Ich will keine guten Vorsätze!

Die sind für den Arsch. Menschen machen ja zu Silvester kuriose Sachen, wie z.B. Blei gießen, Unmengen lauter, bunter Lichter um sich schießen und saufen, bis die Rettung kommt. Na gut, das Letztere machen sie eigentlich das ganze Jahr über. Aber sich gute Vorsätze für’s kommende Jahr vornehmen ist, als wenn man sich nur einen Zehner mit zum Shoppen nimmt, aber die Kreditkarten nicht aus dem Geldbeutel legt; also, wie schon bemerkt, für den Arsch.

Ich verurteile Niemanden, wenn er zum Jahreswechsel ein bisschen übermütig wird. Mache ich ja selbst auch. Ist eine willkommene Abwechslung zum schmuddelig-dunklen Wettereinerlei und der überall stattfindenden Bilanz-Zieherei, quasi ein rezeptfreies Antidepressivum. Man trifft sich, lässt die Sau raus, am nächsten Morgen – na ja, vielleicht eher Mittag – ist wieder gut, alle gehen ihrer Wege und Alles bleibt beim Alten. Denn so sehr wir uns auch darauf versteifen, dass ein neues Jahr wie eine neue Chance für das eigene Leben ist, Wandel entsteht nur, wenn man sich selbst wandelt, anstatt dazusitzen und zu hoffen, dass 20xx es schon richten wird. Zeit vergeht. Sie vergeht nicht für jeden gleich, das ist auch so eine Wahrnehmungsgeschichte, aber zurückdrehen lässt sie sich niemals. Und weil es ziemlich einfach ist, am eigenen Tun oder Lassen irgendwas Negatives zu finden, fallen die oben erwähnten Bilanzen dann zumeist auch eher ernüchternd aus.

Dies oder jenes nicht geschafft, ja nicht mal in Angriff genommen; hier eine Chance verpasst, da eine schlechte Entscheidung getroffen. Selbstzerfleischung und die daraus unweigerlich resultierenden Selbstzweifel brauchen am Ende eines weiteren nicht allzu erfolgreichen Jahres ein Pflaster, woraus folgt: Silvester muss geil sein, prall gefüllt mit Action und guten Vorsätzen. Was muss nicht alles besser werden… Das allein das Fassen guter Vorsätze schon die nächste Silvesterpflasterwürdige Enttäuschung in sich trägt, wird dabei gerne geflissentlich übersehen. Menschen ändern sich langsam, mit zunehmendem Alter immer schwerer und eine realistische Selbsteinschätzung abgeben zu können ist etwas, dass unsere Spezies erst noch lernen muss. Das kann man gut beobachten, wenn man mal seinen Kollegen bei der Arbeit und dann bei ihren Berichten davon während formloser Anlässe, zum Beispiel am Wasserloch zusieht. Die dabei zu beobachtende Inkongruenz zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und dem Bericht darüber ist mir persönlich schon zu oft negativ aufgefallen.

Da sitzt man nun also in der Silvesternacht oder am Neujahrsmorgen in unerfreulicher Selbstbeschau und um die Geister der vergangenen Weihnacht zu verjagen, beschließt man, ab jetzt aber auch so richtig alles anders zu machen. Besser, größer, schöner, ehrlicher, und so weiter und so fort. Weil drunter geht es ja in unserem Zeitalter nicht. Und rumms, keine zwei Wochen später, wenn es überhaupt so lange dauert, ist man in eines der selbst ausgelegten Bäreneisen getreten. Zunächst versucht man noch verzweifelt, den eigenen Zielvorgaben gerecht zu werden, aber spätestens im Frühling beginnt sich das Gefühl auszubreiten, dass man ja noch jung ist und es dieses Jahr mal wieder etwas ruhiger angehen sollte. Es kommt ja wieder ein neues Silvester. Und was lernen wir daraus? Gute Vorsätze sind ein Selbstbetrug auf Zeit mit 100% Enttäuscht-werden-Garantie. So was brauch ich und will ich nicht!

Mir wäre es lieber, wenn man immer mal wieder über sich selbst und seine Beziehungen, über das was man für sich und andere erreicht hat, das was man noch erreichen will und die möglichen Wege dorthin nachdenkt, vollkommen unabhängig davon, ob Silvester ist, oder nicht. Diese Nacht ist ein Rite de Passage, sie markiert den Umkehrpunkt, ab dem der Lebenszyklus durch die Jahreszeiten von neuem beginnt. Würden wir den Jahreswechsel Ende Juni begehen, hätten wir trotzdem in einer Mittwinternacht ein Fest, welches dieses Ereignis begeht. Schließlich braucht man einen halbwegs glaubwürdigen Grund zum Feiern. Feiern ist auch in Ordnung, aber bitte nehmt euch keine guten Vorsätze vor, sondern denkt lieber öfter mal über euch und euer Leben nach, das bringt viel mehr. Und zusammen einen saufen kann man eh immer, wenn einem danach ist.

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