Wann genau haben wir verlernt, wie die “willing suspension of diesbelief” funktioniert? Wann genau haben wir angefangen, alles zu hassen und zu dissen, was nicht EXAKT unseren Vorstellungen entspricht? Wann genau haben wir das Staunen verlernt? Ich hatte, das will ich zugeben, geringe Erwartungen, als ich gestern Abend mit der besten Ehefrau von allen auf der Couch Platz nahm, um mir “The Electric State” anzusehen. Gering deshalb, weil ich zuvor NICHT die Gelegenheit ausgelassen hatte, mich ein wenig mit den diversen Auslassungen der “Kritiker” zu befassen. Und was haben sie nicht alles bekrittelt: kein Plot, miese CGI, zu viele anachronistische Elemente, keine werkgetreue Umsetzung der Graphic Novel von Simon Stålenhag, keine emotional Pay-Offs, und so weiter, und so fort. Ganz vorne weg, wie immer, der Critical Drinker und seine Crew. Ganz ehrlich, nicht selten liegt er total richtig – aber dieses Mal kann ich ihm kaum zustimmen. Insbesondere nicht, wenn er damit anfängt, Milly Bobby Brown zu dissen, weil sie ihm zu alt aussieht für eine High-School-Teenagerin. Ich glaube, der saufende Schotte sollte mal gelegentlich aus seiner Bubble rauskommen und vor die Tür gehen; die Welt hat sich nämlich verändert… Aber, fangen wir doch ganz einfach von vorne an (ohne zu sehr zu spoilern).

Das Worldbuilding ist meiner Meinung nach nicht schlechter, als etwa bei “Fallout”. Das Zusammenspiel von Retrofuturism bei den Robotern und realistischer 90er-Jahre-Tech hinsichtlich des ganzen Restes ist aus meiner Sicht durchaus gelungen. Tech-Entwicklung verläuft pfadabhängig und wenn ich in diesem Film nun Roboter habe, die nach und nach seit den 50ern klüger geworden sind, so bedeutet dies lediglich, dass sich im Kontext der Geschichte bestimmte Entwicklungspotentiale in diesen Bereich verlagert haben. Was den Aspekt des eigentlichen Hauptcharakters des Filmes (der zudem auch der MCGuffin der Geschichte ist) angeht, könnte man sagen, das ist ein bisschen Over the Top, bleibt aber konsistent mit der Idee eines Neuralink – und an dem bastelt man heutzutage rum. Hätten in den 40er Jahren des 20. Jhdts. mehr einflussreiche Leute an Anwendungen für die frühen Robotik-Konzepte geglaubt, hätte sich das alles vielleicht tatsächlich in eine ähnliche Richtung entwickelt. Also Schwamm drüber! Ist man bereit, sich darauf im Rahmen des Narrativs einzulassen, funktioniert dieser Part gut – wenn man darüber hinweg sieht, dass es eher unglaubwürdig erscheint, in einem Bot die Persönlichkeit eines Menschen zu erkennen und deshalb mir nix dir nix auf einen Roadtrip mitzugehen. Aber sind Teenager nicht dafür bekannt Entscheidungen eher emotional denn rational zu treffen…?
Die wichtigen Charaktere erhalten alle eine Einführung, ohne dabei zu viel “In-die-Fresse-Exposition” zu betreiben; es wird gezeigt, wie sie ticken, ohne es extra zu beschreiben zu müssen. Manche Aspekte über die wichtigen Personen werden nach und nach enthüllt, und sind aus meiner Sicht nicht zu dick aufgetragen. Auch wenn Chris Pratt halt Chris Pratt ist und in jedem Film basically Chris Pratt spielt; ein bisschen Overarcting inclusive. Die beste Dialogzeile hat nach meiner Ansicht Giancarlo Esposito kurz vor Schluss, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Lediglich Stanley Tucci – sonst eine sichere Bank – bleibt für mich hier seltsam farblos. An Milly Bobby Browns Spiel habe ich nichts auszusetzen. Sie hat gewiss noch Entwicklungspotential als Schauspielerin, aber schlecht macht sie das hier nicht. Und dass es keine Chemie zwischen Chris Pratt und ihr gäbe, ist schlicht Quatsch. Schaut mal genau hin, das passt schon so. Selbst die CGI-Roboter haben nach meinem Dafürhalten hinreichend Persönlichkeit, um die ihnen zugedachten Rollen ausreichend zu tragen. Comic relief inclusive. Ja… die CGI ist bisweilen etwas unscharf und ich hätte mir bei 320 Millionen Dollar tatsächlich ein paar mehr echte Setpieces gewünscht. Doch abseits dessen ist an der Cinematography wenig auszusetzen. Es gab die eine oder andere Kritik an den wenig innovativen Action-Sequenzen. Das erntet von mir jetzt aber lediglich ein schulterzuckendes “Ach echt…?” Das hier ist kein Action-Film, sondern ein retrofuturistischer Science-Fiction-Roadmovie. Get over it. Nicht alle Kämpfe müssen so knackig inszeniert sein, wie in “The Raid”. Lediglich das Ende kommt hier mehr als nur ein bisschen unglaubwürdig daher. Ich hätte da jetzt ein wenig mehr… Security… erwartet, so rings um die Deportationszone und um das Schaltzentrum DER global wichtigsten Tech-Firma der Erzählung herum…. nah, whatever….
Ja und der Plot? Okay…. einige Aspekte davon sind wirklich dünn wie Jugendherbergs-Tee. In dem Zusammenhang wird öfter die Frage gestellt, warum man nach einem “Krieg” die Roboter nicht einfach alle verschrottet hatte, anstatt sie in ein riesiges Freiluftgefängnis zu sperren. Wahrscheinlich war das tatsächlich billiger und hatte den Vorteil, dass man sich später würde Gedanken machen können, sie irgendwann doch wieder zum Einsatz zu bringen – etwa als billige Arbeitssklaven, sobald man eine Methode gefunden hätte, die freiheitsliebenden Anteile ihre Persönlichkeit wieder zu überschreiben. Aber Denken beim Filmschauen ist ja bekanntlich nicht jedermanns Sache. An einigen Stellen wird der Film unnötig langsam, ja beinahe langatmig, an anderen Stellen hingegen hätte ich mir etwas mehr Kontext für die Geschichte und etwas mehr Charakter-Tiefe für den finalen Pay-Off gewünscht. Aber insgesamt macht der Film seine Punkte: die Protagonisten erleiden Verluste und müssen harte Kämpfe durchstehen, schwere Entscheidungen werden getroffen, Charaktere machen eine (wenn auch zumeist eher geringe) Entwicklung durch, und am Ende bleiben genug lose Enden zum selbst weiterspinnen.
Und man kann über die Frage nachsinnen, was denn nun der Electric State ist, welcher dem Film seinen Titel gibt: die Deportationszone für die Bots? Die Verbindung zwischen Mensch und Maschine? Was einen Menschen menschlich macht – und ob eine Maschine vielleicht auch menschliche Qualitäten erlagen kann? Ich fand diese Fragen allesamt in dem Film wieder. Bleibt also die eine Frage, ob “The Electric State” ein guter Film ist? Ich sag mal so: das hängt davon ab, wie sehr man bereit ist, über Hollywood-typische Logik-Lücken (räumliche Entfernungen, Charakter-Motivation), Inkonsistenzen (Zufälle, Deus ex Machina), allzu oft bemühte narrative Schemata (edle Wilde vs. gierige Konzerne) und gelegentlich holpriges Pacing (zeitliche Abläufe) hinweg zu sehen. Ich habe mir jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, immer noch keine abschließende Meinung gebildet. Aber eines weiß ich: wenn man sich unter Beachtung der zuvor genannten Aspekte Gedanken über Filme macht, ist der erfolgreichste Blockbuster aller Zeiten – ja, mit knapp drei Milliarden Dollar Einspielergebnis immer noch “Avatar” von James Cameron – KEIN NENNENSWERT BESSERER FILM. Viel Spaß mit dieser Nachricht.