Atomisierte Gesellschaft

Ich kann es nicht mehr hören: der ehemalige Innenminister fordert von Frau Merkel, sie müsse den rechten Rand des CDU/CSU-Klientels besser integrieren, er warnt vor einer Spaltung des bürgerlichen Lagers. Auf der anderen Seite wettert die Linke, dass die Union sich nicht hergeben dürfe als Sammelbecken für den rechten Rand, weil in deren Augen PEGIDA-Anhänger wohl irgendwie so was wie Undemokraten sind. Worte mit der Vorsilbe Un- haben heute anscheinend genauso Konjunktur wie in den Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts. Die einen fordern mehr Integration, ohne genau zu benennen, wen sie wie in was integrieren wollen und die anderen sagen, das Boot ist voll, ganz im Stile der republikanischen Rechtsaußen. Na ja, Sin Fein ist ja auch nur der halbwegs salonfähige Teil der IRA… All überall in der Politik dominiert, ungefähr 25 Jahre nach dem Beginn vom Ende des letzten kalten Krieges das Blockdenken. Ganz so, als wenn sich auf den Straßen der jungen Republik tatsächlich Sozialisten und Kapitalisten immer noch unversöhnlich gegenüber stünden, Knüppel in der Hand, Kampflieder auf den Lippen, allzeit bereit, aufeinander loszustürmen. Deutschland im Winter 2014/15, das ist eine fatale Reminiszenz an den Klassenkampf, ein in seiner Verwutbürgerung entsetzlich lebendiges Museum überkommenen Gedankengutes.

Das bürgerliche Lager? Ja Herr Friedrich, was ist denn das, dieses von ihnen so bezeichnete Gebilde? Sind das die „klassischen“ Vater-Mutter-Doppelkind-Familien mit 1,5 gutdotierten Beschäftigungsverhältnissen, vulgo der Mittelstand, den die Lobbyarbeit des industriellen Komplexes so erfolgreich zu zerstören versteht? Oder vielleicht doch eher die Selbstständigen mit ihren kleinen und mittleren Betrieben, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden? Möglicherweise meinen sie ja auch die eher an Ökologie und Nachhaltigkeit orientierte Intelligenzia mit dennoch wertkonservativen gesellschaftlichen Vorstellungen? Auch der eine oder andere neoliberale Wirtschaftsmensch gehört wohl dazu und natürlich auch jene Menschen, denen alles Fremde und jedwede Veränderung des Status Quo ein Greul in sich selbst ist? Oder vielleicht irgendetwas dazwischen? Auf jeden Fall war Beharrungsfähigkeit im Antlitz nicht aufzuhaltender Veränderung immerhin 16 Jahre lang das Markenzeichen der Union. Vielleicht auch nur das von Helmut Kohl, aber das werde ich hier nicht diskutieren; meine Meinung zu diesem Menschen steht fest. Auf jeden Fall ist das mit dem Beharren nicht besser geworden.

Noch immer unterteilen Politiker die Welt in Einflusssphären, in Blöcke entsprechend einem von Kindesbeinen an gelernten Richtungsspektrum, das von ganz Links (immer schlimm) bis ganz Rechts (schlimm, wenn sie ihre Dummheiten öffentlich begehen) alles und jeden fein säuberlich in Schubladen einordnet. Also gut, dann ordnen sie doch bitte mal den hier ein: 40, verheiratet, zwei Kinder. Jung genug um soziale Gerechtigkeit immer noch als Kampfthema zu begreifen. Erfahren genug, um die Notwendigkeit bestimmter ordnungspolitischer Grundsätze anerkennen zu können. An nachhaltiger Zukunftsentwicklung interessiert und Willens, etwas dafür zu tun. Kritisch gegenüber der aktuellen Handhabung politischer Probleme. Fremden gegenüber aufgeschlossen und wissend, dass wir Zuwanderung brauchen. Dennoch davon überzeugt, dass die hiesige Justiz manchmal zu lasch urteilt, insbesondere wenn es um Personen von gewisser Bekanntheit/Wichtigkeit geht. Jederzeit bereit, seine Meinungen auch öffentlich zu vertreten – was er übrigens gerade tut. Denn dieser Typ bin ich. Nutzt man das übliche Schubladendenken, finde ich vermutlich mit bestimmten Aspekten in jeder Schublade Platz, aber das Complet zeigt an meinem persönlichen Beispiel auf, dass sich die Interessen der Menschen partikularisiert haben.

Die Wenigsten Menschen, die ich kennenzulernen die Ehre und das Vergnügen hatte entsprechen in ihren sozialen Praktiken und ihren gesellschaftlichen Ansichten den Blockbildern, in welchen die politischen Parteien sich nach wie vor abzubilden mühen. Ein Arbeiter wählt heute nicht mehr die SPD, weil er halt zur Arbeiterklasse gehört, weil es diese Arbeiterklasse in solcher Trennschärfe nicht mehr gibt. Vielleicht hat es sie nie wirklich gegeben, aber nun ist auch das Bild in den Köpfen am schwinden, weshalb es sehr schwer wird, so etwas wie eine Stammwählerschaft, auf die man sich in den 50ern, 60ern, 70ern noch eisern verlassen konnte, überhaupt zu finden. Dass die Union gegenwärtig so stabil bei über 40% steht, liegt nur daran, dass viele von uns bunten Bürgern über die letzten Jahre alternativlos in den Topor gemerkelt wurden. Ihre „Politik der ruhigen Hand“ ist wie ein riesiges Barbiturat-Raumspray, das auch den letzten Rest politischer Volksbeteiligung ausräumen soll. Ein Volk stört nämlich nur beim Regieren…

Deshalb reagiert man im politischen Berlin auch so verschnupft, vor allem aber irritiert auf PEGIDA. Mag sein, dass da auch rechte Wirrköpfe mit feurigen Gewaltphantasien mitmarschieren, von denen gibt es gewiss noch zu viele in unseren Landen – woanders aber ebenso. Das ändert aber nichts daran, dass dieses Phänomen, genauso wie übrigens auch die Krawallbrüder von der AfD nicht so richtig in das Schubladensystem passen. Und alles was da nicht reinpasst, ist übrigens neuerdings Rechts. „Nazi“ ist das neue „Störenfried“.

Unsere Gesellschaft ist nicht mehr so, wie zu Großvaters Zeiten, als man an Hand des Wohnvierteles ziemlich präzise vorhersagen konnte, wie einer so insgesamt tickt. Nicht nur unsere Wohnverhältnisse, auch unsere Ansichten, Werte, Ideale, Normen haben sich atomisiert. Ohne jetzt schon wieder mit Individualisierung kommen zu wollen, oder noch Mal das Zeitalter der Beliebigkeit postulieren zu müssen, ist recht leicht feststellbar, dass ehemals gültige soziale Unterscheidungskriterien ihre Kraft verloren haben. Das war beim Übergang von der Ständisch-bäuerlichen zur Industriegesellschaft der Fall und das ist beim Übergang von der Modernen in die Postmoderne Gesellschaft, den wir gerade im Begriff sind zu vollziehen genauso. Immer noch mit den Begriffen der klassischen Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts zu hantieren geht folglich also irgendwie am Ziel vorbei, Phänomene wie PEGIDA korrekt analysieren können zu wollen. „Das sind alles Nazis“ ist ein Reflex, geboren aus dem Unverständnis sozialer Wandlungsprozesse. Und diesem Irrtum sitzen nicht nur Politiker auf, sondern ebenso Vertreter unterschiedlichster sozialer Gruppierungen und der Medien. Traurig, wer sich da alles um so viel intelligenter als diese Mitläufer-Demonstranten wähnt…

Nicht nur die Erkenntnis, vor allem das Anerkennen der Tatsache, dass alte Schemata und Handlungspraktiken nicht mehr genügen, um in der postmodernen Gesellschaft die drängenden Fragen beantworten zu können, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich kann das Wort Nazi nicht mehr hören. Ja, wir haben immer noch viel zu viele Menschen mit jeder Menge brauner Scheiße im Kopf hier rumlaufen, doch muss ein demokratisches Gemeinwesen mit extremen Meinungen jedweder Art leben, sie aushalten und durch Wort und Tat entkräften können. Doch wir haben verlernt, dass Toleranz Duldung bedeutet, nicht Umarmung. Ein Demokrat muss scheinbar Unzumutbares erdulden und trotzdem aufrecht voranschreiten können. Unsere Zukunft gestalten wir nur selbst, wer glaubt, dass die Politiker dies für uns erledigen, der tut mir leid. Die erledigen allerhöchstens noch den letzten Rest von Partizipation, wenn wir sie gewähren lassen!

Ich habe keine Sympathien für die Agitatoren von PEGIDA, ich kann aber verstehen, warum die Menschen ihnen hinterher rennen. Dies Verständnis in sinnvolle Handlungen umzumünzen ist das Gebot der Stunde. Einfach nur „NAZI“ schreien und nach Fackeln, Mistgabeln, Stricken suchen – selbst, wenn diese nur rhetorischer Natur sind – ist allerdings keine Lösung. Was wollen wir tun? Eine neue Partei der gesellschaftlichen Mitte gründen? Oder versuchen, die verkrusteten Strukturen unserer eigentlich recht tauglichen parlamentarischen Demokratie wieder aufzubrechen, um sie für alle zugänglich und nutzbar machen zu können? Lasst uns doch gemeinsam darüber nachdenken, vielleicht finden wir dann einen Weg, wenigstens einen Teil der atomisierten Gesellschaft zu (re)integrieren…?

Ich will keine guten Vorsätze!

Die sind für den Arsch. Menschen machen ja zu Silvester kuriose Sachen, wie z.B. Blei gießen, Unmengen lauter, bunter Lichter um sich schießen und saufen, bis die Rettung kommt. Na gut, das Letztere machen sie eigentlich das ganze Jahr über. Aber sich gute Vorsätze für’s kommende Jahr vornehmen ist, als wenn man sich nur einen Zehner mit zum Shoppen nimmt, aber die Kreditkarten nicht aus dem Geldbeutel legt; also, wie schon bemerkt, für den Arsch.

Ich verurteile Niemanden, wenn er zum Jahreswechsel ein bisschen übermütig wird. Mache ich ja selbst auch. Ist eine willkommene Abwechslung zum schmuddelig-dunklen Wettereinerlei und der überall stattfindenden Bilanz-Zieherei, quasi ein rezeptfreies Antidepressivum. Man trifft sich, lässt die Sau raus, am nächsten Morgen – na ja, vielleicht eher Mittag – ist wieder gut, alle gehen ihrer Wege und Alles bleibt beim Alten. Denn so sehr wir uns auch darauf versteifen, dass ein neues Jahr wie eine neue Chance für das eigene Leben ist, Wandel entsteht nur, wenn man sich selbst wandelt, anstatt dazusitzen und zu hoffen, dass 20xx es schon richten wird. Zeit vergeht. Sie vergeht nicht für jeden gleich, das ist auch so eine Wahrnehmungsgeschichte, aber zurückdrehen lässt sie sich niemals. Und weil es ziemlich einfach ist, am eigenen Tun oder Lassen irgendwas Negatives zu finden, fallen die oben erwähnten Bilanzen dann zumeist auch eher ernüchternd aus.

Dies oder jenes nicht geschafft, ja nicht mal in Angriff genommen; hier eine Chance verpasst, da eine schlechte Entscheidung getroffen. Selbstzerfleischung und die daraus unweigerlich resultierenden Selbstzweifel brauchen am Ende eines weiteren nicht allzu erfolgreichen Jahres ein Pflaster, woraus folgt: Silvester muss geil sein, prall gefüllt mit Action und guten Vorsätzen. Was muss nicht alles besser werden… Das allein das Fassen guter Vorsätze schon die nächste Silvesterpflasterwürdige Enttäuschung in sich trägt, wird dabei gerne geflissentlich übersehen. Menschen ändern sich langsam, mit zunehmendem Alter immer schwerer und eine realistische Selbsteinschätzung abgeben zu können ist etwas, dass unsere Spezies erst noch lernen muss. Das kann man gut beobachten, wenn man mal seinen Kollegen bei der Arbeit und dann bei ihren Berichten davon während formloser Anlässe, zum Beispiel am Wasserloch zusieht. Die dabei zu beobachtende Inkongruenz zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und dem Bericht darüber ist mir persönlich schon zu oft negativ aufgefallen.

Da sitzt man nun also in der Silvesternacht oder am Neujahrsmorgen in unerfreulicher Selbstbeschau und um die Geister der vergangenen Weihnacht zu verjagen, beschließt man, ab jetzt aber auch so richtig alles anders zu machen. Besser, größer, schöner, ehrlicher, und so weiter und so fort. Weil drunter geht es ja in unserem Zeitalter nicht. Und rumms, keine zwei Wochen später, wenn es überhaupt so lange dauert, ist man in eines der selbst ausgelegten Bäreneisen getreten. Zunächst versucht man noch verzweifelt, den eigenen Zielvorgaben gerecht zu werden, aber spätestens im Frühling beginnt sich das Gefühl auszubreiten, dass man ja noch jung ist und es dieses Jahr mal wieder etwas ruhiger angehen sollte. Es kommt ja wieder ein neues Silvester. Und was lernen wir daraus? Gute Vorsätze sind ein Selbstbetrug auf Zeit mit 100% Enttäuscht-werden-Garantie. So was brauch ich und will ich nicht!

Mir wäre es lieber, wenn man immer mal wieder über sich selbst und seine Beziehungen, über das was man für sich und andere erreicht hat, das was man noch erreichen will und die möglichen Wege dorthin nachdenkt, vollkommen unabhängig davon, ob Silvester ist, oder nicht. Diese Nacht ist ein Rite de Passage, sie markiert den Umkehrpunkt, ab dem der Lebenszyklus durch die Jahreszeiten von neuem beginnt. Würden wir den Jahreswechsel Ende Juni begehen, hätten wir trotzdem in einer Mittwinternacht ein Fest, welches dieses Ereignis begeht. Schließlich braucht man einen halbwegs glaubwürdigen Grund zum Feiern. Feiern ist auch in Ordnung, aber bitte nehmt euch keine guten Vorsätze vor, sondern denkt lieber öfter mal über euch und euer Leben nach, das bringt viel mehr. Und zusammen einen saufen kann man eh immer, wenn einem danach ist.

Sozialpuzzle – oder warum Pegida-Mitläufer nicht der Teufel sind…

Hübsches Wort oder? Ist mir die Tage so eingefallen und eine kurze Googlesuche hat mir eröffnet, dass noch niemand es anscheinend in dem Zusammenhang benutzt hat, der mir jetzt gerade vorschwebt. Unsere (post)moderne Gesellschaft ist wie ein Sozialpuzzle. Viele Teile greifen auf unterschiedliche, jedoch je einzigartige Weise ineinander. Ich könnte jetzt wieder Systemtheorie zitieren, oder von dezentraler Kontextsteuerung reden, aber für die Angelegenheit, mit der ich mich auseinandersetzen möchte, ist das Bild vom Puzzle mit seinen unterschiedlichen Teilen vollkommen ausreichend. Doch zunächst ein paar Gedanken zum Thema:

Jedes Teil symbolisiert ein Subsystem unserer Gesellschaft, zum Beispiel Verwaltungseinheiten wie städtische Ordnungsämter, oder verschiedene nicht-stattliche Organisationen, die sich an der Gestaltung von Gesellschaft beteiligen, wie etwa Gewerkschaften, Interessenverbände, Bürgerinitiativen und Ähnliches. Nicht jedes Puzzleteil ist gleich groß, aber nur zusammen ergeben sie ein sinnhaftes Gesamtbild. Das bedeutet, dass man nicht einfach ein Teil wegnehmen kann, weil jedes Subsystem auf die Anderen um sich herum einwirkt. Ein gutes Beispiel sind Tarifabschlüsse. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln und wenn sie nicht im Guten zu einem Ergebnis kommen, dann wird durch Dritte Druck aufgebaut, in aller Regel durch Streiks. Dann nehmen weite Teile der Gesellschaft davon Notiz, dass ein Konflikt schwelt, was Handlungszwang aufbaut, der üblicherweise den wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber folgt. Mindereinnahmen, Imageverlust, etc. sind unübersehbare Folgen, die man nicht allzu lange tolerieren kann. Gäbe es keine Gewerkschaften, müsste man wohl davon ausgehen, dass es um die Arbeitnehmerrechte nicht so gut bestellt wäre. Ein Blick in Staaten, in denen es keine oder kaum Gewerkschaften gibt, wirkt da sehr erhellend. Oder der Blick auf Solidarnosz, jene polnische Gewerkschaft, die an der demokratischen Wende 1989 in wichtigem Maße beteiligt war.

Das Sozialpuzzle ist ein Sinnbild für die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit verschiedener sozialer Systeme. In der Systemtheorie ging man zunächst davon aus, dass jedes Subsystem den Zustand der Autopoiese erreicht, sich also zuvorderst selbst erhält und dann seine Funktionen erfüllt. Doch ein Blick in soziale Realitäten sagt uns, dass kein Teilsystem unabhängig von den Anderen agieren kann, weil in einer funktional hoch differenzierten Gesellschaft, in der jede Funktion, wie zum Beispiel die Schulbildung, oder das Gesundheitswesen ihre eigenen Spezialisten hat, alles miteinander zusammenhängt. Ohne Schule gibt es kein Ausbildungswesen, gibt es keine Industrie und kein Handwerk, gibt es keine Energieerzeugung, gibt es keine Infrastruktur gibt es keine Schule. Und solche, als Interdependenzen bezeichneten, Zusammenhänge gibt es in jedem gesellschaftlichen Teilbereich. Das Puzzle ist also nur dann sinnvoll zu betrachten, wenn es zusammengesetzt bleibt.

Eine Eigenheit, die gleichzeitig einen großen Unterschied zu „normalen“ Puzzles bildet, ist die Veränderlichkeit. Manche Teilsysteme, oder besser Puzzleteile gewinnen im Lauf der Zeit an Wichtigkeit, andere verlieren, manche verändern ihre Position, relativ zu den anderen Teilen, neue entstehen, wenn alte einfach verschwinden. Weil das Gesamtbild sich stets weiterentwickelt, da wir ja nicht einfach auf einem technologischen, kulturellen, oder politischen Niveau verweilen. Der Wandel ist offensichtlich ein Grundzug unserer menschlichen Natur und so wenig, wie wir stehen bleiben, tut es die Gesellschaft, in die wir eingebettet sind. Aber nicht alle auf die gleiche Weise. Womit einsichtig wird, dass die tatsächliche Geschwindigkeit des Wandels und die Geschwindigkeit, mit der sich unser je persönliches Bild von Gesellschaft, also das individuelle Sozialpuzzle ändern nicht zwingend gleich, ja nicht einmal ähnlich sein müssen. Ein altes Chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern und die anderen Windmühlen.“ Danke Tante Google! Für jene, die’s mal wieder nicht kapiert haben: Die Anpassungsfähigkeit an den Wandel, der einen unveräußerlicher Teil unserer Natur und damit auch unserer Gesellschaft darstellt, ist NICHT in jedem Menschen gleich entwickelt! Und das zeitigt jede Menge Probleme…

Diese waren vor allem sozialer Natur. Die neoliberalistische Entfesselung der Märkte in der 80er und 90er Jahren des voran gegangenen Jahrhunderts, die wirtschaftliche Globalisierung, der radikal schnelle technologische Fortschritt, all das zusammen hat alte Bedeutungszusammenhänge entwertet; alte Ideale, Werte, Normen taugten plötzlich nicht mehr in der schönen neuen Welt. Die Folge waren und sind immer noch, oder besser immer mehr, soziale Verwerfungen, die wir heute allenthalben spüren. Während aber alte Gewissheiten verloren gingen, hat so gut wie nichts diese bis heute ersetzen können. In der Folge fühlen sich Menschen nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht existenziell bedroht, denn so mancher kann dem nun herrschenden Anpassungsdruck nicht standhalten, was den Verlust beruflicher Qualifikation und somit nicht allzu selten auch des Einkommens bedeutet. Auch das soziale Prestige, welches sich nicht nur durch Einkommen sondern auch durch die Zugehörigkeit zu Peergroups realisiert, ist in deren Augen bedroht; weil der eigenen sozialen Gruppe vielleicht kein gesellschaftliches Gewicht mehr zufällt. Und dieses Gewicht ist wichtig für das Selbstwertgefühl.

Und dann treten auch noch die Zuwanderer auf den Plan und werden als zusätzliche Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Arbeit, daraus resultierendes Einkommen und staatliche Transferleistungen wie ALG2, Kindergeld usw. wahrgenommen; „die kommen hier her und nehmen uns unser Geld weg!“ Gewiss sind unsere Sozialsysteme umlagefinanziert, was bedeutet, alle zahlen ein und jene, die brauchen bekommen dann etwas aus dem Topf – abzüglich der Tatsachen, dass a) alle Regierungen seit 1949 auf die eine oder andere Weise Geld zum Kauf von Wählerstimmen verschleudert haben und b) unsere Gesellschaft überdies rapide altert. Es ist einfach nicht unendlich viel da.

Da sind „die Ausländer“ immer ein willkommener Sündenbock für den Fehler, zu glauben, dass überkommene ordnungspolitische Prinzipien heutzutage noch einen Pfifferling wert sind und dass Manager tatsächlich Unternehmen führen. Aber anstatt sich ehrlich vor das Volk hinzustellen und ihnen zu sagen, wie der Hase läuft, nämlich dass man in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft Kompromisse machen muss, nicht beliebig viel umverteilen kann, weil sonst auch das leistungsfähigste Unternehmen irgendwann den Geist aufgibt und wie die Kosten-Nutzen-Rechnung der Zuwanderung tatsächlich aussieht, stellt man sich verschnupft, beschimpft all die wütenden und ängstlichen Menschen als Nazis und hofft, dass keiner merkt, wie tief man den Karren selbst in die Scheiße geritten hat. Das unzählige Medienschaffende dankbar auf den satirischen Zug aufspringen und durch das billige, unreflektierte Abqualifizieren dieser Leute Lacher generieren, finde ich ehrlich gesagt zum Kotzen. Wir wurden endgültig in den Schlaf gemerkelt.

Noch ein letztes Mal für alle: Pegida ist nicht das Problem, sondern ein Symptom. Und symptomatische Therapie kann in der Medizin kurzfristig hilfreich sein, ersetzt jedoch nicht die kausale Therapie. Und die wäre auf „die braune Soße aus Leipzig“ bezogen, die Leute aufzuklären, den Populisten das Wasser abzugraben und selbst vor irgendwelchen halbgaren Äußerung erst mal lange nachzudenken. Aber wahrscheinlich sind die meisten Menschen in meinem Sermon nicht mal bis hier gekommen, wie kann ich da erwarten, dass sie komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen und entsprechen handeln können. Ach was soll‘s, macht doch, was ihr wollt, ihr Narren!

PS: Ich Simpel habe tatsächlich Leipzig und Dresden verwechselt… mea maxima culpa!

Mein unglaublicher Hulk…

Ich hatte dieser Tage ein sehr erhellendes Gespräch mit einem lieben Bekannten, der mir offenbarte, an etwas zu leiden, dass auch mich selbst bis heute immer wieder heimsucht; nämlich eine tief greifende Wut. Nicht diese Art von Ärger, die einen immer nur dann heimsucht, wenn alle Autofahrer mal wieder aus Bad Blödingen zu kommen scheinen, die Servicefachkraft unhöflich oder schlicht inept ist, man etwas beobachten muss, dass zumindest auf den ersten Blick furchtbar ungerecht ist, oder einfach nur überall zu viele Menschen vor einem genau jetzt genau das gleiche wollen, wie man selbst. Sondern vielmehr dieses unauslöschliche, weißglühende Feuer, dass bestimmte Menschen vor sich her treibt und dessen mächtige Energie manchmal nur durch blinden Aktionismus kanalisiert werden kann. Man kennt den Ausdruck, dass jemand ein Getriebener sei; Bruce Banner treibt den Sachverhalt mit folgenden Worten auf die Spitze: „Mein Geheimnis ist: ich bin einfach immer wütend…“

Nun offensichtlich teilt dieser Mensch das sich getrieben fühlen mit mir. Das äußert sich mal auf charmante Art, wenn ich die Arbeit für meinen Boss oder auch für meine privaten Projekte wie ein Maniker durchpeitsche; oder in weniger gefälliger Form, wenn ich – viel zu oft wegen Nichtigkeiten – platze wie ein Haubitzengranate. Es gibt bei solchen Eruptionen durchaus unterschiedliche Stärken, vergleichbar mit der Richter-Skala. Doch weder ich, noch Menschen, die mich wirklich gut kennen, haben bis heute ein Frühwarnsystem entwickeln können. Es ist nämlich mitnichten so, dass ich immer wegen der gleichen Sache abgehe, wie ein rotes Moped. Reizend auf der Klaviatur meiner Emotionen zu spielen, ist daher nicht berechenbar, sondern eher wie Pogo-Hüpfen im Minenfeld, wenngleich im Lauf der Jahre zumindest auf der cholerischen Seite etwas ruhiger geworden bin. Das Feuer, oder besser mein innerer Hulk als Triebfeder für meine Produktivität und Kreativität, das lodert hingegen immer noch hell – oder vielleicht auch immer heller…?

Der Volksmund spricht gerne von dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Nun war ich zwar psychisch erkrankt, im Sinne einer Depression, welche sich allerdings, wie ich mit Freude zu vermelden weiß auf stetem Rückzug befindet, aber von Wahnsinn im klassischen Sinne findet man bei mir keine Spur. Mit Bedauern jedoch muss ich vermelden, dass ich auch kein Genie bin, sondern lediglich ein Typ, der versucht über den Tellerrand zu schauen und alles, was er dabei so zu Gesicht bekommt überdenkt und des Öfteren auch kommentiert. Wenn man aber die Schwarzweißbilder mal bei Seite lässt, gibt es natürlich Gradationen von Genie und Wahnsinn, die dem Volksmund empirisch durchaus dabei helfen, seinen nicht sonderlich guten Leumund hier ein wenig aufzupolieren. An dieser Stelle noch mal der Hinweis auf das ebenfalls dem Allgemeinsprech entnommene Bild vom Getriebenen.

Bleibt man bei dieser Denkweise, dann ist mein halbwegs wacher, jedoch stets vom Feuer angetriebener Intellekt eine, na sagen wir mal, weniger leistungsfähige Unterform des Genies, sozusagen also der Bruce Banner in mir. Und mein manchmal herausplatzender Hulk das dazu passende Pendant auf der Wahnsinn-Seite. So gesehen ist meine Bilanz, wenn auch auf niedrigerem Niveau dennoch durchaus ausgeglichen. Die guten und die schlechten Eigenschaften des Getriebenen halten sich die Waage. Doch was kann alles passieren, wenn genau das nicht (mehr) der Fall ist. Mein Bruce Banner wurde nämlich sehr depressiv, er legte sich hin und ließ einfach alles passieren, wie es gerade kam; es war im einfach egal. Was dazu führte, dass auch meine Produktivität und Kreativität abgestürzt sind. Anscheinend kann ich das eine nicht ohne das andere haben und alles in allem bin ich darüber nicht mal böse oder enttäuscht.

So, wie ich die Sache sehe, muss ich mich eben damit arrangieren, dass dieses Feuer mich verzehren kann, wenn ich mich ihm vollkommen hingebe; andererseits fühlt es sich aber granatenmäßig beschissen an, überhaupt nicht vorwärts zu kommen, weil man gar keinen positiven Zugang zu seiner Energie mehr hat. Paradoxerweise machte mich das überdies fuchsteufelswild. Will heißen, während Bruce sein Jammertal durchschritt, fing mein unglaublicher Hulk an, mich richtig unschöne Dinge tun zu lassen. Es wurde… schwer kontrollierbar. Das war nicht schön, dennoch habe ich es als heilsamen Warnschuss wahrnehmen gelernt, gleichsam meinem Bruce immer mal eine schöne Pause zu gönnen und meinem Hulk genug Auslauf zu geben, so dass beiden Seiten meines Naturells genüge getan sei. Fällt immer noch schwer, sich in den richtigen Momenten zu bremsen – dafür gönne ich es mir, an anderer Stelle bewusst und mit Lust die Sau rauszulassen. Ist möglicherweise nicht nur für mich ein Modell. Und man muss ja nicht gleich einen Purge-Day einführen. Obwohl…?

PEGIDA: PErsönlich Getroffene Individuen Dürfen Alles?

Um es gleich vorweg zu nehmen: NEIN dürfen sie nicht. Allerdings darf man als Beobachter und Kommentator auch dann, wenn eine gewisse Nähe verschiedener Personen aus dem Umfeld dieser so genannten Bewegung zu rechtsnationalen Kreisen nur schwer zu leugnen ist, nicht einfach jeden, der da auf der Straße mitläuft als Nazi skandalisieren oder gar kriminalisieren. Denn damit entzieht man sich auf allzu billige Art der Verantwortung, eine eigentlich lange überfällige Diskussion um die Themen Migration und Integration endlich in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Nicht wenige Menschen, die da auf diesen, zugegeben fälschlicherweise auf die so genannten Montagsdemonstrationen Bezug nehmenden „Abendspaziergängen“ mitgehen, stammen nämlich von dort; eben aus der Mitte der Gesellschaft. Und das bei diesen Kundgebungen kaum überhörbare Maß an gefährlichem Un- bzw. Halbwissen, welches hier emotional hoch aufgeladen als Wahrheit verkauft wird, darf nicht einfach unwidersprochen bleiben! Belässt man es dabei, diese Menschen einfach zu diffamieren und alles Gesagte als Nazigeseiere abzutun, wie das von offizieller Stelle mittlerweile mehrfach getan wurde – aber unser Bundesjustizminister hatte sonst ja auch bislang kaum Gelegenheit, sich zu profilieren – dürften sich viele aktuelle Pegida-Anhänger nicht zu Unrecht in ihrer Demokratiemüdigkeit, ihren Ängsten und Vorurteilen bestätigt fühlen. Bravo! Billiger kann man die Wählerstimmen kaum von der Wahlurne weg, oder noch schlimmer, zum rechten Rand treiben!

Interessant ist dabei der Umstand, dass sich unglaublich viele Menschen unterschiedlichster Couleur dazu bemüßigt fühlen, etwas ÜBER PEGIDA und seine Mitläufer zu sagen. Den Diskurs MIT diesen Menschen hat aber, soweit ich das beurteilen kann, noch kaum einer gesucht. Und die typischen Polit-Talkshows, in denen man ja bekanntlich immer jemanden einlädt, um ihn bzw. sie öffentlich vorführen zu können zählen hier auch nicht als ernsthafte Versuche. Dafür nimmt der Zentralrat der Juden in Deutschland den Islam in Schutz, Politiker aller Parteien bezeichnen die Demonstranten einfach mal pauschalierend als Nazis, und die AfD… tja die suchen den Schulterschluss, im pathetischen Versuch, ihre langsam aber sicher – Gott sei Dank – schwindenden Krawallprozente wieder mit einem schön demagogisierbaren Thema aufzufüllen. Soweit im Osten nichts Neues.

Doch PEGIDA und die AfD sind zwei Phänomene unserer Zeit, die eigentlich nicht durch Ignoranz-getränktes Aussitzen gelöst werden können, offenbaren sie doch einen viel tiefer gehenden Bruch in unserer Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen offenbaren, so man sich die Mühe macht, sie zu lesen einen unheiligen Zusammenhang zwischen, als bedrückend empfundener sozialer Ungleichheit und dem Aufflammen nationalistischer Gesinnung. Es handelt sich dabei um einen Prozess sozialer Schließung, der weniger etwas mit tatsächlichen kulturellen oder religiösen Differenzen zu tun hat, sondern mit der Angst vor dem Verlust von pekuniärer und sozialer Sicherheit. Die Zuwanderer werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und beim Erhalt staatlicher Transferleistungen betrachtet und dann auf Grund ihrer andersartigen kulturellen Identität stigmatisiert, obschon die tatsächlichen Unterschiede zwischen „DENEN“ und „UNS“ gar nicht so groß sind, wie man sich das vielleicht gerne einreden möchte. Dennoch lässt sich vieles von dem, was da zum Beispiel in Leipzig skandiert wird, auf diese soziale Verlustangst zurückführen.

Das wahre Problem sind nicht die Populisten, die mit der vordergründigen Angstmache gegenüber dem Fremden auf Stimmenfang gehen. Das Problem ist auch nicht, dass das Boot voll wäre. Wer die Studie von Prof. Dr. Bonin vom ZEW halbwegs aufmerksam gelesen hat – sie wurde von der Bertelsmann-Stiftung beauftragt und in den Medien publiziert – weiß, dass diese Behauptung schlichter Humbug ist. Das Problem ist, dass unsere Politiker die sich in der BRD immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich schönreden, allesamt die, der FDP immer so schön vorgeworfene, Lobby- und Klientelpolitik betreiben und die daraus resultierende Unruhe pauschal als undemokratische Auswüchse bezeichnen; bei PEGIDA sind dann all diese Menschen, die meistenteils einfach Angst vor dem Weg ins soziale Abseits haben dann also plötzlich alle Nazis…

Ich gestehe, dass ich von unserer gegenwärtigen Politikergeneration nicht mehr allzu viel erwarte, aber hier muss dann mal Schluss sein damit, einfach jeden, der nicht der Frau Pastorentochter nach dem Munde redet, wahlweise als Depp, Clown oder Nazi hinzustellen. Sinnvoller wäre es, das Gespräch direkt dort zu suchen. Sich die Sorgen der Menschen anzuhören. Ihnen anschaulich zu erklären, was es tatsächlich mit Zuwanderung und Asyl auf sich hat. Ihnen zu zeigen, dass ihre Angst diesbezüglich unbegründet ist. Aber ernst zu nehmen, dass sie sich existenziell bedroht fühlen und herauszufinden, was dagegen getan werden muss. Das würde allerdings im Umkehrschluss bedeuten, dass man sich von Doktrinen und Dogmen verabschieden und tatsächliche Sozial- und Integrationspolitik betreiben müsste und sich nicht nur das Mäntelchen einer Integrationsbeauftragten mit Migrationshintergrund umzuhängen. Integration in einer pluralistischen Gesellschaft bedeutet nämlich nicht nur Islamkonferenzen und Israelbesuche. Dazu zum Abschluss noch eine Buchempfehlung für jene, die noch nicht Lese- und Denkfaul geworden sind. Das Buch ist zwar schon 17 Jahre alt, aber immer noch hochaktuell:

Von Wilhelm Heitmeyer 1997 herausgegeben: Bundesrepublik Deutschland: Was hält die Gesellschaft zusammen? (Band 2). Erschienen im Suhrkamp-Verlag. Ansonsten eine gute Zeit.

Heute schon das Selbst optimiert?

Ja, ja, ja, ich kann’s nicht mehr hören,

auf alles was sie tun, wollen sie schwören.
Sie hauen richtig rein und schaffen doch nix,
es zählt nur wichtig sein und das am besten fix.
Doch am Ende vom ackern und plagen,
muss man sich dann doch mal ernsthaft fragen:
Von wo kommst du her, wo willst du hin?
Und macht das Ganze denn wirklich einen Sinn?

Ich weiß ja nicht, ob das in diesem Zusammenhang was verloren hat, aber findet die McDonaldisierung eigentlich auch in Burger King Filialen statt? Oh je, jetzt hat er vollkommen den Verstand verloren, oder wie? Mitnichten darf ich antworten, im Gegenteil fühle ich mich so fest im Sattel meines Seins, wie schon lange nicht mehr. Und um den Gedanken gleich zu erklären, der Begriff der McDonaldisierung stammt von dem amerikanischen Sozialwissenschaftler George Ritzer. Vereinfacht gesagt geht es dabei um das Eindringen des Effizienzdiktats in verschiedenste Bereiche unseres Lebens, wobei die Firma McDonals als Sinnbild für eine Unterordnung aller anderen Aspekte eines Sachverhaltes unter das Primat der Effizienz steht; zum einen, weil dort zuerst alle Aspekte der Lebensmittelherstellung und Distribution im Hinblick auf maximalen Ertrag bei minimalem Aufwand durchorganisiert wurden und zum andern, weil man dort auch damit begonnen hat, alle Prozesse so zu organisieren, dass in jedem Franchise eine gleichartiges Erlebnis erwartbar wurde. Will heißen, ein Burger vom Mäkkes schmeckt überall gleich, weil er überall auf die gleiche Art aus den gleichen Inhaltsstoffen hergestellt wird. Die Restaurants sind überall zumindest ähnlich aufgebaut und die Bedienungen agieren überall fast gleich, wenn man gewisse kulturelle Unterschiede beispielsweise zu Asien mal kurz bei Seite lässt. Geht man zu McDonalds, weiß man, was man kriegt…

Nun geht es nicht allein um den Umstand, dass Fastfood – zumindest aus der Sicht der Markeninhaber – effizient und damit profitabel hergestellt werden muss, sondern auch um die gesellschaftlichen Folgen des sich darauf Einlassens durch die Konsumenten. Die Marke, die hier als Namensgeber herhalten musste, steht ja mit ihrem Agieren am Markt nicht allein da, wie meine eingangs, zugegeben nur halb im Scherz gestellte Frage schon illustriert hat. Es geht nicht mal in der Hauptsache um Fastfood, sondern vielmehr um die Frage, was eine derartig an Effizienz orientierte Strukturierung unseres Daseins für Folgen haben kann. Denn was mit dem griffigen Wort McDonaldisierung gemeint ist, bezieht sich ja nicht auf ein Unternehmen, oder auch eine Branche alleine, sondern auf alle Bereiche unseres Lebens. Durch die Illusion von Qualität, welche durch die Gleichförmigkeit des Erlebens der Waren einer bestimmten Marke erzeugt wird, entsteht gleichsam ein Verlangen nach der fiktiven Sicherheit, welche mit diesem Erlebnis einhergeht. Bezogen auf Fastfood bekomme ich immer und immer wieder konsistent und zuverlässig den gleichen Geschmack am Gaumen angeliefert, was mir mit der Zeit vorgaukelt, dass nur DAS der einzig wahre Geschmack eines solchen Produktes sein kann. Doch der Bezug zu anderen Wirtschaftszweigen ist einfach herzustellen; man denke einfach mal an IKEA.

Das zu Grunde liegende Prinzip ist ebenso einfach wie ubiquitär: ich kaufe die Illusion einer bestimmten Qualität, weil es meinen persönlichen Ressourceneinsatz zumindest scheinbar schont und weil viele Andere es genauso machen. Es mag an dieser Stelle verwundern, dass ich tatsächlich so platt mit dem menschlichen Herdentrieb argumentiere, doch ein kurzer Blick durch die eigene Wohnung und die Heimstätten einiger lieber Freunde offenbart, dass ich – im Übrigen nur Mr. Ritzer folgend – wohl doch nicht ganz falsch liege. Das Problem am Konsum vorgefertigter Erlebnisse und Produkte ist, dass ich mich damit zumindest teilweise des authentischen Erlebens meiner Umwelt entziehe, indem ich die auf Konsumanregung ausgelegten Trugbilder der mannigfaltigen Anbieter einer vorgeblich effizienten Lebensgestaltung für wahr annehme. Denn eigentlich kann ich erst dann wissen, ob der Hamburger vom goldenen M tatsächlich DIE Qualität hat, wenn ich mich selbst mal daran versucht habe, welche zu machen. Wenn ich das tue, entziehe ich mich bereits ein Stück weit der selbstauferlegten Sinnesdeprivation, die der Drang nach schneller, weiter, mehr, effizienter in mir hervorruft.

Man könnte nun argumentieren, dass der bloße Konsum von Fastfood, oder der straff durchorganisierte Pauschalurlaub, oder die Schwedenmöbel doch an sich auch schon authentische Erfahrungen sind; allerdings bleibt hierbei anzumerken dass ein auf erwartbar identisches Erleben getrimmtes Produkt alles abseits der Erwartbarkeit abscheidet; um den Konsumenten einerseits mit dem Versprechen der Sicherheit durch Berechenbarkeit und andererseits der Illusion des Ersparens von Kosten und Mühen auf das Wiederkehren einzuschwören. Es geht dabei niemals um den Kunden, sondern immer um den Umsatz. Das einzig wahrhaft authentische an derlei Erlebnissen ist der Schwund im Geldbeutel. Das wahrhaft perfide daran aber ist der subtile Druck des selbst Effizient werden Müssens auf das Individuum, welches durch unsere heutige Welt wandert und all die perfekt gestylten Oberflächen auf sich einstürmen sieht und mit dem Gefühl zurück bleibt, dass alle anderen „es besser drauf haben“ als man selbst. Alle machen alles so schnell und mühelos und, man hat es schon geahnt, effizient! Die Selbstoptimierung als Zwangsverhalten wird als einzig gangbare Lösung aus dem Dilemma der eigenen Unzulänglichkeit offeriert. Strampel dich ab, werde besser, dann wird auch DEIN Leben besser! Dieses sinnlose Mantra wird überall wiederholt, allein schon, weil es sowohl für die Anbieter der schönen Illusionen als auch für die Arbeitgeber einen kostenlosen Mehrwert mit sich bringt: während wir Idioten uns abstrampeln, um immer effizienter zu werden, schöpfen sie den Rahm ab.

Ich pfeife auf den Selbstoptimierungszwang. Wenn ich mir etwas aneigne, ganz gleich ob im Kontext meines Studiums, aus rein privatem Interesse, oder für meinen Job, geht es dabei natürlich auch um die Verbesserung meiner Performance; aber nicht um der Verbesserung Willen, sondern im Interesse derer, an denen ich meine Kenntnisse und Fähigkeiten später einsetze. Und einem dauernd in allem noch effizienter werden müssen setze ich ein klares NEIN entgegen, denn es geht nicht darum, bei allem im Leben mit möglichst wenig Ressourceneinsatz möglichst großen Benefit zu erzielen. Das wäre mir zu sehr Homo Oeconomicus. Es geht darum zu leben; und während man lebt authentische Erfahrung zu sammeln und weiterzugeben. 70% Einsatz reichen dafür, denn wer die ganze Zeit mehr zu geben versucht, brennt erst aus und dann ab. Es gibt Situationen, in denen High Performing notwendig ist, aber ansonsten gilt Galama – ganz langsam machen. Diese Balance zu beherrschen ist wahre Effizienz. Und Schluss!

BeliebICH

Stromgitarren. Ich meine Musik mit Stromgitarren, also am besten zwei davon, dazu ein Strombass, ein Schlagzeug und, falls unbedingt benötigt ein Keyboard; fertig ist ein Ensemble, dass mein Herz zu gewinnen vermag. Ich bin dabei nicht auf eine spezielle Richtung von Stromgitarrenmusik festgelegt – wie ich schon häufiger festgestellt habe, bin ich kein großer Freund von Dogmen – vielmehr gibt es Vertreter unterschiedlichster Stilrichtungen die mich faszinieren. Ich höre auch andere Musik aber zugegebenermaßen ist Stromgitarrenmusik so richtig mein Ding. Immer noch! Und diese Feststellung ist hier wichtig, mich durchzuckte nämlich kürzlich der Gedanke, dass der landläufigen Meinung zufolge der Musikgeschmack ebenso einem Reifungsprozess unterworfen sei, wie alles andere auch. Und dass folglich die Zeit für Stromgitarren vorbei sein müsste, wenn man so richtig erwachsen würde. Was mich ängstigte, weil ich doch meine Stromgitarren so mag und mir eigentlich geschworen hatte, niemals ein Fan von Marianne und Michael zu werden. Ich hab nix gegen die als Menschen, weil ich sie ja gar nicht persönlich kenne, aber dieses schunkelselige Humptata geht mir halt auf den Sack. Und so manches andere auch…

Da ich aber immer noch nicht zum Liebhaber von Volksmusik geworden bin, begann ich mir so zu überlegen, dass das mit dem Musikgeschmack großer Käse ist, denn habe ich ihn einmal entwickelt, ändert er sich wohl nicht mehr so leicht. Zudem kannten wahrscheinlich meine Vorgängergenerationen das mit den Stromgitarren noch nicht so gut und taten es als kindischen Quatsch ab, weil es ihren, unter anderen Einflüssen sozialisierten, Wahrnehmungsschemata zuwider lief. Aber jetzt gibt es Menschen meines Alters und auch so manchen deutlich darüber, der trotz sonstiger Reife (Kennzeichen hierfür sind eine feste Partnerschaft, Kinder, eine feste Bleibe, Schulden und eine gewisse Abgeklärtheit im Umgang mit dem Leben und seinen Stromschnellen an sich) immer noch Stromgitarren mag; was mir erhebliche Hoffnung bereitet, so im Bezug auf Marianne und Michael!

Aus einem anderen Blickwinkel könnte man aber auch sagen, dass die Zahl der Optionen dessen, was wir als unseren persönlichen Stil und unsere Vorlieben definieren zum einen zugenommen hat; die Verfügbarkeit unterschiedlichster Medienangebote und die damit zunehmende Informiertheit nicht nur im sozialen und politischen, sondern eben auch im kulturellen Sinne hat uns ein Vielfaches dessen an Wahlmöglichkeiten beschert, was zwei oder drei Generationen vor mir möglich war. Zum anderen hat sich der Umgang mit Individualität an sich verändert. Früher war es durchaus üblich dass kulturelle Vorlieben und Praktiken tradiert wurden, also von einer Generation auf die nächste übergingen. Die soziale Gruppe, der man zugehörig war, hatte in diesen Belangen Vorrang vor dem Individuum. Heute indes genießt das Individuum Vorrang und lebt diese hinzugewonnene Freiheit auch aus. Was sich eben unter anderem im Musikgeschmack äußert. Überdies spielt seit den späten 60ern die persönliche Distinktion durch differierende Kulturpräferenzen auch bei der Ablösung vom Elternhaus eine weitaus größere Rolle, als dies früher der Fall war. Und der – natürlich je nach Peergroup sehr unterschiedliche – Musikgeschmack wurde hierbei zu einem wichtigen Merkmal so gut wie aller Jugendkulturen.

Was die Zugehörigkeit zu Jugendkulturen angeht, so bin ich mir nicht sicher, wann und auf welche Art heutzutage tatsächlich noch ein für jeden abschließender Übergang ins Erwachsenenleben stattfindet. Der Eintritt ins Erwerbsleben könnte einen solchen Rite de Passage darstellen, doch tatsächlich ist das Ablegen des für Jugendkulturen je typischen Habitus anscheinend auch dabei nicht obligat. Ich selbst grüble immer wieder über die Frage, ob ich mich eigentlich erwachsen fühle, und was das hinsichtlich meines Verhaltens bedeuten müsste. Ich meine, ich übernehme Verantwortung; für meine Familie, meine Arbeit, etc. Falls das genügt, dann bin ich erwachsen; ich fühle mich allerdings nicht so… alt.

Man könnte nun unterstellen, dass das Zeitalter der Beliebigkeit es hat unnötig werden lassen, so richtig in allen Belangen erwachsen zu werden. Aber das greift mir zu kurz, denn einerseits sind unsere Leben nicht so beliebig, wie mancher Soziologe das gerne behauptet; unser familiäres Umfeld ist immer noch eine wichtige Sozialisationsinstanz. Allerdings hat sich der Umgang mit Peergroups verändert. Heute ist die Durchmischung gesellschaftlicher Schichten in der Jugend größer als früher, sind grundlegende kulturelle Präferenzen und Praktiken näher beisammen und Freundeskreise im späteren Leben rekrutieren sich aus einem breiteren gesellschaftlichen Querschnitt, anstatt hauptsächlich aus der eigenen Herkunftsschicht (aus wissenschaftlicher Sicht verkürze ich hier unzulässig, aber das hier ist MEIN Blog, gelle!). Überdies haben sich die Lebenserwartung und die Chancen, sich optisch seine Jugendlichkeit zu bewahren deutlich vergrößert. Womit es nicht wundert, wenn man sich mit 40 eigentlich noch nicht erwachsen fühlt, obschon man doch mit beiden Beinen fest im Leben steht.

Ich mag das Mehr an Optionen, denn so darf ich auch mit 40 noch Stromgitarren mögen. Ein Hinweis auf Beliebigkeit im soziologischen Sinne ist das aber aus meiner Sicht nicht, denn zum einen habe ich sehr wohl ein gefestigtes Set weltanschaulicher Ideen, Normen und Werte; und zum andern muss Beliebigkeit nicht unbedingt mit einer negativen Konnotation einhergehen. Viellicht bedeutet es auch eine größere Wahlfreiheit. Und eine Wahl zu haben ist eines der entscheidenden Kennzeichen von Demokratie, oder? Also bleibe ich BeliebICH… und gehe jetzt ganz dringend was mit Stromgitarren hören.

Jetzt essen sie Äpfel…

Ja solche Bundesparteitage sind tolle Demonstrationen, dass die Demokratie in unserem Staate noch intakt ist, dass ihre Institutionen noch funktionieren; aber auch dafür, dass ihre Funktionäre noch demokratisch sind? Mit nicht allzu plakativer Wollust wird da auf dem Podium in den sauren Apfel gebissen, der Partei eine neue Agenda, ein neues Ziel, eine Chance zur Auferstehung geben zu müssen und man nutzt als Aufhänger dafür – tada, ein kleiner Tusch muss jetzt schon sein – die gute, ökologisch einwandfreie, gesunde Ernährung als Killerthema für die kommenden Wahlk(r)ämpfe. Ja wirklich, was vollkommen Neues, Unverbrauchtes musste her. Ähm… war da nicht erst kürzlich was mit einem obligaten Veggie-day?

Ich meine, man muss Frau Merkel schon Respekt zollen: die Sozen hat sie mehr oder weniger kampflos aus deren angestammtem Kernkompetenzraum der Sozialpolitik vertrieben, die Grünen des Atomausstieges und des Umweltschutzes beraubt, die CDU zumindest nach außen hin so liberalisiert, dass die FDP sang- und klanglos untergehen musste und das Einzige, was den Grünen als Antwort, als Schärfung des Profils gegenüber der ubiquitär merkelisierten Union einfällt, ist der saure Apfel? Ein schönes Sinnbild, wie ich finde, für den gegenwärtigen Zustand unserer Demokratie. Wir werden von der Frau Pastorentochter allabendlich in den Schlaf gealternativlost und alle schauen Kernobst essend dabei zu, wie diese machtgeilheitsgesteuerte Antithese zu Charisma noch den letzten Rest Mündigkeit hinrichtet, im Namen der Gleichschaltung nach ihrem Bilde der Welt.

Ernsthaft, wo sind alternative Ideen zum nachhaltigen Wirtschaften? Glaubt jetzt wirklich jeder, dass die Art und Weise wie Herr Gabriel bei irgendwelchen Gipfeln Aktivisten abbügelt der Weisheit letzter Schluss in Sachen Energiewende ist? Wo ist der große Wurf zum Thema Bürgerrechte im digitalen Zeitalter? Welche Formen demokratischen Handelns auch für den einzelnen Bürger lassen sich im Netz realisieren, was bedeutet Netzneutralität konkret? Wie lässt sich individuelle Mobilität neu gestalten? Was könnte etwa für alternative Antriebsquellen an Fördermitteln bereitgestellt werden, damit Deutschland auch weiterhin ein Spitzenstandort in Industrie und Forschung bleiben kann?

Nur mit klaren Szenarien davon, wie unsere Zukunft unter Annahme verschiedener Entwicklungspfade aussehen könnte und was wir tun können, um auf diese Einfluss zu nehmen, werden wir fähig sein, Ideen zu entwickeln und Antworten auf drängende Fragen zu finden, die unser Leben in den nächsten Jahrzehnten nachdrücklich beeinflussen werden. Mit Sicherheit ist auch die Frage nach einer Ressourcenschonenderen, gesünderen Ernährung eine wichtige Komponente nachhaltiger Zukunftsentwicklung – aber eben nur eine von vielen. Und wenn die Grünen als Partei nicht genau so abserviert werden wollen, wie etwa die Piraten, dann sollten sie sich auf ihre Werte als Stimme für eine ökologische und gleichsam humane Entwicklung unserer Gesellschaft besinnen.

Drängende Fragen gibt es genug, man hat anscheinend nur noch nicht den Modus Operandi gefunden, diese verständlich aufzubereiten und gleichzeitig sinnvolle Lösungen anzubieten. Dafür ist man ja aber auch viel zu sehr mit internen Machtspielchen, der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und dem Ringen um eine gemeinsame Linie beschäftigt. Und so lange man sich eben nicht mal darüber einig ist, wohin der Zug denn nun fahren soll, dürfen diese Menschen eigentlich auch in keinem Führerstand mehr sitzen! Äpfel dürfen sie ja meinetwegen weiterhin kauen…

Leitkultur

Ein einziges Wort und so viel Stress. Wann immer ich in irgendwelchen sozialen Medien den Furor wahrnehme, welcher sich regelmäßig im Hinblick auf das Bekanntwerden der Information entlädt, dass irgendwo irgendwas mit Rücksicht auf die Mitglieder hierorts vertretener fremder Kulturkreise unterlassen, zurückgenommen oder verändert wurde, keimt in mir folgende Frage auf: würde es mir etwas ausmachen? Natürlich ist meine Meinung für niemanden außer mir selbst verbindlich und ebenso natürlich werde ich einen Teufel tun, irgendjemandem sein Recht auf’s zutiefst beleidigt sein abzusprechen. Aber für die folgenden Betrachtungen ist nun mal zunächst meine eigene Denke maßgeblich.

Ganz klar, die geringste kulturelle Schnittmenge hierzulande ergibt sich mit den Muslimen, na logo… oder? Tja also ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll, aber wenn ich mir mit Blick auf meine Reisen quer durch die bunte Republik so meine hiesigen Mitbürger und ihre Mentalitäten ansehe, dann muss ich sagen, dass ich einen eher größeren Unterschied zwischen mir und einem Bayer, einem Westfalen, einem Berliner oder Friesländer ausmache, als zu meinem – zugegeben ziemlich säkular orientierten – türkischstämmigen Feinkosthändler um die Ecke. Abseits dieser Anmerkung ist aber schnell ausgemacht, dass sich hinter dem oben genannten Furor häufig eine diffuse Mischung aus Überfremdungsangst, verletztem Nationalstolz und schlichter Unkenntnis um die tatsächlichen Umstände einer solchen Rücksichtnahme verbirgt. Im Großen und Ganzen also die übliche, kleinbürgerlich-xenophobe Melange aus Stammtischparolen und existenzieller Angst „vor denen“.

Natürlich ist es ein willkommener Aufreger, wenn ein Linken-Politiker in Nordrhein-Westfalen das Sankt-Martins-Fest in Kindergärten mit Rücksicht auf die Muslimen umbenennen lassen will. „Das ist unsere christliche Kultur!“. Möchte gerne mal wissen, was Nationalismus und Christentum eigentlich miteinander zu tun haben, wenn man mal vom gelegentlich weltfremd-gestrigen Denken absieht. Jedenfalls zeigt sich hier eindrucksvoll, dass die Jahrzehnte der schwarzen „Das-Boot-ist-voll“-Propaganda ihre Erosionsspuren in den Gehirnen vieler hinterlassen haben. An dieser Stelle ein besonderer Dank an Roland Koch für seine unvergessen unnötigen Beiträge in dieser Angelegenheit. Dass natürlich ausgerechnet ein Linker in dieses Wespennest sticht, kann man jetzt als taktisch ausgesprochen ungeschickt betrachten, oder aber lauthals als Indikator für die Demokratie zersetzenden Kräfte der „EX-SED“ und ihrer linksintellektuellen Gesinnungsbrüder landauf landab nutzen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie so oft, irgendwo dazwischen, auch wenn ich mal zu behaupten wage, dass die wenigsten Die Linke-Funktionäre in Nordrhein-Westfalen eine solche Parteivergangenheit haben. Aber solche Feinheiten werden von politischen Gegnern üblicherweise ja gerne als Dippelschisserei abgetan.

Den parteitaktischen Erwägungen zum Trotz geht es hier aber um etwas ganz anderes: nämlich die Frage, was Integration eigentlich bedeutet? Oder vielmehr, was sie bedeuten müsste? Über Jahre hinweg hat man sich darauf beschränkt, die damals so genannten Gastarbeiter zu importieren und dann sich selbst zu überlassen. Die daraus natürlich erwachsende Folge war eine sozialräumliche Segregation, in normalem Deutsch auch als Ghettobildung bekannt. Nein, wir haben doch keine Ghettos in der BRD! Ja sicher, wir haben auch keine viel zu große Spreizung zwischen Arm und Reich, keine marode Infrastruktur, keine Krebskranken und keine Salafisten.

Diese Menschen kamen in eine Fremde, die für den typischen Deutschen – den es natürlich nicht gibt – vergleichbar wäre mit einem Rucksacktrip durch Nepal. Dass sich gleich und gleich gerne gesellte, dass man, um sich hier besser zu fühlen, mehr oder minder homogene Einheiten bildete, erschien und erscheint immer noch logisch. Man war ja nur auf Zeit da, um Kohle zu scheffeln und dann wieder nach Hause zu gehen; aber wenigstens ein kleines Stück von der Heimat wollte man auch hier in der Fremde nicht missen müssen. Die Jahre zogen so dahin, es ließ sich ja hier auch ganz gut leben, dann kamen Kinder… der Rest der Geschichte schrieb sich von selbst und 50 Jahre später stehen wir augenreibend da und können uns nicht erklären, wieso sich da mitten im Herzen unserer Welt ganze Parallelgesellschaften bilden konnten. Nun die Antwort darauf ist einfach: weil wir sie nur zum Schuften dahaben wollten aber nie darüber nachgedacht haben, sie auch an unserer Gesellschaft teilhaben lassen zu dürfen.

So ganz platt gesagt ist das aus heutiger Sicht wahrscheinlich nicht das Klügste gewesen, aber damals kam keiner auf die Idee und sagte: „Hey, die leben hier, die arbeiten hier, die zahlen hier Steuern, die sind Teil unseres Landes!“. Stattdessen betrachten nicht wenige unsere Mitbürger mit ausländischen Wurzeln als Fremdkörper. Ganz so wie ein Bayer einen Preußen als Fremdkörper betrachtet… Integration bedeutet letztlich nichts anderes als teilhaben zu dürfen, sich nicht verstellen zu müssen, respektiert zu werden. Nicht das mich jetzt jemand falsch versteht: das gilt für beide Seiten! Teilhabe, Wahrung der Identität und Respekt für das Gegenüber; das sind die Bausteine, aus denen ein neues Deutschland für uns alle erwachsen könnte!

Womit wir wieder bei der Leitkultur wären. Für mich ist eine Leitkultur eine Leitplanke für alle verschiedenen Kulturen unter dem Dach unseres Hauses Deutschland. Auch ich bin nicht glücklich damit, wenn jemand Sankt Martin in „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ umbenennen möchte. Weil ich in der hierorts fest verwurzelten, christlich-abendländischen Kultur erzogen wurde. Aber nicht, weil ich Angst davor habe, von Muslimen überrannt zu werden, sondern weil ich die Hoffnung hege, dass miteinander solche Feste zu begehen Verständnis und damit hoffentlich auch Toleranz im Herzen der Menschen mit anderer Kultur zu sähen vermag. Wozu allerdings im Gegenschluss auch gehören würde, die Gebräuche des Anderen einfach mal auszuprobieren, um ihren Sinn zu verstehen. Denn erst wenn man begreift, warum Andere die Dinge manchmal anders tun, kann man sie auch in ihrem Anderssein akzeptieren. So gedacht hätte Leitkultur für mich einen Sinn.

Der Tod ist nicht leicht…

Wer ein selbstbestimmtes Leben führt, der soll auch einen selbstbestimmten Tod haben dürfen? Ist es wirklich so einfach? Wenn wir in unsere Historie schauen, entdecken wir im Zusammenhang mit der illegitimen Tötung von Menschen, welche von den Nazis als „lebensunwertes Leben“ bezeichnet wurden das Wort Euthanasie. Übersetzt aus dem Griechischen bedeutet es „leichter Tod“. Doch wie kann der Tod, der Weg über die einzige finale Grenze, die der Mensch vermutlich – hoffentlich! – nie wird überwinden können denn leicht sein? Oder allein die Entscheidung darüber, das Leben zu verkürzen, also diese Grenze früher zu überschreiten, als von der Natur vorgesehen? Selbst unter dramatischen Umständen eine schwierige und überdies sehr individuell zu beantwortende Frage.

Da vermischen sich in einer Debatte des Bundestages zum Thema philosophische, ethische und moralische Gedanken mit der Jurisprudenz und am Ende gehen doch alle mehr oder weniger mit ihrer Meinung wieder nach Hause. Ganz so, als wenn es einem anderen Menschen gegeben ist, darüber entscheiden zu dürfen, was mit mir irgendwann, wenn die Umstände möglicherweise radikaler werden als alles, was ich bislang erlebt habe, dann werden darf und was nicht! Da wird behauptet, dass man einen Markt des Todes erzeugen würde, was auf keinen Fall geschehen dürfe. Nur dass wir einen solchen Markt schon lange haben. Unsere moderne Medizin kann das Leben verlängern, hilfreich für Patienten und Angehörige Segens- und Lebensqualität spendend wertvolle Zeit schenken. Aber ebenso auf eine Art und Weise, die ohne Gnade Würde und Sinn des Menschseins vernichtet, Leiden verlängern. Tag für Tag entstehen nicht wegdiskutierbare Fakten, die alle Beteiligten an den Rand des Denkbaren und manchmal auch darüber hinaus führen.

Unsere Gesellschaft ist so beschaffen, dass wir den Tod als Unausweichlichkeit verdrängen, soweit es nur geht. Immerzu rennen wir einem vollkommen fiktiven Ideal von Vitalität und Virilität hinterher, dass uns von der Werbung, den Medien, unseren Mitmenschen, ja uns selbst suggeriert wird. Das mittels perfekter Illusionen verspricht, uns keine Gedanken über das Morgen machen zu müssen oder zu sollen, weil das hier und jetzt ja so stark, so geil, so voll Entertainment und Erlebnis ist… bis dann irgendwann die normative Kraft des Faktischen uns eines Besseren belehrt. Das Leben an sich ist ein Kreislauf, gewiss. Es entsteht immer wieder von neuem. Doch alles was einen Anfang hat, muss auch ein Ende haben. Ein Gedanke, der uns jedoch nur wenig Trost spendet, wenn wir doch noch so viel vorhaben (müssen)!

Mündigkeit in jedem Sinne ist eine schwierige Angelegenheit, denn es erfordert eine große Menge an Informationen, sowie das zugehörige Verständnis, diese auch in Zusammenhänge einordnen zu können, um zu unabhängigen Entscheidungen und somit zu einem wahrhaft selbstbestimmten Leben kommen zu können. Was für grundsätzliche Fragen des Lebens gilt, verliert im Angesicht des Todes kaum seinem Gehalt; sich bewusst dafür entscheiden zu müssen, aus dem Leben zu scheiden, bedarf der Kenntnis möglichst vieler Fakten – alles kann niemand wissen – und eines Überblicks über die verbleibenden Optionen. Das kann zugegebenermaßen den einen oder anderen überfordern, aber der übereifrige Paternalismus, welchen unser Staat in dieser Frage an den Tag zu legen im Begriffe ist, verärgert mich zutiefst. Menschen sind auch ohne medizinisches Fachwissen und einen überragenden Intellekt sehr wohl in der Lage, ihre Situation einzuschätzen, wenn man ihnen die Fakten korrekt und verständlich erklärt. Dazu ist es aber zum einen notwendig, dass so mancher Mediziner von seinem hohen Ross herunter kommt und anfängt deutsch zu reden, anstatt alles in schlau zu verklausulieren. Und zum andern, dass unser Staat endlich anfängt, die Mündigkeit und Souveränität seiner Bürger, soweit sie überhaupt noch existiert wieder anzuerkennen, bzw. sogar zu fördern. Dazu gehört eben auch, dass man selbst darüber entscheiden können sollte, wann man auf würdige Art das Hier und Jetzt verlassen will, wenn alles Sinnvolle versucht ist, einfach keine Hoffnung mehr bietet. Und dass man dafür gegebenenfalls auch Hilfe in Anspruch nehmen können sollte.

Würde. Auch so ein Begriff, der in dieser Diskussion von manchem überstrapaziert wird. Wie würdig ist es denn, die Umsetzung einer bewusst getroffenen Entscheidung zu blockieren, indem man Strafandrohungen an Jene ausspricht, die zur Hilfe bereit wären. Zweifelsfrei ist in der palliativen Versorgung noch mehr zu erreichen, weil diese ebenfalls eine große Hilfe darstellt, sich seine (viel berufene) Würde auf dem letzten Stück des Weges zu bewahren. Aber es darf nicht die einzige Hilfe bleiben, die wir Menschen in der schwierigsten Lage ihres Lebens zukommen lassen wollen. Ich glaube, dass man Menschen nicht zum Hierbleiben verdammen sollte, indem man es verbietet, beim Beschreiten – zugegeben unnatürlicher – Wege aus Leid und Elend zu helfen, Barrieren errichtet die also von potentieller Hilfe abschrecken. Weil ich denke, dass sich diese Entscheidung niemand leicht macht; immerhin hängt in aller Regel mehr als nur ein persönliches Schicksal an solch einer Frage. Was zu einem weiteren Aspekt führt: Wie ist es um das Loslassen können bestellt? Wer bespricht die zu beachtenden Aspekte mit den Angehörigen, sollte ihnen ein Mitspracherecht eingeräumt werden und wenn ja, unter welchen Umständen?

Mir ist bewusst, dass die Beachtung all dieser Fragen nach Einzelfallentscheidungen verlangt. Aber wenn es sich der einzelne Betroffene gewiss nicht leicht macht, diese Entscheidung zu treffen, sollten wir es uns – egal ob in der Position des Healthcare Professional oder als Angehöriger – auch nicht leicht machen und diese Entscheidung schlicht ablehnen, weil wir sie nicht verstehen wollen, sondern sie in aller Konsequenz akzeptieren und gegebenenfalls die Hilfestellung geben, zu der wir fähig sind, ohne Angst haben zu müssen, hernach juristisch verfolgt zu werden. Denn eine solche Angelegenheit ist auch so schon schwer genug…