Tagträume…?

Für jemanden, der üblicherweise einen eher visuellen Denk- und Vermittlungsstil hat, ist es nichts Ungewöhnliches, dann und wann an Orte zu driften, die anderen Menschen nicht so leicht zugänglich sind. Ich glaube übrigens fest daran, dass JEDER/JEDEM das Recht zusteht, solche Orte zu haben, an denen man sich – weitestgehend ungestört von der sonstigen Welt da draußen – seinen eigenen, höchst privaten Geschichten, Ideen und Wünschen hingeben kann. Nimmt man noch den Umstand dazu, dass ich selbst mich seit vielen Jahren als Storyteller versuche, mag es noch weniger verwundern, dass ich derlei als normalen Bestandteil meines Daseins erachte. Was allerdings nichts an dem Umstand zu ändern vermag, dass nicht wenige Leute das Tagträumen als unnötige, verlotterte prokrastinatorische Zeitverschwendung betrachten. Ich würde dem gerne begegnen, indem ich nun etwas über meinen heutigen Tag erzähle. Es ist übrigens ein Sonntag, was bei meinem Job nicht immer bedeutet, dass dies ein freier Tag ist, aber immerhin meistens – so auch heute.

Tage beginnen – wenn man nicht gerade, wie sonst unter der Woche, irgendwann zwischen 06:00 – 06:30 aufstehen muss, um zur rechten Zeit zur Arbeit zu kommen – dann, wenn sie beginnen! Oder anders gesagt: ich stelle mir am Wochenende nur dann einen Wecker, wenn es irgendeinen Termin zu halten gilt; was Gottseidank eher selten der Fall ist. Üblicherweise mäandert man jedoch zwischen 09:00 und 09:30 aus Morpheus Reich ins Hier und Jetzt, um zu frühstücken und danach freestyle darüber zu befinden, was es denn nun werden soll. Samstage sind da noch ein bisschen mehr strukturiert, weil oft genug Haushalt liegen bleibt, der sich nun mal nicht von alleine macht. Aber die Sonntage… die sind disponibles Territorium! Ich koche am Wochenende zumeist für die Familie, was mit mehr oder weniger viel Aufwand verbunden ist, vorbereitende Tätigkeiten wie das Einkaufen (allerdings natürlich am Samstag) beinhaltet und somit einen Teil dieser freien Zeit verbraucht. Ich finde das okay, denn es erzeugt zumeist Produkte, die allen am Gaumen Freude bereiten; und ich empfinde das Geschnippel, Gerühre, Gebrutzel zumeist als weniger anstrengend sondern vielmehr anregend. Man sollte dabei allerdings noch nicht so sehr mit dem Tagträumen anfangen, sonst mangelt es einem irgendwann u. U. an Fingerkuppen – zumindest, wenn man seine Messer in Ordnung und Schärfe hält.

Auch phyische Bewegung ist für mich vollkommen akzeptabel, sofern man von mir keine waschechten sportlichen Anstrengungen erwartet. Aber mal ein bisschen Spazieren oder Wandern ist vollkommen im Rahmen, man will ja nicht immerzu nur seine vertrauten vier Wände von innen anschauen; dabei entkoppelt man durchaus auch schon mal vom Hier und Jetzt, doch nie soeit, dass es einem Traum gleicht. Dann kommen Sachen, die einen eher in diesen besonderen Zustand versetzen: Lesen und Schreiben. Dabei versinke ich oft genug in Gedankenwelten, die Merkmale eines Tagtraumes erfüllen, vermutlich aber oft eher als Flow-Zustand zu charakterisieren wären (wer sich dafür interessiert: Mihály Csíkszentmihályi lesen!). Beim Zocken an der Playse bin ich zwar auch in einem Zustand der Immersion, doch da es sich dabei um die Traumwelten Anderer handelt, in welche man eintaucht, ist es nicht das Gleiche wie Tagträumen. Und auch bei einer Pen’n’Paper-Sitzung mit Anderen ist es eher der gleiche Zustand, wie beim Playse-Zocken, wenngleich die Motivation auf Grund der Beziehung zum selbst erschaffenen Charakter anders ist, und die Immersion u. U. tiefer geht.

Doch wahres Tagträumen ist eine Übung, die entkoppelt von anderen Aktivitäten stattfindet. Sie ist eher vergleichbar mit diesem Zustand im Bett, Abends, kurz bevor man einschläft oder in diesen Momenten am Morgen, wenn Nachtträume zerfasern und man noch versucht, irgendwas von dem festzuhalten, was eben durch den Kopf geisterte. Es ist kein echtes Wach-Sein aber auch kein Schlafen. Vielleicht eher wie eine Meditation. Eine ANDERE Meditation, die einen nicht in diese Zen-selige Achtsamkeit versetzt, die zu erlernen man angeblich unbedingt in dieses sauteure Ressort fahren muss; sondern jene Art von In-sich-gekehrt-sein, die einen zu den eigenen, freien, wilden, ungezügelten Träumen und Fantasien führt, nicht zu einer Übung, die den Geist disziplinieren soll. Wenn ich derlei heraufbeschwöre, dann geschieht dies auch aktiv; ich nehme auf die Handlung Einfluss, so wie ein Regisseur auf den Film, der gerade gedreht wird. Nur, dass es kein physisches Korrelat dieses Films in meinen Gedanken gibt. Lediglich mein Gesicht spiegelt vielleicht das Innen. Ich tue das nur, wenn ich meine Ruhe habe – weil ich es nur tun KANN, wenn ich meine Ruhe habe. Denn ich möchte in diesen wenigen Augenblicken, also dem, was auch vom freien Tage übrigbleibt, wenn alles andere getan und gesagt ist, von niemandem gesehen oder gestört werden. Es ist MEIN Tagtraum.

Und er ist MIR so wertvoll, weil sich dort entfalten kann, was sonst u. U. ungesagt, ungelebt, ungeliebt bliebe. Doch diese Bilder, Figuren und Geschichten in meinem Kopf sind ein Teil von mir, der nicht verleugnet werden kann, und auch nicht verleugnet werden darf. Das wäre ungesund, denn wir alle brauchen einen Ort, an den wir uns zurückziehen können. Und wenn dies nur ein Ort in uns selbst ist. Sich das zu entsagen, weil man es für nutzlos hält, ist riesengroßer Schwachsinn, denn das Innen muss ebenso gepflegt werden, wie das Außen. Für mich ist Tagträumen also Teil meiner Psychohygiene. Denkt mal drüber nach. Oder noch besser – träumt selbst mal etwas öfter. Das macht einen geistig flexibel. Und lässt einen manchmal Dinge ertragen, die andernfalls unerträglich wären. So ab Montagmorgen z. B. In diesem Sinne – träumt euch schön in die neue Woche.

Auch als Podcast…

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