Glaub ich nicht!

Ich habe neulich, wenn ich mich noch recht entsinne, mal geschrieben, dass ich Sakralbauwerke eigentlich fast nur zum Zwecke des Fotografierens betrete. Wenn man mal von den wenigen Gelegenheiten absieht, da Familienfeiern etwas mit einem Kirchgang zu tun haben; Hochzeiten, Weihnachten und so was eben. Für sich betrachtet weist diese Bemerkung auf zwei Dinge hin: meine Liebe zum Fotografieren und mein ambivalentes Verhältnis zur Religion. Bezüglich des Ersteren gibt es, zumindest im Moment wenig zu sagen, da ich weder gut genug bin, um anderen Tipps geben zu können; da gibt es gewiss berufenere Kandidaten. Noch bin ich bereit, meine ganz persönlichen gestalterischen Vorstellungen zu diskutieren. Sie reflektieren meinen Geschmack und über den streitet man nicht.

Mitnichten bedeuten seltene Kirchenbesuche indes, dass ich nicht glauben würde. Würde ich meinen Glauben kurz beschreiben wollen, so würde ich sagen, dass es nach meiner Meinung keines Beweises für das Existieren höherer Mächte bedarf, wenn man glauben will; dass sie sich einem aufmerksamen Beobachter aber zumindest indirekt gelegentlich offenbaren. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass jeder Mensch eine spirituelle Seite in sich trägt, deren Bedürfnisse befriedigt werden wollen. Was man dafür glaubt, oder an wen, spielt somit keine Rolle, sofern man nur einen individuell passenden Fokus für die metaphysischen Aspekte seines Seins zur Hand hat. Heidegger würde mich vielleicht steinigen, aber das ist mir Wumpe. Ich glaube an eine schöpferische Kraft, die jenseits dessen liegt, was wir mit unseren normalen Sinnen erfassen können, die unser Leben manchmal bereichert – z.B. mit Inspiration – uns aber gelegentlich auch prüft! Ich gebe ihr keinen Namen und mache mir kein Bild von ihr, ansonsten war’s das mit meiner Christlichkeit aber auch schon, denn organisierte Religion beglückt mich nur wenig.

Ich sagte, dass wir vermutlich alle das Bedürfnis haben, an etwas zu glauben. Religionen allerdings, oder besser gesagt die Organisation dahinter, also der jeweilige obere Klerus kommen mir mittlerweile vor wie Meth-Dealer. Sie verteilen das Opium für’s Volk – schönen Dank an Karl Marx – bzw. sie delegieren diese Tätigkeit an Menschen, die durch ihre eigene, vermutlich zumeist sehr ehrliche Gläubigkeit andere zum Glauben bringen, oder dies wenigstens versuchen. Dass sie damit jedoch helfen, etwas Freies, zutiefst menschliches durch Liturgien und Regeln in ein Korsett der Konformität und Unfreiheit zwingen, welches lediglich eine andere Art von Kontrolle über das Individuum repräsentiert, ist für mich pure Ironie des Schicksals. Wenn ich mich doch darüber freue, dass jemand an das Gleiche glaubt wie ich, warum muss ich ihm dann Regeln für das richtige Glauben aufzwingen? So oft ich darüber nachdenke, habe ich nie begriffen, warum Menschen sich überhaupt darauf einlassen. Ich meine, beim Steuern zahlen und Gesetze befolgen hat man keine Wahl. Was aber auch gut ist, weil die Gesetze einem friedlichen Koexistieren dienen und die Steuern einerseits helfen, soziale Härte zu dämpfen, andererseits Zugang zu Bildung, Grundversorgung und Infrastruktur sicherstellen sollen. Dass das nicht immer so klappt, wie ursprünglich gedacht, steht auf einem anderen Blatt…

Beim Glauben jedoch, der etwas sehr persönliches ist, gibt man seine Autonomie frohen Herzens an jemanden, dessen Intentionen nur schwer zu durchschauen sind? Und das womöglich als notorischer Steuerhinterzieher? Seltsam, oder? Nun ist es ja so, dass die Kirchen für sich beanspruchen, moralische Instanzen zu sein, Institutionen, die zu den Fragen nach dem Sinn (die sich jeder stellt) und nach Maßstäben für das Handeln auch in extremen Situationen für jeden gültige Antworten parat haben. Aber ist das tatsächlich so?

Es erscheint uns oft so, als wenn die Verlautbarungen der Kirche zu den verschiedensten Fragen des Alltags von einer gewissen Gestrigkeit umwölkt wären, von einem wenig realistischen Blick auf das Hier und jetzt. Als wenn die Interpretation alter Schriften und Doktrinen wenig Fruchtbares zu den Problemen der Neuzeit beizutragen hätte. Manchmal ist das auch so, wenn man sich zum Beispiel ansieht, wie die Frau Käßmann sich mit ihrem Kaffeehauspazifismus vergaloppiert hat. Oder an denen Dogmen der katholischen Kirche rings um Alles, was mit der Ehe und dem Beischlafe zu tun hat. Doch gibt es tatsächlich Fragen, die uns neu erscheinen, aber in Wirklichkeit verdammt alt sind und denen man durchaus mit den moral-ethischen Mitteln älteren Datums beikommen kann. Aber die Fähigkeit, Überliefertes richtig transponiert, richtig dosiert im richtigen Moment anzuwenden, die scheint Mangelware zu sein. Ein Grund, weshalb mich organisierte Religion so wenig beglückt.

Ich brauche zum glauben keine Bauwerke, obwohl mich die Hingabe, mit der Glaube in vergangenen Generationen zu Stein geworden ist immer wieder fasziniert. Ich brauche zum glauben keine Regeln und will folglich auch keine, verstehe aber Menschen, die in der Gemeinschaft, welche eine Liturgie und ein besonderer Ort zu stiften vermögen Trost, Ruhe und vielleicht auch Orientierung suchen. Was mich aber immer wieder irritiert ist der Missbrauch, welchen Religion im Namen dieses oder jenes Ziels erfährt; der Missbrauch, der uns als Weltgemeinschaft mit dem Schrecken des Terrors überzieht. Ist es nicht immer wieder erschreckend, wie wenige faule Äpfel man braucht, um eine Kiste zu verderben; manchmal reicht ein einziger. Denn da wo die Religion missbraucht wird, um falsche Wege aus säkularem Elend zu weisen, degeneriert das, was die Irregleiteten nun als ihren Glauben wahrnehmen, zu einer Schimäre, die so vieles verspricht und doch nichts hält; verbreitet von falschen Propheten. Dieses Missbrauchspotential, das jeden Tag irgendwo von irgendwem auf irgendeine Art ausgeschöpft wird ist es, was mich von der organisierten Religion wegtreibt. Und ich meine damit beileibe nicht nur islamische Hassprediger, obwohl bestimmt so mancher gerade jetzt an gerade die gedacht hat! Aber jede Art von organisierter Religion konnte und kann so ge- bzw. missbraucht werden. Darum glaube ich nicht, dass ich so bald zum Gläubigen im kirchlichen Sinne werde. Und was glaubt ihr so, dass ihr glaubt…?

Optimal ist aus!

Irgendjemand hat neulich mal zu mir gesagt, dass ich ihm ein bisschen vorkäme, wie Jason Stathams Charakter in „The Transporter“. Natürlich weder so athletisch, noch so kampferprobt, dazu habe ich die letzten Jahre ein wenig zu gerne gegessen und ein wenig zu ungern trainiert. Aber ich sei ähnlich akribisch im Streben nach dem Optimum. Das bezog sich in der Hauptsache auf mein berufliches Tun, aber letztlich musste ich nach einer Weile des Sinnierens feststellen, dass das auch für andere Bereiche meines Lebens zutrifft; dieser Drang 100% zu erreichen. Diese 100% bedeuten für mich, aus dem Wenigen das manchmal zur Verfügung steht – an Ressourcen, an Zeit, an Ausrüstung – das mögliche Optimum zu erzielen. Es geht also um Effizienz. Oder besser darum, dass man ein solches Maß an Effizienz nicht ohne Unterstützung und vor allem nicht dauernd bieten kann, egal wie sehr man sich auch anstrengen mag. Doch von dem rationalen Begreifen dieses Faktums bis zum emotionalen darauf einlassen ist es ein weiter und steiniger Weg…

Der „Transporter“ hat ein paar Regeln, an die er sich immer hält; bis zu diesem einen Tag, als er nicht ignorieren mehr kann, dass seine Fracht in einer Notlage ist. Dieses Bild lässt sich ebenso übertragen, nur dass es bei der Notlage nicht um eine fremde Person, eben das Paket im Kofferraum eines großen Audis geht, sondern um einen selbst. Ich wünschte wirklich, ich könnte sagen, dass mir der Vergleich schmeichelt, doch irgendwie symbolisiert dieses Fixiert Sein auf Akkuratesse, auf Effizienz und Geschäftsmäßigkeit im Fremdbezug zwanghaftes Verhalten. Ich habe zwar keine schwarzen Anzüge in Reih und Glied im Schrank hängen, doch der sanfte Anklang eines zwanghaften Verhaltens hinsichtlich meines Dranges, immer das Beste erreichen zu wollen, ja zu müssen lässt sich leider kaum verheimlichen.

Jeder hat Idealvorstellungen von bestimmten Orten, von bestimmten Zuständen und Zielen, von sich selbst im Kopf, die einen manchmal dazu bringen, Dinge zu tun, egal ob diese nun gut für einen sind oder nicht. Mein Selbstbild, so wie es jetzt ist, verlangt von mir diese Effizienz, 100% der Mann zu sein, den Andere in mir sehen sollen; ein Vorbild, ein verlässlicher Kollege, bzw. Partner, ein Fels in der Brandung, eine Art Marke, sowohl als Orientierungspunkt, als auch symbolisch, wie bei einem Markenzeichen. Insbesondere wenn ich junge Berufsanfänger auf ihren Wegen ein Stück begleite. Leading bei example, was natürlich verlangt, ein gutes Beispiel zu geben. Dabei bin ich in den letzten anderthalb Jahren regelmäßig über meine eigentlichen Belastungsgrenzen hinausgegangen, habe mich immer wieder motiviert, dass die Durststrecke schon bald vorüber sein werde, dass auch wieder bessere Zeiten kommen, dass am Ende schon alles gut wird. Doch das erhoffte Ende, der ersehnte Wandel sind nicht in Sicht; und ich am Grunde des Fasses angelangt, aus welchem ich bis zuletzt weiter geschöpft habe. Doch meine Reserven sind erschöpft, meine Zuversicht beim Teufel und mein Optimum… tja, ich weiß nicht, ob ich nochmal dahin komme, nein nochmal dahin kommen will.

Denn würde ich alsbald so weiter machen, wie bisher, würde ich in zwei, vielleicht drei Jahren, wahrscheinlich aber viele eher wieder da stehen, wo ich jetzt bin und das will ich nicht, weil ich Verantwortung habe; für mich, meine Familie und meine wahren Freunde an allererster Stelle. Erst weit danach kommen all Jene, denen ich nebenher immerzu auch gegeben habe. Es wird mir – zumindest anfangs – wehtun und es wird ihnen wehtun, aber ich muss mich ändern. Ich muss und werde ein Anderer werden, weil ich sonst an meinem alten Ich kaputt gehen werde. Und wenn der eine oder andere zu mir kommen und mich anmachen wird, das ich mich verändert hätte, so werde ich vielleicht nicht gleich darauf scheißen, sondern erst, wenn derjenige sich selbst auch mal gefragt hat, ob sein eigenes Ich denn so richtig in Ordnung ist, und danach immer noch rumnölt.

Wir als Menschen sind soziale Wesen; wir haben einen hoffentlich halbwegs festen Charakter und sind doch auch immer einem Veränderungsprozess unterworfen, der unsere Beziehungen stets mit verändert. Motor dessen ist, wie ich vermute, die ungebrochene Bestrebung des Menschen nach Veränderung, vor allem nach Verbesserung. Doch auch wenn man es schafft, für sich selbst das in unserer Zeit leider wildwuchernde Primat der Notwendigkeit zur Selbstoptimierung zu verneinen, steckt man immer noch im sozialen Geflecht und wird sich Anfeindungen ausgesetzt sehen, wenn man sich den allgemeinen „Standards“ wiedersetzt. Ich sehe mich nun der Notwendigkeit gegenüber, diese Anfeindungen zu ertragen und so herausfinden zu können, wer mir wohl meint und wer nur von meiner Energie partizipieren will. Ich habe ein bisschen Angst davor; trotzdem bin ich gespannt, wohin der Weg führt. Denn wer mich fürderhin begleitet, wird vermutlich, genau wie ich selbst, Überraschungen erleben dürfen…

Krieg ist Scheiße, Wegschauen noch schlimmer!

Stellt euch mal vor, es ist Krieg und keiner geht hin! Der Satz ist ziemlich alt, dementsprechend auch schon recht abgedroschen, aber er passt auf die aktuelle Situation, wie die Faust auf’s Auge passen würde, wenn man sich denn dazu entschlösse, seiner Völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen. Wie jetzt, der Autor dieser Zeilen ist ein Kriegstreiber? Ja, ja, danke geschenkt, macht mich an, wenn ihr so viel besser wisst, dass niemals mehr ein Deutscher außerhalb der Grenzen unseres Landes kämpfen darf, Nazi-Vergangenheit sei Dank. Dass wir eine Truppe haben, die nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden darf und dann auch nur schießen darf, nachdem sie den feindlichen Panzer, oder was auch immer höflich zum Anhalten aufgefordert hat; drei Mal und mit dem notwendigen Vierfarbformularvordruck. Habt ihr den Knall nicht gehört?

Nur für den Fall, dass all die Kaffeehauspazifisten, die durch meine Worte eh nicht davon zu überzeugen sind, dass unsere Welt sich als Dauerkriegsschauplatz darstellt und wir Deutschen nur zufällig das Glück hatten, die längste Friedensperiode in der europäischen Geschichte erleben zu dürfen, die es je gab vielleicht doch mal zum Überdenken ihres Hardcore-Im-Stich-Lassens der Weltgemeinschaft zu bewegen wären: Schon seit 15 Jahren kämpft die Bundeswehr nicht mehr ausschließlich zur Landesverteidigung, unsere Truppen lassen sich bestimmt nicht wehrlos beschießen, bis der Gegner keine Lust oder keine Munition mehr hat und regelmäßig kommen Särge zurück in die Heimat. Ich habe keine Ahnung, mit wie viel Enthusiasmus oder Ablehnung diese Männer und Frauen ihrem Auftrag gegenüber stehen, aber sie erfüllen ihn, erfüllen ihre Pflicht, ohne viel Gesäusel.

Ich will nicht sagen, dass ich es gut finde, wenn irgendwo Kriege stattfinden; und noch viel weniger bin ich ein Fan davon, sofort in jeden Konflikt hinein zu rennen. Ich bewundere eher Frank-Walter Steinmeiers Ausdauer als Vermittler, obwohl er doch selbst weiß, wie aussichtslos sein stiller Kampf gegen Betonköpfe vermutlich ist. Aber es gibt Situationen, in denen ein Kampf unausweichlich ist, weil man sich einem Gegner stellen muss, der einfach nur die Welt brennen sehen will. Und solche Leute gibt es. Würde er eine Chance sehen, mit den IS-Terroristen auf irgendeiner Basis sprechen zu können, um sie von noch mehr Gräueln abzuhalten, würde unser Außenminister wahrscheinlich auch das versuchen. Selbst John Kerry wäre das zuzutrauen. Aber die wissen, dass dies in diesem Fall keinen Zweck hat.

Aber unsere Kaffeehauspazifisten, die selbsternannte moralische Instanz im Staate, all Jene, die scheinbar immer noch glauben, dass Beten und Häkeln gegen Mordlust hilft, sitzen auf ihren Händen und predigen Gewaltverzicht. Ich finde das mit der linken und der rechten Wange auch dem Grundsatz nach sehr erbaulich, nur leider unpraktikabel, weil genau die, auf die wir in Gewaltsituationen treffen, entweder die betreffende Stelle der heiligen Schrift nicht kennen, vergessen haben, oder drauf pfeifen, weil sie eine eigene, eher unheilige Agenda haben. Passiert das bei uns in Deutschland, kann man sich in der Regel hinterher bei der Polizei ausheulen und wenigstens Anzeige gegen Unbekannt stellen. Diese Chance haben zum Beispiel die Yeziden nicht. Zum einen gibt es dort keinen, der ihnen helfen oder auch nur zuhören könnte und zum anderen würden sie schlicht nicht dazu kommen, die Hilfe einer Polizei, so es sie gäbe in Anspruch zu nehmen – dazu muss man nämlich noch am Leben sein.

Nein, wir können den Kurden keine Waffen liefern, man weiß ja nicht, wo die dann landen. Tja das weiß man bei den Terroropfern auch nicht so genau, aber irgendjemand wird die Massengräber schon finden, dann können wir ja wenigstens BKA-Spezialisten für die Identifizierung vorbei schicken, nicht wahr. Also ein Militäreinsatz ist vollkommen ausgeschlossen, das ist nicht unsere Aufgabe. Tja, also, wenn das nicht unsere Aufgabe ist, brauchen wir auch keinen Platz im Weltsicherheitsrat der UN, oder sonst irgendeinem Gremium, weil Leute, die sich stets mit einem Achselzucken und dem Satz „Können wir nicht, weil wollen wir nicht“ hervor tun bestenfalls als Unentschlossen, schlimmstenfalls als überflüssige Idioten wahrgenommen werden. Aber genauso gebärden sich unsere selbstbestellten Wächter der rechten Ideologie im Moment gerade – eben wie Kaffeehauspazifisten. Typen und Tussen, die ganz, ganz doll gegen Krieg sind, weil das mit den Nazis ja ganz super furchtbar war und nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Das in bestimmten Fällen Krieg und humanitäre Einsätze ein und dasselbe sind, entgeht ihnen in ihrem Fanazismus (für alle, die es mal wieder nicht kapiert haben: fanatischer Pazifismus). Und das sie in den allermeisten Fällen nicht den blassesten Schimmer haben, wie es ist, Menschen beim Sterben zuschauen zu müssen, versteht sich ja wohl von selbst. Ich frage mich, wie viele unserer Soldatinnen und Soldaten wohl frohen Mutes in so einen Einsatz ziehen würden, um Leben zu retten und tatsächlich mal die Demokratie zu verteidigen? Ich denke, nicht wenige würden es einfach als ihre Pflicht ansehen; sowohl als Soldat, aber genauso auch als Bürger! Viel Spaß im Kaffeehaus noch, ihr grausamen Moralapostel…

Gaza ist jetzt überall…

Es ängstigt mich, zu sehen, wie Menschen sowohl in Realitas als auch televerbal gewalttätig aufeinander losgehen, wie plötzlich uralte, vergessen geglaubte Reflexe der Xenophobie, der vom Unwort Leitkultur verseuchten ideologischen Aufladung und des unbedingten Willens zum Vertreten der eigenen Position jedweden Versuch eines sachlichen Diskurses vom Beginn an zu Nichte machen. Wie, als halbwegs aufgeklärt verstanden werden wollende, Wutbürger sich ereifern und doch dabei geifern, wie einst das kleine Männlein mit der hässlichen Frisur und dem markanten Bärtchen. Wobei sich die Produkte ihrer Äußerungen keinesfalls auf sein politisches Spektrum einengen lassen. Vom absoluten Bejahen des israelischen Rechtes auf die terminale Bombardierung Gazas, bis zum unterschwelligen Skandieren von „Treibt-die-Juden-ins-Meer“ ist alles dabei.

Gaza ist ein Stellvertreterkrieg; dabei wird gefochten zwischen den Angehörigen der jüdisch-christlichen Tradition und jenen des Islam. Obwohl doch alle drei abrahamitische Religionen sind. Doch diese historisch-theoretische Einteilung taugt kaum für das weitere Verständnis des Konfliktes zwischen den beiden Parteien. Und selbst das Verhältnis zwischen Juden und Christen ist – abseits eines gemeinsamen Schrifttums – wohl kaum als unbelastet zu bezeichnen. Dennoch scheinen sich die Menschen aus eher christlich geprägten Kulturkreisen fast Stammhirngesteuert mit dem jüdischen Staat Israel zu solidarisieren, wohingegen… nun ja, Muslimen mit Muslimen fühlen. Irgendwie ist es wohl auch ein Kampf darum, wie man seine Nächstenliebe unter Beweis stellen kann.

Doch eben sind wir schon über den ersten Denkfehler gestolpert, indem wir den Staat Israel als politisches Konstrukt mit dem Judentum gleichsetzen, was aus rein Verfassungsrechtlicher Sicht Quatsch ist, denn Israel ist ein Säkularer Staat und überdies ist mitnichten die gesamte Bevölkerung Israels dem mosaischen Glauben zugehörig. Das sind nur ca. 75%, von denen knapp die Hälfte sich als säkular bezeichnen – vulgo, sie sind dem Namen nach Juden, wie ich dem Namen nach Christ bin. Ich gehe übrigens weit öfter in Sakralbauten, um dort zu fotografieren, anstatt dort Andacht zu halten. Obwohl ich durchaus andächtig fotografieren kann. Aber ich denke, was ich sagen wollte ist klar. Israel ist nicht gleich Judentum, and vice versa! Die heutigen Staatsgrenzen sind eher Verwaltungstechnischer Natur, da das ehemalige britische Protektorat Palästina ein künstliches Konstrukt war.

Das Juden, Christen und Muslime dort über Jahrhunderte häufig erbittert miteinander um die Vorherrschaft gekämpft haben, scheinen die Meisten heute irgendwie vergessen zu haben. Andererseits stand Diplomatie damals nirgendwo allzu hoch im Kurs. Es bleibt aber festzuhalten, dass es einen souveränen Staat Israel erst seit 1948 gibt und das er sich ebenso wenig auf eine Jahrhunderte-, oder gar Jahrtausendealte Traditionslinie berufen kann, wie das zum Beispiel beim Nationalstaat Deutschland der Fall ist. Und doch kehren immer wieder Argumentationslinien zu einem angestammten Recht auf diesen Streifen Land in der Levante zurück, der einerseits gar nicht so hospitabel ist und andererseits verglichen mit anderen Staaten eher lächerlich klein; etwa so groß, wie das Bundesland Hessen. Womit man schon zu der Frage kommen könnte, warum sie denn um gute 20.000 Quadratkilometer Trockensteppe so einen Bohei veranstalten?

Da man aber natürlich weiß, dass letzten Endes aller Disput sich nur um eine Frage dreht, nämlich das von vielen Muslimen dort in der Region bestrittene Existenzrecht des Staates Israel als mehr oder minder offizielle Zuflucht für Juden, wird es schwer, auch nur irgendeine Art von rationalem Verhandeln anfangen zu wollen. Denn in diesem Streit dreht sich fast alles um Glauben. Und dem ist mit der Waffe der Logik nur sehr schwer beizukommen.

Die Einen glauben, sie wären schon immer da gewesen und die Anderen glauben, die hätten da noch nie was verloren gehabt. Wer hat aus dieser Sicht der Dinge den nun Recht; Alle und Keiner vermutlich. Doch weil sich niemand von seiner, aus der Tradition erklärten Sichtweise der Dinge ablenken lassen will, geschehen im Hier und Jetzt immer wieder Untaten; wird Unrecht im Namen der eigenen Sache am jeweils anderen begangen, ohne dabei zu bedenken, dass die einzig Leidtragenden in dieser Angelegenheit Menschen sind, die vermutlich zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz vergleichsweise unpolitisch und undogmatisch waren. Waren! Doch das hat sich jetzt erledigt, womit der Kampf um die Wahrheit zu einem Circulus Vitiosus wird, den nur der Glaube an Frieden durch Friedlichkeit durchbrechen könnte. Doch wie wahrscheinlich ist das, nach Jahrzehnten der Gräuel aneinander? Wenn die nachfolgenden Generationen in dem Wissen aufwachsen, dass die auf der jeweils anderen Seite der Mauern die Feinde sind?

Und so wenig, wie es dort im Moment, oder auch nur in mittlerer Zukunft Frieden geben kann, so wenig kann und wird es Frieden und einträchtiges Koexistieren an den anderen Orten geben, wo sich die Anhänger jüdisch-christlicher Tradition und die der muslimisch geprägten Kulturen gegenüberstehen, ohne einander je zu verstehen – und vermutlich auch nicht verstehen zu wollen! Wo man einander mit Hass begegnet, anstatt mit Interesse. Bei uns wird dann immer die Kritik an „verfehlter Integrationspolitik“ laut, ohne dass allerdings jemand wüsste, wie erfolgreiche Integrationspolitik denn aussehen müsste. Denn Integration beginnt im Kopf eines jeden Einzelnen und vollzieht sich durch sein Tun; oder vollzieht sich eben nicht durch sein Unterlassen. Doch so lange wir immer nur damit beschäftigt sind, nach dem Vendettaprinzip „den Anderen“ die Schuld zuweisen zu wollen für unser eigenes Desinteresse, für unsere Feindseligkeit und unseren Egoismus, kommen wir keinen Schritt weiter. Weder in Mannheim, noch in Gaza. Schönes Wochenende noch…

Das Böse kommt von Links – eine neue Polemik.

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen komme ich nicht umhin, mich zu fragen, warum Menschen, die sich selbst als linke Intellektuelle betrachten, immer wieder vollkommen unnötige, teils widersinnige, teils lächerliche Diskussionen provozieren müssen. Ich behaupte jetzt einfach mal – quasi im Sinne einer Nominaldefinition – dass nur sehr Wenige unter uns politisch zu einer Autokratie zurückkehren möchten; schlicht, weil uns unsere persönliche Freiheit, die im demokratischen Rahmen üblicherweise als halbwegs geschützt betrachtet werden darf, ziemlich wichtig ist.

Nun gibt es ein paar Menschen – vielleicht sind es auch ein paar mehr, aber das tut nichts zur Sache – die offenkundig der Meinung sind, dass es nur möglich ist, die Demokratie zu verteidigen, indem man ALLES, was auch nur irgendwie der rechtskonservativen Gesinnung verdächtig sein könnte einfach verbietet, bzw. ummodelt. Das sie dabei kulturelle Produkte des Chauvinismus bzw. Rassismus oder sonst eines –ismus bezichtigen, die aus einem völlig anderen geschichtlichen und somit auch gesellschaftlich-kulturellen Kontext stammen, ist ihnen dabei Wumpe, Hauptsache, es sagt keiner mehr „Negerlein“… Uups! Sie folgen dabei der Logik, dass alle Gewalt ihren Anfang in der Sprache nimmt. Prinzipiell ist das auch nicht falsch, was jeder, der schon mal gemobbt wurde sicher bestätigen kann. Doch man kann dabei auch über das Ziel hinaus schießen. Denn jeder, der nicht willig und mit vom Stolze geschwellter Brust in die Phalanx der Gender-gemainstreamten, ökologisch korrekten, Nachhaltigkeit predigenden, Solidarität proklamierenden Sozial-Bourgeoisie einschwenkt, ist automatisch ein reaktionärer, dumpfer Geist, prinzipiell immer des Faschismus verdächtig. Erinnert mich irgendwie an das ideologisch motivierte Programm der Gleichschaltung!

Es gibt einige Bereiche meines Lebens, in denen ich nicht umhin kam, Standpunkte zu bedenken und teilweise auch anzunehmen, die man durchaus als wertkonservativ bezeichnen kann, was dem Umstand geschuldet sein mag, dass man mit zunehmendem Alter in die Lage versetzt wird, seine Prinzipien zu überdenken, wenn man mit ihnen mal an die Wand gefahren ist. Andererseits bin und bleibe ich überzeugter Sozialdemokrat. Ich sehe jedoch keinen Widerspruch darin, für leistungsgerechte Entlohnung bei entlohnungsgerechter Leistung einzutreten, jedoch trotzdem nach Härtefallregelungen für jene zu verlangen, die das wirtschaftliche System überholt hat. Aber ich erwarte im Gegenzug von diesen Menschen, die heute Transferleistungen beziehen, dass sie auch die Bereitschaft und Engagement zeigen, etwas Anderes zu tun, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten zu können. Dass die Wege dahin, die derzeit durch den bürokratischen Wildwuchs unserer Verwaltungsorgane auf allen Ebenen viel zu kompliziert sind, begradigt und vereinfacht werden müssen, steht dabei außer Frage. Ich verlange, dass man meine Privatsphäre verteidigt, anstatt für ein paar warme Worte und ein Bruderküsschen von jenseits des großen Teiches brav Männchen zu machen. Ich will mehr Bürgerbeteiligung – aber auch eine klare Linie der Politikführung, die faule Kompromisse scheitern lässt. Das Alles und noch viel mehr…

Ich habe kein Problem damit, wenn man Unterschiede zwischen den hier lebenden Migranten und den Ureinwohnern beim Namen nennt und gelegentlich darauf hinweist, das durch divergierende Denkweisen, Traditionen und andere Glaubensbekenntnisse Probleme entstehen, die nicht einfach verschwinden, wenn man die Dinge anders, vielleicht freundlicher, oder neutraler benennt. Das Ändern des Wortes ändert nicht den Begriff, den sich Menschen von einer Sache oder einem Tatbestand machen. Jene, die tatsächlich rechtskonservativer Gesinnung sind, lernen so höchstens, wie sie ihre demokratiefeindliche Propaganda besser getarnt unters Volk bringen. Jemanden zum Umdenken zu bringen, bedarf keines anderen Etiketts – und letztlich labeln unsere tollen linken Meinungsnazis genauso, wie jeder andere auch – sondern einer vernünftigen Argumentation und des Aufzeigens gangbarer Alternativen zum Status Quo.

Und was machen unsere wackeren Oberdemokraten, während sie häkelnd beim veganen Buffet im Debattierclub sitzen, um die Welt zu verbessern? Im Schnitt so gut wie Nix! Denn tatsächlich sind die lautesten Krakeeler, diese Verfechter einer vollkommen unrealistischen Idee von der Beschaffenheit des Menschen und der Gesellschaft so weit weg von den Orten, wo die Probleme sich jeden Tag ihre Ventile in Frust, Aggression, Sucht, Gewalt und Depression suchen, dass sie jene in unserer Gesellschaft, die Segregation tatsächlich betrifft nur sehr selten zu Gesicht bekommen. Die sind in ihrer bürgerlichen Existenz dem Kiez etwa so nahe, wie meine kleine Tochter dem obersten Regalbrett. Nur dass sie oben stehen.

Würde jeder, der so von oben betrachtet total gut weiß, wie man das alles besser machen kann mal von seinem hohen Ross herunter kommen und sich mit seiner Energie effektiv nützlich machen, kämen wir vielleicht mal voran mit brennend wichtigen Themen, wie sozialer Gerechtigkeit, demographischem Wandel, Integration und Teilhabe. Im Moment betreiben diese so genannten linken Intellektuellen aber nur eine Meinungsdiktatur, mit dem Primat der Nazi-Keule. Und ich dachte noch, wir wollten in Deutschland keine Diktatur mehr haben…

Möchtegern-Intellektuelle nerven!

Eines voraus: Ich dachte, ich käme schneller zum Schreiben, aber „Depression is still in town!“. Doch zur Sache. Es ist mir mittlerweile manchmal beinahe mit körperlichen Schmerzen verbunden, die Nachrichten zu konsumieren. Nicht etwa, weil dort von so vielen Orten rings um den Globus und gelegentlich auch vor unserer Haustür berichtet wird, an denen auf die eine oder andere Art Schlimmes geschieht, sondern weil man noch nicht einmal selbst die sozialen Medien bereisen muss, um dennoch recht genau zu wissen, was kurz darauf dort passiert – Meinungsaustausch! Wenn man das denn so nennen mag…

Es wäre glatt gelogen zu behaupten, dass ich nicht irgendwann gelernt hätte, mich an meinem eigenen diesbezüglichen Entsetzen zu weiden; wir haben alle irgendwo tief im Innern eine masochistische Ader, wofür der Umstand ein guter Indikator sein mag, dass wir das Negative immer deutlicher, prägnanter, trennschärfer wahrnehmen, als das Positive. Dieser Bauplanfehler unserer Psyche war vor Urzeiten vermutlich nützlich, um uns vor Gefahren zu warnen, doch heute ist er ein lästiges, limbisches Überbleibsel, welches uns nur zu oft daran hindert, einfach mal etwas zu genießen. Dieser eingebaute Spielverderbermodus fährt immer dann den Kontrast hoch, wenn etwas Schlimmes, Bedrohliches, Widerwärtiges geschieht, damit die Erinnerung daran uns mahnt, solche Situationen zukünftig zu meiden. Die Nachrichten zu meiden ist allerdings die schlechtere Option, wenn man seine Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe wenigstens so rudimentär gewahrt sehen möchte, wie sie eben heute gerade noch sind.

Ist man dort, landet man aber ebenso unvermeidlich, wie einen die Bilder von Krieg, Tod, Not, Elend anziehen bei den Kommentarseiten. Und was findet man dort? Nun ja, Krieg, Tod, Not, Elend… nur eben als Auswüchse dessen, was nicht Wenige als ihre eigene Meinung missverstehen. Nur dass diese durch die Wahrnehmung schon lange von Anderen präformiert wurde. Unsere Linsen und Mikrofone werden von Jugend an geeicht; und zwar auf bestimmte Kanäle. Das ist Teil dessen, was man als Sozialisation bezeichnet. Um an dieser Stelle wirklich ehrlich zu sein: ein ziemlich uncharmanter Teil davon, denn die televerbalen Absonderungen so Manchen zum Kommentar Berufenen sind ein offenes Eingeständnis des eigenen Mangels an Bildung, Sachkenntnis und Sozialkompetenz. Wer darauf auch noch stolz ist, sollte eigentlich den ganzen Tag mit seiner eigenen Scheisse beworfen werden. Ob man das metaphorisch oder wörtlich nehmen möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

Abseits derer, die sich schnell und offensichtlich des Trolltums entlarven, bleiben allerdings noch jene Mitmenschoiden, die tatsächlich über eine halbwegs polierte Sprache, wenigstens etwas Sachkenntnis und Argumentationsfähigkeit verfügen – und das auch gleich jeden wissen lassen. Intellektuelle Poser, oder besser gesagt Möchtegern-Intellektuelle haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. Das ganze andere Foren- und Kommentatorengeschmeiss, das ca. 75% aller Posts produziert, amüsiert mich gelegentlich, meistens ist mir deren Geseiere aber einerlei. Aber der Comment-Narziss, der selbsternannte Thread-Meister, der Oberbesserwisser und Andereverbessernmüsser als identifizierbarer Archetyp – der hat sich meinen ehrlichen Hass erarbeitet! Menschen, die nichts Besseres zu tun haben, als sich zum Aufpolieren des Egos durch ihre – selbstgefühlt brillanten – Ergüsse mit aller Macht im mageren Licht der virtuellen Sonne erstrahlen lassen zu müssen, sind einfach nur armselig. Sie nerven, rauben Webspace und polarisieren jede Diskussion zu Tode; selbst, oder gerade dann, wenn sie vielleicht gut geworden wäre. Hierzu sage ich – wenn ihr schon unbedingt im Internet Ego-Gewichse anzetteln müsst, dann informiert euch wenigstens vorher richtig und liefert eine fundierte Show ab. So kann ich euch nicht ernst nehmen. Am schlimmsten sind diesbezüglich übrigens Meinungs-Dogmatiker. Und von denen sind die meisten linke Möchtegernintellektuelle, die glauben, sie hätten die politisch-moralische Deutungshoheit gepachtet. Diesen Pennern widme ich meinen nächsten Post, bis dahin … macht was ihr wollt, aber bitte wenigstens richtig!

Ich könnte platzen!

Ach was, lasst euch mal nicht von dieser Tagline erschrecken, tatsächlich bin ich im Moment derart am Boden, dass mir Platzen als viel zu anstrengend erscheint. Man könnte sagen, ich bin so weit davon entfernt, dass Zerfließen wahrscheinlicher ist; nicht nur wegen der schwülen Hitze. Meine Depression, mein psychovegetativer Erschöpfungszustand, oder wie auch immer man es nennen möchte, hat mich wieder eingeholt und lässt mir fast alles unendlich schwer erscheinen. Umso verwunderlicher ist es mir, dass mir Schreiben gerade in diesem Augenblick leicht fällt. Muss daran liegen, dass ich just jetzt nur schwafele…

Wer schon öfter hier reingelesen oder reingehört hat, wird wissen, dass es eine Menge Themen gibt, die mir am Herzen liegen. Eigentlich wollte ich dieser Tage was zum Thema Gaza-Krieg sagen; doch letztlich ist es ein Thema, zu dem schon so viele so viel Falsches von sich gegeben haben, dass ich mich nicht auch noch dazu gesellen möchte. Ich kenne zwar die Theorien und die Historie, aber ich bin kein Spezialist und selbst die wissen ja nicht, wohin der Zug fährt. Fest steht nur eines: so lange beide Seiten auf das kompromisslose Anerkennen ihrer jeweiligen Positionen pochen, wird es keinen Frieden geben. Und ein diesbezüglicher Wandel ist einfach nicht in Sicht. Viellicht nächste Woche, vielleicht nächstes Jahr…

Dann kam mir in den Sinn, dass ich was zum Patriotismus sagen könnte. Immerhin sind wir ja Weltmeister! Ja wer jetzt eigentlich? Nur die Spieler der Nationalelf? Auch ihre Trainer, Physiotherapeuten, Ernährungsspezialisten, Ärzte und was weiß ich nicht, was da noch so alles kreucht und fleucht? Frau Merkel und Herr Gauck – die waren ja immerhin in der Kabine. Alle Deutschen? Also ich nicht! Ich habe kein einziges Spiel gesehen, nicht gezittert, nicht gebangt, nicht gejubelt und auch keine Flaggen aufgehängt – und ganz sicher habe ich nicht mitgespielt. Bin ich jetzt deswegen kein Deutscher, oder zumindest kein Patriot? Was bedeutet Patriot sein überhaupt? Was mich betrifft, so bin ich stolz ein Deutscher zu sein; weil wir eine halbwegs gut funktionierende Demokratie haben, weil wir faire Gerichte haben, weil unsere Sozialsysteme fast jeden ohne Ansehen seiner Person auffangen können, weil in unserem Land eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen an Perspektiven für die Zukunft arbeiten und weil die allermeisten meiner Mitbürger das ganz bescheiden und unauffällig tun. Weil wir Werte wie Präzision, Zuverlässigkeit und Gründlichkeit exportieren, was die Welt mittelfristig sicherer werden lässt. Sicher gibt es viele Dinge, die in unserem Land nicht gut laufen, aber wir haben die Freiheit, sie zu benennen und etwas gegen die Missstände zu tun. Versucht das doch mal in Saudi-Arabien, auf Kuba, in China, oder ganz vielen anderen Orten der Welt, dann verschwindet ihr auf Nimmerwiedersehen in einem ganz, ganz dunklen Loch! Also bin ich Patriot – und das ganz ohne Fußball!

Ich weiß nicht ob ich das schon mal erwähnt habe, aber ich lese unter Anderem den Stern und ganz besonders mag ich die Kolumne von Meike Winnemuth. Ihr erfrischend unkomplizierter Blick auf unsere verschwitzt-komplizierte Welt ist für mich immer wieder ein Genuss. Zum einen trifft sie, zumindest meistens, den Nagel auf den Kopf und zum anderen ist sie dabei herrlich selbstironisch, Allürenfrei und überdies eine präzise Beobachterin. Diese Woche hatte sie es von der medial aufgepeitschten Dauererregung über wochenweise wechselnde Themen; Hauptsache Aufregergarantie! Und ich musste mich schon fragen, ob ich gelegentlich mit meinen eigenen Artikeln nicht auch solchen medialen Säuen hinterherrenne und viel zu viel Augenmerk auf Nichtigkeiten verschwende. Gelegentlich war dies der Fall und dafür an dieser Stelle ein mea maxima culpa! Denn eigentlich fühle ich mich zumeist der Sachlichkeit und der Sachrichtigkeit verpflichtet. Wer den Unterschied nicht kennt, möge ihn bitte googeln, ihr seid schließlich gerade online.

Was nun mein Platzen anbetrifft … das verschiebe ich noch ein wenig. Im Moment habe ich eher das Gefühl, dass es etwas nützt, wenn ich mich ganz auf mich selbst besinne und nur das tue, was mir Befriedigung verschafft. Wie zum Beispiel das Bloggen. Ein paar Themen habe ich ja jetzt abgehandelt, aber da ist noch so viel, was ich dieser Tage gehört und gesehen habe und was einer mehr oder weniger wortgewaltigen Würdigung harrt. Ich denke, man wird nicht allzu lange warten müssen, bis dahin ein schönes Restwochenende.

Ausbalanciert oder abgestürzt…?

Man spricht immer gerne von der Work-Life-Balance und diskutiert dabei oftmals vor allem Aspekte der zeitlichen und räumlichen Abtrennung von Freizeit und Arbeit. Es gibt wohlfeile Argumente dafür, Arbeits- und Lebensräume aber auch Arbeits- und Freizeit ineinander fließen zu lassen, mit dem Hinweis, dass diese Flexibilität dem Arbeitnehmer ja mehr Freiheiten als der klassische 9-5-Job am festen Schreibtisch ließe. Konträr dazu wird behauptet, dass die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu einer Mehrbelastung der Arbeitnehmer führe, weil sie freiwillig durch den empfundenen Konkurrenzdruck der Leistungsgesellschaft einfach immer noch ein bisschen mehr Zeit für die Arbeit investieren würden. Wenn man sich nur genug bemüht, kann man für beide Standpunkte genug Argumente finden.

Ich persönlich finde das Versprechen von mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, von free collaborative Workspaces, von veränderten Arbeitsraumwelten etc. ganz interessant, bin allerdings in der – in diesem Fall zunächst dankenswerten – Position, keine Arbeit mit nach Hause nehmen zu können. Den Patienten vom Rettungswagen in unsere Wohnung zu schleifen, um noch ein bisschen weiter zu reanimieren, erscheint mir einfach nicht sonderlich zweckmäßig. Was jedoch die Möglichkeit angeht, die Aufteilung seiner Arbeitszeit und auch den Arbeitsort besser an seine persönlichen Lebensbedürfnisse anpassen zu können, schaue ich natürlich dumm aus der Wäsche, diese Chance ist mir nicht gegeben. Ganz ohne Ironie fasziniert mich der Gedanke ehrlich, meinen Arbeitsalltag so segmentieren zu können, dass ich Zeit für die Arbeit, die Familie und mich hätte, ohne dass ich meine Arbeitsvertraglichen Pflichten darob untererfüllte. Aber in meiner gegenwärtigen Position ist das eben kaum denkbar. Das gilt im Übrigen für einen großen Prozentsatz der Werktätigen. Produktionsstätten kann man nur mit einer gewissen Personaldisposition effektiv betreiben und nur Wenige möchten vermutlich mehrmals täglich ein- und wieder ausstechen, inklusive Umkleide- und Körperpflegezeiten brächte man nämlich im Mittel deutlich mehr Zeit bei der Arbeit zu.

Es drängt sich überdies die Frage auf, ob dies nicht doch der Versuch einer Arbeitszeiterhöhung oder Arbeitsverdichtung durch die Hintertür ist, wenn man bedenkt, dass die Sorge um einen drastischen sozialen Absturz im Fall des Verlustes der Arbeitsstelle seit 2005 deutlich gestiegen ist. Zu der Zeit sind die letzten Gesetze über neue Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, besser bekannt als Hartz-4 in Kraft getreten. Und komischer Weise ist die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen seitdem überproportional stark angestiegen. Natürlich kann man unterstellen, dass auch das Problembewusstsein bezüglich seelischer Leiden in der Breite der Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist; gewiss sind unsere Arbeitgeber durch die sich beschleunigende Globalisierung so gut wie aller Märkte unter bisher nicht gekannten wirtschaftlichen Druck geraten, den sie naturgemäß an das schwächste Glied der Kette, nämlich den einfachen Angestellten durchreichen. Niemand wird sich gerne seine Rendite versauen lassen, schließlich arbeitet man in seinem eigenen Unternehmen ja wohl schon hart genug dafür. Dass die einzige echte Wertschöpfung dabei nur durch die Angestellten geschieht, wenngleich auch manche strategische Entscheidungen sicher schwer wiegen, wird dabei nur zu gerne unterschlagen.

Der erhöhte Druck durch die erheblich größere Zahl an Marktteilnehmern, sowie das gleichzeitige Wegfallen bislang zugegebenermaßen im internationalen Vergleich höchst komfortabler sozialer Kompensationsmechanismen bei Arbeitslosigkeit hat vor allem eines zur Folge: dass die Leute eine Scheissangst vor Arbeitslosigkeit haben. Und diese Angst wird von vielen Arbeitgebern schamlos instrumentalisiert, um den individuellen Workload bis zum Zusammenbrechen zu steigern. Da ist nix mehr balanciert, dass sprichwörtliche Kind ist schon lange abgestürzt; und zwar in den sprichwörtlichen Brunnen und strampelt dort mittlerweile nur noch schwach. Wie viel mehr Scheisse wollen wir uns eigentlich noch gefallen lassen, bevor wir endlich die Chipstüte und das Bier wegstellen, den Fernseher ausmachen und aufstehen; aufstehen und etwas für unsere Rechte tun. Egal, ob gerade irgendein sportliches Großereignis übertragen wird, oder eben nicht mehr. So viel Zeit und Energie, wie hierzulande darauf verschwendet wurde, jedes Tun oder Lassen von Jogis Jungs peinlichst zu sezieren, bevor sie’s dann doch endlich mal geschafft haben, den Pott heimzuholen, kann der Leidensdruck wohl aber noch nicht groß genug sein.

Ihr Gehirncouchpotatoes werdet’s vielleicht schon irgendwann merken, wie schlimm ihr wirklich verarscht worden seid. Dann wagt es aber ja nicht, euch auch noch zu beschweren, denn hinter anzukommen, wie die alte Fasnacht ist feige, dumm und dreist. Bis dahin auch weiterhin viel Spaß bei der selbstverschuldeten geistigen Umnachtung…

Wichtig, wichtiger… nö, NICHT die WM!

Ich habe keine Ahnung von Fußball. Echt jetzt! Und dieses Spiel interessiert mich noch nicht mal besonders. Ich kann das ganz gut kaschieren, weil ich mir ziemlich gut nutzlose Fakten merken kann und überdies über einen halbwegs funktionalen analytischen Verstand verfüge, der es mir erlaubt, auch Dinge zu beurteilen, die nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen zählen; wie eben dieses komische Spiel, bei dem 22 Leute 90 Minuten einem Ball hinterher rennen und am Schluss… ach was soll ich hier jetzt Garry Linneker zitieren, das ändert ja auch nix daran, dass mir dieser ganze Wahn mittlerweile ziemlich auf den Sack geht.

Es ist für mich eigentlich kaum ein Problem, wenn die Menschen in meiner Nachbarschaft sich abends hinsetzen und zusammen Fußball kucken, dabei Bier (oder auch Anderes) saufen und über Dinge fachsimpeln, von denen ich zwar irgendwie schon mal gehört habe, die ich aber nicht beschreiben könnte; wenn sie sich zusammenrotten und Fahnen schwenkend und mittels ihrer Hupe Ohren malträtierend durch die Stadt korsieren, um ihrer Freude Ausdruck zu verschaffen, dass das jeweils favorisierte Team gewonnen hat. Oder wenn sie ungläubig den Kopf darüber schütteln, dass ich mir selbst WM-Spiele nicht anschaue und es mir tatsächlich bumms ist, ob Deutschland nun Weltmeister geworden ist. Selbst wenn ich dafür angepflaumt werde, dass man doch ein bisschen Nationalstolz haben muss – den ich, nur mal so am Rande für eines der absolut unnötigsten Gefühle auf dem Erdenrund halte, weil ich diese Nationalstaaterei so absurd finde – bleibe ich ruhig, lächle, dulde und lache innerlich dreckig, weil mir die Armseligkeit, mein Selbstwertgefühl aus der sportlichen Leistung anderer ziehen zu müssen so fremd ist. Oh, Pardon, habe ich jetzt vielleicht doch ein paar Gefühle verletzt? Tja, DAS ist mir leider auch bumms…

Egal, wie die Spiele auch ausgegangen sein mögen, ich werde das Gefühl nicht los, das selbst gute Journalisten manchmal ihre Objektivität und Unparteilichkeit verlieren, wenn sie sich zum Beispiel entblöden, wie im „Stern“ gerade geschehen, ein Loblied auf die Völkerverständigung zu singen, welche die WM doch geschaffen hat. Nur dass diese ganzen anderen Völker in wenigen Tagen wieder weg sind, bestenfalls die allerwenigsten von ihnen jemals wiederkehren werden und die paar Milliärdchen, welche die Sportstätten nebst zugehöriger Infrastruktur verschlungen haben in naher Zukunft vor sich hin gammeln werden, wenn nicht gerade die erste Liga Brasiliens drin spielt. Man kann in einem Fußballstadion nur leider nicht wohnen, es erzeugt keine Energie, sondern verbraucht welche und es zum Gemeindezentrum, oder zu einer Produktionsstätte umzuwidmen, wird wohl etwas komplizierter. Oh sicher hat sich jemand über die sogenannte Folgenutzung Gedanken gemacht, nur ob dabei Nachhaltigkeit, oder die Verantwortung gegenüber den Bedürfnissen der eigenen Bevölkerung irgendeine Rolle gespielt haben, lässt sich nur noch sehr schwer sagen. Mit Sicherheit war allerdings von Gewicht, was dieser eingetragene Verein, der sich gerne aufführt wie ein Staatsorgan zu sagen hatte. Denn die Jungs von der FIFA sind ja nicht nur bezüglich des Balls immer an Bewegung interessiert; auch beim Geld sagt man da nicht unbedingt nein.

Unsere Elf hat den Weltmeistertitel geholt, schöne Sache das; und jetzt? Tja, jetzt geht es auf beiden Seiten des Atlantiks weiter wie gewohnt: es wird robotet für oft zu schmales Geld, die Interessen und verbrieft geglaubten Rechte der Bürger sind bumms, so lange die Industriekapitäne ihren Reibach machen können, die NSA hört ab, bis die Server glühen und viel zu viele kucken immer noch matt auf die Scheibe, während das Freihandelsabkommen TTIP immer düsterer unsere Existenzgrundlagen bedroht. Chlorhühnchen sind da das geringste Problem. Aber feiert ruhig noch ein paar Monate weiter Weltmeister, unsere Staaten- und Wirtschaftslenker werden das Kind schon verschaukeln…

Muss man wirklich erwachsen werden?

Es gibt so einen Spruch, den ich auch selbst manchmal zum Besten gebe, dass nämlich Jungs nur Sieben werden und danach lediglich in der Länge wachsen; und auch etwas in der Breite, aber das ist ein ganz anderes Thema. Was damit gesagt werden soll, erscheint klar: nämlich das auch erwachsene Männer so eine Tendenz haben, sich kindisch zu benehmen. Ob das jetzt irgendwelche Begrüßungsrituale sind („Ey Jigsaw, alles senkrecht?“), dass ALLE Männer grundsätzlich neue Spielzeuge in Betrieb nehmen, ohne die Bedienungsanleitung zu lesen („Brauch isch ned!“) – was im Übrigen nicht ganz wahr ist – oder die mangelnde Fähigkeit zur Selbsteinschätzung, egal ob beim Autofahren, beim Flirten, beim Saufen, oder bei allem zusammen, wir Männer haben irgendwie schon die Tendenz, uns bei den verschiedensten Dingen ein wenig blöder anzustellen, als unser kalendarisches Alter es vermuten lassen würde. Und ich bin da beileibe keine Ausnahme.

Was die eine Frage aufwirft, die in diesem Zusammenhang wirklich wichtig ist: muss man unbedingt vollkommen erwachsen werden? Oder ist es nicht viel schöner, das Spielerische fortbestehen zu lassen und dem Kind im Manne hier und da Auslauf zu gewähren? Ich weiß, da gibt es immer wieder ein Zuviel, aber letzten Endes will keine Frau, die ich kenne ( und übrigens auch kein homosexueller Mann) einen Dauererwachsenen zum Partner; die neigen nämlich zu Kleinkariertheit, Spießigkeit, einem übergebühr stark ausgeprägten Vermeiden jeglichen Risikos – was zwangsläufig zu Langeweile führt – und sind alles in allem wenig spaßige Zeitgenossen. Merkt man eigentlich gerade, dass ich Menschen mit zu wenig Kind im Geiste nicht besonders leiden kann…?

Natürlich sollte jeder Mensch die grundlegenden Kulturtechniken erlernen dürfen, das Miteinander und die Teilhabe in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft beigebracht bekommen und durch eine Ausbildung dazu befähigt werden, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. All die Dinge eben, die das Leben als Erwachsener aus Sicht der Allgemeinheit – falls es so was überhaupt gibt – halt ausmachen. Im gleichen Zuge sollte man allerdings auch darüber aufgeklärt werden, dass man sich selbst nicht so wichtig, dafür aber durchaus auch mal mit Lust auf die Schippe nehmen sollte. „Erwachsen“ ist für mich ein so ambivalenter Begriff. Einerseits kenne und nutze ich die Möglichkeiten, die mir als halbwegs autonomem Individuum offen stehen, da ich vor dem Gesetz seit Erleben der Volljährigkeit gewisse Rechte genieße. Andererseits wünschte ich mir manchmal die Freiheit, meinen Spieltrieb so ursprünglich und ungebremst ausleben zu dürfen, wie ich das als Kind konnte.

Irgendwie ist es wohl eine Einstellungssache, sich das Kind im Manne zu bewahren, denn ich selbst empfinde es als Bereicherung meiner Persönlichkeit, nicht als Mangel, meinem Spieltrieb, einer gewissen naiven Neugierde und dem Drang, alles nicht so ernst zu nehmen einfach nachzugeben und fröhlich auf die Konventionen des voran schreitenden Alters zu scheißen. Auch wenn das vielleicht nicht immer bei allen gut ankommt, die das mitbekommen. Immerhin bin ich erwachsen genug geworden, zu wissen, wann und wo man sich auch mal gehen lassen kann, ohne dass es gleich harsche Konsequenzen hätte. Ich würde mir da aber noch mehr Freiräume wünschen. Ernsthaftigkeit um der Ernsthaftigkeit Willen ist nämlich keine Tugend, sondern Diktatur gegenüber dem freien Geist.

Ich werde übrigens morgen 40 – fühlt sich irgendwie noch gar nicht so erwachsen an!