Der verwirrte Spielleiter N°52 – Das Böse ist los!

Ist schon lustig, dass man im Pen’n’Paper immer davon ausgeht, dass es so etwas wie ein Alignment, oder zu Deutsch eine Gesinnung gibt – und dass eine Gesinnung ein fixes Konstrukt ist, dass sich niemals ändert und das vor allem in einer Population gleich verteilt ist. Alle Orks sind böse – oder? Alle Elfen sind gut – oder? Alle Spielercharaktere müssen guter Gesinnung sein, sonst sind sie keine Helden – oder? Alles, was kein Held ist, ist ein Monster (oder ein böser Gegner) – oder? Warum arbeiten wir im Fantasy-Rollenspiel mit derlei Aussagen? Weil ein nicht unerheblicher Teil im Ausspielen von Konflikten besteht, und Spieler:innen sich gerne darauf verlassen, dass es okay ist, den Gegnern auch mal die Schädel einzuschlagen. Denn in der Realität ist es das nicht; auch wenn ich mir zum hundertsten Mal wünsche, dass das Verbuddeln der Überreste von Idioten, die ihren Führerschein einfach nicht verdient haben straffrei bleiben sollte. Kleinbürgerliche Goßmachtträume sind in der Realität genau das – Träume. Also räumen wir mal kurz mit einigen hartnäckigen Missverständnissen auf.

Das Böse hat am Bild gespielt… 😉

Zunächst muss klar sein, dass der Begriff „böse“ im Kontext Pen’n’Paper nur auf einer rein erzählerischen Ebene funktionieren kann. Das Böse im Rollenspiel hat mit dem Bösen der realen Welt nichts gemein – es mag Erzählfiguren und NSCs geben, die von der realen Welt inspiriert sind, doch in der Secondary World sollten jene Ambivalenz und Ambiguität, welche sich in Echt-Welt-Konflikten finden nur gut dosiert eingesetzt werden, weil die Spieler:innen sonst u.U. nicht das Maß an Eskapismus erleben können, für welches sie eigentlich an den Spieltisch gekommen sind. Wenn jede Situation zu einer moralischen Herausforderung im unüberschaubaren Reich der Grautöne wird, bleibt der Spielspaß auf der Strecke. Das bedeutet NICHT, dass es KEINE moralisch fordernden Situationen geben sollte! Man ist jedoch gut beraten, diesen im Spiel keinen zu großen Raum zu geben. Das wahre Leben ist schon genug voller Uneindeutigkeiten und Dissonanzen, die uns alle erheblich kognitiv fordern.

Wenn das Böse aber als erzählerische Kategorie funktionalisiert wird, muss ebenso klar sein, dass Erzählungen – insbesondere am Pen’n’Paper-Spieltisch – dynamisch sind. Sie entwickeln sich weiter, während wir diese gemeinsam erzählen. Folglich sind auch die Charaktere und NSCs, sowie die Gruppierungen, denen sie angehören dynamisch. Die Welt entwickelt sich als fortlaufender Prozess mal mit, mal ohne Zutun der Charaktere weiter; und lässt damit den Spielern oftmals keine andere Wahl, als ihre Charaktere auch weiter zu entwickeln. Zumindest, wenn die „Rolle“ in Rollenspiel tatsächlich als solche begriffen wird. Wenn Charaktere und Ihre Persönlichkeiten dynamisch veränderliche Konstrukte sind, können sie auch böse sein, böse werden, gut werden oder gut bleiben. Denn bestimmend dafür, ob ein Pen’n’Paper-Char und seine Handlungen als böse oder gut wahrgenommen werden ist lediglich der Grad, in welchem die Ziele dieser anderen virtuellen Person mit denen meines Charakters übereinstimmen. Wir wollen alle das Selbe => alles easy => Char ist gut! Der Spieler und damit sein Char haben konträre Ziele => Feind => Char ist böse! One persons evil is another persons goal!

geklaut bei Matt Colville, ergänzt von mir

Es ist in diesem Zusammenhang evtl. von Vorteil, sich mal über verschiedene moralische Archetypen Gedanken zu machen, die ich in dem obigen Bild in einem semiotischen Rechteck nach Greimas dargestellt habe:

  • HELD: das heldenhafte Prinzip beinhaltet, sich auf jene Art zu verhalten, die wir instinktiv mit Heldentum assoziieren, also die Schwachen zu schützen, Unrecht zu bekämpfen, dem Bösen die Stirn zu bieten, etc. Ein Held zu sein entbindet Spieler:innen allerdings nicht von der Aufgabe, sich eine stimmige Motivation auszudenken, warum DIESER Charakter sich JENER Aufgabe verschreibt (trotzdem findet man hier viele typische Spielercharaktere).
  • BÖSEWICHT: der Widerspruch zum Helden, jenes ungezügelte Prinzip, in welchem sich alles Unrecht bündelt, das wir uns vorzustellen vermögen (dieser Charakter ist ein NSC und gehört den SL). Nachvollziehbare Motive können eine Rolle spielen; oftmals haben wir hier aber einfach jene chaotischen Soziopathen, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen, weil ihnen das Feuer so gut gefällt.
  • ANTI-HELD: hier wird es interessant. Anti-Helden wollen keine Helden sein, werden aber durch die Umstände dazu genötigt, heldenhafte Dinge zu tun, solange diese auch mit ihrer eigenen Agenda vereinbar sind. Der Anti-Held reist mit einer Gruppe, solange seine und deren Ziele halbwegs kongruent sind. Ist dies nicht mehr der Fall, droht die Trennung. (kann ein interessanter Spielercharakter sein, solange mit dem SL sauber festgelegt wird, welche Ziele dieser Charakter eigentlich verfolgt).
  • ANTI-BÖSEWICHT: und der hier möchte kein Bösewicht sein, fühlt sich aber durch die Umstände gezwungen, böse Dinge zu tun, um seine eigenen Ziele erreichen zu können. Solange jedoch seine Ziele auch durch Teilnahme an der Heldenreise erreichbar scheinen, wird er mit einer Gruppe nicht nur kooperieren, sondern diese auch unterstützen, sofern ihn dies seinem eigenen Ziel näher bringt. (das ist der Charakter mit dem Geheimnis, welches mit dem SL abgesprochen wurde und der u. U. in einem kritischen Moment die Gruppe hängen lässt. Das hat dann auch nichts mit Feindschaft zu tun – es ist einfach nur so, dass seine Ziele IMMER wichtiger sind, als die der Gruppe).

Es ist also nichts schlimmes dabei, einen „bösen“ Charakter spielen zu wollen, sofern a) klar ist, dass der Spielspaß für ALLE am Tisch respektiert werden MUSS und b) mit dem SL klare Absprachen über Ziele und deren Erfüllung getroffen wurden oder c) ALLE böse Charaktere spielen und eine gemeinsame Agenda haben. Kann alles funktionieren, braucht nur gute Vorbereitung auf Seiten des SL. Das bis hierher Gesagte zeigt aber auch, dass sich eine Agenda ändern kann, weil das Spiel, die Welt und damit die Charaktere in ihr ändern können. Darüberhinaus können wir das alte „Orks = böse vs. Elfen = gut“-Schema nicht stehen lassen, was aber das Problem aufwirft, das wir uns wieder in der Sphäre der Ambivalenz und Ambiguität bewegen, und nicht einfach jeden Ork umnieten lassen können. Deshalb bedarf es mindestens EINER Fraktion im Spiel, die JEDER hasst und bei der NIEMAND Einspruch erhebt, wen man denen auf die Mupfel haut. Aber auch dafür hat unser semiotisches Rechteck ja bereits eine Lösung parat: den Bösewicht (gerne auch in Mehrzahl). Ob das nun irgendwelche übernatürlichen bösen Monster sind, wie Dämonen, Zombies, Geister, etc. oder eine besonders bösartige Untergruppe einer Spezies, ist vollkommen egal. Für den Spielspaß ist es wichtig, ab und an Vertreter dieser Fraktion auftauchen zu lassen, bei denen klar ist, dass man mit ihnen a) nicht verhandeln kann und sie b) immer böses TUN, weil sie c) immer böse SIND und man ihnen folglich stets mit Gewalt begegnen darf. Wie oft diese zum Einsatz kommen, und wie wüst solche Encounter werden, hängt davon ab, wie Kampf-/Taktiklastig das Spiel insgesamt ist. Aber man braucht so eine Fraktion immer! Denn die Secondary World sollte ein Ort sein, der die Möglichkeit bietet, auch mal die einfach Lösung zu wählen; nicht immer, aber wenigstens ab und an. In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°51 – …so many ways (not) to die!

„Ist das Spiel jetzt vorbei…?“ Um es gleich vorweg zu nehmen: ich kille als SL eher selten Spielercharaktere. Das ist nicht der Fall, weil die Aufgaben und Gegner, denen sich meine Spieler*innen stellen, einfach wären (manchmal sind diese sogar geradezu lächerlich tödich), sondern eher, weil sie a) eigentlich immer mit Reaktionen und Lösungen um die Ecke kommen, die mich (und damit auch meine NSCs) kalt erwischen und sie b) im richtigen Moment verdächtig oft verdammtes Glück haben – oder ich als SL verdammtes Pech. Kann man sehen wie man will. Ich hätte auch behaupten können, dass die Begegnungen, welche in Kämpfe münden, halt gut ausbalanciert wären; aber das stimmt nicht. Die spielmechanischen Regeln in vielen Pen’n’Paper-Systemen suggerieren nämlich lediglich die Vergleichbarkeit von Kampfstärke, magischer Macht, etc. – aber sie stellen eine solche nicht her! Das ist auch gar nicht möglich, weil die Beschreibungen in den Quellenbüchern immer Interpretations-Spielräume lassen, welche sowohl Spieler*innen als auch SL kreativ zum jeweiligen Vorteil aunutzen können. Und da wir als SL ja eigentlich Fans der Spielercharaktere sein sollen, lasse ich auch mal Ideen zu, von denen mir klar ist, dass der Designer es eigentlich nicht so gedacht hatte. Ist besonders einfach, wenn man mit seinem eigenen Regelwerk spielt…

…ja, ja – die alten Geschichten! (c) Monika Merz

Eine schwierige Herausforderung, oder der Kampf mit einem mächtiger Gegner bedeuten ja auch nicht, dass man sofort stirbt, wenn man mal seinen Wurf verkackt. Verpatzte Aktionen können es in der Folge zweifellos schwieriger (und damit auch spannender) machen, das Ziel doch noch zu erreichen, aber sie bedeuten NICHT das Ende des Spiels. Mal davon abgesehen, dass auch ein verblichener Charakter, nicht das Ende des Spiels bedeutet – sondern die Vorfreude auf den nächsten Charakter, den man spielen kann. Oder die Hoffnung auf ein Wunder… das hängt allerdings vom bespielten Setting ab. Und wenn der Charaktertod „heldenhaft“ war, hat man dadurch oft eine Geschichte erlebt, die des Erzählens unter Gleichgesinnten Pen’n’Paper-Nerds wert ist. Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei verpatzten Aktionen. Natürlich stimmt es schon, dass niemand gerne scheitert, aber wenn wir uns typische Heldengeschichten einmal näher anschauen, dann ist ein zwischenzeitliches Scheitern des/der Helden üblicher Bestandteil der Geschichte; und das schon seit der Beschreibung des klassischen Regel-Dramas:

Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. 

Schauen wir nun mit dem Vergrößerungsglas durch die Kampage und die Session hindurch in eine einzelne Szene hinein, wird klar, dass die hier beschriebenen, übergeordneten Prinzipien sich auch auf einzelne Aktionen und die Interpretation der Würfelergebnisse durch den/die SL anwenden lassen. Nehmen wir an, ein Char wird auf einer erhöhten Position (Dach) stehend von einer fliegenden Kreatur angegriffen (Exposition => Komplikation => Angriff vs. Parade / Ausweichen), getroffen (Komplikation => Patzer) und vom Dach gestoßen (Peripetie => vom SL zugewiesene und beschriebene negative Konsequenz); das bedeutet jedoch NICHT automatisch das Erreichen der Katastrophe (Charakter stürzt zu Tode), sondern eröffnet mögliche Aktionen, die der Char ergreifen kann, um einem drohenden Schicksal zu entgehen; und dann vielleicht mit einer Hand an der Regenrinne hängend neue Pläne zu machen (Rückkehr zur Komplikation => Reaktion und/oder Akrobatikprobe). Als Folge eines Patzers im wahrsten Wortsinn in der Luft zu hängen, erzeugt Spannung, Spannung erzeugt Drama und Drama macht Spaß, wohingegen Scheitern auf Grund eines einzelnen Patzers keinen Spaß macht. Man nennt das Failing Forward und mehrere Failstates zwischen SIEG und TOD zu haben, steigert die Spannung anstatt der Frustration, wenn’s mal nicht auf Anhieb so läuft, wie sich der/die Spieler das gedacht haben.

Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon mal sagte, dass die Spieler sich für Ihre Charaktere sehr wohl ein erfolgreiches Überwinden der angetroffenen Hindernisse im Spiel wünschen, aber dass sich der Sieg VERDIENT anfühlen soll; sie wollen ihn nicht geschenkt bekommen. Allerdings ist Encounter-Design im Pen’n’Paper – aus den bereits oben beschriebenen Gründen – ein verdammt schmaler Grat. Einerseits wünschen wir uns alle Spannung, Drama und am Ende ein Erfolgserlebnis. Auf Grund der Unvorhersehbarkeit der Spieler-Handlungen und der Launen der Würfel, die aus klassischem Storytelling zumindest teilweise auch ein Glücksspiel machen, sind aus meiner Sicht solche Werte, wie etwa das Challenge Rating in Pathfinder/Starfinder oder DnD5E aber großer Käse! Es sind solche Sätze in Regelwerken, welche die ILLUSION präziser Steuerbarkeit von Kämpfen erzeugen. Von Hitpoints/Level, festen Fertigkeitszuwächsen pro Level, etcpp. will ich gar nicht erst anfangen. Matt Colville sagte mal (und er hat verdammt Recht), das Encounter-Design nicht aufhört, nur weil eben Initiative gewürfelt wurde. Und trotzdem müssen Encounter nicht ausbalanciert sein. Das Leben in der realen Welt hat auch kein faires Encounter-Design und fühlt sich genau deswegen realistisch an; manchmal sind die Dinge eben, wie die Dinge sind! Auch in der Secondary World sollte es sich also nicht so anfühlen, als wenn Herausforderungen genau an das Können der Chars angepasst wären. Das bricht die Suspension of Disbelief. Sowas kann ich in simulierten Fallszenarien in meinem Lehrsaal machen. Aber bitte nicht am Spieltisch.

Ich denke über diese Aspekte im Moment deshalb nach, weil ich meine Villera-Kampagne in ein klimaktisches Grand Finale manövriert habe – und wir ausgerechnet jetzt, da die letzte Session mit einem derben Cliffhanger geendet hat, mit Terminfindungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Was mir reichlich Zeit gibt, über Encounter-Design nachzudenken; und eine Nachfolge-Kampagne. Ob das meinen Spieler*innen zum Nachteil gereichen könnte, müsst ihr die Betroffenen hinterher fragen. Ich hoffe vor allem, dass wir alle Spaß daran haben werden. Schließlich bin ich als SL auch ein Spieler am Tisch. Wir hören uns. And never forget – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°50 – Session Prep!

Ja verdammich – ’ne Jubiläumsfolge. Ich glaube, keine meiner anderen Artikelserien hat einen solchen Umfang erreicht. Scheint mir wohl doch immer noch wichtig zu sein… 😉 Aber genug des Geplänkels. Ich hatte in Episode N°49 über das Vorbereiten einer kompletten Kampagne gesprochen und dabei evtl. das Missverständnis erzeugt, dass man alle Story Arcs seiner Kampagne schon irgendwie zu Anfang skizziert haben sollte. Zur Erinnerung: Story Arcs liegen eingebettet in die Core Story der Kampagne, die widerum eigebettet ist in den Meta-Plot der Welt. Aber selbst, wenn ich meiner Kampagne beim Design schon ein übergeordnetes Thema gegeben habe, bedeutet das nicht, dass ich ALLE Story Arcs schon kennen kann. Es gibt nämlich mehrere Möglichkeiten an das Kampagnen-Design heranzugehen, über die ich noch nicht gesprochen hatte. Deshalb sind hier zunächst ein paar erste Erwägungen notwendig, die sich später erheblich auf das Vorgehen beim Session Preppen auswirken:

  • Campaign Pitch: Ich habe eine oder mehrere Ideen für die nächste Kampagne (Setting, Thema, Regelwerk), und stelle meinen Spielern diese Ideen kurz vor, damit sie sich über die Charaktere Gedanken machen können, die sie in dem dann schließlich ausgewählten Vorschlag spielen wollen. Mit Blick auf die Charaktererschaffung schauen wir in den nächsten Paragraphen…
  • Predesign – free choice: Ich habe eine Kampagne vorbereitet, die ich leiten werde und sage den Spielern nur an, in was für einer Art von Setting sie sich bewegen werden und erwarte dann gelassen, mit welchen Ideen sie mein Design sprengen werden. Hier gibt es zwei Untervarianten: gemeinsame Charaktererschaffung, damit die Chars in ihren Archetypen und Spezialitäten aufeinander abgestimmt sind. Dieses Vorgehen ist vor allem in taktiklastigen Systemen wie Pathfinder/Starfinder und DnD 5E quasi notwendig, sonst werden auch einfache physische Herausforderungen schnell zu einem Problem. Oder man macht eine individuelle Charakter-Erschaffung one-on-one mit dem SL. Ganz ohne taktische Erwägungen steht man dann auch schon mal mit 3 Spezialisten ohne nennenswerte Kampfkraft da. Allerdings entstehen auf die Art schon beim ersten Aufeinandertreffen oft sehr witzige, denkwürdige und spannende Szenen.
  • Predesign – narrow choice: Klare Ansagen, wie „Ihr müsst alle Zwerge spielen, weil das für das Funktionieren der Kampagne essentiell ist!“. Wahlfreiheit einzuhegen kann sinnvoll sein, wenn ich ein bestimmtes Thema für die Kampagne im Kopf habe.
Oft ist der Weg nicht klar – aber trotzdem das Ziel…

Je nachdem, wie eng oder offen ich das Thema und die daraus resultierenden Modalitäten der Charakter-Erschaffung meiner Kampagne auslege, habe ich mit der individuellen Vorbereitung einer Sitzung mehr oder weniger Arbeit. Ein zweiter Aspekt, der hier zum tragen kommt, ist die Frage, wie viel Backstory mir die Spieler für ihre Chars liefern. Jedem Spieler muss klar sein, dass eine elaborierte Backstory von mehr als einer Seite NICHT GELESEN wird. Dafür habe ich zu viel Anderes um die Ohren – als SL muss ich mich um eine ganze Welt kümmern, auch wenn’s nur eine virtuelle Welt ist. Allerdings liefert eine knapp und prägnant abgefasste Backstory dem SL u.U. Ideen und Storyhooks für individuelle Herausforderungen und Story Arcs. Wenn man das MIR als SL überlässt, kann man sein blaues Wunder erleben… Habe ich nun ein eng gefasstes Kampagnen-Thema und aufeinander (taktisch) abgestimmte Charaktere, muss ich beim Encounter-Design mehr Umsicht walten lassen. Es gibt Spieler, die zwar Action mögen, aber auch in einer gut geplanten Abenteurergruppe taktisch ungeschickt agieren. Habe ich mehrere solcher Spieler am Tisch, sehen meine Encounter anders aus, als wenn ich lauter erfahrene Wargamer am Tisch habe, die eine Ork-Armee in Nullkommanix auseinander nehmen. Besteht die Gruppe aus individuell erstellten Chars, die sich erst aufeinander eingrooven müssen, und deren Spieler mit dem Thema Taktik unterschiedlich effizient umgehen, gilt das Gleiche. In jedem Fall muss mein Encounter-Design sich am Taktik-Level der Gruppe ausrichten. Ich weiß nicht, ob meine Spieler das jetzt gerne hören aber – taktisch geschickt geht oft anders. Was allerdings dem Spaß keinen Abbruch tut.

Man könnte jetzt eventuell annehmen, dass ich immer nur nett zu meinen Spieler bin, und meine Encounter stets vorher ausbalanciere. Fragt sie mal, sie werden euch was Anderes erzählen; denn das tue ich NICHT! Ich weiß allerdings auch, das Encounter-Design nicht aufhört, wenn die Initiative gewürfelt wurde (Danke Matt Colville!). Give or take a few! Antworten die Spieler auf die Herausforderungen mit abgefahrenen Stunts, denken sie nicht nur mit ihrem Charakterblatt, wirkt sich das zu ihrem Vorteil aus. Auch wenn meine Antagonisten natürlich ebenso gewinnen wollen. Aber selbst ein großer Dämon ist nicht allwissend oder auf alle denkbaren Taktiken gefasst. Und wenn die Spieler dabei auch noch „in character“ bleiben, ist große Dramatik garantiert. Und das ist, was wir wollen – Dramatik, im ganz klassischen Sinne der Theatertheorie. Siege wollen verdient sein, manchmal suchen die Helden regelrecht nach Katharsis, manchmal gewinnen die Anderen – und oft sind die Einsätze sehr hoch. Das macht den Reiz des Spiels aus. Nicht nur beim Pokern.

Und was ist Session Prep nun eigentlich? Letztlich die Zergliederung und Anpassung dessen, was ich bei meiner Campaign-Prep vorbereitet habe. Eine Mischung aus Reduktion und Akkomodation. Denn was die Charaktere in Session N°0 – N°3 getan haben, wirkt sich natürlich auf Session N°4 aus, weil meine ursprünglich vorbreiteten Story Arcs von ihnen modifiziert wurden. Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. Essentiell ist, dass ich jede Sitzung im Nachgang und unter Berücksichtigung der Ereignisse der vorangegangenen Sitzung vorbereite. Selbst, wenn ich Cliffhanger gesetzt habe. Darum ist Buchführung so verdammt wichtig. Noch wichtiger ist es allerdings, Pacing und Abfolge der Encounter bzw. herausforderungen flexibel anpassen zu können, wenn die Spieler – mal wieder – einen ganz anderen Weg durch die Ereignisse nehmen, als ich das tun würde. Ich verweise hier einmal mehr auf meine Nexus-Vortex-Methode.

Grau, oh grau ist alle Theorie. Vielleicht mache ich irgendwann doch mal ein Video, wie sowas bei mir aussieht. Problem dabei ist allerdings, dass ich mir dazu dann auch noch ’ne neue Kampagne ausdenken müsste, weil ja meine teilnehmenden Spieler nicht unbedingt sehen sollen, wie die nächste Sitzung aussieht. Mal schauen. In jedem Fall wünsche ich noch einen schönen Tag, und denkt dran – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°49 – Campaign prep…

Zuerst noch mal etwas Nomenklatur; aber keine Sorge, allzu theoretisch wird es nicht. Zoomen wir von groß nach klein. Jede Pen’n’Paper-Kampagne spielt an irgendeinem Ort, der sich in einem größeren Gefüge wiederfindet. Die meisten Regelwerke arbeiten mit einer eigenen Welt, oder mit einer eigenen Version der uns bekannten Welt. Im Bereich Fantasy sind es zumeist jedoch fiktive Kontinente und Länder, wie etwa Mittelerde. Die Welt, auf der meine gegenwärtige Fantasy-Kampagne spielt, heißt Ogaimos. Diese Welt hat eine eigene Geschichte, eigene Kulturen, eine Kosmologie (also Religionen, Mystizismus, Magie, etc.), sprich: alles (und etwas mehr), was wir hier und heute auch haben. Diese Gesamtheit übergeordneter erzählerischer Elemente nennt man Metaplot. Lasst euch davon nicht erschrecken, denn das Meiste davon braucht es am Anfang nicht. Aber mir als SL muss bewusst sein, dass eventuell irgendwann jemand danach fragt. Spätestens, wenn die Chars das Reisen anfangen, oder tiefer in den Metaplot einsteigen, passiert das automatisch. Ich muss davon aber nur soviel vorbereiten (oder lernen, wenn ich eine vorproduzierte Spielumgebung nutze), wie ich für die ersten Storybögen (also Einzelgeschichten innerhalb einer Kampagne) benötige. Storybögen oder Story Arcs sind dabei eingebettet in die Core Story, welche die Teile der Welt erzählt, die für die Chars direkt erlebbar sind.

(c) by Monika Merz

[Ein Beispiel: Die Chars treffen sich in der Stadt Villera, weil einer der Chars auf der Suche nach etwas wichtigem ist, das gestohlen wurde. (=> erster Story Arc der Kampagne!). Bei der Suche danach stolpern sie über eine alte Verschwörung, welche der Stadt vor einiger Zeit einen anderen Herrscher beschert hatte, sowie eine neue Verschwörung und Intrigen, bei denen nun um diese Macht gerungen wird; hieraus entsteht eine Abfolge von einzelnen Story Arcs oder Abenteuern (=> Core Story der Kampagne!). Die Stadt Villera liegt ja aber nicht isoliert im Nirgendwo, sondern auf Ogaimos und hat gemeinsam mit dem Rest der Welt eine Geschichte, beherbergt Völker, Kulturen und Religionen, die miteinander interagieren; und aus dieser Geschichte heraus droht ein dunkler Gott, sich erneut zu erheben, indem er die Fürsten der Stadt, mehr oder weniger subtil, in einen Bürgerkrieg manipuliert (=> Metaplot der Welt/Kampagne!) Womit auch klar wird, was das Movens, bzw. der Motor dieser Geschichte ist: nämlich die Ambitionen, Ziele, Wünsche, Träume der NSCs, die momentan über die Stadt herrschen. Und die alle, welche sich gerade zufällig in der Gegend befinden, mit in ihre Machenschaften hineinziehen. Ich bot den Chars also am Anfang einen McGuffin, um sie für die aufziehende Dunkelheit zu interessieren; aber ab einem bestimmten Punkt haben sie sich selbst dafür entschieden, es ausfechten und die Stadt schützen zu wollen; jede*r einzelne aus ganz individuellen Motiven.]

Faltkarte in meinem Campaign Diary

Ich beginne für die Campaign Prep also in aller Regel mit einer (wie auch immer gearteten) Übersichtskarte des Ortes, an welchem sich die ersten Story Arcs abspielen und notiere mir die (zunächst) nicht ganz so wichtigen NSCs wie Stadtwachen, Ladenbesitzer, Wirte, Schmiede, etc. die der Welt Flair & Fluff geben, wenn man sie namentlich ansprechen kann. Flair & Fluff klingt vielleicht auf den ersten Blick unwichtiger als es tatsächlich ist; denn eine Spielwelt wird im Pen’n’Paper erst dann zu einer second World, zu einem glaubhaften Ort, wenn solche Details die „willing suspension of disbelief“ unterstützen. Namen sind wichtig! Wesenszüge sind wichtig! Stimme ist nicht unbedingt wichtig, gibt der Sache aber, wenn man das dosiert einsetzt eine gewisse Würze (Hinweis: da wir NICHT allesamt Voice Actors sind, wie etwa das Cast von „Critical Role“, kann so etwas auch leicht ins Lächerliche abgleiten! Bevor man es hier übertreibt, lässt man’s lieber sein!) Aus zunächst unwichtigen NSCs können mit der Zeit durchaus auch wichtige NSCs werden; das schlägt sich dann im Campaign Diary, also den fortlaufenden Aufzeichnungen nieder. Mehr oder weniger gleichzeitig mit der Karte entstehen auch die ersten Key-NSCs, also Nichtspieler-Figuren, welche den Lauf der Geschichte beeinflussen helfen, indem sie entweder die Chars unterstützen, oder zu deren Anatagonisten werden. Bei manchen ist das schon am Anfang klar, bei manchen entsteht die tatsächliche Rolle, die sie zu spielen haben erst im Laufe der Geschichte. Key-NSCs haben immer einen eigenen Stat-Block und eine wenig Hintergrundgeschichte verdient.

NSCs aus dem Campaign Diary

Schließlich brauche ich ja auch noch den Plotbus! Der Plotbus ist für mich ein Synonym für Einstiegspunkte in eine vom SL vorbereitete Geschichte, also den eigentlichen Content, mit dem die Spieler sich später auseinandersetzen müssen/wollen. Hier ein kurzer Hinweis: die bloße Existenz eines Plotbusses ist KEIN Indikator für Railroading, sondern dafür, dass sich der SL vor Beginn des Abenteuers Gedanken darüber gemacht hat, was er seinen Spielern heute zu servieren gedenkt. Der Plotbus kann sich etwa in einem klassischen Questgeber konstituieren, in einer zunächst willkürlich erscheinenden Begegnung, die Fragen aufwirft, oder im Auffinden einer außergewöhnlichen Situation (Tatort o.Ä.). Das WIE ist dabei nur insofern interessant, als es zum WAS hinleiten sollte. Wenn ich möchte, dass die Chars einen Mord untersuchen, dann sollten sie in einer Weise über den Tatort stolpern, die Interesse oder persönliche Betroffenheit erregt. Wenn ein gestohlener Gegenstand wiederbeschaft werden soll, ist es vollkommen OK, einem der Chars direkt diesen Auftrag zu geben. Und wenn man möchte, dass sie eine geheime Schmugglerbasis im Innern einer Insel im Wolkenozean erforschen, dann plaziert man auch mal eine Vision über drohendes Unheil… [Eine persönliche Anmerkung: ob ihr, so wie hier bei mir zu sehen ein analoges Journal nutzt, oder irgendeine digitale Form, ist reine Geschmacksfrage; wichtig ist, dass das Journal regelmäßig gepflegt und mit den wichtigen Infos gefüttert wird. Insbesondere wenn NSCs sich entwickeln, muss dem ausreichend Platz eingeräumt werden, denn diese Art des Kampagnen- und Abenteuer-Designs ist zum allergrößten Teil Charakter-getrieben].

Apropos geheime Schmugglerbasis… 😉

Und damit sind wir mit der Kampagne auch schon soweit, dass man starten kann. Es ist natürlich durchaus clever, mehr Content vorzubereiten, als nur das erste Abenteuer. Aber manchmal muss man seine Spieler erst mal antesten, wie sie mit neuen Gegebenheiten, einer neuen Kampagnenidee, neuen Chars umgehen. Nicht jede Idee, die auf eurem SL-Papier toll aussieht, funktioniert auch für eure Spieler! Was aber einmal als Campaign-Prep niedergeschrieben wurde, bleibt verfügbar. Wenn’s jetzt nicht zündet, kann das in sechs Monaten schon ganz anders aussehen. Prep-Time ist also nie verschwendet. Und – sich selbst mal zu recyceln, ist definitiv nicht verboten! Insofern sind die Campaign Diaries das Herzstück der SL-Arbeit, weil sich dort alsbald alle relevanten Informationen zusammen finden. Eine gute Buchführung erleichtert überdies auch die „Session Prep“ erheblich. Doch damit wollen wir uns nächstes Mal in dieser Serie auseinandersetzen. Einstweilen gilt – always game on!

Auch als Podcast…

Gaming rules!

Leute, die schon in den 90ern Nerds waren, haben einen etwas anderen Blickwinkel auf die heutige Medienlandschaft. Viele Stoffe, viele Sujets, die heute z.B. durch die weitgehende Flixisierung des Produktionsbetriebes zum Mainstream-Gut geworden sind, gab es damals in deutlich geringerer Zahl; und sie fanden zumeist höchstens unter erheblich erschwerten Umständen den Weg auf die Mattscheibe. Ich werde jetzt nicht zu einer Elegie auf die Entweihung MEINES Nerdtums anheben, denn im Grund freut es mich, dass der nicht selten abseitige Humor und die Themen aus dem Reich der Fantasie, welche heute in großer Zahl die Datenbanken der Streamingdienste sowie Spieleentwickler und Regale der Buchläden bevölkern, meinem persönlichen Geschmack deutlich mehr entgegenkommen, als der Tatort oder Rosamunde Pilcher-Verfilmungen – und ich nenne beides mit Absicht in einem Atemzug! Aber, jedes Tierchen hat ja bekanntermaßen sein Pläsierchen, und über Geschmack soll man nicht streiten; es sei denn, man hat sonst keine Hobbies.

Chaotisch schön!

Es erscheint mir jedenfalls bemerkenswert, dass Science-Fiction, Fantasy, Mystery und Horror, oder jede Mischspielart dazwischen heutzutage nicht nur salonfähig, sondern streckenweise sogar ausgesprochen erfolgreich geworden sind. Es wirkt ein bisschen so, als wenn es schon immer mehr Nerds gab, als man anzunehmen gewagt hätte. Oder es ist einfach so ein Generationswechsel-Ding. Letztlich ist die Informations-Verfügbarkeit durch das Internet wesentlich größer geworden, was es mehr Menschen ermöglicht, mit Themen in Berührung zu kommen (und sich bei Interesse auch mit diesen auseinanderzusetzen), als dies VOR den Siegeszügen des Heimcomputers und des Smartphones der Fall gewesen war. Zeitgeist als Spiegel des Kuturschaffens hat sich einmal mehr gewandelt und ein Zeitalter ausgespien, in welchem es „chic“ ist, auch mit Ende 40, Anfang 50 noch Dinge „nice“ finden zu dürfen, die frühere Generationen einfach als Kinderkram abgetan hätten. Ich denke tatsächlich, dass es teilweise dem überall vorherrschenden Jugendwahn zu verdanken ist, dass heute so was wie „Stranger Things“ derart heftig trenden kann.

Aber Jugendwahn, dass sind doch übergut abgehangene, nur im Kopf noch knackige, durch Höhen- oder Mittelmeersonne zur Knusprigkeit veredelte Körper, die sich zwanghaft in Pellen zwängen müssen, die mit viel Wohlwollen an extrem sportlichen 20-Jährigen noch halbwegs tragbar aussehen könnten, ohne die derart aufgetakelte Person vollkommen zu entwürdigen, oder? Untote, an peinlicher Lächerlichkeit kaum zu überbietende Körperwelten-Vorschauen, die den öffentlichen Raum mit ihrer Anwesenheit zum Fremdschäm-Minenfeld degradieren? So was in der Art? Sagen wir mal so: das sind nur äußere Zeichen von Verleugnung; was ich meine, erkläre ich gleich. Und damit das hier klargestellt ist: das ist kein Alte-Leute-Bashing, oder Gerontophobie; das ist eine Feststellung über einen gewissen Prozentsatz der Menschheit, der auf das Älterwerden als unausweichlichen Bestandteil dieser „entsetzlichen Viertelstunde, durchsetzt mit Augenblicken voller Köstlichkeiten“, als die Oscar Wilde das Leben zu titulieren beliebte einfach nicht klarkommt! Aber wenn man die zu feste schüttelt, damit sie’s merken, fallen ja womöglich Toupets, Implantate und Prothesen ab, also will ich mal nicht so sein! Die wollen ja auch nur spielen, nich…

Zurück zum Nerdstuff. Menschen meiner Generation sind anders sozialisiert worden, als die Alterskohorten davor. Und auch, wenn viele meiner Altersgenossen mit Fantasy, Sci-Fi, dem Tech-Kram und anderem Nerd-Stuff nicht so viel anfangen konnten, wie etwa ich, hatte ihr Geist dennoch ZUMINDEST DIE CHANCE, sich freier zu entwickeln, mehr von der Welt und den vielen Möglichkeiten in ihr wahrzunehmen, als jede Generation davor. Die Ernsthaftigkeit der Welt war für die Bewohner der entwickelten Industrienationen des Westens und für die wenigen Jahrzehnte nach ’45 zurückgefahren. Und jetzt, da wir langsam älter werden, ernten wir mit einem gewissen Glücksgefühl diese Früchte einer Lebensleichtigkeit, die gerade wieder hinter dem Horizont verschwindet. Ich weiß nicht, wie lange diese Phase der Verfügbarkeit von Nerd-Stuff noch anhält und ob es tatsächlich gerecht gegenüber dem Rest der Welt ist, diese so zu genießen. Und wer bin ich, dass ich hierzu Festlegungen treffen könnte? Muss jeder für sich selbst wissen, wie damit umzugehen sei. Doch die Regeln des Spiels, die Gaming Rules ändern sich einmal mehr, so wie sie das immer wieder tun. Wenigstens für den Moment gilt allerdings noch: gaming rules, Spielen ist mächtig, Spielen ist wichtig, und Spielen ist Teil des Sinns von Leben! Zumindst für einen Teil von uns Menschen, zu dem ich – vollkommen unzufälig – auch gehöre! Zocken und der Konsum (ja ihr hört richtig, ich konsumiere) von anderem, nicht selbst hergestelltem Nerd-Stuff sind für mich Teil meines Lebenstiles und essentiell notwendige Zutat, um auf den ganzen Scheiß, der ringsum passiert nicht vollends durchzuknallen! In diesem Sinne wünsche ich euch ein unterhalt- und erholsames Restwochenende. Vielleicht verratet ihr mir ja mal, was euch so erdet…?

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°48 – Lizensiert…?

Es gibt so eine ungeschriebene Konvention, dass sich bestimmte Genres, bzw. bestimmte Settings nur mit den dafür vorgesehenen Regelwerken realisieren ließen. Wir wollen zur Abwechslung mal Vampire? Kein Thema, White Wolf hat da was im Angebot! Wir suchen nach der detailliertest möglichen Fantasy-Spielumgebung? Hey, gab’s da nicht DSA? Cyberpunk ist uns ohne Magie und Metamenschen zu öde? Auf auf, zum Schattenlauf! Das ließe sich jetzt sicher noch eine Weile fortführen, wenn ich Menschen langweilen wollte. Worauf’s hinausläuft ist Folgendes: allzu leicht mache ich im Hobbyumfeld das Ausleben MEINER Phantasie, MEINER Kreativität, MEINER schrägen Träume abhängig von der Verfügbarkeit eines Konsumproduktes. Denn hey, sorry falls ich da Illusionen zerstöre, jene Verlage, die Rollenspiel-Regelwerke herstellen und vertreiben, wollen damit Geld verdienen! Das ist eine Industrie. Und spätestens seit DnD 5E dank der verstärkten Präsenz von Pen’n’Paper in den Mainstream-Medien boomt (siehe etwa ab 2016 „Stranger Things“), läuft das Geschäft wohl ganz gut.

Das führte in den vergangenen 20+ Jahren durch die sogenannte Open-Gaming-License 1.0 (gibt’s seit Edition 3) von Wizzards of the Coast (dem Hersteller von DnD) dazu, dass im Windschatten von DnD andere, artverwandte Regelwerke entstanden sind, welche sich der grundlegenden Spielmechaniken von DnD bedienen, aber eigenständig funktionieren – und für ihre jeweiligen Autoren Geld verdienen dürfen. Gleiches gilt für verschiedene Komplementär-Produkte wie Bücher, Magazine, You-Tube-Kanäle, Patreons und Anderes, bei denen das Geschäftsmodell auf der eben erwähnten OGL 1.0 basiert – die WOTC jetzt vermutlich durch eine neue Version ersetzen wird, die – wenn man den geleakten Dokumenten glauben möchte – faktisch die Arbeit all dieser Fans zu deren Eigentum machen würde. Zumindest wird das gerade befürchtet. Es gibt den einen oder anderen You-Tube-Kanal, dem ich folge, weil ich mich für Rollenspiel nun mal interessiere, und vieles, was in DnD wahr ist auch in anderen Regelwerken gilt; und zwar vollkommen unabhängig von den regelmechnischen Aspekten. Und die könnten nun alle verschwinden…

Wenn ich sage, dass ich das traurig finde, geht es mir natürlich auch um den Umstand, dass man da ein paar Menschen ohne größere Not einfach mal die Lebensgrundlage killt. Vor allem aber führt es einem drastisch vor Augen, dass selbst ein – immer noch – relatives Nischenhobby nicht davor gefeit ist, auf Teufel komm raus monetarisiert werden zu müssen. Dass ist, was ich meinte, als ich eingangs vom sich-abhängig-machen von Konsum-Produkten sprach. Es ergeben sich immer Auswirkungen auf das Tun und Lassen der jeweiligen Fanbase, wenn es zu wirtschaftlich motivierten Verwerfungen im Kosmos eines bestimmten Franchises kommt; und da ist es vollkommen egal, ob sich’s dabei um diese neue, geile Serie auf Flix, Prime oder Plus handelt, oder eben um das favorisierte Pen’n’Paper-Regelwerk.

Vor diesem Hintergrund bin ich dann doch ganz froh, dass ich in den letzten 25 Jahren ein eigenes Regelwerk entwickelt und gepflegt habe, dass mit Costum-Anpassungen an verschiedene Settings und mehreren zeitgleich gespielten Kampagnen zwar nur einem sehr kleinen Personenkreis bekannt ist – dafür aber nix extra kostet, außer Zeit und Ideen. Und das natürlich an den in meinen Runden vorherrschenden Style of Play angepasst ist. Wir probieren immer mal wieder etwas kommerzielles aus und natürlich stehen in meinem Regal auch verschiedene Systeme aus den letzten 30 Jahren, die selbstverständlich hier und da als Inspiration herhalten mussten. Und ich lasse mich auch gerne mal vom Zauber eines anderen Regelwerkes einfagen. Aber zumeist bleibt der Schuster bei seinen Leisten. Und ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass – sollte jemals jemand diese Regeln nutzen wollen – ich diese ohne große Probleme zur Verfügung stellen könnte. Ich vermarkte das nur nicht, da im Homebrew-PDF nicht nur gemeinfreie Artwork drin ist. Da es aber nur zum nicht-gewerblichen Hausgebrauch genutzt wird, entsteht da kein Urheberrechtsbruch.

Wie dem auch sei; ich fände es nice, wenn sich mehr Leute ihrer eigenen Kreativität und Fantasie bemächtigen, anstatt irgendeinem offenkundig hungriger gewordenen Konzern ihre Kohle in den Rachen zu werfen. Man sollte dazu vielleicht noch wissen, dass WOTC Hasbro gehört (ja, genau die, denen z. B auch „Transformers“, „Power Rangers“ und „My little Pony“ gehören – passt ja ganz gut zusammen, oder?). Ich weiß, dass Spielleiten nicht einfach ist. Darum schreibe ich hier ja ein Ratgeberbuch, dass nix kostet. Das eigene Spielleiten wird nämlich besser, wenn man nicht nur vorgefertigte Produkte nutzt, sondern eigene Module, Abenteuer und schließlich Kampagnen entwickelt. Denn was MEIN Tisch braucht, kann irgendein Designer bei WOTC oder irgendeinem anderen Hersteller gar nicht wissen! Vielleicht schreibe ich bis zum Jubiläumspost mal ein kleines How-To-Design. Nachdem ich jetzt mal wieder zwei Runden als SL fortführen konnte, und einige spontane Einfälle hatte, ist die Energie auch wieder da. In jedem Fall wünsche ich euch eine gute Woche. Wir hören uns und bis dahin – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°47 – spielerisch sprechen…

Wir hatten am Wochenende zum ersten Mal seit langen Monaten eine Spielsitzung. Und ich schwöre, es liegt nicht an Spielleiter-Burnout. Ich hatte letzthin schlicht keine Zeit, und kämpfe immer noch, immer wieder, mal mehr, mal weniger mit meiner Depression. Jetzt vor den Feiertagen macht sie sich besonders biestig mit nihilistischen „Ich lasse alles stehen und liegen und verschwinde“-Ausbrüchen bemerkbar. Da hilft eigentlich nur Selbsttherapie. Zocken kommt also gerade recht. Und tatsächlich war es eine gute Sitzung. Die Story kam voran, Fäden wurden entworren und miteinander verflochten; es gab Herausforderungen, Characterplay und meine Villera-Kampagne ist wieder auf Kurs. Kommende Woche geht’s sogar gleich weiter. ALLRIGHT!

GM-shield, dice and my notes, it doesn’t need more, to get good 🙂 !

Mir ist dabei etwas aufgefallen, von dem ich noch nicht so genau weiß, ob ich es ändern muss/möchte, oder ob es eigentlich ganz okay so ist. Ich kenne Spielleiter, insbesondere auf Youtube, die zeitgenössische popkulturelle Anspielungen an Spieltisch hassen, weil es aus ihrer Sicht Immersion zerstört. Ich merke wohl, dass es manchmal sehr schwierig ist, einen konstanten Ton der Erzählung aufrecht zu erhalten. Allerdings ist der Gesamt-Stil an meinem Tisch cinematisch, lakonische Einzeiler und eine nicht geringe Portion (manchmal bösartiger, manchmal beinahe flacher) Humor gehören ebenso dazu, wie solche Zitate. Auf der anderen Seite ziehen sie bei gepfefferter Action auch mit. Nicht jeder Spieler ist halt so ein Nerd mit einer Drama-Datenbank im Hinterkopf und dann sind Vergleiche für die Vorstellungskraft manchmal hilfreich. Dass daraus auch gute Gags und Drama werden können versteht sich dann, wenn die Meta-Ebene mit der In-Play-Ebene interagiert, ohne dass der Plot beschädigt wird. Mit den gleichen Leuten könnte ich allerdings NICHT Call of Cthulu spielen. Das mit dem kosmischen Horror jenseits der Vorstellungskraft und dem harten Drama des unbedingten Verlierens bekämen die einfach nicht hin. Ich bin da auch nicht böse drum. Horror muss man wollen, ein wenig Grusel schaffe ich aber durchaus auch mit dieser Truppe. Es gibt allerdings Momente, in denen ich es gerne etwas weniger wild Off-Topic hätte. Die Dosis macht bekanntermaßen, dass ein Ding ein Gift ist, und manchmal ist es ein wenig zu viel. Was mich dabei besonders betroffen macht – ich kann manchmal selbst meine Klappe nicht halten. Und das ärgert mich dann hinterher umso mehr, als ich dadurch bei manchen Gelegenheiten meine eigenen Pläne für die Session durchkreuzt habe. Ich brauche wohl mal einen „how to hold back“-Workshop, oder sowas.

Ein zweiter Aspekt, der mir im sprachlichen Zusammenhang aufgefallen ist – ich arbeite relativ wenig mit meiner Stimme. Ich meine, ich ändere meine Tonlage, wenn sich der Ton der Sitzung wandelt (…und plötzlich wird es stockdunkel, und du hörst hinter dir einen Kratzen auf dem Boden und eine asthmatische Stimme spricht „Willkommen Kind!“) Manchmal, wenn mir danach ist, gebe ich also einem NSC eine „special voice“, aber oft sprechen meine NSCs einfach nur mit meiner Stimme. Der Stil, in dem sie kommunizieren ändert sich. Straßenvolk schwätzt halt anders als Adlige. Und vielleicht passe ich die Tonlage ein bisschen an. Aber im Großen und Ganzen versuche ich nur, durch die Art der Kommunikation die Persönlichkeit und die Motive der NSCs (wie übrigens auch meiner Chars) heraustreten zu lassen. Ob’s dazu funny voices braucht, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Ich weiß, dass es da draußen Leute gibt, die, weil sie irgendwann mal eine Episode „Critical Role“, „Acquisitions Incorporated“ oder sowas gesehen haben glauben, dass Spieler und SL „the voice“ machen müssten. Das ist Käse. So lange eine Geschichte erzählt wird, die Drama entfaltet, Spaß macht und den Chars die Möglichkeit bietet, diese mit zu gestalten, ist es MIR vollkommen schnuppe, ob irgendjemand mit einer speziellen Stimme spricht, oder halt einfach so, wie er oder sie immer spricht. „…und dann war da der Dude mit dem Dämon und dem Zirkel“ ist für mich vollkommen legitim, solange der Spieler sich in die Geschichte und seinen Char hineindenkt und dabei Spaß hat. Alles andere ist Schauspiel – ich kann und darf zwar vieles lehren, aber „dramatic acting“ gehört gewiss NICHT dazu!

Ich weiß noch nicht, ob ich am Spieltisch in der Zukunft etwas stringenter mit „Störungen“ durch das Off-Topic-Gelaber und allzu viele unnötige Zitate umgehen werde, oder es eben doch weiter durchgehen lasse, weil Pen’n’Paper halt ein soziales Event ist und man sich manchmal über einen längeren Zeitraum nicht gesehen hat. Man wird sehen. Wichtig ist, dass alle am Spieltisch Spaß haben. In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°46 # Der staunende Gamer

Kürzlich von mir getroffene Aussagen zum Thema Staunen, Achtsamkeit und Zweifeln sollte man vermutlich ein wenig mit Vorsicht genießen, wenn es an das Zocken geht. Denn Pen’n’Paper lebt von der „willing suspension of disbelief„, also dem Wunsch, an die „secondary world“ zu glauben. Als Spielleiter ist meine kostbarste Ressource also eine in sich kohärente Spielumgebung, in der sich die Spielercharaktere auf bestimmte Dinge verlassen können. Möglicherweise werden die Naturgesetze der realen Welt regelmäßig gebrochen – denkt etwa an Magie, die hält sich üblicherweise NICHT an die Sätze der Thermodynamik. Innerhalb der secondary world jedoch gelten eigene Gesetzmäßigkeiten, die ich auch als Erfinder derselben und SL nicht einfach brechen kann, ohne dass meine Spieler*innen auf die Barrikaden gehen. Wenn ein Breitschwert (z. B. in meinem System) xW6 + Stärkeeffekt W6 Schaden verursacht, gilt das für alle. Das gleiche Schwert verursacht nicht plötzlich in der Hand eines NSCs wesentlich mehr oder weniger Schaden, als unter Beachtung der Regeln plausibel wäre. Gleiches gilt für alle möglichen kritischen Handlungen, aber auch für das Techlevel, das Magielevel, das Sozialgefüge, etc. dieser Welt. Die Dinge mögen anders sein, als hier bei uns – im wesentlichen sind sie aber auch in „Generic Fantasyland“ erst mal so, wie sie sind; und nicht an einem Tag so, und am nächsten aber anders, weil ich gerade Lust darauf habe. Das gilt natürlich für beide Seiten. Ein Spieler kann auch nicht plötzlich die Welt aus den Fugen heben, weil’s ihm halt einfällt.

Diese Verlässlichkeit lässt aber natürlich mit der Zeit in den Spieler*innen neben einer Vertrautheit mit der secondary world auch gewisse Abstumpfungseffekte entstehen. Die Reizschwelle steigt, weil sich irgendwann so ein „Hab-ich-doch-alles-schon-mal-gesehen“-Gefühl entwickelt. Nicht unbedingt schnell und auch nicht bei allen gleich; aber bei erfahrenen Spieler*innen ist es nach einer gewissen Zeit zu beobachten. Sie fangen dann an, sich nebenher mit Anderem zu beschäftigen, weil das halbe Ohr der üblichen (allzu konventionellen) Geschichte ja so oder so folgen kann. Gefährlich wird’s, wenn der SL bei dem Spiel mitmacht, weil er ja schon so viel Erfahrung hat, dass das nicht schiefgehen kann. Ist mir auch schon passiert. Geht übrigens meistens, auf die eine oder andere Art, schief! Letztlich ist derlei die Folge eines Übersättigungseffektes. In Hollywood-Blockbustern, insbesondere im Marvel-Franchise kann man Ähnliches durch die vollkommene CGI-Überfrachtung der Bilder sehen. Die Kinematographie orientiert sich allzu häufig nicht mehr an den wichtigen Charakteren (das wäre klassisches Center-Framing, wie man’s z.B. in „Mad Max: Fury Road“ sieht) sondern am maximal möglichen Szenen-Bombast. Daraus wurde irgendwann ein Wettlauf um die meisten Effekte und hastigsten Schnitte in einer Film-Sequenz. Wenn ICH Kopfschmerzen haben möchte, trinke ich lieber Glühwein, anstatt mir handwerklich schlecht gemacht Action anzuschauen.

Was folgt nun daraus für den staunenden Pen’n’Paper-Gamer? In aller Kürze: erstmal mehr Konzentration auf die Spieler-Charaktere. Sozusagen mentales Center-Framing. Wenn wir die mentale Kamera beim Rollenspiel nahe beim Char halten wollen, ist das Erste, was zu tun ist, das Spotlight halbwegs gleichmäßig zu verteilen (ohne jedoch jene Spieler*innen zu sehr zu überfordern, die nicht solche Rampensäue sind, wie ich). Das Zweite wäre, die Spieler*innen an ihrer kreativen Ehre zu packen, und sie – zumindest ein bisschen – dazu zu bringen, WIRKLICH zu beschreiben, was ihre Chars tun. Das nötigt sie gleichsam dazu, die Szenerie zu visualisieren und sich damit mehr zu involvieren, als abgelenkt durch ein Smartphone oder irgendwelche Handarbeiten möglich wäre. Denn was ich mir nicht aktiv vorstelle, das KANN mich nicht faszinieren. Drittens müssen wir uns trauen, das allzu Bekannte neu abzumischen. Man kann konventionelle Sequenzen, wie etwa Kämpfe neu re-mixen, indem ich als SL das Terrain nutze, nicht immer die gleichen Gegner bringe (z. B. welche, die in keinem Handbuch kodifiziert sind; großer Vorteil meiner Welt: es gibt KEIN Monster Manual), und mich immer wieder daran erinnere, dass auch die Bösen gerne gewinnen. Aber auch Non-Combat-Encounter gewinnen an semantischer Tiefe und damit imaginativer Kraft, wenn ich nicht immerzu die gleichen abgedroschenen NSC-Sterotype nutze. Das Ungewöhnliche ist ein starker salienter Reiz. Diesen Umstand kognitiver Verarbeitung sollte man nutzen.

Ob man auch nach über 33 Jahren Pen’n’Paper noch staunen kann? Allerdings! Ich habe neulich an mir festgestellt, dass z.B. ich auch Serien und Bücher gut finden kann, bei denen die klassischen Franchise-Fanboys und -Girls in wütendem Chor zu einem „Das-ist-NICHT-Kanon“-Geheule anheben. Scheiß Dogmatiker. Anstatt ein Work of Art einfach in seinem eigenen Kontext sehen und bewerten zu können, sucht man immerzu nach einem Haar in der Suppe; und verbaut sich damit die Chance auf eine eigene Erfahrung. Klassisches psychologisches Framing bei der Arbeit – es kann nicht sein, was nicht sein darf! Nur so am Rande: das ist übrigens auch ein typisches Nazi-Narrativ… In der secondary world bedeutet Staunen, fast noch mehr als in der realen Welt, sich auf etwas einzulassen, dass sich als ganz und gar bekloppt herausstellen kann. Das weiß man aber erst hinterher. Und ich würde eine neue Erfahrung nur in ganz wenigen Fällen als verschwendete Lebenszeit betrachten. Eine dieser Ausnahmen ist „Sin City“. Ich finde diesen Film kinematographisch interessant; aber seine Erzählweise ist ein Storytelling-Desaster erster Güte. Folglich hasse ich diesen Film, den so viele Menschen gefeiert haben, weil Frank Miller seine Graphic Novel eins zu eins auf Zelluloid übertragen wollte; und dabei den „Space between the Frames“ ausgelöscht hat. Er hätte mal besser Scott McClouds „Understanding Comics“ gelesen.

Mit den Augen eines Anfängers zu sehen, ist eigentlich nicht schwer. Ich muss mich dazu „nur“ von dieser zeitgenössischen Erwartungshaltung des größer, weiter, höher, mehr frei machen. Ich persönlich mag kleine aber feine Geschichten mit begrenzter Umgebung und halbwegs klaren Zielen viel lieber, als diese Weltenretter-Scheiße, die man mittlerweile viel zu oft serviert bekommt. Kleiner geht’s nicht? Dann schaut euch noch mal „Mad Max: Fury Road“ an. Einstweilen wünsche ich einen schönen Sonntag. Always game on!

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°45 – Was könnte ich denn…?

Wann immer ich eine meiner wirren Einstiegs-Geschichten zum Besten gebe und die Spieler in der Folge darum ersuche, in den Plotbus einzusteigen, passieren irgendwann vollkommen automatisch spannende Dinge am Spieltisch. Denn es geht bei diesen Geschichten, die wir im Pen’n’Paper gemeinsam erzählen ja um Drama, um Spannung, um Konflikte, um Katharsis und die Lösung von Problemen (manchmal auch die Erlösung von Problemen) – also schlussendlich um Abenteuer, die erlebt werden wollen. In Simon & Garfunkels „Sound of Silence“ heißt es: „People writing songs that voices never shared. And no one dared. Disturb the sound of silence.“ Wir wollen den Sound of Silence brechen, um die Geschichten mit Leben zu füllen. Was allerdings bei allen Beteiligten ein Minimum an Engagement und Kreativität erfordert. Und da wird es dann manchmal haarig.

Auch diese Bild erzählt eine Geschichte vom Leben und Sterben…

Auf der einen Seite steht der Storyteller, der eigentlich nur einen Einstieg erzählen muss, der die Spieler wahrhaft einlädt, sich auf den Rest der Ereignisse einzulassen. Dieses „NUR“ im Satz, war natürlich ein Witz. Jeder, der sich schon mal mit Storytelling befasst hat weiß, dass Anfänge sehr schwierig sind. Meine Aufgabe ist es also, ein Drama aufzuzeigen, dass es wert ist, sich damit zu beschäftigen, und gleichzeitig den Spielern alle Chancen offenzulassen, auf IHRE Art und Weise einzusteigen. Das Spiel soll Spaß machen, was ein „genötigt werden“ durch den Spielleiter eigentlich ausschließt. Nun ja… Den notwendigen Buy-In herzustellen, geht auf verschiedene Arten:

  • Z. B verständigt man sich vorher darauf, welche Art von Abenteuer/Kampagne es denn werden soll. Das kann bedeuten, dass man sich nur auf ein Genre und ein Regelwerk einigt, oder der SL pitcht verschiedene Szenarios und die Spieler wählen aus (machte ich bislang nicht, aber man macht vieles in seinem Leben zum ersten Mal… 😉 )
  • Es wird nur ein Regelwerk vorgegeben und der SL schaut sich an, mit welchen Char-Ideen die Spieler um die Ecke kommen. Ist für mich immer wieder spannend. Ich selbst konnte mich mit diesem „Wir machen die Chars gemeinsam und verteilen die Rollen taktisch!“ nie so richtig anfreunden.
  • Die Spieler liefern einen eigenen Abenteuer-/Kampagnen-Vorschlag und wir starten „on the get-go“ und schauen dann mal gemeinsam, wie sich’s entwickelt. Habe ich bislang sehr selten erlebt, ist aber spannend.

Alle genannten Möglichkeiten überlassen die Wahl der Waffen den Spielern und verlangen von mir tendenziell im weiteren Verlauf eine Menge Justierungsarbeit. Andererseits lasse ich mich auch gerne selbst überraschen, wie es dann läuft. Wie sehr ich Entscheidungs-Möglichkeiten am Anfang einschränke, dass heißt, bei welchen Aspekten die Spieler evtl. auch mal ein NEIN von mir zu hören bekommen, hängt bei den ersten zwei Varianten hauptsächlich davon ab, wie viel Vorbereitungsarbeit ich in schon meine Core-Story und meine Weltentwicklung gesteckt habe. Gehe ich mit einer klaren Vision, was für eine Kampagne das werden soll in die Session 0, werde ich im Zweifel überschäumenden Enthusiasmus für allzu abseitige Ideen dämpfen müssen. Ob’s dann trotzdem gut wird, hängt von vielen Faktoren ab: treffe ich den richtigen Ton für die Geschichte? Konnten die Spieler sich bei der Char-Gestaltung trotzdem austoben? Haben alle Lust auf SO eine Geschichte…?

Auf der anderen Seite finden die Spieler nach und nach Herausforderungen vor, mit denen sie, bzw. ihre Chars irgendwie umgehen müssen. Und dann wird ein höchst traditioneller Aspekt von Pen’n’Paper manchmal zum Problem: das Charakterblatt. Weil Spieler dazu neigen bei der SL-Frage „Was willst du tun?“, erst mal ihr Charakterblatt anzuschauen wie eine Kobra, die sich gerade im Gras aufgerichtet hat; als wenn dort die Lösung für irgendein Rätsel stünde? Oder die Anweisung, wie man einen beliebigen Gegner bezwingt? Wie man mit den gelisteten Fähigkeiten kreativ umgehen kann? Oder wie ein Charakter auf eine gegebene Situation reagiert…? Zuerst möchte ich mit einem Irrtum aufräumen: Das Charakterblatt ist keine Whitelist, so nach dem Motto „Was nicht draufsteht, kannste halt nich!“; sondern eine Beschreibung der besonders gut beherrschten Fertigkeiten! Grundsätzlich kann ein Charakter, der als professioneller Kämpfer ausgelegt ist, mit vielen Waffen umgehen. Mit denen, die auf dem Blatt stehen, halt besonders gut! Aber für sehr viele Fertigkeiten, insbesondere im Fantasy-Genre kann man auf Attribut-Proben oder einen, on the fly festgelegten (dann halt angepassten) Schwellwert ausweichen, wenn die Fertigkeit noch nicht offiziell erlernt wurde. Das gilt auch für Magie, sofern der Char irgendeine Form von Training erhalten hat. Man kann es mit dem Bullshitten natürlich übertreiben, aber hier sind Fingerspitzengefühl und – TADA KREATIVITÄT beider Seiten gefragt. Gleiches gilt, wenn bekannte Fertigkeiten einer Off-label-Use zugeführt werden sollen. Also ich z.B. mit meinem Feuerball eine Stahltür zuschweißen will. So what – let’em roll!

Was nun die Reaktion auf verschiedene (vor allem soziale) Situationen angeht, so verweise ich auf meinen Post zu Motivations- und Interaktionstiefe vom Juni diesen Jahres: nichts von dem, was ich in diesem wirklich verdammt langen Post zum Thema Spielen von Rollen bespreche, steht auf dem Charakterblatt! Vielleicht haben andere Leute, so wie ich, auch kleine Heftchen randvoll mit Notizen, die ihnen das nötige Wissen über den Char vermitteln, den sie jeweils gerade spielen? Vielleicht können sie sich das auch alles merken? Ist einerlei – wichtig ist, dass es für diese Fragen KEINE Antworten auf dem Charakterblatt gibt – N I E M A L S ! Das Charakterblatt ist einfach nur eine Merkhilfe für die vielen regelmechanischen Aspekte des Spiels; weil wir halt manchmal würfeln müssen, ähm wollen… ach ihr wisst schon. Gewöhnt euch also daran, nicht immer auf dieses Papier zu schauen. Und wenn, dann tut es wenigstens nicht erst, wenn der Spielleiter euch anschaut und fragt „Was willst du tun?“; um dann mit schreckerfüllten Augen zurückzufragen „Was könnte ich denn…?“ In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…