Benvenuti nelle Marche N°14 – …und was bleibt?

Ich frug die Gattin am gestrigen Abend, welch erfreuliche Wahrnehmungen sie wohl aus dieser Reise mit nach Hause nähme. Wiewohl dem Verfasser hätte bewusst sein können, dass Menschen jenes umgebende Gefüge, welches wir “Welt” zu nennen pflegen auf höchst unterschiedliche Weise zu rezipieren pflegen, war doch die erste Replik ein Mü überraschend; sprach doch die beste Ehefrau zuerst von jenem Ort, der allüberall die Massen der Erholungssuchenden anzuziehen scheint, wie ein Haufen ausgeschiedenen Verdauungsdepositums die Fliegen: nämlich DEM STRAND. Von je her, rings um den Globus eine räumliche Entität, die ein höchst eigenes Soziotop repliziert, wo immer Menschoide mit Sonnenschirmen auf – “so wuuunderschönem” – zu wenig Platz zusammen kommen, um einem ausgesuchten Ausschnitt der Weltmeere zu huldigen; ein*e jede*r nach seinem individuellen Dafürhalten hinsichtlich Raumbedarf, Lautstärke, optischer Darreichungsform und sozialen Fähigkeiten; und daher zumeist ein Ort des Schreckens! Nun war jener Strand, welchen wir eben gestern noch einmal aufgesucht hatten natürlich eine Empfehlung unser höchst reizenden Gastwirte und damit quasi eine Art Geheimtip, an dem man üblicherweise vor allem Einheimische vorfindet – und von denen derzeit, da noch Vorsaison herrscht, auch nicht allzu viele. Selbst für den Autor war die Stranderfahrung daher als halbwegs angenehm zu bezeichnen, sind Menschenmassen, Enge und Radau doch ein Quell des Unbills. Daher barg der Gattin Antwort – der eigenen positiven Überraschung am Meer zum Trotze – eine Überraschung, hatte der Schreiber dieser Zeilen doch für sich selbst ganz andere Highlights gefunden.

An Landschaft herrscht hier in der Gegend kein Mangel, an beeindruckenden Ausblicken folglich auch nicht. Und wie schon erwähnt gilt – auch, wenn gelegentlich die Höhenangst ihren mentalen Tribut fordert – für den Autor, je weiter oben man steht, desto weiter kann der Blick schweifen. Das Gefühl der eigenen Nichtbedeutsamkeit im Angesicht der Natur hat eine kathartische Wirkung, die der Verfasser auch so manchem seiner Kollegoiden reichlich wünschen würde – es stellte so manches egoistische und narzisstische Gehabe eventuell ins richtige Licht. Aber für DIESE gedankliche Transferleistung mangelt es möglicherweise an… Gedanken… Mich rückt es immer wieder zurecht, feststellen zu müssen (oder zu dürfven…?), wie klein wir Menschlein doch sind – und wie wenig unser Tun oder Lassen mit Blick auf das Große Ganze wirklich bedeutet! Natürlich war die erste Frage dazu angetan, zum Ziehen eines Resümees anzuregen. Wenn man(n) also tatsächlich darüber nachdenken müsste, was man(n) aus dieser Reise mitnimmt, so ließe sich Folgendes konstatieren: Eindrücke und Ideen. Erholung und Lust am Entdecken. Echte Erlebnisse und gute Gespräche. Eine internationale Rollenspielrunde via Zoomkonferenz. Einige Fotos, um sich der Dinge erinnern zu können, wenngleich es dem Autor dazu meist keiner Hilfe bedarf. Und der bereits feste Plan, wieder herzukommen. Was sonst noch folgt, findet sich, wenn es soweit ist. Denn am Ende ist es vollkommen gleichgültig, wer an den heuer bislang bereisten Orten welche Erfahrungen als besonders inspirierend vorfindet; wichtig ist einerseits, dass für jede*n etwas dabei ist. Und andererseits muss jede*r die Zeit bekommen, die es dafür braucht.

Ich bin jedenfalls zufrieden mit dem was ich vorfinden durfte, auch, wenn morgen früh der Diesel wieder brummt. Ich bin auch ein bisschen traurig, weil ich hier vermutlich Monate zubringen könnte. Ich bin gespannt, was als nächstes kommt. Und ich bin zuversichtlich, noch mehr aus den Marken berichten zu können; allerdings erst nächstes Jahr. Wir lesen uns also das nächste Mal wieder aus der Heimat… Have a nice weekened!

Benvenuti nelle Marche N° 13 – Thunderstorm!

Manchmal ist das Gebaren der Umwelt ein Sinnbild dafür, wie das eigene Leben gerade läuft. Vormittags ist man noch unterwegs, um unter heißer Sonne im Meer zu baden – und nachmittags fegt ein Gewittersturm über das Land und treibt die schwüle Hitze im Handstreich hinfort. Während das Außen geduldig von den hohen Temperaturen von Trägheit gemartert wird, die Gedanken nurmehr zäh wie Melasse dahin fließen und sich ab diesem bestimmten Moment alles Leben in den Schatten zurückziehen möchte, um nicht zu verbrennen, entsteht nichts; zumindest nichts Neues außer dem Gefühl, nie wieder irgendwohin gehen und irgendetwas erreichen zu können, das weiter entfernt ist, als das nächste Glas kühles Nass, der nächste Sprung in die Fluten, der nächste Snack um den Hunger zu stillen. Man ist der Naturgewalt unterworfen und beginnt zu verstehen, warum es hierorts üblich ist, eine lange Mittagspause zu machen. Nur Alman-Kartoffeln sind so blöd, bei der Hitze irgendetwas unternehmen zu wollen…

Don’t get me wrong – das Ganze kann für eine kurze Zeit trotzdem Spaß machen. Aber es ist nicht die Art von Stimulus, welche mich wirklich anregen kann. Immerhin regt es mich aber nicht auf, sondern eher ab. Doch irgendwann am Nachmittag – nach der Heimfahrt zur aktuellen Bleibe und dem obligaten Einkauf auf dem Weg – beginnt sich der Himmel zu verfinstern, der Wind frischt auf, Regen fällt. Und eine andere Naturgewalt fegt die Trägheit weg; und zwar mit Wucht. Bäume biegen sich im Wind, die Elektrizität im Tal fließt nicht 100% zuverlässig, das Internet streikt – und man beginnt zu begreifen, dass wir uns die Erde niemals wirklich Untertan gemacht haben. Und dies, wem oder was auch immer dafür Dank sein muss, niemals schaffen werden. Beschädigen vielleicht, aber beherrschen niemals! Das alles gibt mir einerseits ein Gefühl für die Wichtigkeit meiner Person und meines Tuns; oder besser den Mangel daran im Angesicht des Gefüges unserer Welt; „All we are, is dust in the wind.“ Andererseits gibt es mir Hoffnung, dass eine Reinigung – nicht nur mit Blick auf die Hitze – möglich ist. Ein Sturm, all das Falsche, Inhumane, Grausame, Bigotte, Egoistische, Narzisstische und überhaupt Schlechte aus unserer Welt zu fegen. Die Analogie greift hoch, gefällt mir aber dennoch!

Immerzu komme ich zurück zu diesen Diskussionen um die Frage, was Urlaub im Kern denn nun ist, ob Urlaub wirklich notwendig ist, was man für diese Zeiten an Ressourcen aufwenden darf und welchem Zweck das alles dient. Denn eines ist klar: für mich ist Urlaub nicht ein bloßes Batterien-Auffüllen, damit ich hinterher wieder für meinen Brötchengeber funktionieren kann. Ich bin schon lange nicht mehr bereit, mich auf eine Funktion reduzieren zu lassen – und jene, die dieses Prinzip herausfordern lernen ihre Lektion schnell und unmissverständlich: Ich mache mein Ding und wenn’s jemandem nicht passt, kann er sich eine*n Andere*n suchen, der/die dann vielleicht besser als Ja-sagender Hutständer funktioniert. Urlaub ist Zweckfreiheit, ist kreative Stimulation, ist neue Erfahrung, ist Loslassen um Neues festhalten zu können, ist das Ende einer Phase und zugleich der Beginn einer Anderen, ist Anstrengung und Entspannung in einem, ist Man-selbst-Sein – und damit jede Ressource wert, die ich dafür zu geben bereit bin. Wie man hinkommt und ob man unbedingt fliegen muss, sei dahingestellt. Doch der Ort, den wir aufsuchen muss stimmen, muss mir sagen „Für jetzt bist du HIER zuhause!“. Dann fügt sich der Rest von selbst. Und für ein paar wenige Tage ist mein aktuelles Zuhause noch ganz woanders…

Benvenuti nelle Marche N°12 – auf immer…?

Man ist an seinem Urlaubsort so richtig angekommen, fühlt sich dort sauwohl, genießt die Vorzüge der Gegend nach allen Regeln der Kunst, natürlich wohlwissend, dass in ein paar Tagen schon wieder Schluß sein muss mit la dolce vita; und immer wieder kriecht dieser kleine Gedanke in die Gespräche: wie wäre es wohl, hier zu leben? Vielleicht nicht das ganze Jahr, aber wenigstens einen Teil? Ich gebe schon zu, dass ich unsere diesbezüglichen Möglichkeiten mehr als einmal analysiert habe – stets mit dem gleichen Ergebnis: im Prinzip schon, aber… Ich selbst wäre vermutlich flexibel genug, ein solches Vorhaben anzugehen. Denn mein Verständnis des Begriffes “Heimat” ist ein vollkommen Anderes, als das so vieler meiner Landsleutoiden. Ich glaube nicht an Geburtsrechte und Deutschtümelei. Ich glaube, dass Heimat immer da ist, wo die Seele aufblüht, wo die Gedanken frei genug sind, die Kreativität fließen zu lassen, wo das Herz einen Sprung macht, wenn man den Blick schweifen lässt. Dieses Gefühl hatte ich daheim letzthin immer seltener, was allerdings auch daran liegen könnte, dass die letzten Monate wieder einmal zu einem beruflichen Parforceritt degeneriert sind. Von meinen Vorsätzen blieb nicht allzuviel übrig, außer tiefgreifender Erschöpfung. Es mag also nicht verwundern, dass die Marken mich in vielerlei Hinsicht verlocken. Aber wollte man aus süßen Träumen Taten werden lassen, gäbe es so viele Dinge zu beachten, vorzubereiten, zu studieren, zu beantragen. Und am Ende des Tages muss es doch an mehreren Aspekten scheitern:

  • Die Kinder: niemand, der bei klarem Verstand ist, entwurzelt seine Kinder ohne Not und ohne einen sehr guten Plan B. Womit auch klar ist, dass Italien (oder sonstwo) allenfalls in Betracht käme, NACHDEM unsere Töchter aus dem Gröbsten (und vor allem aus dem heimatlichen Nest) raus sind. Sie mitten im Leben aus unserem hiesigen Schulsystem herauszureißen ist dabei nur ein Aspekt… Freundeskreise sind ebenso wesentlich.
  • Die beste Ehefrau von Allen: ist eben dabei, in der Selbstständigkeit durchzustarten. Einen schlechteren Zeitpunkt, um über solchen Schmonzes wie die Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Nation nachzudenken, kann ich mir jetzt nur schwerlich vorstellen. Und ich habe eine Menge Fantasie! Überdies sind ihre Wurzeln in unserer Stadt (vor allem familiär) wesentlich tiefer und fester, als meine es je noch sein könnten.
  • Die Sprache: Ich kann mich nicht auf das Abenteuer Auswanderung begeben (und selbst, wenn diese nur auf Raten bzw. zeitweise erfolgte), ohne die Landessprache fließend zu beherrschen! Mein Italienisch ist allerdings bis heute eher rudimentär, das meiner Lieben nonexistent. Und dies zu ändern bedeutete einen erheblichen Aufwand, für den keiner von uns momentan die Nerven, die Energie und die Zeit hätte.
  • Der Job: Meine Arbeit ist eine hochspezialisierte, bei der ich beim besten Willen keine Idee hätte, wie ich hier in Italien an eine halbwegs äquivalente Stelle käme. Und hochfliegende Pläne mit einem eigenen Häuschen im Schönen und allem Pipapo müssen nun mal leider finanziert werden; was nur geht, wenn man die laufenden Kosten mit einem regelmäßigen laufenden Einkommen decken kann. Klingt logisch oder…?
  • Die Politik: ich glaube, hier schon viel mehr als einmal klargemacht zu haben, dass ich mit Faschos nicht kann! Was zu Hause in Deutschland gilt, verliert nicht seine Bedeutung, nur weil die Fahne woanders andere Farben hat. Womit das Thema auch aus Meloniesken Gründen derzeit einfach gegessen ist. Daheim ist das rechte Gesindel wenigstens nur als Opposition im Parlament vertreten; was schon schlimm genug ist.

Ach ja, Träume sind Schäume. Ob ich dennoch immer wieder weiter über solche Dinge nachdenke und gelegentlich auch verstohlen die Optionen prüfe? Da dürft ihr aber sicher sein! Nicht, weil ich Deutschland nicht mag; sogar ganz im Gegenteil! Aber mein Geist verlangt immer wieder nach solchen Planspielen, welche mir die Chance eröffnen, andere Lebensentwürfe auszuprobieren, ohne diese wirklich in aller Konsequenz leben zu müssen. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass ich etwa allein damit bin, die zig Millionen aus diesem oder jenem Jackpot zumindest gedanklich schon komplett ausgegeben zu haben, egal, ob ich nun getippt habe, oder nicht… Wir alle brauchen ab und an diesen Eskapismus, denn er lässt uns unsere eigene – bisweilen durchaus belastende – Existenz etwas weniger bedrohlich erscheinen. In diesem Sinne dürfte der Urlaub hier durchaus noch etwas länger dauern. Ich gelobe daher hiermit, jeden Tag zu genießen. Schönes Wochenende.

Benvenuti nelle Marche N°11 – …immer vorwärts?

“Manchmal…”, sagte die beste Ehefrau von allen, “…bist du sehr schnell unterwegs.” Es ist diese Feststellung, dass ich im Urlaub wohl mit einer forschen Zielstrebigkeit unterwegs bin, die mir selbst gar nicht so auffällt. Ich dachte kurz darüber nach, als am gestrigen Abend das Gespräch darauf kam. Und die Rechtfertigung, welche mir sogleich einfiel, klang ungefähr so: man(n) kommt halt wahrscheinlich nur einmal hin und dann sollte man(n) so viel wie möglich von dem Ort gesehen haben. Natürlich ist dies keine Begründung dafür, im Urlaub zu viel Gas zu geben (wenn auch nur per pedes) und sich selbst damit der Ruhe des Flanierens zu enthalten. Insbesondere, wenn man nirgendwo hin muss und das Flanieren rings um das Urlaubsdomizil herum ganz vorzüglich funktioniert. Habe ich tatsächlich Reise-induzierte FOMO (Fear Of Missing Out)? Also Travel-Induced Fear Of Missing Out => TIFOMO. Oder ist es vielleicht etwas ganz anderes? Ich denke nun schon seit gestern darüber nach und glaube mittlerweile, dass die Erklärung eine andere ist: es ist einerseits dieser Durst nach neuen Stimuli, nach Input, der für mich vor allem visueller Natur sein muss. Andererseits ist es aber auch dieser Drang, sich von allem freimachen zu können. Weshalb ich, so oft es mir möglich ist, ohne die Menschen, welche mir nah sind zu sehr vor den Kopf zu stoßen nach Gelegenheiten suche, für mich zu sein und die Dinge alleine zu erkunden. Eigentlich passt das Zitat von Riddick, welches mir dazu eben gerade einfällt nicht ganz, denn im Gegensatz zu mir ist er schnell: “Es gibt nur eine Geschwindigkeit – MEINE Geschwindigkeit!”

Es wird sogar noch etwas paradoxer, wenn ich nun zugeben muss, dass ich im Prozess des vorwärts Eilens wohl auch schneller meine verfügbare Energie verbrenne und dadurch manchmal aufgeben muss, bevor ich alles gesehen habe, was eigentlich auf meinem Zettel stand. Denn irgendwann tun in der italienischen Hitze die Füße weh, der Kopf ist warm und die Zunge trocken (trotz regelmäßigen Nachfüllens von Betriebsstoffen, wie etwa Wasser). Wie blöd ist das denn? Der Urlaub sollte doch eine Zeit des Müßigganges, der ziellosen Kontemplation und des Auffüllens der eigenen Batterien sein, und keine erschöpfende Hetzjagd nach neuen Bildern… oder? Wenn ich dann allerdings abends da sitze und noch einmal Revue passieren lasse, wo ich an dem Tag überall war, was ich gesehen und erlebt habe, dann bin ich plötzlich auf eine Art zufrieden, die ich nicht erklären kann. Irgendwie werde ich dann wieder zu dem Kind, das in sich alles aufsaugt und erst im Nachhinein zu verarbeiten beginnt. Oder ein bisschen wie Nummer Fünf, dieser knuffige Roboter, der nach so viel Input verlangt, weil er alles (vor allem aber die Menschen) verstehen und so zu echtem Leben kommen möchte. Nun rede ich mir immer gerne ein, dass ich keine Nummer bin, sondern ein freier Mensch – um allerdings recht häufig, ebenso wie Number Six für sein “I’m not a number, I’m a free man!”, nur eine dreckige Lache zu ernten. Ich bekomme mein Gelächter allerdings nicht von Number Two, sondern vom Schicksal selbst. Also bin ich doch Nummer Fünf; aber eher in dem Sinne, dass es vielen Anderen wahrscheinlich genauso geht, wie mir. Ob das wohl ein Trost sein kann…?

Reden wir gerade über die viel beschrieene Individualität, wenn es um das Urlaub machen geht? Vielleicht. Allerdings nicht darüber, ob man lieber in ein Luxus-Ressort mit All-you-can-eat-Buffet, zum Backpacking am anderen Ende der Welt, auf eine Kreuzfahrt über irgendeinen Ozean oder eben doch das in das Selbstversorger-Appartment in Mittelitalien reist, um sein ganz spezielles Glück zu finden. Wir reden gerade über die spannende Frage, wie man auf Reisen unterschiedlichste Persönlichkeiten und ihre jeweiligen Bedürfnisse unter einen Hut bekommt – und die erste, intuitive Antwort ist: gar nicht! Was aber erklärt, warum der vielgepriesene (oder, wenn man Andere fragt vielgescholtene) Familienurlaub auf immer per Definition ein Drahtseilakt bleiben muss. Vollkommen unabhängig davon, wie alt die Kinder sind; und wie konziliant oder durchsetzungsstark sich alle Beteiligten begegnen. Denn irgendein Träumchen bleibt immer auf der Strecke. Und was fange ich mitbder Erkenntnis nun an? Ist ganz einfach: wenn Städtetouren, dann geht jeder seinen eigenen Weg. Und ansonsten müssen wir wenigstens einmal an einen traumhaften See und einmal ans Meer. Darauf können sich alle einigen. Der Rest findet sich für mich zwischen Lesen und Schreiben und Dösen und Denken und Schwimmen. Denn eigentlich ist alles, was ich brauche schon da. Und bei euch so…

Benvenuti nelle Marche N°10 – Mad New World…

Menschsein ist anscheinend eine komplizierte Angelegenheit. Immer wieder steht man subjektiv vor der Herausforderung, seine eigenen Wünsche, Ziele, Bedürfnisse mit denen der anderen Menschen – insbesondere denen, die einem nahe sind – austarieren zu müssen. Objektiv jedoch scheint ein nicht geringer Prozentsatz der Menschoiden da draußen auf diese Verpflichtung zu scheißen, die sich daraus ergäbe, wenn wir wirklich unserer Nächsten Grenzen und Rechte achten würden. Anders lässt es sich kaum erklären, dass so viele Ego-fixierte Bastarde mit ihrem Ego-Müll „die Zone fluten“ wie dieser Fascho-Flüsterer Steve Bannon das Zumüllen der antisozialen Medien mit Fascho-Müll mal nannte. Welche Art Ego-Müll dabei in die Zone flutet ist vollkommen gleichgültig, weil jede weitere Schmutz-Welle dazu geeignet ist, den eben benannten Austarierungs-Prozess zum Halten zu bringen. Es stellt sich spontan die Frage, zumindest sofern man die Menschheit noch nicht vollkommen aufgegeben hat, wie man dem Einhalt gebietet, wenn Erpressung, Totschlag, Brandstiftung, etc. leider kein gangbarer Weg sind, weil man dafür leider viel schneller in den Knast kommt, als dieses dreckige Antiscocial-Media-Verbrecher-Gesocks, welches das Internet verpestet; und damit unterdessen die einstmals hoffnungsvolle Idee einer weitreichenden Demokratisierung mittels des Internets durch die zunehmende Faschistoidisierung desselben ad absurdum geführt hat? What a Mad New World!

Ich habe gerade „Brave New World“ wieder gelesen – und für ein paar Augenblicke erscheint diese kranke Utopie einer weltumspannenden Zukunfts-Gesellschaft verlockend, in welcher die Menschen synthetisiert, für die spätere wirtschaftlich Funktion physiologisch und psychologisch konditioniert und als hedonistische, konsumorientierte Abziehbilder freier Menschen sozialisiert werden; alles im Namen sozialer Stabilität. Manches in dem Buch erscheint heute aus der Zeit gefallen, was beim Veröffentlichungsjahr 1932 auch nicht weiter verwundern mag. Und doch ist Huxleys Vision eines perfekten Totalitarismus, in dem alle glücklich sind, weil jeder bekommt, was er will, weil er nur will, was er bekommen darf, auch über 90 Jahre später immer noch erschreckend aktuell. Kein Wunder, dass die Nazis es direkt verboten hatten. In den Vereinigten Staaten ist das Buch übrigens schon lange vor dem dreckigen Fascho-Trumpel in diversen Staaten auf der Bann-Liste. Man könnte es als Ironie des Schicksals betrachten, dass ein Buch verboten wird (bzw. bleibt), in dem es u. A. auch um die Kuratierung des den Menschen verfügbaren Wissens durch die Nichtverfügbarkeit von Büchern geht; also harte Zensur, um die Konditionierung der Menschen als willfährige Drohnen des Weltstaates nicht zu gefährden.

Ich bin da eher bei John dem Wilden: „But I don’t want comfort. I want god, I want poetry, I want real danger, I want freedom, I want goodness, I want sin.“ In meinem Verständnis wünscht er sich eine Welt (zurück), in der die Menschen wieder Verantwortung für sich selbst übernehmen dürfen und damit die Chance bekommen, zu wachsen; selbst, wenn dies Herausforderungen, Anstrengungen, Kämpfe und Verluste bedeutet. Weil eine Existenz, die in allen Aspekten der Funktionalität untergeordnet ist, bestenfalls eine Subsistenz ist, die nichts mehr hervor bringt, als die reine Reproduktion dessen, was schon da war. Der Gedanke, darauf reduziert zu werden, erscheint auch mir schmerzhaft. Ich bin kein gläubiger Mensch im Sinne kirchlicher Doktrinen, wohl aber ein durchaus spirituelles Individuum und ich möchte mir – ebenso wie John der Wilde – meine mentalen Drogen gerne selbst auswählen; Irrungen und Wirrungen inklusive. Aber was weiß ich schon… außer, dass Lesen bildet. Daher empfehle ich Aldous Huxleys „Brave New World“ als Originaltext mit Kommentaren in der English Edition von Klett. Ansonsten lesen wir uns bald wieder mit anderen Themen. Bis dahin, gehabt euch wohl.

ISBN: 978-3-12-579850-2

Benvenuti nelle Marche N°9 – Warum nicht?

Über Urlaubsfahrten zu den Zeiten gesetzlicher Ferien ist jede notwendige und nicht so notwendige Glosse geschrieben worden; mal mehr, oft aber eher weniger lustig, Wenn sich viele 1000 auf den Weg in die gleiche Richtung machen, ist das Ergebnis halt Chaos auf den Straßen. Wir sind allem Chaos zum Trotze beinahe pünktlich gelandet – und zumindest ich habe einen Ort (wieder) vorgefunden, der sich erneut in beinahe allen Aspekten wie ein Zuhause anfühlt. Ich kann nur schwer beschreiben, welche Gefühle die letzten Kilometer einer 1.100 KM langen Reise in mir ausgelöst haben. Losgelöst beschreibt es nur unzureichend. Als ich dann, eine knappe Stunde nachdem der letzte Dreh des Schlüssels den Diesel zum schweigen gezwungen hatte, beginnen durfte, meine Bahnen im Pool zu ziehen, war ich genau da, wo ich schon seit Monaten hingewollt hatte… hingemusst hatte! Ich hatte neulich irgendwo mal gelesen, dass Urlaub ja im Grunde nicht nur problematisch sonder auch nutzlos sei, weil man ja eh nur irgendwohin führe, um an dem Ort dann genau das Gleiche zu tun, wie zu Hause, dafür aber kostbare Ressourcen vernichtet hätte. Also, normalerweise müsste ich das Autor*x (ich habe nicht mehr auf dem Schirm, was es denn nun war) so lange mit meiner pudelnassen Badehose in die Fresse schlagen, bis es versteht, dass diese Aussage – FÜR MICH – so ziemlich der allergrößte Quatsch ist, den irgendeine Journaille in letzter Zeit abgesondert hat!

Zuvorderst eine Liste der Dinge, die ich im Urlaub tue und für die ich Zuhause (wohl gemerkt unter der Prämisse Freizeit zu haben) dennoch weder die Muse noch die Motivation finde, weil die schiere Verfügbarkeit meines versch******n Dienstlaptops mich bereits zu oft dazu verführt – JA ICH BIN SO DUMM! HALTET EINFACH ALLE DIE FRESSE! – noch ein bisschen was zu arbeiten. Und das mir, der ich hier immer wieder über mein Verhältnis zu meinem Job und dessen mannigfaltige Frustrationspotentiale referiere; nun ja… Wo war ich? Ach ja, die Liste: Kreatives Schreiben (und nicht nur mein Blog). Knipsen, bis der verdammte Auslöser glüht. Neue Orte erkunden (und den Auslöser glühern lassen). Ortstypisch kochen und grillen (und dabei auch mal was Neues ausprobieren). Zwei bis drei Bücher lesen, die mich interessieren (keine Fachbücher!). Einfach mal in den Himmel, auf die Hügel oder ggfs. auf’s Meer schauen und NICHTS tun… Ich bin so alt – meine vertraute Umgebung kenne ich (andernfalls wäre sie nicht vertraut) auch in weiterem Umkreis. Und ich brauche ab und an neue Stimuli. Erst wenn ich ganz woanders bin – und damit stark entkoppelt von meinem üblichen Modus Operandi – beginne ich, mich selbst wieder (zweck)frei, kreativ und motiviert zu erleben. Und ich mag die südeuropäischen Mittelgebirge nun mal viel lieber, als den Strand (egal, ob im Norden oder Süden). Ich mag die kleinen Orrtschaften, die immer neue Blickwinkel ermöglichen. Ich mag die Straßen, die sich nicht anfühlen, wie ein Besuch bei Aldi, sondern wie ein kleines Abenteuer. Und ich mag es, dass sich nicht mal die Frage stellt, ob man abends Unterhaltung aus der Konserve konsummiert. JA, es gibt in unseren üblichen Ferienunterkünften zumeist einen Fernseher. NEIN, ich habe noch nie einen angemacht. Kurzum gesagt, mag ich reale Stimuli. Und damit ist die eine Sache noch nicht benannt, die ich einfach brauche – meine Bahnen in diesem kleinen Teich, die ich allmorgendlich ziehen kann, während Frösche quaken, Libellen summen und die Ringelnatter in Deckung gleitet. Und ich muss dafür nur aus dem Bett fallen, eine Badehose anziehen und ein ganz kleines Stück bergab gehen – so wertvoll!

Und was den Ressourcenverbrauch angeht: wir fahren zu viert mit dem Auto in Urlaub und unser Gesamt CO2-Verbrauch über 2 Wochen Urlaub liegt bei etwas über 800 KG. Für 620 KG schafft es gerade mal eine Person nach Malle und zurück. Über weitere Strecken müssen wir an dieser Stelle dann auch nicht mehr reden. Wir wohnen hier im historischen Natursteinhaus als Selbstversorger und haben damit weitestgehend den gleichen Klima-Fußabdruck wie zu Hause (und JA, der ist kleiner als bei vielen anderen, darf aber auch noch schrumpfen). Innen kühl, außen Sonne und das alles ohne Klimaanlage. Ob ich mich jetzt also schuldig fühle, weil ich einmal mehr den klischeebehafteten, nach Mittelitalien reisenden Pädagogen gebe, der abends mit der Rotwein-Buddel auf der Terrasse sitzt? (Tatsächlich war es gestern abend eine Buddel Prosecco, but who cares…) Nö, tue ich nicht. Und ich lasse es mir auch von niemandem einreden. Wenn es einen nicht so festlegen würde, hätten wir hier irgendwo schon lange ein eigenes kleines Häuschen. Aber es gibt noch mehr Ecken, die ich mal erkunden möchte. By the way – der Tourismus wird ja oft als Schuldiger für die Wassernot in vielen regionen Südeuropas genannt. Ich würde jetzt mal viel eher auf den ewigen, hemmungslosen Konsummaterialismus meiner Mitmenschen tippen, der den Klimawandel ausgelöst hat; aber was weiß ich schon… Doch, eines weiß ich ganz gewiss – ich bin im Urlaub und dennoch zu Hause, weil das ganze Setup hier den inneren Südländer aktiviert hat. Was wir die nächsten Tage anfangen, haben wir noch nicht entschieden. Aber das Schöne daran ist, dass man das im Zweifel ganz spontan tun kann. In diesem Sinne: sonnige Grüße!

Isses wichtich, richtich wichtich…

…ne, so richtich wichtich isses nich! (Danke Selig). was ich damit sagen will? Dass es mir viel zu oft, viel zu sehr, viel zu lange gegen den Strich geht, wenn irgendwelche Menschoiden meine Zeit verschwenden mit Dingen, die man entweder mit einem Dreizeiler, etwas mehr Selbstreflexion oder einem ernstgemeinten “Auf nimmer Wiedersehen!” hätte lösen können. Letzteres passiert sowieso viel zu selten, wenn ausgerechnet kognitions-benachteiligte Subsistenzen sich an Stühle, Pöstchen, oder Aufgaben krallen, bei denen ein einziger Blick genügt, um festzustellen, dass der Hut, den sie gerade zu tragen versuchen schlicht ein paar Nummern zu groß ist; und auch durch lautes Schwadronieren und Wichtigtuerei niemals so klein werden wird, dass er passt. Oder es ist schlicht ein waschechter Bullshitjob, für den man natürlich auch eine Bullshitperson braucht…! Aber eigentlich… eigentlich geht’s mir gut. Denn eigentlich sind dieser ganze Huzz and Buzz, dieses verzweifelt groteske Selbstmarketing, dieses “noch eine Aufgabe übernehmen zu müssen”, damit man ja nicht abgesägt werden kann, furchtbar traurig zu beobachten. Ich bin jetzt einmal so richtig arrogant: ICH weiß, wer ich bin! Ich weiß, was ich kann! Ich weiß, wieviel ich wert bin! Und ich scheue mich auch nicht mehr, diese Zahl aufzurufen – auch wenn ich immer noch davon überzeugt bin, dass man denn den Wert eines Menschen niemals in Euro/Monat beziffern könnte. Denn DAS tun nur völlig asoziale, inhumane, egozentrische Vollpfosten mit Leistungsträger-Profilneurose!

Man tut, wie ICH glaube, gut daran, ab und zu seine aktuellen Prioritäten zu hinterfragen. Es geht mir dabei gar nicht um narzisstische Nabelschau oder (als Gegenteil dazu) sadistische Selbstkasteiung, sondern vielmehr um die Frage, warum ich wie schnell in welche Richtung laufen sollte, wenn doch unklar ist, ob am Ende des Regenbogens tatsächlich ein Topf voll Gold auf mich wartet. Außerdem sitzt – zumindest bei meinem Glück – auf diesem Topf üblicherweise ein Leprechaun; und diese Wesen sind alles andere als nett. Und es geht dabei auch nicht um den Marktwert in Euro/Monat, sondern um die Frage, welche Werte, Normen, Ideale ich in mir trage und durch mein Tun verwirklicht sehen möchte – und ob ich tatsächlich noch auf DEM Pfad unterwegs bin? Oder nicht doch vielleicht schon vor einer ganzen Weile auf diese Autobahn in die Selbstausbeutungshölle abgebogen bin, weil ich, aus welchen Gründen auch immer, meine Werte, Normen, Ideale für X Euro/Monat mehr verkauft habe. “Wes brot ich ess, des Lied ich sing,” ist nicht umsonst ein geflügeltes Wort. Well, seems, like Captain Obvious is at work here, ain’t he? Ja, mag sein. Aber nur weil etwas in der Theorie für alle deutlich erkennbar im Raum steht, bedeutet das noch lange nicht, dass die Menschen daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen und eventuell sogar richtig handeln. Andernfalls hätten wir kein massives Fascho-Problem in diesem Land…

Was ist also wichtig? Kann ja im Grunde nur jeder für sich selbst bestimmen, oder? Falsch, Nachbar – au contraire! Es gibt einige Dinge, die sind IMMER, ÜBERALL und unter ALLEN DENKBAREN Umständen wichtig: Menschenrechte! Umwelt- und Klimaschutz! Humanität! Solidarität! Sie werden jedoch im Namen des Kapitalertrags kleingeredet. Die Wirtschaft muss brummen, egal, wie viel schneller wir dadurch auf die letzte Wand zurasen! Hauptsache, es liegt währenddessen ein (hoffentlich billig zu erwerbendes) Steak auf dem Grill, während man mit wohlwollenden Augen über den glänzend in der Auffahrt stehenden Bonzenschlitten streift, um dann auf dem allerneuesten Smartphone Memes anzuschauen, die sich über Armut, marginalisierte Gesellschaftsgruppen, die Linksgrünversifften und überhaupt alle Anderen verächtlich lustig machen, die es wagen, die Frage zu stellen, ob das alles wirklich durch eigene Leistung erworben wurde, oder nicht doch eher durch das Glück, zufällig in einem Job zu arbeiten, der zwar wenig zum Erhalt unserer Spezies und ihrer Kultur beiträgt, aber halt nutzloses FIAT-Geld erzeugt… Ob ich Anti-Kapitalist bin? Auf die eine oder andere Art und Weise schon. Und warum, dass habe ich hier schon oft genug begründet. Aber wir stehen immer noch vor der Frage, was wichtig ist…? Ich würde es so beantworten wollen: wichtig ist die Fähigkeit zu besitzen, die Begrenztheit der eigenen Wichtigkeit erkennen zu können! Die Richtigkeit der eigenen Meinungen überdenken zu können! Die Notwendigkeit zu verstehen, auch mit weniger auskommen zu können! Und schließlich, verstehen zu können, dass die eigenen Rechte und Ansprüche die anderer Menschen nicht unzulässig zu begrenzen haben. Es könnte so einfach sein…

Der eben formulierte Anspruch ist nicht niedrig, dessen bin ich mir wohl bewusst. Wenn man versucht, diesem Standard in seinem eigenen Leben gerecht zu werden, wird man immer wieder in die Situation kommen, dass die Selbstzweifel SO stark werden, dass sie die Grundfesten der eigenen Identität zu erschüttern beginnen. Aus dem Grund habe ich diese Box, die oben im Bild zu sehen ist. Sie ist mein Journaling-Instrument, dass mich durch seine bloße Anwesenheit am Schreibtisch dazu zwingt, über mein Tun und Lassen nachzudenken und eben nicht nur die FAILs, sondern auch die WINs zu dokumentieren! Ausgeräumt und gelesen wird es am Ende des Jahres, wenn alle Pflichten für eine kurze Weile von einem abfallen und es Zeit ist für Retro- und Introspektion. Die Zettel vom letzten Jahr haben über letztes Sylvester meine Verzagtheit durchaus zu dämpfen vermocht. Wie ihr da draußen damit umgehen wollt, weiß ich nicht; ich bin mir ja nicht mal sicher, DASS ihr überhaupt damit umgehen wollt, wenn Ignoranz und Indolenz das Leben doch so viel einfacher verdaulich machen. Wie auch immer – schönen Vatertag.

Auch als Podcast…

Alt und trotzdem jung?

Ich habe irgendwann in letzter Zeit festgestellt, dass ich immer häufiger über dieses “Das Ziel ist, möglichst jung alt zu werden!”-Meme stolpere. Vermutlich weiß dieser verdammte “Algorithmus”, dass ich in ein paar Wochen 51 werde und versucht jetzt, auf KI-typisch unbeholfene Art zu socialisen. Oder, eine groß angelegte Verschwörung der Wellnes- und Gesundheits-Industrie möchte mich dazu verführen, deren Produkte zu kaufen. Leute! Ich interessiere mich weder für Ratgeber, noch für Nahrungsergänzungsmittel. Training zur Selbstoptimierung ist eine Kategorie von selbstverletzendem Verhalten (und damit auch irgendwie eine Psychopathologie), die anderen passiert. Aber wenn ihr mir einen Berater vorbeischicken würdet, mit dem man ein wirklich intelligentes Gespräch über Gott, die Welt, Politik und neue philosophische Ideen führen kann – dann her damit. Dafür nehme ich mir gerne Zeit. Zumal ich mich noch nicht wirklich alt fühle. Meine Arbeit gibt mir sehr oft die Gelegenheit, mich mit Menschen verschiedenster Altersgruppen auszutauschen. Die meisten sind deutlich jünger als ich (unsere Berufsfachschüler). Und wenn man dann eine Haltung zu den Dingen (und den Menschen) hat, die es einem erlaubt, neugierig auf die jungen Leute zuzugehen, wird man nicht so schnell alt im Kopf. Ich beachte dabei lediglich meine ganz persönliche, total subjektive “Three-Strikes-Rule”: jeder Mensch ist es wert, als Mensch angenommen, respektiert und behandelt zu werden. So lange, bis diese Person drei Mal meinen Respekt und mein Vertrauen missbraucht hat – dann ist Sense und sie wandert automatisch in den nicht eben kleinen Pool all jener Menschoiden, die mich häufiger zu folgendem Satz veranlassen: “ICH HASSE MENSCHEN!”

Ich weiß nicht, ob man es wirklich Hass nennen kann, denn das ist ja ein sehr starkes Gefühl, welches üblicherweise für jene Menschen reserviert ist, mit denen ich noch irgendeine Art von Beziehung führen muss. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass anderer Leute Blödheit, Respektlosigkeit, Faulheit und Unverschämtheit der Motor für meine immerwährende Wut sind. Und dass mir die allermeisten Menschoiden nach den eben genannten Three Strikes einfach am Arsch vorbeigehen. Nur für ganz wenige habe ich diesen besonderen Hass übrig, der mich noch nicht einmal in ihren Rachen pissen ließe, wenn ihre Zähne brennen würden (danke für diesen Spruch Lemmy! Rock Hell for me, ’til I’m ready to come down…). Vielleicht liegt es tatsächlich am Alterungsprozess, dass mir so vieles heute meilenweit am Arsch vorbeigeht. Wobei ich mir da nicht ganz sicher bin. Neulich bemerkte einer meiner Kollegen, dass er ja jetzt langsam altersmilde würde – nur um in der nächsten Szene mit einer Hingabe über einen Sachverhalt abzuledern, die so manchen Berliner Taxifahrer alt aussehen ließe. Und ich konnte ihn volles Programm fühlen. Man wird nicht unbedingt milder. Man steigert lediglich die Effizienz des Energieeinsatzes und bohrt nur noch jene kognitionsallergischen Subsistenzen ungespitzt in den Boden, die das auch WIRKLICH verdient haben. Alle anderen, die unbedingt negativer Emotionen bedürfen, bekommen eine reduzierte Version, die aus wesentlich mehr kühler Distanz als heißer Wut besteht. Man muss Idioten allerlei Geschlechts auch einfach mal schweigend links liegen lassen können. Denn die Meisten verdienen meine Wut nicht mal im Ansatz.

Und meine positive Energie? Zuvorderst sei gesagt, dass ich davon tatsächlich jede Menge habe. Sie wandert heutzutage allerdings beinahe ausschließlich in jene Dinge, die mir etwas bedeuten, die mich inspirieren, die mir Freude machen und tendenziell mindestens die gleiche Menge Energie zurückgeben, die sie auch verbrauchen: man muss dem Ersten Hauptsatz der Thermodynamik nämlich auch in psychischen Belangen uneingeschränkt Beachtung schenken! Und ja – nur bescheidene Teile davon haben mit meiner abhängigen Lohnarbeit zu tun. Nämlich jene Teile, die es mir erlauben, mit, an und für Menschen etwas positiv zu bewegen – so lange, bis sie ihre Three Strikes aufgebraucht haben. Danach gilt, womit dem ich den ersten Absatz beendet hatte… Und was hat das alles nun mit dem Altern zu tun? Sagen wir mal so: ich habe für mich beschlossen, dass Alter nur eine Zahl ist und dass es darauf ankommt, mit welchem Handeln, mit welchen Worten und Gedanken, mit welchem Unterlassen ich meine Tage anfülle und welche Haltung daraus resultiert; nur das gibt einen Hinweis darauf, wie alt ich wirklich bin. Ich handele nach dem Prinzip des kategorischen Imperativ, bin stets auf Ausgleich und Gerechtigkeit bedacht! Vollkommen unabhängig von Nachteilen für mich selbst oder dem Alter der betreffenden Personen. Ich zocke unfassbar gerne! Ich suche nach Schöneit und Wahrheit und Inspiration für meine Geschichten, mit denen ich Menschen davon überzeugen möchte, für sich selbst zu denken und dabei dennoch die Sichtweisen anderer zuzulassen; und ich erzähle diese Geschichten natürlich nicht nur zum Lehren, sondern auch zur Unterhaltung! Ich versuche, Egoismus, Arroganz, Boshaftigkeit, Hinterhältigkeit und Doppelzüngigkeit zu unterlassen, auch wenn ich als Mensch genauso anfällig dafür bin, wie jeder andere – insbesondere für Arroganz, denn es ist ein schmaler Grat zwischen dem simplen Wissen um das eigene Leistungsniveau – und der Aktion, dieses Merkmal demonstrativ jedem unter die Nase zu reiben! Daraus ergibt sich als Haltung ein humanistisches Menschenbild, welches das Gegenüber zu dessen Bedingungen zu erkennen sucht; nicht zu meinen. Und wer glaubt denn bitte schon, dass man seinem eigenen Ideal immer gerecht wird? Das macht mich alt und jung zugleich. Ich weiß nicht, wie ich zum Altern stehe – außer, dass ich mich immer wieder frage, wie viele Tage, Wochen, Monate, Jahre ich noch haben werde, um all die Dinge zu tun, die ich noch vorhätte. Nun ja, wir werden sehen. Einstweilen füllt sich mein Sonntag mit Schreiben. Ich wünsche euch einen gediegenen Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°64 – Action & Ressource Economy!

“Was tust du dann?” Es gibt in der DnD-Tube und der PnP-Blogosphere immer wieder interessante Diskussionen darüber, welche Arten von Entscheidungen Spieler für ihre Chars treffen können, wollen und sollen. Wir wollen mal davon ausgehen, dass die Spieler für bzw. durch ihre Chars innerhalb der Secondary World ihre Entscheidungen auf Basis unterschiedlichster Motivationen treffen, die sich allerdings immer auf die Vorgänge innerhalb der Secondary World beziehen sollten. Denn jedes Mal, wenn die Meta-Diskussionen des Spieltisches in die Spielwelt rüberschwappen (also z. B. persönliche Konflikte unter den Spielern oder mit der SL mittels deren Chars oder NSCs ausgetragen werden) passieren gruselige Dinge. Das bedeutet nicht, dass PvP nicht auch mal seinen sehr speziellen Reiz haben kann. Aber wenn das ganze Spiel sich nur noch um derlei SCHLECHTES Meta-Gaming zu drehen beginnt, ist das baldige Ableben der Spielrunde vorprogrammiert. Was ich persönlich in meinen Runden sehen möchte ist, dass die Spieler von ihrer eigenen Person zumindest teilweise abstrahieren, die Spielwelt durch de Augen ihrer Chars wahrnehmen und dann ihre Chars die Entscheidungen treffen. DAS wäre für mich sinnhaftes Rollenspiel. Sich in die andere Person (also seinen Char) zumindest so weit hineinzuversetzen, dass man tatsächlich temporär dieser andere Jemand wird; und in der Folge Dinge so tut oder lässt, wie der Char es tun würde. Nicht jedoch, wie man selbst es tun würde. So weit, so idealistisch…

Nun geht es beim Pen’n’Paper meist nicht um Alltagskram, wie die Frage, welches Hemd ich heute zur Arbeit anziehe, sondern a) auf welche Plothooks die Spieler tatsächlich reagieren und b) welche (endliche) Ressource die Chars in welcher Szene des Spiels einsetzen. Beispiel: die Gruppe erforscht im Schutz der Dunkelheit eine Lagerhalle und die Chars WISSEN (auf Grund einer vorherigen Szene), dass es hier einen Keller gibt, in dem grausige Dinge vor sich gehen. Zu allem Übel tickt die Uhr, denn sie sind vor allem auf der Suche nach mehreren vermissten Personen, die gewalttätigen Kultisten in die Hände gefallen sind; und deren Unterschlupf ist in diesem Keller…! Just, als sie den versteckten Zugang gefunden haben, werden sie von mehreren schattenhaften Gestalten aus dem Hinterhalt angegriffen. Sie werden sich natürlich gegen diesen Angriff wehren, müssen dabei aber zügig entscheiden, welche Ressourcen (Munition, Magie, spezielle Fähigkeiten) sie JETZT einsetzen und welche sie sich lieber noch aufsparen – denn wer weiß schon, was in diesem Keller noch alles wartet? Der aufmerksame Leser hat als Themen hier eben die “ticking clock”, die “damsel in distress” und eine klassische Kollision mit Antagonisten entdeckt. All packed into one short scenario. Action Economy meint in diesem Zusammenhang nun die Schwierigkeit der einzelnen Encounter, beschrieben durch deren inneres Pacing (Anzahl und Stärke verschiedener “Schurken”, mögliche Reveals, dramatische Wendungen, spezielle Gadgets, spezielle Mechaniken etc.). Ressource Economy hingegen betrachtet das ganze aus Sicht der Geschwindigkeit, mit welcher die einzelnen Encounter aufeinander folgen; und damit den Druck auf die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Chars. Als Faustregel gilt: je härter und je schneller, desto wahrscheinlicher wird eine Niederlage der Chars. Was eine Niederlage dann effektiv bedeutet, ist damit nicht ausgesagt. Aber man sollte es so sehen: wenn ich meinen Spielern vorher gesagt habe, dass ihre Gegner keine Ahnung haben, dass sie alle “nur” Figuren in einem Spiel sind und auf jeden Fall und mit allen Mitteln gewinnen wollen, dann könnte ihnen klar sein, dass hierbei Chars draufgehen könnten…!

Es geht also immer um echte, sinnhafte Entscheidungen, die tatsächlich Einfluss auf den Verlauf des Spiels haben. Gibt man seinen Spielern nur die Illusion, Entscheidungen treffen zu dürfen, sind wir beim Quantum Oger (ein Terminus für ein Encounter, dem die Charaktere nicht ausweichen können, egal, welchen Weg sie wählen. Und er ist im Grunde ein erster, entscheidender Aspekt von klassischem Railroading, bei welchem Player Agency vom SL mit Wucht in die Tonne getreten wird, um SEINE Geschichte erzählen zu können). Die Railroading-Diskussion mache ich an dieser Stelle nicht noch mal auf, sondern stelle mal ganz spitz die Frage, ob Spielleiter WIRKLICH Storyteller sind? Denn man könnte ja die Meinung vertreten, dass die Geschichte durch die Spieler mittels ihrer Chars erzählt wird. Allerdings ist es die Aufgabe der SL, Content vorbereitet zu haben, aus dem sich eine Geschichte spinnen lässt. Und insofern ich bei diesen Vorbereitungen Erwägungen zu den Motiven der Antagonisten und den resultierenden Konflikten, zum Thema der Geschichte, zum Aufbau der Spielwelt (bzw. des aktuell genutzten Ausschnittes derselben), etc. treffen und aufschreiben muss, betreibe ich natürlich Storytelling. Ich nutze dabei Techniken, die auch beim Schreiben von Büchern oder Screenplays zum Tragen kommen; einziger und wichtigster Unterschied ist, dass ich immer nur die Basics des Plots entwickle und mich dann zurücklehnen und abwarten kann, was meine Spieler damit anfangen. Denn ganz sicher baue ich dabei Entscheidungen ein, die (früher oder später) von meinen Spielern bzw. ihren Chars getroffen werden müssen (nicht von mir) – und die IMMER Einfluss auf den Verlauf der Dinge haben. Action und Ressource Economy stellen dabei kritische Fragen, die beantwortet werden müssen und im Gesamtgefüge über Sieg oder Niederlage, über Drama oder Langeweile, über Lösungen oder weiterhin drohende Probleme, also mithin über den Spaß des Spiels mitentscheiden. Doch selbst wenn ich diese Stellschrauben wirklich gut beherrsche, läuft das eine oder andere schief; wie im echten Leben auch. Wichtig ist, dass die Spieler sich darauf einlassen, als ihre Chars zu entscheiden und nicht als sie selbst. Denn neben Würfelpech kann – wie oben bereits erwähnt – auch schlechtes Meta-Gaming das Spiel für alle killen. Wie man’s auch dreht und wendet: gut wird es nur, wenn sich alle am Spieltisch WIRKLICH auf die Secondary World und ihre Chars einlassen. In diesem Sinne – always game on!

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