Tanzverbot!

Ich will nicht undankbar klingen, denn immerhin habe ich momentan frei. Die letzten Tage waren zwar unlustig, weil ich mich immer noch mit den Nachwehen eines garstigen Infektes herumschlage, aber immerhin – nicht im Office und auch nicht im Lehrsaal. Manche Amtsgeschäfte wurden dennoch erledigt, aber jetzt ist ganz plötzlich Ostern. Karfreitag, to be precise. Und ein bisschen frage ich mich schon, warum wir diesen ganzen christlichen Retrofanz immer noch betreiben? Oder glaubt im Moment etwa doch noch eine signifikante Zahl der Bürger*innen und deren Kinder*innen an göttlich induzierte Wiederkunft eines langhaarigen Wunderkindes mit revolutionären Ambitionen? Immerhin haben seine biblisch erzählten Aktionen stets etwas Aufrührerisches, was – so man denn die Geschichten fürwahrnehmen wollen würde – schlussendlich auch zu seiner Hinrichtung geführt hätte. Die Römer als Besatzungsmacht hatten da, genau wie anderthalb Jahrtausende später die Spanier, Holländer, Portugiesen, Briten, etc. wenig Toleranz, wenn es um irgendwelche schrägen Ideen ging, die Aspekte ihrer Machtbasis in Frage stellten. Irgendwie war die historische Figur, die vermutlich als erzählerische Blaupause für den Heiland gedient hat, vermutlich eher so was wie ein prämoderner Agitator, Revoluzzer, oder gar Terrorist… Am Ende sogar noch ’n Soze…

Manchmal gerät das große Ganze aus dem Blick…

Geblieben ist von alldem wenig mehr als ein Konvolut an Geschichten, die in recht sperriger Sprache aus einer Zeit überliefert wurden, in der es noch nicht allzu üblich war, alles – von der Politik bis zu alltäglichen Banalitäten – abbilden oder irgendwie mit Worten beschreiben zu wollen. Hätten die Phönizier Instagram erfunden, wäre der Seehandel auf dem Mittelmeer wahrscheinlich noch schneller in Fahrt gekommen. Und was hätte das für einen Ärger gegeben, wenn die neuesten Post-Platten von Influenzella und Verpassjanix in einem nicen kleinen Sturm abgesoffen wären? Man stelle sich nur vor, dass die neueste Mode aus Lutetia schon im nächsten Monat in Syria Palaestina bekannt geworden wäre, als Abbild auf stylischer Marmorpaneele vom gallischen Händler Otto Modemachmix per Schnellgaleere aus Ostia Antica verschifft und in Jerusalem per Schnitzerei vervielfältigt an alle Sequentiaten*innen verteilt? Ja, dann wäre es vielleicht auch nicht dazu gekommen, dass Jesus nach dem triumphalen Einzug am Palmsonntag schon bald – für 30 Silberlinge verraten, wie die Mär so geht – ans Kreuz genagelt wurde, um am Ostersonntag, mir nix dir nix, aus seinem Grab spaziert zu kommen. Wie gesagt, wir reden über Geschichten, die allen Körnchen Wahrheit zum Trotze, die an ihnen kleben mögen, einen Mythos erzählen, der nicht bewiesen werden kann, sondern geglaubt werden soll, um seine Wirkung zu entfalten – Feiertage zum Beweihräuchern inclusive.

Und Wirkung wird hier immer noch entfaltet; nur nicht so, wie man sich das gemeinhin vorstellen möchte. Es ist doch so, dass Kultur ein Prozess ist, und dass sich die Dinge ändern. Manchmal tun sie dies langsam, manchmal schnell, aber in jedem Fall bleibt alles anders. Und Religion ist – pardon me for heresy – nichts weiter als ein Kulturprodukt, entsprungen aus dem Wunsch, dem Unbeschreiblichen eine Beschreibung zu geben, oder wenigstens der subjektiven Willkür des Schicksals irgendeinen Sinn. Daran ist nichts Verwerfliches, da wir alle manchmal am Zufall und seinen Kapriolen zu knabbern haben. Verwerflich ist eigentlich nur, dass es eine Organisation gibt, die aus diesem Bedürfnis über lange Zeit reichlich Kapital geschlagen hat… und dies teilweise auch heute noch tut: die „gute“ alte Mutter Kirche. Ich weiß, ich weiß, die Kirche von heute ist mit der aus dem finsteren Mittelalter nicht mehr zu vergleichen, die seelsorgerischen Aufgaben, die sie übernimmt, der Trost, den sie spendet, Schwarberlabarberlapapp. Und trotzdem bekommt sie immer noch jedes Jahr Ausgleichszahlungen für die verloren gegangenen Kirchengüter. Im Jahr 2022 waren das 687,5 Millionen Euro! Für was? Dafür, dass man früher voll schöne Ablassbriefe kaufen konnte? In letzter Zeit hörte ich häufiger das Argument, dass wir halt eine christlich geprägte Kultur hätten. Doch ist das überhaupt noch so? Und wird das in alle Zeit so sein? MUSS das in alle Zeit so sein? Und welchen Wert hat das überhaupt?

Wir haben ein säkulares Staatswesen (siehe Artikel 140 GG), eine Bevorrechtung der Kirchen durch Ausgleichszahlungen für entgangenes Landeigentum, durch ein eigenes Arbeits- und Tarifrecht, etc. ist daher weder zeitgemäß noch verfassungskonform! Also weg damit! „Aber, aber die schönen freien Feiertage…!“, höre ich euch rufen. DIE kann man auch feiern, ohne sich auf das Christentum zu beziehen. Tun doch 47,9% der Deutschen, die nicht mehr in der Kirche sind, oder sowieso anderen Konfessionen anhängen eh schon seit Jahr und Tag. Da kann man von Gewohnheitsrecht sprechen, würde ich sagen. Wir leben schon in interessanten Zeiten, in denen so wahnsinnig viel passiert, in denen alle sich vor großen Herausforderungen sehen, in denen eigentlich nur jene Institutionen und Prinzipien bestehen können, die sich als ausreichend anpassungsfähig erweisen – doch die christlichen Kirchen genießen immer noch Privilegien, die andere niemals mehr erreichen können. Tanzverbot und Kino-Zensur wegen eines stillen Feiertages? Ihr könnt mich mal hintenrum heben! Straftanzen sollte man euch lassen, bis Dienstagmorgen um 05:00 und dann ab zur Arbeit. Rohe Ostern…

Auch als Podcast…

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