Relevant…?

Angeblich sei so ein österlicher Familienbesuch fast genauso gefährlich, wie ein weihnachtlicher, las man dieser Tage in irgendwelchen Postillen. Liegt wahrscheinlich daran, dass man zu diesem Feste seine Geschenke auch noch selber suchen muss, anstatt sie fein säuberlich aufgestapelt unter einem mit Lametta zugekleisterten Nadelgehölz vorfinden zu können. Vorhersehbar ist das Ganze in seiner Formelhaftigkeit dennoch, denn Gärten wechseln ihr Antlitz nicht alle paar Wochen, so dass die Zahl möglicher „Verstecke“ zumeist überschaubar bleibt. Und wehe, es regnet auch noch. Denn den April hindurch, wo Ostern ja üblicherweise stattfindet, ist das Wetter bekanntermaßen launisch… was sich dann auch auf die Gäste übertragen kann. Überhaupt diese Schenkerei. Es kommt einem fast so vor, als wenn Weihnachten und ein Geburtstag pro Jahr einfach nicht genug sind, um die Welterhitzungsmaschine „NUTZLOSER KONSUM“ am Laufen zu halten. Nun ja. Mit einem christlichen Fest hat das dann doch nur noch wenig zu tun, nicht wahr…

HAHA – erwischt! Er hat gerade selbst „christlich“ gesagt, nachdem er doch gestern der christlich geprägten Kultur erstmal eine satte Verbalwatschen verpasst hatte; oder präziser gesprochen der institutionalisierten Prägerin christlicher Kultur, der Kirche. Ja stimmt, aber du kommst ja auch, wenn du irgendwo in Europa alte Steine knipsen magst, jetzt eher schlecht an Sakralbauten aller Art vorbei. Die Dinger hatten einst gleich mehrere Funktionen: sie waren a) Stein gewordenes Gotteslob b) sichtbare Machtdemonstration und c) Orte der Versammlung. Und welchen Eindruck muss wohl ein einfacher Mensch des Spätmittelalters bzw. der Frührennaissance gehabt haben, wenn er eines so monumentalen Bauwerkes, wie etwa des Freiburger Münsters angesichtig wurde? Welches Bauwerk hatte denn damals sonst innen eine lichte Höhe von über 25 Metern? Hier hat der Glaube im wahrsten Wortsinn Berge (oder wenigstens Hügel) versetzt; und diese Leistungen sollten einem auch heute noch tiefsten Respekt abnötigen. Denn wie viel Überzeugung und auch Opferwillen brauchte es wohl, um derlei Bauwerke mit den eher kruden Mitteln jener Zeit vollbringen zu können? Ich kann mir das nicht wirklich vorstellen.

Also wandere ich an solchen Orten fasziniert umher und bin ganz kurz sogar von der Idee angetan, dass es evtl. tatsächlich etwas geben könnte, dass über unsere schnöde irdische Existenz hinausweist – oder um es mit den Worten eines sehr lieben Freundes zu sagen: ich lecke lustvoll an der Essenz des Seins. Nur um im nächsten Moment durch die Vielzahl anderer Menschoiden, die acht- und gedankenlos durch das Bauwerk mäandern, als sei es ein Einkaufszentrum daran erinnert zu werden, warum ich a) Menschen im Großen und Ganzen hasse und b) denke, dass die Menscheit ihren selbstverschuldeten Untergang irgendwie doch verdient hat. Bin ich gerade zynisch? JA – insbesondere, wenn man weiß, dass Zyniker enttäuschte Romantiker sind. Es ist das Sakrileg der Oberflächlichkeit und des achtlosen Egoismus, welches unsere Zeit entzaubert. Ich las vorhin, dass Pablo Picasso heute vor 50 Jahren verstorben sei – und dass seine Relevanz als Künstler mittlwerweile in Frage stünde. Da kann man drüber diskutieren, der Kubismus und Expressionismus stehen ja im Moment insgesamt nicht mehr so hoch im Kurs. Die Frage, die dann allerdings gestattet sein muss, ist Folgende: was ist mit Frida Kahlo, was mit Wassily Kandinsky, mit Gabriele Münter, etc.? Muss sich deren Werk immer und immer wieder als relevant erweisen, oder genügt es nicht einfach, dass hier geniale Künstler ihrer jeweiligen Zeit einen Stempel aufgedrückt und neue Wege aufgezeigt haben? Ist ein Work of Art wertlos, weil seine Zeit vorbei ist, oder bleibt es wertvoll, weil es aus seiner Zeit heraus auf Dinge verweist, die auch zu anderen Zeiten Relevanz haben können? Oder muss sich heute alles dem DIKTAT DES JETZT unterwerfen, weil andere Zeiten nicht nur anders, sondern in mancher Hinsicht, subjektiv wie objektiv, schlechter waren? Immerhin haben die Künstler zu allen Zeiten das jeweils Schlechte in seiner banalen Absurdität sichtbar gemacht…

Ich weiß es nicht; ich finde es aber wert, über die Frage nach der Relevanz immer wieder neu nachzudenken. Nicht nur bei einem speziellen Künstler und seinem Werk, der jetzt gerade mal wieder in der medialen Rezeption aufbrandet; sondern in allem was ich, was wir als Menschen so erleben, tuen oder auch lassen, schaffen oder zerstören also durch unsere Existenz berühren. Und nicht nur wir heute, sondern auch die Generationen vor uns. Denn man kann immer und überall und vor allem auch von vorangegangenen Generationen noch etwas dazulernen. Nur eine Sache hatte noch niemals tatsächlich irgenwelche Relevanz, dürfte eigentlich auch heute keine haben und hat (hoffentlich) irgendwann in der Zukunft tatsächlich keine mehr: acht-, sinn-, und nutzloses Konsumieren! So als wenn man durch eine Kathedrale läuft, deren Imposanz einen der Mühen gemahnen könnte, die Menschen früherer Zeitalter um einer bloßen Idee Willen auf sich genommen haben – und dabei die ganze Zeit nur auf seine Taschenwanze glotzt, um später sagen zu können: „Freiburger Münster? Ja kenn ich, is’n Haufen Steine…“ So viel Egozentrismus braucht die Menscheit nicht. Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

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