„Das Leben ist kein Ponyhof“ – manche Eltern verwenden diesen Satz gerne, um ihre Kinder an den Ernst des Lebens zu erinnern, der sich zwar langsam, aber eben doch unaufhaltsam in das Leben eines jeden Menschen stiehlt. Nach meiner Erfahrung ist der Satz falsch. Das Leben kann man durchaus mit einem Ponyhof vergleichen; nur dass nicht alle Ponys nett sind! Es gibt unter den tierischen wie menschlichen Bewohnern alle möglichen Persönlichkeiten, es gibt Arbeit und Spaß, Freude und Leid, Freiräume und Regeln; eben das ganze Spektakel des prallen Lebens, reduziert auf einen Mikrokosmos, der ziemlich nach Mist riecht. Soweit sehe ich keine allzu großen Differenzen zu meinem eigenen Leben. Nur dass ich mit Pferden und Ponys nix anfangen kann.
Was aber nun den eben bereits angesprochenen Ernst des Lebens angeht, der ja angeblich auf dem sprichwörtlichen Ponyhof wohl nicht zu finden sein soll, lässt sich feststellen, dass dieser spätestens dann zuschlägt, wenn auch zwischen Stallung, Weide und Reithalle das angesprochene Kind mit der normativen Kraft des faktischen konfrontiert wird. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Bosheiten anderer Kinder, die durchaus zu großem Leid gereichen können, sondern eher die erhobene Stimme des jeweils eigenen Erziehungsberechtigten, die einen stets dann zur Räson ruft, wenn man mal wieder ganz voller Lust seiner juvenilen Affektinkontinenz frönt. Die folgenden Diskussionen kennt jeder Erziehungsberechtiget nur zu gut, inclusive der daraus unvermeidlich resultierenden, halbgeschickten Verhandlungsversuche unserer Sprösslinge, das Hinauszögern, die Bockigkeit, bei Kleineren noch dazu die Mitleid erheischenden Tränen; schlicht alle Register kindlichen Unverständnisses ob der Tatsache, dass in einer Eltern-Kind-Beziehung der Erwachsene das Sagen hat. Und dies nicht etwa, weil es etwa mir selbst zur Freude gereichte, Macht über Schwächere auszuüben. Derlei Spruchwerk von irgendwelchen halbgaren Küchenpsychologen kann man getrost im Lokus entsorgen. Es hat auch nichts mit Misshandlung zu tun, oder mit altmodischer Zuchtmeisterei, sondern mit dem einen, immer noch gültigen Gebot wirklicher Erziehung, dass stets handlungsleitend sein sollte: nämlich den Unerfahreneren – vulgo das Kind – davor zu bewahren, sich selbst zu schaden. Und zwar so lange, bis dieser begriffen hat, wie entsprechende Situationen selbst gemeistert werden können.
Kinder lernen vor allem durch Imitation. Das gilt für kognitive Muster wie das Erkennen von Buchstaben und Zahlen und die möglichen Kombinationen derselben ebenso wie für Verhaltensweisen. Es ist natürlich ein unerreichbares Idealziel, stets sinnvoll, überlegt und konsistent zur eigenen Erzählung von Leben zu agieren, da wir auch als Erwachsene immer noch zumindest teilweise unseren Affekten ausgeliefert sind. Und niemand schafft es leichter unsere Contenance zu erschüttern, als jene, die wir lieben, egal ob das nun der Partner, ein guter Freund oder eben unsere Kinder sind. Aber man kann zumindest versuchen, eine für das Kind erkennbare Grundlinie von Verhaltensweisen zu etablieren, Konsequenzen vorführen und das Kind auf bereits gemachte eigene Erfahrungen verweisen, um zu zeigen, „wie man es richtig macht“. Natürlich gibt es nicht das eine Richtig oder Falsch. Jeder selbst muss herausfinden, was für ihn der passende Weg ist, aber als Erziehungsberechtigter ist man verpflichtet, seinem Kind zumindest eine Orientierung über die Grundregeln menschlichen Sozialverhaltens mit auf den Weg zu geben. Und im Zweifelsfall, wenn die Umsetzung in realitas nicht so funktioniert das Fehlverhalten auch zu sanktionieren, was nichts mit Gewalt zu tun hat, bzw. haben sollte!
Ich muss es nochmal betonen, es geht mir nicht um Drill, oder Zuchtmeisterei, sondern darum, konsequent zu sein. Eine Familie ist keine Demokratie. Jene mit reicher Lebenserfahrung müssen für die mit einem noch sehr geringen Schatz daran Leitplanken aufstellen. Das bedeutet nicht, die Wünsche des Kindes stets zu missachten, oder dessen natürliches Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung zu vernachlässigen, sondern dem Nachwuchs vielmehr aufzuzeigen, dass – um mit einem weiteren Sprichwort langsam zum Schluss zu kommen – „viele Wege nach Rom führen“ und der erste zumeist weder der Beste noch der Billigste ist. Was bedeutet, dass man manchmal Entscheidungen aus der Hand des Kindes nehmen, selbst treffen und das Ergebnis dann auch durchsetzen muss.
„Call of Cutie“ bedeutet, diese Verpflichtung anzunehmen und tatsächlich erzieherisch tätig zu sein, auch wenn das manchmal in sowas wie einem Kampf ausartet (wer die Anspielung immer noch nicht verstanden hat, sollte jetzt dringend „Call of Duty“ googeln). Das dabei Fehler, Missverständnisse und Ärger auf beiden Seiten vorprogrammiert sind, darf einen nicht abschrecken, Konsequenz zu leben. Auch mir fällt das schwer. Auch ich mache dabei andauernd das Eine oder Andere falsch. Auch ich verrenne mich manchmal in meinem eigenen Gedankenpalast. Wie so viele andere vor und nach mir. Aber es wäre viel schlimmer, entweder gar keine Erziehung zu betreiben, oder dem Kind bewusst Gewalt anzutun in dem Glauben, dadurch erziehen zu können. Der bessere Weg ist ein schmaler Grat, der ein ständiges Neuausloten der Notwendigkeiten bedeutet. Man muss sich nur folgender Tatsache bewusst sein: wenn das Sanktionieren von Fehlverhalten schon bei Erwachsenen oft nur mangelhaft funktioniert (siehe Putins Ukrainepolitik) darf man sich bei Kindern dabei keine schnellen Wunder erhoffen. Daher zum Abschluss ein letztes Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“.