Call of Cutie

„Das Leben ist kein Ponyhof“ – manche Eltern verwenden diesen Satz gerne, um ihre Kinder an den Ernst des Lebens zu erinnern, der sich zwar langsam, aber eben doch unaufhaltsam in das Leben eines jeden Menschen stiehlt. Nach meiner Erfahrung ist der Satz falsch. Das Leben kann man durchaus mit einem Ponyhof vergleichen; nur dass nicht alle Ponys nett sind! Es gibt unter den tierischen wie menschlichen Bewohnern alle möglichen Persönlichkeiten, es gibt Arbeit und Spaß, Freude und Leid, Freiräume und Regeln; eben das ganze Spektakel des prallen Lebens, reduziert auf einen Mikrokosmos, der ziemlich nach Mist riecht. Soweit sehe ich keine allzu großen Differenzen zu meinem eigenen Leben. Nur dass ich mit Pferden und Ponys nix anfangen kann.

Was aber nun den eben bereits angesprochenen Ernst des Lebens angeht, der ja angeblich auf dem sprichwörtlichen Ponyhof wohl nicht zu finden sein soll, lässt sich feststellen, dass dieser spätestens dann zuschlägt, wenn auch zwischen Stallung, Weide und Reithalle das angesprochene Kind mit der normativen Kraft des faktischen konfrontiert wird. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Bosheiten anderer Kinder, die durchaus zu großem Leid gereichen können, sondern eher die erhobene Stimme des jeweils eigenen Erziehungsberechtigten, die einen stets dann zur Räson ruft, wenn man mal wieder ganz voller Lust seiner juvenilen Affektinkontinenz frönt. Die folgenden Diskussionen kennt jeder Erziehungsberechtiget nur zu gut, inclusive der daraus unvermeidlich resultierenden, halbgeschickten Verhandlungsversuche unserer Sprösslinge, das Hinauszögern, die Bockigkeit, bei Kleineren noch dazu die Mitleid erheischenden Tränen; schlicht alle Register kindlichen Unverständnisses ob der Tatsache, dass in einer Eltern-Kind-Beziehung der Erwachsene das Sagen hat. Und dies nicht etwa, weil es etwa mir selbst zur Freude gereichte, Macht über Schwächere auszuüben. Derlei Spruchwerk von irgendwelchen halbgaren Küchenpsychologen kann man getrost im Lokus entsorgen. Es hat auch nichts mit Misshandlung zu tun, oder mit altmodischer Zuchtmeisterei, sondern mit dem einen, immer noch gültigen Gebot wirklicher Erziehung, dass stets handlungsleitend sein sollte: nämlich den Unerfahreneren – vulgo das Kind – davor zu bewahren, sich selbst zu schaden. Und zwar so lange, bis dieser begriffen hat, wie entsprechende Situationen selbst gemeistert werden können.

Kinder lernen vor allem durch Imitation. Das gilt für kognitive Muster wie das Erkennen von Buchstaben und Zahlen und die möglichen Kombinationen derselben ebenso wie für Verhaltensweisen. Es ist natürlich ein unerreichbares Idealziel, stets sinnvoll, überlegt und konsistent zur eigenen Erzählung von Leben zu agieren, da wir auch als Erwachsene immer noch zumindest teilweise unseren Affekten ausgeliefert sind. Und niemand schafft es leichter unsere Contenance zu erschüttern, als jene, die wir lieben, egal ob das nun der Partner, ein guter Freund oder eben unsere Kinder sind. Aber man kann zumindest versuchen, eine für das Kind erkennbare Grundlinie von Verhaltensweisen zu etablieren, Konsequenzen vorführen und das Kind auf bereits gemachte eigene Erfahrungen verweisen, um zu zeigen, „wie man es richtig macht“. Natürlich gibt es nicht das eine Richtig oder Falsch. Jeder selbst muss herausfinden, was für ihn der passende Weg ist, aber als Erziehungsberechtigter ist man verpflichtet, seinem Kind zumindest eine Orientierung über die Grundregeln menschlichen Sozialverhaltens mit auf den Weg zu geben. Und im Zweifelsfall, wenn die Umsetzung in realitas nicht so funktioniert das Fehlverhalten auch zu sanktionieren, was nichts mit Gewalt zu tun hat, bzw. haben sollte!

Ich muss es nochmal betonen, es geht mir nicht um Drill, oder Zuchtmeisterei, sondern darum, konsequent zu sein. Eine Familie ist keine Demokratie. Jene mit reicher Lebenserfahrung müssen für die mit einem noch sehr geringen Schatz daran Leitplanken aufstellen. Das bedeutet nicht, die Wünsche des Kindes stets zu missachten, oder dessen natürliches Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung zu vernachlässigen, sondern dem Nachwuchs vielmehr aufzuzeigen, dass – um mit einem weiteren Sprichwort langsam zum Schluss zu kommen – „viele Wege nach Rom führen“ und der erste zumeist weder der Beste noch der Billigste ist. Was bedeutet, dass man manchmal Entscheidungen aus der Hand des Kindes nehmen, selbst treffen und das Ergebnis dann auch durchsetzen muss.

„Call of Cutie“ bedeutet, diese Verpflichtung anzunehmen und tatsächlich erzieherisch tätig zu sein, auch wenn das manchmal in sowas wie einem Kampf ausartet (wer die Anspielung immer noch nicht verstanden hat, sollte jetzt dringend „Call of Duty“ googeln). Das dabei Fehler, Missverständnisse und Ärger auf beiden Seiten vorprogrammiert sind, darf einen nicht abschrecken, Konsequenz zu leben. Auch mir fällt das schwer. Auch ich mache dabei andauernd das Eine oder Andere falsch. Auch ich verrenne mich manchmal in meinem eigenen Gedankenpalast. Wie so viele andere vor und nach mir. Aber es wäre viel schlimmer, entweder gar keine Erziehung zu betreiben, oder dem Kind bewusst Gewalt anzutun in dem Glauben, dadurch erziehen zu können. Der bessere Weg ist ein schmaler Grat, der ein ständiges Neuausloten der Notwendigkeiten bedeutet. Man muss sich nur folgender Tatsache bewusst sein: wenn das Sanktionieren von Fehlverhalten schon bei Erwachsenen oft nur mangelhaft funktioniert (siehe Putins Ukrainepolitik) darf man sich bei Kindern dabei keine schnellen Wunder erhoffen. Daher zum Abschluss ein letztes Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“.

Ich liebe Actionfilme!

Wenn man die 40 überschritten hat und Verantwortung für eine Familie trägt, wäre es langsam an der Zeit, erwachsen zu werden bzw. es schon zu sein. Neulich, da saßen wir so lümmelig auf der Couch, befragte mich meine Frau, ob wir eigentlich schon erwachsen wären und ich glaube mein indignierter Blick, begleitet von einem herzlichen „Ich glaub‘ es hackt!“ war ihr Antwort genug. Wir konnten beide darüber lachen und das Bonmot, das Jungs ja eh nur 16 werden und danach allenfalls noch ein bisschen in die Höhe, aber durchaus noch um einiges in die Breite gehen, mag ein Fingerzeig sein, dass ich mich manchmal schon frage, wieso einem solchen Kindskopp nach getaner Arbeit so die Knochen weg tun können…

Dann las ich neulich in den Online-Alltags-Bekundungen eines guten Bekannten, dass er von anderen guten Bekannten ins Kino geschleift worden sei und den dort gezeigten Film als 16-jähriger bestimmt noch gut gefunden hätte. Es ging um eine nicht ganz ernst gemeinte Action-Agenten-Story und auch andere Kommentatoren schienen zu bestätigen, was ihm wohl als Wahrheit gilt: irgendwann ist man zu alt bzw. zu reif für den einfachen Genuss platter Action. Was soll ich denn jetzt sagen? Einerseits respektiere ich seine Meinung und wenn er das so sieht, ist das natürlich sein gutes Recht. Ich allerdings fand mich in Gedanken vertieft, welche sich um eine eher grundsätzliche Frage drehten; nämlich ob es diesen viel beschworenen qualitativen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur, der ja doch recht oft bemüht wird, um Machwerken der Populärkultur einen tieferen Sinn abzusprechen tatsächlich gibt? Ob man, ein gewisses intellektuelles Niveau vorausgesetzt, irgendwann seine kontemplative Entspannung nur noch im Genuss von Werken der Hochkultur finden sollte?

Es gibt da nach meinen Erkenntnissen so etwas wie eine unsichtbare Linie, die ein „wahrhafter Intellektueller“ nicht überschreiten darf, nämlich die, Kulturprodukte des kontemporären Massengeschmacks gut zu finden, einfach weil sie unterhaltsam sind. Natürlich wird es schwer fallen, in dem ein oder anderen Film oder Buch, die letzthin zum Behufe der Unterhaltung produziert wurden einen tieferen Sinn zu finden. Doch in meinen Augen entwertet das diese nicht als Kulturprodukte an sich. Man könnte sich nun natürlich einfach Adornos Diktum vom „Massenbetrug der Kulturindustrie“ zu Eigen machen und sagen: „na klar sind diese Bücher und Filmchen schlecht, sie wurden schließlich von halb gebildeten Menschen zur weiteren Verdummung halb gebildeter Menschen gemacht“. Und wenn man unterstellt, dasa Kulturprodukte nur den Auftrag wahrhaft wertvoller Bildung haben sollten, ist die Aussage auch richtig. Nur ist die Prämisse falsch.

Kultur, oder besser die Kulturprodukte, die wir heutzutage en masse präsentiert bekommen sind, ohne jeden Zweifel, zu einem großen Teil darauf ausgelegt, einem weitgehend billigen Eskapismus zu dienen. In einer Welt, die im Kern schlecht ist, weil sich alles Tun am Primat der Ökonomie ausrichtet und Politik nur noch als geopolitisch-wirtschaftliche Interessen verteidigendes Kampfschach ausgeübt wird, darf es aber wohl kaum verwundern, dass sich die Menschen nach derlei Zerstreuung sehnen, sofern sie überhaupt Zugang dazu erlangen können. Ich denke zumindest nicht, dass es in der Ostukraine noch allzu viele Kinos gibt.

Doch die Tatsache, dass nicht selten eskapistische Fantasien die Leinwände und die Buchseiten dominieren, anstatt nachhaltiger, humanistischer Bildungsangebote oder der Verbreitung enzyklopädischen Wissens, entwertet diesen Part der Kulturindustrie nicht wirklich. Allzu oft schwingen sich die Vertreter einer an aufklärerischen Idealen orientierten Bildung auf das blinde Ross des Dogmas und verurteilen alles, was nicht ihrer Vorstellung von einem guten Kulturprodukt entspricht als überflüssig, kindisch, kitschig, gewaltverherrlichend, dumm und wertlos. Ganz so, als ob das Leben nur aus einer Aneinanderreihung von nachhaltigen, humanistischen, lehrreichen, dem Gemeinwohl dienlichen Idealtaten bestehen würde. Was für ein Nonsens!

Das Leben besteht, auch wenn man das vielleicht gerne anders sähe aus einer Vielzahl monotoner, ermüdender, immer wieder gleichartiger, nur allzu häufig fremdbestimmter Routinen, welche in ihrer Gesamtheit ein durchaus legitimes Streben nach Ablenkung begründen. Man mag – nicht zu Unrecht – befinden, dass das Gesamtwerk Schillers aus der Sicht humanistischer Bildungsideale deutlich mehr Wert habe, als zum Beispiel der Film „Crank“. Aber das Leben ist keine immer weiter aufwärts strebende Spirale der Selbstverbesserung durch Bildung; es ist ein anstrengender, ermattender, gelegentlich hektischer, oft nervtötender und eher selten lustiger Dauerlauf mit ungewissem Ausgang. Ganz ehrlich: wenn ich nach einem wirklich fordernden Tag zu Hause endlich die Kinder ins Bett gebracht habe und auf der Couch niedergesunken bin, scheiße ich auf Schiller! Dann ist es mein verdammtes Recht, mich auch durch Filme und Bücher unterhalten zu fühlen, die eher meine niederen Instinkte bedienen.

Hochkultur vs. Populärkultur ist eine Gegenüberstellung, die lediglich Augenwischerei betreibt, den das Eine und das Andere haben sowohl ihre Daseinsberechtigung als auch ihre Wirkung in unserer komplexen Welt. Selbst wenn man findet, dass zu wenig Leute heute noch Literatur mit aufklärerischer Wirkung im wahrhaft kantianischen Sinne lesen, kann man nicht ernsthaft aktuelle Kulturprodukte abqualifizieren, weil sie offenkundig einfach nur unterhalten wollen. Das ist kindischer, als einen halbwegs ordentlich gemachten Actionfilm gut zu finden. Und deshalb stehe ich dazu, dass ich Actionfilme liebe; ich bin trotzdem immer noch ein halbwegs gebildeter Mensch, der nach mehr (Er)kenntnis strebt. In diesem Sinne…

Nur kurz zum Flugzeugabsturz in den französischen Alpen…

Ich finde es einerseits sehr menschlich und angebracht, den betroffenen Familien auch hier, online mein Beileid zum Verlust auszusprechen und ich selbst wünsche allen Angehörigen viel Kraft in der kommenden Zeit, denn unversehens eines lieben Menschen beraubt zu werden, ist immer tragisch und schmerzhaft.

Allerdings glaube ich ebenso, dass ein gerade aufbrandender Facebook-Hype mit virtuellen Kondolenz-Schleifchen und ähnlichem den tatsächlichen Umständen nicht gerecht wird. Nochmal: es ist absolut bitter, wenn viele, auch junge Menschen durch ein Unglück – und ich weiße hier ausdrücklich darauf hin, dass ich es sehr gut finde, wie besonnen bislang durch die Medien auf das Geschehen reagiert wurde, insbesondere den Verzicht auf wilde Spekulationen über die Unglücksursache  – in den Tod gerissen werden.

Trauer ist jedoch nach meiner Erfahrung etwas sehr persönliches und ich selbst wäre von virtuellen „Kranzniederlegungen“ eventuell gar nicht sehr erbaut. Das Bekunden des Mitgefühls wird im Kontext der sozialen Medien durch das Klicken des Share-Buttons meines Erachtens nämlich auf das Niveau eines Katzenbildchens herunter gewürdigt; und DAS wird dem eventuell individuell empfundenen Verlust nicht wirklich gerecht.

Aber irgendwie habe ich mir auch gerade widersprochen, weil ich ja jetzt in meinem Blog selbst etwas dazu gesagt habe, nicht wahr? Ja, wenn wir mit dem Tod konfrontiert werden und sei es nur in den Medien, ist nichts einfach. Vielleicht ist das mein Punkt – denken, bevor man teilt, auch wenn es nur um eine digitale Trauerkerze geht; insbesondere, weil Mitgefühl auch echte Reflexion des Schmerzes im Anderen erfordert. Und dafür langen der Share- und der Like-Button einfach nicht – weil die für so vieles nicht langen…

Informieren – aber bitte einfach!?

Man sucht nach Attitüde und findet doch oft nur Plattitüde, denn der Text wird zum Toast; die Worte verklebt von einer zähen Masse, die irgendwie mehr nach Chemie schmeckt, denn nach Käse. Künstlich, gekünstelt, dem Stil heiligend lässt das derart Hingekleisterte vielleicht nicht unbedingt innere Kohärenz vermissen, denn eine Geschichte zu erzählen kann man erlernen; als Journalist allemal, aber auch der halbwegs sprachgewandte Normalbürger vermag das sehr wohl. Der Mangel an Substanz und Relevanz jedoch ist allerorten spürbar. Doch das Hauptproblem sind nicht unbedingt jene, die für Recherche und Präsentation ausgebildet, ausgerüstet und bestallt sind. Nein, mediales Desaster trifft uns eher dort, wo die allzu Berufenen ausziehen, ihre Sicht der Dinge kund und zu wissen geben – ganz gleich, ob sie dafür ausgebildet, ausgerüstet oder gar bestallt sind. Sendungsbewusstsein ist eine häufig unterschätzte Macht. Eine, die Berge versetzen kann.

Aber es sind nicht jene, welche andere Leser mit einem Zwischenruf bezüglich eines falsch zitierten Seneca langweilen, um auf ihre eigene Gelehrsamkeit aufmerksam zu machen. Wer kennt denn heute auch noch Seneca? Auch wenn sein Spruch, dass man für die Schule und nicht das Leben lerne durchaus oft mehr Wahrheit in sich trägt, als der vom Volksmund positiv gewendete Gebrauch seiner Worte. Es sind vielmehr solche, die mittels wenig substantieller, dafür aber plakativer Argumentation Meinungsmache betreiben. Die von mir mit sorgfältiger Verachtung betrachtete „Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen“-Fraktion ebenso, wie Leute, die trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dürftiger Informationsbasis durch markiges verbales Dreinschlagen den virtuellen Mob von der Leine lassen können. Und es ist mittlerweile auf Grund eines gewissen Übersättigungseffektes leicht geworden, mal eben einen kleinen Sturm digitaler Entrüstung aufzubauen. Zehn Mal einfacher, als potentielle Leser auf das Verständnis einer unter Umständen komplexen Argumentation einzuschwören. Die meisten haben auf Grund des rasant-simplifizierenden Zuschnitts der Nachrichten ja kaum noch die Geduld zum Beispiel bis hierher zu lesen…!

Da unterschreiben dann 200.000 Menschen eine Petition gegen einen Strafbefehl, der einem selbstfahrenden Notarzt aus Bayern zwecks zweier Anzeigen wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung aufgebrummt wurde. Der Strafbefehl wurde zurückgezogen. Angeblich nicht wegen des medialen Furors, aber da wäre ich mir nicht so sicher. Vollkommen unabhängig davon, was wirklich passiert ist – und das kann ich wirklich nicht beurteilen, weil ich kein Detailwissen über die tatsächlichen Umstände habe – erscheint es mir bedenklich, wenn unsere Justizorgane wegen ein paar möglicherweise wohlmeinenden, jedoch schlechtinformierten Möchtegern-Netzaktivisten „einknicken“. Ich war immer der Meinung, juristische Entscheidungen orientieren sich, wenigstens in unserer bunten Republik, an der Sachlage und nicht an den Befindlichkeiten der Beteiligten; oder irgendwelcher gänzlich unbeteiligter, die ein bisschen Socialmedia-Rumkrakeele inszenieren?

Man möge mich nicht falsch verstehen: ich bin durchaus der Meinung, dass man gegenüber der Blaulichtfahrenden Zunft mit Augenmaß und Zurückhaltung agieren und nicht jeden Schlenker auf die Goldwaage legen sollte; in aller Regel sind wir nämlich im Interesse des Bürgers unterwegs. Hoffentlich sind alle Beteiligten dabei auch mit Augenmaß und Zurückhaltung eilig zugange. Aber auf Grund der eigenen Meinung, deren Fundiertheit doch wohl bei den meisten Unterzeichnern kritisch betrachtet werden muss, medialen Druck auf Justizbehörden aufbauen zu wollen, ist zutiefst undemokratischer Unfug. Das ist nicht, was mit liquid democracy gemeint war. Die Idee, die Abläufe demokratischer Willensbildung transparenter zu machen, um so den eilfertigen Beeinflussern Macht zu entziehen, die aus dem Dunkel wohl informierter und gut bezahlter Seitenkanäle zu den jeweils Mächtigen ihr Geschäft betreiben. Eben das, was wir unter der negativen Notion von Lobbyismus verstehen. Als ich sagte, man müsse sich selbst zur Lobby werden, war ich gedanklich durchaus auch bei der Nutzung von social media. Doch sich in teilweise unwürdiger Form wegen einer Blaulichtgeschichte produzieren, um ein um Einfluss heischendes, öffentliches Interesse zu konstruieren ist social engineering at it’s worst! Vollkommen unabhängig davon, ob nun die Petition tatsächlich der Grund war, oder doch eine behauptete Neubewertung der Beweislage durch eine übergeordnete Justizbehörde. Der Vorgang an sich; nämlich dass 200.000 wildfremde sich zu einem digitalen Mob zusammenrotten ist schon schlimm genug.

Ich sitze nun hier, enttäuscht davon, dass die Mehrzahl der Menschen anscheinend nicht fähig ist, eine Sache die es wert ist von jenen zu unterscheiden, die es nicht wert sind. Und ein selbstfahrender bajuwarischer Notarzt ist eine Petition nicht wert. Er ist höchst individuell für all das verantwortlich, was er tut, oder lässt; so wie jeder andere auch, der im Rettungsdienst tätig ist. Vollkommen gleich, ob es dabei um medizinische Belange geht, oder um logistische, worunter eben auch das Befahren unserer Straßen unter Inanspruchnahme der Sonderrechte fällt. Die Öffentlichkeit zu suchen und ein privates Problem zu einem der Allgemeinheit zu machen ist billige Propaganda und alle, die dabei mitmachen vermutlich unfähig, zu erkennen, dass sie ausgenutzt wurden. Aber man hat ja seinem wutbürgerlichen Furor über „diese Idioten da oben“ – womit im Duktus der Unterzeichner die zuständige Justizbehörde gemeint ist – Luft gemacht und sich so billig das Gefühl erworben, etwas Gutes getan zu haben. Dass man sich dabei hat vor den Karen spannen lassen, um möglicherweise fragwürdiges Handeln im Nachhinein legitimieren zu können, daran hat natürlich keine Sau gedacht.
Nochmal: es geht mir nicht um die Frage, ob er korrekt gefahren ist, oder nicht. Das kann, will und werde ich nicht beurteilen. Sich aber hinterher öffentlich als Opfer einer ungerechten Justiz darzustellen, stinkt für mich geradezu nach versuchter Beeinflussung. Und leider, leider hat es zumindest dem Anschein nach funktioniert. Wenn das die einzige Art ist, auf die meine buntrepublikanischen Mitmenschoiden sich an Gesellschaft beteiligen wollen – nämlich indem sie die legitimen Verfahren der Judikative durch provokative Drohszenarien in Frage stellen – dann könnte ich mir eigentlich jedes weitere Wort hier oder sonst wo sparen. Aber ich bin noch nicht vollkommen verzweifelt. Denn zumindest eines demonstriert die Angelegenheit: man kann sich selbst durchaus zur Lobby werden. Nicht nur bei der Wahl der Ziele und der Vernetzung zum Interessenabgleich ist noch eine Menge Feinarbeit notwendig. Aber social media politics sind ja noch jung…

Anarchisten-Blues 2.0

Ich weiß gar nicht mehr genau, welches der erste Gedanke war, der mich bei den Radiomeldungen am Tag der EZB-Einweihung morgens durchzuckte. Ich kann nicht von der Hand weisen, dass es möglicherweise sogar Belustigung darüber war, dass eine Hand voll Chaoten es tatsächlich geschafft hatte, das öffentliche Leben in unserer Bankenmetropole Nummer eins nachhaltig negativ zu beeinflussen. Ich glaube, ab und an merkt man, dass ich die meisten Banker und ähnliche Berufsgruppen nicht allzu gut leiden kann, weil auch ich sie für, unsere Zukunft verzockende Aasgeier halte. Aber zurück zu den Randalierern; zumindest den Verkehr hatten sie zum Erliegen gebracht, woran die Frankfurter ja aber eigentlich gewöhnt sein sollten. Doch wenige Augenblicke später, als die Rede von Angriffen auf eine Polizeiwache und brennenden Autos war, verschwand meine Belustigung schlagartig und wich Nachdenklichkeit, die sich mittlerweile, mit einem guten Tag Abstand in Wut gewandelt hat. Wut darüber dass sich Blockupy dazu herab lässt, die Randale dieser asozialen Zecken in Schwarz mit der Todsünde der Relativierung zu bedenken, gar als Notwehr zu bezeichnen. In den Köpfen dieser offensichtlich nicht ausreichend in der Demokratie vergraswurzelten Idioten firmiert wohl immer noch das alte, immer noch falsche Diktum: „All Cops Are Bastards“. Wut darüber, dass diese Arschlöcher mit Anarchie-Symbolen immer noch nicht verstanden haben, dass die Philosophie der Anarchisten eine Utopie ist, die zudem nicht mit Gewalt erreicht werden kann. Und schließlich Wut auf linke Politiker, die gesellschaftsfeindliche Randale als einen legitimen Ausdruck zivilen Ungehorsams bezeichnen und die Schuld für die Eskalation, wie stets bei der Polizei suchen.

Das wir uns nicht falsch verstehen: es gibt Polizisten, die Bastarde sind, weil sie sich aufführen wie Scherriffs von Gottes Gnaden. Die weitaus meisten, die ich in Dienstausübung kennen gelernt habe, sind jedoch tatsächlich einfach nur Menschen in Uniform, die ihren Job so gut machen, wie die Gesellschaft und die speziellen Umstände es zulassen. Stichwort Etatkürzungen. Und die Bilder lassen keine unangemessene Eskalation von Seiten der Staatsmacht erkennen. Die Vermummten jedoch, die ohne Provokation Sachwerte abfackeln und Menschen gefährden oder auch verletzen, darunter teilweise Feuerwehrleute und Rettungsdienstkollegen, die lediglich versuchen, größeren Schaden zu vermeiden, sind für mich allesamt Arschlöcher, die eingelocht gehören; von mir aus auch gerne ohne Verfahren und für richtig lange Zeit. Ich mag unsere rechtsstaatlichen Errungenschaften und ich bin üblicherweise stets der Meinung, dass jeder Mensch ein faires Verfahren verdient und das eine halbwegs vitale Demokratie auch mit Provokationen und Anfechtungen umgehen können muss, weil diese stets eine Chance darstellen, sich insgesamt weiter zu entwickeln. Manchmal muss man halt andere Blickwinkel auch mal auf unangenehme Weise gezeigt bekommen.

Doch der schwarze Block hat hier einfach nur Gewalt um der Gewalt Willen zelebriert, um sich an der dabei empfundenen Ohnmacht der Staatsmacht zu ergötzen. Und hat dabei völlig vergessen, dass derlei Verhalten vollkommen antisozial ist. Einen Polizisten zu entmenschlichen, ihn auf seine Funktion als Arm des Staates zu reduzieren ist ebenso wenig zulässig, wie alle in Frankfurt an Demonstrationen Beteiligten dem Möchtegern-Anarchisten-Pack zuzurechnen. Anderer Leute Eigentum abzufackeln ist ein Angriff gegen mich! Ja genau – MICH! Und jeden Anderen, der auch so ein ganz stinknormaler Typ ist, denn ich empfinde durchaus Sympathien für Graswurzelbewegungen, weil ich sie für den Nährboden einer Demokratie 2.0 halte, die wir eigentlich dringend brauchen, wenn wir uns unsere Zukunft nicht vollkommen vom Kapital und seinen politischen Bettgespielen und Erfüllungsgehilfen diktieren lassen müssen wollen. Wenn Blockupy sich aber zum Podium auch für solche Leute macht, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen, weil ihre eigene, armselige Existenz sie quält und sie einfach nicht wissen, wie man seinen Frust sinnvoll und nicht gesellschaftsschädlich abbaut; nämlich eben solche schwarz vermummten asozialen Zecken, dann entwertet sich eine solche Bewegung für mich und jeden anderen, an ernsthaften Ideen für mehr Partizipation interessierten Menschen vollkommen. Denn mit diesem dummen, asozialen, gewalttätigen Randaliererpack will ICH nichts zu tun haben. Und ebenso wenig mit Politikern und so genannten Aktivisten, die sie auch noch in Schutz nehmen.

Ich bin nach wie vor überzeugter Sozialdemokrat, libertärer Geist und Systemkritiker, aber mir ist vor allem wichtig, dass ich Demokrat bin. Und jenen, welche die Randale in Frankfurt verteidigen, lege ich ans Herz, Henry David Thoreau, den geistigen Vater des Begriffes „ziviler Ungehorsam“ zu lesen. Er redet mitnichten der Gewalt das Wort. In diesem Sinne – weitermachen, aber bitte vorher nachdenken!

Es gibt so Zeiten…

…wo man einfach nicht so kann, wie man will. Die letzten Wochen waren so eine Zeit. Arbeitgeberwechsel gepaart mit einer Klausur für’s Studium, deren Vorbereitung viel Zeit in Anspruch genommen hat und den Anforderungen des Familienlebens haben Stunden der Muße für mich zum Luxusartikel werden lassen, was sich auch auf die Häufigkeit meiner Publikationen hier im Blog auswirken musste. Und weil ich nicht einfach irgendeinen Müll zusammen schmieren wollte, nur um mehr Beiträge stehen zu haben, kratzte die virtuelle Feder nicht auf dem digitalen Papier. Aber weder bin ich tot, noch habe ich keine Lust mehr. Ab jetzt geht es wieder öfter weiter. In diesem Sinn: Gute Nacht!

Muss ich meine Prioritäten überdenken?

Ich weiß wirklich nicht, warum Kätzchen- und Kindervideos, Bilder vom persönlichen Mittags- oder Abendmahl, Witze aus allen erdenklichen Schubladen und dieser mittlerweile unerträglich gewordene „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Dreck, den man verdammt nochmal nicht sagen, ja nicht mal denken sollte täglich 1000-fach und öfter geteilt, geliked und kommentiert wird. Um ehrlich zu sein offenbart das in meinen Augen, dass die Gesellschaft um mich herum langsam tatsächlich an dem Punkt anlangt, an dem wir alle fit sind: (f)aul, (i)ndolent und (t)räge (für diese Interpretation kann ich dir gar nicht oft genug DANKE sagen, Jochem). Ich kann an manchen Tagen nicht mal annähernd so viel fressen, wie ich kotzen möchte, wenn ich durch’s Fratzenbuch scrolle und das passiert mir mittlerweile immer öfter. Nicht etwa, weil Facebook plötzlich schlimmer geworden wäre, sondern weil zumindest aus meiner Sicht immer mehr Menschen sich vollkommen im Eskapismus verlieren, alle Kritikfähigkeit verlierend falschen Propheten und ihrer Demagogie hinterher laufen und glauben, sie hätten wirklich eine eigene Meinung; dabei konsumieren sie lediglich Bullshit, der als ganz großes Kino verpackt wird. Sorry, ich brauche jetzt mal eben ein Bügeleisen für meine aufgerollten Zehennägel!

Ja, soziale Medien sind eine ganz hervorragende Bühne für das Paradieren der eigenen Meinung, ganz gleich wie unfundiert, unreflektiert oder auch schlicht dumm diese sein mag. Eine Zeitlang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob ich meine Prioritäten mal wieder überprüfen, ja vielleicht sogar ändern müsste. Ich habe lange nachgedacht, gelesen, wieder nachgedacht, noch Mal gelesen und noch mehr nachgedacht und ich kam niederschmetternder Weise zu dem Ergebnis: NEIN, nicht ICH bin hier zu wenig empathisch, zu unreflektiert und zu wenig Kritikfähig, sondern ganz viele andere. Leute zum Beispiel, die tolle Webmeldungen teilen, in denen die Rede davon ist, dass man ja ganz doll was für Immigranten tun kann, wenn erst mal unsere eigenen Armen abgefüttert sind. Nur so zur Info: die Grundsicherung für Asylbewerber liegt unter dem Hartz-4-Regelsatz, auf den ja noch Wohngeld und verschiedenes Anderes drauf kommt. Natürlich ist der Hartz-4-Satz eine Zumutung für Jene, die Jahrzehntelang gearbeitet haben und unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind; aber er wurde so beschlossen, weil Ende der 90er klar war, dass man das System, wie es bisher existiert hatte nicht mehr würde finanzieren können. Und das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun, sondern damit, dass man die Unternehmen mit der Möglichkeit zur früheren Verrentung dazu eingeladen hatte, Sozialkosten, die sie durch Belastung ihrer Arbeitnehmer erzeugt hatten auf die Renten- und Sozialkassen abzuwälzen. Bei Geschenken für die Wirtschaft war die CDU schon immer große Klasse.

Doch zurück zu den bösen Migranten. Sie nehmen also Geld aus „unseren“ Kassen. Den Umstand, dass viele unserer Mitbürger mit fremden Wurzeln hier seit Jahrzehnten in diese Kassen einzahlen, wird dabei gerne unterschlagen; ebenso wie der Umstand, dass die Mehrzahl von den Neuankömmlingen hier gerne arbeiten würde, dies bei schwebendem Asylverfahren jedoch nicht erlaubt ist. Lasst sie doch an der Wertschöpfung teilnehmen, solange darüber beraten wird, ob sie hier bleiben können/müssen oder nicht. Zu tun gäbe es genug. Und um Louis C K hier mal zumindest sinngemäß zu zitieren: “Klar nehmen Ausländer dir deine Arbeit weg. Aber wenn jemand ohne Sprachkenntnisse, ohne Verbindungen und ohne Lobby das kann, dann bist DU vielleicht einfach nur Scheiße!“ Ohne Polemik kann man sagen, dass unser Wirtschaftssystem, dass nur auf dem dummen Prinzip des „immer mehr“ basiert auch immer neue Arbeitskräfte absorbieren und nutzen kann. Angst vor Überfremdung? Wenn überhaupt irgendetwas auf der Erde konstant ist, dann der Wandel. Unsere Welt verändert sich ständig. Wirtschaftlich, politisch, sozial, technisch, einfach alles ist in Bewegung. Eingedenk dieser Tatsache kann man doch nicht ernsthaft erwarten, dass ausgerechnet die eigene kleine Umwelt davon ausgespart bleibt. Zudem steht jede entwickelte Industrienation vor dem gleichen Problem: stagnierende Geburtenraten, die langfristig zu einer Negativentwicklung der Bevölkerungszahlen führen. Anscheinend führt eine Zunahme des Wohlstandes zu einem Abnehmen der Gebärfreudigkeit. Das mag damit zusammenhängen, dass in weniger entwickelten Nationen Kinder für die Versorgung ihrer Eltern im Alter sorgen müssen. Halbwegs entwickelte Sozialversicherungssysteme machen derlei obsolet.

Da waren sie also, meine Prioritäten, um sie noch mal kurz aufzuzählen: Migration? Check, immer noch aktuell, immer noch zu viele Blödköpfe, die einfach nicht kapieren, dass so lange wir beim aktuellen Modell des Kapitalismus bleiben, wir uns Migration nicht verschließen können, weil sonst unsere Wirtschaft den Bach runter geht. Und bis es eine neue Wirtschaftsform gibt kann noch einige Zeit vergehen. Womit wir nahtlos zu sozialer Gerechtigkeit kämen – Check, auch hier bleiben noch einige verbale Lanzen zu brechen, bis wenigstens ein paar begriffen haben, dass Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik untrennbar verbunden sind. Ja genau – Bildung! Check, da bleiben noch einige televerbale Entgleisungen meinerseits zu erledigen: NEIN unser Bildungswesen ist nicht gut, NEIN früher war nicht alles besser! Die aktuelle Politik? Check; aber da fange ich gar nicht erst an, sonst trifft mich der Schlag. Dschihadisten und Salafisten, Außen- und Sicherheitspolitik, Beziehungen zu anderen Staaten… da gibt’s einiges zu bedenken.

Ob ich arrogant bin? Ja gelegentlich ganz sicher und zwar, weil ich es mir leisten kann, denn ich habe über das, was ich hier von Stapel lasse zuvor gründlich nachgedacht, recherchiert und auch diskutiert! Und ich kann es öffentlich zugeben, wenn ich mich mal irre. Aber meine Prioritäten und das Meinungsfundament, auf welchem sie stehen haben solide Wurzeln, die noch einige Belastungen aushalten werden. Und das ist auch wichtig, wenn ich mich vielleicht irgendwann doch anschicke, von der Position des Beobachters in die des Akteurs zu wechseln. Vielleicht nicht schnell und vielleicht nicht gleich ganz, aber irgendwann ganz sicher. In diesem Sinne, immer schön weiter den Dummschwätzern nachlabern und Dummes tun, damit ich was zum Zerfetzen habe…

Good old Bildungshysterie

Dieses Rumhysterisieren, dass mit der Bildung früher alles besser war und dieser Hype darum, dass man als Kind der 70er ja so viel cooler und normaler aufgewachsen ist, als dies heute der Fall sei, geht mir jetzt so langsam auf den Sack – und zwar gehörig. Doch zuerst zur Bildung. Ich finde es auch fragwürdig, dass jede Legislaturperiode das Rad der Bildungspolitik neu zu erfinden versuchen muss, denn obwohl sich vielleicht das Verständnis um die Kognitionspsychologie im Lauf der Zeit erweitert haben mag, ist die Zahl der als bewährt geltenden Methoden der Unterrichtung doch bis heute recht überschaubar. Dennoch führt ein verändertes Farbenspektrum in der personellen Besetzung von Ministerien stets dazu, dass auch um jeden Preis veränderte Akzente in der Politikgestaltung gesetzt werden müssen; getreu dem Motto: „Sehr her, wir machen das jetzt anders!“

Das anders nicht unbedingt besser bedeutet weiß jeder, der mal einen Wechsel an der Spitze eines Unternehmens aus erster Hand erleben durfte, denn letztlich ist das, was da in irgendwelchen Verwaltungen geschieht nichts anderes, als das „Neue-Besen-kehren-gut“-Syndrom, dass man häufig bei der Vergabe von Führungsposten beobachten kann. Bezogen auf unser Bildungswesen finde ich es besonders belustigend, dass man infolgedessen überall die Grabenlinie „links = progressiv = Vernichtung unserer edlen humanistischen Bildungstradition“ versus „rechts = konservativ = Beförderung sozialer Ungleichheit durch überkommene Strukturen“ ausmachen kann. Und beide Seiten hauen sich das genüsslich um die Ohren, setzen politisches Weltbild mit Bildungsrealität gleich und liefern sich ideologische Gefechte, die an den realen Umständen vollkommen vorbei gehen und den Opfern von Bildungspolitik – vulgo unseren Kindern – kein Stück weiter helfen.

Da wird die Aufweichung von Bildungsstandards beklagt, die zunehmende Unfähigkeit von Schulabgängern hinsichtlich Schriftsprache, Grundrechenarten, etc. und dabei immerzu darauf hingewiesen, dass der jeweilige ideologische Gegner gerade dabei sei, die Zukunft unserer Nation, die ja in den Händen unseres Nachwuchses liegt – wenigstens dabei sind sich korrekter Weise alle einig – aus Unfähigkeit auf’s Spiel zu setzen. Doch genau das, nämlich die Zukunft folgender Generationen auf’s Spiel setzen haben alle Regierungen in Bund und Ländern in den letzten 30 Jahren getan, indem sie die Bildungssysteme samt und sonders auf Verschleiß gefahren haben, sich auf den vermeintlichen Lorbeeren der Bildungsexpansion ausruhend. Anstatt dem wirtschaftlich-finanziellen Komplex die Kohle vorne und hinten reinzuschaufeln, um Ungleichheiten auszubauen und zu zementieren hätte man – so man Weitblick besessen hätte, der über die nächste Wahl hinausreichte – Bildungs-, Sozial- und Fiskalpolitik als das begreifen können, was sie sind; nämlich untrennbar verbunden. Nur dann hätte man sich ja nicht in bequemen Lobbyarrangements einrichten und auf Friede-Freude-Eierkuchen machen können. Und auch Politiker sind nun mal Harmoniebedürftig.

Dieses ganze Geseire um verfehlte Bildungspolitik, an der immer nur die Anderen Schuld haben, geht also vollkommen an des Pudels Kern vorbei. Vielmehr müsste unser komplettes Bildungswesen auf den Prüfstand, unter der Prämisse, dass man tatsächlich bereit wäre, frisches Geld in die Hand zu nehmen und – sofern sinnvoll – auch neueren Ansätzen mehr Raum zu geben. Eine deutliche Verbesserung schulischer wie hochschulischer Infrastruktur und personeller Ausstattung ist eine Sache, ebenso muss aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der frühen Dreigliedrigkeit unseres Schulwesens neu gestellt werden. Der Sinn immer weiter um sich greifender Akademisierung darf ebenso hinterfragt werden, wie das Beharren auf tradierten Unterrichtsformen. Aber all dies müsste parallel und ohne Parteiideologisches Gezuchtel geschehen. Doch dafür sind weder unsere Gesellschaft, noch jene, die sich offenkundig berufen fühlen, sie zu gestalten wohl schon reif genug. Sich aber stattdessen mit dem immerzu anklagenden Zeigefinger zufrieden zu geben, ist der Wichtigkeit der vielen, eigentlich jetzt anstehenden Probleme nicht angemessen. Und einmal mehr gilt Ghandi: sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Das bleibt gültig, auch wenn sein soziales Weltbild mittlerweile kritisch betrachtet werden muss.

Aber mit diesem Gejammer über das angeblich nicht mehr stattfindende Anhäufen enzyklopädischen Wissens, den auch viele im Bildungsgeschäft Tätige immer noch mit wahrer Bildung verwechseln, hört doch jetzt bitte mal auf. Das wird langweilig und hilft keinem weiter. Und nun, da ich mit dem eigentlich wichtigen Teil fertig bin, noch ein paar gut gemeinte Worte an all jene, die auf Facebook jeden Tag tausendfach diesen Müll teilen, wie toll sie doch sind, weil sie die 70er überlebt haben. Diese Periode war die letzte, in der hierzulande noch der ungebremste Wohlstandszuwachs und Fortschrittsglaube die Welt zu regieren schienen, während überall sonst der Friede längst am zerbrechen war. Auch ich bin in jener Zeit Kind gewesen; Kind in einer der reichsten Nationen auf dem Globus, umgeben von allem, was damals das Herz begehren konnte. Die Welt hat sich seitdem geändert und neue Zeiten bringen neue Kulturformen hervor. Hätte ich mit 10 einen Computer, ein Tablet und ein Smartphone gehabt… Tut doch bitte nicht alle so, als wäre es eure Leistung, in den 70ern aufgewachsen zu sein. Wenn Überhaupt, so war es die Leistung eurer Eltern, die all das ermöglicht haben! Ich kann’s nicht mehr sehen oder hören, wie ihr euch einen darauf runterholt, damals geboren zu sein. Ja es war ‘ne geile Zeit, aber wenn es überhaupt irgendwas gibt, worauf man stolz sein sollte, dann dafür zu sorgen, dass DIESES Jahrzehnt für die eigenen Kinder auch eine geile Zeit gewesen sein wird, wenn die irgendwann zurück blicken. Hoffentlich gibt’s dann aber kein Facebook mehr, wo unsere Kinder sich dann…

Verdammt, ich bin Egoist!

Diese Erkenntnis traf mich die Tage, als ich bei der Nachricht, dass ein guter Freund mit einer durchaus nicht unernsten Erkrankung im Krankenhaus liegen würde, zuvorderst daran dachte, wie sehr ich die Zeit mit ihm missen würde; und dass es verdammt nochmal unfair wäre, wenn wir nicht dazu kämen, eine gemeinsam erzählte Geschichte (er ist genau wie ich leidenschaftlicher Fantasy-Rollenspieler), in die alle Teilnehmer viel Zeit und Herzblut investiert haben, zu einem würdigen Ende zu bringen. Und in der nächsten Sekunde schalt ich mich dafür, wie ich nur so unsensibel sein und MEINE Erwartungen mit ins Spiel bringen kann, wenn es doch jetzt um seine Gesundheit geht. Was dazu führte, dass ich eine ganze Weile nachdenken musste. Zuerst unbewusst, doch immer mehr schälten sich aus, zunächst inkohärenten Gedanken Strukturen, die den ersten Impuls in einem nicht ganz so schlechten Licht erscheinen lassen (zumindest hoffe ich das!).

Ganz unverblümt muss ich sagen, dass wir einander nach einer langen Phase der Stille als Freunde wieder gefunden haben und dass ich seine sehr direkte und erdverbundene Art zu schätzen weiß. Die doch relativ große Gelassenheit, mit der er eine chronische Erkrankung hinnimmt und den Menschen um sich herum dennoch – auf seine besondere Art – immer etwas zu geben versteht, macht mich einfach immer wieder glücklich, ihn zu kennen. Auch wenn er manchmal hart zu mir sein kann. Ich brauche das! Das erdet mich und holt mich auch gelegentlich runter, wenn ich mich verrannt habe. Ohne dass wir darum allzu großen Bohei machen müssen. Bei guten Freunden ist das halt so. Und es gibt wenig genug Menschen in meinem Leben, von denen ich das so sagen würde.

Womit wir zum egoistischen Part kämen. Ich denke, dass es umgekehrt genauso läuft, denn wir lachen zusammen, haben wann immer wir miteinander etwas unternehmen eine gute Zeit, lassen die Sorgen nicht zu schwer werden und da ist diese Sicherheit, den Anderen rufen zu können, wenn irgendwas ist. Geben ist leicht, wenn man im Gegenzug auch etwas dafür bekommt. Das ist es, was unser Miteinander ausmacht; zu wissen, dass man zu jeder Zeit etwas zurück bekommt, wenn man es nötig hat. Freundschaft ist ein Investment auf gegenseitiger Basis zwischen Menschen, die sich verstehen, ohne allzu viele Worte machen zu müssen. Ich denke, er würde sich ganz ähnlich äußern, wenn das sein Stil wäre. Sich Sorgen machen und sich fragen, ob wir wohl noch Mal so gute Zeiten zusammen haben können. Im Moment sieht es danach aus, als ob wir uns da keine Sorgen machen müssten, aber man weiß ja nie. Und genau deshalb schäme ich mich nicht für mein kleines bisschen Egoismus. Weil ich weiß, dass wie beide wissen, dass diese gemeinsame Zeit kostbar ist und durch nichts ersetzt werden kann. Dass wir beide daran hängen und hoffen, dass es noch lange so sein möge, auch wenn niemand dafür garantieren kann.

Natürlich habe ich ihn am nächsten Tag im Krankenhaus besucht, wir haben uns lange unterhalten und ich hätte ihm sehr gewünscht, dass es ihm schon besser ginge, aber jeder, der schon mal einen lieben Menschen im Krankenhaus besucht hat weiß, dass diese Situation für beide Seiten beschissen ist, weil derjenige der liegt nicht derjenige sein kann, der er wäre, wenn alles in Ordnung wäre. Sich trotzdem zu vergewissern, dass die Dinge in nächster Zeit wieder halbwegs ins Lot kommen ist dennoch für alle Beteiligten wichtig. Für ihn, damit er weiß, dass auf der anderen Seite der hässlichen Krankenhauswände Menschen auf ihn warten, denen er etwas bedeutet; und für mich, um mir selbst beweisen zu können, dass dieses bisschen Egoismus, dass ich eben an den Tag gelegt habe nicht so schlimm ist, weil ich dennoch für meinen Freund da bin, ohne daraus erwachsende Verpflichtungen und ohne Wenn und Aber. So würde ich es mir umgekehrt auch wünschen. Weil manche Dinge wichtig sind…

Da geht man so durch die Stadt…

Boeser_Blick_klein

 

Ich finde es bemerkenswert, mit welcher Hingabe manche Menschen unser urbanes Lebensumfeld „verzieren“. Man mag natürlich geteilter Meinung hinsichtlich des Inhaltes dieses Graffitis sein, aber wie ich finde, hat der Macher sein intendiertes „Opfer“ ganz gut getroffen und ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll; aber die Tagline „böse Menschen, böse Leader“ finde ich nicht vollkommen unzutreffend. Es ist ein Hinweis darauf, dass wir uns schon sehr genau ansehen sollten, wem wir die Führung unseres Staates da so anvertraut haben. Und ob es nicht vielleicht doch Alternativen zu deren Vorgehen gibt, die man nur deshalb nicht offenbart, weil es jene, die sich Lobbyisten in Anzügen mit dicken Dienstwagen und noch dickeren Büros leisten können Geld und Einfluss kosten könnte…? Wie dem auch sei, hiermit meine Verneigung vor dem Künstler – es bleibt zwar Sachbeschädigung (das muss ich sagen, um die Spießer unter meinen Lesern zu beruhigen) und ist für mich dennoch ein Hinweis darauf, dass, um es mal mit Shakespears Worten zu sagen etwas faul ist im Staate Dänemark (ich meine natürlich Deutschland). Gute Nacht.