Ich hatte dieser Tage ein sehr erhellendes Gespräch mit einem lieben Bekannten, der mir offenbarte, an etwas zu leiden, dass auch mich selbst bis heute immer wieder heimsucht; nämlich eine tief greifende Wut. Nicht diese Art von Ärger, die einen immer nur dann heimsucht, wenn alle Autofahrer mal wieder aus Bad Blödingen zu kommen scheinen, die Servicefachkraft unhöflich oder schlicht inept ist, man etwas beobachten muss, dass zumindest auf den ersten Blick furchtbar ungerecht ist, oder einfach nur überall zu viele Menschen vor einem genau jetzt genau das gleiche wollen, wie man selbst. Sondern vielmehr dieses unauslöschliche, weißglühende Feuer, dass bestimmte Menschen vor sich her treibt und dessen mächtige Energie manchmal nur durch blinden Aktionismus kanalisiert werden kann. Man kennt den Ausdruck, dass jemand ein Getriebener sei; Bruce Banner treibt den Sachverhalt mit folgenden Worten auf die Spitze: „Mein Geheimnis ist: ich bin einfach immer wütend…“
Nun offensichtlich teilt dieser Mensch das sich getrieben fühlen mit mir. Das äußert sich mal auf charmante Art, wenn ich die Arbeit für meinen Boss oder auch für meine privaten Projekte wie ein Maniker durchpeitsche; oder in weniger gefälliger Form, wenn ich – viel zu oft wegen Nichtigkeiten – platze wie ein Haubitzengranate. Es gibt bei solchen Eruptionen durchaus unterschiedliche Stärken, vergleichbar mit der Richter-Skala. Doch weder ich, noch Menschen, die mich wirklich gut kennen, haben bis heute ein Frühwarnsystem entwickeln können. Es ist nämlich mitnichten so, dass ich immer wegen der gleichen Sache abgehe, wie ein rotes Moped. Reizend auf der Klaviatur meiner Emotionen zu spielen, ist daher nicht berechenbar, sondern eher wie Pogo-Hüpfen im Minenfeld, wenngleich im Lauf der Jahre zumindest auf der cholerischen Seite etwas ruhiger geworden bin. Das Feuer, oder besser mein innerer Hulk als Triebfeder für meine Produktivität und Kreativität, das lodert hingegen immer noch hell – oder vielleicht auch immer heller…?
Der Volksmund spricht gerne von dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Nun war ich zwar psychisch erkrankt, im Sinne einer Depression, welche sich allerdings, wie ich mit Freude zu vermelden weiß auf stetem Rückzug befindet, aber von Wahnsinn im klassischen Sinne findet man bei mir keine Spur. Mit Bedauern jedoch muss ich vermelden, dass ich auch kein Genie bin, sondern lediglich ein Typ, der versucht über den Tellerrand zu schauen und alles, was er dabei so zu Gesicht bekommt überdenkt und des Öfteren auch kommentiert. Wenn man aber die Schwarzweißbilder mal bei Seite lässt, gibt es natürlich Gradationen von Genie und Wahnsinn, die dem Volksmund empirisch durchaus dabei helfen, seinen nicht sonderlich guten Leumund hier ein wenig aufzupolieren. An dieser Stelle noch mal der Hinweis auf das ebenfalls dem Allgemeinsprech entnommene Bild vom Getriebenen.
Bleibt man bei dieser Denkweise, dann ist mein halbwegs wacher, jedoch stets vom Feuer angetriebener Intellekt eine, na sagen wir mal, weniger leistungsfähige Unterform des Genies, sozusagen also der Bruce Banner in mir. Und mein manchmal herausplatzender Hulk das dazu passende Pendant auf der Wahnsinn-Seite. So gesehen ist meine Bilanz, wenn auch auf niedrigerem Niveau dennoch durchaus ausgeglichen. Die guten und die schlechten Eigenschaften des Getriebenen halten sich die Waage. Doch was kann alles passieren, wenn genau das nicht (mehr) der Fall ist. Mein Bruce Banner wurde nämlich sehr depressiv, er legte sich hin und ließ einfach alles passieren, wie es gerade kam; es war im einfach egal. Was dazu führte, dass auch meine Produktivität und Kreativität abgestürzt sind. Anscheinend kann ich das eine nicht ohne das andere haben und alles in allem bin ich darüber nicht mal böse oder enttäuscht.
So, wie ich die Sache sehe, muss ich mich eben damit arrangieren, dass dieses Feuer mich verzehren kann, wenn ich mich ihm vollkommen hingebe; andererseits fühlt es sich aber granatenmäßig beschissen an, überhaupt nicht vorwärts zu kommen, weil man gar keinen positiven Zugang zu seiner Energie mehr hat. Paradoxerweise machte mich das überdies fuchsteufelswild. Will heißen, während Bruce sein Jammertal durchschritt, fing mein unglaublicher Hulk an, mich richtig unschöne Dinge tun zu lassen. Es wurde… schwer kontrollierbar. Das war nicht schön, dennoch habe ich es als heilsamen Warnschuss wahrnehmen gelernt, gleichsam meinem Bruce immer mal eine schöne Pause zu gönnen und meinem Hulk genug Auslauf zu geben, so dass beiden Seiten meines Naturells genüge getan sei. Fällt immer noch schwer, sich in den richtigen Momenten zu bremsen – dafür gönne ich es mir, an anderer Stelle bewusst und mit Lust die Sau rauszulassen. Ist möglicherweise nicht nur für mich ein Modell. Und man muss ja nicht gleich einen Purge-Day einführen. Obwohl…?