Der verwirrte Spielleiter N°52 – Das Böse ist los!

Ist schon lustig, dass man im Pen’n’Paper immer davon ausgeht, dass es so etwas wie ein Alignment, oder zu Deutsch eine Gesinnung gibt – und dass eine Gesinnung ein fixes Konstrukt ist, dass sich niemals ändert und das vor allem in einer Population gleich verteilt ist. Alle Orks sind böse – oder? Alle Elfen sind gut – oder? Alle Spielercharaktere müssen guter Gesinnung sein, sonst sind sie keine Helden – oder? Alles, was kein Held ist, ist ein Monster (oder ein böser Gegner) – oder? Warum arbeiten wir im Fantasy-Rollenspiel mit derlei Aussagen? Weil ein nicht unerheblicher Teil im Ausspielen von Konflikten besteht, und Spieler:innen sich gerne darauf verlassen, dass es okay ist, den Gegnern auch mal die Schädel einzuschlagen. Denn in der Realität ist es das nicht; auch wenn ich mir zum hundertsten Mal wünsche, dass das Verbuddeln der Überreste von Idioten, die ihren Führerschein einfach nicht verdient haben straffrei bleiben sollte. Kleinbürgerliche Goßmachtträume sind in der Realität genau das – Träume. Also räumen wir mal kurz mit einigen hartnäckigen Missverständnissen auf.

Das Böse hat am Bild gespielt… 😉

Zunächst muss klar sein, dass der Begriff „böse“ im Kontext Pen’n’Paper nur auf einer rein erzählerischen Ebene funktionieren kann. Das Böse im Rollenspiel hat mit dem Bösen der realen Welt nichts gemein – es mag Erzählfiguren und NSCs geben, die von der realen Welt inspiriert sind, doch in der Secondary World sollten jene Ambivalenz und Ambiguität, welche sich in Echt-Welt-Konflikten finden nur gut dosiert eingesetzt werden, weil die Spieler:innen sonst u.U. nicht das Maß an Eskapismus erleben können, für welches sie eigentlich an den Spieltisch gekommen sind. Wenn jede Situation zu einer moralischen Herausforderung im unüberschaubaren Reich der Grautöne wird, bleibt der Spielspaß auf der Strecke. Das bedeutet NICHT, dass es KEINE moralisch fordernden Situationen geben sollte! Man ist jedoch gut beraten, diesen im Spiel keinen zu großen Raum zu geben. Das wahre Leben ist schon genug voller Uneindeutigkeiten und Dissonanzen, die uns alle erheblich kognitiv fordern.

Wenn das Böse aber als erzählerische Kategorie funktionalisiert wird, muss ebenso klar sein, dass Erzählungen – insbesondere am Pen’n’Paper-Spieltisch – dynamisch sind. Sie entwickeln sich weiter, während wir diese gemeinsam erzählen. Folglich sind auch die Charaktere und NSCs, sowie die Gruppierungen, denen sie angehören dynamisch. Die Welt entwickelt sich als fortlaufender Prozess mal mit, mal ohne Zutun der Charaktere weiter; und lässt damit den Spielern oftmals keine andere Wahl, als ihre Charaktere auch weiter zu entwickeln. Zumindest, wenn die „Rolle“ in Rollenspiel tatsächlich als solche begriffen wird. Wenn Charaktere und Ihre Persönlichkeiten dynamisch veränderliche Konstrukte sind, können sie auch böse sein, böse werden, gut werden oder gut bleiben. Denn bestimmend dafür, ob ein Pen’n’Paper-Char und seine Handlungen als böse oder gut wahrgenommen werden ist lediglich der Grad, in welchem die Ziele dieser anderen virtuellen Person mit denen meines Charakters übereinstimmen. Wir wollen alle das Selbe => alles easy => Char ist gut! Der Spieler und damit sein Char haben konträre Ziele => Feind => Char ist böse! One persons evil is another persons goal!

geklaut bei Matt Colville, ergänzt von mir

Es ist in diesem Zusammenhang evtl. von Vorteil, sich mal über verschiedene moralische Archetypen Gedanken zu machen, die ich in dem obigen Bild in einem semiotischen Rechteck nach Greimas dargestellt habe:

  • HELD: das heldenhafte Prinzip beinhaltet, sich auf jene Art zu verhalten, die wir instinktiv mit Heldentum assoziieren, also die Schwachen zu schützen, Unrecht zu bekämpfen, dem Bösen die Stirn zu bieten, etc. Ein Held zu sein entbindet Spieler:innen allerdings nicht von der Aufgabe, sich eine stimmige Motivation auszudenken, warum DIESER Charakter sich JENER Aufgabe verschreibt (trotzdem findet man hier viele typische Spielercharaktere).
  • BÖSEWICHT: der Widerspruch zum Helden, jenes ungezügelte Prinzip, in welchem sich alles Unrecht bündelt, das wir uns vorzustellen vermögen (dieser Charakter ist ein NSC und gehört den SL). Nachvollziehbare Motive können eine Rolle spielen; oftmals haben wir hier aber einfach jene chaotischen Soziopathen, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen, weil ihnen das Feuer so gut gefällt.
  • ANTI-HELD: hier wird es interessant. Anti-Helden wollen keine Helden sein, werden aber durch die Umstände dazu genötigt, heldenhafte Dinge zu tun, solange diese auch mit ihrer eigenen Agenda vereinbar sind. Der Anti-Held reist mit einer Gruppe, solange seine und deren Ziele halbwegs kongruent sind. Ist dies nicht mehr der Fall, droht die Trennung. (kann ein interessanter Spielercharakter sein, solange mit dem SL sauber festgelegt wird, welche Ziele dieser Charakter eigentlich verfolgt).
  • ANTI-BÖSEWICHT: und der hier möchte kein Bösewicht sein, fühlt sich aber durch die Umstände gezwungen, böse Dinge zu tun, um seine eigenen Ziele erreichen zu können. Solange jedoch seine Ziele auch durch Teilnahme an der Heldenreise erreichbar scheinen, wird er mit einer Gruppe nicht nur kooperieren, sondern diese auch unterstützen, sofern ihn dies seinem eigenen Ziel näher bringt. (das ist der Charakter mit dem Geheimnis, welches mit dem SL abgesprochen wurde und der u. U. in einem kritischen Moment die Gruppe hängen lässt. Das hat dann auch nichts mit Feindschaft zu tun – es ist einfach nur so, dass seine Ziele IMMER wichtiger sind, als die der Gruppe).

Es ist also nichts schlimmes dabei, einen „bösen“ Charakter spielen zu wollen, sofern a) klar ist, dass der Spielspaß für ALLE am Tisch respektiert werden MUSS und b) mit dem SL klare Absprachen über Ziele und deren Erfüllung getroffen wurden oder c) ALLE böse Charaktere spielen und eine gemeinsame Agenda haben. Kann alles funktionieren, braucht nur gute Vorbereitung auf Seiten des SL. Das bis hierher Gesagte zeigt aber auch, dass sich eine Agenda ändern kann, weil das Spiel, die Welt und damit die Charaktere in ihr ändern können. Darüberhinaus können wir das alte „Orks = böse vs. Elfen = gut“-Schema nicht stehen lassen, was aber das Problem aufwirft, das wir uns wieder in der Sphäre der Ambivalenz und Ambiguität bewegen, und nicht einfach jeden Ork umnieten lassen können. Deshalb bedarf es mindestens EINER Fraktion im Spiel, die JEDER hasst und bei der NIEMAND Einspruch erhebt, wen man denen auf die Mupfel haut. Aber auch dafür hat unser semiotisches Rechteck ja bereits eine Lösung parat: den Bösewicht (gerne auch in Mehrzahl). Ob das nun irgendwelche übernatürlichen bösen Monster sind, wie Dämonen, Zombies, Geister, etc. oder eine besonders bösartige Untergruppe einer Spezies, ist vollkommen egal. Für den Spielspaß ist es wichtig, ab und an Vertreter dieser Fraktion auftauchen zu lassen, bei denen klar ist, dass man mit ihnen a) nicht verhandeln kann und sie b) immer böses TUN, weil sie c) immer böse SIND und man ihnen folglich stets mit Gewalt begegnen darf. Wie oft diese zum Einsatz kommen, und wie wüst solche Encounter werden, hängt davon ab, wie Kampf-/Taktiklastig das Spiel insgesamt ist. Aber man braucht so eine Fraktion immer! Denn die Secondary World sollte ein Ort sein, der die Möglichkeit bietet, auch mal die einfach Lösung zu wählen; nicht immer, aber wenigstens ab und an. In diesem Sinne – always game on!

Auch als Podcast…

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