Wenn man die 40 überschritten hat und Verantwortung für eine Familie trägt, wäre es langsam an der Zeit, erwachsen zu werden bzw. es schon zu sein. Neulich, da saßen wir so lümmelig auf der Couch, befragte mich meine Frau, ob wir eigentlich schon erwachsen wären und ich glaube mein indignierter Blick, begleitet von einem herzlichen „Ich glaub‘ es hackt!“ war ihr Antwort genug. Wir konnten beide darüber lachen und das Bonmot, das Jungs ja eh nur 16 werden und danach allenfalls noch ein bisschen in die Höhe, aber durchaus noch um einiges in die Breite gehen, mag ein Fingerzeig sein, dass ich mich manchmal schon frage, wieso einem solchen Kindskopp nach getaner Arbeit so die Knochen weg tun können…
Dann las ich neulich in den Online-Alltags-Bekundungen eines guten Bekannten, dass er von anderen guten Bekannten ins Kino geschleift worden sei und den dort gezeigten Film als 16-jähriger bestimmt noch gut gefunden hätte. Es ging um eine nicht ganz ernst gemeinte Action-Agenten-Story und auch andere Kommentatoren schienen zu bestätigen, was ihm wohl als Wahrheit gilt: irgendwann ist man zu alt bzw. zu reif für den einfachen Genuss platter Action. Was soll ich denn jetzt sagen? Einerseits respektiere ich seine Meinung und wenn er das so sieht, ist das natürlich sein gutes Recht. Ich allerdings fand mich in Gedanken vertieft, welche sich um eine eher grundsätzliche Frage drehten; nämlich ob es diesen viel beschworenen qualitativen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur, der ja doch recht oft bemüht wird, um Machwerken der Populärkultur einen tieferen Sinn abzusprechen tatsächlich gibt? Ob man, ein gewisses intellektuelles Niveau vorausgesetzt, irgendwann seine kontemplative Entspannung nur noch im Genuss von Werken der Hochkultur finden sollte?
Es gibt da nach meinen Erkenntnissen so etwas wie eine unsichtbare Linie, die ein „wahrhafter Intellektueller“ nicht überschreiten darf, nämlich die, Kulturprodukte des kontemporären Massengeschmacks gut zu finden, einfach weil sie unterhaltsam sind. Natürlich wird es schwer fallen, in dem ein oder anderen Film oder Buch, die letzthin zum Behufe der Unterhaltung produziert wurden einen tieferen Sinn zu finden. Doch in meinen Augen entwertet das diese nicht als Kulturprodukte an sich. Man könnte sich nun natürlich einfach Adornos Diktum vom „Massenbetrug der Kulturindustrie“ zu Eigen machen und sagen: „na klar sind diese Bücher und Filmchen schlecht, sie wurden schließlich von halb gebildeten Menschen zur weiteren Verdummung halb gebildeter Menschen gemacht“. Und wenn man unterstellt, dasa Kulturprodukte nur den Auftrag wahrhaft wertvoller Bildung haben sollten, ist die Aussage auch richtig. Nur ist die Prämisse falsch.
Kultur, oder besser die Kulturprodukte, die wir heutzutage en masse präsentiert bekommen sind, ohne jeden Zweifel, zu einem großen Teil darauf ausgelegt, einem weitgehend billigen Eskapismus zu dienen. In einer Welt, die im Kern schlecht ist, weil sich alles Tun am Primat der Ökonomie ausrichtet und Politik nur noch als geopolitisch-wirtschaftliche Interessen verteidigendes Kampfschach ausgeübt wird, darf es aber wohl kaum verwundern, dass sich die Menschen nach derlei Zerstreuung sehnen, sofern sie überhaupt Zugang dazu erlangen können. Ich denke zumindest nicht, dass es in der Ostukraine noch allzu viele Kinos gibt.
Doch die Tatsache, dass nicht selten eskapistische Fantasien die Leinwände und die Buchseiten dominieren, anstatt nachhaltiger, humanistischer Bildungsangebote oder der Verbreitung enzyklopädischen Wissens, entwertet diesen Part der Kulturindustrie nicht wirklich. Allzu oft schwingen sich die Vertreter einer an aufklärerischen Idealen orientierten Bildung auf das blinde Ross des Dogmas und verurteilen alles, was nicht ihrer Vorstellung von einem guten Kulturprodukt entspricht als überflüssig, kindisch, kitschig, gewaltverherrlichend, dumm und wertlos. Ganz so, als ob das Leben nur aus einer Aneinanderreihung von nachhaltigen, humanistischen, lehrreichen, dem Gemeinwohl dienlichen Idealtaten bestehen würde. Was für ein Nonsens!
Das Leben besteht, auch wenn man das vielleicht gerne anders sähe aus einer Vielzahl monotoner, ermüdender, immer wieder gleichartiger, nur allzu häufig fremdbestimmter Routinen, welche in ihrer Gesamtheit ein durchaus legitimes Streben nach Ablenkung begründen. Man mag – nicht zu Unrecht – befinden, dass das Gesamtwerk Schillers aus der Sicht humanistischer Bildungsideale deutlich mehr Wert habe, als zum Beispiel der Film „Crank“. Aber das Leben ist keine immer weiter aufwärts strebende Spirale der Selbstverbesserung durch Bildung; es ist ein anstrengender, ermattender, gelegentlich hektischer, oft nervtötender und eher selten lustiger Dauerlauf mit ungewissem Ausgang. Ganz ehrlich: wenn ich nach einem wirklich fordernden Tag zu Hause endlich die Kinder ins Bett gebracht habe und auf der Couch niedergesunken bin, scheiße ich auf Schiller! Dann ist es mein verdammtes Recht, mich auch durch Filme und Bücher unterhalten zu fühlen, die eher meine niederen Instinkte bedienen.
Hochkultur vs. Populärkultur ist eine Gegenüberstellung, die lediglich Augenwischerei betreibt, den das Eine und das Andere haben sowohl ihre Daseinsberechtigung als auch ihre Wirkung in unserer komplexen Welt. Selbst wenn man findet, dass zu wenig Leute heute noch Literatur mit aufklärerischer Wirkung im wahrhaft kantianischen Sinne lesen, kann man nicht ernsthaft aktuelle Kulturprodukte abqualifizieren, weil sie offenkundig einfach nur unterhalten wollen. Das ist kindischer, als einen halbwegs ordentlich gemachten Actionfilm gut zu finden. Und deshalb stehe ich dazu, dass ich Actionfilme liebe; ich bin trotzdem immer noch ein halbwegs gebildeter Mensch, der nach mehr (Er)kenntnis strebt. In diesem Sinne…