Soviel gewollt…

Ich mache mir da keine Illusionen – ich habe in meinem Leben schon ziemlich viel gewollt und doch nur wenig geschafft. Zumindest rede ich mir das ein. Könnte natürlich daran liegen, dass ich mir meine Ziele regelmäßig zu hoch stecke. Oder vielleicht doch eher an einem Zuviel? Zu viele Ideen und zu wenig Zeit. Zu viele Anforderungen und zu wenig Fertigkeiten. Zu viele Luftschlösser und zu wenig Realitätsmörtel. Keine Ahnung, wahrscheinlich von allem ein bisschen was. Oder liegt es doch eher daran, dass ich die Dinge in einem zu pessimistischen Licht sehe? Wenn man sich auf die Suche nach richtig guten Ergebnissen begibt, bleiben zwangsläufig Erfolge auf der Strecke, weil man sich und seine Möglichkeiten in aller Regel NICHT korrekt einschätzen kann. Das ist nicht böse oder bitter, sondern eine einfache Wahrheit. Es ist uns Menschen leider nicht gegeben, uns selbst wirklich objektiv und realistisch zu reflektieren. Und da ich ein Mann bin, habe ich es doppelt schwer, weil ich mich natürlich immerzu mit den anderen Männchen messen muss… oder zumindest behauptet das die Psychologie. Männer sind durch ihren kompetitiven Habitus quasi automatisch sozial benachteiligt!

Abseits dieser Behinderung gebricht es uns Zivilisationsmenschen, meiner Erfahrung nach, aber vor allem am Vertrauen auf unsere Intuition, unsere Instinkte. Wir verlassen uns so sehr auf Gadgets, legen soviel Wert auf Besitz und Zertifikate und schauen immerzu auf Kontostände – insbesondere Die der Anderen! – dass wir gar keine Zeit und auch gar kein Gespür für den rechten Moment und keinen Maßstab für unser Wollen mehr haben. Das Haben Wollen und das dafür notwendige Können stehen nicht mehr in einem günstigen Verhältnis zueinander. Der aufmerksame Zuhörer wird jetzt fragen, wie ich vom Können Wollen so direkt auf’s Haben Wollen komme? Weil die meisten von uns das so oft miteinander verwechseln. Man kann dem Anschein nach keine Befriedigung aus der Lösung einer Aufgabe mehr ziehen, sondern interessiert sich nur noch für die Belohnung. „Der Weg ist das Ziel!“ verkommt, zumindest meinem Gefühl nach, immer mehr zu einer Floskel aus der Vergangenheit.

Aber was passiert, wenn die Ablenkungen, die meiner Betrachtung nach ja eher materieller Natur sind, reduziert werden? Schaue ich zu Menschen, die weniger haben als ich, so rückt zumeist der Umstand in den Fokus, dass deren Verzicht in irgendeiner Form erzwungen ist und diese Menschen ebenfalls gerne etwas mehr hätten, egal wovon. Wobei die Qualität dieses erzwungenen Mangels sehr unterschiedlich sein kann. Jemandem, der Hartz 4 bekommt, geht es, gemessen an den sonstigen Verhältnissen bei uns materiell schlecht. Im Vergleich mit Bürgerkriegsflüchtlingen im Südsudan jedoch…; nun ich denke, hier kann ich mir weitere Ausführungen sparen. Ist der Verzicht so groß, dass existenziell bedrohliche, materielle Not entsteht – und genau das ist ja an vielen Orten rings um den Globus der Fall – wird sichtbar, dass ein derartiges Zuwenig den Menschen seine Würde und damit auch seine Humanität vergessen lässt. Anders sind die Grausamkeiten, welche sich zum Beispiel die unterschiedlichen Volksgruppen in Schwarzafrika antun, kaum zu erklären.

Das Fremde, gleich in welcher Gestalt es daher kommt, wird mir immer dann zum Feind, wenn meine eigene Situation subjektiv schlecht ist, wobei vollkommen unbeachtlich bleibt, ob der zum Feind erklärte Fremde an meinem Unglück nun schuld ist, oder nicht. Es gibt allerdings auch hier qualitative Unterschiede. Menschen aus unseren Breiten, die ins soziale Aus geraten, wählen ganz gerne rechtspopulistische Parteien, weil deren Vertreter ihnen in den Fremden eine ideale Projektionsfläche für die Scham ob des eigenen Versagens bieten. Oder einfacher gesagt: Wenn du dich Scheiße fühlst, tritt einen Anderen so tief in den Dreck, dass du auf ihn herab sehen kannst, dann geht es dir gleich besser! Im Südsudan, wo die Menschen wirklich nichts mehr zu verlieren haben, eskaliert die Verzweiflung so sehr, dass man die Mitglieder eines anderen Stammes tötet. Der Mechanismus ist der Gleiche, die Ergebnisse differieren allerdings (noch) dramatisch. Warten wir hier bei uns lange genug, haben wir vielleicht auch wieder braunes Gesocks auf den Straßen, das Menschen verschleppt…

Aber ich schweife mal wieder ab. Ich denke allerdings, dass jeder Mensch – egal ob im Großstadtghetto oder im Südsudan (man möge mir das Hantieren mit Klischees verzeihen, aber manchmal sind sie hilfreich) – von einem gewissen Streben getrieben wird. Und bei jedem von uns hat Dieses eine materielle und eine ideelle Seite. In der Materiellen realisiert sich unsere Subsistenz, also der Broterwerb, der Familienunterhalt, bei Einigen auch die Ansammlung von Wohlstand. In der Ideellen jedoch realisiert sich der Sinn unserer Existenz. Zumindest ist das bei mir so; aber ich vermute, dass ich diesbezüglich nicht alleine bin. Ich gehe arbeiten, weil man Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, etc. braucht. Das sind Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. Ich lese, studiere, blogge aber, weil ich mehr sein möchte, als ein Angestellter im Gesundheitswesen; mehr erreichen möchte, als irgendwann meine 45 Jahre abrobotet zu haben. Sehr wahrscheinlich schwingt da auch ein gewisses Geltungsbedürfnis mit, schließlich muss ein bisschen Egogewichse dann und wann erlaubt sein, aber in erster Linie tue ich das, weil es mir Sinn gibt. Allerdings resultiert daraus in meiner Denke auch eine Verpflichtung gegenüber Jenen, die nicht das Privileg haben, ihren Neigungen und Ambitionen nachgehen zu können. Die Verpflichtung, sie an meinen Erfolgen teilhaben zu lassen. Und darum will ich immer mehr, immer weiter.

Wenn ich also zu Beginn feststellen musste, dass ich schon oft zuviel gewollt habe, so steht dahinter stets dieser Drang, etwas erreichen zu wollen, auch wenn es sich vielleicht im Nachhinein als Spleen, als fixe Idee oder als schlichter Blödsinn herausstellen mag. Ohne dieses Feuer, dieses Getriebensein fühle ich mich nämlich leer und nutzlos. Dabei allerdings die individuelle Balance zwischen der ideellen und der materiellen Seite des Wollens zu finden, gelingt nicht immer auf Anhieb, manchmal auch gar nicht. Achtsamkeit gegenüber beiden Bedürfnissen walten zu lassen bedeutet nämlich manchmal freiwilligen Verzicht; und wie schwer der uns Menschen fällt, wie schwer der mir selbst fällt, ist immer wieder erstaunlich… und ernüchternd. Ich muss jetzt aber trotzdem wieder etwas wollen, nämlich zum Ende kommen, daher Gott zum Gruße und viel Spaß beim Begutachten der eigenen Motivation.

Immer sind die Anderen schuld!

Es fällt mir leicht, Anlässe zu finden, um mich mal so richtig über meine Mitmenschoiden aufzuregen, denn wir Wesen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sind schon ein komischer Haufen. Natürlich sind da auch noch die ganzen Anderen, diese „Kunden“, die nicht selten meinen, die ganze Welt sei ihr persönlicher Selbstbedienungsladen ohne lästige Kasse, dafür aber mit Vollkasko für alle, zumeist durch eigenes Verschulden eingetretenen Eventualitäten. An die habe ich mich (fast) gewöhnt; in jedem Fall aber ist deren Geseiere heutzutage für mich in der Regel nicht mehr, als ein verschmerzbares Hintergrundrauschen.

Was mich aber ankotzt ist das Verhalten einiger weniger Mitglieder des ansonsten sehr kollegialen und freundlichen Pflegefachpersonals, aber auch gewisser Ärzte insbesondere in Aufnahmestationen, die egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit und egal ob gerade viel los ist, oder auch gar nix so tun, als wenn man als dämlicher Krankenwagenfahrer um Erlaubnis fragen müsste, um kranke Menschen in IHR Krankenhaus zu bringen – selbst wenn genau dieses Ziel auf Grund der benötigten Fachdisziplin auf der Hand liegt. Und sich dann mehr oder weniger lauthals darüber beschweren, wie schwer man ihnen das Leben doch macht, dass sie sich ja Tag ein, Tag aus kaputt schuften müssen, weil wir Sanis so böse und dumm sind und ihnen die Bude voll stellen. Und dabei werden sie manchmal auch noch ausfallend…

Hierzu ein paar Feststellungen vom bösen, dummen Sani:

Erstens vollziehen wir mit dem Transport in ein Krankenhaus lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Antwort auf das Hilfeersuchen eines Bürgers – wir sind dazu auch dann verpflichtet, wenn WIR keinen sinnvollen Grund für dieses Vorgehen feststellen können! Überdies regelt das jeweilige Landeskrankenhausgesetz die Aufnahme- und Versorgungspflichten…

Zweitens sind wir durchaus im Stande, zu entscheiden, welches Spital für welches Krankheitsbild ein sinnvolles Ziel sein könnte – ehrlich, man muss eine mehrjährige Ausbildung machen, um im Rettungsdienst arbeiten zu dürfen und sie wird gerade sogar noch verbessert. Und außerdem versuchen wir sehr wohl, Lasten zu verteilen.

Drittens ist die Unterstellung, dass wir uns einen Dreck um die Situation Anderer, wie z.B. des Aufnahmepersonals scheren würden, schlicht unverschämt. Manchmal lassen einem die Umstände, wie Angehörige, einweisende Ärzte, oder die Art der Erkrankung keine Wahl, als genau dorthin zu fahren, wo es gerade jetzt nicht passt. In dem Fall passt es zumeist aber überall nicht. Und das liegt nicht an uns, sondern an der Politik. Wollen wir nicht mal zusammen streiken gehen? Übrigens würden wir dann und wann auch gerne mal eine pünktliche Pause haben, nicht dauernd schleppen müssen, etc.

Viertens und Letztens ist es im Leben doch immer so: wie man in den Wald hinein ruft… Wenn man also immer mit einer Fresse zum Reinschlagen durch das Ambulatorium spaziert und jedem, der einem gerade nicht passt, den Eindruck vermittelt, dass man ihn für Scheiße hält, darf man sich nicht wundern, wenn man selbst für Scheiße gehalten und gerechter Weise auch genau so behandelt wird. Einfach mal normal höflich sein und eventuell sogar lächeln würde wirklich helfen. Muss ich auch, wenn mich mal wieder jemand zu Unrecht anpampt, weil ich ja nur vom dummen Fußvolk bin. Vielleicht wäre es für Manche aber auch einfach an der Zeit, mal einen anderen Job zu probieren…?

Ich persönlich werde jedenfalls den Eindruck nicht los, dass ich mein Studium irgendwie beschleunigen muss, um vom zwangsweisen Umgang mit manchem arroganten Arschloch endlich erlöst zu werden. Und tschüss!

Fuck Europe? No way…

Heute ist Europawahl. Ich hoffe, ihr seid hingegangen, weil politisch die Wahl zu haben ein Privileg ist, über das nur ein geringer Prozentsatz der Menschen überhaupt verfügt! Dieser Tage las ich in einer Zeitschrift einen Text zum Thema, in welchem der Autor, obschon offensichtlich kritisch gegenüber dem Konstrukt Europa sich dafür aussprach, wählen zu gehen. Gut so. Allerdings forderte er auch ein neues Narrativ für Europa. Aha… und was genau meint er damit?

Narrativ ist leicht, es meint eine Sinn stiftende Erzählung, übersetzt in den Kontext soll es wohl heißen, dass es zur Einigung Europas einen neuen, besseren Grund braucht, als den der Freizügigkeit, die zu genießen der Schreiberling offen zugab; einen neuen Sinn, mit dem die Notwendigkeiten erklärt werden sollen, dass Nationalparlamente Rechte an Europa übertragen müssen, dass der Apparat Europa Geld kostet und nationale Freiheit einschränkt, dass die Konsensfindung in einem so großen föderalen Gebilde komplizierter wird und das Interessenausgleich oft enttäuschte Gesichter bei einer oder mehreren Parteien erzeugt.

Dabei übersieht der Autor zwei entscheidende Probleme: erstens gab es bislang nie ein „Narrativ“, welches die Bürger berührt hätte, welches die Kraft in sich getragen hätte, aus einem Polen, einem Franzosen, einem Deutschen , einem Spanier, einem Griechen plötzlich lauter Europäer im Geiste zu machen. Dazu wurde die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten innerhalb der Union immer viel zu sehr betont, dazu waren und bleiben wir bis heute immer viel zu sehr Deutsche, obwohl es „den Deutschen“ oder „das Deutsche“ gar nicht gibt! Es ist ein Konstrukt aus der Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches, gerade mal so 130 Jahre alt, geschaffen aus dem einen Grund, den Untertan auf etwas Einigendes einzuschwören, um ihn so folgsam und konform zu machen mit dem, was die Obrigkeit in ihrer Weisheit beschließen würde – den Wahnsinn eines Kadavergehorsam fordernden Militarismus inklusive, der schließlich einen Weltkrieg herauf beschwor. Schönen Dank auch für Verdun, ihr Schwachköpfe!

Auf der anderen Seite negiert diese Sichtweise die Schaffenskraft der Gesellschaft. Wer anders soll denn ein solche Sinn gebende Erzählung schaffen können, als die Menschen, die hier leben? Irgendwelche Bürokraten, die nur bis zum nächsten Lobbyistenmeeting denken können? Ein womöglich wieder hinter verschlossenen Türen von den führenden Politikern Europas ausgekungelter Kommissionspräsident ,wie der stets farblos gebliebene Technokrat Barroso? Wenn Europa tatsächlich funktionieren soll, als ein Raum der sozialen Freizügigkeit, der nicht nur physische, sondern vor allem mentale Grenzen abbauen kann, dann muss man den Bürgern mehr zutrauen – dann müssen wir Bürger uns mehr zutrauen und Gestaltungsmacht einfordern!

Idioten, die immer noch glauben, dass Nationalstaaten in einer globalisierten Welt als Einzelkämpfer bestehen können, die sich vor dem Fremden fürchten, weil sie selbst einfach nur Angst vor der Zukunft haben und deshalb Andere erniedrigen müssen, um sich ein bisschen besser fühlen zu können wird es immer und überall geben – aber wir sollten diesem Faschistengesocks nicht das Feld überlassen, sondern sie dahin drängen, wo sie hin gehören: nämlich an den rechten Rand!

Ein Europa, in dem Bürger die Möglichkeit haben, an einer besseren Zukunft mitarbeiten zu können, klingt für mich verlockend. Denn seien wir ganz ehrlich: wer noch glaubt, dass die soziale Hängematte hier in unserem Deutschland für immer Bestand haben wird, wenn wir nur unsere Grenzen verrammeln, dem sollte man mal etwas über globale Wirtschaftszusammenhänge und die Chancen und Möglichkeiten einer vitalen demokratischen Zivilgesellschaft beibringen – mancher dumpfe Braunkopf würde vermutlich ganz schnell das Lager wechseln. Der Weg dahin ist allerdings ganz klar kein einfacher. Aber es liegt an den Menschen, die Umstände zu ändern, nicht die Umstände dürfen die Menschen ändern, denn dann haben wir verloren und irgendwann ist wieder 1933… Schönen Sonntag noch!

Verzwitschert!

Ich bin, was meine Lesegewohnheiten angeht, irgendwie wohl noch nicht so ganz im 21. Jahrhundert angekommen. Überschriften werden ja oft so formuliert, dass der Informationsgehalt des ganzen Artikels sich auf diese wenigen Schlagworte reduziert. Leider steht dann im Fließtext auch oft genug nicht wirklich mehr, als das, was die Überschrift eh schon ahnen lässt. Diese Verschlagwortung ist übrigens definitiv kein Erbe des Hyperlinks, auch wenn mancher „Fachmann“ gerne so tut, als wenn erst mit dem Siegeszug der elektronischen Indexierung (HTML, die erste weiter verbreitete Webprogrammiersprache wurde entwickelt, um einen Wust von wissenschaftlichen Dokumenten besser durchsuchbar zu machen) der markige Aufmacher zum Signum der Informationsvermittlung geworden wäre. William Randolph Hearst, der erste echte Medientycoon, dessen „Morning Journal“ zur Blaupause der Yellow Press wurde, hat mit dieser – meines Erachtens bis ins Mark unseriösen – Art des Journalismus politischen Einfluss genommen; und das bereits 1898!

Was ich damit sagen wollte ist, dass ich zwar durchaus verschiedenste digitale Publikationen und auch ein paar soziale Medien nutze, aber bei weitem nicht alles, was ich lese, ist digital! Und manche Hypes in und um so genannte New Media nehme ich gar nicht zur Kenntnis, weil bereits die Art der Schlagzeile mich abstößt. Denn „je reißerischer der Aufmacher, desto unbekömmlicher der Inhalt“ als Bewertungsmaßstab hat mich in den vergangenen Jahren noch so gut wie nie in die Irre geführt. Was soll man also in diesem Zusammenhang zum Beispiel von einer Twitternachricht wie „Vegetarier halten sich oft für etwas Besseres“ halten? [Ist allerdings ein Gedächtniszitat, ich gebe also nur sinngemäß wieder, was da stand]

[Exkurs Anfang]
Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate sind zumeist vor allem eines – nämlich aus dem Zusammenhang gerissen und somit ihres Kontextes beraubt. Deshalb sollen Schüler auch immer noch lernen, ihre Aufsätze in ganzen Sätzen zu schreiben, weil Informationen ohne Kontext wie eine Unterhaltung ohne Gestus und Mimik sind. Zumindest ich fände es sehr unnatürlich, wenn mein Gegenüber seine Äußerungen ohne jegliche Regung von sich geben würde. Folgt man Watzlawick, ist das auch gar nicht möglich; wäre es das, würde ich wahrscheinlich aber wohl eher vor Langeweile von dem Geleier einschlafen, als das ich mich fürchtete. Abseits des Unterhaltungswertes ergibt sich aber aus einem Mangel an Subtext- und Kontextinformationen ein noch viel handfesteres Problem, nämlich das quasi vorprogrammierte Missverstehen des jeweiligen Zitates.
[Exkurs Ende]

Das eben Gesagte im Gedächtnis nun zurück zu den Vegetariern, die sich laut Zitat für was Besseres halten. Was mich betrifft, so habe ich zwar beim einen oder anderen sich fleischlos ernährenden Mitbürger schon dezente Missionierungstendenzen ausmachen können. Die bewegten sich bislang aber immer noch im charmanten Bereich. Im Bezug auf was Vegetarier in der Mehrzahl sich also für etwas Besseres halten sollen, weiß ich nicht. Ich kennen jede Menge Menschen, die auf die eine oder andere Art arrogant daher kommen; gelegentlich zu Recht – viel häufiger aber nicht! Ich könnte jetzt allerdings keine Statistik darüber vorlegen, ob mehr Vegetarier darunter sind. Nun könnte man dem Link im Tweet folgen, vielleicht einen Text finden, zusätzlich noch Infos über den Autor und dann wissen, was er tatsächlich gemeint hat. Das machen meiner Erfahrung nach aber die Wenigsten, weil das Thema a) nicht wirklich von weitreichendem gesellschaftlichem Interesse ist, b) das Zitat so wunderbar Vorurteile bedient, dass man gar nicht weiter lesen braucht, um sich in seiner Meinung bestätigt zu sehen, dass Veggis eh alle arrogante Penner sind (zur Rückversicherung: das ist NICHT meine Meinung) und c) da viel zu viel andere Sachen sind, die man auch noch schnell überfliegen muss – womit wir mal wieder bei Häppchen von Opinion-to-go wären.

Ich erlebe die digitale Welt nicht selten als ein Überangebot an Informationen und Meinungen, aus dem die wirklich wichtigen und interessanten herauszufiltern immer schwieriger wird. Und Newsgrabber oder Feedreader, die man auf Schlagworte einstellt, schaffen hier keine Abhilfe. Sicherlich ist das ein Umstand, den man bei der Pluralisierung des Web als demokratischem Ort aushalten muss, doch Relevantes von Müll zu unterscheiden wird dadurch nicht einfacher. Vielleicht ist genau deshalb die Verankerung der eigenen Wahrnehmung in etwas entschleunigteren Medienformaten und deren, von den Kindern der neuen Zeit zugegeben vielleicht als verstaubt wahrgenommenen Sprache etwas Notwendiges; nämlich als Basis für ein tiefer greifendes Verständnis für Zusammenhänge und als Filter gegen Wortschrott. Weshalb zumindest meiner Meinung nach ein humanistisches Bildungsideal keinesfalls schon zum Abraum der Geschichte gehören muss.

Beim Lesen der Klassiker und der Ergründung verschiedenster anderer Wissensgebiete geht es nicht nur um die Geschichten, welche in ihnen erzählt werden, oder die für sich betrachtet nicht allzu spannende Fähigkeit, Integrale berechnen zu können, sondern auch darum, zu lernen wie man Subtext- und Kontextinformationen entschlüsselt und in größeren, Einzelthemen übergreifenden Zusammenhängen denkt. Klingt komisch aus dem Munde von jemandem, der sagt, man kann auf die neuen Fragen nicht immer die alten Antworten geben? Nur vordergründig, denn man lernt auf diese Art ja nicht Antworten auswendig, sondern den Weg, auf dem man alle möglichen Fragen sinnvoll beantworten kann, auch die Neuen; vor allem die Neuen! Und deshalb lese ich jetzt, erstmal in meinem aktuellen Buch weiter. Schönen Tag noch!

Widerspruch Olé!

Ich finde Ratgeberbücher meistens eher belustigend. Man wird zumeist wortreich, gelegentlich humorvoll, aber eigentlich immer belehrend darüber aufgeklärt, wie schlecht man sein Leben nach Auffassung des Autors lebt und wie man das alles viel besser hinbekommen kann, wenn man dies oder jenes tut; oder auch unterlässt. Nun sollte ich mal kurz ehrlich zu mir sein, auch wenn es schwer fällt: Ich hasse es wie die Pest, wenn jemand den Oberlehrer gibt – und es ist mir dabei so was von vollkommen egal, ob dieser Penner eventuell sogar recht hat!

Was man – egal ob in der trivialen Literatur, oder auch sonst wo im Leben – viel zu selten antrifft, ist der Mut zur Widersprüchlichkeit, zum Zwist mit sich selbst, zum Bekenntnis, dass das Menschsein zwar oft nach einer klaren Linie verlangt, die Umstände aber nur sehr selten eine hergeben. Es mag das eine oder andere Mal schon angeklungen sein, dass ich Dogmatismus in jedweder Darbietungsform für eines der größten Übel überhaupt halte; zum einen, weil der unumstößliche Glaube an die Richtigkeit der eigenen Meinung den Blickwinkel unnötig und vor allem unzulässig einengt. Wahrnehmung hat ja auch etwas mit wahrnehmen wollen zu tun, wie selbst der Volksmund schon weiß. Und zum anderen, weil das immanente Verkündet-werden-Wollen dessen, woran man sich ja nun so unglaublich fest klammert unweigerlich dazu führt, dass der Dogmatiker jenen, die er mit seiner Weisheit zu beglücken glaubt, alsbald ganz furchtbar auf den Wecker gehen wird.

Man versucht in Dogmen, durch eine einseitige Sicht der Dinge Sachverhalte zu vereinfachen, die deshalb nicht einfach sind, weil die schlichte Existenz des gesellschaftlichen Pluralismus nicht nur eine eigene Meinung ermöglicht, sondern sie überdies auch verlangt. Begnügt man sich damit, die Weltsicht eines Anderen unreflektiert anzunehmen, wird man über kurz oder lang Kompromisse mit demjenigen, sich selbst oder Dritten eingehen müssen, die einem nicht schmecken. Woraus sich die Frage ergibt, wie viele Kompromisse man denn unbedingt eingehen muss, nur um sich selbst auf konformistisch zu trimmen? Ich meine ja, dass diese Zahl recht begrenzt ist, falls man seine persönliche Autonomie irgendwie gewahrt sehen möchte. Mit den unterschiedlichen möglichen Weltsichten, den daraus resultierenden politischen und sozialen Aktivitäten, die alles bis hin zum individuellen Lebensentwurf – sofern man einen hat – beeinflussen wird man, so man sich zu ein wenig Toleranz durchringen kann, jedoch mit Widersprüchlichkeiten und Spannungsfeldern leben müssen, die sich nicht selten als unauflösbar herausstellen. Dogmen helfen einem hier allerdings höchstens bis zu der Tür, durch die das Brett vor dem Kopf wegen der Breite nicht mehr durchpasst…

Aber solche anscheinend unvereinbaren Gegensätze findet man ja nicht nur bezüglich sozialer Beziehungen, sondern auch in den Untiefen der eigenen Persönlichkeit. Für mich als alten Sozen hat zum Beispiel die Konfrontation mit den verschiedensten Fragen im Laufe der Zeit zur Adaption einiger durchaus als wertkonservativ anzusehender Positionen geführt. Ich sehe aber keinen Widerspruch darin, auf der einen Seite für gerechtere Sozialsysteme zu sein – wie auch immer die dann aussehen würden – und auf der anderen Seite gerne Manchen aus der Sozialhängematte hinaus stoßen zu wollen, weil er meiner Meinung nach halt nix drin zu suchen hat. Und das ich durchaus für leistungsgerechte Entlohnung bin; was aber vermutlich, konsequent durchgezogen, dazu führen würde, dass so mancher vermeintlicher „Leistungsträger“ sich ganz schön umkucken würde, wo den plötzlich sein Kohle bleibt…

Ist nur ein plakatives Beispiel und ich bin mir sicher, dass die allermeisten an sich Zwiespältigkeiten entdecken könnten, die nachdenklich machen müssten. Es ist aber Teil unserer menschlichen Natur, dass unsere Persönlichkeit sich ein Leben lang in einer Art Fließgleichgewicht befindet, dass sich immer wieder neu regulieren muss. Die sich scheinbar ohne unser Zutun weiterbewegende Umwelt nimmt uns mit auf diese Reise, egal ob wir das wollen oder nicht und unsere Persönlichkeit wird dabei, zumindest in Teilen, dazu gezwungen, sich anzupassen, was unausweichlich immer wieder zu Unstimmigkeiten im Oberstübchen führen muss. Da wir Homo Sapiens Sapiens nämlich ziemliche Gewohnheitstiere sind, die mit allzu schneller Veränderung unseres Lebensumfeldes gar nicht so gut umgehen können, wie das immer gerne von den auf die Entgrenzung von Arbeitszeit und Ort geilen Arbeitgebern behauptet und somit auch verlangt wird. Menschen können sich sehr wohl verändern, aber je radikaler und willkürlicher diese Umgestaltung ausfällt, desto schwerer kommen wir hinterher wieder in Tritt.

Tatsächlich sind all diese Veränderungen ja aber von uns Menschen selbst gemacht, denn die oft überwältigende Dynamik, welche unserer Umwelt heutzutage innewohnt, kommt erst durch die Schaffenskraft, Kreativität und Neugierde vieler Einzelner zu Stande, die sich in ihrer Vernetztheit zu einem unaufhaltsamen Motor der Veränderung vereint. Und dessen Kraft bewegt uns Alle, wobei es gleichgültig ist, ob wir gerade mal zu den Innovatoren, oder zu den Mitgerissenen gehören. Womit der größte Widerspruch unserer Existenz wohl wäre, dass wir uns einerseits dem Bekunden nach dauernd nach der guten alten Zeit sehnen – auch wenn die erst gestern zu Ende gegangen sein mag – und andererseits unsere Schaffenskraft willig in Veränderungen stecken, von denen wir uns eine Verbesserung versprechen; gleich auf welchem Gebiet die Anstrengung stattfinden mag, ob sie groß oder klein sei, bedeutend oder unbedeutend, für alle oder nur für uns…

Die Sehnsucht nach einer Beständigkeit, welche uns die Illusion von Sicherheit und Geborgenheit in einer gefühlt immer verrückter werdenden Welt gestatten soll, ist ein mittlerweile immer unerfüllbarer gewordener Traum. Und dennoch orientiert sich unser Anspruch an der Vorstellung einer (non-existenten) Vollkasko gegen alle Eventualitäten des Lebens. Wie wäre es da mit einem Wider-Spruch gegen den Anspruch? Mit einem Zügeln des eigenen Verlangens? Es wäre eine Mischung aus dem Eingeständnis, dass Sicherheit, so allumfassend, wie wir Deutschen sie gerne denken, schon immer ein Trugbild gewesen ist und dem Anerkennen der Möglichkeiten und der Kraft, die sich in den von uns so gefürchteten Unwägbarkeiten des Lebens verstecken. Einfach mal leben anstatt versichern! Ich finde Widersprüchlichkeiten spannend, denn sie lassen mich niemals vergessen, dass jedes Ding mehr als einen Aspekt hat. Viel Spaß beim Entdecken der persönlichen Paradoxa.