Empathie-Oxidation

Man kann einfach nur für sich leben. Ja, das geht! Man eignet sich einfach diese Arschloch-Attitüde an, dass die ganze verdammte Welt ein dauerhaft geöffneter Selbstbedienungsladen ohne Kasse ist. In altmodisch nennt man solches Verhalten egoistisch oder schlicht asozial. Auf neudeutsch nennt man sowas schick. Denn offensichtlich haben immer mehr Menschen Ansprüche an die Gesellschaft um sie herum, die jedoch durch keinerlei Leistung für die Gesellschaft um sie herum begründbar wären. Ob das nun diese Spasten sind, die wegen eines Bekannten mit Männerschnupfen Mittwochs Morgens um halb drei einen Noztarztwagen verlangen, diese hektischen, zappeligen Drängler, denen es bei keiner noch so unwichtigen Verrichtung schnell genug gehen kann, oder dieses Pack, dass sich gegenüber Amtspersonen alles erlauben zu können glaubt; all überall sieht man, zumindest gefühlt, nur noch dumme, dreiste Menschen!

Natürlich trügt diese Empfindung ein Stück weit, weil Menschen auf negative Erlebnisse erwiesenermaßen schneller und heftiger reagieren und diese auch besser erinnern können. Dem liegt ein uralter Schutzinstinkt zu Grunde, der dem Mammutjagenden Höhlenmenschen behilflich sein sollte, brenzlige Situationen so früh erkennen zu können, dass eine Flucht noch möglich gewesen wäre. Vor einer Gesellschaft, die zumindest in Teilen hohlzudrehen scheint weglaufen zu wollen, ist allerdings ziemlich vermessen, wenn man nicht bei den Yanomami um Asyl anfragen möchte. Und so bleiben am Ende des Tages oft nur die, leider allzu langsam verblassenden Erinnerungen an dumme, dreiste Menschen! Ich meine, mich dunkel erinnern zu können, dass mein Menschenbild beim Verlassen der Schule deutlich positiver war, als dies heute der Fall ist. Zwei Jahrzehnte berufliche Tätigkeit im Gesundheitswesen haben mir die Lust auf soziale Interaktion abseits selbst gewählter Kontakte deutlich abkühlen lassen. Nichtsdestotrotz kann ich immer noch eine sehr gefällige Bedienoberfläche präsentieren, wenn die Situation es verlangt. Und das tut sie in meinem Job nicht eben selten.

Nun gibt es aber einen eklatanten Unterschied zwischen dem, was die Menschen von mir zu sehen und zu hören bekommen und dem, was ich mir wirklich denke. Nicht selten ertappe ich mich im Rahmen irgendwelcher notwendiger Kommunikationsakte dabei, dass ich die verbalen Auswürfe des Gegenübers zwar irgendwie wahrnehme und sogar darauf reagiere, während ich in meinem Hinterkopf das wunderbar entspannende Geräusch einer sich entladenden automatischen Waffe höre. Und kann dann sogar lächeln… Nicht das jetzt irgendjemand Angst bekommt – ich selbst besitze keine Waffen und habe auch keine wirklichen Mordambitionen, aber manche Menschen texten einen so unnötig redundant zu, dass man sich ein bisschen in kleinbürgerlichen Großmachtphantasien ergehen muss, um der Situation die Schärfe nehmen zu können.

Man könnte jetzt also einfach subsummieren, dass meine Empathie wohl oxidiert ist. Überbeanspruchung scheint sie rosten zu lassen. Zum Teil ist das auch richtig. Ich schrieb mal, zumindest sinngemäß, in einem Buch, dass man nicht unbegrenzt oft Mitgefühl haben und geben kann, weil man sich sonst selbst verliert. Nach dieser Maxime mit Gefühlen zu haushalten, klingt vielleicht auf den ersten Blick kalt, wenn man aber jedes fremde Leid ungefiltert auf sich wirken lässt und das in einem Job, der sich hauptsächlich mit menschlichem Leid befasst, geht man daran kaputt und zwar relativ schnell und sehr sicher! Also fahre ich mit meiner Strategie, Emotionen nur sehr bewusst an mich zu lassen und selbst nur sparsam welche auszusenden aus psychologischer Sicht voll auf Sicherheit. Ich habe ja auch noch ein paar Jahre in der Arbeitswelt vor mir. Das wahre Problem sind nicht Menschen, die ihre Empathie bewusst nutzen, oder es eben auch mal bleiben lassen, sondern jene Menschen, die offensichtlich keine besitzen, weil ihnen niemals jemand beigebracht hat, wie sich Mitgefühl und Solidarität, die aber nur aus Mitgefühl erwachsen kann anfühlen. Und von solchen Individuen gibt es leider immer mehr.

Ohne jetzt in Weltschmerzgejammer verfallen zu wollen, lässt sich eine Empathie-Oxidation konstatieren, die einige bedauerliche Folgen mit sich bringt. Zum einen ist es natürlich insgesamt für die Hilfsbereitschaft, ja ganz grundsätzlich für die Solidarität als menschlichen Grundwert ziemlich beschissen, wenn einer Vielzahl von Menschen die Fähigkeit zur Empathie verloren geht, denn die ist der Kleber, welcher das soziale Gefüge einer Gesellschaft als Ganzes zusammen hält. Ohne jetzt auf irgendwelchen soziologischen Theorien herumreiten zu müssen, lässt sich ganz platt sagen, dass mit dem Verlust des Mitfühlens auch der Verlust der Sozialität, des sinnvollen Miteinanders abhandenkommt. In einer Zeit, in der drängende soziale wirtschaftliche und politische Fragen und Probleme die Menschen umtreiben, ist ein Mangel an Empathie – vielleicht als Folge des auf sich selbst Zurückziehens zum Schutz der eigenen Existenz – die erste Stufe eines Versagens von Gesellschaft als Konzept.

Gewiss liegt hier ein wenig Schwarzseherei meinerseits in der Luft, doch ganz krass, jedoch stringent zu Ende gedacht, bedeutet der Rückzug ins Private gleichsam ein Negieren des Sozialen als Bedeutungszusammenhang. Wenn mich meines Nächsten – oder auch Übernächsten – Leid, Unglück, Elend, oder sonst was (auch positiv) nicht mehr schert, werden mir irgendwann alle anderen Menschen, außer mir selbst und vielleicht ganz wenigen Außerwählten, gleichgültig werden. Wenn das jeder so hält… nun, man kann sich ausmalen, wie so eine Welt aussähe. Wer fiktionale Dystopien mag, sollte mal wieder William Gibson lesen.

Man muss jedoch nicht unbedingt mal sehr nahe an andere Menschen heran kommen, um die eigene Solidarität in die Waagschale werfen zu können. Kleine Dinge des Alltags genügen; nicht wegschauen, nachfragen, kommunizieren. Man muss kein Engel und kein frommer, mildtätiger Samariter sein, es genügt oft schon, bei manchen Handlungen zweimal nachzudenken – und schwupps herrscht ein kleines bisschen weniger Empathie-Oxidation. Könnte man doch mal selber versuchen, oder…?

New Media Freak?

Vor ein paar Jahren fragte mich meine Frau, was ich denn mit einem Tablet will, dass wäre doch nur ein teures, sinnfreies Spielzeug. Als ich sie dann gestern mit den Kindern abends auf der Couch sitzen sah, während die drei sich auf einem Tablet „Schwanensee“ anschauten, verzichtete ich darauf, sie zu fragen, was sie denn da mit dem „teuren, unnötigen Spielzeug“ treiben würde. Es wäre ein zu billiger Lacher gewesen; außerdem bin ich üblicherweise nicht nachtragend. Die damals abgegebene Erklärung, dass ich mal ein anderes Gadget als Produktivwerkzeug ausprobieren wollte, war zugegeben auch nicht ganz ehrlich. Immerhin war ich schon immer von allem immens fasziniert, was mit neuen IT-Geräten, und heute speziell Portables zu tun hat; und das ganz gewiss nicht nur aus akademischen Gründen, wenngleich mein Studium der Bildungswissenschaft durchaus einen Fokus auf das Lernen mit neuen Medien gelegt hat. Ich bin einfach auch ein großes Spielkind und es ist schon geil, ein neues, sexy Stück Technik in Betrieb zu nehmen…

Tatsächlich war auch mein erster Gedanke beim Kontakt mit dem damals nagelneuen IPad eines Bekannten, was man denn damit anstellen soll? Für das eingeben und redigieren redaktioneller Texte schien es nicht zu gebrauchen. Die Kamera war zugegeben ein cooles Feature, aber das konnten Smartphones ja auch schon eine Weile. Der Speicherplatz war begrenzt und zudem war das Teil absurd teuer. Teurer als meine letzten Desktop-Rechner, die überdies viel mehr Rechenleistung mitbrachten. Immerhin konnte man damit überall problemlos im Netz surfen. Die anfängliche Ablehnung verwandelte sich genau deswegen jedoch bald in Faszination, als ich begriff, dass portable und ultraportable Webdevices die Zukunft der Vernetzung darstellten. Dass die Vernetzung und Dezentralisierung von Dienstleistungen und produktiver Software klassische inhouse Serve-Client-Systeme bald ablösen könnten. Dass das alte, bislang jedoch nicht zufriedenstellend eingelöste Versprechen eines ubiquitär verfügbaren Netzes doch noch wahr werden könnte. Und dann war es um meine Zurückhaltung geschehen.

Ich gehöre mit über 40 sicher nicht zur so genannten „Generation Net“, die zumindest aus bildungsforscherischer Sicht quasi intuitiv den Umgang mit solchen Geräten und Diensten erlernt, weil sie damit aufwächst. Aber man ist ja anpassungsfähig und ich wusste, dass man sich solchen Veränderungen nicht verschließen sollte. Nur eigene Erfahrungen mit bestimmten neuen Medien und Techniken qualifizieren schließlich zu einer adäquaten Beurteilung der daraus resultierenden Möglichkeiten und somit zu einer sinnvollen Nutzung dieser. Vom Spaßgewinn durch unsinnvolle Nutzung mal ganz abgesehen; immerhin kann man beim Spielen auch was lernen. Soweit erst mal mit den Lobhudeleien.

Ich weiß nicht, ob Clouddienste tatsächlich unser Leben vereinfachen. Sie vereinfachen allerdings in jedem Fall das Teilen von Inhalten verschiedenster Formate wie Texten, Bildern und Videos; mit Blick auf die Spionage-Backdoors, die sich so mancher „Big Brother“ anscheinend hat offenhalten lassen, muss man allerdings wissen, dass man sie unter Umständen nicht nur mit jenen teilt, die eigentlich als Empfänger gedacht waren. Privacy ist zu einem wichtigen Thema der schönen neuen Welt avanciert, spätestens seit Edward Snowdens recht erhellenden Enthüllungen. Allerdings wohl nur für jene, die sich schon immer mit solchen Fragen beschäftigt haben. Alle anderen machen anscheinend genauso weiter wie bisher und blenden Bürgerrechts- und Machtaspekte in ihrem Online-Tun einfach aus. Kann man machen, muss man aber nicht. Spätestens, wenn man außer seinem Mittagessen, Katzenvideos, hoffentlich lustigen Sprüchen und seinen sonstigen medialen Vorlieben noch andere Dinge in der öffentlichen digitalen Agenda abhandelt, sollte man sich eigentlich verpflichtet fühlen, auch einmal über digitale Bürgerrechte offen nachzudenken.

Ich bin kein Schwarzseher, aber realistisch betrachtet ist das Netz noch weit davon entfernt, ein Ort virtueller Demokratie zu werden, in dem jeder seine Ideen darlegen und vertreten kann. Denn zum einen bedeutet der vorangegangene Satz konsequent zu Ende gedacht, dass man eben auch die ganze braune Propaganda, Verschwörungstheorien, Esoterik-Quatsch und noch viele andere Unnötigkeiten eine Bühne bietet; und das fordert viel Contenance. Insofern fehlt also das Wort „sinnvoll“ vor den „Ideen“. Zum anderen aber ist das Web in seiner gegenwärtigen Form vor allem Träger politischer Überwachungs- und wirtschaftlicher Verwertungsinteressen, mithin also weit von echter Demokratie entfernt. Dazu sei als Lektüre Evgeny Morozov empfohlen. Darüber will ich mich an dieser Stelle demnächst noch mal etwas ausführlicher auslassen.

All diesen Problemen zum Trotz haben portable Webdevices, wie etwa immer leistungsfähige Smartphones, vor allem aber Tablets unsere Art zu arbeiten, zu lernen und dabei zu kollaborieren verändert – und tun dies immer noch. Diesen Beitrag sollte man schätzen, auch wenn viele Fragen rings um Verwertungs- und Selbstbestimmungsrechte in der schönen neuen Webwelt noch nicht geklärt sind. Und deswegen bin ich – wenngleich heute auch vorsichtiger als früher – immer noch ein New Media Freak. C U somewhere out there…

Call of Cutie

„Das Leben ist kein Ponyhof“ – manche Eltern verwenden diesen Satz gerne, um ihre Kinder an den Ernst des Lebens zu erinnern, der sich zwar langsam, aber eben doch unaufhaltsam in das Leben eines jeden Menschen stiehlt. Nach meiner Erfahrung ist der Satz falsch. Das Leben kann man durchaus mit einem Ponyhof vergleichen; nur dass nicht alle Ponys nett sind! Es gibt unter den tierischen wie menschlichen Bewohnern alle möglichen Persönlichkeiten, es gibt Arbeit und Spaß, Freude und Leid, Freiräume und Regeln; eben das ganze Spektakel des prallen Lebens, reduziert auf einen Mikrokosmos, der ziemlich nach Mist riecht. Soweit sehe ich keine allzu großen Differenzen zu meinem eigenen Leben. Nur dass ich mit Pferden und Ponys nix anfangen kann.

Was aber nun den eben bereits angesprochenen Ernst des Lebens angeht, der ja angeblich auf dem sprichwörtlichen Ponyhof wohl nicht zu finden sein soll, lässt sich feststellen, dass dieser spätestens dann zuschlägt, wenn auch zwischen Stallung, Weide und Reithalle das angesprochene Kind mit der normativen Kraft des faktischen konfrontiert wird. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Bosheiten anderer Kinder, die durchaus zu großem Leid gereichen können, sondern eher die erhobene Stimme des jeweils eigenen Erziehungsberechtigten, die einen stets dann zur Räson ruft, wenn man mal wieder ganz voller Lust seiner juvenilen Affektinkontinenz frönt. Die folgenden Diskussionen kennt jeder Erziehungsberechtiget nur zu gut, inclusive der daraus unvermeidlich resultierenden, halbgeschickten Verhandlungsversuche unserer Sprösslinge, das Hinauszögern, die Bockigkeit, bei Kleineren noch dazu die Mitleid erheischenden Tränen; schlicht alle Register kindlichen Unverständnisses ob der Tatsache, dass in einer Eltern-Kind-Beziehung der Erwachsene das Sagen hat. Und dies nicht etwa, weil es etwa mir selbst zur Freude gereichte, Macht über Schwächere auszuüben. Derlei Spruchwerk von irgendwelchen halbgaren Küchenpsychologen kann man getrost im Lokus entsorgen. Es hat auch nichts mit Misshandlung zu tun, oder mit altmodischer Zuchtmeisterei, sondern mit dem einen, immer noch gültigen Gebot wirklicher Erziehung, dass stets handlungsleitend sein sollte: nämlich den Unerfahreneren – vulgo das Kind – davor zu bewahren, sich selbst zu schaden. Und zwar so lange, bis dieser begriffen hat, wie entsprechende Situationen selbst gemeistert werden können.

Kinder lernen vor allem durch Imitation. Das gilt für kognitive Muster wie das Erkennen von Buchstaben und Zahlen und die möglichen Kombinationen derselben ebenso wie für Verhaltensweisen. Es ist natürlich ein unerreichbares Idealziel, stets sinnvoll, überlegt und konsistent zur eigenen Erzählung von Leben zu agieren, da wir auch als Erwachsene immer noch zumindest teilweise unseren Affekten ausgeliefert sind. Und niemand schafft es leichter unsere Contenance zu erschüttern, als jene, die wir lieben, egal ob das nun der Partner, ein guter Freund oder eben unsere Kinder sind. Aber man kann zumindest versuchen, eine für das Kind erkennbare Grundlinie von Verhaltensweisen zu etablieren, Konsequenzen vorführen und das Kind auf bereits gemachte eigene Erfahrungen verweisen, um zu zeigen, „wie man es richtig macht“. Natürlich gibt es nicht das eine Richtig oder Falsch. Jeder selbst muss herausfinden, was für ihn der passende Weg ist, aber als Erziehungsberechtigter ist man verpflichtet, seinem Kind zumindest eine Orientierung über die Grundregeln menschlichen Sozialverhaltens mit auf den Weg zu geben. Und im Zweifelsfall, wenn die Umsetzung in realitas nicht so funktioniert das Fehlverhalten auch zu sanktionieren, was nichts mit Gewalt zu tun hat, bzw. haben sollte!

Ich muss es nochmal betonen, es geht mir nicht um Drill, oder Zuchtmeisterei, sondern darum, konsequent zu sein. Eine Familie ist keine Demokratie. Jene mit reicher Lebenserfahrung müssen für die mit einem noch sehr geringen Schatz daran Leitplanken aufstellen. Das bedeutet nicht, die Wünsche des Kindes stets zu missachten, oder dessen natürliches Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung zu vernachlässigen, sondern dem Nachwuchs vielmehr aufzuzeigen, dass – um mit einem weiteren Sprichwort langsam zum Schluss zu kommen – „viele Wege nach Rom führen“ und der erste zumeist weder der Beste noch der Billigste ist. Was bedeutet, dass man manchmal Entscheidungen aus der Hand des Kindes nehmen, selbst treffen und das Ergebnis dann auch durchsetzen muss.

„Call of Cutie“ bedeutet, diese Verpflichtung anzunehmen und tatsächlich erzieherisch tätig zu sein, auch wenn das manchmal in sowas wie einem Kampf ausartet (wer die Anspielung immer noch nicht verstanden hat, sollte jetzt dringend „Call of Duty“ googeln). Das dabei Fehler, Missverständnisse und Ärger auf beiden Seiten vorprogrammiert sind, darf einen nicht abschrecken, Konsequenz zu leben. Auch mir fällt das schwer. Auch ich mache dabei andauernd das Eine oder Andere falsch. Auch ich verrenne mich manchmal in meinem eigenen Gedankenpalast. Wie so viele andere vor und nach mir. Aber es wäre viel schlimmer, entweder gar keine Erziehung zu betreiben, oder dem Kind bewusst Gewalt anzutun in dem Glauben, dadurch erziehen zu können. Der bessere Weg ist ein schmaler Grat, der ein ständiges Neuausloten der Notwendigkeiten bedeutet. Man muss sich nur folgender Tatsache bewusst sein: wenn das Sanktionieren von Fehlverhalten schon bei Erwachsenen oft nur mangelhaft funktioniert (siehe Putins Ukrainepolitik) darf man sich bei Kindern dabei keine schnellen Wunder erhoffen. Daher zum Abschluss ein letztes Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“.

Ich liebe Actionfilme!

Wenn man die 40 überschritten hat und Verantwortung für eine Familie trägt, wäre es langsam an der Zeit, erwachsen zu werden bzw. es schon zu sein. Neulich, da saßen wir so lümmelig auf der Couch, befragte mich meine Frau, ob wir eigentlich schon erwachsen wären und ich glaube mein indignierter Blick, begleitet von einem herzlichen „Ich glaub‘ es hackt!“ war ihr Antwort genug. Wir konnten beide darüber lachen und das Bonmot, das Jungs ja eh nur 16 werden und danach allenfalls noch ein bisschen in die Höhe, aber durchaus noch um einiges in die Breite gehen, mag ein Fingerzeig sein, dass ich mich manchmal schon frage, wieso einem solchen Kindskopp nach getaner Arbeit so die Knochen weg tun können…

Dann las ich neulich in den Online-Alltags-Bekundungen eines guten Bekannten, dass er von anderen guten Bekannten ins Kino geschleift worden sei und den dort gezeigten Film als 16-jähriger bestimmt noch gut gefunden hätte. Es ging um eine nicht ganz ernst gemeinte Action-Agenten-Story und auch andere Kommentatoren schienen zu bestätigen, was ihm wohl als Wahrheit gilt: irgendwann ist man zu alt bzw. zu reif für den einfachen Genuss platter Action. Was soll ich denn jetzt sagen? Einerseits respektiere ich seine Meinung und wenn er das so sieht, ist das natürlich sein gutes Recht. Ich allerdings fand mich in Gedanken vertieft, welche sich um eine eher grundsätzliche Frage drehten; nämlich ob es diesen viel beschworenen qualitativen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur, der ja doch recht oft bemüht wird, um Machwerken der Populärkultur einen tieferen Sinn abzusprechen tatsächlich gibt? Ob man, ein gewisses intellektuelles Niveau vorausgesetzt, irgendwann seine kontemplative Entspannung nur noch im Genuss von Werken der Hochkultur finden sollte?

Es gibt da nach meinen Erkenntnissen so etwas wie eine unsichtbare Linie, die ein „wahrhafter Intellektueller“ nicht überschreiten darf, nämlich die, Kulturprodukte des kontemporären Massengeschmacks gut zu finden, einfach weil sie unterhaltsam sind. Natürlich wird es schwer fallen, in dem ein oder anderen Film oder Buch, die letzthin zum Behufe der Unterhaltung produziert wurden einen tieferen Sinn zu finden. Doch in meinen Augen entwertet das diese nicht als Kulturprodukte an sich. Man könnte sich nun natürlich einfach Adornos Diktum vom „Massenbetrug der Kulturindustrie“ zu Eigen machen und sagen: „na klar sind diese Bücher und Filmchen schlecht, sie wurden schließlich von halb gebildeten Menschen zur weiteren Verdummung halb gebildeter Menschen gemacht“. Und wenn man unterstellt, dasa Kulturprodukte nur den Auftrag wahrhaft wertvoller Bildung haben sollten, ist die Aussage auch richtig. Nur ist die Prämisse falsch.

Kultur, oder besser die Kulturprodukte, die wir heutzutage en masse präsentiert bekommen sind, ohne jeden Zweifel, zu einem großen Teil darauf ausgelegt, einem weitgehend billigen Eskapismus zu dienen. In einer Welt, die im Kern schlecht ist, weil sich alles Tun am Primat der Ökonomie ausrichtet und Politik nur noch als geopolitisch-wirtschaftliche Interessen verteidigendes Kampfschach ausgeübt wird, darf es aber wohl kaum verwundern, dass sich die Menschen nach derlei Zerstreuung sehnen, sofern sie überhaupt Zugang dazu erlangen können. Ich denke zumindest nicht, dass es in der Ostukraine noch allzu viele Kinos gibt.

Doch die Tatsache, dass nicht selten eskapistische Fantasien die Leinwände und die Buchseiten dominieren, anstatt nachhaltiger, humanistischer Bildungsangebote oder der Verbreitung enzyklopädischen Wissens, entwertet diesen Part der Kulturindustrie nicht wirklich. Allzu oft schwingen sich die Vertreter einer an aufklärerischen Idealen orientierten Bildung auf das blinde Ross des Dogmas und verurteilen alles, was nicht ihrer Vorstellung von einem guten Kulturprodukt entspricht als überflüssig, kindisch, kitschig, gewaltverherrlichend, dumm und wertlos. Ganz so, als ob das Leben nur aus einer Aneinanderreihung von nachhaltigen, humanistischen, lehrreichen, dem Gemeinwohl dienlichen Idealtaten bestehen würde. Was für ein Nonsens!

Das Leben besteht, auch wenn man das vielleicht gerne anders sähe aus einer Vielzahl monotoner, ermüdender, immer wieder gleichartiger, nur allzu häufig fremdbestimmter Routinen, welche in ihrer Gesamtheit ein durchaus legitimes Streben nach Ablenkung begründen. Man mag – nicht zu Unrecht – befinden, dass das Gesamtwerk Schillers aus der Sicht humanistischer Bildungsideale deutlich mehr Wert habe, als zum Beispiel der Film „Crank“. Aber das Leben ist keine immer weiter aufwärts strebende Spirale der Selbstverbesserung durch Bildung; es ist ein anstrengender, ermattender, gelegentlich hektischer, oft nervtötender und eher selten lustiger Dauerlauf mit ungewissem Ausgang. Ganz ehrlich: wenn ich nach einem wirklich fordernden Tag zu Hause endlich die Kinder ins Bett gebracht habe und auf der Couch niedergesunken bin, scheiße ich auf Schiller! Dann ist es mein verdammtes Recht, mich auch durch Filme und Bücher unterhalten zu fühlen, die eher meine niederen Instinkte bedienen.

Hochkultur vs. Populärkultur ist eine Gegenüberstellung, die lediglich Augenwischerei betreibt, den das Eine und das Andere haben sowohl ihre Daseinsberechtigung als auch ihre Wirkung in unserer komplexen Welt. Selbst wenn man findet, dass zu wenig Leute heute noch Literatur mit aufklärerischer Wirkung im wahrhaft kantianischen Sinne lesen, kann man nicht ernsthaft aktuelle Kulturprodukte abqualifizieren, weil sie offenkundig einfach nur unterhalten wollen. Das ist kindischer, als einen halbwegs ordentlich gemachten Actionfilm gut zu finden. Und deshalb stehe ich dazu, dass ich Actionfilme liebe; ich bin trotzdem immer noch ein halbwegs gebildeter Mensch, der nach mehr (Er)kenntnis strebt. In diesem Sinne…

Informieren – aber bitte einfach!?

Man sucht nach Attitüde und findet doch oft nur Plattitüde, denn der Text wird zum Toast; die Worte verklebt von einer zähen Masse, die irgendwie mehr nach Chemie schmeckt, denn nach Käse. Künstlich, gekünstelt, dem Stil heiligend lässt das derart Hingekleisterte vielleicht nicht unbedingt innere Kohärenz vermissen, denn eine Geschichte zu erzählen kann man erlernen; als Journalist allemal, aber auch der halbwegs sprachgewandte Normalbürger vermag das sehr wohl. Der Mangel an Substanz und Relevanz jedoch ist allerorten spürbar. Doch das Hauptproblem sind nicht unbedingt jene, die für Recherche und Präsentation ausgebildet, ausgerüstet und bestallt sind. Nein, mediales Desaster trifft uns eher dort, wo die allzu Berufenen ausziehen, ihre Sicht der Dinge kund und zu wissen geben – ganz gleich, ob sie dafür ausgebildet, ausgerüstet oder gar bestallt sind. Sendungsbewusstsein ist eine häufig unterschätzte Macht. Eine, die Berge versetzen kann.

Aber es sind nicht jene, welche andere Leser mit einem Zwischenruf bezüglich eines falsch zitierten Seneca langweilen, um auf ihre eigene Gelehrsamkeit aufmerksam zu machen. Wer kennt denn heute auch noch Seneca? Auch wenn sein Spruch, dass man für die Schule und nicht das Leben lerne durchaus oft mehr Wahrheit in sich trägt, als der vom Volksmund positiv gewendete Gebrauch seiner Worte. Es sind vielmehr solche, die mittels wenig substantieller, dafür aber plakativer Argumentation Meinungsmache betreiben. Die von mir mit sorgfältiger Verachtung betrachtete „Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen“-Fraktion ebenso, wie Leute, die trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dürftiger Informationsbasis durch markiges verbales Dreinschlagen den virtuellen Mob von der Leine lassen können. Und es ist mittlerweile auf Grund eines gewissen Übersättigungseffektes leicht geworden, mal eben einen kleinen Sturm digitaler Entrüstung aufzubauen. Zehn Mal einfacher, als potentielle Leser auf das Verständnis einer unter Umständen komplexen Argumentation einzuschwören. Die meisten haben auf Grund des rasant-simplifizierenden Zuschnitts der Nachrichten ja kaum noch die Geduld zum Beispiel bis hierher zu lesen…!

Da unterschreiben dann 200.000 Menschen eine Petition gegen einen Strafbefehl, der einem selbstfahrenden Notarzt aus Bayern zwecks zweier Anzeigen wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung aufgebrummt wurde. Der Strafbefehl wurde zurückgezogen. Angeblich nicht wegen des medialen Furors, aber da wäre ich mir nicht so sicher. Vollkommen unabhängig davon, was wirklich passiert ist – und das kann ich wirklich nicht beurteilen, weil ich kein Detailwissen über die tatsächlichen Umstände habe – erscheint es mir bedenklich, wenn unsere Justizorgane wegen ein paar möglicherweise wohlmeinenden, jedoch schlechtinformierten Möchtegern-Netzaktivisten „einknicken“. Ich war immer der Meinung, juristische Entscheidungen orientieren sich, wenigstens in unserer bunten Republik, an der Sachlage und nicht an den Befindlichkeiten der Beteiligten; oder irgendwelcher gänzlich unbeteiligter, die ein bisschen Socialmedia-Rumkrakeele inszenieren?

Man möge mich nicht falsch verstehen: ich bin durchaus der Meinung, dass man gegenüber der Blaulichtfahrenden Zunft mit Augenmaß und Zurückhaltung agieren und nicht jeden Schlenker auf die Goldwaage legen sollte; in aller Regel sind wir nämlich im Interesse des Bürgers unterwegs. Hoffentlich sind alle Beteiligten dabei auch mit Augenmaß und Zurückhaltung eilig zugange. Aber auf Grund der eigenen Meinung, deren Fundiertheit doch wohl bei den meisten Unterzeichnern kritisch betrachtet werden muss, medialen Druck auf Justizbehörden aufbauen zu wollen, ist zutiefst undemokratischer Unfug. Das ist nicht, was mit liquid democracy gemeint war. Die Idee, die Abläufe demokratischer Willensbildung transparenter zu machen, um so den eilfertigen Beeinflussern Macht zu entziehen, die aus dem Dunkel wohl informierter und gut bezahlter Seitenkanäle zu den jeweils Mächtigen ihr Geschäft betreiben. Eben das, was wir unter der negativen Notion von Lobbyismus verstehen. Als ich sagte, man müsse sich selbst zur Lobby werden, war ich gedanklich durchaus auch bei der Nutzung von social media. Doch sich in teilweise unwürdiger Form wegen einer Blaulichtgeschichte produzieren, um ein um Einfluss heischendes, öffentliches Interesse zu konstruieren ist social engineering at it’s worst! Vollkommen unabhängig davon, ob nun die Petition tatsächlich der Grund war, oder doch eine behauptete Neubewertung der Beweislage durch eine übergeordnete Justizbehörde. Der Vorgang an sich; nämlich dass 200.000 wildfremde sich zu einem digitalen Mob zusammenrotten ist schon schlimm genug.

Ich sitze nun hier, enttäuscht davon, dass die Mehrzahl der Menschen anscheinend nicht fähig ist, eine Sache die es wert ist von jenen zu unterscheiden, die es nicht wert sind. Und ein selbstfahrender bajuwarischer Notarzt ist eine Petition nicht wert. Er ist höchst individuell für all das verantwortlich, was er tut, oder lässt; so wie jeder andere auch, der im Rettungsdienst tätig ist. Vollkommen gleich, ob es dabei um medizinische Belange geht, oder um logistische, worunter eben auch das Befahren unserer Straßen unter Inanspruchnahme der Sonderrechte fällt. Die Öffentlichkeit zu suchen und ein privates Problem zu einem der Allgemeinheit zu machen ist billige Propaganda und alle, die dabei mitmachen vermutlich unfähig, zu erkennen, dass sie ausgenutzt wurden. Aber man hat ja seinem wutbürgerlichen Furor über „diese Idioten da oben“ – womit im Duktus der Unterzeichner die zuständige Justizbehörde gemeint ist – Luft gemacht und sich so billig das Gefühl erworben, etwas Gutes getan zu haben. Dass man sich dabei hat vor den Karen spannen lassen, um möglicherweise fragwürdiges Handeln im Nachhinein legitimieren zu können, daran hat natürlich keine Sau gedacht.
Nochmal: es geht mir nicht um die Frage, ob er korrekt gefahren ist, oder nicht. Das kann, will und werde ich nicht beurteilen. Sich aber hinterher öffentlich als Opfer einer ungerechten Justiz darzustellen, stinkt für mich geradezu nach versuchter Beeinflussung. Und leider, leider hat es zumindest dem Anschein nach funktioniert. Wenn das die einzige Art ist, auf die meine buntrepublikanischen Mitmenschoiden sich an Gesellschaft beteiligen wollen – nämlich indem sie die legitimen Verfahren der Judikative durch provokative Drohszenarien in Frage stellen – dann könnte ich mir eigentlich jedes weitere Wort hier oder sonst wo sparen. Aber ich bin noch nicht vollkommen verzweifelt. Denn zumindest eines demonstriert die Angelegenheit: man kann sich selbst durchaus zur Lobby werden. Nicht nur bei der Wahl der Ziele und der Vernetzung zum Interessenabgleich ist noch eine Menge Feinarbeit notwendig. Aber social media politics sind ja noch jung…

Anarchisten-Blues 2.0

Ich weiß gar nicht mehr genau, welches der erste Gedanke war, der mich bei den Radiomeldungen am Tag der EZB-Einweihung morgens durchzuckte. Ich kann nicht von der Hand weisen, dass es möglicherweise sogar Belustigung darüber war, dass eine Hand voll Chaoten es tatsächlich geschafft hatte, das öffentliche Leben in unserer Bankenmetropole Nummer eins nachhaltig negativ zu beeinflussen. Ich glaube, ab und an merkt man, dass ich die meisten Banker und ähnliche Berufsgruppen nicht allzu gut leiden kann, weil auch ich sie für, unsere Zukunft verzockende Aasgeier halte. Aber zurück zu den Randalierern; zumindest den Verkehr hatten sie zum Erliegen gebracht, woran die Frankfurter ja aber eigentlich gewöhnt sein sollten. Doch wenige Augenblicke später, als die Rede von Angriffen auf eine Polizeiwache und brennenden Autos war, verschwand meine Belustigung schlagartig und wich Nachdenklichkeit, die sich mittlerweile, mit einem guten Tag Abstand in Wut gewandelt hat. Wut darüber dass sich Blockupy dazu herab lässt, die Randale dieser asozialen Zecken in Schwarz mit der Todsünde der Relativierung zu bedenken, gar als Notwehr zu bezeichnen. In den Köpfen dieser offensichtlich nicht ausreichend in der Demokratie vergraswurzelten Idioten firmiert wohl immer noch das alte, immer noch falsche Diktum: „All Cops Are Bastards“. Wut darüber, dass diese Arschlöcher mit Anarchie-Symbolen immer noch nicht verstanden haben, dass die Philosophie der Anarchisten eine Utopie ist, die zudem nicht mit Gewalt erreicht werden kann. Und schließlich Wut auf linke Politiker, die gesellschaftsfeindliche Randale als einen legitimen Ausdruck zivilen Ungehorsams bezeichnen und die Schuld für die Eskalation, wie stets bei der Polizei suchen.

Das wir uns nicht falsch verstehen: es gibt Polizisten, die Bastarde sind, weil sie sich aufführen wie Scherriffs von Gottes Gnaden. Die weitaus meisten, die ich in Dienstausübung kennen gelernt habe, sind jedoch tatsächlich einfach nur Menschen in Uniform, die ihren Job so gut machen, wie die Gesellschaft und die speziellen Umstände es zulassen. Stichwort Etatkürzungen. Und die Bilder lassen keine unangemessene Eskalation von Seiten der Staatsmacht erkennen. Die Vermummten jedoch, die ohne Provokation Sachwerte abfackeln und Menschen gefährden oder auch verletzen, darunter teilweise Feuerwehrleute und Rettungsdienstkollegen, die lediglich versuchen, größeren Schaden zu vermeiden, sind für mich allesamt Arschlöcher, die eingelocht gehören; von mir aus auch gerne ohne Verfahren und für richtig lange Zeit. Ich mag unsere rechtsstaatlichen Errungenschaften und ich bin üblicherweise stets der Meinung, dass jeder Mensch ein faires Verfahren verdient und das eine halbwegs vitale Demokratie auch mit Provokationen und Anfechtungen umgehen können muss, weil diese stets eine Chance darstellen, sich insgesamt weiter zu entwickeln. Manchmal muss man halt andere Blickwinkel auch mal auf unangenehme Weise gezeigt bekommen.

Doch der schwarze Block hat hier einfach nur Gewalt um der Gewalt Willen zelebriert, um sich an der dabei empfundenen Ohnmacht der Staatsmacht zu ergötzen. Und hat dabei völlig vergessen, dass derlei Verhalten vollkommen antisozial ist. Einen Polizisten zu entmenschlichen, ihn auf seine Funktion als Arm des Staates zu reduzieren ist ebenso wenig zulässig, wie alle in Frankfurt an Demonstrationen Beteiligten dem Möchtegern-Anarchisten-Pack zuzurechnen. Anderer Leute Eigentum abzufackeln ist ein Angriff gegen mich! Ja genau – MICH! Und jeden Anderen, der auch so ein ganz stinknormaler Typ ist, denn ich empfinde durchaus Sympathien für Graswurzelbewegungen, weil ich sie für den Nährboden einer Demokratie 2.0 halte, die wir eigentlich dringend brauchen, wenn wir uns unsere Zukunft nicht vollkommen vom Kapital und seinen politischen Bettgespielen und Erfüllungsgehilfen diktieren lassen müssen wollen. Wenn Blockupy sich aber zum Podium auch für solche Leute macht, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen, weil ihre eigene, armselige Existenz sie quält und sie einfach nicht wissen, wie man seinen Frust sinnvoll und nicht gesellschaftsschädlich abbaut; nämlich eben solche schwarz vermummten asozialen Zecken, dann entwertet sich eine solche Bewegung für mich und jeden anderen, an ernsthaften Ideen für mehr Partizipation interessierten Menschen vollkommen. Denn mit diesem dummen, asozialen, gewalttätigen Randaliererpack will ICH nichts zu tun haben. Und ebenso wenig mit Politikern und so genannten Aktivisten, die sie auch noch in Schutz nehmen.

Ich bin nach wie vor überzeugter Sozialdemokrat, libertärer Geist und Systemkritiker, aber mir ist vor allem wichtig, dass ich Demokrat bin. Und jenen, welche die Randale in Frankfurt verteidigen, lege ich ans Herz, Henry David Thoreau, den geistigen Vater des Begriffes „ziviler Ungehorsam“ zu lesen. Er redet mitnichten der Gewalt das Wort. In diesem Sinne – weitermachen, aber bitte vorher nachdenken!

Muss ich meine Prioritäten überdenken?

Ich weiß wirklich nicht, warum Kätzchen- und Kindervideos, Bilder vom persönlichen Mittags- oder Abendmahl, Witze aus allen erdenklichen Schubladen und dieser mittlerweile unerträglich gewordene „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Dreck, den man verdammt nochmal nicht sagen, ja nicht mal denken sollte täglich 1000-fach und öfter geteilt, geliked und kommentiert wird. Um ehrlich zu sein offenbart das in meinen Augen, dass die Gesellschaft um mich herum langsam tatsächlich an dem Punkt anlangt, an dem wir alle fit sind: (f)aul, (i)ndolent und (t)räge (für diese Interpretation kann ich dir gar nicht oft genug DANKE sagen, Jochem). Ich kann an manchen Tagen nicht mal annähernd so viel fressen, wie ich kotzen möchte, wenn ich durch’s Fratzenbuch scrolle und das passiert mir mittlerweile immer öfter. Nicht etwa, weil Facebook plötzlich schlimmer geworden wäre, sondern weil zumindest aus meiner Sicht immer mehr Menschen sich vollkommen im Eskapismus verlieren, alle Kritikfähigkeit verlierend falschen Propheten und ihrer Demagogie hinterher laufen und glauben, sie hätten wirklich eine eigene Meinung; dabei konsumieren sie lediglich Bullshit, der als ganz großes Kino verpackt wird. Sorry, ich brauche jetzt mal eben ein Bügeleisen für meine aufgerollten Zehennägel!

Ja, soziale Medien sind eine ganz hervorragende Bühne für das Paradieren der eigenen Meinung, ganz gleich wie unfundiert, unreflektiert oder auch schlicht dumm diese sein mag. Eine Zeitlang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob ich meine Prioritäten mal wieder überprüfen, ja vielleicht sogar ändern müsste. Ich habe lange nachgedacht, gelesen, wieder nachgedacht, noch Mal gelesen und noch mehr nachgedacht und ich kam niederschmetternder Weise zu dem Ergebnis: NEIN, nicht ICH bin hier zu wenig empathisch, zu unreflektiert und zu wenig Kritikfähig, sondern ganz viele andere. Leute zum Beispiel, die tolle Webmeldungen teilen, in denen die Rede davon ist, dass man ja ganz doll was für Immigranten tun kann, wenn erst mal unsere eigenen Armen abgefüttert sind. Nur so zur Info: die Grundsicherung für Asylbewerber liegt unter dem Hartz-4-Regelsatz, auf den ja noch Wohngeld und verschiedenes Anderes drauf kommt. Natürlich ist der Hartz-4-Satz eine Zumutung für Jene, die Jahrzehntelang gearbeitet haben und unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind; aber er wurde so beschlossen, weil Ende der 90er klar war, dass man das System, wie es bisher existiert hatte nicht mehr würde finanzieren können. Und das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun, sondern damit, dass man die Unternehmen mit der Möglichkeit zur früheren Verrentung dazu eingeladen hatte, Sozialkosten, die sie durch Belastung ihrer Arbeitnehmer erzeugt hatten auf die Renten- und Sozialkassen abzuwälzen. Bei Geschenken für die Wirtschaft war die CDU schon immer große Klasse.

Doch zurück zu den bösen Migranten. Sie nehmen also Geld aus „unseren“ Kassen. Den Umstand, dass viele unserer Mitbürger mit fremden Wurzeln hier seit Jahrzehnten in diese Kassen einzahlen, wird dabei gerne unterschlagen; ebenso wie der Umstand, dass die Mehrzahl von den Neuankömmlingen hier gerne arbeiten würde, dies bei schwebendem Asylverfahren jedoch nicht erlaubt ist. Lasst sie doch an der Wertschöpfung teilnehmen, solange darüber beraten wird, ob sie hier bleiben können/müssen oder nicht. Zu tun gäbe es genug. Und um Louis C K hier mal zumindest sinngemäß zu zitieren: “Klar nehmen Ausländer dir deine Arbeit weg. Aber wenn jemand ohne Sprachkenntnisse, ohne Verbindungen und ohne Lobby das kann, dann bist DU vielleicht einfach nur Scheiße!“ Ohne Polemik kann man sagen, dass unser Wirtschaftssystem, dass nur auf dem dummen Prinzip des „immer mehr“ basiert auch immer neue Arbeitskräfte absorbieren und nutzen kann. Angst vor Überfremdung? Wenn überhaupt irgendetwas auf der Erde konstant ist, dann der Wandel. Unsere Welt verändert sich ständig. Wirtschaftlich, politisch, sozial, technisch, einfach alles ist in Bewegung. Eingedenk dieser Tatsache kann man doch nicht ernsthaft erwarten, dass ausgerechnet die eigene kleine Umwelt davon ausgespart bleibt. Zudem steht jede entwickelte Industrienation vor dem gleichen Problem: stagnierende Geburtenraten, die langfristig zu einer Negativentwicklung der Bevölkerungszahlen führen. Anscheinend führt eine Zunahme des Wohlstandes zu einem Abnehmen der Gebärfreudigkeit. Das mag damit zusammenhängen, dass in weniger entwickelten Nationen Kinder für die Versorgung ihrer Eltern im Alter sorgen müssen. Halbwegs entwickelte Sozialversicherungssysteme machen derlei obsolet.

Da waren sie also, meine Prioritäten, um sie noch mal kurz aufzuzählen: Migration? Check, immer noch aktuell, immer noch zu viele Blödköpfe, die einfach nicht kapieren, dass so lange wir beim aktuellen Modell des Kapitalismus bleiben, wir uns Migration nicht verschließen können, weil sonst unsere Wirtschaft den Bach runter geht. Und bis es eine neue Wirtschaftsform gibt kann noch einige Zeit vergehen. Womit wir nahtlos zu sozialer Gerechtigkeit kämen – Check, auch hier bleiben noch einige verbale Lanzen zu brechen, bis wenigstens ein paar begriffen haben, dass Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik untrennbar verbunden sind. Ja genau – Bildung! Check, da bleiben noch einige televerbale Entgleisungen meinerseits zu erledigen: NEIN unser Bildungswesen ist nicht gut, NEIN früher war nicht alles besser! Die aktuelle Politik? Check; aber da fange ich gar nicht erst an, sonst trifft mich der Schlag. Dschihadisten und Salafisten, Außen- und Sicherheitspolitik, Beziehungen zu anderen Staaten… da gibt’s einiges zu bedenken.

Ob ich arrogant bin? Ja gelegentlich ganz sicher und zwar, weil ich es mir leisten kann, denn ich habe über das, was ich hier von Stapel lasse zuvor gründlich nachgedacht, recherchiert und auch diskutiert! Und ich kann es öffentlich zugeben, wenn ich mich mal irre. Aber meine Prioritäten und das Meinungsfundament, auf welchem sie stehen haben solide Wurzeln, die noch einige Belastungen aushalten werden. Und das ist auch wichtig, wenn ich mich vielleicht irgendwann doch anschicke, von der Position des Beobachters in die des Akteurs zu wechseln. Vielleicht nicht schnell und vielleicht nicht gleich ganz, aber irgendwann ganz sicher. In diesem Sinne, immer schön weiter den Dummschwätzern nachlabern und Dummes tun, damit ich was zum Zerfetzen habe…

Good old Bildungshysterie

Dieses Rumhysterisieren, dass mit der Bildung früher alles besser war und dieser Hype darum, dass man als Kind der 70er ja so viel cooler und normaler aufgewachsen ist, als dies heute der Fall sei, geht mir jetzt so langsam auf den Sack – und zwar gehörig. Doch zuerst zur Bildung. Ich finde es auch fragwürdig, dass jede Legislaturperiode das Rad der Bildungspolitik neu zu erfinden versuchen muss, denn obwohl sich vielleicht das Verständnis um die Kognitionspsychologie im Lauf der Zeit erweitert haben mag, ist die Zahl der als bewährt geltenden Methoden der Unterrichtung doch bis heute recht überschaubar. Dennoch führt ein verändertes Farbenspektrum in der personellen Besetzung von Ministerien stets dazu, dass auch um jeden Preis veränderte Akzente in der Politikgestaltung gesetzt werden müssen; getreu dem Motto: „Sehr her, wir machen das jetzt anders!“

Das anders nicht unbedingt besser bedeutet weiß jeder, der mal einen Wechsel an der Spitze eines Unternehmens aus erster Hand erleben durfte, denn letztlich ist das, was da in irgendwelchen Verwaltungen geschieht nichts anderes, als das „Neue-Besen-kehren-gut“-Syndrom, dass man häufig bei der Vergabe von Führungsposten beobachten kann. Bezogen auf unser Bildungswesen finde ich es besonders belustigend, dass man infolgedessen überall die Grabenlinie „links = progressiv = Vernichtung unserer edlen humanistischen Bildungstradition“ versus „rechts = konservativ = Beförderung sozialer Ungleichheit durch überkommene Strukturen“ ausmachen kann. Und beide Seiten hauen sich das genüsslich um die Ohren, setzen politisches Weltbild mit Bildungsrealität gleich und liefern sich ideologische Gefechte, die an den realen Umständen vollkommen vorbei gehen und den Opfern von Bildungspolitik – vulgo unseren Kindern – kein Stück weiter helfen.

Da wird die Aufweichung von Bildungsstandards beklagt, die zunehmende Unfähigkeit von Schulabgängern hinsichtlich Schriftsprache, Grundrechenarten, etc. und dabei immerzu darauf hingewiesen, dass der jeweilige ideologische Gegner gerade dabei sei, die Zukunft unserer Nation, die ja in den Händen unseres Nachwuchses liegt – wenigstens dabei sind sich korrekter Weise alle einig – aus Unfähigkeit auf’s Spiel zu setzen. Doch genau das, nämlich die Zukunft folgender Generationen auf’s Spiel setzen haben alle Regierungen in Bund und Ländern in den letzten 30 Jahren getan, indem sie die Bildungssysteme samt und sonders auf Verschleiß gefahren haben, sich auf den vermeintlichen Lorbeeren der Bildungsexpansion ausruhend. Anstatt dem wirtschaftlich-finanziellen Komplex die Kohle vorne und hinten reinzuschaufeln, um Ungleichheiten auszubauen und zu zementieren hätte man – so man Weitblick besessen hätte, der über die nächste Wahl hinausreichte – Bildungs-, Sozial- und Fiskalpolitik als das begreifen können, was sie sind; nämlich untrennbar verbunden. Nur dann hätte man sich ja nicht in bequemen Lobbyarrangements einrichten und auf Friede-Freude-Eierkuchen machen können. Und auch Politiker sind nun mal Harmoniebedürftig.

Dieses ganze Geseire um verfehlte Bildungspolitik, an der immer nur die Anderen Schuld haben, geht also vollkommen an des Pudels Kern vorbei. Vielmehr müsste unser komplettes Bildungswesen auf den Prüfstand, unter der Prämisse, dass man tatsächlich bereit wäre, frisches Geld in die Hand zu nehmen und – sofern sinnvoll – auch neueren Ansätzen mehr Raum zu geben. Eine deutliche Verbesserung schulischer wie hochschulischer Infrastruktur und personeller Ausstattung ist eine Sache, ebenso muss aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der frühen Dreigliedrigkeit unseres Schulwesens neu gestellt werden. Der Sinn immer weiter um sich greifender Akademisierung darf ebenso hinterfragt werden, wie das Beharren auf tradierten Unterrichtsformen. Aber all dies müsste parallel und ohne Parteiideologisches Gezuchtel geschehen. Doch dafür sind weder unsere Gesellschaft, noch jene, die sich offenkundig berufen fühlen, sie zu gestalten wohl schon reif genug. Sich aber stattdessen mit dem immerzu anklagenden Zeigefinger zufrieden zu geben, ist der Wichtigkeit der vielen, eigentlich jetzt anstehenden Probleme nicht angemessen. Und einmal mehr gilt Ghandi: sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Das bleibt gültig, auch wenn sein soziales Weltbild mittlerweile kritisch betrachtet werden muss.

Aber mit diesem Gejammer über das angeblich nicht mehr stattfindende Anhäufen enzyklopädischen Wissens, den auch viele im Bildungsgeschäft Tätige immer noch mit wahrer Bildung verwechseln, hört doch jetzt bitte mal auf. Das wird langweilig und hilft keinem weiter. Und nun, da ich mit dem eigentlich wichtigen Teil fertig bin, noch ein paar gut gemeinte Worte an all jene, die auf Facebook jeden Tag tausendfach diesen Müll teilen, wie toll sie doch sind, weil sie die 70er überlebt haben. Diese Periode war die letzte, in der hierzulande noch der ungebremste Wohlstandszuwachs und Fortschrittsglaube die Welt zu regieren schienen, während überall sonst der Friede längst am zerbrechen war. Auch ich bin in jener Zeit Kind gewesen; Kind in einer der reichsten Nationen auf dem Globus, umgeben von allem, was damals das Herz begehren konnte. Die Welt hat sich seitdem geändert und neue Zeiten bringen neue Kulturformen hervor. Hätte ich mit 10 einen Computer, ein Tablet und ein Smartphone gehabt… Tut doch bitte nicht alle so, als wäre es eure Leistung, in den 70ern aufgewachsen zu sein. Wenn Überhaupt, so war es die Leistung eurer Eltern, die all das ermöglicht haben! Ich kann’s nicht mehr sehen oder hören, wie ihr euch einen darauf runterholt, damals geboren zu sein. Ja es war ‘ne geile Zeit, aber wenn es überhaupt irgendwas gibt, worauf man stolz sein sollte, dann dafür zu sorgen, dass DIESES Jahrzehnt für die eigenen Kinder auch eine geile Zeit gewesen sein wird, wenn die irgendwann zurück blicken. Hoffentlich gibt’s dann aber kein Facebook mehr, wo unsere Kinder sich dann…

Adieu Facebook – bonjour privacy?

Ach ja, schon wieder schwappt eine „Ich-verlasse-jetzt-Facebook-endgültig-echt-jetzt“-Welle durch die Whazzup-Liste meiner personalisierten Fratzenparty-Seite. Drauf geschissen. Die Leute darunter, die ich unbedingt erreichen will oder muss, werde ich erreichen. Die Anderen… nun ja, die sind dann halt weg. Ich persönlich verstehe die ganze Aufregung nicht. Dass diese Änderung der Geschäftsbedingungen kommen würde, war schon lange bekannt. Da hätte man doch konsequenterweise auch schon lange Schluss machen können, oder? Seien wir doch mal ehrlich: natürlich gibt es Alternativen zu Facebook, Whatsapp, etc. Sie kosten allerdings zumeist Geld, sind nicht selten für den üblichen Standard-User, der einfach nur will, dass es läuft und seine Anwendungen den Shit rocken zu kompliziert; und keine Sau kennt sie. Super so weit, wenn man also unbedingt ins kommunikatorische Abseits will, oder schlicht keine Verwendung für den Mehrwert von Social Networking hat (wie auch immer das möglich sein soll, aber Komisches gibt’s ja überall). Falls man aber darauf angewiesen ist, community events oder Ähnliches schnell und kostengünstig zu publizieren, kommt man an solchen Diensten kaum vorbei. Wenn man im Internet irgendwas recherchieren will, kommt man ja auch nicht an Suchmaschinen vorbei, deren leistungsfähigste alle mit WerbeAdds arbeiten, die immer perfekter auf unsere Bedürfnisse abgestimmt zu sein scheinen.

Und jetzt regt sich alle Welt über Zuckerbergs Apparatschiks auf, die ihre eh schon mächtigen Tools noch mal ein bisschen aufgebohrt haben, um… tja um noch mehr, noch besser Werbung verkaufen zu können. Es gibt halt nicht sehr viele Möglichkeiten, um im Web Geld zu verdienen, um genau zu sein so ziemlich die gleichen, wie in der Realität auch; und selbstverständlich geht es im Silicon Valley um Kohle, oder dachtet ihr vielleicht, Kalifornien sei ein Paradies voller Altruisten. Die hatten immer hin einen republikanischen Gouvernator…

Meines Erachtens wird die sich eben entspinnende Diskussion falsch geführt. Wir erliegen leider immer noch zu oft drei Illusionen. Die erste ist, dass Webdienste, die umsonst sind, tatsächlich nichts kosten. Die zweite, dass im Web momentan wirklich andere Spielregeln gelten würden, als in der realen Welt (lest ihr ab und zu mal die Geschäftsbedingungen der Webshops, die normalerweise immer gleich weggeklickt werden?). Und die dritte und folgenschwerste ist der Selbstbetrug, dass unsere digitale Identität und unsere reale Identität voneinander getrennt wären. Sieht man vor allem an den vielen Trunkenheitsfotos, die man immer noch in FB-Profilen findet (kleiner Tipp: auch Personalsachbearbeiter können Internet!).

Irgend so ein Nerd hat mal den Begriff des „digital native“ geprägt, doch der Begriff ist (wie ich schon einige Male ausgeführt habe) aus mehreren Gründen Bullshit. Insbesondere eingedenk der Tatsache, dass Dinge, die wir online tun offline sehr wohl Auswirkungen haben (Danke für deine Blödheit, Bachmann!). Aber natürlich auch hinsichtlich der Frage, welchen Stellenwert Privatsphäre für uns hat und in Zukunft haben soll und ob Privatsphäre und Bürgerechte tatsächlich in einem so starken Zusammenhang stehen, wie wir uns das gerne vormachen. Denn natürlich hat jeder von uns Dinge, die er/sie nicht publik gemacht sehen möchte und da das Meiste davon eher nicht strafrechtlich relevant ist, ist das auch gut so. Aber ebenso wenig wie ich meinen Beruf und das dabei erwirtschaftete Salär geheim halte, den Umstand, dass ich Vater zweier kleiner Mädchen bin, oder meine politische Gesinnung, mache ich mir Gedanken darüber, ob Facebook mir in Zukunft auf Basis meines Surfverhaltens unmoralische Angebote machen könnte. Schließlich entscheide ich selbst darüber, ob ich diese annehmen will, oder auch nicht. Oder macht das bei euch der Genosse Computer schon alleine?

Ich meine Folgendes: wenn ich mich als Person im öffentlichen Raum bewege, trage ich auch keine Maske, oder erledige meine Verrichtungen im Schutz der Dunkelheit. Dazu mag ich die Sonne viel zu sehr. Das Internet ist ein ebenso öffentlicher Raum, in dem sich privatwirtschaftliche, aber auch der öffentlichen Hand zurechenbare Dienstleister, Vertreter der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden und anderer staatlicher Organe und natürlich wir Bürger begegnen. Man tauscht sich aus, macht Geschäfte miteinander und geht wieder seiner Wege. Und das dabei gewisse Regeln, wie etwa unser BGB oder StGB und all das Andere Zeug ebenso Geltung haben, wie draußen auf der echten Straße, wird wohl niemand bezweifeln wollen. Auch auf der Straße gibt’s Dinge, die wir nicht so prall finden: unter anderem überdimensionierte Werbetafeln, grauenhaft schlechte Straßenmusiker, offensive Bettelei und die allgegenwärtigen Umfragemenschen, die ja eigentlich nix dafür können, dass sie jung sind und das Geld brauchen. Facebook will jetzt also unsere On- und am liebsten auch unsere Offlinebewegungsprofile auswerten, um uns noch mehr Werbung schicken zu können, in der Hoffnung, dass der Algorithmus errät, was wir noch wollen könnten. Furchtbare Sache – dass die NSA, also ein ausländischer Geheimdienst immer noch in großem Stil unsere private Kommunikation belauscht, ist aber halb so wild? Jedenfalls habe ich in letzter Zeit kaum jemanden sich darüber aufregen hören. Ja wie jetzt? Ist Privatsphäre nun wichtig, oder nicht? Oder variiert hier vielleicht, wie viel davon in welchem Medium man braucht?

Vielen mag es den Anschein erregen, dass man tatsächlich mit mehrerlei Maß messen kann, im digitalen dort und im analogen hier, doch das ist nur scheinbar so. Der „digital native“ und sein „analogue carrier“ leben in der gleichen Person und zumindest den meisten Teil der Zeit auch nach den gleichen Regeln. Wenn ich aus meinem Herzen einer Mördergrube machen mag, bezüglich dieser oder jener Sache, dann darf ich sie weder im hier, noch im dort äußern. Andere dritte, also Facebook sind nicht daran schuld, wenn man zu viel von sich selbst preisgibt. Und das diese ominösen Social-Network-Betreiber Geld verdienen müssen, um die ungeheure Infrastruktur betreiben zu können, die solche Orte im Netz erst möglich macht, versteht jeder, der das Einmaleins gelernt hat.
Also mache ich entweder mit und bezahle mit etwas Info über mich für die mannigfaltigen Dienste, oder eben nicht. Nur das Argument des Datenschutzes und der Privatsphäre, das lasst bitte raus, denn wenn ihr nicht maskiert durchs Leben lauft, nehme ich euch nicht ernst. Jeder, der sich in irgendeiner Weise mehr oder weniger regelmäßig öffentlich äußert, sei er nun in der Politik tätig, irgendeinem Verein, oder so wie ich als Blogger, gibt dabei schon ein mehrfaches von dem Preis, was FB sich jetzt abzwacken will. Deswegen meine digitale Kontaktpflege zu gefährden, ist mir den Aufwand nicht wert. Viel sinnvoller wäre es, man machte sich vorher darüber Gedanken, was man wo postet bzw. welche Daten man wo ablegt, bevor man bösen Seitenbetreibern die Schuld für die eigenen Fehler gibt. Ich bleibe übrigens bei Facebook… und ihr?

Ich habe mich geirrt

Eine Feststellung, die man auch mal treffen können muss, insbesondere, wenn man sich mehrfach anders geäußert hatte. Die Anhänger von PEGIDA rekrutieren sich nicht – auch nicht mal wenigstens zum Teil – aus der Mitte unserer Gesellschaft. Der Umstand, dass trotz Hitlerbebartetem Bachmann und immer offenkundiger werdender Nähe des rechten Flügels der AfD – in personam Frauke Petry – zu diesen kurzsichtigen, verbohrten, rassistischen Populisten immer noch so viele auf die Dresdner Cockerwiese strömten, hat mich endgültig vom Gegenteil überzeugt. Dieses Pack ist ein Affront für die Demokratie, deren Früchte sie selbst so reich geerntet haben. Allerdings glaube ich daran, dass man auch mit Menschen reden muss, die sich in etwas Falsches verrannt haben; denn so sehr ich die Scheiß-Nazis auch hasse, sie sind trotzdem – wenigstens irgendwie – noch Menschen… Also auf zu ein paar erklärenden Erwägungen.

Zweifelsfrei hat sich das Leben in den fünf Bundesländern, die einstmals das Staatsgebiet der DDR konstituiert haben im letzten Vierteljahrhundert sehr drastisch verändert. Manche Dinge abseits der, zumeist gar nicht so subtilen, Repression dieses Regimes, welche von den Bürgern durchaus als Gewinn empfunden worden waren, wie staatlich verordnete Vollbeschäftigung und kostenfreie Kinderbetreuung für alle verschwanden im Orkus der Geschichte. Doch, und das sei hier noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt, relativiert nichts von diesen Errungenschaften des „real existierenden Sozialismus“ das Unrecht, welches dieser Staat gegen seine Bürger begangen hat. Einsperrung, Bespitzelung, Folter und Mord, das klingt jetzt nach Nordkorea, war für viele DDR-Bürger jedoch ebenso bittere Realität, wie dort in Asien.

Das ausgerechnet dort, wo so viele derartige Ungerechtigkeiten erleben mussten jetzt die Wiege eines erneuerten Nationalismus entsteht, mag verwundern, sind Staatsfaschismus und Staatssozialismus in ihren Funktionen und Auswirkungen einander doch sehr ähnlich. Doch wie so oft hat „der Westen“, in diesem Fall im Gewande der alten BRD viele Versprechungen gemacht und nur wenig davon gehalten. EX-DDR-Bürger wurden hier mit Bürokratismen und Bigotterie empfangen, die sie doch sehr an den Staat erinnert haben müssen, den sie gerade hinter sich gelassen hatten. An der durch Jahrzehnte der Misswirtschaft entstandenen strukturellen Schwäche der Wirtschaft in den neuen Bundesländern haben alle „Bemühungen“ bis heute wenig ändern können. Mag auch daran liegen, dass man dazu einfach irgendwelchen Typen, die gesagt haben „Ich mach das für euch“ Geld in den Arsch geblasen hat, bis diese halbwegs saniert waren. Schönen Dank für die Verschwendung unserer sauer verdienten Steuern. Und schließlich hatte der Westen 1990 schon erheblich mehr Erfahrung mit Migrationskultur, als der Osten. Dass diese Migrationskultur den Namen nicht verdient, weil in der alten BRD „Gastarbeiter“ einfach ghettoisiert wurden, habe ich an anderer Stelle schon häufiger thematisiert, darauf gehe ich jetzt nicht noch mal ein.

Strukturwandel erzeugt, wie es scheint in kapitalistischen Systemen immer Gewinner und Verlierer. Wir leben im Kapitalismus. Man neigt manchmal dazu, zu vergessen, dass dieses ökonomische System nach stetigem Wachstum verlangt um funktionsfähig zu bleiben, dabei uns als Markt-Teilnehmer ebenso dazu nötigt, ständig nach „mehr“ zu verlangen und automatisch jene abkoppelt, die nicht in dieser Spirale aus Konkurrenz, Effizienz, Leistung, Konsum und Gewinn mitmachen können oder wollen. Die alte BRD hat neben einem wirklichen demokratischen System auch dessen eigentlich zutiefst undemokratischen Bastardbruder des entfesselten neoliberalistischen Kapitalismus auf das Gebiet der Ex-DDR exportiert. Es waren halt die 80er des 20. Jahrhunderts und Thatcher und Reagan hatten per Definition immer Recht. War ‘ne Scheißzeit für echte Demokraten und danach wurde es nie mehr so, wie es gewesen war, weil der Boden weltweit für nachhaltiges, reguliertes Wirtschaften verbrannt worden war. Die Zeche zahlt bis heute, wie stets, der einfache Bürger.

Man hatte den Bürgern der DDR von heute auf morgen den Kapitalismus aufgenötigt, ohne Chance, sich daran zu gewöhnen, damit zu wachsen, darin zu gedeihen; und das in einer Periode, in welcher die Friss-oder-Stirb-Mentalität der ungezügelten Zocker sich gerade mit aller Macht ihren Weg durch die Welt bahnte. Was für einen Eindruck das bei den Menschen hinterlassen haben mag, kann ich mir nur vorstellen, aber mit Sicherheit hatte es wenig mit dem zu tun, was in den Köpfen vorging, als die „Wir sind das Volk“-Rufe durch die Straßen hallten. Und ein Vierteljahrhundert, viele gebrochene Versprechen, Demütigungen und verlorene Träume später wundert man sich, wenn diese Menschen die Werte unserer Demokratie nicht schätzen gelernt haben? Wer hat ihnen denn gezeigt, was es zu schätzen gibt. Vielleicht jene Unternehmer, die aus dem Osten rausgeholt haben, was ging und sich dann vom Acker gemacht haben? Die vielen Westdeutschen, die sie als Schmarotzer beschimpft und nach einem Neubau der Mauer aus pekuniären Gründen gerufen haben? Oder unsere Politiker, die sich vor allem den althergebrachten neokorporatistischen Arrangements verpflichtet fühlen, in denen „der Osten“ bis heute bestenfalls die Dritte Geige spielt?

Spielt letzten Endes auch keine Rolle, Fakt ist, dass das wirtschaftliche System, welches in den Köpfen der Menschen die wichtigere Rolle spielt, weil ihre Existenz davon abhängt, in der Hauptsache Enttäuschung exportiert hat. Und in den Köpfen besteht immer noch diese Analogie zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen System, womit diese Enttäuschung auf den Staat reflektiert wird. In den Köpfen ist also die BRD Schuld an den Existenzängsten, ganz gleich wie viel reale Substanz die empfundene Bedrohung auch haben mag. Ein Kind nimmt man ja auch in Am, wenn es Angst vor den Monstern unter dem Bett hat…

Zum Staatssozialismus kann und will man nicht zurück, der war noch beschissener, aber die Rückbesinnung auf nationale Ideale, ja das klingt gut. Schmeißen wir doch einfach alle raus, die hier nicht her gehören, dann hört auch die existenzielle Bedrohung auf. Ist das wirklich so einfach zu erklären, was da in Dresden passiert? Ich denke schon! Und ich verweise nochmals auf das zuvor Gesagte – auch wenn jetzt nationalistisches, ja auch faschistisches Gedankengut unterwegs ist, enthebt uns das nicht der Verantwortung zum Dialog. Dass dieser Faschodreck weder bei den täglichen Problemen hilft, noch irgendwo anders hinführt, als in eine neue, andere Diktatur, kann, nein MUSS man den Pegidisten dabei in jedem Fall sagen.