Wie man es auch dreht und wendet: als SL kommt man einfach nicht drum herum, ab und an mal was vorzubereiten. Sei es die Karte einer Location, welche die Charaktere erkunden sollen, Handouts mit Informationen, die nach einem Zusammentreffen mit einem Antagonisten verfügbar werden oder einfach nur ein paar NSCs, welche der Gruppe lustigen Scheiß angedeihen lassen. Da man sich sowas aber schlechterdings einfach so merken kann, hat man ein Notizbuch. Oder auch mehrere. Oder irgendeinen Cloud-Speicher voll mit Textfiles, Bildern, usw. Oder was auch immer. Jeder entwickelt im Lauf der Zeit seinen individuellen Workflow, wenn es um so was geht.
Und jeder entwickelt sein individuelles Level an Planung. Ich selbst habe in meiner SL-Frühzeit mit Hingabe Dungeons geplant, Landkarten gemalt, Encounter minutiös vorbereitet… um immer wieder fassungs- und auch hilflos zusehen zu müssen, wie die bösen Spieler meine sorgsam geplanten Szenarios in Null Komma Nix verwüsten, zertrampeln, einstampfen, sprengen, verbrennen, fluten, oder sonstwie vernichten. Die ganze Arbeit für die Katz. Kotzen hätte ich jedes Mal können.
Bis ich erkannt habe, dass nicht die Spieler das Problem waren, sondern ich! Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, ihnen meine Sichtweise der Geschichte, meinen Weg, meine Lösungen, meine Willkür servieren zu wollen? Es ist doch ihre Geschichte! Okay, ich habe die Grundlagen entwickelt, aber wenn wir diese zusammen weiter entwickeln wollen, warum sollten dann alle nach meiner Pfeife tanzen sollen. Das nennt man in Gamerkreisen „Railroading“ und es macht den meisten nicht sonderlich viel Spaß.
Das eigentliche Problem dabei ist, dass es unter Umständen Flaschenhälse oder gar Sackgassen erzeugt, die das Spiel vollkommen vernichten können. Beispiele dafür fänden sich in den ersten Tomb-Raider-Teilen, wo man bei manchen Rätseln absurde Kombinationen ausknobeln musste, um überhaupt weiterkommen zu können. Sowas ist frustrierend und reißt die Spieler eventuell auch aus ihrer Immersion. Das ist nicht klug. Insbesondere, wenn man manches auch einfach passieren lassen kann. Oder gleich eine Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten offen lässt.
Nehmen wir mal an, ich würde mal wieder Lust bekommen, ein Dungeon zu planen und so vorgehen, wie ich früher und viele andere SL heute noch; nämlich linear. Irgendwann kommt die Gruppe an eine verschlossene Tür. Der Dieb tritt vor und versucht das Schloss zu knacken, versemmelt aber seinen Wurf. Der vergiftete Dorn, der zur Sicherheit in das Schloss eingebaut worden war, vergiftet ihn so heftig, dass er eine ganze Weile außer Gefecht sein wird. Und kein anderer in der Gruppe hat die Fertigkeit „Schlösser öffnen“… Man könnte nun entgegnen, dass doch einfach noch ein paar Charaktere die Fertigkeit hätten lernen können. Stimmt grundsätzlich. Manche Systeme regulieren jedoch den Zugang zu bestimmten Fertigkeiten abhängig von der Klasse des Charakters. Wenn’s nicht gerade eine Gruppe mit lauter Dieben ist, wird es dann schwierig. Und wie glaubwürdig ist ein Paladin, der Schlösser öffnen kann…?
Solche Probleme kann ich durch ein flexibleres Design lösen. Zum Beispiel, indem es mehrere Wege zum Ziel gibt. Indem ich bei den wenigen obligaten Hindernissen keine strikt monokausalen Lösungswege (du musst dies…, nur dann wird das…) verlange. Indem ich ausufernde Dungeons einfach weg lasse. Indem ich die Umgebung so gestalte, dass die Kreativität bei der Problemlösung gefordert wird. Folglich plane ich nur wenig tatsächlich vor. Ich notiere mir stattdessen Nexuspunkte, an denen sich Personen und Ihre Agenden mit Ereignissen und ihren jeweiligen Auswirkungen verknüpfen und so jeweils einen Vortex an Möglichkeiten erzeugen. Ich gehe jetzt mal soweit es „meine Nexus-Vortex-Methode“ zu nennen; und ich möchte davor warnen, zu denken, dass ich mir dadurch Arbeit sparen würde. In meinem Notizbuch habe ich eine ganze Auswahl an NSCs mit Zielen und Aufgaben und in meinem Webglossar einen wachsenden Schatz an Orten und (geplant, aber noch nicht ausgeführt) natürlich Beschreibungen bereits abgelaufener Ereignisse. Dies immer wieder zu ordnen, während die Charaktere durch meine Sitzungen marschieren ist meine Aufgabe.
Wenn also zum Beispiel in einer meiner Sitzungen ein Hacking-Device ein unheilvolles Eigenleben entwickelt, haben meine Charaktere eine ganze Menge Möglichkeiten, dem entgegen zu treten. Sie haben es zuerst abgelenkt, den Datenstrom zu seinem Ziel verfolgt und dann mit einer EMP-Granate außer Gefecht gesetzt. Der Umstand, dass es sich dabei um einen Cyberschädel mit einem künstlich gezüchteten, sich unerwartet selbst regenerierenden biologischen Gehirn darin gehandelt hat, ließ das Ganze zudem ein bisschen gruselig wirken. Möglich gewesen wäre, es auf verschieden Arten direkt anzugreifen, es direkt zu hacken, es gewähren zu lassen, oder es gar bei Auffinden sofort zu vernichten. Stattdessen wollten sie es untersuchen und dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Aber zu keiner Zeit habe ich die Charaktere zu etwas genötigt. Alle Entscheidungen wurden selbst und zum Teil unabhängig voneinander getroffen. Dennoch entstand alsbald Teamwork. Wenn eine Gruppe so funktioniert, kommt bei mir Laune auf.
Was ich damit sagen will ist dies: lernt, eure Geschichten fliegen zu lassen, nötigt die Spieler lediglich dazu, Stellung zu beziehen und etwas zu tun, oder zu lassen. Doch gebt ihnen bitte nicht vor, wie sie auf etwas zu reagieren haben. Das tötet nur die Lust am Spiel, weil es oft als Unfairness empfunden wird – zumindest von mir! Aber nur mit Spaß heißt es: aways game on!
5 Antworten auf „Der verwirrte Spielleiter #05 – tot geplant…?“