Das große Staunen N°1 – Warum?

Oft sitze ich vor einem weißen Bildschirm und starre vor mich hin. Die Gedanken fließen immer – nur nicht immer in die gleiche Richtung. Kohärenz bei Denken ist ohne Übung ungefähr so wahrscheinlich wie fliegende Schweine über dem Rhein. Über dem Neckar könnten Sie dir momentan in Mannheim mittels jener Seilbahn begegnen, welche die beiden BUGA-Gelände miteinander verbindet. Ob ich gerade gesagt habe, dass Menschen Schweine sind? Ja, das habe ich! Traut euch doch, mir zu widersprechen… Aber ich war gerade beim blicklosen Starren, welches mich häufig überkommt, wenn ich auf eine Aufgabe blicke, bei der mir weder Start- noch Endpunkt schon klar ist. Ob die geneigten Leser das nun glauben, oder nicht – beim (kreativen) Schreiben weiß der Schreiber oft nicht, wo er ankommen wird; was das Loslegen umso schwieriger macht, denn ohne Ziel vor Augen einen Weg zu finden, ist beim Schreiben mindestens genauso schwierig, wie beim Wandern. Manchmal gibt es eine (mehr oder weniger vage) Vorstellung davon, was ein Text sagen soll, manchmal ist es einfach nur eine Gedankenübung. Die dann auch nicht immer jene Kohärenz erlangt, von der ich eben fabulierte.

Ein Fenster zum Staunen (Fortezza del Girifalco, Cortona, Provinz Arezzo, Italien; im Hintergrund der Lago Trasimeno)

Trotzdem ist da eine intrinsische Motivation, es immer wieder zu tun. Ich besitze halt die Chuzpe, mein „Sendungsbewusstsein“ tatsächlich auszuleben. Und ich finde darin eine gewisse Erfüllung, Wortakrobatik zu üben. Die Zunge und die Feder sind wohl die einzigen Instrumente, die durch ständigen Gebrauch schärfer werden. Ich weiß nicht, ob ich mal den Fehler gemacht habe, von beginnender Altersmilde zu sprechen. Meine beste Ehefrau von allen meinte jedenfalls neulich, dass ICH eher zum alten Bruddler, Grantler, Muffler mutieren würde – aber wenn ich Waldorf bin, wo zum Henker ist mein Statler (wer’s nicht kennt => dringend die Muppetshow kucken: die zwei Alten in der Loge!)? Jedenfalls gibt es ein paar Dinge, die mich heute nicht mehr so triggern, wie mit 20 oder 30. Dafür vergeht im Büro oder Lehrsaal so gut wie kein Tag, an dem nicht der Satz „EINMAL mit PROFIS arbeiten…“ über meine Lippen kommt. Oft im Spaß, manchmal leider aber auch mit bitterem Ernst. Ich habe neulich mit Kollegen über das Geben von Feedback gesprochen, und es kursiert ja immer noch die Legende, dass man jedes Feedback mit etwas beginnen soll, was man an den Handlungen des Gegenübers gut gefunden hat. Aber was mache ich denn, wenn das Beste was mir dazu einfällt folgender Satz ist: „Schön dass ihr da seid und atmet…“?

Ich schweife ab. Vielleicht resultiert mein Mitteilungsbedürfnis aus der Wahrnehmung von Defiziten in meinem Umfeld (was den Bruddler erklären würde, der überall nur Amateure zu erkennen vermag). Vielleicht ist es auch einfach nur dieser schöne Traum, dass ich etwas dazu beitragen könnte, Anderen beim Wachsen zu helfen (der Lehrer ist stark in ihm). Oder ich bin halt einer von diesen Typen wie Dieter Nuhr, die ums Verrecken ihre Fresse nicht halten können, selbst wenn es die bessere Wahl gewesen wäre. Würdigte der Letztgenannte sein eigenes altes Credo „Wenn man von irgendwas überhaupt keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten!“, gäb’s diese Sendung nicht mehr. Könnte helfen. Wie man’s auch dreht und wendet, ich komme wieder auf das Staunen zurück. Denn es erstaunt mich immer wieder, dass allem blicklosen Starren zum Trotze Texte entstehen, die schließlich ihren Weg in die Weite des Netzes finden. Diese Texte erzeugen nicht so viel Widerhall, wie ich mir das wünschen würde; dazu sind die meisten Menschen zu sehr mit sich selbst und der Kuratierung ihrer Web-Persona beschäftigt; und meine Texte überdies zu lang, zu wenig gemainstreamlined und manchmal zu verkopft. Aber wie soll man Menschen sonst zum Selberdenken anregen? Ich will ja nicht, dass jemand mit MEINER Meinung vom Platz geht, sondern SELBER anfängt, vernünftige Fragen zu stellen, die über die einfachste und schnellstmöglich verfügbare Antwort hinausgehen. Denn durch das Primat der Adjektive „einfach“ und „schnellstmöglich verfügbar“ sind wir genau dahin gekommen, wo wir als Menschheit heute stehen…

Da haben wir mein „WARUM?“ – ich kann einfach nicht lockerlassen, zu glauben, dass die Menschheit noch nicht vollkommen im Arsch und zum Untergang verdammt ist, weil ich immer wieder erleben darf, wie Menschen über sich hinauswachsen und besser werden. Und ich mich zumindest gelegentlich der Illusion hingeben darf, wenigstens ein kleines bisschen dazu beigetragen zu haben. Mehr braucht es nicht, um mich bei der Stange und motiviert zu halten. Stets auf der Suche nach neuen Ideen, nach jenem Kreativitäts-Motor, der die Welt zusammenhält und voranbringt: dem Staunen! Mal sehen, was mich als nächstes triggert. Ach, da fällt mir ein: heute Nacht ist Walpurgisnacht – mal sehen, ob ihr mit den Hexen in den Mai getanzt sein werdet, wenn wir uns wieder hören/lesen…

Auch als Podcast…

Das große Staunen N°0 – Naivität

„Alle haben immer gesagt, dass das nicht geht; dann kam einer daher, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht!“ Und wenn er damit wirklich bewiesen hätte, dass etwas zuvor für unmöglich Erachtetes doch funktioniert, bekäme er dafür was? a) einen Shitstorm, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat, b) mindestens 1000 Kommentare, dass er ja eh nur ein Fake sein kann, weil das ja gar nicht geht, weiß doch jedes Kind und c) einen Haufen Ärger mit irgendeiner Behörde, weil er entweder aus Versehen Steuern hinterzogen oder irgendeine obskure Verwaltungsvorschrift verletzt hat – wir leben hier schließlich in Deutschland! Das LÖSEN von Problemen ist bei uns nicht vorgesehen, weil man sonst ja den Arbeitsplatz von jemandem gefährden würde, der Probleme VERWALTET. Willkommen im Heimatland der Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager. Willkommen im Gestern einer einstmals blühenden Zukunft. Der Titel sagt ja, dass es ums Staunen gehen soll – doch das Erste, worüber man Staunen muss, ist der Mangel an GUTEN Gründen zum Staunen. SCHLECHTE gibt es indes mehr als genug…

Beginnen wir mit Dilettantismus. Bei uns ist der Begriff negativ konnotiert, zumeist wird er so benutzt, als sei damit jemand gemeint, der etwas tut, was er aber nicht kann – und folglich damit eventuell sogar Schaden anrichtet. Tatsächlich ist ein Dilletant aber eine Person, die sich einer bestimmten Sache aus Liebe zu dieser zugewandt hat, und diese Kunst oder Wissenschaft nur um dieser Hingabe zur Sache Willen ausübt – also quasi als engagierter Amateur. Dabei ist nichts darüber ausgesagt, wie weit Kenntnisse und Fertigkeiten in diesem Bereich entwickelt sein mögen – es bleibt Dilettantismus, solange die Sache nicht zum Broterwerb ausgeübt wird. In der Theorie kann ein Dilettant also genauso gut oder sogar besser als ein Profi sein; was in der Realität durchaus gelegentlich vorkommt. Ich selbst bin ein Dilettant mit dem Fotoapparat, was meinem Spaß aber keinen Abbruch tut – ständiges Üben hat meine diesbezüglichen Fertigkeiten im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Motor dafür war und ist die naive Annahme, dass ich die Quellen und die Effektivität meiner Kreativität weiterentwickeln könnte.

Alter Ort – neue ideen…?

Wichtig ist hier der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Wenn ich etwa einen Blogpost schreibe, oder knipsend durch die Gegend wandere, oder Geschichten entwickle, dann ist mir mein individueller Ressourceneinsatz wumpe. [WICHTIG: Ich meine damit NICHT, dass ich Unmengen Geld, Energieträger oder Konsumwaren dafür verpulvere, sondern meine Zeit und mein Engagement!] Ich möchte am Ende ein Produkt haben, welches sich aus meiner Sicht zu teilen lohnt und schaue dabei nicht auf die Stoppuhr. Wenn ich hingegen Content für meinen Arbeitgeber produziere, ist Zeit Geld => der Ressourceneinsatz muss nicht nur das Ziel erfüllen, sondern sollte auch effizient erfolgen. Was aber nun die Quellen meiner Kreativität angeht: die kann man mit mehr Übung nicht unbedingt weiter entwickeln. Man kann seinen Blick für bestimmte Dinge schärfen, indem man Kreativtechniken anwendet: Scrapbooks voller (geklauter und eigener) Ideen, Mindmaps, Sketchnotes und wasweißichnichtnochallem. Zettelgläser. Eine ausgefeilte Ablage für alles mögliche. Lange Surfsessions im Netz, bei denen man sich von einem Thema zum nächsten treiben lässt, bis etwas Klick macht. Schließlich die Gadgets und Gimmicks, um verschiedene Formen von Content produzieren zu können. Aber das alles ersetzt die EINE Fähigkeit nicht, die wahre Kreativität benötigt: naiv staunen können…

Naivität ist auch so ein Begriff, der eine negative Konnotation hat; allerdings erst, sobald er auf Erwachsene angewendet wird. Kindern nimmt man es nicht krumm, wenn man sie als naiv betrachtet, weil „die Augen des Kindes“ die Welt anders sehen. Dieser Allgemeinplatz ist wahr! Denn Kinder nehmen die Welt (noch) nicht als „…Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager…“ wahr, sondern einfach als Welt! Das eben genannte macht leider das sogenannte Erwachsenwerden aus ihnen. Nun ist „Erwachsen“ kein statischer Zustand, der automatisch nach Beendigung der beruflichen Erstausbildung oder des Erststudiums erreicht wird; andernfalls gäbe es den Begriff „junge Erwachsene“ nicht, dessen Vertreter immer wieder eindrucksvoll illustrieren, wie unwahrscheinlich das dauerhafte Überleben unserer Spezies im Angesicht eines solchen Übermaßes an leichtsinnig-übermütiger Idiotie doch ist. Immerhin kommen wider Erwarten recht viele von Ihnen durch, um dann zu solch bornierten Spaßbremsen zu werden, als die ich mich eben geoutet habe 😉 Schwamm drüber. Fakt ist, dass einem die Fähigkeit zum naiven Stauenen mit wachsendem Alter (und wachsender Verantwortung für dieses oder jenes) ausgetrieben wird.

Wie ausgesprochen bedauerlich. Denn ohne die Naiven (…wusste nicht, dass es nicht geht und hat’s halt einfach mal gemacht…) säßen wir vielleicht noch immer bei Öllampenschein in Holzhäuser und würden unsere Gedanken, so wir des Schreibens mächtig wären, auf Pergament niederlegen. Ich werde mich jetzt nicht zu einem Urteil aufschwingen, ob unserer Welt etwas weniger technologische Entwicklung insgesamt besser getan hätte. Vielleicht wären wir ja auch auf ganz anderen Pfaden gewandelt. Aber ist man erstmal auf einem Pfad unterwegs, auf den sich sehr viele verständigt haben (Individualverkehr mittels Fossilverbrenner z.B.), wird Systemwechsel schwierig. Pfadabhängigkeit realisiert sich in unserer Zeit vor allem durch wirtschaftliche Interessen und deren globale Verflechtungen. Und gegen den Gott Mammon kommt der naive Geist nur schwer an. Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass das Kind in mir zu kurz gekommen ist, was mich unendlich traurig gemacht hat. Ich bemerke diesen Druck zur Effizienz im Berufsleben dauernd und stelle für mich fest, dass mir die Möglichkeiten, kreativ gestaltend tätig zu werden in letzter Zeit immer mehr eingeschränkt wurden. Wie ich darauf reagiere, weiß ich noch nicht. Ich weiß eines allerdings sehr genau: mein inneres Kind muss wieder mehr raus zum Spielen! Egal wie! Und diese Freiheit werde ich mir (wieder) erkämpfen. Versuchts doch auch mal mit Naivität – das könnte ein erfrischender Start in die neue Woche werden!

Transparente Etiketten

Ich konsumiere, also bin ich! Ich meine damit tatsächlich zur Abwechslung mal nicht das Kaufen und Einlagern von weitestgehend nicem aber irgendwie unnötigem Tand, sondern Mediennutzung. Bei mir sind das häufiger mal obskure Musikaufzeichnungen (aber auch Filme und Bücher) aus dem Zeitalter meines persönlichen „coming of age“ – für jene, die das noch nicht mitbekommen haben: ich bin in den 70ern geboren und damit geistig ein Kind der 80er. Ich weiß, das erklärt so einiges. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft dann auch – voll stilecht – im Hintergrund New Wave und Retro Electro in Dauerschleife. Aber im Grunde geht es mir nicht um die 80er als Zeitalter, sondern um eine Stilrichtung, die in jener Zeit weiter entwickelt wurde, und die heute wieder im Trend liegt: Cyberpunk. Ich habe mich an dem Thema schon ein paar mal abgearbeitet [True punks don’t need cyberware!, WTF-punk…? und …punked…? als Beispiele], stehe aber manchmal immer noch im Wald. Long Story short: für viele steht der Begriff „Cyberpunk“ als Synonym für einen Modestil, ein Computerspiel und vielleicht ein, zwei Filme, die sie gesehen haben – und dann denken sie, sie wüssten, worum es geht.

Sehgewohnheiten…?

Ich selbst ringe oft mit Begriffen, weil mir einerseits sprachliche Präzision am Herzen liegt; das ist der Sozialwissenschaftler und Pädagoge in mir, der sich weniger Missverständnisse und mehr Miteinander wünscht. Andererseits haben manche Begriffe oft einen impliziten, also nicht gleich sichtbaren aber dennoch wirksamen Bedeutungs-Überschuss – dass, was wir Konnotation nennen. Ich will es mit einem Beispiel versuchen. Nehmen wir das Wort „Gerechtigkeit“. Auf den ersten Blick ist es einfach: Gerechtigkeit bedeutet, so zu handeln, dass ein Ausgleich zwischen allen beteiligten Parteien in einem Prozess entsteht. But one mans justice is another mans penalty…? Werden also alle Beteiligten den gleichen Blick auf Gerechtigkeit haben, wenn ein Richter sein Urteil verkündet, ein Schlichter im Tarifstreit seinen Vorschlag unterbreitet, oder Menschen zivilen Ungehorsam ausüben, um zum Handeln im Angesicht einer ungewissen Zukunft aufzurufen, und dafür von wütenden Verkehrsteilnehmern in den Bauch getreten bekommen? Ich denke nicht! Was bedeutet, dass subjektiv eindeutige Begriffe sehr oft eine situationsabhängige – und vor allem hoch individuelle – Interpretation erfahren.

Kehren wir zu Cyberpunk zurück: one persons latex-clad Trinity is another persons in-depth look at the ever-changing phenomenon known as „society“. Cyberpunk war nie dieses eine stil-uniforme, einheitliche literarische Genre, sondern stets mehr eine Art Schmelztiegel unterschiedlichster Ideen, Wahrnehmungen und Ängste. Aber den Autoren war eine Sache wichtig – Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung künstlerisch zu interpretieren und zu extrapolieren, um so darauf hinzuweisen, was passieren KÖNNTE, wenn man auf diesem oder jenem Pfad ungebremst weiterfährt. Ein einendes Thema war dabei recht oft die Entwicklung hin zu einem Kapitalismus im Endstadium, der anfängt seine Kinder zu fressen. Ohne jetzt allzu apokalyptisch klingen zu wollen – da sind wir längst. Andernfalls hätte nicht mein zweiter Satz in diesem Post auf typischen Consumerism des frühen 21. Jahrhunderts hingewiesen. Wir rennen zugegebenermaßen nicht alle mit Chrom im Körper rum, wie in Night-City (=> Cyberpunk 2077) Unsere Menschlichkeit opfern wir auf andere Weise. Man kann auch ohne Chrom so sehr mit dem Internet verwachsen sein, dass man sich selbst, oder besser seine Verbindung zu wahrem Menschsein (also realem sozialem Miteinander und Solidarität) verliert und sich somit selbst beschädigt. Sich dann mittels Medienkonsum abzulenken, ist das unzureichende Pflaser für die Wunden auf der Seele, die uns die De-Humanisierung unserer Welt tagtäglich zufügt...

Verschiedene Autoren hatten unterschiedlich Vorstellungen von der Zukunft; aber ihnen allen war gemein – und ist dies teilweise bis heute – dass ihre papiergewordenen Blicke auf diese potentiellen Zukünfte übernüchtern bis pessimistisch ausfallen. Ich selbst bin kein übernüchtern pessimistischer Mensch, aber ich nutze solche Szenarien, um meine eigene Wahrnehmung für die Welt und ihre Dynamik zu schärfen. Und selbstverständlich nutze ich sie zum Zwecke der Unterhaltung. Sowohl als Konsument (Bücher, Filme, Musik), als auch als Produzent (Pen’n’Paper, Schreiben). Kulturprodukte sind natürlich stets dem Zeitgeist unterworfen. Wenn man sich heutzutage manche Filme (speziell „Komödien“ und „Actionfilme“) aus den 80ern und 90ern anschaut, rollen sich einem die Fußnägel soweit auf, dass man ein Bügeleisen braucht. Damals war’s aber cool. Eines der Probleme, die daraus für Menschen meines Alters erwachsen ist, dass wenn man einem nostalgischen Impuls folgend, jene ehemaligen Orte der ungetrübten Freude aufsucht, oftmals mit erheblicher Ernüchterung konfrontiert wird. Schaut euch doch noch mal mit halbwegs erwachsenem Blick „Waynes World“ an. Oder „Bill und Ted“. Oder „Action Jackson“. Oder „American Fighter“ – Yuck…

Cyberpunk war schon immer so viel mehr als hackende, latextragende, im Neonglitzer der Tech-Slums umherstromernde Outlaws, die lässige One-Liner raushauen und nebenbei alles wegputzen, was ihre Hood bedroht. Das sind alles nur Etiketten, der klägliche Versuch von Marketing. Dabei ist so transparent, dass die Essenz des Begriffes Cyberpunk von diesen Möchtegern-Medienschaffenden nicht verstanden wurde, dass es einem schon fast weh tut. Denn um den vorhandenen Subtext von bestehenden Kulturprodukten verstehen und eventuell neu interpretieren zu können, muss man sich a) mit den Kommunikationsmodi verschiedener Kunstformen beschäftigen, b) bereit sein, seinen eigenen Blick auf die Dinge mal beiseite zu lassen, um die die Welt durch jemand anderes‘ Augen sehen zu können und c) Historizität verstehen lernen. Die 80er waren eine andere Zeit, als unsere heutige – alle Probleme, Fehler und Glitches inbegriffen. Das bedeutet jedoch minichten, dass damals alles schlimm war. Es war anders, weil die Wahrnehmung anders war. Und Künstler wie Neal Stephenson, William Gibson, Philip K. Dick haben aus jener Zeit heraus in eine Zukunft geschaut, die von unserer heutigen Realität in mancher Hinsicht nicht allzu weit entfernt ist – auch wenn ChatGPT noch keine Wintermute ist (1984: Gibson => Neuromancer).

Kunst ist Kommunikation – man braucht also die richtige Sprache, um Kunst dekodieren zu können. Was mich betrifft – ich kehre immer mal wieder zu den alten Sachen zurück. Nicht etwa, weil ich neueren Kulturprodukten nichts zutraue, sondern um mich auf meine Wurzeln zu besinnen, und das Delta, also die Unterschiede im Ausdruck und in der Dynamik für mich selbst fassbar zu machen. Außerdem ist es – insbesondere bei Filmen – eine gute Schule für die Sinne. Achtet mal auf die lausige Schnitttechnik und Kameraführung bei so manchem modernen Film – 30 Schnitte pro Minute suggerieren nur wahrnehmungs-gestörten Kognitionsallergikern Dynamik, verwirren aber jene, die sich Qualität wünschen; klassisches Centerframing ist schon echt kompliziert, gell. Man versucht mit optischer Hektik meist einfach nur ziemlich ungeschickt, das Unvermögen mancher Kameraleute, Schauspieler und Regisseure zu kaschieren. Brauch ich nicht. Da bleibe ich lieber – meinen Seh- und Hörgewohnheiten treu – ein oldschooliger Cyberpunker, auch wenn selbst das wahrscheinlich nur ein transparentes Etikett ist; es verdeckt den Umstand, dass es MIR vor allem um den Punk, also das Aufbegehren gegen den Status Quo geht, nur unzureichend. Ist mir Recht. Ich wünsche euch einen guten Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°51 – …so many ways (not) to die!

„Ist das Spiel jetzt vorbei…?“ Um es gleich vorweg zu nehmen: ich kille als SL eher selten Spielercharaktere. Das ist nicht der Fall, weil die Aufgaben und Gegner, denen sich meine Spieler*innen stellen, einfach wären (manchmal sind diese sogar geradezu lächerlich tödich), sondern eher, weil sie a) eigentlich immer mit Reaktionen und Lösungen um die Ecke kommen, die mich (und damit auch meine NSCs) kalt erwischen und sie b) im richtigen Moment verdächtig oft verdammtes Glück haben – oder ich als SL verdammtes Pech. Kann man sehen wie man will. Ich hätte auch behaupten können, dass die Begegnungen, welche in Kämpfe münden, halt gut ausbalanciert wären; aber das stimmt nicht. Die spielmechanischen Regeln in vielen Pen’n’Paper-Systemen suggerieren nämlich lediglich die Vergleichbarkeit von Kampfstärke, magischer Macht, etc. – aber sie stellen eine solche nicht her! Das ist auch gar nicht möglich, weil die Beschreibungen in den Quellenbüchern immer Interpretations-Spielräume lassen, welche sowohl Spieler*innen als auch SL kreativ zum jeweiligen Vorteil aunutzen können. Und da wir als SL ja eigentlich Fans der Spielercharaktere sein sollen, lasse ich auch mal Ideen zu, von denen mir klar ist, dass der Designer es eigentlich nicht so gedacht hatte. Ist besonders einfach, wenn man mit seinem eigenen Regelwerk spielt…

…ja, ja – die alten Geschichten! (c) Monika Merz

Eine schwierige Herausforderung, oder der Kampf mit einem mächtiger Gegner bedeuten ja auch nicht, dass man sofort stirbt, wenn man mal seinen Wurf verkackt. Verpatzte Aktionen können es in der Folge zweifellos schwieriger (und damit auch spannender) machen, das Ziel doch noch zu erreichen, aber sie bedeuten NICHT das Ende des Spiels. Mal davon abgesehen, dass auch ein verblichener Charakter, nicht das Ende des Spiels bedeutet – sondern die Vorfreude auf den nächsten Charakter, den man spielen kann. Oder die Hoffnung auf ein Wunder… das hängt allerdings vom bespielten Setting ab. Und wenn der Charaktertod „heldenhaft“ war, hat man dadurch oft eine Geschichte erlebt, die des Erzählens unter Gleichgesinnten Pen’n’Paper-Nerds wert ist. Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei verpatzten Aktionen. Natürlich stimmt es schon, dass niemand gerne scheitert, aber wenn wir uns typische Heldengeschichten einmal näher anschauen, dann ist ein zwischenzeitliches Scheitern des/der Helden üblicher Bestandteil der Geschichte; und das schon seit der Beschreibung des klassischen Regel-Dramas:

Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. 

Schauen wir nun mit dem Vergrößerungsglas durch die Kampage und die Session hindurch in eine einzelne Szene hinein, wird klar, dass die hier beschriebenen, übergeordneten Prinzipien sich auch auf einzelne Aktionen und die Interpretation der Würfelergebnisse durch den/die SL anwenden lassen. Nehmen wir an, ein Char wird auf einer erhöhten Position (Dach) stehend von einer fliegenden Kreatur angegriffen (Exposition => Komplikation => Angriff vs. Parade / Ausweichen), getroffen (Komplikation => Patzer) und vom Dach gestoßen (Peripetie => vom SL zugewiesene und beschriebene negative Konsequenz); das bedeutet jedoch NICHT automatisch das Erreichen der Katastrophe (Charakter stürzt zu Tode), sondern eröffnet mögliche Aktionen, die der Char ergreifen kann, um einem drohenden Schicksal zu entgehen; und dann vielleicht mit einer Hand an der Regenrinne hängend neue Pläne zu machen (Rückkehr zur Komplikation => Reaktion und/oder Akrobatikprobe). Als Folge eines Patzers im wahrsten Wortsinn in der Luft zu hängen, erzeugt Spannung, Spannung erzeugt Drama und Drama macht Spaß, wohingegen Scheitern auf Grund eines einzelnen Patzers keinen Spaß macht. Man nennt das Failing Forward und mehrere Failstates zwischen SIEG und TOD zu haben, steigert die Spannung anstatt der Frustration, wenn’s mal nicht auf Anhieb so läuft, wie sich der/die Spieler das gedacht haben.

Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon mal sagte, dass die Spieler sich für Ihre Charaktere sehr wohl ein erfolgreiches Überwinden der angetroffenen Hindernisse im Spiel wünschen, aber dass sich der Sieg VERDIENT anfühlen soll; sie wollen ihn nicht geschenkt bekommen. Allerdings ist Encounter-Design im Pen’n’Paper – aus den bereits oben beschriebenen Gründen – ein verdammt schmaler Grat. Einerseits wünschen wir uns alle Spannung, Drama und am Ende ein Erfolgserlebnis. Auf Grund der Unvorhersehbarkeit der Spieler-Handlungen und der Launen der Würfel, die aus klassischem Storytelling zumindest teilweise auch ein Glücksspiel machen, sind aus meiner Sicht solche Werte, wie etwa das Challenge Rating in Pathfinder/Starfinder oder DnD5E aber großer Käse! Es sind solche Sätze in Regelwerken, welche die ILLUSION präziser Steuerbarkeit von Kämpfen erzeugen. Von Hitpoints/Level, festen Fertigkeitszuwächsen pro Level, etcpp. will ich gar nicht erst anfangen. Matt Colville sagte mal (und er hat verdammt Recht), das Encounter-Design nicht aufhört, nur weil eben Initiative gewürfelt wurde. Und trotzdem müssen Encounter nicht ausbalanciert sein. Das Leben in der realen Welt hat auch kein faires Encounter-Design und fühlt sich genau deswegen realistisch an; manchmal sind die Dinge eben, wie die Dinge sind! Auch in der Secondary World sollte es sich also nicht so anfühlen, als wenn Herausforderungen genau an das Können der Chars angepasst wären. Das bricht die Suspension of Disbelief. Sowas kann ich in simulierten Fallszenarien in meinem Lehrsaal machen. Aber bitte nicht am Spieltisch.

Ich denke über diese Aspekte im Moment deshalb nach, weil ich meine Villera-Kampagne in ein klimaktisches Grand Finale manövriert habe – und wir ausgerechnet jetzt, da die letzte Session mit einem derben Cliffhanger geendet hat, mit Terminfindungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Was mir reichlich Zeit gibt, über Encounter-Design nachzudenken; und eine Nachfolge-Kampagne. Ob das meinen Spieler*innen zum Nachteil gereichen könnte, müsst ihr die Betroffenen hinterher fragen. Ich hoffe vor allem, dass wir alle Spaß daran haben werden. Schließlich bin ich als SL auch ein Spieler am Tisch. Wir hören uns. And never forget – always game on!

Auch als Podcast…

New Work N°14 – …und das Leben zieht vorbei.

Verdammt schwierig, sich darauf einzustellen, dass es morgen wieder losgeht. Ich las neulich irgendwo einen Artikel, der darauf abstellte, dass viele Menschen in der Nacht von Sonntag auf Montag deshalb schlecht schlafen, weil die Erwartung der bevorstehenden Arbeitswoche sich wie ein Leichentuch auf die evtl. im Laufe des Wochenendes erworbene Erholung legt und diese so zunichte macht. Nun ist heute Ostermontag, wir haben also eine Zeitverschiebung des Wahrnehmungsbias, was am entstehenden Druck leider nix ändert. Und ich kann bestätigen, dass ich diesen Effekt auch schon mehr als einmal erlebt habe. Da liegt der Osterhase also im Pfeffer. Die Arbeitswoche scheint in gewisser Weise der Endgegner unserer Zeit zu sein, was den Ruf nach der 4-Tage-Woche umso verständlicher erscheinen lässt. Da sieht man einmal mehr die Zweiteilung zwischen diesen Individuen, die Leben und Arbeit am liebesten vollkommen entgrenzt sähen und alles unterhalb der 50h-Woche als hartes Prokrastinieren betrachten – und am Gegenpol jene, die jeden Strich zuviel als Zumutung und persönlichen Angriff auf die Integrität ihres Daseins betrachten. Natürlich sind das zwei Beschreibungen, die vielleicht zur besseren Illustrierung des Sachverhaltes geringfügig überezeichnet wurden; obwohl…

Es ist legitim, Arbeit als Quelle von Sinn im Leben zu betrachten; oder eben auch nicht. Denn irgendwie läuft es ja doch wieder auf psychologisches Framing hinaus. Erlebe ich Arbeit als Zumutung, als dauernde Überforderung, als Einschränkung der persönlichen Freiheit, dann ist es nur logisch, den Re-Start von Arbeit (zumal nach einem langen Wochenende) als Bedrohung wahrzunehmen. Da wird vermutlich auch kein Yoga helfen. Liebe ich meinen Job und die Herausforderungen darinnen, und empfinde ein hohes Level an intrinsischer Motivation, kann ich’s vielleicht kaum erwarten, wieder hinzugehen. Beides kann übrigens zu schlechtem Schlaf führen. Es ist die Dosis, die macht, dass ein Ding ein Gift ist. Arbeitsverträge versuchen diese Dosis zu normieren, und zwar unbeachtet der Tatsachen, dass a) nicht jede*r gleich leistungsfähig ist, b) Leistungsfähigkeit auch im Zeitlauf variieren kann und c) die Normierung von Leistung, je nach Gewerk, mitnichten einfach ist. NIEMAND performed also jeden Tag gleich gut (oder schlecht), und was Leistung jeweils überhaupt ist, bedarf einer präzisen Definition.

Es ist daher kein Wunder, dass die Debaten um Arbeitszeitmodelle (Gleitzeit, Zeitkonten, 40h-Woche vs. 4-Tage-Woche, etcpp.) und Arbeitsorte (Präsentismus im Cubicle, Großraum oder Open-Space-Office ohne dedicated Desks, Home-Office, Remote-Work und jede Mischung davon) teilweise mit der Intensität heiliger Shit-Storms geführt werden und jede*r stets zuerst und vor allem seine/ihre eigene Sicht auf Basis seiner/ihrer eigenen Erfahrungen propagiert. Denn der eigene Tellerand ist der Horizont. Und dabei haben wir über neue Geschäftsmodelle, Geschäftsziele und Beteiligungsformen (also echte New-Work-Ansätze) noch überhaupt nicht gesprochen! Nur weil meine Firma einen „Purpose-Evangelist“ beschäftigt, heißt dies noch lange nicht, dass die Arbeit auch tatsächlich nachhaltigen Zwecken dient und Sinn stiftet. Da helfen Obstschalen, Tischkicker, Bionade-Kühlschränke, Achtsamkeitsseminare und der ganze andere hippe Möchtegern-Mitarbeiterbindungs-Schnickschnack halt auch nicht weiter…

Denn bei all den großen und kleinen Stürmen im weltweiten Informations-Ökogewebe gerät zumeist außer Sicht, dass es NICHT die eine Wahrheit und auch NICHT den einen Weg GEBEN KANN! Für manche zieht das Leben vorbei, wenn sie subjektiv zu viel arbeiten müssen, bei anderen ist es genau andersherum – aber auf dem weiten Feld zwischen den Extrempolen, da wo die REALITÄT passiert, sind vielerlei Philosophien anzutreffen, denen unsere heutige Arbeitswelt weder die passende Nische, noch die richtige Unterstützung zu geben vermag, damit das individuelle Potential sich entfalten kann. Und ich meine das Letztgesagte NICHT in dem Sinne von „er/sie/them verdient jetzt maximal Kohle für unser Unternehmen!“, sonder eher als „er/sie/them kann jetzt dem individuellen Naturell gemäß seine/ihre indiviuellen Kompetenzen entwickeln – und wir verdienen auch etwas Kohle dabei…“ Denn das Leben zieht so oder so an jedem von uns vorbei; und es wäre doch total charmant, wenn man anerkennen würde, dass sich unser Verhältnis von Arbeit als Handelsware, die nur allzu oft unter Preis verkauft werden muss, weil die Gesellschaft Investmentbanker höher wertschätzt als Pflegekräfte hin entwickeln muss zu einem Verständnis von Arbeit als Dienst für die Gemeinschaft. Mal davon abgesehen, dass sich die Arbeitswelt gerade eh rasant verwandelt. Und da ist ChatGPT noch nicht mal eingepreist…

Ich habe keine Ahnung, ob ich heute Nacht gut schlafen werde, da ich morgen früh für meine Verhältnisse verdammt früh aus den Federn muss; ich bin nämlich eigentlich einer dieser spätaufstehenden Abends-lang-Arbeiter. Wie’s auch kommt, ICH lasse mein Leben nicht einfach nur vorbeiziehen und gräme mich, dass es nicht so läuft, wie ich mir das wünschen würde, sondern versuche, was aus meinen Möglichkeiten zu machen – und damit meine ich ganz explizit NICHT Dauerarbeiten. Ich versuche aber, mir die Freiräume und die Flexibilität zu erorbern, die ich brauche, um lange gut funktionieren zu können. Und nebenbei räume ich den Weg für Andere gleich mit frei. Mal sehen, was die nächsten Wochen bringen. Ich wünsche euch einen guten Start in die Post-Oster-Woche. Schönen Abend.

Auch als Podcast…

Relevant…?

Angeblich sei so ein österlicher Familienbesuch fast genauso gefährlich, wie ein weihnachtlicher, las man dieser Tage in irgendwelchen Postillen. Liegt wahrscheinlich daran, dass man zu diesem Feste seine Geschenke auch noch selber suchen muss, anstatt sie fein säuberlich aufgestapelt unter einem mit Lametta zugekleisterten Nadelgehölz vorfinden zu können. Vorhersehbar ist das Ganze in seiner Formelhaftigkeit dennoch, denn Gärten wechseln ihr Antlitz nicht alle paar Wochen, so dass die Zahl möglicher „Verstecke“ zumeist überschaubar bleibt. Und wehe, es regnet auch noch. Denn den April hindurch, wo Ostern ja üblicherweise stattfindet, ist das Wetter bekanntermaßen launisch… was sich dann auch auf die Gäste übertragen kann. Überhaupt diese Schenkerei. Es kommt einem fast so vor, als wenn Weihnachten und ein Geburtstag pro Jahr einfach nicht genug sind, um die Welterhitzungsmaschine „NUTZLOSER KONSUM“ am Laufen zu halten. Nun ja. Mit einem christlichen Fest hat das dann doch nur noch wenig zu tun, nicht wahr…

HAHA – erwischt! Er hat gerade selbst „christlich“ gesagt, nachdem er doch gestern der christlich geprägten Kultur erstmal eine satte Verbalwatschen verpasst hatte; oder präziser gesprochen der institutionalisierten Prägerin christlicher Kultur, der Kirche. Ja stimmt, aber du kommst ja auch, wenn du irgendwo in Europa alte Steine knipsen magst, jetzt eher schlecht an Sakralbauten aller Art vorbei. Die Dinger hatten einst gleich mehrere Funktionen: sie waren a) Stein gewordenes Gotteslob b) sichtbare Machtdemonstration und c) Orte der Versammlung. Und welchen Eindruck muss wohl ein einfacher Mensch des Spätmittelalters bzw. der Frührennaissance gehabt haben, wenn er eines so monumentalen Bauwerkes, wie etwa des Freiburger Münsters angesichtig wurde? Welches Bauwerk hatte denn damals sonst innen eine lichte Höhe von über 25 Metern? Hier hat der Glaube im wahrsten Wortsinn Berge (oder wenigstens Hügel) versetzt; und diese Leistungen sollten einem auch heute noch tiefsten Respekt abnötigen. Denn wie viel Überzeugung und auch Opferwillen brauchte es wohl, um derlei Bauwerke mit den eher kruden Mitteln jener Zeit vollbringen zu können? Ich kann mir das nicht wirklich vorstellen.

Also wandere ich an solchen Orten fasziniert umher und bin ganz kurz sogar von der Idee angetan, dass es evtl. tatsächlich etwas geben könnte, dass über unsere schnöde irdische Existenz hinausweist – oder um es mit den Worten eines sehr lieben Freundes zu sagen: ich lecke lustvoll an der Essenz des Seins. Nur um im nächsten Moment durch die Vielzahl anderer Menschoiden, die acht- und gedankenlos durch das Bauwerk mäandern, als sei es ein Einkaufszentrum daran erinnert zu werden, warum ich a) Menschen im Großen und Ganzen hasse und b) denke, dass die Menscheit ihren selbstverschuldeten Untergang irgendwie doch verdient hat. Bin ich gerade zynisch? JA – insbesondere, wenn man weiß, dass Zyniker enttäuschte Romantiker sind. Es ist das Sakrileg der Oberflächlichkeit und des achtlosen Egoismus, welches unsere Zeit entzaubert. Ich las vorhin, dass Pablo Picasso heute vor 50 Jahren verstorben sei – und dass seine Relevanz als Künstler mittlwerweile in Frage stünde. Da kann man drüber diskutieren, der Kubismus und Expressionismus stehen ja im Moment insgesamt nicht mehr so hoch im Kurs. Die Frage, die dann allerdings gestattet sein muss, ist Folgende: was ist mit Frida Kahlo, was mit Wassily Kandinsky, mit Gabriele Münter, etc.? Muss sich deren Werk immer und immer wieder als relevant erweisen, oder genügt es nicht einfach, dass hier geniale Künstler ihrer jeweiligen Zeit einen Stempel aufgedrückt und neue Wege aufgezeigt haben? Ist ein Work of Art wertlos, weil seine Zeit vorbei ist, oder bleibt es wertvoll, weil es aus seiner Zeit heraus auf Dinge verweist, die auch zu anderen Zeiten Relevanz haben können? Oder muss sich heute alles dem DIKTAT DES JETZT unterwerfen, weil andere Zeiten nicht nur anders, sondern in mancher Hinsicht, subjektiv wie objektiv, schlechter waren? Immerhin haben die Künstler zu allen Zeiten das jeweils Schlechte in seiner banalen Absurdität sichtbar gemacht…

Ich weiß es nicht; ich finde es aber wert, über die Frage nach der Relevanz immer wieder neu nachzudenken. Nicht nur bei einem speziellen Künstler und seinem Werk, der jetzt gerade mal wieder in der medialen Rezeption aufbrandet; sondern in allem was ich, was wir als Menschen so erleben, tuen oder auch lassen, schaffen oder zerstören also durch unsere Existenz berühren. Und nicht nur wir heute, sondern auch die Generationen vor uns. Denn man kann immer und überall und vor allem auch von vorangegangenen Generationen noch etwas dazulernen. Nur eine Sache hatte noch niemals tatsächlich irgenwelche Relevanz, dürfte eigentlich auch heute keine haben und hat (hoffentlich) irgendwann in der Zukunft tatsächlich keine mehr: acht-, sinn-, und nutzloses Konsumieren! So als wenn man durch eine Kathedrale läuft, deren Imposanz einen der Mühen gemahnen könnte, die Menschen früherer Zeitalter um einer bloßen Idee Willen auf sich genommen haben – und dabei die ganze Zeit nur auf seine Taschenwanze glotzt, um später sagen zu können: „Freiburger Münster? Ja kenn ich, is’n Haufen Steine…“ So viel Egozentrismus braucht die Menscheit nicht. Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

Tanzverbot!

Ich will nicht undankbar klingen, denn immerhin habe ich momentan frei. Die letzten Tage waren zwar unlustig, weil ich mich immer noch mit den Nachwehen eines garstigen Infektes herumschlage, aber immerhin – nicht im Office und auch nicht im Lehrsaal. Manche Amtsgeschäfte wurden dennoch erledigt, aber jetzt ist ganz plötzlich Ostern. Karfreitag, to be precise. Und ein bisschen frage ich mich schon, warum wir diesen ganzen christlichen Retrofanz immer noch betreiben? Oder glaubt im Moment etwa doch noch eine signifikante Zahl der Bürger*innen und deren Kinder*innen an göttlich induzierte Wiederkunft eines langhaarigen Wunderkindes mit revolutionären Ambitionen? Immerhin haben seine biblisch erzählten Aktionen stets etwas Aufrührerisches, was – so man denn die Geschichten fürwahrnehmen wollen würde – schlussendlich auch zu seiner Hinrichtung geführt hätte. Die Römer als Besatzungsmacht hatten da, genau wie anderthalb Jahrtausende später die Spanier, Holländer, Portugiesen, Briten, etc. wenig Toleranz, wenn es um irgendwelche schrägen Ideen ging, die Aspekte ihrer Machtbasis in Frage stellten. Irgendwie war die historische Figur, die vermutlich als erzählerische Blaupause für den Heiland gedient hat, vermutlich eher so was wie ein prämoderner Agitator, Revoluzzer, oder gar Terrorist… Am Ende sogar noch ’n Soze…

Manchmal gerät das große Ganze aus dem Blick…

Geblieben ist von alldem wenig mehr als ein Konvolut an Geschichten, die in recht sperriger Sprache aus einer Zeit überliefert wurden, in der es noch nicht allzu üblich war, alles – von der Politik bis zu alltäglichen Banalitäten – abbilden oder irgendwie mit Worten beschreiben zu wollen. Hätten die Phönizier Instagram erfunden, wäre der Seehandel auf dem Mittelmeer wahrscheinlich noch schneller in Fahrt gekommen. Und was hätte das für einen Ärger gegeben, wenn die neuesten Post-Platten von Influenzella und Verpassjanix in einem nicen kleinen Sturm abgesoffen wären? Man stelle sich nur vor, dass die neueste Mode aus Lutetia schon im nächsten Monat in Syria Palaestina bekannt geworden wäre, als Abbild auf stylischer Marmorpaneele vom gallischen Händler Otto Modemachmix per Schnellgaleere aus Ostia Antica verschifft und in Jerusalem per Schnitzerei vervielfältigt an alle Sequentiaten*innen verteilt? Ja, dann wäre es vielleicht auch nicht dazu gekommen, dass Jesus nach dem triumphalen Einzug am Palmsonntag schon bald – für 30 Silberlinge verraten, wie die Mär so geht – ans Kreuz genagelt wurde, um am Ostersonntag, mir nix dir nix, aus seinem Grab spaziert zu kommen. Wie gesagt, wir reden über Geschichten, die allen Körnchen Wahrheit zum Trotze, die an ihnen kleben mögen, einen Mythos erzählen, der nicht bewiesen werden kann, sondern geglaubt werden soll, um seine Wirkung zu entfalten – Feiertage zum Beweihräuchern inclusive.

Und Wirkung wird hier immer noch entfaltet; nur nicht so, wie man sich das gemeinhin vorstellen möchte. Es ist doch so, dass Kultur ein Prozess ist, und dass sich die Dinge ändern. Manchmal tun sie dies langsam, manchmal schnell, aber in jedem Fall bleibt alles anders. Und Religion ist – pardon me for heresy – nichts weiter als ein Kulturprodukt, entsprungen aus dem Wunsch, dem Unbeschreiblichen eine Beschreibung zu geben, oder wenigstens der subjektiven Willkür des Schicksals irgendeinen Sinn. Daran ist nichts Verwerfliches, da wir alle manchmal am Zufall und seinen Kapriolen zu knabbern haben. Verwerflich ist eigentlich nur, dass es eine Organisation gibt, die aus diesem Bedürfnis über lange Zeit reichlich Kapital geschlagen hat… und dies teilweise auch heute noch tut: die „gute“ alte Mutter Kirche. Ich weiß, ich weiß, die Kirche von heute ist mit der aus dem finsteren Mittelalter nicht mehr zu vergleichen, die seelsorgerischen Aufgaben, die sie übernimmt, der Trost, den sie spendet, Schwarberlabarberlapapp. Und trotzdem bekommt sie immer noch jedes Jahr Ausgleichszahlungen für die verloren gegangenen Kirchengüter. Im Jahr 2022 waren das 687,5 Millionen Euro! Für was? Dafür, dass man früher voll schöne Ablassbriefe kaufen konnte? In letzter Zeit hörte ich häufiger das Argument, dass wir halt eine christlich geprägte Kultur hätten. Doch ist das überhaupt noch so? Und wird das in alle Zeit so sein? MUSS das in alle Zeit so sein? Und welchen Wert hat das überhaupt?

Wir haben ein säkulares Staatswesen (siehe Artikel 140 GG), eine Bevorrechtung der Kirchen durch Ausgleichszahlungen für entgangenes Landeigentum, durch ein eigenes Arbeits- und Tarifrecht, etc. ist daher weder zeitgemäß noch verfassungskonform! Also weg damit! „Aber, aber die schönen freien Feiertage…!“, höre ich euch rufen. DIE kann man auch feiern, ohne sich auf das Christentum zu beziehen. Tun doch 47,9% der Deutschen, die nicht mehr in der Kirche sind, oder sowieso anderen Konfessionen anhängen eh schon seit Jahr und Tag. Da kann man von Gewohnheitsrecht sprechen, würde ich sagen. Wir leben schon in interessanten Zeiten, in denen so wahnsinnig viel passiert, in denen alle sich vor großen Herausforderungen sehen, in denen eigentlich nur jene Institutionen und Prinzipien bestehen können, die sich als ausreichend anpassungsfähig erweisen – doch die christlichen Kirchen genießen immer noch Privilegien, die andere niemals mehr erreichen können. Tanzverbot und Kino-Zensur wegen eines stillen Feiertages? Ihr könnt mich mal hintenrum heben! Straftanzen sollte man euch lassen, bis Dienstagmorgen um 05:00 und dann ab zur Arbeit. Rohe Ostern…

Auch als Podcast…