Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Reisen in mir ziemlich oft ambivalente Gefühle auslöst. Nicht immer, aber zumindest häufig, wenn ich es alleine tue; bzw. alleine tun muss. Das mit dem alleine müssen hat mit meinem Studium zu tun, so dass es letzten Endes einem Zweck dient, der die Mittel zumindest ein Stück weit rechtfertigt. Aber darum soll es hier gar nicht gehen, denn mit den kleinen und großen Problemen, die das zeitigt, will ich hier keinen langweilen. Nun ist Ambiguität allerdings ein Thema, welches mich brennend interessiert. Einerseits, weil ich es aus psychologischer Sicht brutal spannend finde, in welch unglückliche Lagen unser Gehirn uns manchmal unverhofft bringen kann; andererseits, weil ich denke, dass die Spannungen, welche ambivalente Gefühle in uns erzeugen können, gleichsam einen Motor zur Innovation darstellen. Zumindest, wenn man es versteht, diese Energie für sich nutzbar zu machen.
Widerstreit im Geiste erwischt uns immer dann, wenn wir uns unserer Selbst und folglich auch unserer Einstellung zu irgendeiner Situation, Sache oder Person nicht sicher sind. Meiner persönlichen Erfahrung nach ein nicht allzu selten auftretender Umstand. Tatsächlich bilden wir uns ja gerne eine, Meister unseres Schicksals zu sein, jedoch entlarvt die Realität dies öfter als Illusion, als uns lieb ist. Viele Prozesse, die unser Tun oder Lassen zum Teil entscheidend mitbestimmen, laufen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ab, also unbewusst und automatisiert. An diesem Ort unseres Geistes regieren die Stereotypen und die Heuristiken. Also Schemata und Prozesse, die sich durch eigene, voran gegangene Erfahrungen, durch die Ideen und Informationen Anderer, die in uns wirken und durch unsere tiefsten Emotionen erschaffen, manchmal verändert, aber im Lauf der Zeit vor allem verfestigt werden. Und die unsere Wahrnehmung, unsere oberflächlichen Empfindungen, unser Denken und damit zwangsläufig auch unser Handeln strukturieren. Ich würde nicht sagen, dass wir dem hilflos ausgeliefert sind, aber wissenschaftlich erwiesenermaßen üben diese Automatiken des Geistes einen nicht unerheblichen Einfluss auf uns aus.
Zurück zur Ambiguität ließe sich sagen, dass sie somit ein wesentlicher Bestandteil unserer mentalen Welt wird, weil die Idee, welche wir von uns haben, das Selbstbild, welches wir zu entwerfen wagen, ebenso zwangsläufig häufig von Verhalten torpediert werden wird, dass nicht unseren bewussten Intentionen entspricht. Immer und immer wieder. Denn unser Bestreben, eine sinnhafte Geschichte unserer Identität zu erzählen, wird dabei durch eigenes Tun untergraben. Die Folge sind innere Konflikte, deren Auflösung uns um die eine oder andere Nacht Schlaf bringen kann. Oder uns dazu nötigt, uns mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass wir gar nicht so clever, so großartig, so intellektuell gewandt oder wissend sind, sondern ganz schlicht nur Menschen… Menschen, die gleich ob es ihnen gefällt oder nicht, allem Wissen und allen Fertigkeiten zum Trotz regelmäßig in die Emotionsfalle tappen.
Ich habe mal gesagt, dass ich nicht klingen möchte, wie irgend so ein Ratgeberbuch, weil die meisten Machwerke dieser Coleur mir ein Graus sind; unausgegoren, einseitig, dogmatisch, und was weiß ich nicht noch alles. Für die meisten Autoren geht es doch nur um einen schnellen Euro, also schmieren sie mal geschwind ein Buch hin, kann ja jeder. Jetzt habe ich mich selbst in die – ambivalente – Zwickmühle manövriert, behauptet zu haben, dass man diese innere Zerrissenheit in Energie ummünzen kann und blieb bisher die Ausführung schuldig, wie das denn gehen soll. Ich kann aber nur beschreiben, wie ich das angehe. Ob es so auch bei anderen funktioniert, weiß ich nicht.
Ich selbst lasse meinen Emotionen in solchen, zumeist anspannenden Situationen kurz freien Lauf – zumindest, sofern die Art der Empfindung dies erfordert – und konzentriere mich danach sofort auf eine halbwegs anspruchsvolle Aufgabe. Die Zeitspanne des Dampfablassens sollte dabei nicht länger als drei bis fünf Minuten sein, so dass noch Drive da ist. Während dieser Zeit wird der Emotionsüberschuss kanalisiert, bei Wut zum Beispiel, indem ich eine stilisierte Sorgenpuppe, die meine Frau mir mal geschenkt hat in die Ecke pfeffere, gerne auch von einer unartikulierten Verbaläußerung begleitet. Es ist meines Erachtens nämlich Irrglaube, sich immer schön still verhalten zu müssen. Manchmal lasse ich auch kurz Heavy Metal laufen und poge dazu einen Song lang durchs Zimmer. Und dann fange ich sofort an, etwas Produktives zu tun. Klingt einfach, ist aber schwer, klappt nicht immer und braucht im ersten Moment Kraft; danach profitiere ich aber von frei gewordener Energie.
Ich finde diese Strategie dann und wann hilfreich, man sollte aber eines nicht vergessen: Egal, wie man es angeht, es sind diese Interessenkonflikte mit sich selbst, die man bereinigen muss, bevor man sich mit jenen beschäftigen kann, die andere Menschen betreffen. Und gelegentlich kann man dabei das eine oder andere schlechte Stereotyp über Bord werfen.