Der verwirrte Spielleiter #04 – Fairness? Was ist das?

„Warum hat sich das regeneriert? So was habe ich ja noch nie gesehen. Das kann doch gar nicht sein…“ Ich habe da neulich eine, für meine Story aus meiner Sicht wichtige Wendung eingebaut, welche den Charakteren eine Chance geben sollte, einem neuen Antagonisten in meiner Space-Opera-Cyberpunk-Kampagne auf die Spur zu kommen. Das wurde primär nicht gut aufgenommen, weil es unerwartet kam. Doch ich bin der Meinung, dass das Unerwartete, das Unberechenbare, das Unbestimmte ja gerade der Stoff ist, aus dem Geschichten gesponnen werden sollten. Daher möchte ich zunächst auf den Unterschied zwischen Standardhandlungen und dem Unbekannten eingehen.

Ich habe gerade die Tage gesagt, das Standardhandlungen der Charaktere auch erwartbare Resultate liefern sollten. Wenn also der Charakter mit seinem üblichen Plasmablaster auf einen gewöhnlichen Gegner schießt, dann erwartet er vielleicht, weil das die letzten acht Male auch so war, dass der beim dritten Treffer umfällt. Braucht er plötzlich sieben Treffer, oder mein NSC für seinen Charakter nur einen einzigen- weil ich als SL gerade heute Lust drauf habe, ein paar Charaktere wegzuputzen – ist das Spiel dysfunktional geworden. Denn, da es sich beim Rollenspiel um eine Geschichte handelt, die wir – also SL und Spieler – gemeinsam erzählen wollen, müssen wir uns auch alle halbwegs an die Regeln halten.

Diese Aussage bezieht sich auf die mechanischen Konventionen, die zur Auflösung von Konflikten oder zur Lösung schwieriger Aufgaben verwendet werden. Also auf die Frage, wann welche Würfel welche Ergebnisse zeigen müssen, damit alle Lächeln können. Das ist natürlich von Regelwerk zu Regelwerk unterschiedlich gelöst, aber das grundlegende Prinzip bleibt dabei das gleiche: Hierbei sollten alle (fast) immer skrupulös handeln, denn sonst zerstört man das Vertrauen der Spieler in die Fairness des Spiels. Fairness ist jedoch ein wichtiger Faktor. Wie bereits neulich gesagt, wollen wir als SL unsere Spieler mit ihren Charakteren siegen sehen. Natürlich wollen die Spieler ihre Charaktere ebenso siegen sehen! Aber der Kampf bzw. die Schwierigkeit der Aufgabe muss fair gestaltet sein; sie wollen sich ihre Erfahrung hart verdienen und nicht einfach nur hinterher geworfen bekommen.

Damit stehe ich als SL vor einem großen Problem: dem nämlichen schmalen Grat aus DVSL#03, auf dem zu wandern ich immerzu gezwungen bin. Nehmen wir an, ich als SL verwickle die Charaktere in einen Boss-Kampf. Mit den Henchmen des Ober-Gegners läuft es so, wie sonst auch. Doch der Boss zaubert plötzlich – ohne, dass die Charaktere eine Chance gehabt hätten, sich darauf vorzubereiten – absurde Fähigkeiten aus dem Hut, die in keinem Regelwerk stehen und die ganze Gruppe im Nu beinahe killen. Wenn es dafür keine gute Erklärung gibt, ist das Spiel gestorben. Gebe ich jedoch jedem Charakter vor dem Zusammentreffen mit dem Big Boss eine nirgendwo dokumentierte BGF9000, wird das zu einer ebenso nutzlosen Erfahrung, weil es zweimal ordentlich rummst und dann war’s das. Beide Extreme illustrieren, warum man sich an den, durch das gewählte Regelwerk beschriebenen Rahmen halten sollte.

Big Boss, die Dritte: Alle haben Ausrüstung und Fähigkeiten im Rahmen dessen, was die Regeln hergeben, dennoch ist der Endgegner schwer zu überwinden, weil er einfach sehr gut in dem ist, was er so tut. Der Kampf dauert an, da verlässt die Fortune die Würfel eines Spielers im denkbar ungünstigsten Moment… Ich als Spielleiter muss sehr schnell durchdenken, wie ich die Sache ausgehen lasse. Und ich habe durchaus Möglichkeiten, das Ergebnis einer unglücklichen Aktion so zu moderieren, dass es seine eigentliche Schärfe verliert. Ob ich das durch Humor/Slapstick oder aber großes Drama tue, ist vollkommen egal. Wichtig ist auch hier, dass ich fair bleibe und mein Eingriff so subtiler Natur, dass die Spieler ihn akzeptieren.

Manche Dogmatiker werden jetzt sagen, dass der Spielleiter nicht bescheißen darf, auch wenn er damit vielleicht einen, oder sogar mehrere Charakter aus dem Spiel nimmt. Ich sage, dass ist kein Bescheißen, sondern kreative Realitätsmodifikation. Ich töte einen Charakter nämlich zum Beispiel nur sehr ungern auf Grund von dämlichem Würfelpech. Zum einen, weil ich ein Fan der Charaktere bin, zum anderen, weil ich genauso wissen will, wie die Geschichte ausgeht, wie meine Spieler auch. Denn als kollaborativer Geschichtenerzähler lasse ich mich selbst gerne davon überraschen, wohin der Zug fährt. Neulich zum Beispiel haben die Charaktere ein Vehikel, dass Ihnen später noch hätte dienlich sein können vom Himmel geholt, weil sie eine Antagonistin ums Verrecken nicht entkommen lassen wollten. Dann ist das halt so.

Worauf ich hinaus will, ist folgendes: wenn ich mir, womöglich über einen längeren Zeitraum die Mühe gemacht habe, die Charaktere aufzubauen, um (hoffentlich) ein paar bestimmten Storyhooks nachzugehen und in ein bestimmtes Geschehen hinein zu stolpern, wäre es höchst widersinnig, einen, oder auch mehrere dieser Charaktere dem Zufall zu überantworten. Das bedeutet nicht, dass es nicht doch mal zu Todesfällen kommen kann, insbesondere, wenn es der Dramatik der Geschichte dienlich ist und der Held mit einem gebührenden Knall abgehen kann. Aber wenn das passiert, muss es eine Chance für den Spieler geben, irgendwie wieder in das Spiel zu kommen. Denn auch er hat ein Anrecht darauf zu erfahren, wie diese Geschichte, an der er ja beteiligt ist, weitergeht. Kille ich mal eben so seinen Charakter, nehme ich ihm dieses Recht!

Was nun das anfangs erwähnte Unbekannte anbelangt: damit verhält es sich ähnlich. Und nutze ich etwas neu eingeführtes gegen die Charaktere, geben ich ihnen im Nachgang selbstverständlich die Chance, sich diesen neuen Aspekt des Spiel selbst zu nutze zu machen, um sich gegen zukünftige Bedrohungen wappnen zu können. Auch hier gilt, dass mein Eingriff subtil erfolgen und glaubwürdig auf dem aufbauen sollte, was es schon gibt. Wenn in meiner Space-Opera-Cyberpunk-Kampagne plötzlich irgendjemand ultraheiße Feuerbälle um sich würfe, wären meine Spieler vollkommen zu recht angepisst, weil Magie nirgendwo in meinen Handouts erwähnt wird. Sich selbst regenerierendes Gewebe gab’s aber schon. Ich habe da nur Bestehendes extrapoliert und neu abgemischt; et voilá, ich habe sie damit vollkommen überrumpelt.

Mit dem cheatenden SL ist es wie mit allem. Die Dosis macht, dass ein Ding ein Gift ist. Setze ich das sparsam und bewusst als Werkzeug ein, um die Geschichte voran zu treiben, oder mal einen Charakter am Leben zu lassen, wird es von den Spielern nach meiner Erfahrung als fair empfunden. Und da unser oberstes Ziel Spaß ist, kann es damit so falsch nicht sein. In diesem kontroversen Sinne: always game on.

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