Ich muss gestehen, dass ich nicht besonders oft Fernreisen mache. Ich fliege nicht gerne (und das hat noch nicht einmal etwas mit Flugscham zu tun). Für den Familienurlaub tut es das Auto, da ist es wenigstens mal voll ausgelastet. Wenn ich jedoch irgendwelche externen Geschäftstermine wahrnehmen soll, was bei mir ja bislang nur alle heiligen Hochzeiten mal vorkam, jetzt aber häufiger zu werden scheint, dann nutze ich üblicherweise die Bahn. Ja genau, dieses Dings, dass immer zu spät kommt, immer überfüllt ist und keine funktionierende Klimaanlage hat! Meine Erfahrung damit ist, dass man seine Reisen einfach ordentlich planen muss, um zum Erfolg zu kommen, und dann trotzdem besser noch etwas Geduld mitbringt. Vielleicht auch besser etwas mehr. Aber irgendwann kommt man ans Ziel – und hatte bei korrekter Ausführung unterwegs sogar noch die Gelegenheit, ein bisschen was zu arbeiten. Vergnügungs- oder Urlaubsreisen per Bahn finde ich, insbesondere mit Familie allerdings schwierig, und allein reise ich so gut wie nie; vielleicht alle paar Jahr mal. Und dann suche ich mir meist Ziele aus, die irgendwo in der Pampa liegen, wo man sowieso kaum mit Bus und Bahn hinkommt.
Auf solchen seltenen Bahnfahrten ist es unumgänglich, anderen Menschen zu begegnen und ich muss gestehen, dass ich dazu oft keine Lust habe, mich aber für bestimmte Zwecke überwinde. Zum Beispiel, wenn ich mal eben nach Berlin fahre, um mit jemandem sprechen zu können, dessen Expertise ich für ein Projekt benötige und der ein persönliches Gespräch eindeutig präferiert. Meine beste Ehefrau von allen stellte nun vor Reisebeginn fest, dass man meinen Bart-Zustand als Prä-Hipster definieren könnte, worauf ich entgegnete, dass ich auf Grund meines Alters bestenfalls als Post-Hipster in Frage käme, was überdies sicher nichts mit Briefzustellung zu tun hätte. Aber nun war es nicht mehr zu ändern und ich würde die Reaktionen Anderer auf mich dulden müssen. Diese fielen jedoch sehr überschaubar aus. Ich sehe halt so aus, wie ich aussehe und man nahm’s zur Kenntnis. Und so saß ich im Zug und fühlte mich irritiert. Einerseits waren die Umstände wie erwartet: Ersatzzug, andere Wagenreihung, alle Reservierungen gekillt, genervte Mitreisende, aber immerhin nur 6 Minuten Verspätung bei der Ankunft. Andererseits stellte sich so ein Gefühl ein, dass ich praktisch NUR bei solchen „Ausflügen“ erlebe: gespannte Erwartung gemischt mit fatalistischer Freude. Und das machte mich kribbelig. Die gespannte Erwartung konnte ich ja verstehen – aber die fatalistische Freude…
Es ist, so glaube ich zumindest, dieser Drang, ab und an Mannheim nur für mich allein im Rückspiegel verschwinden zu sehen (wenn im Zug auch nur im übertragenen Sinne), der für die Freude verantwortlich ist. Denn selbst ein kurzer Tapetenwechsel führt ja unter Umständen schon zu einer deutlichen Verbesserung der Befindlichkeiten. Allerdings behaupten Wissenschaftler, dass dieser Effekt am ehesten eintritt, wenn man sich ins Grüne begibt (Artikel auf ZON, aber hinter der Paywall). Kann ich für mich so nicht bestätigen. Wichtig sind da die alten Steine zum knipsen und evtl. etwas sinnvolles zu tun, dass aber auch gar nix mit meiner Arbeit zu tun hat. Etwas sehr sinnvolles habe ich getan; ich durfte etwas dazulernen und bin auf Spur für meine Masterthesis (und andere Ideen, die ich wälze). Und alte Steine habe ich auch geknipst; wie so’n verdammter Touri bin ich vom Hacke’schen Markt (wo wir einen Café-Betreiber davon überzeugen konnten, die Musik ganz leise zu stellen, damit das Interview von statten gehen konnte) zum Brandenburger Tor gepilgert und schließlich in meinem Hotel gelandet. Ich fühle mich jetzt noch mehr wie ein recht gewichtiger Post-Hipster als schon zuvor, allerdings mit einer Zufriedenheit im Herzen, die mich den ganzen anderen Scheiß außenrum mit Leichtigkeit vergessen lässt.
Die Hipster-Persona ist jetzt dann allerdings wieder abzugeben, denn ich mag vieles sein; eine Person die voll auf dem Laufenden ist über alles was gerade „hip“ ist bin ich sicher nicht; insbesondere nicht, da bei diesen Eumeln dann in ihrem Habitus auch immer noch so ein impliziter Hauch der ökologisch-ökonomischen Überlegenheit mitschwingt, der in mir bis auf Brechreiz noch andere Abwehrreize triggert. Dieses Pack kann mir vom Halse bleiben, danke dafür. Modernität findet im Kopf, im Herzen und im Handeln statt, nicht im radelnden, bejutebeutelten, markenfetischistisch eingekleideten, stolz zur Schau gestellten Abziehbild eines Möchtegern-Lumberjacks. Nun ja, genug gescholten. Ich mache heute nicht mehr viel, denn für das echte Berliner Nachtleben bin ich mutmaßlich mittlerweile zu alt und zu spießig. Da muss ein Bier an der Hotelbar genügen. Wir hören uns.