser Tage entspann sich ein ein kleiner Schlagabtausch zwischen Horror-Tycoon Stephen King und Möchtegern-Alleskönner-Tycoon Elon Musk, der sich im Kern um die Frage drehte, ob es legitim sei, jetzt für Twitter-Accounts Geld zu verlangen, obwohl doch das einzige Kapital, welches Twitter hätte, seine Nutzer seien, die ja den ganzen Content generierten; und das ganze Drama, die ganze Spannung, die ganzen Stürmchen im digitalen Wasserglas, usw. Elon Musk, der alte Empörungs-Nutznießer will für Twitter, dass digitale Brennglas der globalen Entrüstungs-Industrie jetzt Gebühren erheben; wenn das nicht ironisch ist…?

Aus diesem Blickwinkel lassen sich Medium und Creator nicht trennen. Und das gilt für andere Formen antisozialer Medien genauso. Auch bei TikTok, Instagram und Snapchat werden Sender, Botschaft und Medium eins – im Guten, wie im Bösen. Mal wieder mit Marshall McLuhan gedacht realisiert sich die Einheit neuer Technologien mit uns Menschen hier als Verlängerung unserer Physis in die Virtualität. Wenn man so will, haben wir uns schon einen Cyberspace geschaffen, denn selbst politische Mehrheitsbildung kann heutzutage im Netz der Netze beeinflusst werden. Kommen wir zurück zur New Work, so bedeutet hier das aristotelische Diktum vom „mehr als die Summe seiner Teile sein“, dass das Netzwerk Synergien erzeugt, die mehr sind, als nur die Summe seiner Technologie und seiner Nutzer – sofern wir uns darauf einlassen, technologische Artefakte und ihre Bedeutung für unser Miteinander als gleichwertige Variablen in Netzwerktopologien miteinzubeziehen. Hierzu sei auf die Akteur-Netzwerk-Theorie verwiesen, die vom erst kürzlich verstorbenen Technik-Soziologen Bruno Latour maßgeblich mitentwickelt wurde.

In der, für die Abbildung gewählten Nomenklatur steht M für Mitarbeitende, C für Cluster, L für Leitungsperson und T für Technologie. Die unterschiedlich gezogenen Doppel-Pfeile zeigen, dass eine Vielzahl möglicher Verbindungen von unterschiedlicher Intensität und Verbindlichkeit unter allen Prozessbeteiligten möglich ist. Dazu ist zu bemerken, dass diese Verbindungen bedarfsbedingt emergieren können (etwa im Rahmen von Projektarbeiten), und nicht zwingen zeitstabil bleiben müssen. Überdies sind alle Arten von Verbindungen zunächst als gleichwertig zu betrachten. In der Akteur-Netzwerk-Theorie spricht man von Punktualisierungen, die notwendigerweise, weil alles Soziale ein Prozess ist, ein gewisses Maß an Instabilität aufweisen (hierzu Law 2006, S. 436 ff). Zur zeitlichen Instabilität einiger Akteure und Aktanten (hierzu Akrich, 2006, S. 408) tritt die Frage von individueller Nähe und Distanz, sowie von zeitlicher Dauerhaftigkeit anderer, spezieller Akteure; hierin besteht die Antwort auf die Frage, was Führung in einem Akteurnetzwerk voller, eigentlich auf Augenhöhe agierender Individuen und Technologien ausmacht: nämlich die Dauerhaftigkeit einiger Akteure, welche durch ihr früheres und längeres Vorhandensein zu Netzwerkknoten werden und daher die Spielregeln des Netzwerkes zumindest zeitweilig prägen können. Modelliert man das Bild einer Organisation unter diesen Gesichtspunkten, stellen z. B auch die vielzitierten Ansprüche der Generation Z keine echte Herausforderung des Tradierten mehr dar, weil eben dieses Tradierte, Zuvor-Gewesene sich schon des steten Wandels bewusst ist.

Ich sitze schon wieder krank daheim, und während die Beschwerden langsam besser werden, funktioniert das Hirn halt weiter. Daher schreibe ich hier, denn es wäre mir daran gelegen, wenn die Menschen sich des Umstandes erinnerten, dass man Kultur immer in ihrem prozessualen Aspekt denken muss. Dass meint auch Organisations-Kultur und das dazugehörende Networking. Ich wünsche eine schöne Woche.

McLuhan, M. (2011): Die Gutenberg-Galaxis. Die Entstehung des typographischen Menschen. Deutschsprachige Ausgabe. Hamburg: Gingko Press Verlag.
Akrich, M. (2006): Die De-Skription technischer Objekte. In Belliger, A.; Krieger, D. J. (Hrsg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld, transcript Verlag, S. 407 – 428.

Law, J. (2006): Notizen zur Akteur-Netzwerk-Theorie: Ordnung, Strategie und Heterogenität. In Belliger, A.; Krieger, D. J. (Hrsg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld, transcript Verlag, S. 429 – 446.

Eine Schreibübung…

Blitze zerrissen die Dunkelheit und dichter Regen fiel wie eine Wand. Merrick stand da, ganz still, nur atmend. Von den Zinnen des Turmes aus war es unmöglich den Hof der Zitadelle komplett zu sehen. Irgendwo da unten waren sie, lauerten, gierten nach seinem Blut. Das Gewitter schwieg für einen Moment und er sprang. Der Fall war lang und mit einem lässigen Federn rollte er von Punkt seines Aufpralls weg, die Schwerter aus den Scheiden zischend. Der erste Angriff hätte ihn beinahe getroffen, doch das Biest aus Schatten zerfaserte mit einem Aufheulen, als er ihm mit einem sauberen Schnitt ein Bein abtrennte.
Die nächsten Angriffe folgten in schneller Folge, doch seine Klingen zeichneten einen hypnotischen Wirbel in die Dunkelheit, Gegner um Gegner zurückschlagend; dann schrillte ein Klingeln durch den Burghof, dass alle für einen Moment zu irritieren schien. Eines der Biester erwachte wenige Hundertstelsekunden vor ihm aus seiner Verwirrung und lange, elend scharfe Klauen fuhren von oben durch seine Schulter, zerrissen seinen Brustpanzer und mit einem Schrei hauchte der Samurai sein Leben aus, zerfetzt von einem Schatten-Oni.
Mit einem lästerlichen Fluch auf den Lippen betrachtete er das „GAME OVER“ in seiner Brille, einen Moment überlegend, ob er jetzt überhaupt auf den Idioten reagieren sollte, der gerade seine Kom-Blockade umschifft und ihn damit sein letztes Leben gekostet hatte. Mit einem Seufzen stöpselte er aus, setzte die Brille ab und ließ seinen Blick durch die Arcade schweifen, wo in Dutzenden angeranzter Virtu-Kabinen andere Gamer ihr Glück versuchten. Das Klingeln war persistent, also bestätigte er und der Holo-Projektor seines Omnis zeichnete das Bild eines nichtssagenden Standard-Avatars in die Luft. Gemäß des, vom Anrufer aktiviertem Privacy-Protokolls wurde der Audio-Stream des Anrufes direkt in den Drahtlos-Anschluss seiner Buchse gestreamt.
Datenbuchsen der neueren Generationen hatten dieses Feature serienmäßig und er mochte es. In aller Öffentlichkeit telefonieren zu können, ohne dass die Informationen kompromittiert wurden; wenn nicht gerade zum rechten Zeitpunkt irgendein ultrakrasser Hacker im Nahbereich saß und den Feed anzapfte. Aber das konnten nur sehr, sehr wenige. Also fühlte er sich ziemlich sicher. War auch besser so, denn der Anrufer vertrat eines wichtigen Kunden.
„Merrick-San, schön dass sie es doch einrichten konnten. Ich hoffe, ich habe sie nicht bei etwas Wichtigem gestört…?“
Diese freundliche Stimme von Mr. Shao nervte ihn, wussten doch beide, dass es dem Anrufer scheißegal war, ob er gerade eine Ehe gesprengt, oder einen wichtigen Deal vereitelt hätte. Er machte sein Ding für seinen Boss und alle anderen hatten zu kuschen. Dieses elitäre Geschmeiß aus den oberen Ebenen. Die waren doch alle gleich. Er atmete einmal tief durch und versuchte mit möglichst nichtssagender Stimme zu antworten, denn ein Job aus diesem Büro war immer hilfreich, weil top bezahlt.
„Nö, Shao, is alles Sahne. Was gibt’s?“
„Mr. M benötigt ihre Dienste für einen Personentransfer vom Raumhafen ins Blue Chip.“
„Reicht dafür kein Taxi-Unternehmen?“
Sein Tonfall hatte ins Genervte gewechselt. Was sollte das?
„Mr. M hat explizit sie angefordert, da der Gast noch nie in Tairan City war und man nie wissen kann…“
Die unausgesprochenen Teile des letzten Satzes ließen vermuten, dass es vielleicht doch nicht so langweilig werden könnte. „Wann soll’s losgehen?“
„Jetzt! Wenn sie akzeptieren, schicke ich ihnen alle relevanten Informationen auf ihr Omni. Mr. M bittet um Diskretion!“
Das tat er eigentlich immer, also war es unnötig darauf hinzuweisen, weshalb er ihre letzte Äußerung mit einem gebrummelten „Schick schon!“ quittierte. Mit einem höchst indignierten Gesichtsausdruck übertrug der Avatar ein Datenpaket in sein Omni und das Gespräch wurde beendet.
Die gebotene Bezahlung war allerdings attraktiv. Er sah sich noch einmal um, unauffällig auf das Highscore-Board schielend. Immerhin hatte dieser Poser von Chukyo es immer noch nicht geschafft ihn vom Thron zu stoßen. Mochte an der Übung in der realen Welt liegen, die auch im Cyberspace durchaus einen Unterschied machte, den Ungeübte nur durch den Zukauf unverschämt teurer Aktoren-Software auszugleichen hoffen konnten. Derlei Geldverschwendung hatte er nicht nötig. Er verließ die Virtu-Kabine, löste seinen Rucksack am Schalter aus und machte sich auf den Weg zum Raumhafen. Immer schön gemächlich, es blieb ja noch fast eine Stunde, bis das Schiff ankommen würde.

Der Text, aus dem der Auszug stammt, sintert schon eine Weile auf dem Clouddrive vor sich hin. Hoffentlich werde ich irgendwann auch mal wieder mit einem Buch fertig…

Der verwirrte Spielleiter N°45 – Was könnte ich denn…?

Wann immer ich eine meiner wirren Einstiegs-Geschichten zum Besten gebe und die Spieler in der Folge darum ersuche, in den Plotbus einzusteigen, passieren irgendwann vollkommen automatisch spannende Dinge am Spieltisch. Denn es geht bei diesen Geschichten, die wir im Pen’n’Paper gemeinsam erzählen ja um Drama, um Spannung, um Konflikte, um Katharsis und die Lösung von Problemen (manchmal auch die Erlösung von Problemen) – also schlussendlich um Abenteuer, die erlebt werden wollen. In Simon & Garfunkels „Sound of Silence“ heißt es: „People writing songs that voices never shared. And no one dared. Disturb the sound of silence.“ Wir wollen den Sound of Silence brechen, um die Geschichten mit Leben zu füllen. Was allerdings bei allen Beteiligten ein Minimum an Engagement und Kreativität erfordert. Und da wird es dann manchmal haarig.

Auch diese Bild erzählt eine Geschichte vom Leben und Sterben…

Auf der einen Seite steht der Storyteller, der eigentlich nur einen Einstieg erzählen muss, der die Spieler wahrhaft einlädt, sich auf den Rest der Ereignisse einzulassen. Dieses „NUR“ im Satz, war natürlich ein Witz. Jeder, der sich schon mal mit Storytelling befasst hat weiß, dass Anfänge sehr schwierig sind. Meine Aufgabe ist es also, ein Drama aufzuzeigen, dass es wert ist, sich damit zu beschäftigen, und gleichzeitig den Spielern alle Chancen offenzulassen, auf IHRE Art und Weise einzusteigen. Das Spiel soll Spaß machen, was ein „genötigt werden“ durch den Spielleiter eigentlich ausschließt. Nun ja… Den notwendigen Buy-In herzustellen, geht auf verschiedene Arten:

  • Z. B verständigt man sich vorher darauf, welche Art von Abenteuer/Kampagne es denn werden soll. Das kann bedeuten, dass man sich nur auf ein Genre und ein Regelwerk einigt, oder der SL pitcht verschiedene Szenarios und die Spieler wählen aus (machte ich bislang nicht, aber man macht vieles in seinem Leben zum ersten Mal… 😉 )
  • Es wird nur ein Regelwerk vorgegeben und der SL schaut sich an, mit welchen Char-Ideen die Spieler um die Ecke kommen. Ist für mich immer wieder spannend. Ich selbst konnte mich mit diesem „Wir machen die Chars gemeinsam und verteilen die Rollen taktisch!“ nie so richtig anfreunden.
  • Die Spieler liefern einen eigenen Abenteuer-/Kampagnen-Vorschlag und wir starten „on the get-go“ und schauen dann mal gemeinsam, wie sich’s entwickelt. Habe ich bislang sehr selten erlebt, ist aber spannend.

Alle genannten Möglichkeiten überlassen die Wahl der Waffen den Spielern und verlangen von mir tendenziell im weiteren Verlauf eine Menge Justierungsarbeit. Andererseits lasse ich mich auch gerne selbst überraschen, wie es dann läuft. Wie sehr ich Entscheidungs-Möglichkeiten am Anfang einschränke, dass heißt, bei welchen Aspekten die Spieler evtl. auch mal ein NEIN von mir zu hören bekommen, hängt bei den ersten zwei Varianten hauptsächlich davon ab, wie viel Vorbereitungsarbeit ich in schon meine Core-Story und meine Weltentwicklung gesteckt habe. Gehe ich mit einer klaren Vision, was für eine Kampagne das werden soll in die Session 0, werde ich im Zweifel überschäumenden Enthusiasmus für allzu abseitige Ideen dämpfen müssen. Ob’s dann trotzdem gut wird, hängt von vielen Faktoren ab: treffe ich den richtigen Ton für die Geschichte? Konnten die Spieler sich bei der Char-Gestaltung trotzdem austoben? Haben alle Lust auf SO eine Geschichte…?

Auf der anderen Seite finden die Spieler nach und nach Herausforderungen vor, mit denen sie, bzw. ihre Chars irgendwie umgehen müssen. Und dann wird ein höchst traditioneller Aspekt von Pen’n’Paper manchmal zum Problem: das Charakterblatt. Weil Spieler dazu neigen bei der SL-Frage „Was willst du tun?“, erst mal ihr Charakterblatt anzuschauen wie eine Kobra, die sich gerade im Gras aufgerichtet hat; als wenn dort die Lösung für irgendein Rätsel stünde? Oder die Anweisung, wie man einen beliebigen Gegner bezwingt? Wie man mit den gelisteten Fähigkeiten kreativ umgehen kann? Oder wie ein Charakter auf eine gegebene Situation reagiert…? Zuerst möchte ich mit einem Irrtum aufräumen: Das Charakterblatt ist keine Whitelist, so nach dem Motto „Was nicht draufsteht, kannste halt nich!“; sondern eine Beschreibung der besonders gut beherrschten Fertigkeiten! Grundsätzlich kann ein Charakter, der als professioneller Kämpfer ausgelegt ist, mit vielen Waffen umgehen. Mit denen, die auf dem Blatt stehen, halt besonders gut! Aber für sehr viele Fertigkeiten, insbesondere im Fantasy-Genre kann man auf Attribut-Proben oder einen, on the fly festgelegten (dann halt angepassten) Schwellwert ausweichen, wenn die Fertigkeit noch nicht offiziell erlernt wurde. Das gilt auch für Magie, sofern der Char irgendeine Form von Training erhalten hat. Man kann es mit dem Bullshitten natürlich übertreiben, aber hier sind Fingerspitzengefühl und – TADA KREATIVITÄT beider Seiten gefragt. Gleiches gilt, wenn bekannte Fertigkeiten einer Off-label-Use zugeführt werden sollen. Also ich z.B. mit meinem Feuerball eine Stahltür zuschweißen will. So what – let’em roll!

Was nun die Reaktion auf verschiedene (vor allem soziale) Situationen angeht, so verweise ich auf meinen Post zu Motivations- und Interaktionstiefe vom Juni diesen Jahres: nichts von dem, was ich in diesem wirklich verdammt langen Post zum Thema Spielen von Rollen bespreche, steht auf dem Charakterblatt! Vielleicht haben andere Leute, so wie ich, auch kleine Heftchen randvoll mit Notizen, die ihnen das nötige Wissen über den Char vermitteln, den sie jeweils gerade spielen? Vielleicht können sie sich das auch alles merken? Ist einerlei – wichtig ist, dass es für diese Fragen KEINE Antworten auf dem Charakterblatt gibt – N I E M A L S ! Das Charakterblatt ist einfach nur eine Merkhilfe für die vielen regelmechanischen Aspekte des Spiels; weil wir halt manchmal würfeln müssen, ähm wollen… ach ihr wisst schon. Gewöhnt euch also daran, nicht immer auf dieses Papier zu schauen. Und wenn, dann tut es wenigstens nicht erst, wenn der Spielleiter euch anschaut und fragt „Was willst du tun?“; um dann mit schreckerfüllten Augen zurückzufragen „Was könnte ich denn…?“ In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…