Erwachsen bilden N°35 – Flight of the Motivator…

Wer sich ein Weilchen mit Erwachsenenbildung im beruflichen Kontext befasst hat, weiß sehr genau, dass junge Erwachsene sich oftmals nur hinsichtlich der Größe und des Besitzes eines Führerscheins von Kindern unterscheiden. Und dabei spielt das Geschlecht kaum eine Rolle. Sie spielen „Mama-hat gesagt-Papa-hat-gesagt!“, versuchen die Honorar-Dozenten zur Stimmungsmache zu instrumentalisieren, fordern allerlei Mögliches (und auch Unmögliches) ein und jammern rum, dass es ja gar nicht wie in der „richtigen“ Schule wäre; man sähe überhaupt keinen roten Faden. Mit Ihnen dann eine Diskussion über lernfeldorientiert vs. fachzentriert und konstruktivistische Didaktik führen zu wollen, führt ins Nichts – ich hab’s schon mehr als einmal probiert. Das liegt zum einen sicher daran, dass solche Strategien woanders zweifellos funktionieren, und das vermutlich mit gewissem Erfolg; andernfalls würden sie den Scheiß nicht auch mit mir abzuziehen versuchen. Zum anderen sitzen sie der – von Anfang an stest auch von Kollegen und Ausbildern und Chefs befeuerten – Illusion auf, dass die dreijährige Ausbildung ein Wettlauf zum Examen sei.

Ich will ehrlich sein: selbstverständlich ist ein halbwegs gutes Zeugnis und die damit heutzutage sichere Anstellung bei irgendeinem Dienstleister im Gesundheitswesen als Motivation nicht von der Hand zu weisen. Denn schließlich muss jede*r irgendwie seinen/ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Diese, stark am Bild des Homo Oeconomicus orientierte Sicht auf die Funktion des Berufsbildungswesens hat gewiss ihre Berechtigung, wenn man das Bild des meritokratisch organisierten Deutschland aufrecht erhalten möchte. Sie klammert jedoch die tatsächliche Aufgabe aus: nämlich zu erlernen, wie man patientenzentriertes Handeln mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Erfordernissen unserer Zeit in Einklang bringen kann. Und das ist weder für die Lernenden, noch für die Lehrenden eine triviale Aufgabe Denn seien wir ehrlich – als allererstes muss man herausfinden, wie man die zumeist jungen Leute abseits des Paychecks am Ende der Straße motivieren kann, mehr zu sein, als nur eine Funktion, die im bunten Jäckchen mit dem großen, lauten Auto und fancy Gadgets durch die Stadt brennt, um sich selbst cool finden zu können…

Ich klinge ein wenig zynisch? Vielleicht. Doch nicht selten kommt mir die Bezeichnung in den Sinn, die ein alter Kollege von mir in einem anderen Zeitalter gerne mal für manche Vertreter unseres Berufsstandes genutzt hat: „Bauch- und schwanzgesteuerte, profilneurotische, blaulichtgeile Krankenträger“; an dieser Stelle sei erwähnt, dass es damals nur sehr wenige Kolleginnen gab. Allerdings weist sich, dass mittlerweile in diesem Zusammenhang auch Frauen manchmal so daher kommen. Doch selbst, wenn ich unterstelle, dass die allermeisten SuS nicht so eindimensional gestrickt sind, bleibt immer noch die Frage, wie man in ihnen die notwendige intrinsische Motivation erzeugt, den eben beschriebenen Weg zu gehen, und auch im Angesicht wirtschaftlicher Zwänge ein human agierender Healtcare-Professional zu werden, und zu bleiben? Und ich muss zugeben, dass ich immer noch an der Lösung arbeite. Manche Erfahrung sagt mir, dass das evtl. ein zu hoch gestecktes Ziel ist. Andererseits sehe ich schon zu viele Kollegen*innen, die mit a) vollkommen falschen Zielvorstellungen hinsichtlich ihres beruflichen Handelns, b) irritierend schlecht ausdifferenziertem beruflichem Selbstbild und c) viel zu viel Ego an den Job herangehen; nur um dann wenige Jahre später desillusioniert das Berufsfeld zu wechseln. Oder zum zynischen Abziehbild eines Sanis degeneriert ihren Frust an den Menschen abzulassen, die ihnen fortan tagtäglich begegnen müssen.

Es genügt nicht, ihnen Selbstreflexionsaufgaben über Schnittstellen zu geben und ihnen den Begriff der doppelten Handlungslogik vorzubeten; die anderen Beteiligten an der Ausbildung müssten ihnen eine Art des Handelns im Gesundheitswesen vorleben, die leider noch viel zu selten tatsächlich stattfindet. Immerzu stöhnen alle, wenn z.B über Kommunikation, Interaktion, Beratung und ethische Fragen gesprochen wird. Warum? Weil in viel zu vielen Köpfen immer noch dieses Bild des Hero-Action-Sanis (m/w/d) dominiert, dass so verdammt falsch, so verdammt gefährlich, so verdammt inhuman, so verdammt unnötig ist, dass es mir die Galle hochtreibt; weil nämlich immer noch viel zu viele Hero-Action-Sanis mit Egos, groß wie Wolkenkratzer da draußen ihr Unwesen treiben und eine positive Weiterentwicklung des Berufsbildes aktiv verhindern. Und – um mich hier mal selbst zu zitieren – deren Horizont ist zu beschränkt, um die Beschränktheit ihres eigenen Horizonts erkennen zu können. DIE MÜSSEN SICH ÄNDERN!

Denn so lange sie existieren, werden sie durch falsches Beispiel in meinen Azubis ein, für alle Beteiligten schädliches Selbstbild fördern, gegen dass unentwegt im Unterricht anzukämpfen unendlich viel Kraft und Nerven kostet. Wenn’s nach mir ginge, würde man diese Kollegoiden samt und sonders entsorgen. Weil das aber nicht geht, bleibt mir nichts Anderes übrig, als nach den besseren Methoden und Argumenten zu suchen. In einer idealen Welt würde das nicht so lange dauern, aber ich schätze mal, dass wir noch mindestens eine Generation brauchen, bevor unser Berufsbild sich tatsächlich zu dem entwickeln kann, was es sein sollte: der bestmögliche Erstkontakt unserer Patienten mit dem Gesundheitswesen bei Notfällen und Krisen. Wer träumt mit…?

Quotes for a dirty old man…

Ich habe mal wieder in Charles Bukowski reingeblättert. Er war genauso alt wie ich jetzt, als er anfing, mit der Kolumne „Notes of a dirty old man“ einen gewissen literarischen Erfolg zu erzielen. Unkonventionell, gewalttätig, unter die Gürtellinie, manchmal um zwei Ecken denkend – einfach zu konsumieren waren seine Geschichten nie! Mäanderten manchmal in einem Satz durch mehrere Themen. Ich lese ihn als desillusionierten Humanisten. Da fällt mir ein: ist es nicht komisch, dass wir uns selbst immerzu durch anderer Leute Augen bzw. Brille zu sehen versuchen? In sich selbst ruhen, in gewissen Momenten einfach einen Scheiß auf die Meinung Anderer geben, sein Ding machen – das war nie MEIN DING. Ich meine, ehrlich, ich muss mich heute weniger bemühen, Bullshit mit einem Achselzucken und einem „Ja, wenn du meinst…“, welches meine zumindest teilweise wohlwollende Ignoranz zum Ausdruck bringen soll, passiv zur Kenntnis zu nehmen. Je weniger nah der Mensch, desto leichter das Achselzucken. Und dann sind da diese Momente, wo mich vollkommen fremde Leute triggern. Verdammt und zugenäht…

Vermutlich gibt es da diese spezielle Sorte Mensch, die einfach nie zu alt für ein bisschen gediegenen Krawall wird. Ich denke ein Aspekt dabei ist, dass man Überzeugungen hat. Der Unterschied zwischen einer Überzeugung und einem Dogma ist für mich übrigens (Obacht, kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit!), dass eine Überzeugung auf Erkenntnis beruht und ein Dogma auf Emotion. Ein weiterer Unterschied ist, dass eine Überzeugung durch neue, andere Erkenntnisse veränderbar bleibt, wohingegen sich das Dogma immer mehr gegen Fakten imprägniert. Es besteht also mithin ein Unterschied zwischen dem – auch mal vehement-verbalgewaltigen – Vertreten einer fundierten Überzeugung und dem zumeist phrasendreschenden Dogmatisieren. Und ich kann es leider nicht leugenen: Dogmatiker triggern mich immer wieder, weil sie nicht weiter denken können, als bis zum Ende ihres Horizonts. Selbst wenn du die auf den Kalmit stellst, sehen sie anstatt der oberrheinischen Tiefebene nur Bäume…

Ein anderer Aspekt des gediegenen alten Krawallbruders (Krawallschwestern seien mir natürlich auch willkommen!) ist der unruhige Geist. Wenn man sich für zuviel interessiert und seine Aufmerksamkeit zu weit streut, bleibt man manchmal zwangsweise in einem Zustand unbefriedigter Erregung zurück (rein platonisch gesprochen!), weil ein einzelnes Menschenleben viel zu kurz ist, für so viele Interessen. Zumindest, wenn man mit einem Standardintellekt ausgestattet ist. Zudem macht der unruhige Geist einen anfällig für allerlei dummen Kram, wie etwa Depressionen; weil man einfach intensiver empfindet. Ich kann das nicht wirklich erklären, aber es fühlt sich in etwa so an, als wenn man an einem blendend hellen Sommertag ohne Sonnenbrille nach oben schaut. Da ist zu viel Licht! Als wenn man euf einem belebten Platz versucht, einem Vogel zuzuhören. Da sind zu viel Geräusche! Als wenn man versucht, sich auf einen Affekt zu konzentrieren, während ringsum eine Demo tobt. Da sind zuviel (negative) Emotionen. Es ist manchmal einfach von allem zuviel…

Ich habe gelernt damit zu leben. Und meistens funktioniert das OK. Nicht immer, aber wenigstens meistens. Manchmal jedoch ist das Leben wie Bukowski lesen – da ist einfach zuviel Leben im Leben drin. Du kannst dich dem auch nicht entziehen, denn der Zug rollt, die Maschine will gefüttert werden, alle warten darauf, dass du deinen verdammten Job erledigst. Du hast ja nur einen Job – funktionieren, damit alles andere auch funktionieren kann, weil wir alle zusammen funktionieren müssen. Ist das das Leben? Reduziert sein auf eine Funktion? Klingt nicht wirklich nach Freiheit. Ich meine, objektiv betrachtet leben wir in einem der reichsten, freiesten, sichersten, bestorganisierten Länder der Erde. Klar, wir haben auch Probleme: soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, struktureller Rassismus, mangelndes Commitment für den Umweltschutz, Egoismus, Narzissmus, und noch ein paar andere -ismen – ABER, im Mittel geht es uns verdammt viel besser, als einem sehr großen Prozentsatz der Welt. (Wird immer gerne verschwiegen, wie gut Demokratie funktionieren kann, wenn es den Demokratiefeinden gerade in den Kram passt.) Was ist es dann, dass so viele so unglücklich und unzufrieden macht?

Einerseits sicher der eine Problemfaktor, nämlich die Ungleichheit. Unser System bevorteilt Typen wie mich überproportional. Andererseits hat sich so eine existenzielle Angst breit gemacht. Die Individualisierung und Partikularisierung unserer Gesellschaft hat dem Indviduum mehr Verantwortung aufgeladen: „DU musst sehen, dass DU dein Leben alleine auf die Reihe kriegst! Ach und übrigens – ab jetzt musst DU das noch scheller können!“ Der Druck macht die Menschen mürbe. Sich wie Bukowski ’68 mal eben mit einem Bier an die Schreibmaschine setzen, und dem lieben Herrgott zumindest literarisch den Stinkefinger zeigen, kann sich so heute gut wie niemand mehr leisten. Stattdessen müssen wir mehr leisten, um uns überhaupt das Leisten leisten zu können. Tretmühle Turbokapitalismus. Das ist es, was mich (pardon) immer härter fickt! Ich mag meine Arbeit als Schulleiter, als Dozent, als Projektentwickler, als Mentor – aber auch hier ist ein dauernder Druck spürbar, Ergebnisse erzeugen zu müssen. Und die Messbarkeit dessen, was ich tue, ist halt nicht in wirklich Monatsabschlüssen, sondern immer nur über mehrere Jahre hinweg beurteilbar. Für die Leute aus dem fernen Fiskalien (Controller) ist das ein Alptraum! Dabei entwickle ich mich (ungeahnter Weise) immer mehr zum Kaufmann. Dennoch suche ich immer noch beinahe verzweifelt nach einem Weg, den kreativen Träumer in mir mit dem, in die Realität eingebundenen Arbeitstier zu versöhnen. Hätte irgend jemand mal einen Rat für mich…?

Ende Gelände! Kein Bock mehr auf Bullshit!

Warum triggern mich Menschen auf Facebook immer noch gelegentlich? Warum kann ich es nicht einfach bleiben lassen, mit jenen Verbohrten zu diskutieren, deren selbstgefällig-weinerliches Geseiere mich im Grunde genommen nur noch anödet. Und deren Wohl und Wehe mir mittlerweile so weit an meinen Arsch vorbeigeht, dass die ganze gottverdammte Pazifikflotte in Fächerformation durchfahren könnte? Weil ich den einen oder anderen persönlich kenne? Was bedeutet persönlich kennen überhaupt? Ich meine, jetzt mal ganz ehrlich – an manchen Tagen kennt man sich ja nicht mal selbst richtig; aber andere Menschen schon? Die haben doch nicht mal ein Display in der Stirn implantiert, auf dem man sehen könnte, was sie wirklich denken. Damit umzugehen ist alles andere als einfach.

Weil andere Menschen nämlich Ansprüche an mich formulieren. Manche Ansprüche sind relevant und gerechtfertigt. Zum Beispiel, weil ich Kohle dafür bekomme, diese irgendwie zu befriedigen. Andere jedoch sind irrelevant und nervtötend. Weil ich Meinungen anerkennen soll, die es nicht mal wert sind, eine weitere Sekunde darüber nachzudenken: arrogant, dogmatisch, asozial, egoistisch und schlicht dumm. Diskussionen über das Impfen etwa. Ich kriege kein Geld dafür, verschwende im Gegenteil sogar Lebenszeit, weil diese Dösköppe nicht verstehen können – oder verstehen wollen – dass ihr Horizont sogar zu begrenzt ist, um die Grenzen ihres Horizonts erkennen zu können. Bei Wissenschaft gibt’s keine Meinungen! Nur Fakten, die natürlich interpretationsbedürftig sein können. Aber wenn ein paar Hundert, oder gar ein paar Tausend Wissenschaftler eines Fachs zu dem gleichen Ergebnis kommen, nämlich das Impfen gegen Covid-19 sinnvoll ist, weil es Gesundheit erhält und sogar Leben rettet, dann ist alles, was man in der YouTube-Uni oder auf der Google-FH lernen kann, um dieser akkumulierten Fachmeinung zu widersprechen einfach nur Bullshit für die Tonne!

Dann kommen alsbald noch irgendwelche politischen Thesen dazu, man mixt das Ganze mit angeblich verifizierten persönlichen Anekdoten (die keinerlei faktischen Wert besitzen, weil sie nichts beweisen können!) und fängt an, von der Einschränkung des Lebens für die armen Impfverweigerer zu labern; und das ja jetzt eine Zweiklassengesellschaft entstünde, wenn man diesen Aluhüten die Teilnahme am öffentlichen Leben einschränkt. Da kommen dann sogar Vergleiche mit der NS-Zeit. Ich würde vorschlagen, man geht mal nach Belarus und protestiert dort gegen das autokratische Regime von Herrn Lukaschenko. Während die Covid-Maßnahmen-Demonstranten freundlich vom Wasserwerfer der Berliner Polizei berieselt werden, weil sie sich Anordnungen widersetzen und versuchen, Polizisten zu verprügeln, kommen in Belarus Spezialpolizeieinheiten, packen dich, bringen dich in ein Geheimgefängnis und schlagen dich zusammen. Einfach, weil ihnen deine Fresse nicht gefällt und du ein Pappschild hochgehalten hast.

Und während nach ein paar Stunden unerträglicher Personalienfeststellung durch die deutsche Polizei unsere Covidioten dann mit einem „Du, DU, DU!“ auf freien Fuß gesetzt werden, wird der Demonstrant in Belarus gerade zum dritten Mal zusammengeschlagen. Und zu dem Zeitpunkt, da die Covidioten dann nach dem Wochenende zu ihrem Anwalt rennen, findet man in Belarus manchmal irgendwo ein frisches Grab… Oder aber, die Gefangenen tauchen einfach niemals mehr irgendwo auf. Aber in Deutschland haben wir Repressionen? Eingeschränkte Meinungsfreiheit? HALLO, WAHRNEHMUNG? Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft haben wir schon lange. Nennt sich übrigens Kapitalismus. Und das Menschen, die ohne Not jedwede Solidarität mit dem Rest des Landes verweigern, weil sie sich in ihren Grundrechten eingeschränkt glauben dafür Konsequenzen erfahren, ist einfach nur – nun ja – konsequent!

Am schönsten finde ich die, die OHNE JGELICHE ECHTE EXPERTISE meinen, mir erklären zu können, wie Gesundheit(swesen) funktioniert! Herzig! Echt herzig! Da kann ich einfach nur noch sagen: „Walk a few hundred Miles in my shoes. I’ve done it, been there, came back with tons of first-hand-experience. I’ve done real scientific research myself and learned, how to judge the quality of that done by others. And I needn’t take any bullshit from noone any longer!“ Ich hab’s satt. Ich gehe die Tage mal durch meine „Freundesliste“ und sortiere den ganzen Filz aus Wahrheitsverweigerern, Möchtegern-Libertären, Aluhüten (und vermutlich auch dem einen oder anderen, bislang gut getarnten Nazi…) aus, weil viele mich einfach nur noch nerven und negative Energie verbreiten, mit der ich nicht mehr umgehen kann und will. Glaubt doch was ihr wollt – aber erzählt es nicht mir, sondern eurer verschissenen Parkuhr. Tschüss!

Der verwirrte Spielleiter N°36 – Regeln, Regeln, Regeln…

Der Blick in manches Rollenspielbuch kann Anfänger schon ein bisschen entmutigen. Da wird von den Novizen verlangt, sich so einiges anzueignen, damit sie dann überhaupt mal mit dem Spielen anfangen können. Denn natürlich braucht jedes Spiel Regeln, damit eine gewisse Art von Vergleichbarkeit entsteht. Ich als SL brauche diese Vergleichbarkeit, damit ich weiß, ob – im jeweils gegebenen Setting – überhaupt möglich ist, was der Spieler mir gerade als Aktion seines Chars beschrieben hat. Beispiel: generische Fantasywelt, Kampf auf einer hügeligen Heerstraße zwischen der Abenteurergruppe und ein paar Hügelriesen, welche den Handelskonvoi für fette Beute hielten. Ein Spieler sagt an, dass sein Char zwischen den Beinen des einen Hügelriesen hindurchspringt und versucht von hinten an den Hals zu kommen. Char klein, Riese groß, Char schnell, Riese stark aber langsam, das Gelände lässt es auch zu => Akrobatik-Check mit geringem Abzug. Hätte der Spieler in der gleichen Situation gesagt: „Ich packe den Riesen am Bein und mache mit ihm den Bamm-Bamm“ (für alle, die nicht wissen, was damit gemeint ist => dringend Familie Feuerstein googeln!), hätte ich vermutlich gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat? Es hätte nicht mal eine Chance zum Würfeln gegeben.

Damit die Spieler aber überhaupt wissen, was dieser ominöse „Akrobatik-Check“ ist, und wie er durchgeführt wird, müssen sie sich halt zuvor in die Regeln eingefuchst haben. Und dabei lassen wir üblicherweise niemanden im Regen stehen. Nun ist es so, dass diese Regeln sehr detailliert ausgearbeitet sein können (legendär: Rolemaster, auch gerne Rulemaster genannt), oder aber sehr frei und flexibel nutzbar (D&D 5E macht hier gar keinen so schlechten Job). Und wenn ich so darüber nachdenke, möchte ich lieber weniger durchdetaillierte Regelwerke. Natürlich müssen Standardfälle wie „Ich schwinge mein Schwert!“, oder „Ich werfe den Zauber xyz!“, oder „Ich knacke das Schloß!“ (oder das erwähnte „Ich springe zwischen den Beinen…!“) durch die Regeln abgedeckt sein, um eben ein gewisses Level an Vergleichbarkeit zu erzeugen. Ich habe, wenn ich mich recht entsinne, schon dann und wann den Begriff der „Konsistenz“ benutzt. Und die Regeln sollen genau das – Konsistenz herstellen, damit bestimmte Aktionen bei der wiederholten Anwendung ein erwartbares Ergebnis erzielen. Das gilt für Spieler-Chars und NSC gleichermaßen.

Damit bleibt aber eine nicht unbeträchtliche Zahl von Ausnahmefällen übrig, in denen der/die SL entscheiden muss, wie mit irgendwelchen Aktionen umgegangen wird. Wer lange genug Pen’n’Paper gespielt hat weiß, dass die Spieler gerne alle Möglichkeiten austesten, insbesondere die unmöglichen; was regelmäßig dazu führt, dass on the fly eine Lösung gefunden werden muss, die wenigstens halbwegs zu den Regeln passt. Solche SL-Entscheidungen begründen in der Folge sogar manchmal sogenannte Hausregeln; also von der Spielrunde definierte Zusätze zum eigentlichen Regelwerk, die den Flow für diese Runde verbessern. Immer, wenn ich zu oft in mein Regelwerk schauen muss, ärgere ich mich über mich selbst, weil ich nicht besser vorbereitet war, oder weil ich dachte „Na, das wird schon nicht passieren…“. Nach 32 Jahren könnte man mehr erwarten, oder…?

Wichtig bei solchen Ad-Hoc-Entscheidungen ist, dass diese a) konsistent mit dem Rest des Regelwerks sind (wenn ich Classic Heroic Fantasy spiele, sollte ich nicht plötzlich Grim Realism-Maßstäbe anlegen), b) fair sind (alle müssen nicken und sagen „joa, paast…“) und c) kein ewiges Rumgesuche im hinterletzten Quellenbuch benötigen, denn „ad hoc“ bedeutet „für diesen Augenblick gemacht“; was, zumindst in meiner Lesart „Ich bin in 20 Minuten soweit…“ ausschließt! Überhaupt ist jedes Rumgesuche in irgendwelchen Quellenbüchern nervtötend, weil es den Spielfluß lähmt und damit negativ auf Pacing, Suspense und Stimmung wirkt. [Exkurs] Ich muss an dieser Stelle allerdings noch Folgendes anfügen: Meta-Kommentare, Off-Topic-Kommentare, Nebentätigkeiten am Spieltisch, etc. sind ALLESAMT dazu geeignet, sich negativ auf Pacing, Suspense und Stimmung auszuwirken. Ich bin da mittlerweile soweit, dass ich selbst nebenher Anderes mache, wenn ich den Eindruck gewinne, nur als Dienstleister gesehen zu werden. Ich habe keine Ahnung, ob das meinen Spielern*innen schon mal aufgefallen ist. Hiermit ist es offiziell: es nervt mich tierisch, wenn nebenher irgendwelche Dinge passieren, oder Sachen gemacht werden, die nix mit dem Spiel zu tun haben – und dann die Frage kommt „Was war noch mal?“. Es ist legitim, nicht aktiv am Spiel teilzunehmen, wenn man gerade nicht das Limelight hat. Solange man trotzdem die relevanten Aspekte mitbekommt… [Exkurs Ende]

Nicht so sehr an den Regeln zu hängen, gibt sowohl dem/der SL als auch den Spieler*innen Freiheiten, mit dem Setting zu experimentieren, die bei starren Regelwerken u. U. schnell zu einem Bruch der Kontinuität führen könnten. Allerdings geht damit eben auch eine gewisse Verantwortung einher, diese Freiheit sinnvoll zu nutzen. Manche Spieler haben so diese Eigenheit, die Grenzen der Welt austesten zu müssen (ICH bin manchmal so ein Spieler), um bislang noch nicht gedachte Lösungen zu finden. Manchmal schießt man dabei vielleicht über’s Ziel hinaus… Hier noch ein Geständnis: DAS ist der Grund, warum ich zocke. In meinem Kopf (manchmal auch an der Konsole) kann ich soviel kaputt machen, wie ich mag, es kommt dabei trotzdem niemand ernsthaft zu Schaden. Diese Freiheit lasse ich mir nur sehr ungern durch rigide Regelwerke (oder rigide SLs) nehmen. Always game on!

…und ich hoffte, wir wären weiter…

Ich gehe an dem Plakat, um dass es gleich im Folgenden gehen soll mittlerweile seit ein paar Wochen regelmäßig vorbei; und zuerst war es mir gar nicht weiter aufgefallen. Wie man eben so durch das Stadtbild wandert und Vieles überhaupt nicht mehr bewusst wahrnimmt, weil man Advertising-übersättigt von Konsumrausch zu Konsumkater stolpert, und immer wieder an der eigenen Denkfähigkeit zu zweifeln beginnen muss. Wir sind halt doch leicht beeinflussbar. Und genau das hat mich dann doch eines morgens diese Woche gewaltig gehirngefickt; ich glaube, ich hatte eh miese Laune, aber meine Denkschleifen bezüglich dieses Marketing-Machwerks wurden erstaunlich schnell erstaunlich klar: das Ding geht auf so vielen Ebenen überhaupt nicht, dass ich hier mal geschwind einen auf Roland Barthes und seine Mythen des Alltags machen muss…

Zunächst einmal ist die Machart des Plakats sehr konventionell und spielt in erwartbarer Weise mit dem Begriff der Evolution. Das an sich kann witzig sein, mündet hier allerdings in einem lächelnden Anzugträger mit Smartphone, der mutmßlich gerade ein Eigenheim bestellt? Nun ist die Simplifizierung im Marketing genauso wichtig, wie die didaktische Reduktion im Lehrsaal, und das geschickte Spiel mit Zeichen Grundvoraussetzung für das Evozieren von Gefühlen. Denn nur mit den situativ richtigen Gefühlen verkauft man erfolgreich. Und genau deshalb habe ich ein paar Fragen:

  • Warum nimmt man als (gegenwärtig) oberes Ende der Evolutionskette hier ganz naiv einen Anzugträger mit Smartphone an? Wo sind all die guten Facharbeiter*innen, auf deren Rücken der Wohlstand in diesem Land tatsächlich erwirtschaftet wird?
  • Warum ist es ein einsamer Kerl da auf dem Plakat? Leben wir immer noch in diesem 50er-Jahre-Deutschland mit dem Einzelverdiener-Ernährer-Macho als Patriarch? ich hatte echt gedacht, wir wären wenigstens ein bisschen weiter, als vor 60 Jahren…
  • …und dabei habe ich noch nicht mal an die LGBTQ+-Community gedacht!
  • Wo zum Kuckuck sind die Kinder? Da wird was von Familienheimen erzählt, und dann haben die nicht wenigstens auf einer ihrer Werbetafeln eine Familie als evolutionäre Konklusion auf dem Weg zu ihren Immobilien? Das lässt tief blicken in einem der kinderfeindlichsten Länder der Welt – JA, ich meine Deutschland!
  • Und ja – der Typ ist weiß! Also, wie war das jetzt mit Inklusivität?

Ich fasse zusammen: ICH lese das das implizite Statement dieses Plakats ist elitistisch, chauvinistisch, rassistisch, evtl. homophob und kinderfeindlich konnotiert. Was wiederum bedeutet, dass ausgerechnet ICH – als mittelalter, hetero-sexueller, weißer cis-gender-Mann und halbwegs empfindungsfähiges Wesen – diese Darstellung unmöglich finde. Wahrscheinlich denke ich zu viel und zu weit, oder bin mittlerweile einfach doch ein bisschen empfindlicher für solche Themen, als der Durchschnitt – aber muss sowas denn im frühen 21. Jahrhundert noch sein? Ich verstehe ja, dass man an Zielgruppen-Werbung glaubt. Das bedeutete hier im Umkehrschluss allerdings, dass man nicht annähme, das Facharbeiter, Frauen oder Mitglieder anderer ethnischer Gruppen diese Immobilien kaufen würden / könnten? Starker Tobak. Wie gesagt – meine Interpretation erhebt definitiv keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Aber ich hätte schon gerne, dass wir Menschen alles in allem mal etwas mehr über solche Darstellungen nachdenken. In diesem Sinne wünsche ich noch einen schönen Samstag.

Throwback Sunday

Manchmal darf es ein bisschen steiler sein…

Ich. Kann. Nicht. Gut. Klettern. Zum einen leide ich unter dezenter Höhenangst, und zum anderen bin ich alles andere als topfit – jedenfalls nicht so, wie der vollkommen gestörte Typ, der uns am Aufstieg zum Kalmithaus in vollem Lauf entgegen kam. Hüften, Knie und Sprunggelenke aus Eisen. Zumindest wirkte es so. Aber wenn es ihm Spaß macht, bitte. Ich bevorzuge die etwas langsamere Herangehensweise des „Wanderns“. So mit Rucksack, festem Schuhwerk und halbwegs angemessener Kleidung. Die Haardt zeigte sich heute jedenfalls mit ca. 25°C bei leichtem Wind und immer noch kräftiger Spätsommersonne diesbezüglich von ihrer besten Seite. Und so sind wir oberhalb von Maikammer durch das Felsenmeer und über die Kalmit gegangen.

Blick vom Parkplatz Hahnenschritt
Lieber mittendrin als nur dabei!

Der Spätsommer im Pfälzerwald hat an seinen besten Tagen (und heute war so einer) viel mit der Toskana gemein – zumindest die Geländeformation, die Straßen, ein bisschen der der Bewuchs, sogar der Geruch sind sich an einigen Stellen ähnlich. Und deshalb hat es sich für mich ein wenig wie ein Holiday-Throwback angefühlt. Es ist nicht das Gleiche – muss es aber auch nicht sein. Es war für mich mehr eine Erinnerung daran, dass das Gute manchmal keine 1000Km weit weg liegen muss. Auch wenn die Großdistanz-Tapetenwechsel trotzdem gut für’s Gemüt sind. Heute hat es aber auch in „nur“ 50Km Entfernung sehr viel Spaß gemacht. Insbesondere unsere Kinder sind über jeden Felsen gegangen, bei dem das möglich war, haben die Stunts der Boulderer bestaunt und mit uns ein paar 100 Höhenmeter gemacht. Es hat für die zwei sicher auch ziemlich lustig ausgesehen, wie ich mich an einer Stelle an einem wirklich simplen Kletterstück versucht habe, weil ich keine Lust mehr hatte, untenrum zu gehen. Ich weise an dieser Stelle noch mal auf den ersten Satz hin…

Da dran kann man klettern… also Andere…

Ich war zwar auch ein bisschen froh, als wir wieder am Parkplatz waren (NICHT topfit), würde aber morgen gleich zur nächsten Tour aufbrechen, wenn nicht die Arbeit riefe. Ich kann dieses seltsame Gefühl, welches sich meiner seit unserer Heimkehr vor zwei Wochen bemächtigt hat nicht recht beschreiben – vielleicht wäre „Zweifel“ für den Anfang ein ganz guter Ansatz, aber ein einzelner Begriff fasst es einfach nicht. Wahrscheinlich muss ich noch ein paar Mal mehr wandern gehen. Theoretisch lüde das Wetter die nächsten Tage dazu ein, aber wie schon bemerkt: meine Arbeit macht sich nicht von selbst. Könnte natürlich auch ein teil des Problems sein. Ich denke darüber nach. Vielleicht hilft auch etwas anderes dabei, wieder Klarheit zu gewinnen. In solchen Momenten, wenn man von der Kalmit aus über die oberrheinische Tiefebene schaut, sind solche Fragen allerdings vollkommen irrelevant. Man schaut, man riecht, man staunt!

Genau deshalb muss man raus! Weil man draußen einfach ein paar der Probleme, Sorgen, Nickligkeiten des Alltags, wenn nicht vergessen, so doch beiseite schieben kann. Lange genug, um ein Dutzendmal tief durchzuatmen und den Kopf einfach mal fliegen zu lassen. Ist zwar schon wieder vorbei – aber die Bilder in meinem Kopf sind trotzdem schön! Ich wünsche euch allen eine gute Woche…

Mit Identität Politik machen – echt jetzt…?

Um es vorweg zu nehmen. Es wäre mir zu anstrengend, und auch vollkommen über das Ziel hinaus geschossen, hier philosophische und soziologische Diskurse der letzten 60 Jahre in EINEM Blogpost abbilden zu wollen. Allerdings scheint es mir angeraten, zumindest zum Nachdenken anzuregen, denn diese Debatten werden auf die eine oder andere Weise auch Einfluss auf die Wahl am 26.09.21 nehmen. Wovon ich rede? Identitätspolitik! Einem Begriff, der in aller Munde ist, und doch von den wenigsten verstanden wird. Da geht es im Kern um die Frage, wie man mit Machdifferentialen in Gesellschaften umgeht, die meist aus der (subjektiven) Unterschiedlichkeit der Mitglieder verschiedener Teilgruppen von einer Mehrheitsgruppe konstruiert werden. Oder vereinfacht gesagt: „Du siehst nicht aus wie ich, du bumst nicht wie ich, du magst nicht den gleichen Fußballclub wie ich, du isst nicht das gleiche wie ich, du glaubst an andere Dinge als ich, etc – als bist du nicht genauso Mensch wie ich!“ Das eine solche Schlussfolgerung Käse ist, muss ich hier und jetzt hoffentlich nicht mehr erklären. Mensch ist Mensch – BASTA!

Wir und unsere Vorgängergenerationen haben – aus den unterschiedlichsten Gründen – solche Unterschiede konstruiert (hier schrieb ich schon mal darüber). Und auch, wenn es vordergründig oft um die Durchsetzung einer Ideologie ging, standen zumeist handfeste wirtschaftliche Interessen im Hintergrund, die den jeweiligen Betreibern der Ideologie ein Voranschreiten auf dem Pfad der Ungerechtigkeit notwendig erscheinen ließen. Bei den Alt-Nazis waren es offiziell die Rassenideologie und die Idee vom „Lebensraum im Osten“; tatsächlich war der NS-Staat pleite und musste auf den – später als 2. Weltkrieg bekannt gewordenen – Raubzug gehen, um die eigenen Großmachtträume irgendwie weiter finanzieren zu können. Wie „gut“ DAS funktioniert hat, enthüllt ein kursorischer Blick in die Geschichtsbücher… Egal ob Großgruppe oder Kleingruppe – die Prozesse der Segregation und Stigmatisierung funktionieren, weil wir Menschen dieses Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit haben. Und natürlich kann man sich diesen Umstand zu nutze machen.

Politische Parteien tun es, Gewerkschaften tun es, Vereine tun es, bürgerliche und wirtschaftliche Interessenverbände tun es, Berufsschulklassen tun es, und Fußballfans tun es sowieso. Und über viele Jahre hat man das mit einem Schulterzucken hingenommen. Nun aber haben Vertreter kleinerer gesellschaftlicher Gruppierungen angefangen, den Spieß umzudrehen und sich selbst eine Lobby zu sein: LGTBQ+People tun es, PoC tun es, religiöse und kulturelle Minderheiten aller Art tun es. Und plötzlich schreien viele Mitglieder des Mainstreams (white, middle-aged, male cis-gender, Normfamilien-Typen wie ich z. B. 😉 ) auf, weil es ja nicht sein kann, dass die plötzlich alle eine Stimme haben, und gesehen und gehört werden, und möglicherweise sogar auch all die Rechte haben sollen, wie die Mainstream-Menschen (Stichwort: Ehe für alle!).

Man mag die schriftliche Darstellung Gendergerechter Sprache manchmal als sperrig, die Lesbarkeit einschränkend oder den Sprachstil einschränkend empfinden. Ich habe damit gelegentlich auch meine Probleme, weil ich mich tatsächlich stilistisch eingeschränkt fühle. Aber das ist einfach nur ein Gefühl. Und ich habe mich auch eingeschränkt gefühlt, als die letzte Rechtschreibreform verkündet wurde (über die hatte man übrigens auch in der Schule schon diskutiert, bevor ich 1993 mein Abitur gemacht habe). Und genau das ist das Problem – die subjektive Wahrnehmung, als Mainstream durch die verbesserte Sichtbarkeit anderer gesellschaftlicher Gruppen entmachtet zu werden, ist genau das – nichts weiter als ein Gefühl. Hier werden Fronten konstruiert, wo keine sind! Denn was genau verliere ich, wenn ich in meiner Sprache alle Menschen inkludiere? Ich sage es euch: NICHTS! Aus „Identität“ ein politisches Schlagwort zu machen, ist genauso hanebüchener Bullshit, wie aus „Heimat“ ein politisches Schlagwort zu machen (an dieser Stelle noch mal ein herzliches: „HALT ENDLICH DEINE DÄMLICHE FRESSE DU BATZI!“ an Horst Seehofer…).

Identität ist ein prozessuales Konstrukt, dass sich im Laufe des Lebens, genau wie übrigens auch Heimat und Kultur immer wieder verändert. Bei manchen Menschen häufiger und heftiger, bei anderen seltener und sanfter. Dass solche Prozesse nun für verschiedene Mitglieder unserer Gesellschaft besser sicht- und hörbar werden, finde ich gut. Aus diesem Umstand unter dem Schlagwort „Identitätspolitik“ reflexartig neue Frontlinien aufmachen zu wollen, um dann zwanghaft von einer weiteren Partikularisierung unserer Gesellschaft schwadronieren zu müssen, halte ich jedoch für schlecht! Unsere Gesellschaft ist bereits individualisiert (um noch mal mit Ulrich Beck zu sprechen). Die nächste große Aufgabe unserer Zeit – neben dem schnellen, umweltverträglichen Umbau unseres Landes – wäre es dann wohl, herauszufinden, was so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur, unterschiedlichsten Glaubens, unterschiedlichster Lebensstile und Überzeugungen als Gemeinschaft zusammenzuhalten vermochte? Dieses ultradämliche, ultrakonservative, nervtötende Identitätsgeschwafel ist es jedenfalls nicht. Schönen Tag noch.

Erwachsen bilden N°34 – Curri-Curra-Curriculum…

Rahmenlehrpläne sind genau das – ein Rahmen für die Lehre. Man kann sich viele Dinge ausdenken und seine eigenen Unterrichte dann dementsprechend vorbereiten. Dafür entsteht ein gewisser Zeitaufwand, der in den Controllern jedoch immer wieder Begehrlichkeiten weckt, weil Arbeitszeit Geld kostet. Die Betriebswirte in gewerblich betriebenen Berufsfachschulen verstehen nicht, warum z. B. ein Gymnasiallehrer normalerweise 26 Unterrichtseinheiten (à 45 Minuten) pro Woche unterrichtet und keine 40 Zeitstunden. Das die sogenannten 26 Deputatsstunden dabei je einer UE Unterricht zuzüglich einer UE Vor- und Nachbereitungszeit entsprechen, weil man diese Zeit einfach häufig braucht, wollen sie nicht hören. 26 Deputate x à 1,5h = 39h. Das ist die übliche Wochenarbeitszeit. Nach dieser Rechnung würde ein Fachlehrer drei Tage die Woche unterrichten und wäre zwei Tage mit Vor- und Nachbereitung beschäftigt. Und eigentlich ist das ein guter Ansatz, insbesondere, wenn neue Thematiken aufbereitet werden müssen. Gehe ich zum 10. Mal in eine neue Klasse für den Basisunterricht im ersten Schulblock, brauche ich selbst nicht mehr so viel Vorbereitung. Ein Rookie vielleicht schon.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Dozent bzw. Fachlehrer diesen Unterricht exakt auf die gleiche Art hält wie ich, oder aber sich darauf einlässt, den von mir vorbereiteten Content zu benutzen, ist gering. Das hat damit zu tun, dass es bei der Vorbereitung nicht nur darum geht, hübsche Präsentationen zu bauen, Handouts vorzubereiten, etc.; sondern eben auch darum, sich selbst noch mal seines eigenen Wissens zu vergewissern, sich auf die Fragen der SuS vorzubereiten, zu WISSEN, wovon zum Teufel man gerade spricht. Ein Comedian kann auch nicht mit Programmteilen anderer Comedians auf die Bühne gehen, um den Shit zu rocken! Woher sollte er/sie denn wissen, wann und wie die Pointen am besten funktionieren. Auch ein gut gemachter Unterricht hat eine Spanungskurve, ab und an mal eine Pointe und einen Abschluss. Und die kann man nur selten improvisieren, ohne dass die SuS sich hinterher verschaukelt fühlen. Die haben nämlich ein feines Näschen dafür, wenn der Dozent / Fachlehrer eine fragwürdige Performance abliefert…

Davon ab arbeite ich in einer Branche, in der das zu vermittelnde Fachwissen regelmäßig überaltert und folglich Updates der Unterrichtsinhalte notwendig werden. Selbst up to date zu bleiben, ist also eine Grundvoraussetzung für guten Unterricht. Was bedeutet, dass das Lehrpersonal auch noch Fortbildungsstunden braucht, die – oh Wunder – vom Arbeitgeber bezahlt werden müssen. Ja – MÜSSEN! Denn sogar der Gesetzgeber hat erkannt, dass auch das Lehrpersonal sich kontinuierlich fortbilden muss, und sodann – wenn aus meiner Sicht auch Jahrzehnte zu spät – entsprechende gesetzliche Vorschriften erlassen. Wir machen momentan die größten Forschritte in der Professionalisierung meines Berufes, die ich je erleben durfte. Das macht mich einerseits glücklich und stolz – andererseits bereitet es schlaflose Nächte, weil ich zu denen gehöre, die diese Fortschritte mit gestalten müssen. Eine Aufgabe, vor der ich, aller Freude zum Trotz, Respekt habe.

Ein weiterer Punkt neben dem „immer-wieder-durchdenken-müssen“ des Standardstoffes ist der Umstand, dass die Ausbildung von Ausbildern ein kreatives Herangehen an die, zur Lernermöglichung nötige Metaperspektive auf Prozesse der Wissens- und Einstellungs-Aneignung erfordert; Kreativität kann man aber nicht immer erzwingen. Man kann sie trainieren, so wie andere Skills auch, aber das erfordert zwei Dinge: die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen und Neues auszuprobieren, auch wenn man damit manchmal Schiffbruch erleidet! Und (auch, wenn so mancher das jetzt wahrscheinlich nicht gerne hört) ein gewisses Talent für den Lehrsaal! Und das hat bei weitem nicht jeder, der sich gegenwärtig als Dozent / Fachlehrer versucht. Die teilweise sehr heterogenen Ergebnisse und Berichte von Auszubildenden geben mir hierbei leider Recht. Und damit sind wir wieder bei den eingangs erwähnten Betriebswirten: die glauben nämlich, dass man – so wie früher in der allgemeinbildenden Schule – einfach den Stoff runterrattert, und fertig ist der Lack. Können wir versuchen, aber dann erzeugen wir schlechte, bisweilen evtl. sogar untaugliche NotSans.

Ich versuche wirklich, das mit der doppelten Handlungslogik auch an die Leute mit den Geldbeuteln heran zu tragen, aber einfach ist anders, denn Geld regiert nun mal die Welt. Und doch stelle ich fest, dass es hin und wieder Leute gibt, die allen wirtschaftlichen Notwendigkeiten zum Trotz verstehen, dass es gute Lehre a) nicht billig, b) nicht ohne ordentliche Vor- und Nachbereitung und c) nur mit motivierten SuS und Dozenten gibt. Die Vor- und Nachbereitung steht so aber nicht in den Lehrplänen, und um Motivation zu erzeugen, muss man oft tief in die Trickkiste greifen (und gelegentlich auch ins Portemonaie). Weshalb man diese Umstände geduldig wieder und wieder erklären muss. Dann klappt es vielleicht irgendwann auch mit der stets vollmundig beschworenen, hohen Aus- und Fortbildungsqualität. In diesem Sinne einen schönen September…