Stolz, Vorurteil und … Boomboxen…?

Vorweg: ich tat heute Vormittag meiner Bewegungspflicht Schuldigkeit und spazierte ein Stück durch einen nahegelegenen Park mitten im urbanen Raum. Und als ich diesen so enterte, sah ich dort eine Ansammlung jungmittelalter Menschen, die zwei Bollerwagen bei sich führten und sich eben anschickten, den Park ebenso entern zu wollen, wie ich. Auf einem der Bollerweagen thronte: eine BOOMBOX! Also ein Apparat, groß wie ein achtjähriges Kind, was mich eine gewisse Leistungsfähigkeit befürchten ließ. Ich suchte folglich schnell das Weite, während meine Gedanken sich formten. Boomboxen sind spätkapitalistische Versatzstücke öffentlich ausgetragener Befindlichkeiten! Auf den Satz komme ich später zurück. Vor allem aber sind sie eine perfide Einladung zum ubiquitär ermöglichten Eskapismus auf Kosten Dritter. Als ich vorbeiging lief irgendein slowbass-lastiger Psytrance-Verschnitt oder so was; hätten diese Knallchargen allerdings auch noch Taylor Swift abgefeiert, hätte es möglicherweise mehrere Tote gegeben, darunter mindestens eine Boombox, groß wie ein achtjähriges Kind… Ich meine, ich gehe in diesen Park wegen der Ruhe, der Erholung – und vor allem, um möglichst wenig Menschen begegnen zu müssen. Je tiefer man hineinläuft, umso sicherer kann man sich sein, dass die Besucherdichte meinen Beifall findet. Aber so ein Krachmonster lässt sich weithin vernehmen. Und selbst, wenn’s meine Mukke wäre – beim Waldspaziergang EINFACH NEIN!

Heute ist der 01.05, Tag der Arbeit, also der Tag an dem manche Menschen immer noch auf Kundgebungen und Demonstrationen gehen, wie einst die sozialistischen Straßenkämpfer. Oder aber, sie nutzen die Gelegenheit zum „Vatertags-Vorglühen“ und ziehen mit einem Bollerwagen voller Krach und Schnaps durch den Stadtpark. Beides ist mir fremd, denn auf die Kundgebungen kann ich nicht gehen, weil ich dort die bürgerliche Existenz riskieren könnte, die ich über Jahrzehnte so mühevoll aufgebaut habe; denn sollte dort auch nur ein dummer Nazi auftauchen…! Will mal so sagen: ICH stehe auf dem Standpunkt, dass Typen, die mit Fackeln vor die Häuser demokratischer Politiker ziehen und überall nur ihren Hass auf alles Fremde verbreiten (und denen ist so ziemlich alles fremd, was nicht in ein sehr dünnes Buch mit sehr großen Buchstaben passt) weder Zurückhaltung, noch Respekt für ihre „Meinung“ (Faschismus ist nämlich keine Meinung, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!) oder gar Freundlichkeit verdient haben – sondern vielmehr ordentlich eine auf’s Maul. IMMER UND ÜBERALL! Und deshalb gehe ich nicht an öffentliche Orte, an denen mir welche in krawallbereit begenen könnten, denn das gäbe Putz! Und mit der Boombox durch den Stadtpark? Wann habt ihr SPACKOS verlernt, euch gesittet daheim oder in einer Bar zu besaufen und dabei nicht der ganzen Umwelt mit euren akkustischen Absonderungen auf den Sack zu gehen? Jesses, nervt des…!

So eine Boombox ist im Prinzip das Gleiche wie ein Laubbläser: sie bewegt unnützerweise etwas von Punkt A nach Punkt B, macht dabei einen Höllenlärm und verschwendet überdies Energie! Ein Laubbläser pustet einfach Blätter von nach A nach B, die man mit einem Rechen genausogut hätte zusammenklauben können, stinkt, dröhnt und nervt damit alle Umstehenden; außer den braintoten Typ mit dem Gehörschutz. Eine Boombox bewegt Schall von A nach B und nervt damit – SAFE – mindestens einen (unterschiedlich großen) Teil der Umstehenden. Die Verwandtschaft ist also offenkundig. Außerdem vermittelt ihre Hauptaufgabe, Schall überall hinzubringen zumindest mir laut und deutlich diese spät-kapitalistische Egalheit: ballers raus, egal wann und wo du bist, nach dir die Sintflut! Es ist irgendwann in den letzten Jahren anscheinend in Mode gekommen, den Satz: „Das Private ist politisch!“ in „Das Private ist öffentlich!“ umzudeuten. Das dabei ein gesellschaftlich-politischer Aushandlungsprozess auf einem öffentlichen Marktplatz der Meinungen, den die erste Variante beschreiben sollte, genau NICHT gemeint ist, sondern vielmehr das ungefilterte Hinaustrompetenwollen der eigenen Meinung, gleich wie unfundiert und blödsinnig diese auch sein mag, hat die eine oder andere sehr unangenehme Auswirkung auf unser Miteinander. Und das nicht nur am Ersten Mai! Für mich ist die Boombox daher auch ein Sinnbild für Dogmatismus! Sie trompetet all das, was ihr Besitzer sich wünscht hinaus in die Welt. Bei einem Blogpost, Threadpost in einem Forum oder einem Youtube-Video kann man einfach wegklicken… aber im Stadtpark…? Insofern ist sie geeignet, den Stolz des Besitzers genauso zu verteilen (seht her, was für tolle Dinge ich höre – SPEI – WÜRG – KOTZ), wie dessen Vorurteile (seht her, ICH habe Geschmack usw.).

„Aber, aber, das sind doch alles nur Unterstellungen. Du kannst doch gar nicht wissen, was in deren Köpfen vorgeht!“ murmelt mal wieder irgendjemand in beinahe unhörbarer Lautstärke in den Tiefen des Saales. JA mag sein, dass ich hier etwas unterstelle. Und zwar aus dem kühlen Grunde, dass es unhöflich, aufdringlich und nervtötend ist, von fremden Menschen mit irgendeiner Scheiße beschallt zu werden, die mich davon abhält, meinen Spaziergang im Park erholsam finden zu können. Oder (für die Spätmerker) anders formuliert: KATEGORISCHER IMPERATIV MOTHERFUCKER! Das Private kann des Öfteren politisch sein, aber es sollte nicht ungefiltert öffentlich werden, weil ICH einen Scheiß auf EUER exaltiertes Bedürfniss zur Selbstentfaltung gebe, solange ihr MEIN weniger exaltiertes nicht im Ansatz respektieren könnt. Also lasst die verschissene Boombox zu Hause, unterhaltet euch wie normale Menschen und sauft BITTE, BITTE nur so viel, wie ihr auch vertragt. MICH musste man nur ein einziges Mal nach Hause tragen, danach wusste ich halbwegs wie’s läuft. Ob mich sowas aufregt? Ja klar, ich bin schließlich immer wütend, wie ihr mittlerweile wissen könntet. Und jetzt noch viel Spaß mit dem Rest dieses „Feiertages“ – Quiet Out!

Auch als Podcast…

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