Die dumme Plebs…

Schon früh im 20. Jahrhundert stellte Walter Lipmann, einer der profiliertesten Publizisten seiner Zeit in seinem wichtigsten Buch „Public Opinion“ fest, dass man öffentliche Meinung „herstellen“ kann. Er empfand dies als legitimes Mittel, um die weitestgehend unwissende Masse lenken zu können und so die Entscheidungsmacht über die wichtigen gesellschaftlichen Fragen in die Hände der „Richtigen“ zu legen. Er sah diese Aufgabe den gesellschaftlichen Eliten zukommen, da nur sie fähig wären, genug zu wissen und diese Kenntnisse auch korrekt beurteilen zu können, um zu den richtigen Entscheidungen kommen zu können. Wie in den sozialwissenschaftlichen Büchen jener Zeit üblich, kommt der Autor also zu verschiedenen normativen Aussagen; davon abgesehen, dass sich seine Ausführungen auch heute noch erhellend lesen, bleibt festzustellen, dass zum einen manches aus der Zeit gefallen wirkt (was allerdings auch den fast 100 Jahren seit der Entstehung geschuldet ist) und zum anderen die Konklusionen bezüglich der legitimen Manipulierbarkeit der Massen so nicht stehen bleiben dürfen…

Festzustellen wäre zunächst, dass die Möglichkeiten, informiert zu sein sich seit damals erheblich pluralisiert und demokratisiert haben. Es ist heute fast jedem Menschen zuzumuten, sich über dies oder jenes umfassend zu informieren, denn seriöse, weitgehend frei zugängliche Quellen gibt es genug. Auch den Weg dorthin zu finden ist eigentlich gar nicht schwer, doch selbstverständlich bleibt eine Barriere, die es auch schon damals gab nach wie vor bestehen: die Urteilsfähigkeit, oder besser ein Mangel daran. Urteilsfähigkeit setzt nämlich neben Informationen auch die Fähigkeit zur Bewertung derselben durch das Inbezugsetzen zu anderen Kenntnissen voraus. Wissen zu vernetzen, aus Inseln ein Netzwerk unterschiedlichster Kenntnisse und Fähigkeiten auszubilden bedarf einer vielseitigen, nicht allzu fachstrukturierten, nicht zu beliebigen und nicht vollkommen an Verwertbarkeitsinteressen orientierten Bildung. Ja, Bildung ist der Schlüssel zum Verstehen gesellschaftlicher Zusammenhänge und der Probleme, die aus ihnen oder in ihnen entstehen können; und damit auch zu ihrer Lösung, denn gemeinsames Verstehen erlaubt überhaupt erst eine sinnvolle Konsensbildung. Man erinnere sich: Politik bedeutet Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen. Kein Verstehen, kein Kompromiss und irgendjemand macht wieder den Weselsky. Der hat auch nichts verstanden.

Ein zweites großes Problem liegt tatsächlich auch in der Pluralisierung nicht nur der Kanäle, sondern auch der Nutzer. Denn das unendlich multiplizierte Rauschen unqualifizierter Scheißewerfer, die alles mit unfundierten Biertischparolen zuspammen macht auch die Wirkung erstklassiger Artikel vollkommen zunichte, weil man sich lieber über die Verlautbarungen der anderen Bürger amüsiert/ärgert, anstatt übe das Thema selbst nachzudenken. Insofern wundert es wenig, dass die Meinungsproduktion nach althergebrachten Mustern immer noch bestens funktioniert. Und so brennen unsere Volksvertreter eine Nebelkerze nach der anderen ab, liefern sich Scheingefechte, debattieren öffentlich über Themen, die zwar die Volkesseele kochen lassen, im politischen Nettowert aber eher unter ferner liefen rangieren und schieben wichtige Entscheidungen außerhalb des Sichtfeldes durch. Nur wer sich die Mühe macht, Bundesdrucksachen aufmerksam zu lesen, findet die wahren Aufreger. Aber das macht ja Arbeit, nicht wahr?

Also gibt sich die dumme Plebs Mühe, die in sie gesetzten Erwartungen, sich ohne Fragen und Einwände durchregieren zu lassen auch zu erfüllen. Da grinst die Bundesmutti. Ihre Züge nebst der Bundesraute entgleisen bestenfalls, wenn Gegenwind aufkommt. Dann wird sie mürrisch und redet von Alternativlosigkeit und anderem Unfug, schlicht weil es keine andere Meinung neben ihrer geben darf. „Bürgerdialog“? Was für eine sinnlose Geldverschwendung, die doch nur wieder davon ablenken soll, wie wenig unser Mitreden als Bürger geduldet ist. NSA-Affäre? Haben wir alles im Griff, sind wie stets auf Kuschelkurs mit den Amis. Überteuerte Rüstungsprojekte? Da hat doch keiner Schuld… Autobahnmaut? Ach was, die EU ist ja nur gut, wenn sie unsere Gesetze respektiert. Rente mit 63? Ist doch super, was regt ihr euch darüber auf, dass man das Geld für anderes sinnvoller einsetzen könnte. Fiskalpolitik bzw. Sparkurs auf Schäuble äh Teufel komm raus? Tja, mir müsset halt spare gell, weil’s halt bisher immer so teuer war, Stimmen zu kaufen. Ach sterbt doch endlich, ihr ewiggestrigen Wirtschaftsdiener!

Super, jetzt habe ich mich wieder in Rage geschrieben. Und wofür? Es denkt doch eh keiner von euch über das nach, was er liest, oder? ODER? Einen Scheißtag noch…

Russland, Russland über alles…?

Ich bin mir durchaus bewusst, dass manche Provokation nach hinten losgehen kann, aber wenn man sich das öffentliche Gebaren von Wladimir Wladimirowitsch Putin so anschaut, sind bei der Inszenierung als starker Mann, Heilsbringer und Sieger über alle Krisen doch deutliche Parallelen zu anderen Personenkulten des 20. Jahrhunderts zu sehen, die allesamt lupenreine Diktaturen waren. Putin auf dem Pferd (mit blankem Oberkörper und Flinte!), auf dem Motorrad, auf allen Kanälen, zu allen Fragen und zu allen Zeiten. Gibt es in Russland sonst keine halbwegs brauchbaren Politiker, oder ist der Mann doch das was er mir zu sein scheint: ein größenwahnsinniger, narzisstischer Kontollfreak? Falls das wirklich so ist, Gnade uns Gott, denn der Pfosten hat Atomwaffen…

Ich habe nichts gegen Russland, oder seine Bewohner. Man sollte sich stets vor Augen führen, dass dieses Land vom Zarenregime (der zu seiner Zeit rückständigsten Großmacht Europas) direkt in den Terror der Sowjetzeit übergeleitet wurden, dessen politische Kultur von mal mehr, mal weniger durchgeknallten Autokraten und Apparatschiks geprägt wurde. Um dann im Anschluss mit Glasnost ungewollt planlos in einen Prozess der „Demokratisierung“ zu taumeln, den keiner lenkte, den auch keiner so recht zu wollen schien und der die alten, vorgeblich kommunistischen Autokraten lediglich durch wiederum lupenrein kapitalistische Autokraten ersetzte. Die einfachen Menschen jedoch hatten überhaupt keine Zeit, sich an die Idee einer Zivilgesellschaft zu gewöhnen, in der man als Bürger seine Sorgen und Ansprüche zumindest artikulieren, manchmal sogar teilweise durchsetzen kann. In der die Justiz weder politisch beeinflusst noch käuflich ist. In der es legitim ist, gegen die Umstände öffentlich aufzustehen, wenn Anlass dazu besteht.

Doch die Russen sind im Bezug auf den Umgang mit diesen, auch ihnen theoretisch zustehenden Rechten ungefähr so weit, wie die Deutschen dies zu Zeiten der Weimarer Republik waren; gefangen in einem Dazwischen. Und zwar zwischen dem Wunsch, dass jemand sie führen und ihnen mit klaren Ansagen den „richtigen“ Weg in die Zukunft zeigen möge auf der einen Seite und dem aufkeimenden Gefühl, dass es so, wie es gerade läuft nicht weitergehen kann auf der anderen. Zwischen einem Mangel an Erfahrung im Umgang mit demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahren und den damit einher gehenden Wahlmöglichkeiten einerseits und dem Gefühl, dass die da oben es schon richten werden und man ihnen folgen muss andererseits. Viele ahnen bereits, dass es auch anders geht. Aber eine vitale, Demokratietreue Zivilgesellschaft entsteht nicht durch Duck von außen, sondern nur durch einen langwierigen, von Rückschlägen gekennzeichneten, nicht selten schmerzhaften kollektiven Lernprozess, der zudem nie vollkommen abgeschlossen ist. So wie die Welt unterginge, wenn der Dom zu Köln jemals fertig würde, so ist auch eine Demokratie niemals fertig. Politik ist ihrem Wesen nach das Bemühen um gesellschaftlichem Ausgleich und so wie eine Gesellschaft und ihre Kultur nicht statisch sind, darf auch Politik dies nicht sein. Aber genau das müssen die Russen anscheinend noch lernen.

Auch Putin selbst ist nicht das Problem, er ist vielmehr ein Symptom. Das Bild, welches er von sich selbst geschaffen hat, holt ihn nun wieder ein, er gerät in Zugzwang, die Dinge im Fluss zu halten und dabei unangreifbar zu wirken, denn die Lawine der innenpolitischen Probleme – Wirtschaftskrise mit sinkenden Einkommen, Korruption, eine aus unternehmerischer Sicht unzuverlässige Justiz, politische Morde, eine überall marode Infrastruktur – würde ihn überrollen, wenn sich die Aufmerksamkeit des Volkes tatsächlich diesen Dingen widmen würde. Doch im Moment lassen sie sich mit nationalistisch-militaristischen Tönen, die man aus der Sowjetzeit ja zur Genüge kennt noch gut bei der Stange halten. Aber was wird er tun, wenn Säbelasseln alleine seine Machtlosigkeit gegen die oligarchischen Dämonen, die er selbst gerufen hat nicht mehr zu überdecken vermag? Glauben die NSA-Analysten tatsächlich noch daran, dass all sein Handeln rationalem Kalkül entspringt, oder wollen sie nur nicht wahr haben, dass der Mann langsam aber sicher von dem Bild getrieben wird, welches er selbst von sich gezeichnet hat?

Vor diese Kulisse ist auch Putins öffentlich demonstrierte Nähe zu einer ultranationalistischen Moped-Bruderschaft zu verstehen. Er bedient sich ihrer, um glaubhaft seine Vaterlandsverbundenheit zu zeigen; und ganz nebenbei hat er so auch Zugriff auf ein paar Hände, die für ihn Drecksarbeit erledigen. Zumindest ist so was denkbar, wenn vermutlich auch schwer zu beweisen. Diese Verbundenheit von Seiten des russischen Führers erklärt aber auch, warum russische Behörden so verschnupft auf die Visa-Annullierung für verschiedene Nazi-Biker reagiert haben. Ich finde das richtig so, denn an Putins Politik ist gegenwärtig NICHTS, was zu glorifizieren diese „Herren“ das Recht hätten. Und schon gar nicht hier in Deutschland. Unsere Vergangenheit mag stets ihre Schatten werfen, aber unser Staat hat sich seitdem erheblich weiterentwickelt; und ich bete, dass die Russen nicht noch mal einen Krieg brauchen, um endlich auch zur Demokratie finden zu können…

Chancengleichheit 3.0 – Egobonzen vs. Umverteiler

Ich weiß, dass man speziell, wenn man sich mit Pädagogik beruflich beschäftigt mehr oder weniger implizit dazu angehalten ist, zu denken, dass alle Menschenkinder zunächst einmal gleich veranlagt sind, ausgestattet mit gleichen Entwicklungschancen, gleichen mentalen Ressourcen, den gleichen Anrechten auf eine vernünftige Bildung. Kurz gesagt liegt dem ein positives Menschenbild zu Grunde, welches uns dazu anhalten soll, jedem die bestmögliche Umgebung zu bieten, auf dass er sein volles Potential entfalten möge. (Für alle Genderism-affinen Menschen: Mir ist wurscht, ob hier Sprache als soziales Konstrukt männlicher Dominanz betrachtet wird, oder nicht: Mädels und Jungs sind bei den folgenden Betrachtungen in jeder Hinsicht gleichwertig) Finde ich wirklich gut, ich stehe total auf Chancengleichheit und glaube an das Prinzip der Solidargemeinschaft. Nur ist schulische Chancengleichheit im Angesicht sozialer Ungleichheit auf den Straßen und in den Häusern unseres Landes eine schlichte Illusion! Und das hat – pardon, aber die Wahrheit tut nun mal weh – nicht nur mit schlechter Pädagogik in der Schule zu tun, sondern auch, nein vor allem, mit schlechter Erziehung zu Hause!

Man weiß um die negativen Effekte, welche eine Herkunft aus niedrigen sozialen Milieus für die Kinder hat. Vollkommen gleichgültig, welche der vielen soziologischen Theorien zu diesem Themenkomplex man auch bemühen will, eines bleibt bei den meisten als empirisch feststellbare Aussage erhalten: die soziale Herkunft ist zu einem nicht unerheblichen Teil mitbestimmend für den beruflichen und sozialen Erfolg im späteren Leben. „On a cold and grey …….. morning, another baby child is born in the ghetto…“ Meines Erachtens Elvis‘ bester Song. An Stelle der Punkte darf man den Problemstadtteil der eigenen Heimat einsetzen, die Grundaussage stimmt, wenn auch in unterschiedlichem Maße, überall.

Doch das eben vermutlich häufiger beobachtbare Kopfnicken vor den Bildschirmen beruht leider auf einem Denkfehler: nämlich dass die armen Kinder ja nix für ihre Eltern können. Tja… und was konnten die für ihre Eltern und jene für deren Eltern? Soziale Ungleichheit und alles was an Negativa daraus immer wieder für die Kids erwächst, ist nicht letzte Woche entstanden, oder in den 80ern, als die Musik krass und die Mode grottig waren; sondern sie präserviert sich von Generation zu Generation, seit es viel Habende und wenig Habende gibt. Und das ist schon sehr viel länger der Fall, als es unsere Nation in aktueller Form gibt.

Man mag Marx aus wissenschaftlicher Sicht eine Menge methodischer Fehler vorwerfen können, aber seine Diagnose, dass das Sein das Bewusstsein bestimme ist zumindest dem Grundsatz nach nicht falsch. Dies soll keine Entschuldigung sein, für all die lebensuntüchtigen „Dschennifers“ und „Dschoäls“, die all überall, in Ermangelung vernünftiger Vorbilder zu Prekariatsverfestigern (v)erzogen werden. Was da zu Hause schief läuft, KANN Schule, oder auch Berufsschule unmöglich wieder richten. Das ist aber keine valide Ausrede, dem Problem nicht schon viel früher zu begegnen. Unser Bildungswesen koppelt teilweise ganze Stadtteile von vernünftiger, situationsadäquater Erziehung und Bildung ab, weil man lieber tonnenweise Geld in überteuerte Rüstungsprojekte, vollkommen fehl geplante Tiefbahnhöfe und Flughäfen, oder den bereits mehr als ausreichend gepuderzuckerten Arsch der Pharmaindustrie bläst, anstatt sich der tatsächlichen Zukunft unseres Landes anzunehmen. Und was tun die Menschen, die es, wie stets selbst in der Hand hätten, etwas für bzw. gegen eine Sache zu tun? Sie arbeiten sich an einem Entwurf zu einem neuen Landesbildungsplan ab, der ihrer Meinung nach zu viel Wert auf den Regenbogengedanken legt, anstatt den Umstand kritisch zu bewerten, dass sich gemäß den vorliegenden Papieren schulische Bildung selbst im Gymnasium mittlerweile immer mehr an späterer wirtschaftlicher Verwertbarkeit der erworbenen „Kompetenzen“ orientiert, anstatt des – alten, aber deswegen nicht schlechten – Ideals humanistischer Menschenbildung.

Aber das ist nicht das einzige Problem: das andere, immer schlimmer werdende Problem sind jene Eltern vom (gefühlt) anderen Rand des sozialen Spektrums, die den Gedanken einer solidarischen, alle Kinder gleichmäßig bildenden Schule von vorn herein verwerfen und auf die bestmögliche Vorbereitung ihres Kindes auf das Berufsleben pochen – als wenn eine durchschnittliche 12-Jährige, die gerade erst beginnt, herauszufinden, wer sie selbst einmal sein könnte, schon einen Plan bis zum Master-Abschluss hätte, bzw. bräuchte. Verwertungsinteressen. Ich sehe manchmal überall nur noch durchgeknallte Selbst- und Familienoptimierer mit Köpfen voller Verwertungsinteressen. Die größten Errungenschaften der Menschheit wurden allerdings mit Hilfe anderer Tugenden als lediglich Fleiß, Disziplin, Folgsamkeit und Angepasstheit erreicht – mit Mut, Inspiration, Experimentierfreude, Zähigkeit, der Fähigkeit interdisziplinär zu denken; und vor allem miteinander!

Egobonzen vs. Umverteiler – beide haben bestenfalls zum Teil Recht, ausbaden jedoch müssen es immer unsere Kinder. Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein? Man könnte vieles tun, aber indem man immer nur an diesem oder jenem Schräubchen dreht, behandelt man nur jeweils einzelne Symptome, ohne jemals das Problem en complet anzugehen. Aber dazu braucht es Mut, Inspiration, Experimentierfreude, Zähigkeit, den Blick über den Tellerrand; und eine Neuinterpretation von Solidarität. Wären unsere Kinder nicht ein Wagnis wert?

Ach echt jetzt – Geheimdienste hören ab?

Es grenzt manchmal schon fast an Naivität, wenn man Menschen darüber reden hört, was man sich alles nicht vorstellen konnte, von dem was Nachrichtendienste in den letzten Jahren so angestellt haben. Da wird das in verschiedenen Hollywood-Filmen thematisierte Big-Brother-Ding als reines Werk der Fiktion abgetan, man will nicht glauben, dass es tatsächlich möglich ist, so viele Informationen durch das Ausspähen unserer Telekommunikation zu sammeln und wundert sich, wie es wohl möglich war, das „Salafistenpaar aus Oberursel“ zu schnappen. Da war von Flüssigkeiten die Rede, welche zum Bombenbau verwendet werden könnten. Glaubt wirklich noch einer da draußen, dass hier Columbo Kassenzettel durchwühlt hat? Die wurden abgehört, ihr Online-Verhalten analysiert und bei Erhärtung des Anfangsverdachtes wurden sie hopp genommen. Und wie man auf die gekommen ist? Na, weil man alle Telekommunikationsdaten der so genannten „Sauerlandzelle“ genau analysiert hat. Wer mit wem wann was gequatscht hat. Ist ganz einfach, wenn man weiß, wie.

Und man darf sicher sein, dass unsere allzu oft geschmähten bundesdeutschen Nachrichtendienste so was auch können. Haben ja, wenn man der Berichterstattung wenigstens ein bisschen Glauben schenken mag, schließlich für die NSA in Europa im großen Stil Kommunikations-Spionage betrieben. Ich frage mich manchmal, ob es wirklich so viele Menschen gibt, die Agenten mit der Lizenz zum Töten im Auftrag ihrer Majestät tatsächlich für ein realistisches Bild Geheimdienstlicher Tätigkeit halten? Ich ernüchtere mich ja gelegentlich ganz gerne, mit Bezug auf mein, immer noch positives Menschenbild, aber das ist jetzt echt zu viel. Ja, Geheimdienste sammeln Informationen über potentielle Feinde und auch über potentielle Mitbewerber, denn zum Schutz der nationalen Interessen gehört auch der Schutz der Interessen, der jeweiligen heimischen Wirtschaft. Ist es da so schwer zu verstehen, dass nationale Dienste auch Wirtschaftsspionage betreiben? Es ist doch im Interesse der Nation, wenn die eigene Wirtschaft die Nase vorn hat, oder?

Aber die Agenten schleichen dabei nicht nachts, schwer bewaffnet und mit einem Haufen Gimmicks in der Tasche in irgendwelchen Hochsicherheitseinrichtungen herum, töten böse Wachmänner und verführen die hübscheste Mitarbeiterin des Tages, die dann zufällig auch noch die Kombination für den Safe kennt. Meistens geschehen sehr viel subtilere Dinge. Man sammelt zunächst eine Vielzahl frei zugänglicher Informationen, man dreht gelegentlich jemanden um, der Zugriff auf weniger frei zugängliche Informationen hat (Erpressung, Bestechung etc.) und schlussendlich zapft man die Datenströme an. Die aktuelle Architektur des Internet erleichtert solche Dinge, da so gut wie alles durch wenige Knotenpunkte fließt. Hier in Deutschland zum Beispiel durch ein Routerzentrum in Frankfurt. Da baut man eine hübsche kleine Backdoor in die Netzwerkarchitektur und Rumms kann man alles im Klartext, in Echtzeit mitlesen. Alles nur eine Frage der Rechenleistung.

Um auf die Naivität zurück zu kommen: ich wundere mich eher, wenn irgendwas, das technisch machbar ist, noch nicht versucht wurde. Ein Blick auf die Geschichte unserer Spezies beweist, dass so gut wie alles, zumeist nur sehr kurze Zeit nach seiner Entdeckung/Erfindung, in einer Waffe Verwendung fand. Spionage ist auch eine Waffe, allerdings eine ohne Knalleffekt; den hat sie nur im Film. Deshalb finde ich dieses hohle Betroffenheitsgeheuchele, insbesondere von Seiten unserer Politiker einfach nur Banane. Man weiß, dass die Technik existiert, man weiß, dass es da draußen eine Menge Leute mit einem gefühlten Informationsdefizit gibt und dass unsere Nachrichtendienste international eher als unterfinanziert zu betrachten sind: und dann behauptet wirklich einer, dass er sich wundert, wie es dazu kommen kann, dass der BND den Wasserträger für die NSA mimt? „Unglaubwürdig“ ist das einzige Wort, welches mir dazu einfällt, denn unsere Schlapphüte nehmen halt einfach alles, was sie kriegen können. Ist nur zu menschlich und – man verzeihe mir doch bitte den Zynismus – letzten Endes wahrscheinlich sogar gut für’s Budget. Den Amis noch einen rausgeleiert für Technik, die sowieso in Betrieb ist. Und da soll mal einer sagen, die gingen nicht effektiv mit ihren Ressourcen um…

Anstatt sich darüber zu ereifern, wie es sein kann, dass unser BND mit der NSA kollaboriert hat, sollte man sich eher fragen, wie viel Kontrolle die parlamentarischen Gremien tatsächlich über das Tun und Lassen unserer Nachrichtendienste haben? Und vor allem, warum zum Teufel man sich immer noch bedeckt hält, wenn es darum geht, der NSA und dem britischen GCHQ, bzw. den sie kontrollierenden Regierungen mal so richtig vor den Koffer zu scheißen und sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie ihre Generalverdachts-Drecksgriffel aus unseren Leben zu lassen haben? Da würde ich gerne mal ein paar 100.000 auf der Straße sehen. Aber nö… ihr lasst euch wieder mal von der Bundes-Angie und ihren getreuen Schergen mit stilistischen Nebelkerzen in den Topor merkeln, während unsere Bürgerrechte vor die Hunde gehen. Ihr seid ein Super-Volk! Adenauer wäre stolz auf euch…

Wenn du denkst, alles schon rum…

…flattert dir unversehens ein Zettel in den Briefkasten, und zwar von den „Freien Bürgern für Deutschland“, die sich gestern in Ludwigshafen treffen wollten und alle guten Deutschen herzlich dazu einluden, sich doch endlich auch mal zum eigenen Rechtsradikalismus zu bekennen… Natürlich stand das nicht genauso auf dem Zettel, dort war vielmehr die Rede von jüdisch-christlicher Kultur, Einwanderer-Strömen und Grundgesetz. Es ist ja schon fast anerkennend wahrzunehmen, dass diese braunen Arschmaden wissen, wie unsere Verfassung heißt, das war’s dann aber auch schon so ziemlich. Wenn sie mit unserer „jüdisch-christlichen Kultur“ den Jahrhundertealten und dennoch immerdar topaktuellen Antisemitismus meinen, liegen sie auch nicht vollkommen falsch; ich befürchte allerdings, dass das eher so ein Leitkulturding mit dem Evozieren tiefer Überfremdungsangst vor den, wie Heuschrecken über uns alle herfallenden, muslimischen Flüchtlingen werden sollte. Nun über mich persönlich ist noch keiner hergefallen, aber eine individuelle Einzelbetrachtung stellt natürlich keinen empirisch belastbaren Trend dar…

Kurz und gut, ich bin nicht hingegangen, obschon ich für einen kurzen Moment den masochistischen Drang verspürte, diesen Idioten ins Gesicht zu sagen, was ich von ihnen und ihrer Scheißhauspropaganda halte. Ich habe dann doch lieber mit den Kindern in unserem heimatlichen Garten abgehangen; war nicht nur sicherer, sondern auch sinnvoller. Menschen mit einer Mission kann man nur selten von ihrem Unglück abhalten. Ich habe keine Angst vor Nazis. Ich kenne selber Leute, die früher in dieser Szene waren. Und was die zu erzählen wissen, was sie darüber denken, was sie dabei empfinden, interessiert mich. Man kann Menschen nur verstehen, wenn man ihnen ehrlich zuhört.
Wovor ich allerdings Angst habe ist, dass die dummen Rechten sich von den intelligenten Rechten instrumentalisieren lassen, um unser Staatswesen, so wie es jetzt ist abzuschaffen. Die bunte Republik ist mit Sicherheit nicht perfekt, aber um einige Tausend Prozent besser, als alle Diktaturen, in denen linker und rechter Extremismus stets zu enden pflegen.

Die Randspektren des immer noch üblichen politischen Kompass sind einander im Dogma der eigenen Meinung und der Unterdrückung der Andersdenkenden so ähnlich, dass man beide als Faschismus bezeichnen könnte, auch wenn der Begriff vor allem für rechte Diktaturen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geläufig wurde. Den Denkern beider Strukturen ist zu eigen, dass sie eine geschickte mediale Manipulation der Massen nutzen, um ihre Meinung zur einzigen Meinung zu machen – zumindest in den Köpfen jener, die sich als beeinflussbar zeigen. Und das ist, in Ermangelung ausreichender Reflexionsfähigkeit leider ein nicht unerheblicher Teil. Wir Menschen sonnen uns gerne im Lichte unserer kognitiven Fähigkeiten, doch bei den meisten ist es lediglich Selbstbetrug, der aus 100 Watt einen Stadionscheinwerfer macht… Für jene, die’s immer noch nicht begriffen haben: wir sind nicht selten einfach zu dämlich, um erkennen zu können, dass wir selbst manipuliert wurden. Ich nehme mich da selbst keinesfalls aus.

Womit wir bei den echten Agitatoren wären, die dem nämlichen Rattenfänger gleich mit den süßen Flötentönen der Selbsterhöhung durch Stigmatisierung Schwächerer und dem Beschwören einer Volksgemeinschaft die Dummen (Ratten) und die Unerfahrenen (Kinder) aus ihren Hütten auf die Straßen und Plätze locken, damit diese sich dort schön indoktrinieren lassen können. Ich mag jetzt nicht schon wieder schreiben müssen, weshalb die Argumente der, nun lediglich mit einem neuen Namen verbrämten PEGIDIOTEN, vollkommener Käse sind. Und das wir als eine gesamte Gesellschaft gut daran täten, unsere Werte, unsere Ziele, unsere Ideen von einem sinnvollen Miteinander neu zu diskutieren. Denn eine Gesellschaft und ihre Kultur sind nichts Statisches, sondern etwas, dass sich, gleich einem Lebewesen immer weiter entwickelt; für jene, denen die Lebewesen-Analogie nicht gefällt, könnte man auch den Vergleich mit dem technologischen Fortschritt heranziehen. Dieser hat das Antlitz unserer Städte und Landschaften, die Art wie wir Dinge herstellen, miteinander kommunizieren und noch vieles Anderes unbestreitbar vollkommen verändert. Und in diesem Zuge auch unsere Kultur. Sowas passiert nicht mal eben an einem Nachmittag, oder in einem Jahr, sondern über Dekaden. Natürlich ist auch diese Analogie stark vereinfachend, weil alle Arten von Veränderung einzelner Teile in einem so komplexen Gebilde wie einer Gesellschaft einander gegenseitig beeinflussen. Aber zusammenfassend lässt sich sagen: Alle Aspekte unserer Umwelt unterliegen ständiger Veränderung. Anzunehmen, dass trotzdem alles beim alten bleiben könnte, ist schlicht grotesk – oder besser grotesk dumm!

Und was bleibt nun mit dem Zettel zu tun? Man könnte ihn achtlos wegwerfen, als Grillanzünder verwenden, die Rückseite den Kindern als Kritzelpapier geben – oder man nimmt ihn zum Anlass, sich selbst zu engagieren, gegen die Dummheit und Kurzsichtigkeit so vieler Mitmenschen.

Eines sei aber als Ausblick auf nächste Gedanken an dieser Stelle noch gesagt: mediale Manipulation findet mitnichten nur durch extremistische Agitatoren statt. Verschiedenste Techniken der Meinungsproduktion nutzen auch jene amtierenden Politiker, denen wir unser Vertrauen gegenwärtig ausgesprochen haben. Und es muss in Anbetracht der mannigfaltigen Verbindungen zwischen so genannten Lobbyisten und Politikern angezweifelt werden dürfen, dass deren Handlungen stets zum Wohle des Volkes gereichen sollen. Schönen Tag noch.

This terrible Angst…

Irgendwann dieser Tage bin ich mal wieder in Grübelei versunken. Wie bei vermutlich vielen Menschen stand dabei dieses diffuse Bedrohungsgefühl im Hintergrund, diese gleichsam nutzlose und dennoch nicht weichen wollende Frage, was wäre, wenn hier und jetzt ein Terroranschlag passieren würde. Ich laufe durch die Fußgängerzone, weil ich Besorgungen zu erledigen habe und – BUMM. Oder, die perfidere Variante, dass es bereits BUMM gemacht hat und ich als zum Ort des Geschehens eilende Rettungskraft in das Visier der Attentäter geriete. Oder – und das wäre für mich noch viel grausamer – dass meine Lieben zu Opfern würden. Ist – leider – nicht allzu weit hergeholt, weil schon oft genug geschehen und Terror ist nun mal asymmetrischer Krieg gegen weiche Ziele, wobei es zuvorderst um Opferzahlen und Symbolwirkung geht, nicht um Strategie und Ressourcen.

Allem Wissen um Geschichte und Geopolitik, um die bloße Denkspielhaftigkeit dieser Überlegungen zum Trotz mochte das ungute Gefühl im Bauch nicht recht weichen. Ich bitte darum, mich nicht falsch verstehen zu wollen: ich laufe nicht den ganzen Tag mit eingezogenem Kopf von Deckungspunkt zu Deckungspunkt; es ist eher so ein Bewusstwerden der eigenen Verletzlichkeit und der Unmöglichkeit, etwas so hinterhältiges und perfides wie einen Terrorakt vorhersagen, oder gar verhindern zu können. Sicherheitskreise, wie die Nachrichtendienste im Journalistendeutsch gerne genannt werden, pochen ja dauernd auf ein mehr an Datenzugriff, auf gläserne Bürger, weil sie immer noch der Illusion hinterher rennen, dass Datamining tatsächlich statistische Modelle liefert, mit deren Hilfe menschliches Verhalten quasi in Echtzeit vorhersagbar würde. Was für ein Bullshit! Wäre menschliches Denken und Handeln tatsächlich mit Hilfe statistischer Modelle darstell- und somit vorhersagbar würden Psychologen nach menschlichen Tragödien nicht immer versuchen, zu erklären, wie es ihrer Meinung nach dazu kommen konnte, dass niemand das kommen sah…

Ich bitte nochmal darum, nicht missverstanden zu werden: die Psychologie kann als wissenschaftliche Disziplin durchaus sehr hilfreich sein, aber Regressionsanalysen sind nun mal keine Kristallkugeln. Und so wenig, wie sich ein Selbstmordversuch präzise vorher sagen lässt, so wenig ist das bei einem Attentat der Fall. Man darf sich sicher sein, dass auch wir hier in Deutschland irgendwann Opfer zu beklagen haben werden, aber das größte Opfer, dass wir in diesem Zusammenhang erbringen werden, liefern wir schon gerade ab. So wie ich hier. Nämlich indem wir anfangen, die Sicherheit unseres Lebensraumes zu hinterfragen, womöglich beginnen, unsere Art zu Leben zu verändern, um nicht Gefahr zu laufen, Opfer zu werden; dabei sind wir genau in dem Moment doch schon eines geworden. Denn die stärkste Waffe des Terroristen sind nicht seine Pistolen und Gewehre, seine Bomben und Granaten sondern die Furcht, welche die Möglichkeit, sich deren Gewalt ausgesetzt zu sehen in den Herzen der Menschen säht.

Und wie ich so darüber sinnierte, dass es eigentlich töricht ist, Angst zu haben, wenn man doch weiß, dass es nichts an irgendwelchen Bedrohungslagen und Terrorwarnstufen ändert, fiel mir ein altes Zitat von Sir Peter Ustinov ein: „Der Terrorismus, der im furchtbaren 11. September kulminierte, ist ein Krieg der Armen gegen die Reichen. Der Krieg ist ein Terrorismus der Reichen gegen die Armen.“. Es mag einem zum jetzigen Zeitpunkt wenig hilfreich, oder gar tröstlich vorkommen, aber die einzige Hoffnung, diesem ganzen Unfug ein Ende zu bereiten ist, dem Terror seine Basis zu entziehen. Und zwar, indem die so genannten führenden Nationen dieser Welt endlich die arrogante Position aufgeben, dass es allein ihnen, bzw. ihren Führern gegeben ist, darüber zu befinden, was für alle Menschen rings um den Erdball das Beste ist. Dass man Völkern die Demokratie mittels Krieg aufoktroyieren kann. Dass die Interessen der führenden Industrienationen als unumstößliches Primat über allem anderen stehen. Und das sind nur ein paar Dinge, die man ändern müsste, um tatsächlich zum Frieden zu kommen.

Solange die führenden Mächte dieser Welt den Globus in Interessenzonen einteilen und in „ihrer“ jeweiligen Domäne nach Belieben abzocken, ausbeuten, diktieren und manipulieren, oder dies zumindest versuchen, wird es am anderen Ende dieser Beziehung Menschen geben, die wütend genug über diese Umstände sind, sich bereitwillig zu opfern, um ein Fanal gegen die zynische Gier und Arroganz der „Führer der freien Welt“ zu setzen. Und wenn ich es so betrachte, habe ich eigentlich mehr Angst vor unseren „Führern“, als vor irgendeinem Menschen, der sich in Enttäuschung von unserem Lebensstil abgewandt und radikalisiert hat. Wir produzieren diese Geister, die uns so sehr ängstigen selbst! Natürlich fände ich es schlimm, wenn jemand mir nahe stehendes einem Attentat zum Opfer fiele. Aber ein Ruf nach Rache bringt niemandem etwas. Er bringt keine Toten zurück ins Leben und er bringt keinen Frieden für jene, die zurück blieben und auch in Zukunft bleiben werden, wenn es wieder zu Terrorakten kommt.

Wir schauen auf unsere Sicherheitsbehörden, die hektisch ermitteln und verhaften und verhören. Doch dass, wogegen die Männer und Frauen in Zivil und Uniform antreten ist nur ein Symptom für eine viel schlimmere, tiefgreifendere Krankheit unserer Gesellschaft: die Gier nach Ressourcen, bei deren Verfolgung die Verantwortlichen in selbst den demokratischsten aller Staaten alles in Kauf nehmen, um ihre Macht zu sichern. Nur wirtschaftliches Wachstum garantiert wirtschaftliche Blüte garantiert Wohlstand garantiert Zufriedenheit garantiert Wählerstimmen. Ist es tatsächlich so einfach, sind wir tatsächlich alle käuflich sind, nur weil wir von der Subsistenz zur Existenz kommen wollen? Ich weiß es nicht; wirklich nicht. Aber so wie es ist, kann und darf es nicht bleiben. Sonst ist der einzige Lohn eines Lebens Angst. Angst um das Leben, Angst um das Einkommen, Angst um alles. So will ich eigentlich nicht mehr leben müssen, aber weil grundsätzliche Veränderungen nur langsam voran gehen, selbst wenn viele nach ihnen rufen, werde ich mich wohl damit abfinden müssen, auch mit etwas Angst im Herzen erhobenen Hauptes durch mein Leben schreiten zu müssen. In der Zwischenzeit will ich versuchen etwas zu tun, damit es besser wird und ich, oder besser jeder weniger Angst haben muss. Mal sehen, was die Zukunft bringt…

Empathie-Oxidation

Man kann einfach nur für sich leben. Ja, das geht! Man eignet sich einfach diese Arschloch-Attitüde an, dass die ganze verdammte Welt ein dauerhaft geöffneter Selbstbedienungsladen ohne Kasse ist. In altmodisch nennt man solches Verhalten egoistisch oder schlicht asozial. Auf neudeutsch nennt man sowas schick. Denn offensichtlich haben immer mehr Menschen Ansprüche an die Gesellschaft um sie herum, die jedoch durch keinerlei Leistung für die Gesellschaft um sie herum begründbar wären. Ob das nun diese Spasten sind, die wegen eines Bekannten mit Männerschnupfen Mittwochs Morgens um halb drei einen Noztarztwagen verlangen, diese hektischen, zappeligen Drängler, denen es bei keiner noch so unwichtigen Verrichtung schnell genug gehen kann, oder dieses Pack, dass sich gegenüber Amtspersonen alles erlauben zu können glaubt; all überall sieht man, zumindest gefühlt, nur noch dumme, dreiste Menschen!

Natürlich trügt diese Empfindung ein Stück weit, weil Menschen auf negative Erlebnisse erwiesenermaßen schneller und heftiger reagieren und diese auch besser erinnern können. Dem liegt ein uralter Schutzinstinkt zu Grunde, der dem Mammutjagenden Höhlenmenschen behilflich sein sollte, brenzlige Situationen so früh erkennen zu können, dass eine Flucht noch möglich gewesen wäre. Vor einer Gesellschaft, die zumindest in Teilen hohlzudrehen scheint weglaufen zu wollen, ist allerdings ziemlich vermessen, wenn man nicht bei den Yanomami um Asyl anfragen möchte. Und so bleiben am Ende des Tages oft nur die, leider allzu langsam verblassenden Erinnerungen an dumme, dreiste Menschen! Ich meine, mich dunkel erinnern zu können, dass mein Menschenbild beim Verlassen der Schule deutlich positiver war, als dies heute der Fall ist. Zwei Jahrzehnte berufliche Tätigkeit im Gesundheitswesen haben mir die Lust auf soziale Interaktion abseits selbst gewählter Kontakte deutlich abkühlen lassen. Nichtsdestotrotz kann ich immer noch eine sehr gefällige Bedienoberfläche präsentieren, wenn die Situation es verlangt. Und das tut sie in meinem Job nicht eben selten.

Nun gibt es aber einen eklatanten Unterschied zwischen dem, was die Menschen von mir zu sehen und zu hören bekommen und dem, was ich mir wirklich denke. Nicht selten ertappe ich mich im Rahmen irgendwelcher notwendiger Kommunikationsakte dabei, dass ich die verbalen Auswürfe des Gegenübers zwar irgendwie wahrnehme und sogar darauf reagiere, während ich in meinem Hinterkopf das wunderbar entspannende Geräusch einer sich entladenden automatischen Waffe höre. Und kann dann sogar lächeln… Nicht das jetzt irgendjemand Angst bekommt – ich selbst besitze keine Waffen und habe auch keine wirklichen Mordambitionen, aber manche Menschen texten einen so unnötig redundant zu, dass man sich ein bisschen in kleinbürgerlichen Großmachtphantasien ergehen muss, um der Situation die Schärfe nehmen zu können.

Man könnte jetzt also einfach subsummieren, dass meine Empathie wohl oxidiert ist. Überbeanspruchung scheint sie rosten zu lassen. Zum Teil ist das auch richtig. Ich schrieb mal, zumindest sinngemäß, in einem Buch, dass man nicht unbegrenzt oft Mitgefühl haben und geben kann, weil man sich sonst selbst verliert. Nach dieser Maxime mit Gefühlen zu haushalten, klingt vielleicht auf den ersten Blick kalt, wenn man aber jedes fremde Leid ungefiltert auf sich wirken lässt und das in einem Job, der sich hauptsächlich mit menschlichem Leid befasst, geht man daran kaputt und zwar relativ schnell und sehr sicher! Also fahre ich mit meiner Strategie, Emotionen nur sehr bewusst an mich zu lassen und selbst nur sparsam welche auszusenden aus psychologischer Sicht voll auf Sicherheit. Ich habe ja auch noch ein paar Jahre in der Arbeitswelt vor mir. Das wahre Problem sind nicht Menschen, die ihre Empathie bewusst nutzen, oder es eben auch mal bleiben lassen, sondern jene Menschen, die offensichtlich keine besitzen, weil ihnen niemals jemand beigebracht hat, wie sich Mitgefühl und Solidarität, die aber nur aus Mitgefühl erwachsen kann anfühlen. Und von solchen Individuen gibt es leider immer mehr.

Ohne jetzt in Weltschmerzgejammer verfallen zu wollen, lässt sich eine Empathie-Oxidation konstatieren, die einige bedauerliche Folgen mit sich bringt. Zum einen ist es natürlich insgesamt für die Hilfsbereitschaft, ja ganz grundsätzlich für die Solidarität als menschlichen Grundwert ziemlich beschissen, wenn einer Vielzahl von Menschen die Fähigkeit zur Empathie verloren geht, denn die ist der Kleber, welcher das soziale Gefüge einer Gesellschaft als Ganzes zusammen hält. Ohne jetzt auf irgendwelchen soziologischen Theorien herumreiten zu müssen, lässt sich ganz platt sagen, dass mit dem Verlust des Mitfühlens auch der Verlust der Sozialität, des sinnvollen Miteinanders abhandenkommt. In einer Zeit, in der drängende soziale wirtschaftliche und politische Fragen und Probleme die Menschen umtreiben, ist ein Mangel an Empathie – vielleicht als Folge des auf sich selbst Zurückziehens zum Schutz der eigenen Existenz – die erste Stufe eines Versagens von Gesellschaft als Konzept.

Gewiss liegt hier ein wenig Schwarzseherei meinerseits in der Luft, doch ganz krass, jedoch stringent zu Ende gedacht, bedeutet der Rückzug ins Private gleichsam ein Negieren des Sozialen als Bedeutungszusammenhang. Wenn mich meines Nächsten – oder auch Übernächsten – Leid, Unglück, Elend, oder sonst was (auch positiv) nicht mehr schert, werden mir irgendwann alle anderen Menschen, außer mir selbst und vielleicht ganz wenigen Außerwählten, gleichgültig werden. Wenn das jeder so hält… nun, man kann sich ausmalen, wie so eine Welt aussähe. Wer fiktionale Dystopien mag, sollte mal wieder William Gibson lesen.

Man muss jedoch nicht unbedingt mal sehr nahe an andere Menschen heran kommen, um die eigene Solidarität in die Waagschale werfen zu können. Kleine Dinge des Alltags genügen; nicht wegschauen, nachfragen, kommunizieren. Man muss kein Engel und kein frommer, mildtätiger Samariter sein, es genügt oft schon, bei manchen Handlungen zweimal nachzudenken – und schwupps herrscht ein kleines bisschen weniger Empathie-Oxidation. Könnte man doch mal selber versuchen, oder…?

New Media Freak?

Vor ein paar Jahren fragte mich meine Frau, was ich denn mit einem Tablet will, dass wäre doch nur ein teures, sinnfreies Spielzeug. Als ich sie dann gestern mit den Kindern abends auf der Couch sitzen sah, während die drei sich auf einem Tablet „Schwanensee“ anschauten, verzichtete ich darauf, sie zu fragen, was sie denn da mit dem „teuren, unnötigen Spielzeug“ treiben würde. Es wäre ein zu billiger Lacher gewesen; außerdem bin ich üblicherweise nicht nachtragend. Die damals abgegebene Erklärung, dass ich mal ein anderes Gadget als Produktivwerkzeug ausprobieren wollte, war zugegeben auch nicht ganz ehrlich. Immerhin war ich schon immer von allem immens fasziniert, was mit neuen IT-Geräten, und heute speziell Portables zu tun hat; und das ganz gewiss nicht nur aus akademischen Gründen, wenngleich mein Studium der Bildungswissenschaft durchaus einen Fokus auf das Lernen mit neuen Medien gelegt hat. Ich bin einfach auch ein großes Spielkind und es ist schon geil, ein neues, sexy Stück Technik in Betrieb zu nehmen…

Tatsächlich war auch mein erster Gedanke beim Kontakt mit dem damals nagelneuen IPad eines Bekannten, was man denn damit anstellen soll? Für das eingeben und redigieren redaktioneller Texte schien es nicht zu gebrauchen. Die Kamera war zugegeben ein cooles Feature, aber das konnten Smartphones ja auch schon eine Weile. Der Speicherplatz war begrenzt und zudem war das Teil absurd teuer. Teurer als meine letzten Desktop-Rechner, die überdies viel mehr Rechenleistung mitbrachten. Immerhin konnte man damit überall problemlos im Netz surfen. Die anfängliche Ablehnung verwandelte sich genau deswegen jedoch bald in Faszination, als ich begriff, dass portable und ultraportable Webdevices die Zukunft der Vernetzung darstellten. Dass die Vernetzung und Dezentralisierung von Dienstleistungen und produktiver Software klassische inhouse Serve-Client-Systeme bald ablösen könnten. Dass das alte, bislang jedoch nicht zufriedenstellend eingelöste Versprechen eines ubiquitär verfügbaren Netzes doch noch wahr werden könnte. Und dann war es um meine Zurückhaltung geschehen.

Ich gehöre mit über 40 sicher nicht zur so genannten „Generation Net“, die zumindest aus bildungsforscherischer Sicht quasi intuitiv den Umgang mit solchen Geräten und Diensten erlernt, weil sie damit aufwächst. Aber man ist ja anpassungsfähig und ich wusste, dass man sich solchen Veränderungen nicht verschließen sollte. Nur eigene Erfahrungen mit bestimmten neuen Medien und Techniken qualifizieren schließlich zu einer adäquaten Beurteilung der daraus resultierenden Möglichkeiten und somit zu einer sinnvollen Nutzung dieser. Vom Spaßgewinn durch unsinnvolle Nutzung mal ganz abgesehen; immerhin kann man beim Spielen auch was lernen. Soweit erst mal mit den Lobhudeleien.

Ich weiß nicht, ob Clouddienste tatsächlich unser Leben vereinfachen. Sie vereinfachen allerdings in jedem Fall das Teilen von Inhalten verschiedenster Formate wie Texten, Bildern und Videos; mit Blick auf die Spionage-Backdoors, die sich so mancher „Big Brother“ anscheinend hat offenhalten lassen, muss man allerdings wissen, dass man sie unter Umständen nicht nur mit jenen teilt, die eigentlich als Empfänger gedacht waren. Privacy ist zu einem wichtigen Thema der schönen neuen Welt avanciert, spätestens seit Edward Snowdens recht erhellenden Enthüllungen. Allerdings wohl nur für jene, die sich schon immer mit solchen Fragen beschäftigt haben. Alle anderen machen anscheinend genauso weiter wie bisher und blenden Bürgerrechts- und Machtaspekte in ihrem Online-Tun einfach aus. Kann man machen, muss man aber nicht. Spätestens, wenn man außer seinem Mittagessen, Katzenvideos, hoffentlich lustigen Sprüchen und seinen sonstigen medialen Vorlieben noch andere Dinge in der öffentlichen digitalen Agenda abhandelt, sollte man sich eigentlich verpflichtet fühlen, auch einmal über digitale Bürgerrechte offen nachzudenken.

Ich bin kein Schwarzseher, aber realistisch betrachtet ist das Netz noch weit davon entfernt, ein Ort virtueller Demokratie zu werden, in dem jeder seine Ideen darlegen und vertreten kann. Denn zum einen bedeutet der vorangegangene Satz konsequent zu Ende gedacht, dass man eben auch die ganze braune Propaganda, Verschwörungstheorien, Esoterik-Quatsch und noch viele andere Unnötigkeiten eine Bühne bietet; und das fordert viel Contenance. Insofern fehlt also das Wort „sinnvoll“ vor den „Ideen“. Zum anderen aber ist das Web in seiner gegenwärtigen Form vor allem Träger politischer Überwachungs- und wirtschaftlicher Verwertungsinteressen, mithin also weit von echter Demokratie entfernt. Dazu sei als Lektüre Evgeny Morozov empfohlen. Darüber will ich mich an dieser Stelle demnächst noch mal etwas ausführlicher auslassen.

All diesen Problemen zum Trotz haben portable Webdevices, wie etwa immer leistungsfähige Smartphones, vor allem aber Tablets unsere Art zu arbeiten, zu lernen und dabei zu kollaborieren verändert – und tun dies immer noch. Diesen Beitrag sollte man schätzen, auch wenn viele Fragen rings um Verwertungs- und Selbstbestimmungsrechte in der schönen neuen Webwelt noch nicht geklärt sind. Und deswegen bin ich – wenngleich heute auch vorsichtiger als früher – immer noch ein New Media Freak. C U somewhere out there…

Call of Cutie

„Das Leben ist kein Ponyhof“ – manche Eltern verwenden diesen Satz gerne, um ihre Kinder an den Ernst des Lebens zu erinnern, der sich zwar langsam, aber eben doch unaufhaltsam in das Leben eines jeden Menschen stiehlt. Nach meiner Erfahrung ist der Satz falsch. Das Leben kann man durchaus mit einem Ponyhof vergleichen; nur dass nicht alle Ponys nett sind! Es gibt unter den tierischen wie menschlichen Bewohnern alle möglichen Persönlichkeiten, es gibt Arbeit und Spaß, Freude und Leid, Freiräume und Regeln; eben das ganze Spektakel des prallen Lebens, reduziert auf einen Mikrokosmos, der ziemlich nach Mist riecht. Soweit sehe ich keine allzu großen Differenzen zu meinem eigenen Leben. Nur dass ich mit Pferden und Ponys nix anfangen kann.

Was aber nun den eben bereits angesprochenen Ernst des Lebens angeht, der ja angeblich auf dem sprichwörtlichen Ponyhof wohl nicht zu finden sein soll, lässt sich feststellen, dass dieser spätestens dann zuschlägt, wenn auch zwischen Stallung, Weide und Reithalle das angesprochene Kind mit der normativen Kraft des faktischen konfrontiert wird. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Bosheiten anderer Kinder, die durchaus zu großem Leid gereichen können, sondern eher die erhobene Stimme des jeweils eigenen Erziehungsberechtigten, die einen stets dann zur Räson ruft, wenn man mal wieder ganz voller Lust seiner juvenilen Affektinkontinenz frönt. Die folgenden Diskussionen kennt jeder Erziehungsberechtiget nur zu gut, inclusive der daraus unvermeidlich resultierenden, halbgeschickten Verhandlungsversuche unserer Sprösslinge, das Hinauszögern, die Bockigkeit, bei Kleineren noch dazu die Mitleid erheischenden Tränen; schlicht alle Register kindlichen Unverständnisses ob der Tatsache, dass in einer Eltern-Kind-Beziehung der Erwachsene das Sagen hat. Und dies nicht etwa, weil es etwa mir selbst zur Freude gereichte, Macht über Schwächere auszuüben. Derlei Spruchwerk von irgendwelchen halbgaren Küchenpsychologen kann man getrost im Lokus entsorgen. Es hat auch nichts mit Misshandlung zu tun, oder mit altmodischer Zuchtmeisterei, sondern mit dem einen, immer noch gültigen Gebot wirklicher Erziehung, dass stets handlungsleitend sein sollte: nämlich den Unerfahreneren – vulgo das Kind – davor zu bewahren, sich selbst zu schaden. Und zwar so lange, bis dieser begriffen hat, wie entsprechende Situationen selbst gemeistert werden können.

Kinder lernen vor allem durch Imitation. Das gilt für kognitive Muster wie das Erkennen von Buchstaben und Zahlen und die möglichen Kombinationen derselben ebenso wie für Verhaltensweisen. Es ist natürlich ein unerreichbares Idealziel, stets sinnvoll, überlegt und konsistent zur eigenen Erzählung von Leben zu agieren, da wir auch als Erwachsene immer noch zumindest teilweise unseren Affekten ausgeliefert sind. Und niemand schafft es leichter unsere Contenance zu erschüttern, als jene, die wir lieben, egal ob das nun der Partner, ein guter Freund oder eben unsere Kinder sind. Aber man kann zumindest versuchen, eine für das Kind erkennbare Grundlinie von Verhaltensweisen zu etablieren, Konsequenzen vorführen und das Kind auf bereits gemachte eigene Erfahrungen verweisen, um zu zeigen, „wie man es richtig macht“. Natürlich gibt es nicht das eine Richtig oder Falsch. Jeder selbst muss herausfinden, was für ihn der passende Weg ist, aber als Erziehungsberechtigter ist man verpflichtet, seinem Kind zumindest eine Orientierung über die Grundregeln menschlichen Sozialverhaltens mit auf den Weg zu geben. Und im Zweifelsfall, wenn die Umsetzung in realitas nicht so funktioniert das Fehlverhalten auch zu sanktionieren, was nichts mit Gewalt zu tun hat, bzw. haben sollte!

Ich muss es nochmal betonen, es geht mir nicht um Drill, oder Zuchtmeisterei, sondern darum, konsequent zu sein. Eine Familie ist keine Demokratie. Jene mit reicher Lebenserfahrung müssen für die mit einem noch sehr geringen Schatz daran Leitplanken aufstellen. Das bedeutet nicht, die Wünsche des Kindes stets zu missachten, oder dessen natürliches Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung zu vernachlässigen, sondern dem Nachwuchs vielmehr aufzuzeigen, dass – um mit einem weiteren Sprichwort langsam zum Schluss zu kommen – „viele Wege nach Rom führen“ und der erste zumeist weder der Beste noch der Billigste ist. Was bedeutet, dass man manchmal Entscheidungen aus der Hand des Kindes nehmen, selbst treffen und das Ergebnis dann auch durchsetzen muss.

„Call of Cutie“ bedeutet, diese Verpflichtung anzunehmen und tatsächlich erzieherisch tätig zu sein, auch wenn das manchmal in sowas wie einem Kampf ausartet (wer die Anspielung immer noch nicht verstanden hat, sollte jetzt dringend „Call of Duty“ googeln). Das dabei Fehler, Missverständnisse und Ärger auf beiden Seiten vorprogrammiert sind, darf einen nicht abschrecken, Konsequenz zu leben. Auch mir fällt das schwer. Auch ich mache dabei andauernd das Eine oder Andere falsch. Auch ich verrenne mich manchmal in meinem eigenen Gedankenpalast. Wie so viele andere vor und nach mir. Aber es wäre viel schlimmer, entweder gar keine Erziehung zu betreiben, oder dem Kind bewusst Gewalt anzutun in dem Glauben, dadurch erziehen zu können. Der bessere Weg ist ein schmaler Grat, der ein ständiges Neuausloten der Notwendigkeiten bedeutet. Man muss sich nur folgender Tatsache bewusst sein: wenn das Sanktionieren von Fehlverhalten schon bei Erwachsenen oft nur mangelhaft funktioniert (siehe Putins Ukrainepolitik) darf man sich bei Kindern dabei keine schnellen Wunder erhoffen. Daher zum Abschluss ein letztes Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“.

Ich liebe Actionfilme!

Wenn man die 40 überschritten hat und Verantwortung für eine Familie trägt, wäre es langsam an der Zeit, erwachsen zu werden bzw. es schon zu sein. Neulich, da saßen wir so lümmelig auf der Couch, befragte mich meine Frau, ob wir eigentlich schon erwachsen wären und ich glaube mein indignierter Blick, begleitet von einem herzlichen „Ich glaub‘ es hackt!“ war ihr Antwort genug. Wir konnten beide darüber lachen und das Bonmot, das Jungs ja eh nur 16 werden und danach allenfalls noch ein bisschen in die Höhe, aber durchaus noch um einiges in die Breite gehen, mag ein Fingerzeig sein, dass ich mich manchmal schon frage, wieso einem solchen Kindskopp nach getaner Arbeit so die Knochen weg tun können…

Dann las ich neulich in den Online-Alltags-Bekundungen eines guten Bekannten, dass er von anderen guten Bekannten ins Kino geschleift worden sei und den dort gezeigten Film als 16-jähriger bestimmt noch gut gefunden hätte. Es ging um eine nicht ganz ernst gemeinte Action-Agenten-Story und auch andere Kommentatoren schienen zu bestätigen, was ihm wohl als Wahrheit gilt: irgendwann ist man zu alt bzw. zu reif für den einfachen Genuss platter Action. Was soll ich denn jetzt sagen? Einerseits respektiere ich seine Meinung und wenn er das so sieht, ist das natürlich sein gutes Recht. Ich allerdings fand mich in Gedanken vertieft, welche sich um eine eher grundsätzliche Frage drehten; nämlich ob es diesen viel beschworenen qualitativen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur, der ja doch recht oft bemüht wird, um Machwerken der Populärkultur einen tieferen Sinn abzusprechen tatsächlich gibt? Ob man, ein gewisses intellektuelles Niveau vorausgesetzt, irgendwann seine kontemplative Entspannung nur noch im Genuss von Werken der Hochkultur finden sollte?

Es gibt da nach meinen Erkenntnissen so etwas wie eine unsichtbare Linie, die ein „wahrhafter Intellektueller“ nicht überschreiten darf, nämlich die, Kulturprodukte des kontemporären Massengeschmacks gut zu finden, einfach weil sie unterhaltsam sind. Natürlich wird es schwer fallen, in dem ein oder anderen Film oder Buch, die letzthin zum Behufe der Unterhaltung produziert wurden einen tieferen Sinn zu finden. Doch in meinen Augen entwertet das diese nicht als Kulturprodukte an sich. Man könnte sich nun natürlich einfach Adornos Diktum vom „Massenbetrug der Kulturindustrie“ zu Eigen machen und sagen: „na klar sind diese Bücher und Filmchen schlecht, sie wurden schließlich von halb gebildeten Menschen zur weiteren Verdummung halb gebildeter Menschen gemacht“. Und wenn man unterstellt, dasa Kulturprodukte nur den Auftrag wahrhaft wertvoller Bildung haben sollten, ist die Aussage auch richtig. Nur ist die Prämisse falsch.

Kultur, oder besser die Kulturprodukte, die wir heutzutage en masse präsentiert bekommen sind, ohne jeden Zweifel, zu einem großen Teil darauf ausgelegt, einem weitgehend billigen Eskapismus zu dienen. In einer Welt, die im Kern schlecht ist, weil sich alles Tun am Primat der Ökonomie ausrichtet und Politik nur noch als geopolitisch-wirtschaftliche Interessen verteidigendes Kampfschach ausgeübt wird, darf es aber wohl kaum verwundern, dass sich die Menschen nach derlei Zerstreuung sehnen, sofern sie überhaupt Zugang dazu erlangen können. Ich denke zumindest nicht, dass es in der Ostukraine noch allzu viele Kinos gibt.

Doch die Tatsache, dass nicht selten eskapistische Fantasien die Leinwände und die Buchseiten dominieren, anstatt nachhaltiger, humanistischer Bildungsangebote oder der Verbreitung enzyklopädischen Wissens, entwertet diesen Part der Kulturindustrie nicht wirklich. Allzu oft schwingen sich die Vertreter einer an aufklärerischen Idealen orientierten Bildung auf das blinde Ross des Dogmas und verurteilen alles, was nicht ihrer Vorstellung von einem guten Kulturprodukt entspricht als überflüssig, kindisch, kitschig, gewaltverherrlichend, dumm und wertlos. Ganz so, als ob das Leben nur aus einer Aneinanderreihung von nachhaltigen, humanistischen, lehrreichen, dem Gemeinwohl dienlichen Idealtaten bestehen würde. Was für ein Nonsens!

Das Leben besteht, auch wenn man das vielleicht gerne anders sähe aus einer Vielzahl monotoner, ermüdender, immer wieder gleichartiger, nur allzu häufig fremdbestimmter Routinen, welche in ihrer Gesamtheit ein durchaus legitimes Streben nach Ablenkung begründen. Man mag – nicht zu Unrecht – befinden, dass das Gesamtwerk Schillers aus der Sicht humanistischer Bildungsideale deutlich mehr Wert habe, als zum Beispiel der Film „Crank“. Aber das Leben ist keine immer weiter aufwärts strebende Spirale der Selbstverbesserung durch Bildung; es ist ein anstrengender, ermattender, gelegentlich hektischer, oft nervtötender und eher selten lustiger Dauerlauf mit ungewissem Ausgang. Ganz ehrlich: wenn ich nach einem wirklich fordernden Tag zu Hause endlich die Kinder ins Bett gebracht habe und auf der Couch niedergesunken bin, scheiße ich auf Schiller! Dann ist es mein verdammtes Recht, mich auch durch Filme und Bücher unterhalten zu fühlen, die eher meine niederen Instinkte bedienen.

Hochkultur vs. Populärkultur ist eine Gegenüberstellung, die lediglich Augenwischerei betreibt, den das Eine und das Andere haben sowohl ihre Daseinsberechtigung als auch ihre Wirkung in unserer komplexen Welt. Selbst wenn man findet, dass zu wenig Leute heute noch Literatur mit aufklärerischer Wirkung im wahrhaft kantianischen Sinne lesen, kann man nicht ernsthaft aktuelle Kulturprodukte abqualifizieren, weil sie offenkundig einfach nur unterhalten wollen. Das ist kindischer, als einen halbwegs ordentlich gemachten Actionfilm gut zu finden. Und deshalb stehe ich dazu, dass ich Actionfilme liebe; ich bin trotzdem immer noch ein halbwegs gebildeter Mensch, der nach mehr (Er)kenntnis strebt. In diesem Sinne…