Altjahresansprache…

YEEHAA – Zeit für Rückblicke und Listicles! HAHA, Scherz; nicht bei mir, Nachbarn. Ich habe so einige Gründe NICHT zurückblicken zu wollen und werde dementsprechend lieber über die Zukunft nachdenken, wenn’s recht ist. Auf Zeit Online findet man ja schon einen Artikel mit dem Titel „Annus horribilis“ mit dem politischen Jahresrückblick, der muss genügen. In dem Artikel findet man bestimmt auch den einen oder anderen ANUS HORRIBILIS. Man liest ja momentan allüberall, dass wir in finsteren Zeiten leben, weil: Krieg, steigende Lebenshaltungskosten, Klimakrise, Nazis, Klimakleber, DIE GRÜNEN, drohendes Tempolimit (wenn der Lobby-FDP-Bonze, der sich derzeit Verkehrsminister nennen darf, es nicht doch noch verhindert bekommt) und überhaupt: GENERATION Z! Will mal so sagen – Probleme werden recht oft zu Chancen, wenn man sich traut, den zu Blickwinkel verändern. Und den Blickwinkel zu verändern bedeutet NICHT, sich nicht treu bleiben zu dürfen; obwohl es einen ganzen Haufen Mitmenschoiden da draußen gibt, denen es ganz gut täte, sich in Zukunft nicht mehr treu zu sein, sondern mal was anderes zu versuchen! Aber das ist MEINE Meinung.

Ich sehne mich nach Ruhe im Süden…

Überhaupt sollte man sich einmal kurz daran erinnern, dass aus Sicht der Journaille nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, weil sich das Entsetzen auf Grund unseres eingebauten Voyeurismus viel besser verkaufen lässt als das gute Gefühl, dass sich doch auch mal was in die richtige Richtung bewegt. Folglich findet man in den Online-Postillen unter Artikeln, welche wahlweise den Voyeur oder das selbstgerechte Arschloch in uns allen bedienen, wesentlich mehr und auch wesentlich garstigere Kommentare, als unter denen, die ein wenig Feelgood-Promotion betreiben. Oder gar nach Introspektion und Reflexion verlangen. Wer lässt sich schon gern den Spiegel vors Gesicht halten? Selbst, wenn es nur ein metaphorischer ist. Dabei ist es ganau das, was ich mir durch manchen Blogpost hier auszulösen wünschen würde – Nachdenken. Und wenn’s nur ein bisschen wäre. Aber da verlange ich vermutlich ein bisschen viel. Okay, manche Posts sind auch einfach nur Geschichten: über das Geschichtenerzählen, meine persönlichen Struggles, Siege und Niederlagen, das Leben und den ganzen Rest. Und somit kann ich zumindest eines für 2024 voraussagen: langweilig oder still wird es hier nicht werden. Dazu liegt mir diese Plattform zu sehr am Herzen.

Sich hier auskotzen zu können, ist manchmal eine Bürde, manchmal eine Notwendigkeit, aber oft ein willkommener Ausgleich zu den Herausforderungen, die sich bereits jetzt am Horizont abzeichnen und die auch 2024 ganz sicher zu einem spannenden Jahr machen werden; wenngleich hoffentlich nicht zu einem ganz so stressigen oder metal zehrenden… Ich sprach dieses Jahr schon ein paar Mal von der unüberwindbaren Barriere der nächsten Sekunde und selbstverständlich habe auch ich keine Möglichkeit, dahinter zu schauen. Und wenn ich’s könnte, weiß ich nicht, ob ich das tun wollen würde. ABER… natürlich versuche auch ich mich an dem einen oder anderen educated/informed guess, weil man halt sowohl im Privat- als auch im Geschäftsleben nicht umhin kommt, Vorkehrungen für Zeiten treffen zu müssen, die noch nicht stattgefunden haben. Obwohl der notwendige spätere Abgleich ex ante – ex post zumeist zumindest irritierte Gesichter erzeugt. Manchmal auch traurige. Man bekommt halt nicht immer, was man haben möchte.

Wenn ich aber nun tatsächlich einen well-informed guess über 2024 abliefern soll, würde ich Folgendes sagen mögen: die Welt als solche bleibt ein unruhiger, Krisengeschüttelter Ort und ich kann nicht mit Sicherheit abschätzen, wie sich dies auf meinen kleinen Teil davon auswirken wird, abseits von auch weiterhin verteuerten Lebenshaltungskosten. Ich plane, mit meinen Lieben nächstes Jahr zwei Mal wegzufahren, weil wir dieses Jahr aus verschiedenen Gründen ganz schön gedarbt haben. Ich werde an meinem Arbeitsplatz auch weiterhin Kämpfe darum ausfechten müssen, auf welche Aspekte meiner Arbeit wer Einfluss haben darf und wer nicht. Es bleibt spannend. Und ich werde eventuell versuchen, mir ein zweites Standbein aufzubauen, für den Fall, dass mein diesbezüglicher Frust sich nicht alsbald signifikant abbauen lassen sollte; wobei ich, momentan noch sehr vage, sowohl Dienstleistungen mit einem Preisschild plane, als auch Pro-Bono-Angebote, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Aber ich werde mir auch wieder mehr Zeit für mein Hobby N°1 nehmen können – darauf freue ich mich besonders! Ansonsten sehe ich beruhigende Stabilität in meinen Beziehungen, ein weiteres Anwachsen meiner persönlichen Souveränität und spannende Aufgaben. Ich bin also privilegiert, weil ohne echte existenzielle Sorgen aber mit vielen Möglichkeiten gesegnet. Bleibt mir nur, euch das auch zu wünschen – außer ihr seid Scheiß-Nazis, dann dürft ihr zur Hölle fahren. Allen anderen in diesem Sinne: guten Rutsch und einen guten Start in 2024.

Ein Gruß aus der Küche…

Diese Zeit des Jahres ist bestens geeignet, um am heroischen Versuch zu verzweifeln, am Herd/Ofen Großtaten zu vollbringen. Der Erfolgsdruck ist aber auch immens, braucht es doch zu Jesu Wiegfenfeste vom Futter nur das Allerbeste… oder so. Fakt ist, dass sich nicht wenige Menschen an den Festtagen in der Küche mehr verkünsteln, als das sonst der Fall oder notwendig ist. In der Folge sind Enttäuschungen vorpogrammiert – denn nur Übung macht am Herd einen Meister; oder wenigstens einen halbwegs überzeugend agierenden Amateur. Eigentlich ist die beste Wahl in solchen Fällen der Gang ist Restaurant. Allerdings habe ich dieser Tage auf Zeit Online gelesen, dass einer britischen Umfrage zu Folge immer mehr Menschen Angst vor dem Blick in die Speisekartesowie dem Kontakt mit dem Servicepersonal haben, weil sie zu sehr daran gewöhnt sind, alles kontaktfrei online erledigen zu können; ich nenne das „Nuritive Entscheidungs-Kontakt-Phobie“; und finde allein den Gedanken lächerlich. Ja, ich bestelle auch gerne Dinge online, aber deswegen Angst vor dem Kellner…? Ich würde zumindest mit Bezug auf unseren bevorzugten Italiener um die Ecke so einiges verpassen, ist doch eben das dortige Servicepersonal wunderbar hilfsbereit und freundlich.

Ob diese Blumen schmecken, weiß ich nicht 😉

Hinsichtlich des Verkünstelns am Herd/Ofen übe ich das ganze Jahr über, immer und immer wieder mit Freude. Daher bin ich – dem oben gegebenen Ratschlag mit dem Essengehen zum Trotze – des heimatlichen Kochens am Festtage schuldig. Natürlich gibt es Gerichte, die ich nicht sehr oft koche, wie zum Beispiel die nämliche Martins- oder Weihnachtsgans; schlicht weil a) nur im Spätjahr Saison für Bio-Freilaufgänse ist und b) dieses spezielle Geflügel ja doch schon überaus gehaltvoll daher kommt. Ergo stand zu Heiligabend eben dieser Vogel auf der häuslichen Speisekarte. Ich bin da übrigens eher der Klassiker: Gans mit Äpfeln und Maronen füllen, langsam im Ofen bis zur gewünschten Knusprigkeit grillen, aus fettminimiertem Bratensud, den mitgegarten Äpfeln und Maronen eine Sauce ziehen, Knödel, Rotkraut und glasierte Marone dazu – und fertig ist die Laube. Und ja – ich schaue voher wegen der Garzeiten gelegentlich nochmal ins Rezept. Man muss nicht alles wissen; man sollte sich jedoch darüber vergewissern, wo es steht, wenn man’s braucht! Tatsächlich habe ich diesen Heiligabend sogar quasi Akkordgegart, weil ich die Ochsenbäckchen für den ersten Feiertag an anderem Ort auch gleich vorbereitet habe. Es ist soviel einfacher dann dort nur langsam wiedererwärmen und derweilen die Beilagen richten zu müssen. Außerdem sind beides Gerichte, die nach akribischer Vorbereitung vor allem der Geduld bedürfen. Ideal, wenn man nebenher ausspannen möchte.

Ich koche gerne und auch, wenne s den Anschein erwecken könnte bei weitem nicht nur Dinge für Karnivoren, obwohl ich zugegebenermaßen immer noch gerne Fleisch, Gefügel Fisch esse. Allerdings haben sich Bezugsquellen und Qualitätsanspruch in den letzten Jahren deutlich gewandelt.: regional, bio, nachhaltig. Mein Vorsatz für 2024 ist hier – noch weniger, dafür noch besser! Man kann in der Küche auch als Nicht-Veganer das Seine tun, um zum Wandel beizutragen. Das fängt schon bei der Obst- und Gemüseauswahl an. Denn wer kennt sie nicht, die legendären Avocado- und Bananenplantagen, Quinoa-Felder und wilden Tomaten der oberrheinischen Tiefebene – verfügbar bis in den Dezember. Ja so ein Quatsch. Auch die Küche ist ein Ort, um seinen Horizont zu erweitern. Allzu oft, sind es Stress, Sorgen, Taktung des Alltags, die uns unsere guten Vorsätze vergessen lassen. Jene, die man zu Silvester herausposaunt, haben sowieso noch niemals Gültigkeit über die ersten 7 Minuten des neuen Jahres hinaus besessen – sind sie doch fast immer viel zu gewaltig, um erfüllbar bleiben zu können! Aber kleine Änderungen am Verhalten, die lassen sich, mit etwas Übung auch in den eben benannten Alltag intergieren. Die Sozialpsychologie sagt, dass es eh einfacher ist, neue Gewohnheiten zu etablieren, anstatt sich alte abzuerziehen. Auf diese Weise werden Verhaltensänderungen einfacher; Zeit brauchen sie dennoch – im Mittel mehrere Monate.

Ich versuche jetzt mal verschiedene Ansätze, um manches in den Griff zu bekommen, was der Stress der letzten zweieinhalb Jahre mit mir angestellt hat – oder besser, was ich ihn habe mit mir anstellen lassen, weil es der einfachere Weg war. Nun ja, hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. In jedem Fall sollen quasi-meditatives Kochen und genussvolles Essen für mich nicht die besten Coping-Strategien bleiben, denn auf Dauer ist das auch nicht gesund. Mal schauen, was mir so einfällt. Versucht habe ich schon manches, doch dieses Jahr habe ich noch einige Rückschläge hinnehmen müssen. Denen will ich nun entgegen treten. Wir werden sehen, ob’s klappt. in jedem Fall wünsche ich allen ein gutes Zwischen-den-Jahren. Bis die Tage.

Das große Staunen N°8 – Ja ist denn schon…?

So zuverlässig, wie schlechte Nachrichten viel intensiver wahrgenommen werden, als die Guten, ist jedes Jahr am 24.12 ganz plötzlich Heiligabend. Ich finde es mittlerweile ein wenig irritierend, wie viel Gebashe dieser arme Feiertag und seine kleinen Büder (25.12 und 26.12) in den Medien hinnehmen müssen. Kaum eine Postille kommt derzeit ohne diese vorgeblich sartirisch gemeinten, handwerklich mediokren und nur höchst selten halbwegs witzigen Glossen, Listicals, Pseudo-Reportagen, Möchtegern-Essays und sonstigen Randerscheinungen journalistischen Versuchens aus. Nun ja, Versuch macht ja angeblich klug, wenngleich sich MIR ein Fortschritt nicht so recht enthüllen will. Denn irgendwie werden die Dinger zwar jedes Jahr von einem neuen Praktikanten geschrieben (zumindest legt die Qualität den Verdacht nahe) und doch klingen sie immer gleich… ich weiß auch nicht, was das noch soll. Denn eines ist sicher – kaum etwas brauchen wir genau jetzt mehr, als ein paar wahrhaft besinnliche und friedvolle Festtage!

20.01.2023 – fehlt mir jetzt irgendwie…

Es ist das Ritual, dass uns – wenigstens für ein paar Augenblicke – einen sicheren Hafen vor den Ärgenissen, Herausforderungen, Fährnissen dieser Welt bietet. Und kaum etwas in unserer vollkommen bekloppten Zeit hat mehr rituellen Charakter, mehr formalisiert-choreographierte Abläufe, mehr Zuckerguss in allen Darreichungsformen, als nun mal das Weihnachtsfest. Und selbst, wenn diese überbordende Mischung aus heidnisch glitzernden Äußerlichkeiten, Konsumterror, prandialen Detonationen, prä-, midi- und post-pubertären Peinlichkeiten und viel zu wenig Schnee oder auch Lametta (war früher mehr, ’ne!) einen jedes Mal an den Rand des Wahnsinns treiben mag, wenn man dies denn zulässt – am Ende war’s dann doch Gans gut… Natürlich ist es verdammt anstrengend, einen auf heile Familie zu machen, wenn in Wahrheit eigentlich nur wenig heil ist. Aber geht das echt jedem so? Ich meine, wir hatten dieses Jahr einen herben Verlust zu verkraften, was ein eher ernüchterndes Zusammenkommen zeitigt. Aber selbst unter diesen Vorzeichen gibt es für uns noch genug zu feiern: wir haben diese verrückte Jahr in all seiner kaputten Pracht überstanden und stehen immer noch aufrecht! Allein DAS ist mehr als nur EINEN Asbach Uralt wert…

Es gab viele Anfechtungen, insbesondere im beruflichen Bereich, die sich bis in die letzten Stunden meines Arbeitsjahres hineinzogen. Doch jetzt werde ich diese SCH***E ignorieren und mein Ding machen. Und wer weiß denn schon vorher, wohin der Zug des Lebens als nächstes fährt…? Ich ganz gewiss nicht – aber ich bin für beinahe jede Richtung bereit und schließe nichts mehr aus. Es ist doch so: am Ende des Jahres, wenn die kurzen Nächte uns in diesen, durch das Fest der Feste formalisierten Rite de Passage zwingen, WOLLEN wir ein abschließend beurteilendes Resumée des Vergangenen ziehen, um uns dann zu versichern, dass das nächste Jahr…. Was für ein BULLSHIT! Der Blick in die Zukunft scheitert IMMER UND ZWANGSLÄUFIG an der undurchdringbaren mauer der nächsten Sekunde. Alles Abwägen und Planen endet zwangsläufig mit einer – mal mehr, mal weniger großen – Abweichung vom Plansoll. Egal ob beruflich oder privat. Woher soll ich also wissen, welche Chancen sich noch abseits aller Ideen, die ich derzeit wälze ergeben könnten? Don’t know. Und eigentlich will ich das JETZT auch noch gar nicht wissen. Denn genau jetzt möchte ich einfach nur meine Ruhe genießen dürfen, um mal wieder zu mir selbst finden zu können.

Die oben erwähnten Christmas-Bashing-Artikel helfen dabei übrigens nicht wirklich, reflektieren sie doch nur jedes Jahr auf’s Neue, dass manche Journaille einfach nicht mit der Ambivalenz und Ambiguität des Lebens in einer komplex-kaputten Welt umgehen kann. Und in der Folge seine kindlichen Wünsche nach Harmonie, Geborgenheit und Geschenken nicht mit den Anforderungen des Erwachsenseins in Einklang zu bringen vermag. Denn im Grunde wollen wir doch alle einfach eine Schneeballschlacht, was leckeres zu essen und unter dem Christbaum mit großen Augen Geschenke auspacken, als wenn wir immer noch Acht Jahre alt wären. Aber so wenig, wie man in die Zukunft schauen kann, so wenig kann man die Uhr zurückdrehen. Vielleicht wäre es für uns alle einfacher, wenn wir dass, was uns im Gemüt erwachsen macht für ein paar Stunden oder gar Tage vergessen könnten/dürften. Dann wäre Weihnachten für uns wieder das, was es für uns als Kinder einmal war: ein Grund zur Freude. Nun ja – vielleicht ist es dieser unterbewusste Wunsch, der den einen oder anderen etyltoxischen Cerebral-Storno im Schatten des Baumes entstehen lässt. Ich wünsche uns allen jedenfalls friedvolle Festtage. Denn selten braucht man das Kind in sich selbst dringender, als gerade jetzt. Lassen wir’s doch mal raus…

The Critic N°3 – Who needs critics…?

Sonntag der 3. Advent, Abends. Tag, Woche und Lust, Montags auf ein Neues zu stürmen neigen sich dem Ende. Keine Sorge – keine Wehklagen. Mehr die Frage, was mich im Moment noch antreibt? Man überwindet im Laufe eines Monats, eines Jahres, eines Lebens so manches, um sich doch immer wieder – Sysiphos‘ Strafe nicht unähnlich – vor mehr vom Gleichen wiederfinden zu müssen. Es ist weniger die Tatsache, dass da Arbeit ist, sondern vielmehr die damit einher gehende Monotonie, die mich gelegentlich an den Rand der Verzweiflung bringt; dann und wann auch darüber hinaus. Ich meine, alles Streben, alles Tun, alles Planen und Wagen wirken in diesen Tagen, wenn das alte Jahr ganz langsam dahingeht und man sich überdies in zumeist unnützen Retrospektiven verfängt irgendwie… verdammt alt. Schon mal dagewesen. So als wenn man sich manche Serien anschaut. Jede Woche das Gleiche mit allenfalls geringen Anpassungen und einer lediglich vordergründig neuen Herausforderung, die trotzdem schon mehr als einmal dagwesen ist. Different, different but same…

Somewhere the skies are always blue…

„Aber natürlich ist das eine rein subjektive Pein!“, höre ich das aus dem Chor vereinzelte Stimmen sagen. „Du weißt doch, das alles Leben Wandel ist!“ Ja sicher weiß ich, dass alles Leben Wandel ist und dass die subjektive Monotonie nicht die ganze Wahrheit abbildet; und trotzdem muss man sich seiner Sinnkrise ab und zu mal stellen, wenn man nicht möchte, dass sie einen irgendwann mit Haut und Haaren frisst. Und diese Gefahr ist für Menschen mit depressiven Erkrankungen ganz real. Um es klipp und klar zu sagen: ich mag mein Leben. Ich mag meine Familie und meine Freunde, ich mag sogar mich selbst (mit leichten Abstrichen). Aber im Moment sind manche Dinge (noch) wie ein endloser Tunnel, bei dem man sich fragt, ob dann doch noch das Ende kommt. Und man möchte wissen, ob dieses Licht da vorne einem nicht vielleicht doch hupend entgegenkommt… Ach, wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich im Moment einfach nur faul sein dürfen und es ärgert mich ein bisschen, dass es noch ein paar anstrengende Tage dauert, bis das soweit ist. Dieses Jahr dauert einfach schon zu lange.

Dass ich Pen’n’Paper-Rollenspiel spiele, kann man wissen, wenn man diesem Blog halbwegs regelmäßig folgt. Wahrscheinlich ist gelegentlich auch schon mal meine Liebe für Videospiele durchgeklungen. An dieser Stelle ein Bekenntnis: ich hatte jede Playstation seit der Generation 1. Und ich habe eine Menge Spiele gespielt. Sicher nicht so viele, wie manch anderer; keine Rennspiele, keine Sportsimulationen, weil ich mit der Sch***e schon im echten Leben nix anfangen kann, nur selten First-Person-Shooter und schon gar nicht im Mehrspielermodus, weil ich lausige Reflexe habe. Auch auf Konsolen dominieren für mich daher Adventure-Games, gerne auch mit einem gewissen Open-World-Charakter, wobei es schick ist, wenn sich eine faszinierende Story entfaltet. DAS ist meine Art, mir meine Dosis Eskapismus zu holen, wenn es an der Pen’n’Paper-Front mal wieder zu still ist. Betrachtet es als eine Art Rollenspiel-Methadon… Auch ich lese manchmal Spiele-Reviews – und verfluche mich dann hinterher immer dafür. Denn ich möchte mir meine Immersion gerne selbst erarbeiten. Und das geht nur, wenn man sich selbst ein Bild macht. Und wenn’s nix war, dann war’s halt nix. GTA5 zum Beispiel hat mich damals null gehooked. Nicht wegen der Prämisse, sondern weil das Gameplay mich angestrengt hat. Ich bin Casual Gamer und möchte dementsprechend gerne abgeholt werden. Womit zu bezweifeln bleibt, ob ich mich jemals an Elden Ring rantraue.

Da das Jahr hart war und ich einige Tiefschläge zu verdauen und mehrere große Projekte zu bearbeiten hatte, war von Anfang an klar, dass ich erst wieder zum ausgiebigeren Zocken kommen würde, wenn sich das Jahr dem Ende neigt. Also habe ich mir erst jetzt – und unter deutlich geringerer Aufwendung von Geld und Nerven als bei den early Hunters – ’ne Playse 5 gekauft und angefangen „Horizon Forbidden West“ zu spielen. Da kann man nämlich einstellen, wie schwierig die Gegner sein sollen. Und ich bekannte ja eben schon, dass ich diesbezüglich eine Mimose bin. Nun könnte ich anfangen von den Vorzügen des Spiels zu schwärmen. Grafik, Gameplay, Story, NPCs – ICH fühle mich gut abgeholt. Doch tatsächlich wäre das in diesem Fall Käse, habe ich doch weiter oben gesagt, dass ich selbst mich für das Lesen von Reviews meistens hinterher verfluche. Denn was für MICH so richtig Bombe ist, langweilt andere wahrscheinlich zu Tode oder führt bei noch Anderen zu einem indifferenten Schulterzucken. Nicht jedes Spiel ist für jeden Spieler was, weil Setting, Story und Spielmechanik sehr wohl einen Unterschied machen. Welchen Stellenwert haben aber dann Kritiken und vor allem Kritiker noch? Ganz ehrlich: für mich keinen großen, denn das Einzige, was mich interessiert ist, ob das Spiel technisch funktioniert, oder der Hersteller mal wieder die Kunden zu Beta-Testern gemacht hat, wie etwas bei „Cyberpunk 2077“

Was mich betrifft, hat die Medienbranche rings um die Spielebranche (und die rings um Filmbranche sowieso) mittlerweile obszöne Züge angenommen. Der Pre-Teaser-Teaser-Trailer garniert mit Insider-Gerüchten von…; da könnte ich im Strahl kotzen vor Glück. Wer braucht den Mist. Würde man seine Zeit und sein Kapital darauf verwenden, vernünftige Produkte herzustellen, bräuchte man diese Publicity-Maschinerie nicht, denn das alles ist nichts weiter als schlecht verstecktes Marketing. Und je mehr Marketing, desto ramschiger ist oft das Produkt. Mal davon abgesehen, dass bei den heutzutage anscheinend benötigten Produktionsbudgets die Money-People den Kreativen erzählen, was diese zu tun oder zu lassen haben. Als wenn IRGENDSOEIN Finanzierungs-Fuzzi Ahnung von Storytelling und Gamedesign hätte. Die können von mir aus alle zum Teufel gehen. All dem Hubbub zum Trotze habe ich dieses Wochenende ein paar Stunden gezockt, was mir prompt eine Rüge von meiner kleinen Tochter einbrachte, die wohl der Meinung ist, dass Papas auf keinen Fall länger zocken dürfen, als ihre Kinder… wenn die wüsste! In den nächsten Tagen komme ich ja eh nicht dazu, was auch vollkommen okay ist. Aber wenn mich der Urlaub hat, ja dann… Wir werden sehen. Fakt ist, dass mich die Kritiken (oder irgendwelche Let’s Plays) nicht interessieren; ich entdecke den verbotenen Westen selbst. Aber keine Sorge – zum Bloggen komme ich bestimmt auch. Einstweilen wünsche ich einen guten Start in die vorletzte Woche des Jahres.

Gestalten können…?

Nein, es geht hier nicht um Gestalten. Also Lichtgestalten wie… ach da fällt mir gerade keine ein, oder aber Dunkelgestalten die den Söder-Bazi, der jetzt gendergerechte Sprache einschränken möchte, weil er damit bei seinen unheiligen Freunden vom Fascho-oder-doch-nicht-Fascho-Aiwanger-Wahlverein a.k.a. „Freie Wähler“ Punkte machen kann. Er kann halt doch nur Bierzelt. Wobei mir nach letztem Wochenende noch einfällt – Wir in Baden-Württemberg können alles außer Hochdeutsch – die Bayern können alles außer Schnee (sofern der aus Wasser besteht…). Überall in Kommentarspalten häufen sich Anzeichen dafür, dass man sich einen Rechtsruck geradezu wünscht, weil die „etablierten Parteien“ es nicht hinbekommen würden. Dazu – zum allerletzten Mal – drei Einwürfe:

  • 1) Realpolitische Erfordernisse, die aus dem 16-jährigen merkelesk-christdemokratischen Ignorieren, Aussitzen, Nichtlösen realpolitischer Herausforderungen und Bedrohungen resultieren (ja, ich meine auch Putin ihr Pappnasen – den gibt’s nicht erst seit 2021), lassen sich nicht in drei Wochen, drei Monaten oder drei Jahren beheben. Kommt damit klar, dass wir den Gürtel schon seit 25 Jahren hätten enger schnallen müssen. Tut mir genauso weh…! Und hört endlich mit dem Grünen-Bashing auf, ihr lustigen Nachbarn – die wahren Feinde Deutschlands tragen braun und blau!
  • 2) Demokratie – oder besser ein demokratisch verfasster Rechtsstaat, der jedem bestimmte Rechte garantiert – ist ein Wert an sich! Oder was denkt ihr, wie viel Scheiße ihr noch in irgendwelchen Kommentarspalten absondern könnt, ohne dass euch die Beamten vom „Weisungsbefugten Amt für Nationale Sicherheit und Treue“ – kurz WANST – zur „Konsenserziehung“ abholen, sobald die Drecksfaschos mal an die Macht kommen, hm…? Unsere Institutionen mögen nicht perfekt funktionieren und Meinungsbildung im Kompromissraum der Öffentlichkeit ist ein schmerzhafter und langsamer Prozess. Aber leider nötig, wenn wir keine Diktatur wollen. Denn wie beschissen die funktioniert, könnt ihr in allen ehemaligen oder noch existenten kommunistischen Staaten beobachten (Ja, Kommunismus und Faschismus funktionieren auf Basis unterschiedlicher Ideologien – aber mit den exakt gleichen Auswirkungen – lernen macht klüger).
  • 3) Meinung ohne Wissen und Verständnis ist nutzlos! Und die allermeisten da draußen wollen deshalb an die „einfache Lösung“ glauben, weil es ihnen in ihrer leider beschränkten Denke erlaubt, sich nicht ändern zu müssen! Doch nichts in der Welt ist beständiger, als der Wandel. Und wer ihn nicht mitmacht, nicht wenigstens versucht ihn auszuhalten, wird von ihm überrollt! Pech gehabt. Schaut man jedoch hinter die „Argumente“ der Fascho-Rattenfänger sind immer andere schuld und nix muss sich ändern. Also mehr von dem, was uns in die aktuellen Sackgassen manövriert hat. Tolle Lösung, echt jetzt [Ironie off/]. Beginnt man jedoch unter die Haube zu schauen und nachzudenken, also sich eine FUNDIERTE Meinung zu bilden, keine EMOTIONALISIERTE, wie die AfD sie bietet, wird ziemlich schnell klar, dass „WEITER SO“ niemanden wirklich weiterbringt. Aber ja, es klingt so schön einfach.

Musste mal wieder raus. Aber eigentlich ging es ja nicht um DIE Gestalten, sondern um DAS Gestalten, also den Prozess, etwas Neues zu erschaffen, oder aber etwas Bestehendes zu verändern. Und irgendwie beschleicht mich in letzter Zeit immer wieder das Gefühl, dass zu viele Menschen unberechtigterweise glauben, dass sie das nicht könnten, weil ihnen dazu entweder die Ressourcen, die Ideen, die Energie, oder wasweißichnichtnochalles fehlen würden. Aber DAS GESTALTEN passiert doch nicht nur in irgendwelchen fancy Büros durch irgendwelche, wahlweise super-hippen, super-klugen oder zufällig gewählten Fuzzinen und Fuzzies (wie Künstler, Influencer, Politiker, Marketing-Profis, Wissenschaftler, etc). So gut wie jede*r von uns kann gestalten, indem er/sie/them sein Lebensumfeld verändert. Und viele Wenig machen ein Viel. Das war immer schon das Momentum, welches auch große Veränderung angestoßen hat. Gesellschaftliche (und ich meine nicht nur Revolutionen mit Krawumm und Kampf und Guillotine) genauso, wie wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Wir neigen dazu, uns im Angesicht der großen, großen Welt klein und ohnmächtig zu fühlen, obschon der Blick in unser nahes Umfeld allzuoft sofort offenbaren würde, wie viel wir tatsächlich schon gestalten – und wie viel mehr noch möglich wäre. Denn jede Veränderung beginnt im Kleinen.

Nehmen wir als Beispiel Abnehmen (was ich selbst übrigens tun müsste): es ist MEINE Entscheidung, wann und wieviel ich dafür tun will, sobald ich das Problem identifiziert und mir über mögliche Lösungen Gedanken zu machen begonnen habe. Mein Problem ist – und damit bin ich weiß Gott nicht allein – dass es sehr einfach ist, Gründe zu suchen, warum eine Veränderung nicht möglich sein sollte: keine Zeit, zu viel Stress, mir tut doch eh schon alles weh, ich habe noch wichtigeres zu tun, ich…., ich…, ich…, ich will mich nicht anstrengen müssen, um etwas zu erreichen, dass für mich mit Verzicht und Unbequemlichkeiten einher geht! Klingt das ein bisschen nach den Sentimenten, die AfD-Wähler benutzen, um sich zu rechtfertigen? „DIE FREMDEN nehmen mir etwas weg!“ Scheint so, als wenn DIE GESTALTEN und DAS GESTALTEN doch etwas miteinander zu tun hätten. Und zwar dergestalt, dass DIE GESTALTEN (vulgo so einige Politikoiden da draußen) mich immer wieder davon zu überzeugen versuchen, dass DAS GESTALTEN – zumindest, wenn es um gesellschaftliche Veränderung geht – nichts für mich ist, sondern etwas, dass ich den „Profis“ überlassen sollte. Ja, is klar, ’ne; bevor ich den Söder-Bazi, oder irgendeinen anderen aus dem Schwarz-Blau-Braunen Spektrum für mich gestalten lasse, kitzele ich mich lieber mit einem Nageltacker an der Patella! Aber die obige Feststellung erklärt halt auch, warum Poltiker*innen mit konzertiertem Gegenwind (etwa Demos, Bürger-Initiativen, echter Investigativ-Journalismus, tatsächlich Gemeinwohlorientierte NGOs, etc.) so gar nicht klarkommen: es macht das lobbyfreundliche Zurechtwurschteln von diesem oder jenem nämlich viel, viel schwieriger. Der franzöische Humorist und Schauspieler Henri Tisot sagte dazu mal: „Bei der Fischsuppe und bei der Politik sollte man nicht zuschauen, wie sie gemacht werden.“

Ich habe in meinen Posts schon oft über Kreativität gesprochen. Und manchmal könnte der Eindruck entstehen, dass Kreativität in meinem Kopf lediglich was mit bildender Kunst (Schreiben, Fotografie, Video, etc.) zu tun hätte. Aber Kreativität ist im Kern einfach nur die Fähigkeit, sich neuen Herausforderungen stellen und dabei passend zur Situation auf neue Fragen auch neue, originelle, hilfreiche und vielleicht manchmal auch schöne Antworten finden zu können. Und das kann im Kleinen, wie im Großen Veränderungen bewirken. Man muss es nur wollen! Okay, ein bisschen (mehr) Bildung und Übung sind dabei natürlich hilfreich – bewusst wollen muss man es am Ende des Tages trotzdem. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen schönen Zweiten Advent, einen guten Start in die neue Woche und den Mut, etwas Gutes zu Wege zu bringen. Wir hören uns.

Der verwirrte Spielleiter N°53 – Regelwerk-Debatten?

Als mich ein paar andere Nerds, die das gut zu verstecken wussten 1989 dazu einluden, an ihrer DSA-Runde teilzunehmen und ich relativ kurze Zeit später noch dazu aufgefordert wurde, mal zu spielleiten, war’s auch schon passiert. Geschichtenerzählen war einfach schon immer ein Teil von mir; und wird es wohl auch immer bleiben. Was mich damals sofort faszinierte waren mehr die unterschiedlichen Welten anstatt der Regelwerke. Und doch…, so viele Ideen, wie man die (halbwegs) reale Welt in einem Erzählraum abbilden konnte, so dass alle Protagonisten und Antagonisten einen Common Ground haben, der die Fairness in den Konflikten sicherstellt, hatten ihre Faszination. Warum ich hier zuerst von Konflikten rede, will ich weiter unten erklären. Anfangs war da noch diese Idee in der Community, dass man tatsächlich für jede Welt ein eigenes Regelwerk haben musste, bzw, dass die Verzahnung zwischen Regelwerk und Kampagnenwelt nicht aufzulösen sei. In meinen jungen Jahren habe ich daher einige ausprobiert: DSA, DnD 1st Ed., ADnD, MERS, Traveller, Star Wars D6, Palladium, Rifts, Robotech, Battletech, Rolemaster, Earthdawn, World of Darkness, Shadowrun, usw. Manche nur ganz kurz, andere haben mich jahrzehntelang begleitet. Doch schon relativ früh bemerkte ich zwei Dinge: keines der Regelwerke befriedigte meine Idee davon, wie Dinge darzustellen wären so gut, dass ich lange ohne Hausregeln und Customization Work auskam. Und nicht selten mochte ich nur die Kampagnenwelt, aber das komplette Regelwerk ging mir meilenweit am Allerwertesten vorbei. Was dazu führte, dass ich „system agnostic“ wurde und schon in den späten 90ern anfing, an einem eigenen Regelwerk zu basteln, dass mittlerweile wohl auch die dritte oder vierte Edition erreicht hat… Wobei System-agnostisch gelogen ist – andere Systeme wurden mir zunehmend egaler, weil ich meines in einigen Aspekten einfach für besser hielt.

Matt Colville sprach die Tage, anlässlich von Wizards of the Coasts Ankündigung einer überarbeiteten Edition von DnD 5E für 2024, über die sogenannten „Edition Wars“; also die immer wiederkehrenden Hass-Diskussionen (heutzutage speziell online) darüber, welche die beste Edition von DnD sei, dass doch sowieso alles nur Geldschneiderei sei und das andere Games sowieso viel besser/schlechter/sonstwas seien. [Er spricht auch viel über die Geschichte des Hobbies, und das Konzerne wie Hasbro nur die Marke interessiert, nicht jedoch das eigentliche Spiel, welches uns Gamern so am Herzen liegt. Das Video geht fast eine Stunde, ist aber unterhaltsam und informativ] Fakt ist, dass mir selbst – durch meine eigene System-agnostische Haltung – ein großer Teil dieser Diskussionen nie bewusst geworden ist. Mein jüngeres, wesentlich dogmatischeres Arschloch-Ich hätte sich sicherlich mit Freude an so einem Mist beteiligt, obwohl das ebenso riesengroße Bullenscheiße ist, wie etwa die ewige Playstation-vs.-XBox-Diskussion, das Canon-vs.-Nikon-Dilemma, der Streit um die beste Automarke, den besten Fußballclub, laberabarberschwätz… Die Sinnlosigkeit eines Streits über Vorlieben, die sich zumeist nur auf irgendeiner Form von unbewusster und daher unreflektierter emotionaler Verbundenheit mit dieser oder jener Marke gründen, kann einem klar werden, wenn man sich mal mit Priming und Werbepsychologie befasst. Fazit: wir werden unser Leben lang verarscht! Bei den Edition Wars war stets einer der Hauptgründe für die Ablehung neuer Regelwerke, dass man sich an die alten gewöhnt hatte und kein Interesse daran bestand, sich mit etwas Neuem auseinandersetzen zu müssen. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ „Ja, aber es war schon immer Sch***e!“ „Nein, es war schon immer so, und deswegen war es schon immer gut!“ Tautologie meets Dogma. Kenn ich irgendwie auch aus meinem Arbeitsumfeld…

(C) by Monika Merz

Was soll denn nun ein Regelwerk im Pen’n’Paper-Rollenspiel überhaupt? Es soll durch die Bereitstellung von Mechaniken unterstützen, dass jene Konflikte, welche im Spiel durch den narrativen Aufbau von Dramatik entstehen (egal, ob dies der Spielleiter tut, oder die Spieler*innen selbst) einerseits sinnvoll und fair aufgelöst werden können (durch irgendwie ermittelte Werte und Charakteristika sowie Wahrscheinlichkeiten, die üblicherweise durch Würfel symbolisiert werden), auf der anderen Seite aber auch die Spieler*innen dazu animieren, dass Ihre Charaktere eine bestimmte Art von Verhalten zeigen, indem es solches Verhalten belohnt. Nämlich jene Art von Verhalten, welche der vom System vorgegebene Style of Play erfordert! Spielen wir etwa einen Survival-Horror-Dungeon-Crawler [Style of Play] wie DnD 1st Ed. [Regelwerk], dann geht es um Umsicht, Cleverness, Ressourcen-Management [erwünschtes Verhalten] in einer klaustrophobischen Spielumgebung, die den Spielern nur einen Weg lässt – vorwärts. Denn nur weiter unten im Dungeon finde ich die Items, die dafür sorgen, dass ich etwas besser überleben kann, um noch weiter unten im Dungeon noch bessere Ausrüstung finden zu können, um… Diablo-Style: Kill-Loot-Upgrade-Repeat. Die Regeln emulieren dann harte, dreckige Kämpfe, bei denen der Tod oft schnell und unerwartet kommt, Leben also billig ist und man nicht unbedingt erwartet, einen Charakter lange zu spielen [dramatische Prämisse]. All das findet in Generic Fantasy Land statt, einer soft-gerenderten Simulation unserer allzuoft nicht sehr realitätsgetreuen Vorstellung des spätmittelalterlichen bzw. Frührennaissance-Europas, welches üblicherweise (dank reicher Mythologie) als frühe Blaupause für Fantasy-RPGs gedient hat; zuzüglich der Monster [Setting].

Man kann sich das jetzt auch denken für ein Space Opera Setting in der Welt von Star Wars (Style of Play: Heroische Science-Fantasy / Regelwerk: Fantasy Flight Games Narrative Dice (analog zu Warhammer Fantasy 3rd Ed.) / Erwünschtes Verhalten: Heldentaten, Altruismus, Over-the-Top-Stunts / Dramatische Prämisse: der alte Konflikt Gut gegen Böse, oder Chaos gegen Ordnung / Setting: vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis); oder irgendetwas anderes. Wichtig ist, dass ein Setting ein Thema hat, dass einen speziellen Style of Play einfordert, der den Spielern gleichsam eine Idee davon vermittelt, welches Spielerverhalten vom System belohnt wird – und welches eher nicht… Ebenso wichtig ist natürlich, dass man als Spielleiter auf einen Thema-konformen Aufbau der Dramatik achtet. Dass funktioniert im Horror (Jump-Scares, life is Cheap, mindless monsters) anders als bei Heroic-Fantasy (Shining Heroes, glamouröse Kämpfe, schurkige Schurken) oder Cyber-Punk (Intrigen im Schatten, Hightech vs. Lowlife, soziale Fragen), oder Hard Science-Fiction (gritty realism, Naturgesetze funktionieren hier). Wichtig ist, dass die beschriebene/bespielte Welt jederzeit in sich glaubwürdig und konsistent bleibt. Wenn ich Hard Science-Fiction angesagt habe, kann ich nicht plötzlich Jedi-Ritter aus dem Hut zaubern; genausowenig, wie ich bei High Fantasy plötzlich mit gritty realism und der sozialen Frage der Weber anfangen kann. Wenn ich alles mit allem mische und jeden Konflikt in ein moralisches Dilemma verwandele, hat daran niemand mehr Spaß – denn in jedem Setting muss es eine, eindeutig BÖSE Fraktion geben, bei der absolut niemand mit der Wimper zuckt, wenn Chars anfangen, deren Mitglieder zu killen. Sonst kann ich doch noch anfangen, mir Game of Thrones anzuschauen (und ganz ehrlich, der Sch*** hat mich bis heute keine einzige Sekunde interessiert!)

Ich probiere auch heute noch gelegentlich Anderes / Neues aus und sammle ein bisschen jene Regelwerke, die mich faszinieren. Oft genug wegen der beschriebenen Settings, manchmal aber auch, weil ich immer wieder darüber nachdenke, wie man mein Rulesset, dass jetzt durchaus ein wenig crunchy ist (da wird schon mal ganz ordentlich gewürfelt) doch noch ein bisschen sleeker und einfacher gestalten könnte. Ist wahrscheinlich eine Zeitgeist-Frage, hört man doch überall in der Szene davon, dass man das „Shoeleather“ aus seinen Sitzungen entfernen sollte. „Shoeleather“ meint beim fiktionalen Schreiben, alles, was theoretisch auch in der Welt der Erzählung da ist, dessen Erwähnung aber den Plot nicht vorantreibt und für den Aufbau der Dramatik nicht zwingend notwendig ist. Denkt dabei an Telefonate in Filmen: „Hey Joe, wir treffen uns in 10 Minuten! – Alles klar, ich bringe Betty mit!“ Woher weiß dass Gegenüber, WO es in 10 Minuten sein muss? Weil der Plot sagt, dass er es eben weiß. Dafür haben wir eine schöne Spannungsfrage: wer oder was zum Henker ist „Betty“? Das ganze Geplänkel, die Höflichkeitsfloskeln, die Erwähnung, dass man sich zu lange nicht gemeldet hat – alles unwichtig, denn in 10 Minuten geht’s los und Betty ist dabei. Muss ich mehr wissen, um gespannt zu sein, was als nächstes passiert? NÖ, MUSS ICH NICHT? Um das zu erzeugen, brauche ich allerdings KEIN spezielles Regelwerk, sondern ein Verständnis für’s Erzählen, für Dramatik und Pacing – und ein paar gute Plot Points, von denen aus meine Spieler*innen in die Geschichte einsteigen können; aber eher selten braucht man dafür eine Würfelorgie. Ich selbst bin diesbezüglich übrigens schuldig im Sinne der Anklage! Aber warum müssen dann Konflikte entstehen? Weil ohne hohe Einsätze, Herausforderungen, Bedrohungen, Gefahren und mögliche Belohnungen kein Drama entsteht – keine Spannung, die sich durch Handlungen der Charaktere auflösen lässt. Und diese Lösung ist im Pen’n’Paper eben recht oft eine irgendwie geartete Auseinandersetzung.

Jetzt sind wir einmal im Schweinsgelopp durch das Thema, was Regeln beim Pen’n’Paper sind hindurchgeprescht. Aber was sind Regeln dann nicht? Ganz einfach: sie sind KEIN Instrument, um die Fantasie und Kreativität der Spieler*innen (oder der Spielleiter*innen) zu bremsen / einzufrieden. Und sie sind NIEMALS in Stein gemeißelt, wenn sie genau das eben beschriebene doch einmal tun sollten. Denn DAS killt den Spaß. Und der Spaß am Spiel durch das bewusste Eintauchen (die Immersion) in eine andere Welt ist das einzige, was dieses Spiel und seine Spieler*innen als Leim zusammenhält. Gemeinsam Fantasien erforschen, gestalten, ausleben, ohne dabei tatsächlich weit weg reisen zu müssen. Oder wie Matt Colville mal gesagt hat: „It’s the most fun, you can have with your brain!“ In diesem Sinne – always game on!

  • Friedmann, J. (2019): Storytelling. Einführung in Theorie und Praxis narrativer Gestaltung. München UVK Verlag.
  • Mackay, D. (2001): The fantasy role-playing Game: a new performing art. Jefferson (NC USA), London: McFarland & Company, Inc.
  • Merkel, J. (2021): Sieh, damit wir sehen! Eine Geschichte des Geschichtenerzählens. Berlin: Der Erzählverlag.

Es ist zu ruhig hier!

Ich war in letzter Zeit eher monothematisch hier, bin gar nicht in die Niederungen meines Lieblingshobbies Pen’n’Paper hinunter geklettert, hab über wenig anderes als die Arbeit nachgedacht und rumgejammert, wie schlecht es mir doch manchmal geht. Ja, geht’s noch? Tatsächlich im Moment so lala, nachdem mich meine Geundheit noch mal zum kürzertreten gezwungen hat. Abseits dessen werden meine Versuche, wieder eine breitere Denkbasis zu bekommen langsam fruchtbarer. Und das verdanke ich widersinnigerweise im Moment dem Umstand, dass ich durch die Beschwerden, die mich derzeit plagen nachts nicht so gut schlafe. Was macht man also? Ja klar, lesen, um wieder müde zu werden! Klappt leidlich, aber manchmal stolpert man dabei über was Gutes. So zum Beispiel eine Studie der University of Cambridge und des Trinity College in Dublin, die sich mit der Sprachentwicklung von Kleinstkindern beschäftigt.

A propos Irland – Ballybunion beach, County Kerry

Man war bisher landläufig der Ansicht, dass Kinder Sprache dadurch lernen, das sie die Phoneme, aus denen jede Sprache besteht, oft genug vorgeprochen bekommen müssen, um diese zunächst einzeln zu immitieren und schließlich zu Wörtern zusammensetzen zu können. Vereinfacht gesagt sind Phoneme die kleinsten Grundlaute, welche der menschliche Sprechapparat hervorbringen kann; und aus denen sich jede Sprache individuell zusammensetzt. Unterschiedliche Sprachen haben unterschiedliche Phonemmengen. Allerdings weist die eben von mir erwähnte Studie darauf hin, dass es nicht die Phoneme sind, welche die Kleinsten an das Sprechen heranführen, sondern die Rythmik, mit der gesprochen wird. Weshalb die Forscher auch davon ausgehen, dass die elterliche Nutzung von Reimen und Kinderliedern, die zumeist eine formalisierte Rhythmik aufweisen für die frühkindliche Sprachentwicklung von Vorteil sei. Allerdings hatte die Studie nur eine eher kleine Zahl von Probanden, die noch dazu alle aus englischsprachigen Haushalten kamen. Das Thema Verallgemeinerbarkeit ist hier also vorläufig noch mit Vorsicht zu genießen.

Dennoch fasziniert mich die Studie, verweist sie doch zumindest ein wenig auf die Dinge, mit denen ich mich im Rahmen meiner Masterthesis befasst hatte. Walter Ong beschreibt in seinem Buch „Oralität und Literalität“ jene Techniken, mit denen, noch nicht mit einer Schriftsprache ausgestattete Erzähler in der Lage waren, z.B. die frühen Epen der griechischen Dichtkunst zu erschaffen aus dem Gedächtnis zu rezitieren. Homers „Ilias“ (die Erzählung um den Trojanischen Krieg) und „Odyssee“ (die abenteuerliche Heimfahrt des Odysseus) wurden erst Jahrhunderte nach ihrem Entstehen zum ersten Mal verschriftlich. Das bedeutet, dass es Menschen gab, die sich nur mit Hilfe einer starken Formalisierung der Sprache durch Rythmik, Versmaß, bildhafte Überzeichnung der Ereignisse, formalhafte Sprache etc. alle knapp 15.700 Verse z. B. der Ilias merken und in der richtigen Reihenfolge wiedergeben konnten. Ohne jetzt auf den Pisa-Schock eingehen zu wollen – eine Kultur ohne Schrift greift auf andere Möglichkeiten der Überlieferung zurück, verwendet dabei allerdings auch eine andere Art des Denkens. Allein der Umstand, dass ich diese Zeilen mittels einer Tastatur an einem Bildschirm verfasse bedeutet, dass mein Denkprozess ein vollkommen anderer sein MUSS, als der jener Dichter, die keine Möglichkeit hatten, ihre Gedanken derart zu visualisieren.

Nimmt man nun die oben erwähnte Studie dazu, erscheint es mir mit Blick auf die Sprachentwicklung natürlich, dass Rythmik, Formalisierung, Bildhaftigkeit auch heute noch eine bedeutende Rolle spielen; wenngleich die Verwendung natürlich auf vollkommen andere Art stattfindet. Aber beim klassischen Geschichtenerzählen sind es wohl genau diese Dinge, die eine Erzählung zu einem eigenen Ort machen, den Erzählende und Zuhörende miteinander teilen können. Und der, entgegen der üblichen Meinung die Zuhörenden nicht zur Passivität verdammt, wie dies z.B. der regelmäßige Konsum von Film und Fernsehen sehr wohl tut. Hat das jetzt nicht irgendwie wieder mit meiner Arbeit zu tun? Ja und nein, denn natürlich erzähle ich auch im Lehrsaal gelegentlich Geschichten. Aber viel lieber tue ich dies in Ausübung meines Lieblingshobbies Pen’n’Paper. Und ich frage mich, ob das wohl irgendwann in meinem Leben anders sein wird. Man wird sehen. So oder so muss ich die Ruhe hier mal wieder nachhaltig durchbrechen; und ich habe Ideen, Wir hören/lesen uns also die Tage noch öfter. Stay tuned and have a nice weekend.

Das große Staunen N°7 – Rituale

Nicht durchknallen, sich nicht vom Stress der Vorweihnachtszeit mitziehen lassen, sich nicht dem Wahnsinn der Anforderungen ausliefern, die so viele Menschen gerade jetzt an einen zu haben scheinen, nur weil mal wieder ein Jahr zuende geht und alle ganz entsetzt feststellen, dass heute der verf****e erste Advent ist! Es ist diese Zeit im Jahr, in der neben dem typischen Resümieren des sterbenden Jahres auch immer die höchst verlegene Kontaktaufnahme mit den sterbenden sozialen Beziehungen auf den Schirm kommt – jene Verbindungen, die ansonsten im Huzz und Buzz des Alltags untergehen, ohne dabei besondere Aufmerksamkeit zu erfahren; „hab ich XYZ eigentlich zum Geburtstag, zur Rente, zur Hochzeit/Scheidung, zum neuesten Kind, etc. gratuliert…?“ Wobei natürlich mit Blick auf die eben heruntergebetete, absolut unvollständige Liste die Frage erlaubt sein muss, ob es wirklich Sinn ergibt, jemandem zu etwas zu gratulieren, dessen Erreichung sich mehr oder weniger vollkommen seiner/ihrer Kontrolle entzieht? Muss jeder selbst wissen. So oder so bewegen wir uns im finsteren Tal der vergessenen Details, geplagt von der bangen Frage, wann der Karma-Bumerang wohl zurückkommt, um uns umzuhauen…?

Braucht es einen spezielle Ort für ein Ritual…?

Der Erhalt menschlicher Beziehungen baut oft auf ener Tausch-Logik auf, die dann teilweise äußert bizarre Züge annimmt, wenn Menschen anfangen, abschätzen zu wollen, wie viel ein Geschenk eines Gegenübers wohl gekostet haben wird, um den Wert der eigenen Gaben daran auszurichten. Immer wieder erlebt. Letztenende ist dieser Tanz um das Austauschen von Geschenken auch eine Art Ritual; allerdings keines, dass ich als wert- oder sinnvoll empfinde. Ich schenke, was und wann ich das angemessen finde und damit hat sich’s. Ob mir jemand was schenkt, ist mir weitestenteils egal, weil ich mir jene Dinge, die ich unbedingt haben will, oder zu brauchen glaube (und so viele Dinge sind das gar nicht) in aller Regel selbst kaufe. Ich lasse mich allerdings gerne mit Kleinigkeiten überraschen, die jenes große Kind in mir ansprechen, dass im gerade letzten Jahr allzu oft viel zu kurz gekommen ist. Ich brauche dazu allerdings auch keinen vorgeschriebenen Ritual-Termin, wie etwa Heiligabend oder meinen Geburtstag. Wenn ich etwas ritualisieren möchte, dann sind das andere Dinge, die mit Konsum eher wenig zu tun haben!

Ich habe beschlossen, mein eigenes Achtsamkeitsprogramm aufzubauen. Dabei sind Rituale wichtig, denn sie bieten zumeist der Seele und dem Herzen jenen Raum, welchen der Geist schon hat. Der Geist findet sein Gefäß in Denkanstößen aus Büchern und anderen Medien, in kleinen Gadgets für, bzw. rings um die Arbeit und in 1000 kleinen, oft hoch individuellen Angewohnheiten, die das Denken und die Kreativität fördern. Doch das Herz kommt dabei oft zu kurz, weil wir in diesem ganzen Selbstoptimierungswahn vergessen, dass die Achtsamkeit, welche wir der Psyche auf rationaler Ebene entgegen bringen auch den Emotionen, der Spiritualität und unseren Träumen gebührt. Und der Ort, an dem wir dies tun können, ist das Ritual. Ich meine damit natürlich keinen Hexensabbat, bei dem wir Ziegen opfern und Satan anbeten – obwohl ein Feuer zu machen, bzw. wenigstens eine Kerze anzuzünden schon dazugehören darf. Nur das mit den Messern und den Ziegen…, das bitte nicht!

Ein Ritual ist eine wiederkehrende Handlung, die der Seele jene Kontinuität schenkt, die sie braucht um gesund bleiben zu können. Dabei geht es nicht darum WAS wir tun, sondern DAS wir es immer wieder unter den gleichen – positiven – Vorzeichen tun. Eine Kerze anzünden und ein kurze Weile an nichts denken (nennt es meditieren, aber das ist mir schon zu hoch gegriffen). Die erste Tasse Tee oder Kaffee des Tages in Ruhe und ohne Ablenkung zu uns nehmen. Nachmittags oder Abends zum Runterkommen etwas Bewegung in die eigene Physis bringen. Tagebuch schreiben. Oder das, was einem gut gelungen ist, und das was einem nicht gut gelungen ist, oder wofür man keine Zeit hatte, und das was einem an unfertigen Ideen eingefallen ist aufschreiben und den Zettel in ein dafür gedachtes Glas legen. Oder 100 andere kleine Dinge, die man ohne Stress, ohne größere Anstrengung und ohne dafür großartig etwas aufwenden oder auf etwas verzichten zu müssen in seinen Alltag einbauen kann. Schlechte Angewohnheiten und ein trauriges Herz sterben langsam; es braucht Zeit und etwas Geduld mit sich selbst. Aber wann soll man damit anfangen, wenn nicht jetzt, wo das alte Jahr uns gemahnt, was wir alles erdulden mussten! Zeit, mit einem herzlichen „Drauf gesch****n!“ loszulassen und in die Zukunft zu blicken. Und wenn Rituale dabei helfen, bei diesem Blick weniger bang zu werden, dass haben sie ihren Zweck schon erfüllt. da brauchts keine bunten Päckchen für, in denen allzu oft eh nur unnützer Tand und schreiend hässliche Pullover stecken. Daher: besinnlichen ersten Advent, ihr Menschen(s)kinder.

Neues von Bibo Blogsberg #2 – Keine Zeit für Blues!

Wie man es auch drehen und wenden wollen würde – das Jahr galoppiert jetzt mit immer schnelleren Schritten auf sein Ende zu. „Wie so viele davor!“ sagt der Fatalist. „Wie so manches, das noch kommen wird!“ fügt der Realist hinzu, um vom Optimisten mit „Und das Kommende wird GEIL!“ übertönt zu werden. Der Pessimist beschäftigt sich derweil mit dem Umstand, dass mein Körper gerade nicht so will, wie mein Geist. Auch das ist jetzt für die Jahreszeit eher wenig ungewöhnlich; den positiven Signalen der letzten zwei Wochen zum Trotze. Ich könnte also auf der Habenseite abseits der physischen Schlappheit und des Krankheitsgefühls der letzten Tage einbuchen, dass es auf einigen Baustellen mit einem Mal relativ zügig vorangeht und Wiederstände sich in Commitment verwandeln. Ich bin zwar ob mancher Aussagen noch ein wenig skeptisch und doch von mildem Optimismus getragen. Aber es ist noch lange nicht Zeit für ein Fazit. Das kommt erst am 31.12, am frühen Nachmittag. Und bis dahin habe ich kaum Gelegenheit, den Blues zu bekommen, ganz egal, wie physisch und psychisch anstrengend dieses verfickte Jahr bisher auch gewesen sein mag.

Cliffs 0f Moher… das wäre jetzt auch okay!

Ich bin kürzlich in einem beruflichen Kontext gefragt worden, ob ich von einer bestimmten Sache zu überzeugen wäre. Und ich habe sinngemäß geantwortet, dass ich von etwas nicht überzeugt sein muss, um es zu vertreten, wenn mir der Sinn dahinter verständlich ist. Und ich mein(t)e das vollkommen ernst. Oft im Leben haben wir Aufgaben zu erledigen, die wir tun, weil es halt sein muss, Entscheidungen zu treffen, bei denen eher die Suche nach dem kleinsten Übel uns antreibt, denn das allzu oft allzu große Wort „Überzeugung“. Spätestens mit Bourdieu ist mir dann klar geworden, dass Überzeugungen oft nichts weiter sind, als Illusionen, die wir nutzen, um uns selbst im Nachgang davon zu überzeugen, dass diese oder jene Entscheidung korrekt war – selbst wenn die nagenden Zweifel im Hinterkopf eine vollkommen andere Sprache sprechen. Das gilt im Privaten ebenso, wie im Geschäftsleben, auch wenn man sich gerne einredet, beruflich immer sachmotivierte Entscheidungen zu treffen. Wie schwierig bis nachgerade unmöglich das wird, zeigt sich dann, wenn divergierende persönliche Interessenlagen mit der theoretisch sachlichen Lösung konfligieren und plötzlich aus Nebenkriegsschauplätzen zentrale Schlachtfelder werden. Ich kann es gar nicht oft genug sagen: wir Menschen handeln insbesondere dann, wenn wir das behaupten, alles andere als rational!

Ich bin ein großer Freund davon, nach den Motiven der Menschen zu suchen. Denn viele Entscheidungen werden – gleich, ob man das gut oder schlecht findet – noch immer von Menschen getroffen. Und deren Entscheidungsfindung ist, wie wir seit Kahnemann wissen, alles andere als rational. Und wie bei der Tätersuche im Krimi ist die Frage nach dem Motiv des Gegenübers meistens der Schlüssel zu allem. Um Menschen hinreichend interpretieren zu können, braucht es allerdings – ganz im Gegensatz zum Krimi – mehr als nur eine kurze Beobachtung. Ich bin nämlich nicht Sherlock Holmes. Und wenn es so jemanden da draußen tatsächlich gibt, so hoffe ich, der Person nie zu begegnen. Ich möchte nämlich, dass MEINE Geheimnisse verdammtnocheins geheim bleiben! Aber selbst ohne Holmes’sche Beobachtungs- und Kombinationsgabe findet man, je besser man Menschen kennenlernt, umso besser heraus, was diese antreibt. Das dies auch für die anderen im Zusammenhang mit der eigenen Person gilt, muss einem dabei natürlich klar sein. Niemand hat ein so gutes Pokerface, dass man gar nichts lesen kann. Auch das gibt es nur im Film.

All dem zuvor Gesagten zum Trotz sind wir – manche etwas mehr, viele etwas weniger – zumeist in der Lage, das Gegegnüber einzuschätzen. Was man dabei herausfindet wirkt sich Entscheidungs- und damit Handlungsleitend auf unser Leben aus. Auf das Alltägliche mit seinen vielen kleinen Kooperationsaufgaben genauso, wie auf das Berufliche, wo mich allzu häufig Koordinationsaufgaben betreffen. Das bringt eine administrative Position so mit sich. Dennoch glauben wir immerzu, bei Entscheidungen nur unserem eigenen Denken verpflichtet zu sein. Das ist riesengroßer Unfug. Manchmal genügt eine kleine Geste, um das Gegenüber zu …interessanten… Dingen zu bringen. Die Intention hinter Geschenken oder Freundlichkeit z.B. sollte eigentlich nicht sein, Menschen zu etas zu bringen, denn dann wäre das Manipulation; sondern vielmehr ihnen meine Dankbarkeit oder meine Wertschätzung auszudrücken. Es gibt da einen sehr schmalen Grat zwischen Manipulation und ehrlicher Wertschätzung, von dem allzu oft in die falsche Richtung abgewichen wird. In jedem Fall ist so manche Entscheidung um Klassen „gefühliger“ motiviert, als wir uns das eingestehen wollen!

Genauso gut oder schlecht kann man auch negative Mindgames spielen, um Menschen zu spiegeln, wie man ihr Verhalten empfunden hat. Oder wie man glaubt, das andere (Dritte Beteiligte) dieses fragliche Verhalten empfinden könnten. Hat man vor einer Weile mit mir gemacht und ein kleiner Teil von mir ist darüber immer noch stinksauer. Da schwingen nämlich oft irgendwelche impliziten Unterstellungen mit, die mir nicht gefallen. Um eines klar zu sagen: wir ALLE lassen uns gelegentlich manipulieren, mal zu unserem Vorteil, mal zu unserem Nachteil. Muss man akzeptieren. Was man NICHT akzeptieren muss: Ich habe keine Lust auf Spielchen – und ich werde das auch in Zukunft ganz klar sagen. So, wie ich immer noch keine Zeit für den Blues habe, obwohl es verschiedene Gründe dafür gäbe, habe ich auch keine Zeit für vollkommen unnötiges Drama. Und es ist meiner Meinung nach unnötiges Drama, wenn sich Menschen in gewissen Positionen dünnhäutiger zeigen, als meine Teenager-Tochter. Das ist unwürdig, denn unsere Zeit und ihre Herausforderungen verlangen nach der Fähigkeit zum robusten Diskurs und nicht nach Schneeflöckchen! Ich denke, dass ich noch oft anecken werde, da ich, wie bereits weiter oben gesagt nicht im Mindesten bereit bin, mich von Dingen überzeugen zu lassen, die ich als unsachgemäß, überemotional, unterdurchdacht, überdurchdacht, oder unangemessen betrachte. Und ich werde ganz sicher nicht servil nicken und „JA“ sagen, wenn ich klar den Kopf schütteln und „NEIN“ sagen muss, weil ich der Sache verpflichtet bin, und nicht irgendwelchen Personen. Vielleicht würde es helfen, wenn sich manche Protagonisten der Tatsache erinnerten, dass nicht sie als Person wichtig sind, sondern das große Ganze. Aber als white middle-aged cis-gender-male muss ich bedaurlicherweise sagen, dass viele meiner Altersgenossen (aber auch jüngere/ältere) diesbezüglich noch enormen Selbstreflexions-Nachholbedarf haben. Ach wisst ihr was: drauf gesch****n. Freut euch auf den (F)Rohen ersten Advent. Tschüss.