Der verwirrte Spielleiter #29 – Gendermix…

Ich schaue mir manchmal Videos von Guy Sclanders an. Er hostet „How to be a great gamemaster“ auf Youtube und vieles von dem, was er sagt, unterschreibe ich einfach. Jetzt bin ich allerdings über ein Video gestolpert, in welchem er darüber spricht, wie man als Mann daran gehen sollte, einen weiblichen Charakter zu spielen. Und dieses (schon etwas ältere) Video finde ich diskussionswürdig. Man muss dazu wissen: vielen Rollenspielern ist sowas unheimlich, weil sie entweder kein Interesse daran haben, sich in die Sichtweise eines anderen Geschlechts zu versetzen, weil es ihnen unnatürlich erscheint, weil es keinen Spaß verspricht, oder weil sie sich unsicher sind, ob sie das glaubwürdig hinkriegen, also ohne vollkommen überzogene Stereotypisierung. Ich selbst spiele übrigens seit vielen Jahren immer wieder weibliche Charaktere, weil mich die Idee des radikalen Perspektiven-Wechsels fasziniert.

Guy stellt dann in diesem Video eine Stereotypen-Taxonomie auf – und wenn ich ehrlich sein soll, schwankt die irgendwo zwischen unnötig und schlecht, weil sie den Umstand aus dem Auge verliert, dass Männer Frauen auch einfach als gleichberechtigte Menschen sehen könnten, so dass die Notwendigkeit des Stereotypisierens entfällt. Mal davon abgesehen: Wer würde denn bitte schön freiwillig eine „Damsel in distress“ spielen wollen? Es fällt mir ehrlich bis heute schwer, das vollkommen überdrehte Spiel von Cate Capshaw in „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ zu ertragen. Und ich weiß nicht, wie oft ich den Streifen schon gesehen habe. Er benannte jedenfalls neben der „DiD“ noch die „Shield Maiden“ (in seinen Augen eine Männerhasserin), einen Mix aus den beiden erstgenannten und die „Mutter“. Dann referiert er noch was über das Mäandern zwischen Stärke und Schwäche. Freunde der Nacht, jemand, der ein so eingeschränktes Frauenbild hat – oder zumindest damals hatte – sollte wirklich niemandem etwas über das Thema erzählen…

Genauso, wie Beziehungen, Liebe und ja, auch Sex im Rollenspiel gelegentlich thematisiert werden – und bei vielen Spielern wie SLs ungute Gefühle hinterlassen, weil die Leute sich mit dem Thema vielleicht schon in der Realität unwohl fühlen – stellt auch das Abweichen des Spielers von seinem eigenen Geschlecht bei der Charaktererschaffung oft eine beinahe unüberwindbare Barriere dar. So schwerwiegend, dass es viele SL gibt, die derlei untersagen. Nun gilt hier Regel N°1: das Spiel muss allen Beteiligten Spaß machen. Wenn einem nun Geschlechtsabweichungen zwischen Char und Spieler, oder die Thematisierung von Liebe und Sex (evtl. inclusive expliziten Beschreibungen) eher Unbehagen oder gar Ärger bereiten, dann gehört es nicht in die Spielrunde. Über sowas sollte man allerdings vorher gesprochen haben. So, wie auch über die anderen wichtigen Konventionen am Spieltisch! Solche Konventionen sind aus meiner Sicht übrigens demokratisch festzulegen.

Ich bin tendenziell bei sowas eher experimentierfreudig und auch bereit, Seiten meiner Persönlichkeit rauszulassen, die im normalen Alltag keinen Platz haben, weil sie stören würden oder schlicht die meisten Menschen nichts angehen. Denn der Rollenspieltisch in meinem Hause ist in aller Regel ein geschützter Raum. Was hier passiert, bleibt hier, außer vielleicht in anonymisierter Form, um hier in meinem Blog Dinge erklären oder reflektieren zu können. Daher nie Klarnamen, Char-Namen oder sonstige Bezüge. Und ja, ich mache, sowohl als SL, wie auch als Spieler Rollenspiel für Erwachsene, wo solche Themen auch mal auf der Tagesordnung stehen. Und ja, ich habe kein Problem damit, wenn Spieler mit Chars anderen Geschlechts spielen, ihre eigenen Grenzen ausloten, bewusst (manchmal auch ironisch überzeichnet) mit Stereotypen experimentieren und alle dabei Spaß haben; genau, weil ich das eben auch tue.

Was mich bei solchen Diskussionen immer wieder irritiert, ist die Bigotterie. „NEIN, an meinem Tisch gibt’s keine Geschlechtsverdreherei, keine Liebelein und keinen Sex. Das ginge zu weit!“. Aber dann wird am laufenden Meter rumgeschlachtet und auch gerne beschrieben, wie weit das Blut wohl spritzt. Erinnert an amerikanisches Kino: Splatter bis zum Abwinken, aber wehe irgendwo ist auch nur ein Nippel in Sicht… Vielleicht wäre es an der Zeit, im Rollenspiel anstatt dauernd über Rassismus und wie man diesen vielleicht aus seinen Publikationen heraus bekommt erst mal über Gleichberechtigung zu reden? Über die Frage, wie viele solcher verdrehter Stereotypen immer noch in den Köpfen von SLs stecken? Denn zweifelsfrei ist Pen’n’Paper – dem Schicksal sei Dank – viel diverser und weiblicher geworden, als es das in meinen Anfänger-Jahren war (zur Info, ich zocke seit 1989). Aber zu echter Gleichberechtigung fehlt immer noch einiges.

Nochmal: man kann als Spieler, wie auch als SL Stereotypen gerne verwenden, wenn man das bewusst tut, es für die Dramaturgie notwendig ist und sich alle am Tisch damit OK fühlen. Es gibt dabei definitiv ein ZUVIEL und das muss jede Runde für sich ausloten. Aber es fühlt sich für mich heutzutage manchmal so an, als wenn die Rassismus-Diskussion auch im Rollenspiel manchmal mit zu viel Dogma und zu wenig Augenmaß von Leuten befeuert wird, die „woke sein“ zu einer Ersatzreligion befördern wollen. Und das killt u.U. das lustvolle Spielen mit Stereotypen, die Grenzüberschreitung durch Char-Persönlichkeiten und damit einen Teil des Spiels der mir wichtig ist. Denn letztlich ist Rollenspiel immer auch das Ausloten der Untiefen des eigenen Selbst. Jeder meiner Chars repräsentiert einen, oder mehrere Teile meines Selbst, die ich im Alltag niemals ausleben könnte, weil es entweder viele Menschen irritieren oder aber justiziable Taten nach sich ziehen würde. Und das möchte ich nicht missen müssen, weil manchen Menschen die Fähigkeit zum Blick über den Tellerrand fehlt. In diesem Sinne – always game on!

Wenn du denkst, du hast’s geschafft…

Es ist einer DIESER Abende. Gestern noch habe ich in vollem Brustton der Überzeugung einem Kollegen, der mich nach meinem Befinden gefragt hatte mit „Gut!“ geantwortet. Ich Depp, ich dämlicher! Jedes Mal, wenn ich so etwas tue, wenn ich es wage, im Krieg um etwas Ruhe mal den Kopf aus dem Graben zu heben – und sei es nur, um mich ein wenig umzusehen – ist tags drauf schon wieder alles anders. Natürlich ist das jetzt wieder wohlfeiles Gebrabbel meinerseits, denn gewiss ist derlei hausgemachter Stress eine Erste-Welt-Sorge, die im Contest um den Preis für das drängendste existenzielle Problem eher auf dem letzten Platz landet. Aber wenn manche Signale aus dem Umfeld gerade zur Kirsche auf der Sahnehaube meiner Schwarzwälder Kirschtorte des Genervt-Seins avancieren, darf man schon mal ein bisschen jammern. Soviel Selbstmitleid muss dann doch mal erlaubt sein…

Wobei man natürlich sagen muss, dass subjektive Last dennoch eine Last ist. In meinem Arbeitsumfeld tun sich gerade Dinge, die mir nicht gefallen und den Verdacht nahe legen, dass manchmal ein flotter Deal doch mehr geschätzt wird, als die kontinuierliche Arbeit an Fortschritt und Konsolidierung. Auf Teufel komm raus wachsen zu wollen, ist jedoch nach meiner Erfahrung ein guter Weg in den Abgrund. Und ein denkbar schlechter Nährboden für echte Qualität. Das zudem auch noch manche Dinge nicht so funktionieren, wie geplant, zehrt zusätzlich an meinen Nerven. Und auch, wenn ich von der Pandemie lange nicht so angestrengt bin, wie manch anderer, steigt doch das vage Gefühl auf, dass es langsam an der Zeit wäre über das „DANACH“ mal offen und ehrlich nachzudenken. Denn nach der Krise ist immer vor der nächsten Krise. Aber da trifft man ja überall nur Dogmatiker, keine Pragmatiker, die mal sachlich drüber reden wollen.

Im Kern ist es wohl so: eigentlich bin ich schon wieder oder immer noch unzufrieden! Es gibt da diese eine Szene in „The Avengers“, wo Captain America zu Bruce Banner sagt, es sei jetzt an der Zeit wütend zu werden – er braucht den Hulk. Und Bruce antwortet ihm ganz gelassen „Wissen Sie, was mein Geheimnis ist? Ich bin immer wütend?“ Wenn ihr nur wüsstet, wie sehr das auch auf mich zutrifft. Doch genau wie Bruce Banner schaffe ich es oft irgendwie, diese Wut zu kanalisieren und in Produktivität umzuwandeln – okay, der Hulk kloppt Sachen und Gegner zu Klump, ich unterrichte Menschen. Ist nicht ganz das Gleiche. Schwamm drüber. Aber manchmal ist meine Wut zu mächtig, um sich kanalisieren zu lassen. Anstatt dann aber irgendwen oder irgendwas kaputt zu machen, werde ich einfach vor Enttäuschung traurig. So ein Abend ist heute.

Auf manche Dinge haben wir keinen Einfluss. Nervtötend ist das für mich vor allem dann, wenn ein kleines bisschen Einfluss auf gewisse Entscheidungen vielleicht geholfen hätte, Ärger zu vermeiden. Aber ab einer gewissen Gehaltsklasse lassen sich die Leute einfach nicht mehr in die Karten kucken. Ich hoffe inständig, dass ich nie so ein Chef werde, oder aber einen Weg finde, doch noch meinen anderen Traum zu leben. Ersteres wäre schon akzeptabel, letzteres wäre schlicht der Hammer. Da ich mir aber eher noch gute 20 Jahre im Brot-Job um die Ohren schlagen muss, werde ich hart daran arbeiten, Leader zu werden und zu bleiben und niemals zum Boss zu mutieren. Wer den Unterschied nicht kennt: ich habe mit der Firma nix am Hut, aber die Grafik ist Bombe.

So, ich bade jetzt weiter in Selbstmitleid und kippe mir noch ’ne Cubata hinter den Mundschutz. Hasta la vista, compadres.

Ist doch Kinderkram!

Auf Zeit Online haben die vor ein paar Wochen einen Umfrageaufruf veröffentlicht, der mich tatsächlich interessiert hat: es ging um die Frage, wie hoch mein inneres Alter wohl sein könnte ? Ich hab natürlich was geschrieben, denn irgendwie interessiert es mich doch ein bisschen, als wie schlimm andere meinen Spieltrieb einschätzen / empfinden 😉 . Bisher haben die noch keine Ergebnisse veröffentlicht und wahrscheinlich sprechen sie mich auch nicht direkt an, denn ein wenig empfinde ich mich schon als stereotypen Vertreter meiner Generation: Familie, Kinder, Job, Verantwortung, Schulden, der übliche Quatsch – alles da. Ich meine, wir sind doch alle „so super-specal snowflakes“, oder? Wir sind alle so besonders und so besonders wichtig und so besonders toll und… ach ich weiß auch nicht, doch alle irgendwie gleich. Wie man’s jetzt auch dreht und wendet, das Bedürfnis, als Unikat gelten zu dürfen bleibt bestehen. Oder wenigstens als Unikum. Ist bis jetzt noch nix draus geworden, aber ich habe ja noch Zeit.

Aber das innere Alter – ja, darüber mache ich mir in letzter Zeit häufig Gedanken. Nicht, weil ich mich neuerdings alt fühlen würde, auch wenn sich meine Schüler gelegentlich alle Mühe geben, dieses Gefühl in mir hervorzurufen. Nö, es ist vielmehr so, dass mein Spieltrieb mal wieder Urständ feiert und ich mich manchmal ein wenig bang frage, ob das eigentlich noch in Ordnung ist, oder ob ich doch mal langsam erwachsen werden sollte. Nun ist Erwachsen sein aber ja ein Prozess, der sich immer mal wieder ändert und eigentlich fühle ich mich wohl. Da ist halt dieses kleine Männlein in meinem Hinterkopf, mein Wissen um die Erwartungen Anderer (im Symbolischen Interaktionismus das „me“), dass gelegentlich kopfschüttelnd über meine Schulter schaut, wenn ich irgendeinen Quatsch anzettele, der so ganz und gar nicht Mitte Vierzig ist. Habe ich übrigens schon erzählt, dass ich seit Heiligabend einen neuen Mitbewohner habe?

Das ist Armin der Ameisenbär – schnuffig, oder?

Man könnte jetzt abwiegeln, indem man die Schuld bei der besten Ehefrau von allen sucht, aber das wäre ungerecht – denn einerseits ist der große Ameisenbär in seiner echten Darreichungsform in der Tat mein Lieblingstier (könnte u. A. daran liegen, dass die Viecher in Gefangenschaft echte Langschläfer sind, üblicherweise gegenüber Menschen ziemlich verträglich und einfach verdammt possierlich). Andererseits bin ich ehrlich genug, zugeben zu können, dass ich, genau wie die Gattin, die einfach nicht an dem Regal vorbei kam, solche Kuschelviecher durchaus mag. Und der hier schaut ja nun auch echt drollig, oder? Der einzige Einwand, welcher mir einfällt ist, dass das unnötiger Konsum war. Aber mal ehrlich, das war der ganze Rest von Weihnachten allüberall unter den deutschen Tannenspitzen höchst wahrscheinlich auch. Wer ohne Schnitzel ist, werfe das erste Schwein… Ich habe mich jedenfalls derbe gefreut. Überdies wird er die meiste Zeit eh von meinen Kindern bespielt. Die mögen ihn nämlich auch ausnehmend gern.

Was sagt das alles über mich aus? Dass ich gelegentlich mehr als nur ein bisschen kindisch bin? Streichen wir einfach mal das gelegentlich, OK. Das die beste Ehefrau von allen, den ganzen Vorsätzen zum Trotze manchmal Konsum-Affekt-inkontinent handelt? Ich denke, schon, kann sie dafür aber nicht verdammen. Sowas hier ist ein lässlicher Spaß. Das ich die Welt gerne bei vielen Gelegenheiten und auf viele unterschiedliche Arten spielerisch erkunde? In jedem Fall! Dass ich deshalb nicht geeignet sein kann, Verantwortung im Job und sonst wo zu übernehmen, weil ich mich wie ein Kind aufführe? Und da ist sie wieder, die Stereotypen-Dogmatismus-Falle! Nur, weil etwas ein wenig aus der Norm fällt, ist es nicht zuverlässig, passt nicht zu dieser oder jener Aufgabe, hat keine Daseinsberechtigung? Das ist im Kern die gleiche Argumentation, mit der Nazis auf Flüchtlinge losgehen, Freunde der Nacht. Und da werde ich wirsch!

Ist nicht so, dass sich schon mal jemand getraut hätte, sowas zu mir zu sagen. Ganz ehrlich, ich möchte das auch keinem empfehlen, denn das könnte u. U. eine durchaus bedrohliche Affekt-Inkontinenz auf meiner Seite hervorrufen. Weil ich nämlich üblicherweise recht zuverlässig meine Aufgaben erledige. Es mag da draußen Menschen geben, die das Anders sehen. Die sind mir aber mittlerweile scheißegal; entweder, weil sie keine Ahnung von den Anforderungen meines Jobs haben, oder aber egoistisch und illoyal waren/sind. Ich mache das, was ich tun muss am Liebsten im Hintergrund, ohne Bohei und Öffentlichkeit. Diese „Seht-her-wie-gut-und-fleißig-ich-bin“-Typen gibt’s schon genug und sie sind mir im besten Falle unsympathisch. In gravierenden Fällen hätte ich einen Ort im Kopf, wo die niemals jemand findet… Und privat, da mache ich einfach mein Ding. Wozu manchmal auch gehört, bewusst und kontrolliert infantil zu regredieren, oder aber meinem Spieltrieb vollen, ungehinderten Auslauf zu geben. Wer damit nicht klarkommt, sollte mal seine Prioritäten überprüfen – und seinen Spießer-Faktor, der dürfte nämlich bei „abnorm verknöchert“ liegen. Schönen Abend noch.

Fresh from Abdsurdistan N°31

Ach es hätte so viel Absurdes gegeben, worüber man in den letzten Wochen hätte schreiben können: amerikanische Patridioten stürmen das Capitol und die meisten Cops schauen einfach nur entgeistert zu. Ein irrlichternder Boris Johnson und sein echt sauber verkackter Brexit. Covidioten, die einfach nicht ihre Fresse halten können. Italienische Politiker, welche Deutschland beschuldigen, alle Impfdosen wegzukaufen. Wer lange genug sucht, findet noch jede Menge anderen Schwachsinn, der in beinahe ironischer Weise den verkorksten Zustand unserer Welt beschreibt. Aber ich bin ganz ehrlich zu euch. Ich habe die Schnauze von der ganzen Negativität voll. Schon seit Wochen übe ich mich in Abstinenz von der Beschimpfung irgendwelcher Social-Media-Pickel am Arsch unserer Welt. Diese blinden, blöden Kognitionsallergiker kommen auch mal eine Weile ohne mich aus. Würde außerdem zu viel Energie kosten.

Ne, ne, ich bin immer noch irritiert davon, dass der zweite Lockdown (oder sollen wir ihn mal lieber die „unentschlossenste Schlacht aller Zeiten“ nennen) mich null juckt! NULL! Ich will nicht verheimlichen, dass es Menschen in meinem Umfeld gibt, die sich deutlich mehr Sorgen machen (müssen). Die beste Ehefrau von allen zum Beispiel. Wir haben nun mal alle unser Bündel zu tragen. Ich glücklicher Schweinehund lebe jedoch den Luxus, in einem wahrhaft krisenfesten Job tätig zu sein. Diese Schule geht nicht in Kurzarbeit. Aber selbst wenn – dann fahre ich halt wieder Sanitätsdroschke. Was Sozialkontakte betrifft: JA, ich würde manche Menschen gerne mal wieder live sehen, ich bin ja nicht aus Eis. Doch der kleine Sozialautist in mir kommt auch mal ganz gut ein paar Wochen solo (oder fast solo) zurecht. Ist alles nur eine Frage des Framings. Und mit Shoppen hatte ich es eh noch nie so wirklich. Ich gehe ganz altmodisch einkaufen. So lebensnotwendige Dinge wie essen und trinken und Toilettenartikel – und ja, auch Klopapier…

Ich schaue mir unsere Kinder mit gewisser Sorge an. Die Große versteht schon ziemlich viel von dem, was da vorgeht, ist aber trotzdem traurig, dass sie kaum ein Sozialleben pflegen kann. Doch irgendwie arrangiert sie sich mit den Gegebenheiten. Die Kleine hingegen prüft im Moment häufig die Grenzen unserer Duldsamkeit, indem sie sich ihre Freiräume schafft – auf Kosten der Anderen. Für sie bedeutet der aktuelle Schullockdown einen weiteren Throwback in ihrer sozialen Entwicklung, von dem ich noch nicht weiß, wie wir den wieder ausgleichen sollen. Und wir sind bestimmt nicht die Einzigen, denen es so geht. Ich bin da mit mir selbst uneins. Ist das, was wir durch diese Maßnahmen gerade zu schützen versuchen all diese individuellen Opfer wirklich wert? WIRKLICH? Die Antwort werde ich wohl erst in ein paar Jahren bekommen und ich bin mir nicht sicher, dass sie mir gefallen wird. Dazu muss ich die Tage noch mal öffentlich meditieren!

Auf Grund des Umstandes dass unser Regierenden nun endlich kapiert haben, dass der Arbeitsplatz sowie der tägliche Weg dorthin im ÖPNV wohl genauso Treiber des Infektions-Geschehens sind, wie Schulen und daher nun Home-Office anmahnen, unterrichte ich im Moment von zu Hause aus. Funktioniert Bombe im Vergleich zu meinen Befürchtungen hinsichtlich der Stabilität und der didaktischen Fragen. Allerdings hätte ich damit auch schon vor zwei bis drei Monaten anfangen können. Oder anders gesagt, es hat ZEHN! WOCHEN! gedauert, bis diese Amateure in Berlin endlich gemerkt hatten, dass diese ganze Salamitaktik (die noch dazu im föderalistischen Klein-Klein von Hinz und Kunz unterlaufen wurde – DANKE FÜR NICHTS, FRAU EISENMANN ) nicht funktioniert. Und dann haben die noch nicht mal den Arsch in der Hose, den Laden richtig zuzumachen. Das ist MEIN Absurdistan!

Ganz ehrlich – ich weiß auch nicht wie lange das noch geht, wie lange das noch gutgeht, welche Folgen das alles für uns und unsere Art zu leben haben wird.; oder, wie lange ich noch so guter Dinge bin. Aber wenigstens habe ich meine politischen Feindbilder wieder erneuern können. Ist ja auch was wert, zu wissen, wem man bei Gelegenheit mal wieder schön eine verbal vor den Latz geben kann. Was meine Lieben, aber auch die ganzen anderen Menschen da draußen angeht: jeder hat wohl sein individuelles Absurdistan, dass ganz langsam, unmerklich, aber unaufhaltsam in eine neue Normalität übergeht. Ob die jedem gefallen wird, steht in den Sternen (auch wenn ich nicht an Astrologie glaube). Es wäre allerdings schön, wenn wir mal anfangen könnten, uns darüber zu verständigen, was wir als Gesellschaft für eine neue Normalität haben wollen. Dass nennt man übrigens Öffentlichkeit und es wird Zeit, dass in der öffentlichen Diskussion, Ratio, Ehrlichkeit, Fakten und Ideen wieder die Oberhand über rasende Emotionen, alternative Wahrheiten, Dogmatismus und Lügen gewinnen. Ich hätte gerade Zeit dafür. Und ihr so…?

New Work N°6 – Zeit vs. Leistung?

Üblicherweise versuche ich, hier bei der Themenauswahl ein wenig Abwechslung zu erzeugen. Wenn man allzu monothematisch oder gar redundant wird, schläfert das die Leser/Zuhörer ein, oder aber es schreckt sie ab. Beides führt irgendwann sicher dazu, dass die eigene Reichweite sinkt und das kann ja niemand mit einem so eitlen Ego, wie ich eines pflege, gut finden können, nicht wahr. Ach, denkt doch einfach was ihr wollt, aber wenn man immer auf den gleichen Knochen rumkaut, macht das irgendwann keinen Spaß mehr; ganz so, als wenn man alle Tage sein Lieblingsgericht serviert bekäme. Kann man sich auch einen Ekel dran fressen…

Manchmal jedoch ergibt sich eine thematische Brücke, die man nicht erwartet hatte. Und Brücken sind halt zum darüber gehen gemacht. Ich hatte am Wochenende noch über das Home-Office und die Flexibilisierung der Arbeit gesprochen. Heute bin ich nun über einen Artikel gestolpert, der das Thema Viertagewoche mal wieder zur Diskussion bringt. Die Autorin fordert radikale Flexibilität. Finde ich gut. Sie rekurriert dabei auf Äußerungen von Sanna Marin, der finnischen Regierungschefin, die man allerdings nicht als offizielle Regierungsagenda verstanden wissen möchte. Ist aber auch gar nicht so wichtig. Die Frage nach einer Flexibilisierung und Verkürzung der Arbeitszeit wird in letzter Zeit immer wieder diskutiert- und passt halt haargenau zu meinem letzten Post. Der Artikel an sich bringt dann auch tatsächlich wenig Neues. Aber die Kommentarspalte…; fast immer finden sich, wie in der Diskussion unter diesem Artikel auch Leute, die dann natürlich der Lohnkürzung das Wort reden.

Es ist so eine Art Naturgesetz, dass die selbsternannten „Leistungsträger“ Anwesenheits- oder Arbeitszeit mit Produktivität in einem proportionales Abhängigkeitsverhältnis denken. Obwohl die blanken Zahlen lange belegen, dass eine solche Aussage in dieser dogmatisch verallgemeinernden Form Bullshit ist. Aber hey, wer lässt sich schon gerne sagen, dass es die 60h/Woche eigentlich gar nicht braucht… Es ist doch so: wir suchen einem Sinn in den Dingen die wir tun. Manche schöpfen diesen Sinn durch eine Zahl, die sich am Ende des Monats auf einem Bankkonto abbildet; und einige von denen wissen sogar, dass diese Zahl absolut keinen realen Wert hat, weil das meiste Geld, dass erzeugt wird, Fiat-Geld ist. Aber auch unfrommer Selbstbetrug als Quelle des selbst gewählten Lebenszweckes ist natürlich zulässig. Wieder andere streben nach einem Höchstmaß an anstrengungsfrei abgreifbarem Hedonismus. Oder sind einfach hoffnungslos verträumte Idealisten. Und irgendwo dazwischen findet man die Realisten, die wissen, dass es ohne Anstrengung nicht geht, die vielleicht sogar etwas von bleibendem Wert schaffen wollen, aber am Schluss trotzdem noch genug Zeit für sich und ihre Lieben übrig haben möchten. So einer bin ich.

Arbeitsproduktivitätsmessungen sind so ein Instrument, dass seit dem Aufkommen des Taylorismus immer bemüht wird, wenn es um die Frage geht, wieviel Arbeit ich als Unternehmer pro Euro von meinen Angestellten zu erwarten habe. Nun sind die Zeiten, in denen Akkordlöhne gezahlt wurden vorbei, weil die Zahl der in der Produktion Tätigen von Jahr zu Jahr sinkt. Wir leben im Zeitalter des Umbruchs von Industrie 3.0 zu Industrie 4.0, was bedeutet, dass die Zahl der Dienstleister und Wissensarbeiter im Vergleich zu den Produzierenden immer weiter steigt. Und damit verändern sich auch – zumindest für jene, die keine rhythmisch wiederkehrenden Dienstleistungen, wie etwa Pflege, Verkauf, Instandhaltung von Infrastruktur etc. erbringen – die Umgebungs-Bedingungen, unter denen die Arbeit erbracht werden muss. Ob ich meine Unterrichtskonzepte Montags Morgens um 08:30 im Büro meines Arbeitgebers schreibe, oder Abends um 20:00 im Home-Office, wenn die Kinder ins Bett gegangen sind und die beste Ehefrau von allen zur Abwechslung mal was anderes auf Netflix schauen möchte als ich, ist doch vollkommen Wumpe, solange das Ergebnis zum Erfüllungszeitraum funktioniert. Oder?

Man könnte jetzt wieder diese alte Work-Life-Balance-Leier anfangen. Darauf habe ich eine Antwort: MEINE Work-Life-Balance ist nicht automatisch EURE Work-Life-Balance; oder umgekehrt. Was für mich funktioniert, was ich als gesund erachte, wie was und wo ich am kreativsten und produktivsten bin, weiß ich selbst besser, als irgendein verschissener Coach, ein dummdreistes Ratgeberbuch – oder mein Chef. Und wenn Chefs clever sind, wissen SIE das auch und gestatten jenen Mitarbeitern, bei denen, auf Grund der Struktur der zu erbringenden Dienstleistung eine Flexibilisierung funktionieren kann, die dazu notwendigen Freiheiten. Ich will kein bedingungsloses Gehalt überweisen bekommen. Ich erbringe Leistung, weil mir mein Job Spaß macht. Aber mit dem Messen ist das so eine Sache. Denn gerade bei Tätigkeiten, die ein gewisses Level an Hirnschmalz, Kreativität und Innovationsfähigkeit erfordern, kann man die Muße manchmal nicht zwingen. Es passiert mir schon gelegentlich, dass ich ein Thema durchdenke und mir der passende Ansatz für den Unterricht erst kurz vor knapp einfällt. Dann wird’s halt auch mal Nacht. So what?

Womit wir wieder beim berühmten Unterschied zwischen Effektivität und Effizienz wären. In meiner Welt versuche ich beide Begriffe zu versöhnen, weil ineffizientes Handeln meinerseits unnötig meine Energie verbrennen würde. Ein zu starkes Streben nach Effektivität kann das befeuern. Doch ich würde es mögen, wenn man die Beurteilung dieser Frage mir selbst überließe und nur meinen Output zur Kenntnis nähme. Phasen der Selbstausbeutung werden bei mir nämlich durch Phasen der Prokrastination und des Müßigganges abgelöst. Solange der Median einen guten Ausgleich zwischen Effektivität und Effizienz mit sich bringt, ist es eine Win-Win-Situation. Und je früher Chefs das begreifen, desto früher können wir alle Feierabend machen. Gute Nacht.

New Work N°5 – …and again Home-Office!

Man sucht Probleme, wenn man keine hat. Das ist auch so eine Erste-Welt-Sache, die ich wirklich nie verstehen werde. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Menschen hierorts einfach keine vernünftigen existenziellen Probleme haben. Wenn so ziemlich das Übelste, was einem passieren kann darin besteht, dass der Kaffee-Vollautomat genau dann entkalkt werden möchte, wenn man Heiligabend nach dem Familienessen vor der Bescherung noch schnell einen Espresso ziehen möchte… tja, dann hat man’s halt geschafft. Denn wenn man sich darüber aufregen kann, ist man irgendwie doch zum wohlstands-verwahrlosten Snob geworden… Zu meiner Verteidigung: die Maschine war neu und ich hatte nicht erwartet, dass man so bald würde entkalken müssen. Das Lesen einer Bedienungsanleitung ist vielleicht doch nicht ganz so überbewertet, wie ich dies manchmal gerne darstelle.

Was hat das jetzt mit New Work zu tun? Zum einen stellt die Geschichte den Bezug zu meinem derzeitigen Hauptarbeitsplatz her, nämlich daheim. Ich verfüge dort über den keinesfalls selbstverständlichen Luxus eines eigenen Raumes, den ich als Home-Office bezeichnen darf. Und dessen Ausstattung ebenso diese Bezeichnung verdient. Wer sich gelegentlich mit meinen Einlassungen in diesem Blog beschäftigt, kann auch schon ahnen, womit ich mich im Moment gerade herumschlage: Distanz-Unterricht. oder besser, jetzt gerade noch dessen Vorbereitung. Technische Lösungen, Content, didaktische Strategien. Kommt so das eine oder andere zusammen.

Mein Schreibtisch sieht nicht immer so clean aus… die Darstellung wurde kuratiert!

Es stört mich eigentlich nicht besonders, wenn meine Lebens- und Arbeitszeit manchmal etwas entgrenzt sind. Wie ich in diesem Post schrieb, ist es mir in einem klassischen Büro-Umfeld manchmal schlicht nicht möglich, die Qualität zu erzielen, die es in meinem Job braucht. Insbesondere, wenn man auf alten Pfaden Neues ausprobieren möchte. Die Distanzlehre ist ja, speziell im allgemeinbildenden Sektor auf Grund der teilweise echt schlechten Infrastruktur und der Überforderung des Lehrpersonals mit den anders gelagerten mediendidaktischen Erwägungen für die Fernlehre durchaus in Verruf geraten. Zu Unrecht wie ich finde; denn viele Kolleginnen und Kollegen aus dem allgemeinbildenden Schulwesen können nichts dafür, wenn man ihnen keine vernünftigen technischen Lösungen und Fortbildungen für Distanzunterricht anbieten kann oder will. Dies ist ein Versäumnis der Bildungspolitik. Wenn ich im Moment gerne mal Kotzen möchte, muss ich mir nur irgendeine Verlautbarung der Kultusministerkonferenz oder unserer Baden-Württembergischen Kultusministerin Susanne Eisenmann anschauen und schon geht’s los.

Wir haben technische Lösungen, die gut funktionieren und laufend nach Bedarf skaliert werden können. Nun machen wir aber auch nur Unterricht für eine Berufsschulklasse und gelten als privater Träger. Da flutscht manches besser. Und dennoch kommt nicht selten ein Gefühl von Altbackenheit auf, wenn der gute alte Präsentismus-Teufel seine Klauen zeigt. Man muss begründen können, warum man von zu Hause arbeiten will / muss / kann (wählen sie hier die zutreffende Antwort) – einfach, weil das schon immer so war. Wer mich kennt, weiß genau welchen Satz ich auf der Welt am meisten hasse: „Das haben wir schon immer so gemacht!“. Meine Standardantwort darauf lautet: „Was 1981 falsch war, ist heute nicht richtiger, weil wir 2021 haben!“. Hm… könnte man auch gut für die damalige Wahl von Ronald Reagan benutzen. Jedenfalls stehe ich auf dem Standpunkt, dass ich nicht 8h einen Bürostuhl wärmen muss, damit jemand sehen kann, dass ich arbeite. Denn wenn ich an so Manche(n) denke, der 8h den Bürostuhl wärmt und dabei ungefähr die Funktion eine Hemdenständers erfüllt; nun ja. Output kann man auch anders messen. In Zeiten von Corona ist es überdies doppelt Käse, wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, am Arbeitsplatz Hygienemaßnahmen zu implementieren – und dann auch konsequent durchzuhalten!

Falls sich jemand fragt, was da oben für Stoff rumhängt – ich kann bei Bedarf für Video-Konferenzen einen neutralen Hintergrund schaffen, der nicht so flimmert, wie diese virtuelle Kacke bei Zoom…

Ich sehe im Moment fast nur Vorteile im Home-Office; besserer Infektionsschutz, bessere IT-Ausstattung (sorry) und für mich bessere Zeiteinteilung, weil auch meine Kids im Moment natürlich gelockdowned daheim hocken und die beste Ehefrau von allen und mich mit ihrer gelegentlichen Home-Schooling-Totalverweigerung an den Rand des Wahnsinns bringen. Weil mein Kollege und ich alle halbwegs modernen Kommunikations-Kanäle bespielen können, um Sach- und Strategiefragen schnell und effizient zu klären, klappt trotzdem alles. Zudem würde man es ziemlich schnell merken, wenn wir unseren Job nicht machten. Spätestens, wenn die ersten Schülerbeschwerden herein kämen, bestünde erhebliche Erklärungsnot. Das wird gewiss nicht der Fall sein, aber es ist manchmal schon erschreckend, wie sehr manche Chefs immer noch am präsidierenden Blick über ihre Knechte hängen… war ’n bisschen polemisch? Ist mir egal. Ich habe mich langsam dran gewöhnt und werde alles mir zu Gebote stehende tun, damit ich meine neue, flexiblere Arbeitssituation behalten darf. Solange die Arbeit gemacht ist, gibt es nämlich keinen Grund, am Präsentismus festzuhalten.

Es gibt ja mittlerweile einige Studien zum Thema Produktivität im Home-Office (hier ein kurzer Google-Überblick); und es scheint ganz so, als wenn das Vorurteil, dass man dadurch Mitarbeiter bekäme, die sich auf Kosten der Firma auf die faule Haut legen im Mittel einfach nicht stimmt. Es hängt natürlich von der Branche und den Möglichkeiten, Arbeitsleistung als Telearbeit zu erbringen ab. Wer etwas anderes behauptet, glaubt auch, dass der Storch die Weihnachtsgeschenke vom Osterhasen austragen lässt. Aber wir brauchen insgesamt mehr Flexibilität. Und damit wären wir beim Bogen zur New Work. Denn im Kern geht es bei New Work um selbstbestimmteres Arbeiten. Dass muss mitnichten bedeuten, dass man macht, was man will; da die allermeisten von uns immer noch abhängige Lohnarbeit erbringen, kann das auch gar nicht funktionieren. Aber mehr Einfluss auf Bedingungen, zu denen unsere Arbeit erbracht wird – das ist keine Utopie mehr. Und wenn Corona diesbezüglich dereinst als Katalysator gedient haben sollte, gäbe es wenigstens ein kleines bisschen Glück in all dem Unglück. In diesem Sinne – schönen Abend. Ich will noch ’n bisschen arbeiten…

Zufriedenheit N°5 – Minimal zufrieden?

First-World-Problems. Das sind jene Sachverhalte, die Leuten ohne echte existenzielle Sorgen Kopfzerbrechen bereiten. Zum Beispiel so ziemlich alles, womit „Influencer“ ihr Geld verdienen. Minimalismus ist auch so eine Sache, die seit ein paar Jahren in den Köpfen der Menschen herumspukt, ohne dass man so genau weiß, woher das kommt. Oder, besser gesagt, man ahnt, dass es eigentlich mal was mit dem Wunsch nach Ressourcensparen und mehr Nachhaltigkeit im Privatbereich zu tun gehabt haben muss. Doch natürlich haben unsere selbsternannten hippen Trendsetter unbedingt eine Lifestyle-Geschichte daraus machen müssen; damit man das besser vermarkten und mit ober-chic aufgemachten Ratgeberbüchern, Blogs, Videos, Coachings, etc. der Konsumgestressten Großstadtelite noch ein paar Euros aus der Tasche leiern kann. Früher brauchte man zum Aufräumen keine Bücher, sondern Müllsäcke…

So wie Minimalismus heute inszeniert und kuratiert wird, ist er nicht mehr, als ein weiterer Stil im Portfolio von „Schöner Wohnen“; und es kann mir niemand glaubwürdig erklären, dass irgendeiner dieser „spontanen“ Schnappschüsse, die man überall auf Insta, FB und was weiß ich nicht noch wo findet, wirklich spontan zu Stande kam. Die meisten brauchen dafür mindestens mehrere Probeaufnahmen; manche ein ganzes Team. Mal eine Frage an Influencer: wie kann man eigentlich ohne Visagist so eine Visage haben…? Sinnentleerte, oberflächliche Heuchelei, so wie jede andere Werbung für nutzlosen Tand – das ist „Der Minimalismus“, wie er momentan propagiert wird! Es geht darum, in Menschen Unzufriedenheit mit dem zu schüren, was sie haben, um sie dazu anzuregen, einen neuen Zustand erreichen zu wollen. Doch anstatt dabei Verzicht zu üben – was ja der Philosophie eines echten Minimalismus entspräche – wird den Leuten ein Image vorgegaukelt, dass erst erkauft werden muss. Paradoxer Blödsinn, oder?

Mit weniger zufrieden sein können – ist das ein erstrebenswertes Ziel? Ich denke schon. Und ich meine damit jetzt nicht unbedingt weniger Arbeit 😉 Es ist aber schon so, dass wir tendenziell viel zu viel materiellen Besitz anhäufen. Gehe ich durch unsere Wohnung (in der neben meiner Frau und mir auch noch unsere zwei Kinder wohnen), überkommt mich nicht selten der Wunsch, säckeweise Kram wegzuwerfen, der überall rumliegt. Und wenn man eine Sache irgendwo rumliegen lässt, entwickelt diese ja nahezu magische Schwerkraft; sie beginnt also andere Gegenstände anzuziehen, die dann – schneller, als man NEIN rufen kann – eine weitere Agglomeration von Wohlstandsschutt im Sichtbereich bilden. Ich habe festgestellt, dass solche Phänomene meiner Zufriedenheit abträglich sind. Verhindern kann ich sie dennoch nicht. Und ich bin mir noch nicht mal sicher, dass ich das könnte, wenn ich alleine dort wohnen würde!

Natürlich führt Derlei gelegentlich zu familiärem Zwist. Wenn man keine existenziellen Sorgen hat, kann man sich halt schon mal mit Nichtigkeiten befassen. So schnell, wie solche Buschfeuer auflodern, sind sie allerdings auch wieder aus; das funktioniert aber nur, wenn man die ganze andere emotionale Brandlast vorher entsorgt/entschärft. Kleiner Ratschlag: immer auf Augenhöhe im Dialog bleiben tut Beziehungen gut. Ein Minimalist bekäme in unserer Behausung allerdings u. U. Schnappatmung. Wenn es jedoch wirklich um die Philosophie und nicht nur die polierte Oberfläche gehen soll, dann ist unsere Hütte ein Ort, an dem ziemlich vieles Zweitverwertet wird, an dem Menschen leben und der eine gewisse Wohnlichkeit allein dadurch entfaltet, dass seine Bewohner mit den Dingen darin auch durch Emotionen verbunden sind. Da kann ein noch so kleiner, zunächst unbedeutend erscheinender Gegenstand plötzlich große Wichtigkeit erlangen. Wehe mir, wenn ich mal sowas in einen Sack packen und entsorgen würde.

Äußerlichkeiten wirken also durchaus profund auf unsere Zufriedenheit. Doch genau hier liegt ein großes Problem: viele Leute verwechseln die Wirkung mit der Ursache. „Ich konsumiere, also bin ich glücklich“ funktioniert nämlich nur sehr begrenzt, weil das „Schnäppchen“ ja nicht wegen seiner Funktion oder seiner materiellen Dienlichkeit gekauft wird, sondern wegen seines Symbolwertes als Statusobjekt oder Belohnung. Aber was erzähle ich hier; das wisst ihr ja alle und habt daher euren Konsum schon eingeschränkt. Kein jährliches IPhone, keine Kurztrips nach London, Barcelona, Lissabon oder sonst wo hin mehr, kein fünftes Spielgadget für’s Wohnzimmer extra, und so weiter und so fort. NICHT WAHR?

„Aber wenn ich nicht mehr einkaufen darf, was macht mich dann glücklich?“ Ach, so hoch will ich gar nicht streben. Zufrieden wäre vollkommen ausreichend. Was es dafür braucht, kann ich hier natürlich nur für mich beantworten. Eines der kostbarsten Güter für mich persönlich ist Zeit. Zeit, mich mit den Menschen zu beschäftigen, die mir am Herzen liegen. Zeit ohne Sachzwang und Deadline jenen Dingen nachzugehen, die mich faszinieren und mir Freude bereiten. Das beinhaltet auch das Lehren. JA, mein Beruf ist zum Teil wirklich Berufung. Dennoch ist es ein Privileg, über seine Zeit weitgehend selbst verfügen zu können. Das ist ein Traum, den ich mir irgendwann noch erfüllen möchte; allerdings ohne, dass meine sozialen Beziehungen dabei unter die Räder kommen. Solange ich diese Zeit irgendwann bekomme, soll’s mir recht sein, wenn die Hütte manchmal aussieht, wie nach einer infantilen Fröhlichkeits-Detonation… Bis es soweit ist, bin ich dann halt trotz maximal mit Tinnef gefülltem Wohnraum ab und an nur minimal zufrieden. C U!

Erwachsen bilden N°28 – Erfahrung ist schlecht?

Um es kurz vorweg zu nehmen: Erfahrungslernen im Beruf und im Privaten haben etwas miteinander zu tun; auch wenn die Zusammenhänge nicht immer gleich offenkundig sind. Nun bin ich gestern über diesen Beitrag „Erfahrung macht ärmer“ von dieser Autorin gestolpert und muss sagen, dass man ein – noch dazu hoch unfundiert daher kommendes -Meinungsstück auch ruhig mal als Solches kennzeichnen könnte. Qualitätsjournalismus geht anders. Wie dem auch sein: die Kernaussage des Artikel ist, das Erfahrung das Individuum des Glaubens an große Veränderungen, tiefe Gefühle und „echte Entscheidungen“ berauben würde. Und dem kann ich nur entgegnen: WAS FÜR EIN BULLSHIT!

Es ist schon merkwürdig, dass mich, der ich doch so gerne von mir behaupte, nur dem ausgewiesenen Alter im Personalausweis nach erwachsen zu sein, ein Artikel über das Älter-Werden triggert. Solcherlei Schreibe gibt’s wie Sand am Meer und das Meiste davon ist – mit Verlaub – nicht die Tastaturabnutzung wert, die bei der Erstellung entstand. Denn zumeist arbeitet man sich wahlweise entweder an der „guten alten Zeit“, an individuellen Verfallserscheinungen oder unverstandenen Kulturphänomenen ab. Hier jedoch ist das anders, denn die Autorin spricht in ihren Äußerungen jedem Menschen oberhalb des Teen, oder gar Twen-Alters die Fähigkeit zu tiefen Emotionen ab. Sicherlich verändern sich sowohl die Wahrnehmung der eigenen Emotionen, als auch die Hormonlage, welche diese beeinflusst. Damit ist das, zumindest teilweise, ein obligater physiologischer Prozess. Es ist in manchen Berufszweigen sogar Teil der Ausbildung, die eigenen Emotionen schon früh besser kontrollieren zu lernen (z. B. bei NotSans, wie ich sie ausbilde). Mitnichten beraubt jedoch diese Ausbildungs-Erfahrung oder die eigene Lebenserfahrung diese Menschen Ihrer Wahrnehmungstiefe. Was sich ändert, sind die Reaktionen auf verschiedene Stimuli.

Hätte sich die Autorin mal mit Daniel Kahnemans Klassiker „Schnelles Denken, langsames Denken“ befasst, wüsste Sie, dass die Ausbildung emotionaler Kompetenzen notwendiger Bestandteil individuell-persönlichen Wachstums ist und würde nicht dogmatisch darauf beharren, dass Teenies und Twens eine bessere Welt erschaffen würden. Denn ihre anderen These, dass mit Erfahrung automatisch der Glaube an die Möglichkeit großer Veränderungen verloren ginge lässt sich – nach einem kurzen Blick auf die Geschichte der Menschheit – kaum aufrecht erhalten. Viele nachhaltige Umwälzungen wurden von Menschen meines Alters bewerkstelligt. Denn zusammen mit der Erfahrung wächst bei gesundem Framing auch die Stress-Resilienz. Individuelle psychopathologische Divergenzen müssen hier, weil es sonst zu unübersichtlich würde, außen vor bleiben. Was nun bleibt, ist durchaus spannende die Frage, was die denn mit „echten Entscheidungen“ meint? Ich würde vermuten, dass sie dabei an das bewusste Hören auf das Bauchgefühl (u. A. als „Schnelles Denken“ bei Kahneman beschrieben) gedacht hat. Nennen wir es doch der Einfachheit halber „Intuition“!

Ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll: würden wir alle Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen, lebten wir in einer noch chaotischeren, noch ungerechteren, noch grausameren Welt, als dies eh schon der Fall ist. Denn erst Erfahrung bringt die Reife mit sich, erkennen zu können, auf welchen Wegen sich dringend notwendige große Veränderungen – wie etwa Mobilitäts- und Energiewende – auch gegen den Willen Vieler durchsetzen lassen. Und man muss einer Tatsache ins Auge sehen, welche die Autorin in ihren Ausführungen konsequent übersehen hat: dass echte, tiefe, reichhaltige Emotionen nicht nur Altruismus und Liebe beinhalten, sondern auch ungebändigten, gierigen Egoismus! Seit Thomas Hobbes Widmung „Homo homini lupus“ für sein Opus „De Cive“ 1642 hat sich daran wenig geändert. Erst die Erfahrung als Teil unserer Sozialisation – privat wie beruflich – gibt uns überhaupt die Fähigkeit, den anderen Menschen keine Wölfe zu sein. Was also von dem Artikel bleibt, ist wohlfeiles „Boomer“-Bashing durch die Hintertür. Keinen Dank dafür; zudem war es nicht elegant genug, um nicht leicht durchschaubar daher zu kommen!

Warum ich diese Kritik in die Reihe „Erwachsen bilden“ integriert habe? Weil ich es für eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Lernen halte, niemals dogmatisch an irgendwas heran zu gehen! Nur indem ich mir einen offenen Geist erhalte, indem ich die Dinge ohne vorgreifende Wertung oder Vorurteil betrachte und analysiere, kann ich wertvolle Erkenntnisse selbst erfahren. Das ist die wahre Natur der Erfahrung; und ob eine wertvolle Erfahrung im ersten Augenblick positiver oder negativer Natur ist, macht keinen Unterschied. Auch im Scheitern kann man wachsen! Das hat die Autorin des von mir kritisierten Artikels offensichtlich noch nicht gelernt. Das die oben von mir geforderte Geisteshaltung bisweilen eine große, beinahe unmögliche Herausforderung darstellt, ist mir schmerzlich bewusst. Aber wenn man es nicht wenigstens versucht, kann man sich auch mit der Autorin gemein machen und braucht von sich nichts Großes mehr zu erwarten, weil man über 20 (oder gar 30) ist. Ich will mehr! Ich weiß allerdings auch, dass man nicht immer auf dem graden, schnellen Weg ans Ziel kommt…

Wahrscheinlich hat sie es gar nicht so böse gemeint, wie ich es gelesen habe, aber wenn man Watzlawick kennt, weiß man, dass sein zweites und drittes Axiom übersetzt bedeuten „Der Empfänger macht die Botschaft!“. In diesem Sinne wünsche ich ein schönes ersten Wochenende 2021.