Jetzt war ich im letzten Post voll auf der Geschäftsleben-Schiene. Aber natürlich ist unser kleiner (manchmal großer) innerer Kurator auch in anderen Bereichen tätig. Besonders, wenn es um unser Abbild in den antisozialen Medien geht. Für den eigenen Avatar – was hier nicht nur das Bildchen meint, welches in den entsprechenden Profilen zum Einsatz kommt, sondern natürlich auch den Bedeutungsgehalt, also die Wirkung, welche man mittels Social Media bei den möglichen Rezipienten erzielen möchte – wird häufig viel Zeit zur Pflege verwendet, weil viele menschliche Wesen nach ihren ganz persönlichen 15 Minuten Ruhm streben! Und es ist dabei unerheblich, ob sie dies bewusst oder unbewusst tun; die sichtbaren Auswirkungen bleiben die gleichen. Das ist, was ich meine, wenn ich von der „Kuratierbarkeit des eigenen Lebens“ spreche, welches im Jahr 2022 zu einem nicht unerheblichen Teil auch in der Virtualität stattfindet. Es wird dabei nicht selten eine Persona erschaffen, welche mit ihrem realweltlichen Analogon (also ihrer/m Schöpfer*in) nicht zwingend deckungsgleich sein muss. Manchmal ist sie dies nicht mal annähernd…
Die daraus resultierenden sozialen Phänomene sind oft einfach nur erheiternd, manchmal bizarr, und selten auch mal dramatisch oder gar traurig. Sie verweisen jedoch immer auf die, wie oben schon gesagt bewussten oder unbewussten Intentionen ihrer Schöpfer*innen. Die Frage, welche sich nun daraus ableitet, ist diejenige nach den Motiven. Ich meine, die von mir ins Spiel gebrachten 15 Minuten Ruhm klingen griffig; aber oft erscheint es so, als wenn es vor allem um Anerkennung und Respekt innert der eigenen Peergroup geht, weil soziale Codes benutzt werden, deren tatsächliche Bedeutung sich Typen wie mir eh nicht mehr erschließt (remember: white, middle-aged, cis-gender guy); ich sag ja zum MEME auch Meme anstatt Mim, dessen Richtigkeit sich durch Hinsehen natürlich sofort erschließt… Danke, Richard Dawkins. Das alles macht manche Bemühungen nicht einfacher. Zum Beispiel meine Arbeit in der Berufsbildung. Denn natürlich verändert die (Selbst)Erfahrung einer kuratierbaren, virtuellen Persona die Erwartungen an die Wirksamkeit des realweltlichen Verhaltens gleich mit.
Es erscheint dann oft so, als wenn nicht wenige SuS zwischen zwei Extrempolen pendeln würden: der Erwartung einer weitgehenden VERINSTGRAMUNG – oder noch schlimmer VERTIKTOKISIERUNG – von Unterricht auf der einen Seite, und dem Wunsche nach knüppelharten Frontalunterricht (wie in der guten alten Zeit an der allgemeinbildenden Schule) auf der anderen. Wobei innerhalb eines Klassenverbandes (falls es denn einen gibt) oft eine Gleichzeitigkeit beider Pole zu beobachten ist; und natürlich auch aller möglicher Spielarten dazwischen. Was es fast unmöglich macht, einen Königsweg zu finden. Vielleicht spielt dabei manchmal auch der „innere Monk“ eine Rolle, wenngleich ich vielen Mitgliedern der Generation Z unterstellen wollen würde, dass sie nie eine nennenswerte Zahl von Folgen dieser Serie gesehen haben. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen extrem und nach maximaler Desillusionierung. Doch das ist gar nicht der Fall. Für mich ist dieser Wandel in (Selbst)Wahrnehmung und (Selbst)Darstellung die logische Folge von Kultur als Prozess. Ich bin meinen SuS deswegen nicht böse, oder enttäuscht, sondern ich nehme wahr, dass sich Prioritäten und Wertigkeiten verschieben; ganz gleich, ob ich das gut finde, oder nicht. Was bedeutet, dass ich mich darauf einlassen MUSS, wenn ich als Lehrer und Leitungsperson relevant bleiben will!
Womit wir bei einer zweiten, hochrelevanten Frage wären: nämlich, was das für meine Tätigkeit als Kurator bedeutet? Als Kurator von Lern- und Arbeitsumgebungen ebenso, wie als Kurator meiner eigenen Persona, in der virtuellen, wie auch in der realen Welt. Ich sprach gestern von Honne und Tatemae; und natürlich sind die beiden Begrifflichkeiten auch jetzt wieder am Start, wenn ich für mich beantworten muss, wie ich authentisch und bei mir selbst bleiben kann, ohne in einer Welt abgehängt zu werden, deren Wandel-geschwindigkeit mich manchmal überfordert? Denn auch, wenn ich vorhin gesagt habe, dass Persona und Person nicht zwingend deckungsgleich sein müssen, werden wir, früher oder später, wenn die reale Welt wieder übernimmt auf unser reales Selbst zurückgeworfen sein. Und ICH wäre nicht mit mir zufrieden, wenn dieses reale Selbst nur noch aus Maske bestünde. Carl Rogers, der Vater der Klientenzentrierten Psychotherapie spricht in diesem Zusammenhang von Kongruenz, vom mit sich selbst eins sein. Und weil viele Menschen ein sehr feines Näschen dafür haben, wenn sie verarscht werden, ist mir Authentizität in Wort und Tat immer ein Grundbedürfnis sozialer interaktion. Wie ich das auch in der Virtualität hinbekomme, deren Verlockung ja doch immer das Vexierspiel mit der möglichen Selbst-Darstellung im Netz ist, weiß ich noch immer nicht, obwohl ich schon eine Weile übe. Wie könnte ich da von meinen SuS perfekte Out-of-the-Box-Lösungen erwarten…?
Mal schauen, was mir die Tage zum Themenkreis Kurator/Kuratierbarkeit noch einfällt. Einstweilen wünsche ich allen eine halbwegs erträgliche Woche.
Eine Antwort auf „Kurator N°2“