Ich schaue aus dem Fenster und die Stadt liegt vor mr in grau in grau – feuchter Dunst, soweit das Auge reicht; man kann die nasse Kälte spüren, ohne vor die Tür zu gehen. Tage, an denen man keine sonderliche Motivation verspürt, etwas anderes zu tun, als seine Zeit drinnen mit Dingen zu verbummeln, die Spaß machen und mit Arbeit überhaupt nichts zu tun haben. Zeit, in sich hinein zu lauschen und zu hören, was das Drinnen zu vermelden weiß, wenn das Draußen so wenig Wert auf seine Präsentation zu legen scheint. Alles kann, vieles darf, nix muss! Scheiß auf Selbstoptimierung! Scheiß auf Achtsamkeit! Scheiß auf Effizienz! Denn heute ist verdammtnochmal Sonntag. Das Drinnen reflektiert ja oft das Draußen, doch im Moment fühle ich nicht so. Ich bin die Tage von einem lieben Freund gefragt worden, ob es momentan einfach nur viel Arbeit wäre, oder ob das emotionale Befinden auch (mal wieder) eine Rolle spielen würde? Wir sind schon vor einer ganzen Weile überein gekommen, die äußeren Umstände (Stress, Konflikte, etc.) und den jeweiligen Zustand unserer Depression getrennt voneinander betrachten zu wollen. Objektiv kann es einem ziemlich gut gehen und trotzdem ist drinnen Weltuntergang. Wer noch nie mit einer Depression zu tun hatte, KANN NICHT VERSTEHEN, wovon ich gerade spreche; deshalb noch mal in aller Deutlichkeit: du kannst in einem Rolls Royce durch die Stadt fahren, eine wunderschöne Person im Arm halten und dich trotzdem einsam, unfähig und von allem enttäuscht fühlen. Das geht ganz einfach – du musst nur beim Seelencheckout, wenn du in den nächsten Reinkarnations-Zyklus gehst, dass All-Scheiße-Inclusive-Paket eingebucht bekommen. Auf zur nächsten Runde und Danke für nichts.
Um es klar zu sagen: die Herbst- und Winterzeit, wie sie sich derzeit präsentieren sind eine Supergelegenheit, mal wieder richtig auf Talfahrt zu gehen. Was mich im Moment irritiert ist die Gelassenheit, die ich verspüre. Ich bin nicht depressiv. Ich bin überarbeitet, habe keine Zeit, die Dinge zu tun, die ich eigentlich momentan tun müsste weil mein Team derzeit ausgedünnt ist und ich auch nach einigen Tagen Ruhe immer noch nicht wieder vollständig genesen bin. „Drauf geschissen, geht schon irgendwie“ funktioniert aber nicht unbegrenzt lange! Möglicherweise macht mich meine protestantische Arbeitsethik, die ich von meinem Vater erlernt habe hier gerade zum Opfer. Keine Ahnung, bisher war ich auf meine Sekundär-Tugenden wie Arbeitsethos, Pünktlichkeit, Belastbarkeit, etc. immer stolz gewesen. Und zwar nicht, weil ich dadurch für jemand anders Wertschöpfung betreiben durfte, sondern weil ich meine Tätigkeit wirklich als sinnvoll, sinnstiftend und essentiell wichtig erachte. Kann vermutlich NICHT jede*r von sich sagen, würde ich behaupten. Und doch ist im Moment die Arbeits-Batterie unendlich leer, meine Bullshit-Toleranz beinahe aufgebraucht und mein Bedarf an Pausen größer, als die Wochenenden diesen zu stillen vermögen. Und irgendwie warte ich schon darauf, dass meine Bosse wieder mit irgendeinem neuen Scheiß um die Ecke kommen, den ich momentan nicht bearbeiten kann; schlicht weil mir Zeit und Energie dazu fehlen. Wäre ich damit allein , ginge es ja noch, aber der Rest meiner Mannschaft pfeift auch auf dem letzten Loch. Und es sind noch unendlich vollgepackte drei Wochen bis zum Urlaub… Wie gesagt, eigentlich erwarte ich jederzeit einen Zusammenbruch, aber im Moment zeigt sich meine Psyche stattdessen resilient wie schon lange nicht mehr. Habe ich was dazugelernt…? Ich weiß von mir, dass meine Depression tatsächlich endogen angelegt zu sein scheint (mütterlicherseits vererbt), wobei es aber verschiedene Trigger gibt, die ich bislang identifizieren konnte (einer davon ist Arbeitsüberlastung…). Vermutlich kann ich denen mittlerweile trotzdem instinktiv besser aus dem Weg gehen, als ich das früher konnte. Einfach wird es in diesem Leben trotzdem nicht mehr!
Was mich in dem Zusammenhang am meisten irritiert ist, wie viele Posts/Threads in den antisozialen Medien sich mittlerweile mit dem Thema Depression auseinandersetzen. Da trendes gerade was! Wenn es dabei um Aufklärung, um professionelle Hilfsangebote, um „geteiltes Leid ist halbes Leid“ geht, lasse ich mir das ja noch gefallen. Aber nicht wenige Honks da draußen haben sich einfach nur ein bisschen gefährliches Halbwissen angelesen und glauben jetzt wirklich, halbgare Heilsbotschaften herausposaunen zu können. Ist auch so ein Trend, den ich in den letzten Jahren bemerkt habe. Ich weiß nicht, ob das so ein Generationsding ist, aber es scheint in Mode gekommen zu sein, zu glauben, dass man einen Sachverhalt nicht mehr intensiv studieren und sich dem Gegenstand kritisch über mehrere mögliche Zugänge annähern muss, um auch wirklich umfassend Bescheid zu wissen, bevor man sich äußert oder irgendwas tut – kaum ein paar Webseiten und Videos auf TikTok konsummiert, sich ’n bisschen was zusammengereimt und schon glaubt man, bewaffnet mit seiner „Professur“ von der Google-University besser Bescheid zu wissen, als echte Spezialisten im Feld. Etwas mehr Imposter-Syndrom anstatt Dunning-Kruger täte unserer Welt manchmal echt gut (auch wenn beides Scheiße ist…)! Noch schlimmer sind allerdings diese ganzen Berater-Fuzzies, die versuchen, mit den Problemen, Unsicherheiten, Schwächen, Ambivalenzen anderer Menschen Geld zu machen. Die sind einfach nur gefährlich, nutzlos und eine deutlich schlimmere Pest als die Dunning-Kruger-Kinder dieser Welt, weil sie all die Unsicherheit ihrer Mitmenschen wissentlich und willentlich ausnutzen. Pfui Teufel! Wie man es auch dreht und wendet, das Thema bleibt für mich persönlich IMMER AKTUELL. Mache ich hier eigentlich auch gerade ungerechtfertigterweise auf mich aufmerksam? Keine Ahnung. Aber falls es doch so rüberkommen sollte: darum geht es mir nicht. Sondern nur darum, dass das „Stuck in the middle“-Gefühl, welches ich in den letzten Posts ausführlich beschrieben habe definitiv auch ein Trigger sein kann, den man im Auge behalten sollte. Und damit ist es auch erst Mal gut. Ich wünsche einen schicken Start in die neue Woche.