Interessenkonflikt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Reisen in mir ziemlich oft ambivalente Gefühle auslöst. Nicht immer, aber zumindest häufig, wenn ich es alleine tue; bzw. alleine tun muss. Das mit dem alleine müssen hat mit meinem Studium zu tun, so dass es letzten Endes einem Zweck dient, der die Mittel zumindest ein Stück weit rechtfertigt. Aber darum soll es hier gar nicht gehen, denn mit den kleinen und großen Problemen, die das zeitigt, will ich hier keinen langweilen. Nun ist Ambiguität allerdings ein Thema, welches mich brennend interessiert. Einerseits, weil ich es aus psychologischer Sicht brutal spannend finde, in welch unglückliche Lagen unser Gehirn uns manchmal unverhofft bringen kann; andererseits, weil ich denke, dass die Spannungen, welche ambivalente Gefühle in uns erzeugen können, gleichsam einen Motor zur Innovation darstellen. Zumindest, wenn man es versteht, diese Energie für sich nutzbar zu machen.

Widerstreit im Geiste erwischt uns immer dann, wenn wir uns unserer Selbst und folglich auch unserer Einstellung zu irgendeiner Situation, Sache oder Person nicht sicher sind. Meiner persönlichen Erfahrung nach ein nicht allzu selten auftretender Umstand. Tatsächlich bilden wir uns ja gerne eine, Meister unseres Schicksals zu sein, jedoch entlarvt die Realität dies öfter als Illusion, als uns lieb ist. Viele Prozesse, die unser Tun oder Lassen zum Teil entscheidend mitbestimmen, laufen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ab, also unbewusst und automatisiert. An diesem Ort unseres Geistes regieren die Stereotypen und die Heuristiken. Also Schemata und Prozesse, die sich durch eigene, voran gegangene Erfahrungen, durch die Ideen und Informationen Anderer, die in uns wirken und durch unsere tiefsten Emotionen erschaffen, manchmal verändert, aber im Lauf der Zeit vor allem verfestigt werden. Und die unsere Wahrnehmung, unsere oberflächlichen Empfindungen, unser Denken und damit zwangsläufig auch unser Handeln strukturieren. Ich würde nicht sagen, dass wir dem hilflos ausgeliefert sind, aber wissenschaftlich erwiesenermaßen üben diese Automatiken des Geistes einen nicht unerheblichen Einfluss auf uns aus.

Zurück zur Ambiguität ließe sich sagen, dass sie somit ein wesentlicher Bestandteil unserer mentalen Welt wird, weil die Idee, welche wir von uns haben, das Selbstbild, welches wir zu entwerfen wagen, ebenso zwangsläufig häufig von Verhalten torpediert werden wird, dass nicht unseren bewussten Intentionen entspricht. Immer und immer wieder. Denn unser Bestreben, eine sinnhafte Geschichte unserer Identität zu erzählen, wird dabei durch eigenes Tun untergraben. Die Folge sind innere Konflikte, deren Auflösung uns um die eine oder andere Nacht Schlaf bringen kann. Oder uns dazu nötigt, uns mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass wir gar nicht so clever, so großartig, so intellektuell gewandt oder wissend sind, sondern ganz schlicht nur Menschen… Menschen, die gleich ob es ihnen gefällt oder nicht, allem Wissen und allen Fertigkeiten zum Trotz regelmäßig in die Emotionsfalle tappen.

Ich habe mal gesagt, dass ich nicht klingen möchte, wie irgend so ein Ratgeberbuch, weil die meisten Machwerke dieser Coleur mir ein Graus sind; unausgegoren, einseitig, dogmatisch, und was weiß ich nicht noch alles. Für die meisten Autoren geht es doch nur um einen schnellen Euro, also schmieren sie mal geschwind ein Buch hin, kann ja jeder. Jetzt habe ich mich selbst in die – ambivalente – Zwickmühle manövriert, behauptet zu haben, dass man diese innere Zerrissenheit in Energie ummünzen kann und blieb bisher die Ausführung schuldig, wie das denn gehen soll. Ich kann aber nur beschreiben, wie ich das angehe. Ob es so auch bei anderen funktioniert, weiß ich nicht.

Ich selbst lasse meinen Emotionen in solchen, zumeist anspannenden Situationen kurz freien Lauf – zumindest, sofern die Art der Empfindung dies erfordert – und konzentriere mich danach sofort auf eine halbwegs anspruchsvolle Aufgabe. Die Zeitspanne des Dampfablassens sollte dabei nicht länger als drei bis fünf Minuten sein, so dass noch Drive da ist. Während dieser Zeit wird der Emotionsüberschuss kanalisiert, bei Wut zum Beispiel, indem ich eine stilisierte Sorgenpuppe, die meine Frau mir mal geschenkt hat in die Ecke pfeffere, gerne auch von einer unartikulierten Verbaläußerung begleitet. Es ist meines Erachtens nämlich Irrglaube, sich immer schön still verhalten zu müssen. Manchmal lasse ich auch kurz Heavy Metal laufen und poge dazu einen Song lang durchs Zimmer. Und dann fange ich sofort an, etwas Produktives zu tun. Klingt einfach, ist aber schwer, klappt nicht immer und braucht im ersten Moment Kraft; danach profitiere ich aber von frei gewordener Energie.

Ich finde diese Strategie dann und wann hilfreich, man sollte aber eines nicht vergessen: Egal, wie man es angeht, es sind diese Interessenkonflikte mit sich selbst, die man bereinigen muss, bevor man sich mit jenen beschäftigen kann, die andere Menschen betreffen. Und gelegentlich kann man dabei das eine oder andere schlechte Stereotyp über Bord werfen.

Ein kurzer Zwischenruf zum Fall Tugce.

Ja, ja, die Justiz ist ja so lasch! Hängen sollte man diesen Sanel! Oder habe ich da was falsch verstanden, wie ich mir mal den selbstgerechten Furor so mancher Menschoiden im Netz, oder auch die Differenziertheit deutlich vermissen lassenden Auslassungen nicht weniger Journalisten so ansehe? Was hat man denn erwartet? Die Geschichte ist schon eine Weile her, die Leumunds-, vor allem aber die Tatzeugen wurden von Anfang an durch tendenziöse Berichterstattung einzelner Medien mit jedoch hoher Reichweite so sehr polarisiert, dass ihre Aussagen kaum von hohem Erkenntniswert für das Gericht gewesen sein dürften. Und der Beweis für die objektive Schuld des jungen Mannes – ein grieseliges Überwachungsvideo der Tat – zeigt so Manches, leider jedoch nicht die kausale Ursache für das zweifellos dumme, aggressive und in der Konsequenz furchtbar tragische Ausrasten von Sanel M.

Ich weiß, dass weder juristische noch soziologische Betrachtungen den meisten Menschen in so einem Fall genügen, weil es in ihnen ein atavistisches Verlangen nach Rache gibt, dem limbischen System sei Dank. Nehmen wir aber mal an Tugce hätte Sanel umgehauen und tödlich verletzt. Hätte das bundesweites Aufsehen erregt? Ich denke nicht, denn Sanel ist kein, als hoch engagiert und gut integriert darzustellendes Mädchen, mithin also ein Aushängeschild für die tolle Integrationspolitik in unserem tollen Land! Die faktisch ein riesiger Haufen Müll ist und wesentlich mehr Verlierer als Gewinner produziert; Verlierer wie Sanel M, der aus verletztem Stolz etwas Unüberlegtes mit gewaltigen Konsequenzen getan hat. Ja, ein Leben wurde ausgelöscht, das ist bitter, tragisch und die Familie wird es sehr schwer haben, jemals zur Ruhe zu kommen. Auch weil unsere Medien das Ganze immer noch ausschlachten. Doch das Skript für dieses Drama wurde früher und von ganz anderen geschrieben, als den jungen Leuten auf den schlechten Kamerabildern.

Jeder, der sich etwas umfassender damit beschäftigt weiß, dass viel zu viele junge Menschen von unserem Bildungssystem abgehängt, in einen Kreislauf aus Versagen, Selbstzweifeln, Ersatzbefriedigung und Ringen um Respekt gedrängt werden. Das Kinder aus Migrantenfamilien bewusst, aber auch unbewusst, stärker benachteiligt werden und damit noch anfälliger für ein „Abrutschen“ sind. Auf dieser Blaupause wurde Sanels Biographie geschrieben. Er ist nicht die Krankheit, sondern ein Symptom. Und Symptome bestraft man nicht, die behandelt man. Ich sage NICHT, dass er gar keine Schuld trägt, denn wer genau wie viel Schuld trägt, wissen nur zwei Menschen; und von denen ist einer tot. Aber es gibt keinen guten Grund, abseits einer Strafe, die ihm vor Augen führen soll, dass Gewaltanwendung in so einer Situation dumm und ungemessen ist, weitergehende Sanktionsmaßnahmen zu fordern. Eine Gesellschaft, die einerseits behauptet, tolerant und offen zu sein, auf der anderen Seite aber drakonische Strafen fordert für etwas, dass auch aus dem eigenen Unvermögen entstanden ist, alle Kinder zu integrieren – oder, es wenigstens zu versuchen – kann man nur als bigott bezeichnen.

Ich kann das juristisch nicht beurteilen, weil mir dafür der Sachverstand und die Kenntnis der genauen Umstände fehlen, aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive jedoch finde ich das Urteil angemessen, weil es ihm die Chance gibt, nachzudenken und besser zu werden. Tugce wird davon nicht wieder lebendig; aber unser Staat lebt, zumindest vordergründig, das Prinzip des Rechtes, nicht der Rache, was bedeutet, das Sanel eine zweite Chance bekommen soll, auch wenn er schwere Schuld – die Last eines Lebens – auf sich geladen hat. In diesem Sinne einen Gewaltphantasiefreien Abend…

Beziehungsweise.

Manchmal will es einfach nicht klappen, Dinge zu erklären. Entweder mangelt es an halbwegs interessiertem Publikum, an einem Sujet, wo man jetzt gerade mal so richtig auf die Kacke hauen könnte; oder aber an der Lust. Mit dem Erklären und Lehren ist es, wie mit jeder anderen etwas komplexeren Verrichtung auch: wenn man’s nicht mit einer gewissen Hingabe macht, wird’s halt Kacke. Also ich will damit jetzt nicht sagen, dass der Fachverkäufer seine Waren liebkosen soll, der Bürohengst seine Flipcharts mit Glitzersternchen verzieren, oder der Musiklehrer Arien singen muss; ich meinte mehr jene Zuwendung an das Fach und den Respekt vor den Tücken, die Sorgfalt und damit konsistent gute Leistungen hervorbringen. Und sofern es um Menschen geht, fände ich ein wenig Achtung vor den Bedürfnissen der Klienten auch ganz schick – vollkommen unabhängig davon, welcher Art diese Beziehung auch ein mag. Womit wir bei der Beziehungsweise wären.

Meistens wird das ja synonym zum Wort „oder“ benutzt, aber ich finde eine Verwendung als Nomen jetzt gerade passend, auch weil Beziehungen relativ häufig das Wort „oder“ enthalten. (OK, „aber“ kommt auch ganz schön oft vor.) Zum Beispiel wenn es um Handlungsalternativen oder differierende Meinungen geht. Und die entstehen in jeder Beziehung zwangsläufig; beziehungsweise sie sind ein Hinweis darauf, dass das Miteinander verschiedener Individuen stets die Möglichkeit des Missverstehens, Missachtens oder auch des Miss(be)handelns beinhaltet. Wir sind ja schließlich verschieden! Nicht nur die Gender, nein, nein, Menschen so ganz an sich. Denn wir sind doch alle einzigartig; na ja, meist mehr einzig, als artig…

Sich selbst und sein eigenes Tun als einigermaßen einzigartig zu erachten, ist ein notwendiger Mechanismus, mit dem unser Hirn eine halbwegs stimmige Erzählung unserer Existenz fortführt und erhält. Würden wir uns nicht als unabhängig, individuell, selbständig wahrnehmen, könnten wir unser Selbst nicht begreifen, nicht als eigenständige Person agieren. Und so uncharmant die Nebenprodukte der Persönlichkeitsautonomie im psychologischen Sinne auch sein mögen – z.B. das vehemente Absondern auch der abseitigsten Meinungen – sind sie doch integraler Bestandteil des Menschseins. Jeder Mensch muss als Kind erst erkennen, dass er ein eigenständiges Ding ist, das ganz viele Dinge tun kann um hernach erlernen zu müssen, dass für das Miteinander dieses Selbst beschnitten werden muss. Das ist aus rein praktischer Sicht falsch rum, denn zuerst begreift ein kleines Kind sich und die Welt als eins; allerdings mit dem Nachteil, dass es das Konzept von dein und mein erst mühsam erlernen muss. Und das endet nicht mit dem Schulabschluss, sofern man denn überhaupt einen erwirbt.

So oder so entscheidet die Beziehungsweise, beziehungsweise wie gut wir es verstehen, unsere persönliche Einzigartigkeit mit der individuellen Einzigartigkeit der anderen in Einklang zu bringen darüber, ob ein Miteinander funktioniert. Natürlich gehören zu einer funktionierenden Beziehung immer zwei, da bringt jeder etwas Gutes in den sozialen Austausch mit und dann funktioniert das schon. Manchmal – manchmal auch öfter – klappt es aber nicht wie erhofft, weil zum Beispiel der individuelle Return of Investment nicht entsteht; dazu hörte ich dieser Tage von einem Kollegen, der sich um einen Praktikanten bemühte, dieser aber immer nur seinen Kopf durchzusetzen versuchte. Man könnte sagen, der Praktikus ist selber schuld, wenn er das Lehrangebot nicht annimmt. Dem stimme ich zu, allerdings muss man den jungen Mann einmal fragen, was ihn zu diesem Verhalten veranlasst. Hat er dazu keine sinnvolle Antwort, hat er Pech gehabt, denn all die kleinen Prinzen und Prinzessinnen die da so langsam heranreifen, müssen halt auch mal scheitern. Insbesondere, wenn dies aus eigener Borniertheit geschieht.

Es kann aber auch sein, dass man selbst einer Fehleinschätzung unterliegt, dem Gegenüber zu viel oder zu wenig zugetraut, oder eine persönliche Ader getroffen hat (das muss noch nicht mal willentlich geschehen sein), was den sozialen Fluss bis zum Stillstand hemmen kann. Auch in diesem Fall gilt es, ein beim Gegenüber wahrgenommenes Fehlverhalten zu thematisieren; einmal, klipp und klar. Gibt es keine vernünftige Antwort – siehe oben! Denn so sehr einem ein harmonisches Arbeitsumfeld am Herzen liegen mag, ein harmonisches Privatumfeld ist noch sehr viel wichtiger. Folgerichtig muss ich nicht erklären, wohin der größere Teil meiner empathischen Energie fließt, oder? Allerdings nehme ich mir, bevor ich irgendjemand mit seinem Bullshit konfrontiere sehr viel Zeit, die Dinge zu begutachten. Außer beim Blaulichtfahren hasse ich es überdies, meine Stimme zu erheben. Kostet mich zu viel Zeit und Nerven.

Stattdessen beobachte ich Menschen zumeist – übrigens für mein Leben gerne – und gebe Ratschläge genau dann, wenn sie in die Situation passen und einen Mehrwert für den Angesprochenen erzeugen. Sich aufzudrängen, schadet nämlich auch der Beziehungsweise. In diesem Sinne noch einen schönen Tag.

A snipet of barbecue

Es muss einfach mal gesagt werden: nicht jeder Deutsche, der gerne grillen möchte, hat auch einen Garten, oder einen Balkon, auf dem dies gestattet ist. Wenn eine Stadt auf der innenstädtischen Uferbegrünung das öffentliche Grillen gestattet, gibt es natürlich immer Leute, die sich über die Geruchs- und Lärmbelästigung beschweren; weil ein Kohlefeuer in Verbindung mit eingelegtem Fleisch, Fisch und Gemüse nun mal Qualm erzeugt und überdies viele Leute das Grillanzünden nicht ohne ein wüstes Überangebot an Bandbeschleuniger hinbekommen. Das ist zwar irgendwie ein bisschen traurig, aber immerhin glauben auch diese Menschen, die einzig gültige Wahrheit über Feuer vs. Fleisch zu kennen. Schauder erzeugendes Ablöschen mit Bier inklusive.

Zudem neigen Menschen beim geselligen Miteinander dazu, sich miteinander auszutauschen und – oh mein Gott – zu lachen, oder auch mal zu grölen. Man grillt nicht gern alleine, was sich auch der Energiebilanz wegen kaum lohnen würde. Man mag schließlich die kulinarische Vielfalt und, wie gesagt, den untrennbar damit verbundenen sozialen Austausch! Und ehrlich gesagt kann ich nicht glauben, dass die ganzen Bedenkenträger und Beschwerdeführer ihre eigenen Gelegenheiten bzw. Anlässe dieser Art in stiller Kontemplation verbringen. Na ja, vielleicht haben sie auch keine Freunde und sind einfach nur neidisch auf die Feierwütigen unten auf der Neckarwiese.
Ich will zugeben, dass der Müll ein Problem darstellt, aber wenn wir das schnell und zudem noch unbürokratisch zu regeln bereit wären, würde man einfach einen ABMler rumschicken, der eine „Solidarabgabe Müll“ von einem Euro pro Person einsammelt, um mit diesem Geld das Aufsammeln und Abtransportieren des Mülls zu bezahlen. Oh, ich vergaß, wenn man das einfach mal schnell organisiert, haben die ganzen Grillgegner – a propos, ich wüsste gerne mal, wie groß eigentlich deren Prozentsatz an der Gesamtbevölkerung des betroffenen Areals ist? – ja gar keine guten Argumente mehr: Müll? Erledigt! Emissionsschutz bezüglich Qualm und Lärm? In Mannheim? Das ich nicht bitter lachen muss! Was bleibt also? Dummes, kleingeistiges Querulantentum. Schön zu wissen, dass die gegenwärtigen menschlichen Problemzonen, die es in der Stadt verbreiten, sich biologisch selbst lösende Probleme sind…

Und ganz davon abgesehen wüsste ich gerne mal, wo die ganzen Menschen sonst zum Grillen hin sollen. Sie alle darauf zu verweisen, dass sie doch einen Schrebergarten pachten oder im Restaurant essen gehen können, ist angesichts der finanziellen Implikationen wohl ein bisschen arg kurzsichtig, n’est-ce pas? Wie dem auch sei, ich bin mir fast sicher, dass die Stadt Mannheim mal wieder vor ein paar Querulanten einknickt und die Erlaubnis kassiert. Sowas nennt man dann repräsentative Demokratie – jene, die sich repräsentieren, werden gehört. Erinnert irgendwie an den allseits verhassten Lobbyismus, oder? Habe fertig, schönen Tag.

Eine Spur von Blau?

Ich sitze im Garten und schaue nach oben. Blau über Blau, kein Wölkchen in Sicht, ein laues Lüftchen weht zwischen den Häusern, die ein Geviert gefühlter Abgeschiedenheit in mitten der Stadt bilden. Wie mein Blick für einen langen Augenblick so verharrt, fällt mir auf, wie klein unser Haus aus dieser Perspektive ausschaut. Oder zumindest, die mir jetzt zugewandte Seite. Schmal scheint der Bau zu sein, fast filigran und wenn man drinnen ist, trotzdem so riesig und voller Leben. Muss eine Verzerrung der Raumzeit sein, auch wenn ich eher keine Quantensingularitäten im Arbeitszimmer liegen habe. Da liegen nur CDs und Bücher und Notizblöcke und weiß der Teufel was Fusti umher; man denkt immer, alles Wichtige aufgeräumt, ordentlich, im Griff, bei Not zur Hand zu haben. Noch so eine Verzerrung, die allerdings bei nächster Gelegenheit von einer Kollision mit der normativen Kraft des Faktischen auf den Friedhof der hübschen Illusionen befördert wird. Denn realistisch betrachtet ist die Ordnung unseres jeweiligen individuellen Mikrokosmos ungefähr so fragil, wie das Bild des Hauses, in dem ich schon recht lange lebe. Aber so lange aufgeräumt ist, sieht es wenigstens gut aus…

Der Himmel scheint mir grenzenlos, so weit, dass mein Zuhause davor immer kleiner wird, immer unwichtiger, immer weniger mächtig und beschützend. Und dennoch niemals insignifikant. Denn läge die subjektive Sicherheit meiner Existenz tatsächlich in schier unendlicher Größe, in unerschütterlicher Macht über das Schicksal, in Beherrschung alles Beherrschbaren begründet… tja dann wären wir vermutlich alle im Arsch, denn ICH als Herrscher des Universums, also das KANN NICHT GUT GEHEN! Ebenso wenig, wie übrigens bei irgendeinem anderen Menschoiden da draußen. Wir alle sehen doch kaum weiter, als bis zur nächsten Straßenecke – und das meine ich nicht nur räumlich – wir sind viel zu leicht beeinflussbar, schwach und dumm, nennen uns dennoch Krone der Schöpfung. Ist schon ein bisschen arrogant, oder?

Es ist schon sommerlich warm, fast heiß, ich brauche zwischendurch eine Abkühlung, lasse die Gedanken wieder einfach so baumeln und taumeln und komme doch noch einmal zurück zum Blau des Himmels. Es ist schön hier und auch wenn ich mir mittlerweile sicher bin, dass es besser ist, wenn wir Menschen – insbesondere auch ich selbst – niemals alle Geheimnisse entschlüsseln, die es zu wissen gibt, wüsste ich doch sehr gerne, warum es ausgerechnet dieser Himmel ist, der uns Menschen immer und immer wieder mit Sehnsucht erfüllt. Mit Wanderlust, mit Forscherdrang, mit Neugierde und Staunen. Endlosem Staunen, wenn wir es denn nur zulassen. Ist es vielleicht eben dieses Gefühl, sich langsam in der eigenen Unwichtigkeit zu versenken, das die Last abfallen, den Tag helle werden lässt? Wie ich diese langen Sommerabende liebe, die man heiß, im Schein der Sonne beginnt um sich alsbald langsam ins unendliche Blau, dann Schwarz der Nacht treiben zu lassen. Essend, trinkend, redend, schweigend, lachend, lauschend im Fluss mit sich und der Welt ist, bis es irgendwann viel zu spät wird, um am nächsten Morgen den üblichen Verpflichtungen auch nur annähend ausgeruht nachgehen zu können. Aber den Preis zahlt man gerne, zumindest ich tue das.

Auch Nachdenken gehört zu einem solchen Abend, womit ich wieder bei meiner Erkenntnis der eigenen Unwichtigkeit ankomme. Denn es ist eine Frage der Perspektive. Immer wird man aufgefordert, das große Ganze zu sehen, schön produktiv, konform und funktional zu sein. Das beginnt in der Schule, zieht sich durch das Berufsleben und scheint immer mehr irgendwie auch den Weg ins Private zu finden. Dauernd faselt irgendein Wichtigling was von Work-Life-Balance und meint damit, dass man einfach noch besser funktionieren muss. Da fällt mir ein Song von Großstadtgeflüster ein: „Ich muss gar nix, außer atmen, trinken, essen und ficken…“. Wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht, fällt mir dazu nicht nur das Tun der NSA ein, sondern auch der Selbstschutz durch Unterlassen. Irgendwelche Neoliberalen Sozen-Hasser werden mich jetzt vermutlich als Leistungsverweigerer sehen, aber das ist mir eins! Sich der Forderung nach mehr Selbstausbeutung zu verschließen, hat meiner Meinung nach den Charakter von gesundem, die eigenen Existenz schützendem Verhalten.

Denn so wie es offensichtlich eine Illusion unter dem blauen Himmel ist, dass wir unsere Leben wirklich im Griff haben, ist es auch eine Illusion, dass andere es im Griff hätten. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die zu viel Arbeit für zu wenig Geld leisten müssen, darum Not leiden und sich nach einer Chance zum Müßiggang sehnen. Es wäre schon toll, wenn wir es schaffen könnten, das irgendwann zu ändern. Ein Weg dahin könnte es vielleicht sein, sich mal der eigenen (Selbst)Ausbeutung zu verweigern und stattdessen in den Himmel zu schauen. So kann man zum Beispiel erkennen, dass das Leben manchmal einfach nur das Leben sein sollte und keine Aneinanderreihung von Notwendigkeiten. Einfach nur Leben mit einer großen Spur von Blau darüber. Und ganz nebenbei können wir damit so genannte Entscheider, die zu so manchem fähig sind, aber leider eher selten zu sinnvollen oder gar humanen Entscheidungen, vielleicht dazu nötigen, die bessere Wahl zu treffen; eine, die menschenwürdiges Arbeiten und leistungsgerechte Entlohnung schafft. Das würde schon viel helfen. Während wir zusammen daran arbeiten könnten, müssen wir uns allerdings mit dem Blick ins hoffnungsvolle Blau begnügen…