Der verwirrte Spielleiter N°50 – Session Prep!

Ja verdammich – ’ne Jubiläumsfolge. Ich glaube, keine meiner anderen Artikelserien hat einen solchen Umfang erreicht. Scheint mir wohl doch immer noch wichtig zu sein… 😉 Aber genug des Geplänkels. Ich hatte in Episode N°49 über das Vorbereiten einer kompletten Kampagne gesprochen und dabei evtl. das Missverständnis erzeugt, dass man alle Story Arcs seiner Kampagne schon irgendwie zu Anfang skizziert haben sollte. Zur Erinnerung: Story Arcs liegen eingebettet in die Core Story der Kampagne, die widerum eigebettet ist in den Meta-Plot der Welt. Aber selbst, wenn ich meiner Kampagne beim Design schon ein übergeordnetes Thema gegeben habe, bedeutet das nicht, dass ich ALLE Story Arcs schon kennen kann. Es gibt nämlich mehrere Möglichkeiten an das Kampagnen-Design heranzugehen, über die ich noch nicht gesprochen hatte. Deshalb sind hier zunächst ein paar erste Erwägungen notwendig, die sich später erheblich auf das Vorgehen beim Session Preppen auswirken:

  • Campaign Pitch: Ich habe eine oder mehrere Ideen für die nächste Kampagne (Setting, Thema, Regelwerk), und stelle meinen Spielern diese Ideen kurz vor, damit sie sich über die Charaktere Gedanken machen können, die sie in dem dann schließlich ausgewählten Vorschlag spielen wollen. Mit Blick auf die Charaktererschaffung schauen wir in den nächsten Paragraphen…
  • Predesign – free choice: Ich habe eine Kampagne vorbereitet, die ich leiten werde und sage den Spielern nur an, in was für einer Art von Setting sie sich bewegen werden und erwarte dann gelassen, mit welchen Ideen sie mein Design sprengen werden. Hier gibt es zwei Untervarianten: gemeinsame Charaktererschaffung, damit die Chars in ihren Archetypen und Spezialitäten aufeinander abgestimmt sind. Dieses Vorgehen ist vor allem in taktiklastigen Systemen wie Pathfinder/Starfinder und DnD 5E quasi notwendig, sonst werden auch einfache physische Herausforderungen schnell zu einem Problem. Oder man macht eine individuelle Charakter-Erschaffung one-on-one mit dem SL. Ganz ohne taktische Erwägungen steht man dann auch schon mal mit 3 Spezialisten ohne nennenswerte Kampfkraft da. Allerdings entstehen auf die Art schon beim ersten Aufeinandertreffen oft sehr witzige, denkwürdige und spannende Szenen.
  • Predesign – narrow choice: Klare Ansagen, wie „Ihr müsst alle Zwerge spielen, weil das für das Funktionieren der Kampagne essentiell ist!“. Wahlfreiheit einzuhegen kann sinnvoll sein, wenn ich ein bestimmtes Thema für die Kampagne im Kopf habe.
Oft ist der Weg nicht klar – aber trotzdem das Ziel…

Je nachdem, wie eng oder offen ich das Thema und die daraus resultierenden Modalitäten der Charakter-Erschaffung meiner Kampagne auslege, habe ich mit der individuellen Vorbereitung einer Sitzung mehr oder weniger Arbeit. Ein zweiter Aspekt, der hier zum tragen kommt, ist die Frage, wie viel Backstory mir die Spieler für ihre Chars liefern. Jedem Spieler muss klar sein, dass eine elaborierte Backstory von mehr als einer Seite NICHT GELESEN wird. Dafür habe ich zu viel Anderes um die Ohren – als SL muss ich mich um eine ganze Welt kümmern, auch wenn’s nur eine virtuelle Welt ist. Allerdings liefert eine knapp und prägnant abgefasste Backstory dem SL u.U. Ideen und Storyhooks für individuelle Herausforderungen und Story Arcs. Wenn man das MIR als SL überlässt, kann man sein blaues Wunder erleben… Habe ich nun ein eng gefasstes Kampagnen-Thema und aufeinander (taktisch) abgestimmte Charaktere, muss ich beim Encounter-Design mehr Umsicht walten lassen. Es gibt Spieler, die zwar Action mögen, aber auch in einer gut geplanten Abenteurergruppe taktisch ungeschickt agieren. Habe ich mehrere solcher Spieler am Tisch, sehen meine Encounter anders aus, als wenn ich lauter erfahrene Wargamer am Tisch habe, die eine Ork-Armee in Nullkommanix auseinander nehmen. Besteht die Gruppe aus individuell erstellten Chars, die sich erst aufeinander eingrooven müssen, und deren Spieler mit dem Thema Taktik unterschiedlich effizient umgehen, gilt das Gleiche. In jedem Fall muss mein Encounter-Design sich am Taktik-Level der Gruppe ausrichten. Ich weiß nicht, ob meine Spieler das jetzt gerne hören aber – taktisch geschickt geht oft anders. Was allerdings dem Spaß keinen Abbruch tut.

Man könnte jetzt eventuell annehmen, dass ich immer nur nett zu meinen Spieler bin, und meine Encounter stets vorher ausbalanciere. Fragt sie mal, sie werden euch was Anderes erzählen; denn das tue ich NICHT! Ich weiß allerdings auch, das Encounter-Design nicht aufhört, wenn die Initiative gewürfelt wurde (Danke Matt Colville!). Give or take a few! Antworten die Spieler auf die Herausforderungen mit abgefahrenen Stunts, denken sie nicht nur mit ihrem Charakterblatt, wirkt sich das zu ihrem Vorteil aus. Auch wenn meine Antagonisten natürlich ebenso gewinnen wollen. Aber selbst ein großer Dämon ist nicht allwissend oder auf alle denkbaren Taktiken gefasst. Und wenn die Spieler dabei auch noch „in character“ bleiben, ist große Dramatik garantiert. Und das ist, was wir wollen – Dramatik, im ganz klassischen Sinne der Theatertheorie. Siege wollen verdient sein, manchmal suchen die Helden regelrecht nach Katharsis, manchmal gewinnen die Anderen – und oft sind die Einsätze sehr hoch. Das macht den Reiz des Spiels aus. Nicht nur beim Pokern.

Und was ist Session Prep nun eigentlich? Letztlich die Zergliederung und Anpassung dessen, was ich bei meiner Campaign-Prep vorbereitet habe. Eine Mischung aus Reduktion und Akkomodation. Denn was die Charaktere in Session N°0 – N°3 getan haben, wirkt sich natürlich auf Session N°4 aus, weil meine ursprünglich vorbreiteten Story Arcs von ihnen modifiziert wurden. Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. Essentiell ist, dass ich jede Sitzung im Nachgang und unter Berücksichtigung der Ereignisse der vorangegangenen Sitzung vorbereite. Selbst, wenn ich Cliffhanger gesetzt habe. Darum ist Buchführung so verdammt wichtig. Noch wichtiger ist es allerdings, Pacing und Abfolge der Encounter bzw. herausforderungen flexibel anpassen zu können, wenn die Spieler – mal wieder – einen ganz anderen Weg durch die Ereignisse nehmen, als ich das tun würde. Ich verweise hier einmal mehr auf meine Nexus-Vortex-Methode.

Grau, oh grau ist alle Theorie. Vielleicht mache ich irgendwann doch mal ein Video, wie sowas bei mir aussieht. Problem dabei ist allerdings, dass ich mir dazu dann auch noch ’ne neue Kampagne ausdenken müsste, weil ja meine teilnehmenden Spieler nicht unbedingt sehen sollen, wie die nächste Sitzung aussieht. Mal schauen. In jedem Fall wünsche ich noch einen schönen Tag, und denkt dran – always game on!

Auch als Podcast…

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