Throwback Saturday…

Menschen und ihre Verbindungen sind etwas Seltsames. Wir gehen gelegentlich ein, mehr oder weniger langes, Stück des Weges zusammen, um dann über manche Abzweigung und oft verschlungene Pfade allein voranzuschreiten, während wir neue, andere Menschen treffen. Manche bleiben sehr lange – etwa meine beste Ehefrau von allen, oder meine ältesten Freunde. Manche jedoch, die man lange kannte, verschwanden in der Obskurität der, sich am wachsenden Erfahrungsschatz läuternden Erinnerung. Man lernt mit jedem Jahr zwangsläufig dazu und so verändert sich der Blick auf das Vergangene. Wenngleich ich mich gerne als jemanden sehen würde, der nach vorne blickt und die Vergangenheit ruhen lassen kann, so erfasst mich doch gelegentlich jene höchst ambivalente Mischung aus melancholischer Sentimentatlität und dem Wunsch, mein jüngeres ICH mal für seine Blödheit zu Ohrfeigen. Träfe ich ihn heute wirklich, würde ich ihm wahrscheinlich trotzdem nur eine Weile zuschauen, und ihn dann auf seine – pardon MEINE – Weise durch’s Leben stolpern lassen. Denn am Ende des Tages bin ich mit dem Mann, der ich geworden bin im Reinen.

Klassentreffen! Ich habe es mir mittlerweile anerzogen, halbwegs erwartungsfrei an Dinge heranzugehen, doch wenn ich ehrlich sein soll, wusste ich nicht genau, was ich erwarten sollte, als die Einladungsmail zu einem 30jährigen Abi-Jahrgangs-Treffen in mein Postfach geflattert kam. Ich war, wie evtl. schon des öfteren angeklungen sein mag, damals ein Nerd, definitiv kein einfacher Mensch und mit Sicherheit meiner Selbst nicht im Ansatz so sicher, wie heute; was auch immer das bedeuten mag. Aber da waren sogleich diese, oben schon erwähnten, widerstreitenden Gefühle, ob DAS wohl eine angenehme Erfahrung würde. Doch ich konnte es einrichten, denn anscheinend wohnt immer noch ein nicht unerheblicher Teil der alten Truppe im Nahbereich, so dass ich nur bis ans andere Ende der Stadt touren musste. Unsere Stadt ist wohl groß genug, sich nicht dauernd unversehens zu treffen, so dass das Wiedererkennen in einigen Fällen etwas schwerer fiel. Ich scheine mich optisch – bis auf die grauen Haare – nicht besonders verändert zu haben. Doch schon bei den ersten Gesprächen fiel mir auf, wie unterschiedlich, vor allem aber wie unterschiedlich stark sich die Menschen, die ich mal zu kennen geglaubt hatte, in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten verändert hatten. Ich war auch nicht der Einzige, dem schon gleich zu Beginn auffiel, dass manche Dinge vollkommen von der Platte verschwunden sind, wohingegen andere Szenen präsent sind, als sei’s gestern gewesen. Unser Gedächtnis ist ein wundersames Ding. Vor allem aber versucht es stets, uns zu helfen, eine kontinuierlich gute und irgendwie sinnvolle Geschichte unserer Existenz zu erzählen. Da lässt man schon mal die Dinge unter den Tisch fallen, die nicht ganz so charmant waren…

Die Geschichten drehten sich zunächst vor allem um die üblichen Dinge: Wie geht’s dir? Was machst du so? Hast du (noch/schon) Familie, bzw. Kinder? Erfahrungen wurden ausgetauscht, denn die letztere Frage beantworteten die Meisten mit ja. Und ich darf an dieser Stelle zugeben, dass es mich ein wenig beruhigt, dass ich nicht der einzige Teenager-Tochter-Elternteil bin, der manchmal gerne raus möchte, wo der Maurer kein Loch gelassen hat… Irgendwann wurden lustige Geschichten ausgetauscht, Freundschaften erneuert und als ich ging, versprach sich ein Klassenkamerad „Schön dich kennengelernt zu haben!“. Wir kamen dann unter lautem Lachen überein, dass es schön war, sich NEU kennengelernt zu haben. Ganz sicher ist in vielen noch etwas von diesem alten Selbst drin, an welches man nach so langer Zeit mehr oder weniger undeutliche Erinnerungen hat; aber bei den Meisten konnte ich diesen Zuwachs an Persönlichkeit, an innerer Ruhe, Souveränität und Lust auf noch mehr feststellen, für den man leider erst unser Alter erreichen muss. „Wir haben noch Sonne im Herzen, dafür ’ne Hüfte mit Schmerzen“. Was soll ich sagen – aus meiner Sicht hat sich der Weg gelohnt und einige von uns haben Versprechen ausgetauscht, nicht erst wieder 10 Jahre ins Land ziehen zu lassen.

Wenn ich mich nicht so schlapp gefühlt hätte (was heute immer noch der Fall ist), wäre ich wahrscheinlich doch noch in eine Kneipe mitgezogen und hätte in der Folge Taxi fahren müssen; denn DAS wäre entgleist! Schön wär’s gewesen. Da ich mir aber sicher bin, dass es dazu alsbald eine andere Gelegenheit geben wird, kann ich das verschmerzen und wünsche allen, die dem zurzeit etwas melancholischen Simnpel bis hierher zugehört haben, einen guten Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

The Critic N°2 – Plotholes anybody…?

Es gab mal eine Zeit, da man sich unvorbereitet ins Kino begeben musste, weil nicht jede Produktion von Scharen von Aasgeiern – pardon „Medienreportern“ (oder besser, was an menschoidem Geschmeiss halt die Frechheit besitzt, sich so zu nennen) belagert wurde, und jeder noch so kleine Futzel Internes durch die Verwertungsmühle des weltweiten Desinformationsgewebes gedreht werden musste. Wenn man früher ins Kino ging, kannte man keine Analyse des Testscreenings, konnte nicht die Vorabrezensionen der ganzen Möchtegern-Feuilletonisten lesen, wusste nicht, dass der Film / die Serie evtl. durch die Produktionshölle gegangen war und hatte – außer der Werbung und einem THEATRICAL TRAILER keine Hinweise darauf, wie dieser Film sein würde. Und das war gut so! Mein Lieblingsbeispiel hierzu ist „Alien“; wenn die Leute geahnt hätten, auf was für einen Höllenritt sie sich mit dem Lösen des Tickets eingelassen hatten… wer weiß, ob dieses Meisterwerk solchen Status hätte erlangen können. Denn unter Garantie hätten all jene, die mit einem strong female Lead wie Sigourney Weaver als Ellen Ripley 1979 nichts anfangen konnten, den Film gedownvoted. Solche Machoidioten seien auch heute noch verbreitet, hab ich gehört… Jedenfalls kann man mit Sicherheit sagen, dass Kino früher ein deutlich überraschenderes Erlebnis war, als heutzutage, wo so viele von uns schwerst Smartphone-abgestumpft durch’s Leben zombieren und immerzu nur „Hab ich woanders schon gesehen“ murmeln, anstatt sich auf die Geschichte einzulassen. Buy-in? Zero…

Könnte man auch als Kulisse benutzen…

Das heißt nicht, dass alle früheren Filme besser gewesen wären als die heutigen. Gurken wurden auch in vergangenen Jahrzehnten zu Hauf gedreht; manche von denen SO SCHLECHT, dass sie im Laufe der Zeit sogar zum Kult wurden („Dark Star“ oder „Angriff der Killertomaten“ etwa). Aber manche waren Meilensteine, weil sie entweder die Art, eine Geschichte zu erzählen vollkommen neu interpretierten, ein neues visuelles Erlebnis boten, oder die Geschichte so gut erzählt waren, dass man sich mühelos darauf einlassen konnte. „Jäger des verlorenen Schatzes“ war so ein Film. Ob man die fünf Oscars als Zeugnis dafür akzeptiert, oder nicht, ist dabei unerheblich. Aber so brilliant ich persönlich den Film bis heute finden mag – auch hier gibt es, wenn man länger darüber nachdenkt, Plotholes, welche Teile der Geschichte und vor allem die Kontinuität mit den folgenden Filmen in Frage stellen (Stab des Re und Lichtreflexion, warum glaubt Indy in späteren Teilen plötzlich nicht mehr an Magie, obwohl er sie GESEHEN hat, etcpp.). Was aber viel wichtiger dabei ist: sind diese Plotholes SO relevant, dass sie meine „Willing Suspension of Disbelief“ zerstören, also meine Bereitschaft, mich auf die Geschichte einzulassen und über diese kleinen Inkonsistenzen und Fehler hinweg zu sehen, weil mich die Story, die Welt in der sie spielt, die Charaktere als solches faszinieren und ich bereit bin, die Realität mal eine Weile Realität sein zu lassen – oder eben nicht? Und ich stelle immer mehr und immer wieder fest, dass die oben bereits erwähnte Smartphone-Abstumpfungs-induzierte ENTSTAUNUNG der Zuschauer bei gleichzeitiger Zombifizierung diese Fähigkeit zu zerstören scheint. Schneller, höher, weiter – aber wehe jemand macht sich die Mühe, Dinge mit einem Schuss melancholischer Reminiszenz an frühere Geschichten zu erzählen; da hörst du dann sofort die ganzen dogmatischen Fanboys and -girls „FANSERVICE“ schreien. Wie bigott ist DAS denn?

Ich meine – es gibt auch teure Produktionen, die einfach meine Aufmerksamkeit nicht (mehr) wert sind. Diese ganze schlecht geschriebene, schlecht produzierte, uninnovative und mittlerweile mit echt lausigem CGI durchsetzte Superhelden-Massen-Scheiße, welche Disney uns hinzuwerfen die Frechheit besitzt BRAUCHT. KEIN. MENSCH. Also… ja, wahrscheinlich gibt es schon Menschen, die denken, dass sie das brauchen, ist ja ein freies Land, aber MIR könnt ihr mit dem Müll vom Halse bleiben, danke. Ich versuche zwar, dieses ganze „Medienreporter“-Geseiere zu umschiffen, aber es klappt einfach nicht. Verficktes Clickbaiting funktioniert auch bei mir hin und wieder. Also erfahre auch ich, öfter als mir lieb ist, vorab Dinge über Titel, die mich interessieren könnten. Ganz ehrlich, wenn’s nach mir ginge könnte man IMDB, Rotten Tomatoes und andere Rating-Seiten einfach wieder abschaffen. Entweder der Film klingt interessant, oder eben nicht. So bin ich früher in Filme gestolpert, die ich andernfalls vielleicht nie angeschaut hätte. Und die mich trotzdem beeinflusst haben. Und jetzt kommen wir zu dem Film, den meine beste Ehefrau von allen und ich uns dieser Tage im Heimkino angeschaut haben: „Indiana Jones and the Dial of Destiny“ – und der mich in vielerlei Hinsicht beeindruckt hat. Auch hier finden sich wieder diverse Plotholes (Helenas Motivation zu Beginn), Zufälle (Menschen denken über etwas nach und kommen zu den gleichen Schlüssen), und eine Szene, die ich in der Form anders geschrieben hätte (keine Spoiler, aber dieser Todesfall war unnötig). Jedoch James Mangold vorzuwerfen, dass er die alten Filme nicht verstanden hätte, ist aus meiner Sicht rundweg Blödsinn.

Man kann über den Einsatz von De-Aging-Technologie streiten, oder über die Frage, warum Helena anfangs ein so verdammt nervtötendes Wesen ist. Vielleicht auch darüber, dass den Nebencharakteren, abseits einiger Aha-Momente, nicht genug Zeit eingeräumt wird. Aber all das verdeckt für mich nicht die detailverliebte und weitenteils den Geist des Originals atmende Wiedererweckung jenes Mythos, der, nach all den Abenteuern endlich an einem friedlichen Ende seines Weges angekommen ist; und DAS darf und soll man auch darstellen, insbesondere wenn „Dial of Destiny“ offiziell der letzte Indiana-Jones-Film, ist. Nostalgie? Oh ja! Fan Service? In jedem Fall! Ein echtes Indy-Abenteuer? Sagen wir mal so: wenn man von ein paar kleineren Schnitzern im Skript absieht, die früher so eher nicht vorgekommen wären, ist es dennoch für mich ein würdiger Abschluss eines wirklich großartiges Movie-Franchises. Das andere das anders sehen, liegt in der Natur der Sache und sei ihnen unbenommen. Manche Kritik zielt mir jedoch zu wohlfeil auf Aspekte rings um den Film. Phoebe Waller-Bridge sei eine Comedienne ohne echte Film-Erfahrung; nun ja, Karen Allen und Kate Capshaw waren jetzt auch keine Titanen der Film-Industrie, als sie ihre Rollen in Raiders bzw. Temple of Doom bekamen. Und was ein Zuviel an Infos von Filmsets und Fimproduktionen angeht – so manches wurde in den letzten Jahren kaputt geschrieben, bevor es an den Start kam, und so manches, während es schon lief. Man denke nur an den Shitstorm ring um „The Witcher“ und den Disput Henry Cavills mit der Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich, was zum Weggang des Hauptdarstellers führte.

Die ganzen dämlichen Fanboys und -girls da draußen, die sich heutzutage oft schlimmer aufführen, als die noch dämlicheren Ultras einschlägiger Fußballclubs sind es, welche das Showbiz nachhaltig beschädigen; denn indem in den Chefetagen der Film- und Fernsehstudios nur noch kurzfristige Quoten und davon abhängende Abo-Zahlen, Merchandise-Verkäufe, Werbedeals, etc. zählen, werden Stoffe, die frischer Wind sein könnten gekillt, während man verzweifelt versucht, kranke Pferde zu Tode zu reiten, solange diese noch jeder kennt. In der Folge gibt’s Einheitskost, die oft so lieblos auf den Schirm geklatscht wird, dass sich der Vergleich zu jenem amerikanischen Gefängnis-Fraß anbietet, wie man diesen aus Filmen kennt… Ich würde mir wünschen, dass Menschen wieder anfangen, selbst über ihren Medienkonsum nachzudenken und nicht unreflektiert den Quatsch nachzuplappern, denn irgendwelche selbstverliebten Möchtegern-Kritiker online abzusondern die Stirn besitzen. Mir ist es vollkommen Wumpe, ob jemand anders den letzten Indy-Film Scheiße fand – er oder sie darf das gerne für sich behalten und muss sich den Film ja auch nicht anschauen; obwohl das dabei helfen würde, wenn man ihn kritisieren möchte. Ich wäre aber entzückt, wenn man dabei einfach unvoreingenommen an die Sache ranginge. Das hilft einem im Leben nicht nur vor dem Fernseher. Einstweilen lese ich Kommentarzeilen NACHDEM ich mir irgendwas angeschaut habe und habe so manchmal wenigstens was zu lachen. Startet schön in die neue Woche – aber labert eure Kollegen nicht mit eurer Meinung zu Film und Fernsehen voll, es sei denn ihr wisst, dass es eine gemeinsame Läster-Session wird. Im Privaten ist das okay – in der Öffentlichkeit NICHT. Und Tschüss.

Auch als Podcast…

Der Storyschreiner N°5 – Es braucht Charakter…

Man kann irgendetwas 35 Jahre lang tun und trotzdem kaum besser darin werden, wenn man die gleichen Dinge immer auf die gleiche Art tut, ohne je zu fragen, ob es vielleicht anders ginge – oder ob DAS die richtige Art ist, es zu tun. Oder ob man überhaupt das richtige tut? Man trifft solche Menschen überall; und immer wieder stelle ich mir diese Frage: wie kommt man dazu, wieder und wieder auf neue Fragen die immer gleichen, alten Antworten geben zu wollen? Gehen diese Leute blind und taub durchs Leben? Bilden sich diese Leute nicht mehr weiter? Und ich meine damit ausdrücklich nicht nur den beruflichen Kontext. Interessieren die sich noch für irgendwas? Um etwas spezifischer zu werden: ich meine hier nicht jene Leute, die in ihrem Fachgebiet gut SIND (die bilden sich nämlich aus eigenem Antrieb weiter), sondern jene, die nur GLAUBEN gut zu sein (und sich daher auf ihren „Lorbeeren“ ausruhen). Zweifellos müsste man annehmen, dass lange Erfahrung und Praxis einen automatisch besser machen; aber Pustekuchen – tatsächlich ist es erst die (selbst)reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun und Lassen, die Menschen an ihren Aufgaben wachsen lässt. Will heißen – roboten allein macht einen nicht besser!

Immer schön einen Durchgang zum Weg offenlassen!

Das gilt natürlich auch für kreative Tätigkeiten. Bevor der Spaß entsteht, ist zumeist harte Arbeit angesagt; die Basics lassen sich durch Immitation (abschauen und nachmachen) und Repitition (Wiederholen bis es wehtut) erlernen. Danach entsteht ein Zuwachs jedoch nur noch, wenn man sich mit seinem Handeln auch denkend auseinandersetzt. Ich merke das besonders beim Geschichtenerzählen. Ich habe über eine lange Zeit nur eine flache Lernkurve gehabt, weil ich nicht experimentierfreudig war und ein wenig eingefahren agiert habe. Etwa beim Pen’n’Paper habe ich immer schön das das „Monster of the Week“ präsentiert, bis ich dann irgendwann doch noch verstanden habe, Plots zu entwickeln, verschiedene Story-Bögen miteinander zu verflechten und die Struktur des Dramas zu nutzen. Bis heute funktioniert das mal mehr, mal weniger gut. Wobei unter SL heute auch eine gewisse Diskussion über die Frage herrscht, ob SL denn tatsächlich auch Storyteller sind? Nicht wenige sind der Meinung, dass dies nicht der Fall wäre, weil ja die Spieler durch ihre Charaktere die Geschichte erzählen, und zu viel Storytelling seitens der SL die Freiheit der Spieler einschränken würde; man kommt da ganz leicht auf das unebene Terrain der Railroading-Diskussion. Ich denke jedoch, dass SL sehr wohl ein Storyteller sein darf, ja sogar sein muss. Und dass Storytelling auch bei anderen Gelegenheiten seine Daseinsberechtigung hat. Es gibt jedoch zwischen dem Storytelling des SL beim Pen’n’Paper und bei meiner Arbeit im Lehrsaal einen inhärenten Unterschied: beim Pen’n’Paper ist es klar Charaktergetrieben, wohingegen Storytelling in der Erwachsenenbildung klar Plotgetrieben ist. Und daraus resultieren deutliche Unterschiede in der Herangehensweise.

Wenn ich Abenteuer für meine Spielrunden vorbereite, denke ich mir zuerst die Nichtspielercharaktere aus, ihre Motivationen, ihre Ziele, ihre möglichen Beziehungen zu den Spielercharakteren und wo sie aufzufinden sind. Von diesen Nexuspunkten aus weben die Spieler*innen dann ein Netzwerk möglicher Pfade, und entscheiden sich jeweils für eine Richtung, in die sie weitergehen wollen. Ich habe also keinen Plot im eigentlichen Sinne, sondern – wahrscheinlich irgendwann in Konflikte geratende – Charaktere mit jeweils eigener Agenda, aus deren Tun oder Lassen sich die Handlung der Geschichte ergibt. Meine Arbeit als Storyteller ist, den Rahmen vorzubereiten; wie jedoch das Bild am Ende aussehen wird, weiß ich zu Beginn genauso wenig wie meine Spieler*innen – mal davon abgesehen, dass das Ganze eine rein fiktionale Angelegenheit ist, die der Unterhaltung dient! Im Lehrsaal hingegen brauche ich eine Geschichte, die einerseits real genug ist und in das aktuelle Themengebiet passt, andererseits aber auch genug Anknüpfungspunkte an bereits vorhandene Erfahrungen der Zuhörenden besitzt und überdies den Weg zum Stoff interessant genug präsentiert, dass man sich aktiv damit auseinandersetzen möchte. Hier bereite ich Pfade vor, von denen ich mir wünsche, dass die Schüler*innen diese beschreiten mögen, und das unabhängig von den Charakteren. Ich habe von Anfang an eine klare Vorstellung, wo wir starten, und wo wir enden. Lediglich den Weg dazwischen gestalten die Schüler*innen beim selbstorientierten Lernen nach ihren Bedürfnissen.

Man kann also mit einem Blick erkennen, dass in beiden Instanzen Storytelling die Rolle spielt, die Leute an ihrem gegenwärtigen (mentalen) Standort abzuholen und auf eine mentale Landkarte zu führen; in beiden Fällen wählen die Zuhörenden den Weg! Im Unterrichtssetting muss ich mir als Erzähler, der gleichzeitig Lehrender ist, jedoch das Privileg vorbehalten, ein festes Ziel ansteuern zu wollen, was mein weiteres Handeln strukturiert. Am Spieltisch lasse ich mich einfach von meinen Spieler*innen mitreißen. In beiden Fällen jedoch bin ich wiederum von Charakteren abhängig. Am Spieltisch von den fiktionalen Charakteren, welche die Spieler*innen und ich entwickelt haben, um diese Geschichte gemeinsam weiter – und hoffentlich zu Ende – zu entwickeln. Und im Lehrsaal von den realen Charakteren meiner Schüler*innen, die – hoffentlich – aktiv mit den Inhalten der Erzählung zu interagieren beginnen. Und das stellt mich vor große Herausforderungen. Die Leute an meinem Spieltisch sind freiwillig da und VERLANGEN von meinem Bullshit zu hören! Die Schüler*innen jedoch… auf mich wirkt es oft so, als seien sie in jungen Jahren schon bis zu einem Level abgestumpft, welches ich so von mir selbst in dem Alter nicht kannte. Allerdings ist anekdotische Evidenz ja nicht verallgemeinerbar, also ist DAS zunächst nur so ein Gefühl.

Wenn ich raten müsste, wäre meine erste Vermutung, dass sie während ihrer allgemein-bildenden schulischen Laufbahn zu oft Menschen in die Finger gefallen sind, die seit 35 Jahren das gleiche tun, ohne sich noch je zu fragen, ob das heute noch so passt. Der Charakter zeigt sich durch das Tun oder Lassen und Lehrer sind Rolemodel, im Guten wie im Schlechten. Aber natürlich hat sich auch unser Medienkonsum in diesen 35 Jahren, seit ich in der Schule das erste Mal mit Rollenspiel in Berührung kam, erheblich verändert. Und auch damals gab es schon Pädagogen und Pauker. Ich denke, dass ich den Unterschied nicht unbedingt erklären muss. Für mich ist damit klar, dass die Funktion von Storytelling immer von den involvierten oder erzählten Charakteren und deren Motivationen, Zielen, Beziehungen abhängt. Das macht es für mich so spannend, aber auch so schwierig. Und weckt in mir den Wunsch, nicht nur noch mehr darüber zu lernen, sondern auch mehr Menschen daran teilhaben zu lassen. Mal sehen, ob, bzw. wie ich das hin kriege. Wahrscheinlich bedarf es dazu einer gewissen Charakterfestigkeit… C U soon.

Auch als Podcast…

Lauernde Bestien

Es wäre definitiv keine Übertreibung zu sagen, dass ich nicht nur eine Sommer-, sondern auch eine Nerdstuff-Hure bin. Ich wurde diesbezüglich in jenem dunklen, prähistorischen Zeitalter der späten 80er und frühen 90er des vergangenen Jahrhunderts sozialisiert, als die UDSSR, aka „Imperium des Bösen – damals wusste ich noch nicht, das zum Bösesein immer zwei gehören – gerade im Untergang begriffen war, zwei Deutschlands zumindest auf dem Papier zu einem wurden und viele Dinge wie Bücher, VHS-Kassetten, etc noch unter der Hand kopiert werden mussten, weil manche Dinge in Deutschland nicht so leicht zu bekommen waren. Pen’n’Paper war damals ein absolutes Nischenhobby, Animes sowieso, und die musikalischen Absurditäten, welche ich zu konsumieren beliebte (Metal, Punk, Gothic, Batcave, Industrial, Industrial Electro, etc.) ebenso. Man lief zwar als Nerd damals nicht so sehr Gefahr, verprügelt zu werden, wie dies evtl. in den Staaten der Fall war – den Außenseiterstempel bekam man trotzdem. Ich habe das immer ein kleines bisschen versteckt, weil ich eh nicht „one of the cool kids“ war. Irgendwann hat’s mir aber nix mehr ausgemacht, weil ich bemerken durfte, dass es andere gab, die ähnlich drauf waren wie ich.

Keine lauernden Bestien in Sicht – selbst die Menschen verstecken sich…

Ich lernte meine beste Ehefrau von allen in jener Zeit kennen und lieben – und natürlich teilten wir die Leidenschaft für so manches Hobby und/oder Medienprodukt. Über die Jahrzehnte haben sich unsere Geschmäcker beim Medienkonsum zwar ein wenig ausdifferenziert, aber manche Dinge sind immer noch gleich. So auch die Liebe für diverse Filme, die heutige Kinogänger als altmodisch oder langsam betrachten würden. Aber wenn ich mir so manches dieser modernen, hektischen Schnittgewitter anschauen muss, bekomme ich eher Brechreiz, als dass ich die Dynamik erkennen kann, welche Cutter und Regisseur vermutlich damit erzeugen wollten. Früher hat man mit kassischen Center-Framing, Kamerafahrten von der Totale ins Detail, Aufnahmen an ECHTEN LOCATIONS und ähnlichen cinematischen Kniffen, die man heute vergessen glauben muss, wenn man nur Blockbuster konsumiert, visuelle Erfahrungen geschaffen, von denen nicht wenige den Test of Time ziemlich gut bestehen. Vielleicht, weil man einigen einfach anmerkt, wie viel Herzblut, Handarbeit, Kreativität in die Erschaffung geflossen sind. Man kann sich dabei natürlich an Filmkritikern orientieren (Roger Eberts Verrisse waren ja legendär), oder man akzeptiert einfach, dass der eigene Geschmack nicht zwangsläufig am Mainstream ausgerichtet sein muss. Ist sowieso immer die bessere Idee, nicht blind und blöd hinter der Herde herzutraben. Manchmal machst du das nämlich, kuckst dich noch mal um, und bist plötzlich ein Nazi! Wird MIR nicht passieren.

Lauernde Bestien waren in diesem Zusammenhang z. B. „Der Geist und die Dunkelheit“. Und weil man über Geschmack nicht streiten soll sage ich dazu nichts weiter. Nur so viel: das war zwar damals kein Nerdstuff; manchmal muss man aber einfach nur warten, bis die Sachen, die man gut findet dazu mutieren, weil die Mainstream-Karawane weiterzieht und anderes abfeiert. Eine Zeitlang fand ich z. B. Superhelden-Filme ganz nett. Bis man merkte, dass Marvel die Kuh totgemolken hat. DC hätten das auch gerne hinbekommen, aber bei denen war das CGI schon am Anfang so Kacke, wie das JETZT auch bei Marvel der Fall ist. Außerdem war ihre Scripts immer schon zu ernst, ohne relevant zu wirken. Jetzt langweilt aber auch der ganze aufgesetzte, möchtegernwitzige Scheiß bei Marvel einfach nur noch. Natürlich sind alle Grundgeschichten schon lange erzählt. Schließlich gibt’s uns Menschen und das Geschichtenerzählen schon eine ziemliche Weile, und die Themen wiederholen sich zwangsläufig. Aber ich brauch was Frisches. Leider wollen die Geldgeber im Business raschen Return of Investment, weshalb man nur noch Franchises und Remakes auswalzt, um halbwegs sicher Kasse machen zu können – der Mainstream ist eben halbwegs berechenbar. Da lasse ich mich lieber noch mal von den alten Bestien belauern und genieße schöne Aufnahmen, für die man keinen Greenscreen ins jeweils billigste Produktionsland stellen, und Zulieferer knechten musste. Für MICH immer noch erheblich inspirierender, als dieser ganze moderne, ewiggleiche Retorten-Dreck. Ist wie mit aktueller Pop-Musik – hast du einen Song von Taylor gehört, hast du alle gehört. Viel Spaß beim Haten – wir Nerds haben uns schon lange dran gewöhnt.

Auch als Podcast…

Der Storyschreiner N°3 – Rückfall…

Ich habe gerade festgestellt, dass ich echt eine Sommerhure bin. Zumindest sprechen meine zwei letzten Posts hier diesbezüglich Bände. Und irgendwie dauert es mich, wenn ich zu oft die gleiche Leier spiele, denn immerhin ist monothematisch noch nie mein Ding gewesen. Aber wenn du halt in diesem Tunnel steckst und das Licht am Ende ein Schild ist, auf dem „Abgabetermin“ steht… Nun ja, an dieser Front klärt sich mein Geist gerade, da die letzten Schliffe an der Master-Arbeit zeitgerecht in der Mache sind und ich in den nächsten Tagen abgeben kann. Auf der Sollseite hat allerdings sich so viel seelischer Dreck angesammelt, dass irgendeine Therapieform vermutlich angezeigt wäre. Meine persönliche Lieblingsform ist und bleibt allerdings das Storytelling. Vielleicht greife ich die Idee mit „Them Vampir Ella“ wirklich auf…? Ne, Spaß – da gibt’s andere Projekte, die mich mehr reizen. Was mir fehlt, ist das Pen’n’Paper-Zocken. Die letzte Runde ist Monate her und einiges an meiner wissenschaftlichen Arbeit hat mir noch zusätzliche Lust darauf verschafft. Das Problem ist, dass Lust sich nicht automatisch in Motivation transformiert – und Motivation auch nicht verlustfrei in Aktion. Ich kenne mich selbst lang und intensiv genug, um zu wissen, dass ich gerade auf dem besten Wege von der Belastungs- in die Post-Projekt-Depression bin – dieses Loch, in das man fallen kann, wenn man gerade ein großes Ding gewuppt hat.

Holz-Kuppel BUGA 23

Ich hatte neulich mal so eine Modellskizze gepostet und über Grenzbereiche gesprochen, in denen das Erzählen einer Geschichte zu einer gemeinsamen Reise der Erzählenden und Zuhörenden wird; wobei beim Pen’n’Paper, wie auch sonst im Leben Zuhören nur für die Unverständigen ein passiver Akt ist. Ich musste das Modell, weil mein erstes Konzept noch nicht sauber in meine restlichen Gedanken gepasst hatte, noch mal überarbeiten und die Theorie-Bezüge schleifen, bin jetzt aber hoch zufrieden damit. Was mir in letzter Zeit nicht recht gelingen will ist, meine eigene Geschichte kohärent und befriedigend weiter zu erzählen. Ich meine, objektiv betrachtet fahre ich gerade die Früchte jahrelanger Arbeit ein und könnte mir zumindest’n bisschen auf die Schulter klopfen lassen. Doch – und es tut weh, das sagen zu müssen – ich fühle es nicht. Präzise fühle ich im Moment NICHTS. Und ich glaube, dass ich dringend in den Erzählraum muss – jenen nicht-physischen Ort jenseits der Realität, der es mir erlaubt, mit meinen Träumen wenigstens in jener Art von Simulation zu interagieren, die Rollenspiel nun mal ist. Ich gäbe wirklich viel für ein bisschen Immersion an einem Ort, an dem ich mal jemand anders sein darf, als der white, middle-aged, depression-ridden, cis-gender male, der ich mittlerweile geworden bin. GODDAMMIT!

Ich frage mich in letzter Zeit oft, was für ein Mensch ich gerne wäre, Wir alle – zumindest die Menschen meines Alters und darüber – haben ja dann und wann diese Momente, in denen wir unseren jüngeren Ichs gerne mal ein paar Ratschläge geben wollen würden – oder saftige Ohrfeigen, je nach Tagesform. Aber dieses ganz Hätte-Hätte-Gezuchtel taugt doch höchstens dazu, sich noch tiefer in diesen zähen, schlammigen Teich aus Selbstmitleid, Depression, mieser Laune und schlechten Coping-Strategien zu versenken. Ich sprach neulich von Framing. Und letzten Endes ist das wohl die einzige Chance, gegen dieses Teufelskreislaufartige, Selbstwertmangelgetriebene, Stressgetriggerte Sich-Selbst-Zerfleischen anzukommen: dreckig lächelnd das Komma des Lebenszufriedenheitskontos eine Stelle nach Rechts zu schieben (und ggfs. das Vorzeichen zu tunen), und im persönlichen Résumée das psychische Tafelsilber so lange zu polieren, bis dessen Glanz alles andere überstrahlt. Wir alle haben Dinge an uns, die einfach nur GEIL sind – wir neigen nur dazu, es zu vergessen. Ich weiß z. B., dass die Jahrzehnte der Übung mich zu einem wirklich guten Geschichtenerzähler gemacht haben. Und das möchte ich gerne wieder spüren dürfen. Egal, ob beim Schreiben, als Spieler oder Spielleiter. Und was ist euer GEILES DINGENS, mit dem ihr euch so richtig aus dem Loch ziehen könnt? Ich wünsch euch was…

Transparente Etiketten

Ich konsumiere, also bin ich! Ich meine damit tatsächlich zur Abwechslung mal nicht das Kaufen und Einlagern von weitestgehend nicem aber irgendwie unnötigem Tand, sondern Mediennutzung. Bei mir sind das häufiger mal obskure Musikaufzeichnungen (aber auch Filme und Bücher) aus dem Zeitalter meines persönlichen „coming of age“ – für jene, die das noch nicht mitbekommen haben: ich bin in den 70ern geboren und damit geistig ein Kind der 80er. Ich weiß, das erklärt so einiges. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft dann auch – voll stilecht – im Hintergrund New Wave und Retro Electro in Dauerschleife. Aber im Grunde geht es mir nicht um die 80er als Zeitalter, sondern um eine Stilrichtung, die in jener Zeit weiter entwickelt wurde, und die heute wieder im Trend liegt: Cyberpunk. Ich habe mich an dem Thema schon ein paar mal abgearbeitet [True punks don’t need cyberware!, WTF-punk…? und …punked…? als Beispiele], stehe aber manchmal immer noch im Wald. Long Story short: für viele steht der Begriff „Cyberpunk“ als Synonym für einen Modestil, ein Computerspiel und vielleicht ein, zwei Filme, die sie gesehen haben – und dann denken sie, sie wüssten, worum es geht.

Sehgewohnheiten…?

Ich selbst ringe oft mit Begriffen, weil mir einerseits sprachliche Präzision am Herzen liegt; das ist der Sozialwissenschaftler und Pädagoge in mir, der sich weniger Missverständnisse und mehr Miteinander wünscht. Andererseits haben manche Begriffe oft einen impliziten, also nicht gleich sichtbaren aber dennoch wirksamen Bedeutungs-Überschuss – dass, was wir Konnotation nennen. Ich will es mit einem Beispiel versuchen. Nehmen wir das Wort „Gerechtigkeit“. Auf den ersten Blick ist es einfach: Gerechtigkeit bedeutet, so zu handeln, dass ein Ausgleich zwischen allen beteiligten Parteien in einem Prozess entsteht. But one mans justice is another mans penalty…? Werden also alle Beteiligten den gleichen Blick auf Gerechtigkeit haben, wenn ein Richter sein Urteil verkündet, ein Schlichter im Tarifstreit seinen Vorschlag unterbreitet, oder Menschen zivilen Ungehorsam ausüben, um zum Handeln im Angesicht einer ungewissen Zukunft aufzurufen, und dafür von wütenden Verkehrsteilnehmern in den Bauch getreten bekommen? Ich denke nicht! Was bedeutet, dass subjektiv eindeutige Begriffe sehr oft eine situationsabhängige – und vor allem hoch individuelle – Interpretation erfahren.

Kehren wir zu Cyberpunk zurück: one persons latex-clad Trinity is another persons in-depth look at the ever-changing phenomenon known as „society“. Cyberpunk war nie dieses eine stil-uniforme, einheitliche literarische Genre, sondern stets mehr eine Art Schmelztiegel unterschiedlichster Ideen, Wahrnehmungen und Ängste. Aber den Autoren war eine Sache wichtig – Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung künstlerisch zu interpretieren und zu extrapolieren, um so darauf hinzuweisen, was passieren KÖNNTE, wenn man auf diesem oder jenem Pfad ungebremst weiterfährt. Ein einendes Thema war dabei recht oft die Entwicklung hin zu einem Kapitalismus im Endstadium, der anfängt seine Kinder zu fressen. Ohne jetzt allzu apokalyptisch klingen zu wollen – da sind wir längst. Andernfalls hätte nicht mein zweiter Satz in diesem Post auf typischen Consumerism des frühen 21. Jahrhunderts hingewiesen. Wir rennen zugegebenermaßen nicht alle mit Chrom im Körper rum, wie in Night-City (=> Cyberpunk 2077) Unsere Menschlichkeit opfern wir auf andere Weise. Man kann auch ohne Chrom so sehr mit dem Internet verwachsen sein, dass man sich selbst, oder besser seine Verbindung zu wahrem Menschsein (also realem sozialem Miteinander und Solidarität) verliert und sich somit selbst beschädigt. Sich dann mittels Medienkonsum abzulenken, ist das unzureichende Pflaser für die Wunden auf der Seele, die uns die De-Humanisierung unserer Welt tagtäglich zufügt...

Verschiedene Autoren hatten unterschiedlich Vorstellungen von der Zukunft; aber ihnen allen war gemein – und ist dies teilweise bis heute – dass ihre papiergewordenen Blicke auf diese potentiellen Zukünfte übernüchtern bis pessimistisch ausfallen. Ich selbst bin kein übernüchtern pessimistischer Mensch, aber ich nutze solche Szenarien, um meine eigene Wahrnehmung für die Welt und ihre Dynamik zu schärfen. Und selbstverständlich nutze ich sie zum Zwecke der Unterhaltung. Sowohl als Konsument (Bücher, Filme, Musik), als auch als Produzent (Pen’n’Paper, Schreiben). Kulturprodukte sind natürlich stets dem Zeitgeist unterworfen. Wenn man sich heutzutage manche Filme (speziell „Komödien“ und „Actionfilme“) aus den 80ern und 90ern anschaut, rollen sich einem die Fußnägel soweit auf, dass man ein Bügeleisen braucht. Damals war’s aber cool. Eines der Probleme, die daraus für Menschen meines Alters erwachsen ist, dass wenn man einem nostalgischen Impuls folgend, jene ehemaligen Orte der ungetrübten Freude aufsucht, oftmals mit erheblicher Ernüchterung konfrontiert wird. Schaut euch doch noch mal mit halbwegs erwachsenem Blick „Waynes World“ an. Oder „Bill und Ted“. Oder „Action Jackson“. Oder „American Fighter“ – Yuck…

Cyberpunk war schon immer so viel mehr als hackende, latextragende, im Neonglitzer der Tech-Slums umherstromernde Outlaws, die lässige One-Liner raushauen und nebenbei alles wegputzen, was ihre Hood bedroht. Das sind alles nur Etiketten, der klägliche Versuch von Marketing. Dabei ist so transparent, dass die Essenz des Begriffes Cyberpunk von diesen Möchtegern-Medienschaffenden nicht verstanden wurde, dass es einem schon fast weh tut. Denn um den vorhandenen Subtext von bestehenden Kulturprodukten verstehen und eventuell neu interpretieren zu können, muss man sich a) mit den Kommunikationsmodi verschiedener Kunstformen beschäftigen, b) bereit sein, seinen eigenen Blick auf die Dinge mal beiseite zu lassen, um die die Welt durch jemand anderes‘ Augen sehen zu können und c) Historizität verstehen lernen. Die 80er waren eine andere Zeit, als unsere heutige – alle Probleme, Fehler und Glitches inbegriffen. Das bedeutet jedoch minichten, dass damals alles schlimm war. Es war anders, weil die Wahrnehmung anders war. Und Künstler wie Neal Stephenson, William Gibson, Philip K. Dick haben aus jener Zeit heraus in eine Zukunft geschaut, die von unserer heutigen Realität in mancher Hinsicht nicht allzu weit entfernt ist – auch wenn ChatGPT noch keine Wintermute ist (1984: Gibson => Neuromancer).

Kunst ist Kommunikation – man braucht also die richtige Sprache, um Kunst dekodieren zu können. Was mich betrifft – ich kehre immer mal wieder zu den alten Sachen zurück. Nicht etwa, weil ich neueren Kulturprodukten nichts zutraue, sondern um mich auf meine Wurzeln zu besinnen, und das Delta, also die Unterschiede im Ausdruck und in der Dynamik für mich selbst fassbar zu machen. Außerdem ist es – insbesondere bei Filmen – eine gute Schule für die Sinne. Achtet mal auf die lausige Schnitttechnik und Kameraführung bei so manchem modernen Film – 30 Schnitte pro Minute suggerieren nur wahrnehmungs-gestörten Kognitionsallergikern Dynamik, verwirren aber jene, die sich Qualität wünschen; klassisches Centerframing ist schon echt kompliziert, gell. Man versucht mit optischer Hektik meist einfach nur ziemlich ungeschickt, das Unvermögen mancher Kameraleute, Schauspieler und Regisseure zu kaschieren. Brauch ich nicht. Da bleibe ich lieber – meinen Seh- und Hörgewohnheiten treu – ein oldschooliger Cyberpunker, auch wenn selbst das wahrscheinlich nur ein transparentes Etikett ist; es verdeckt den Umstand, dass es MIR vor allem um den Punk, also das Aufbegehren gegen den Status Quo geht, nur unzureichend. Ist mir Recht. Ich wünsche euch einen guten Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°49 – Campaign prep…

Zuerst noch mal etwas Nomenklatur; aber keine Sorge, allzu theoretisch wird es nicht. Zoomen wir von groß nach klein. Jede Pen’n’Paper-Kampagne spielt an irgendeinem Ort, der sich in einem größeren Gefüge wiederfindet. Die meisten Regelwerke arbeiten mit einer eigenen Welt, oder mit einer eigenen Version der uns bekannten Welt. Im Bereich Fantasy sind es zumeist jedoch fiktive Kontinente und Länder, wie etwa Mittelerde. Die Welt, auf der meine gegenwärtige Fantasy-Kampagne spielt, heißt Ogaimos. Diese Welt hat eine eigene Geschichte, eigene Kulturen, eine Kosmologie (also Religionen, Mystizismus, Magie, etc.), sprich: alles (und etwas mehr), was wir hier und heute auch haben. Diese Gesamtheit übergeordneter erzählerischer Elemente nennt man Metaplot. Lasst euch davon nicht erschrecken, denn das Meiste davon braucht es am Anfang nicht. Aber mir als SL muss bewusst sein, dass eventuell irgendwann jemand danach fragt. Spätestens, wenn die Chars das Reisen anfangen, oder tiefer in den Metaplot einsteigen, passiert das automatisch. Ich muss davon aber nur soviel vorbereiten (oder lernen, wenn ich eine vorproduzierte Spielumgebung nutze), wie ich für die ersten Storybögen (also Einzelgeschichten innerhalb einer Kampagne) benötige. Storybögen oder Story Arcs sind dabei eingebettet in die Core Story, welche die Teile der Welt erzählt, die für die Chars direkt erlebbar sind.

(c) by Monika Merz

[Ein Beispiel: Die Chars treffen sich in der Stadt Villera, weil einer der Chars auf der Suche nach etwas wichtigem ist, das gestohlen wurde. (=> erster Story Arc der Kampagne!). Bei der Suche danach stolpern sie über eine alte Verschwörung, welche der Stadt vor einiger Zeit einen anderen Herrscher beschert hatte, sowie eine neue Verschwörung und Intrigen, bei denen nun um diese Macht gerungen wird; hieraus entsteht eine Abfolge von einzelnen Story Arcs oder Abenteuern (=> Core Story der Kampagne!). Die Stadt Villera liegt ja aber nicht isoliert im Nirgendwo, sondern auf Ogaimos und hat gemeinsam mit dem Rest der Welt eine Geschichte, beherbergt Völker, Kulturen und Religionen, die miteinander interagieren; und aus dieser Geschichte heraus droht ein dunkler Gott, sich erneut zu erheben, indem er die Fürsten der Stadt, mehr oder weniger subtil, in einen Bürgerkrieg manipuliert (=> Metaplot der Welt/Kampagne!) Womit auch klar wird, was das Movens, bzw. der Motor dieser Geschichte ist: nämlich die Ambitionen, Ziele, Wünsche, Träume der NSCs, die momentan über die Stadt herrschen. Und die alle, welche sich gerade zufällig in der Gegend befinden, mit in ihre Machenschaften hineinziehen. Ich bot den Chars also am Anfang einen McGuffin, um sie für die aufziehende Dunkelheit zu interessieren; aber ab einem bestimmten Punkt haben sie sich selbst dafür entschieden, es ausfechten und die Stadt schützen zu wollen; jede*r einzelne aus ganz individuellen Motiven.]

Faltkarte in meinem Campaign Diary

Ich beginne für die Campaign Prep also in aller Regel mit einer (wie auch immer gearteten) Übersichtskarte des Ortes, an welchem sich die ersten Story Arcs abspielen und notiere mir die (zunächst) nicht ganz so wichtigen NSCs wie Stadtwachen, Ladenbesitzer, Wirte, Schmiede, etc. die der Welt Flair & Fluff geben, wenn man sie namentlich ansprechen kann. Flair & Fluff klingt vielleicht auf den ersten Blick unwichtiger als es tatsächlich ist; denn eine Spielwelt wird im Pen’n’Paper erst dann zu einer second World, zu einem glaubhaften Ort, wenn solche Details die „willing suspension of disbelief“ unterstützen. Namen sind wichtig! Wesenszüge sind wichtig! Stimme ist nicht unbedingt wichtig, gibt der Sache aber, wenn man das dosiert einsetzt eine gewisse Würze (Hinweis: da wir NICHT allesamt Voice Actors sind, wie etwa das Cast von „Critical Role“, kann so etwas auch leicht ins Lächerliche abgleiten! Bevor man es hier übertreibt, lässt man’s lieber sein!) Aus zunächst unwichtigen NSCs können mit der Zeit durchaus auch wichtige NSCs werden; das schlägt sich dann im Campaign Diary, also den fortlaufenden Aufzeichnungen nieder. Mehr oder weniger gleichzeitig mit der Karte entstehen auch die ersten Key-NSCs, also Nichtspieler-Figuren, welche den Lauf der Geschichte beeinflussen helfen, indem sie entweder die Chars unterstützen, oder zu deren Anatagonisten werden. Bei manchen ist das schon am Anfang klar, bei manchen entsteht die tatsächliche Rolle, die sie zu spielen haben erst im Laufe der Geschichte. Key-NSCs haben immer einen eigenen Stat-Block und eine wenig Hintergrundgeschichte verdient.

NSCs aus dem Campaign Diary

Schließlich brauche ich ja auch noch den Plotbus! Der Plotbus ist für mich ein Synonym für Einstiegspunkte in eine vom SL vorbereitete Geschichte, also den eigentlichen Content, mit dem die Spieler sich später auseinandersetzen müssen/wollen. Hier ein kurzer Hinweis: die bloße Existenz eines Plotbusses ist KEIN Indikator für Railroading, sondern dafür, dass sich der SL vor Beginn des Abenteuers Gedanken darüber gemacht hat, was er seinen Spielern heute zu servieren gedenkt. Der Plotbus kann sich etwa in einem klassischen Questgeber konstituieren, in einer zunächst willkürlich erscheinenden Begegnung, die Fragen aufwirft, oder im Auffinden einer außergewöhnlichen Situation (Tatort o.Ä.). Das WIE ist dabei nur insofern interessant, als es zum WAS hinleiten sollte. Wenn ich möchte, dass die Chars einen Mord untersuchen, dann sollten sie in einer Weise über den Tatort stolpern, die Interesse oder persönliche Betroffenheit erregt. Wenn ein gestohlener Gegenstand wiederbeschaft werden soll, ist es vollkommen OK, einem der Chars direkt diesen Auftrag zu geben. Und wenn man möchte, dass sie eine geheime Schmugglerbasis im Innern einer Insel im Wolkenozean erforschen, dann plaziert man auch mal eine Vision über drohendes Unheil… [Eine persönliche Anmerkung: ob ihr, so wie hier bei mir zu sehen ein analoges Journal nutzt, oder irgendeine digitale Form, ist reine Geschmacksfrage; wichtig ist, dass das Journal regelmäßig gepflegt und mit den wichtigen Infos gefüttert wird. Insbesondere wenn NSCs sich entwickeln, muss dem ausreichend Platz eingeräumt werden, denn diese Art des Kampagnen- und Abenteuer-Designs ist zum allergrößten Teil Charakter-getrieben].

Apropos geheime Schmugglerbasis… 😉

Und damit sind wir mit der Kampagne auch schon soweit, dass man starten kann. Es ist natürlich durchaus clever, mehr Content vorzubereiten, als nur das erste Abenteuer. Aber manchmal muss man seine Spieler erst mal antesten, wie sie mit neuen Gegebenheiten, einer neuen Kampagnenidee, neuen Chars umgehen. Nicht jede Idee, die auf eurem SL-Papier toll aussieht, funktioniert auch für eure Spieler! Was aber einmal als Campaign-Prep niedergeschrieben wurde, bleibt verfügbar. Wenn’s jetzt nicht zündet, kann das in sechs Monaten schon ganz anders aussehen. Prep-Time ist also nie verschwendet. Und – sich selbst mal zu recyceln, ist definitiv nicht verboten! Insofern sind die Campaign Diaries das Herzstück der SL-Arbeit, weil sich dort alsbald alle relevanten Informationen zusammen finden. Eine gute Buchführung erleichtert überdies auch die „Session Prep“ erheblich. Doch damit wollen wir uns nächstes Mal in dieser Serie auseinandersetzen. Einstweilen gilt – always game on!

Auch als Podcast…

Eine Schreibübung…

Blitze zerrissen die Dunkelheit und dichter Regen fiel wie eine Wand. Merrick stand da, ganz still, nur atmend. Von den Zinnen des Turmes aus war es unmöglich den Hof der Zitadelle komplett zu sehen. Irgendwo da unten waren sie, lauerten, gierten nach seinem Blut. Das Gewitter schwieg für einen Moment und er sprang. Der Fall war lang und mit einem lässigen Federn rollte er von Punkt seines Aufpralls weg, die Schwerter aus den Scheiden zischend. Der erste Angriff hätte ihn beinahe getroffen, doch das Biest aus Schatten zerfaserte mit einem Aufheulen, als er ihm mit einem sauberen Schnitt ein Bein abtrennte.
Die nächsten Angriffe folgten in schneller Folge, doch seine Klingen zeichneten einen hypnotischen Wirbel in die Dunkelheit, Gegner um Gegner zurückschlagend; dann schrillte ein Klingeln durch den Burghof, dass alle für einen Moment zu irritieren schien. Eines der Biester erwachte wenige Hundertstelsekunden vor ihm aus seiner Verwirrung und lange, elend scharfe Klauen fuhren von oben durch seine Schulter, zerrissen seinen Brustpanzer und mit einem Schrei hauchte der Samurai sein Leben aus, zerfetzt von einem Schatten-Oni.
Mit einem lästerlichen Fluch auf den Lippen betrachtete er das „GAME OVER“ in seiner Brille, einen Moment überlegend, ob er jetzt überhaupt auf den Idioten reagieren sollte, der gerade seine Kom-Blockade umschifft und ihn damit sein letztes Leben gekostet hatte. Mit einem Seufzen stöpselte er aus, setzte die Brille ab und ließ seinen Blick durch die Arcade schweifen, wo in Dutzenden angeranzter Virtu-Kabinen andere Gamer ihr Glück versuchten. Das Klingeln war persistent, also bestätigte er und der Holo-Projektor seines Omnis zeichnete das Bild eines nichtssagenden Standard-Avatars in die Luft. Gemäß des, vom Anrufer aktiviertem Privacy-Protokolls wurde der Audio-Stream des Anrufes direkt in den Drahtlos-Anschluss seiner Buchse gestreamt.
Datenbuchsen der neueren Generationen hatten dieses Feature serienmäßig und er mochte es. In aller Öffentlichkeit telefonieren zu können, ohne dass die Informationen kompromittiert wurden; wenn nicht gerade zum rechten Zeitpunkt irgendein ultrakrasser Hacker im Nahbereich saß und den Feed anzapfte. Aber das konnten nur sehr, sehr wenige. Also fühlte er sich ziemlich sicher. War auch besser so, denn der Anrufer vertrat eines wichtigen Kunden.
„Merrick-San, schön dass sie es doch einrichten konnten. Ich hoffe, ich habe sie nicht bei etwas Wichtigem gestört…?“
Diese freundliche Stimme von Mr. Shao nervte ihn, wussten doch beide, dass es dem Anrufer scheißegal war, ob er gerade eine Ehe gesprengt, oder einen wichtigen Deal vereitelt hätte. Er machte sein Ding für seinen Boss und alle anderen hatten zu kuschen. Dieses elitäre Geschmeiß aus den oberen Ebenen. Die waren doch alle gleich. Er atmete einmal tief durch und versuchte mit möglichst nichtssagender Stimme zu antworten, denn ein Job aus diesem Büro war immer hilfreich, weil top bezahlt.
„Nö, Shao, is alles Sahne. Was gibt’s?“
„Mr. M benötigt ihre Dienste für einen Personentransfer vom Raumhafen ins Blue Chip.“
„Reicht dafür kein Taxi-Unternehmen?“
Sein Tonfall hatte ins Genervte gewechselt. Was sollte das?
„Mr. M hat explizit sie angefordert, da der Gast noch nie in Tairan City war und man nie wissen kann…“
Die unausgesprochenen Teile des letzten Satzes ließen vermuten, dass es vielleicht doch nicht so langweilig werden könnte. „Wann soll’s losgehen?“
„Jetzt! Wenn sie akzeptieren, schicke ich ihnen alle relevanten Informationen auf ihr Omni. Mr. M bittet um Diskretion!“
Das tat er eigentlich immer, also war es unnötig darauf hinzuweisen, weshalb er ihre letzte Äußerung mit einem gebrummelten „Schick schon!“ quittierte. Mit einem höchst indignierten Gesichtsausdruck übertrug der Avatar ein Datenpaket in sein Omni und das Gespräch wurde beendet.
Die gebotene Bezahlung war allerdings attraktiv. Er sah sich noch einmal um, unauffällig auf das Highscore-Board schielend. Immerhin hatte dieser Poser von Chukyo es immer noch nicht geschafft ihn vom Thron zu stoßen. Mochte an der Übung in der realen Welt liegen, die auch im Cyberspace durchaus einen Unterschied machte, den Ungeübte nur durch den Zukauf unverschämt teurer Aktoren-Software auszugleichen hoffen konnten. Derlei Geldverschwendung hatte er nicht nötig. Er verließ die Virtu-Kabine, löste seinen Rucksack am Schalter aus und machte sich auf den Weg zum Raumhafen. Immer schön gemächlich, es blieb ja noch fast eine Stunde, bis das Schiff ankommen würde.

Der Text, aus dem der Auszug stammt, sintert schon eine Weile auf dem Clouddrive vor sich hin. Hoffentlich werde ich irgendwann auch mal wieder mit einem Buch fertig…

An manchen Tagen, möchte man fort…

Schaukel mich rüber, über den Fluss!
Ich will nicht fort hier, ich muss!
Ich spür‘ kaum noch, leb‘ kaum noch,
den Zahn der Zeit, den spür ich jedoch.

Suche nach Willen, suche nach Kraft,
die, was zu tun, irgendwie schafft.
Existiere im Jetzt, sehn‘ mich nach Morgen.
Was wahres Leben, bleibt grad‘ verborgen.

Wie dunkles Tuch, kühl und dumpf.
In meinem Kopf ein einziger Sumpf.
Trüg mich die Schaukel doch über den Fluss
Aus dem Morast hier, fort ich muss!

Es bleibt mir ein Rätsel, was kann ich tun?
Geh immer noch vorwärts, müsste doch ruhen.
Lieg nachts wach, schau auf den Mond,
dieser Anblick ist mir lang schon gewohnt.

Doch im Morgen, nach dem ich mich sehnte,
mich einmal wieder bess’rer Dinge wähnte,
ist doch nur wieder der Sumpf, ohne ein Ende.
Wann kommt sie wohl, meine Gedankenwende?

Seh‘ ich die Schaukel, wird mir bald bewusst,
sie schwingt immerfort, quert doch nie den Fluss.
Also bleiben wir zusammen, im Hier und Jetzt
Besser wär’s dann wohl, wenn man das schätzt…

Grantel in the Bronx!

[VORSICHT RANT! ] „Is‘ so still hier… HALLO – jemand da?“ Leise verklingen die verzagten Rufe in den weiten Hallen des Gedankenpalastes, sich dabei nur mit dem eigenen Echo unterhaltend. So, oder so ähnlich kam ich mir selbst die Tage vor. Einsam. Obwohl so viele Andere da waren. Weil wir alle auf uns selbst, unsere elementaren Ängste und diese anderen, niemals offen artikulierten Emotionen zurückgeworfen sind. Denn der moskowitische Deckenwilly, dieser geschichtsklitternde KGB-Hanswurst und seine Oligarchokratie drehen hohl – und machen, dass wir alle mit hohl drehen! Hab gesten auf Zeit Online (wo sonst) einen Essay vom nicht vollkommen unprominenten Soziologen Armin Nassehi gelesen; seine Deutung: wir haben die Demokratie zu lange als Selbstbedienungsladen und den Staat als Dienstleister interpretiert und genutzt. Und kommen jetzt nicht damit klar, dass Demokratie AUCH bedeutet, sich eine eigene Meinung BILDEN, diese VERTRETEN und auf dieser Basis selbst ENTSCHEIDEN zu MÜSSEN. Wir haben verlernt, dass Demokrat zu sein, anstrengend ist. Anstrengend sein MUSS! Denn die aktuelle Beliebigkeit und die „alternativlosen“, rein Konsumentenorientierten Entscheidungen, wie sie die Politiker derzeit treffen („…es darf UNS nicht zu sehr wehtun…“) versuchen jede Anstrengung, jeden Diskurs, jedes Vertreten demokratischer Grundüberzeugungen (wie etwa die Gültigkeit des Völkerrechts auch für beknackte Russen-Diktatoren) tunlichst zu vermeiden. Democracy light to go sozusagen. Wasch mich, aber mach mich nicht nass… Können wir uns nicht alle hinstellen und sagen – NO PASARÁN – sie kommen nicht durch! Als Weltgemeinschaft diesen Wahnsinn stoppen, bevor er noch weiter eskaliert? Putin demilitarisieren und in irgendein tiefes, gottverlassenes Loch werfen und einfach vergessen? Warum können wir das nicht? WARUM GOTTVERDAMMTNOCHEINS? Ja, das hier ist nicht Spanien in den 30ern des letzten Jahrhunderts. Und er heißt Putin, nicht Franco. Aber auf welcher Seite das Unrecht kämpft, auf welcher Seite tatsächlich die Nazis stehen, ist sonnenklar; auch wenn der Möchtegernbärentöter Putin natürlich eine andere Geschichte erzählt. Ich habe die Schnauze davon voll, dass es egal ist, wen du wählst, weil sie ALLE nur den Göttern „Mamon“ und „Umfragewerte“ dienen. Nicht der Demokratie! Nicht dem Völkerrecht! Nicht den Menschen, deren Vertreter sie eigentlich sein sollten! Das Wort Partikularinteresse wird uns als Menschheit alsbald endgültig zu Grunde richten. Und der beschissene, ungerechte, unverhinderte Krieg gegen die Ukraine ist nur ein Aspekt davon… Ich habe fertig… [RANT ENDE!]

[Die andere Seite!] Ich habe in letzter Zeit viel über Verpflichtungen nachgedacht. Über die Frage, warum ich tue, WAS ich tue? Warum ich es tue, so WIE ich es tue? Ob ich mir nicht etwas Anderes vorstellen könnte? So diese typischen Fragen, die im Jahres- oder Zweijahresrhythmus wiederkehrend schlechte Laune, schlechten Schlaf und (zumindest manchmal) schlechte Entscheidungen mit sich bringen. Ich bin tatsächlich mit mir übereingekommen, dass ich am richtigen Platz bin, als ich dieser Tage Praxisanleiter in Ausbildung auf ihrer Reise durch die Welt der Berufspädagogik begleitet habe. Denn ich habe gespürt, dass ICH für so einen Lehrsaal gemacht bin. Das ich auch die anderen, weniger glamourösen, weniger öffentlichen Aspekte meines Jobs als Schulleiter immer besser beherrschen lerne, durfte ich diese Woche auch erfahren. Was mir aber am wichtigsten ist: ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels hoher Belastungen. Wieder in ruhiges Fahrwasser kommen, wieder mehr für meine Lieben und mich selbt da sein können – das passiert gerade. Und das macht mich glücklich. Ich schrieb dieser Tage unter einem Facebookpost zum Ukrainekrieg, dass die Welt sich nur für die direkt Betroffenen zu drehen aufgehört habe! Ich würde nun ergänzen wollen, dass wir uns vermutlich auch deswegen schlecht fühlen, weil es für uns einfach normal weitergeht. Obwohl dystopisch-gewalttätige Szenarien, die den machtdementen Kleptokraten Putin als Nemesis ganz Europas sehen wollen, momentan eine gewisse mediale Konjuntur haben. Da phantasieren sich ein paar sendungsbewußte Journaillen gerne einen auflagenstarken Untergang herbei. Kein Wunder, dass ich dieser Tage morgens mit dem berühmten Satz Robert Oppenheimers im Kopf aufgewacht bin „Ich bin der Tod geworden, Zerstörer von Welten!“ (im Original aus der hinduistischen Schrift „Bhagavad Gita“). Journalismus ist genau wie Geopolitik offensichtlich ein Geschäft mit der Angst. Ich habe keine Ahnung, wie’s weiter, oder gar ausgeht. Ich glaube jedoch, DASS es weitergeht. Auf die eine oder andere Art und Weise. Und ich weiß, dass ich mir und meinen Lieben – so lange das möglich ist – gerne etwas Glück konservieren würde. Schaue ich gerade aus dem Fenster, scheint da die Sonne. Davon möchte ich gerne mehr. Denn je länger wir in Schockstarre auf die Ereignisse im Osten blicken, umso länger wird es dauern, bis sich eine Bewegung findet, den Wahnsinn zu beenden. Hoffnung ist des Menschen vornehmste und zugleich schrecklichste Bürde. Ich habe nochmal fertig… [Herzlich willkommen auf der anderen Seite!]

PS: Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Gegrantel ist – und die Bronx ist in Mannheim ein anderer Stadtteil. Aber ein Jackie Chan, der jetzt den Bösewicht verkloppt, hätte etwas erfrischend Erheiterndes. Denn eigentlich sollte man den kleinen Mann und seine großen Machtträume einfach nur auslachen und stehenlassen – nachdem man ihm alle Waffen weggenommen hat. Schönen Samstag.

Auch als Podcast…