Oft sitze ich vor einem weißen Bildschirm und starre vor mich hin. Die Gedanken fließen immer – nur nicht immer in die gleiche Richtung. Kohärenz bei Denken ist ohne Übung ungefähr so wahrscheinlich wie fliegende Schweine über dem Rhein. Über dem Neckar könnten Sie dir momentan in Mannheim mittels jener Seilbahn begegnen, welche die beiden BUGA-Gelände miteinander verbindet. Ob ich gerade gesagt habe, dass Menschen Schweine sind? Ja, das habe ich! Traut euch doch, mir zu widersprechen… Aber ich war gerade beim blicklosen Starren, welches mich häufig überkommt, wenn ich auf eine Aufgabe blicke, bei der mir weder Start- noch Endpunkt schon klar ist. Ob die geneigten Leser das nun glauben, oder nicht – beim (kreativen) Schreiben weiß der Schreiber oft nicht, wo er ankommen wird; was das Loslegen umso schwieriger macht, denn ohne Ziel vor Augen einen Weg zu finden, ist beim Schreiben mindestens genauso schwierig, wie beim Wandern. Manchmal gibt es eine (mehr oder weniger vage) Vorstellung davon, was ein Text sagen soll, manchmal ist es einfach nur eine Gedankenübung. Die dann auch nicht immer jene Kohärenz erlangt, von der ich eben fabulierte.
Trotzdem ist da eine intrinsische Motivation, es immer wieder zu tun. Ich besitze halt die Chuzpe, mein „Sendungsbewusstsein“ tatsächlich auszuleben. Und ich finde darin eine gewisse Erfüllung, Wortakrobatik zu üben. Die Zunge und die Feder sind wohl die einzigen Instrumente, die durch ständigen Gebrauch schärfer werden. Ich weiß nicht, ob ich mal den Fehler gemacht habe, von beginnender Altersmilde zu sprechen. Meine beste Ehefrau von allen meinte jedenfalls neulich, dass ICH eher zum alten Bruddler, Grantler, Muffler mutieren würde – aber wenn ich Waldorf bin, wo zum Henker ist mein Statler (wer’s nicht kennt => dringend die Muppetshow kucken: die zwei Alten in der Loge!)? Jedenfalls gibt es ein paar Dinge, die mich heute nicht mehr so triggern, wie mit 20 oder 30. Dafür vergeht im Büro oder Lehrsaal so gut wie kein Tag, an dem nicht der Satz „EINMAL mit PROFIS arbeiten…“ über meine Lippen kommt. Oft im Spaß, manchmal leider aber auch mit bitterem Ernst. Ich habe neulich mit Kollegen über das Geben von Feedback gesprochen, und es kursiert ja immer noch die Legende, dass man jedes Feedback mit etwas beginnen soll, was man an den Handlungen des Gegenübers gut gefunden hat. Aber was mache ich denn, wenn das Beste was mir dazu einfällt folgender Satz ist: „Schön dass ihr da seid und atmet…“?
Ich schweife ab. Vielleicht resultiert mein Mitteilungsbedürfnis aus der Wahrnehmung von Defiziten in meinem Umfeld (was den Bruddler erklären würde, der überall nur Amateure zu erkennen vermag). Vielleicht ist es auch einfach nur dieser schöne Traum, dass ich etwas dazu beitragen könnte, Anderen beim Wachsen zu helfen (der Lehrer ist stark in ihm). Oder ich bin halt einer von diesen Typen wie Dieter Nuhr, die ums Verrecken ihre Fresse nicht halten können, selbst wenn es die bessere Wahl gewesen wäre. Würdigte der Letztgenannte sein eigenes altes Credo „Wenn man von irgendwas überhaupt keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten!“, gäb’s diese Sendung nicht mehr. Könnte helfen. Wie man’s auch dreht und wendet, ich komme wieder auf das Staunen zurück. Denn es erstaunt mich immer wieder, dass allem blicklosen Starren zum Trotze Texte entstehen, die schließlich ihren Weg in die Weite des Netzes finden. Diese Texte erzeugen nicht so viel Widerhall, wie ich mir das wünschen würde; dazu sind die meisten Menschen zu sehr mit sich selbst und der Kuratierung ihrer Web-Persona beschäftigt; und meine Texte überdies zu lang, zu wenig gemainstreamlined und manchmal zu verkopft. Aber wie soll man Menschen sonst zum Selberdenken anregen? Ich will ja nicht, dass jemand mit MEINER Meinung vom Platz geht, sondern SELBER anfängt, vernünftige Fragen zu stellen, die über die einfachste und schnellstmöglich verfügbare Antwort hinausgehen. Denn durch das Primat der Adjektive „einfach“ und „schnellstmöglich verfügbar“ sind wir genau dahin gekommen, wo wir als Menschheit heute stehen…
Da haben wir mein „WARUM?“ – ich kann einfach nicht lockerlassen, zu glauben, dass die Menschheit noch nicht vollkommen im Arsch und zum Untergang verdammt ist, weil ich immer wieder erleben darf, wie Menschen über sich hinauswachsen und besser werden. Und ich mich zumindest gelegentlich der Illusion hingeben darf, wenigstens ein kleines bisschen dazu beigetragen zu haben. Mehr braucht es nicht, um mich bei der Stange und motiviert zu halten. Stets auf der Suche nach neuen Ideen, nach jenem Kreativitäts-Motor, der die Welt zusammenhält und voranbringt: dem Staunen! Mal sehen, was mich als nächstes triggert. Ach, da fällt mir ein: heute Nacht ist Walpurgisnacht – mal sehen, ob ihr mit den Hexen in den Mai getanzt sein werdet, wenn wir uns wieder hören/lesen…