„Alle haben immer gesagt, dass das nicht geht; dann kam einer daher, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht!“ Und wenn er damit wirklich bewiesen hätte, dass etwas zuvor für unmöglich Erachtetes doch funktioniert, bekäme er dafür was? a) einen Shitstorm, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat, b) mindestens 1000 Kommentare, dass er ja eh nur ein Fake sein kann, weil das ja gar nicht geht, weiß doch jedes Kind und c) einen Haufen Ärger mit irgendeiner Behörde, weil er entweder aus Versehen Steuern hinterzogen oder irgendeine obskure Verwaltungsvorschrift verletzt hat – wir leben hier schließlich in Deutschland! Das LÖSEN von Problemen ist bei uns nicht vorgesehen, weil man sonst ja den Arbeitsplatz von jemandem gefährden würde, der Probleme VERWALTET. Willkommen im Heimatland der Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager. Willkommen im Gestern einer einstmals blühenden Zukunft. Der Titel sagt ja, dass es ums Staunen gehen soll – doch das Erste, worüber man Staunen muss, ist der Mangel an GUTEN Gründen zum Staunen. SCHLECHTE gibt es indes mehr als genug…
Beginnen wir mit Dilettantismus. Bei uns ist der Begriff negativ konnotiert, zumeist wird er so benutzt, als sei damit jemand gemeint, der etwas tut, was er aber nicht kann – und folglich damit eventuell sogar Schaden anrichtet. Tatsächlich ist ein Dilletant aber eine Person, die sich einer bestimmten Sache aus Liebe zu dieser zugewandt hat, und diese Kunst oder Wissenschaft nur um dieser Hingabe zur Sache Willen ausübt – also quasi als engagierter Amateur. Dabei ist nichts darüber ausgesagt, wie weit Kenntnisse und Fertigkeiten in diesem Bereich entwickelt sein mögen – es bleibt Dilettantismus, solange die Sache nicht zum Broterwerb ausgeübt wird. In der Theorie kann ein Dilettant also genauso gut oder sogar besser als ein Profi sein; was in der Realität durchaus gelegentlich vorkommt. Ich selbst bin ein Dilettant mit dem Fotoapparat, was meinem Spaß aber keinen Abbruch tut – ständiges Üben hat meine diesbezüglichen Fertigkeiten im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Motor dafür war und ist die naive Annahme, dass ich die Quellen und die Effektivität meiner Kreativität weiterentwickeln könnte.
Wichtig ist hier der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Wenn ich etwa einen Blogpost schreibe, oder knipsend durch die Gegend wandere, oder Geschichten entwickle, dann ist mir mein individueller Ressourceneinsatz wumpe. [WICHTIG: Ich meine damit NICHT, dass ich Unmengen Geld, Energieträger oder Konsumwaren dafür verpulvere, sondern meine Zeit und mein Engagement!] Ich möchte am Ende ein Produkt haben, welches sich aus meiner Sicht zu teilen lohnt und schaue dabei nicht auf die Stoppuhr. Wenn ich hingegen Content für meinen Arbeitgeber produziere, ist Zeit Geld => der Ressourceneinsatz muss nicht nur das Ziel erfüllen, sondern sollte auch effizient erfolgen. Was aber nun die Quellen meiner Kreativität angeht: die kann man mit mehr Übung nicht unbedingt weiter entwickeln. Man kann seinen Blick für bestimmte Dinge schärfen, indem man Kreativtechniken anwendet: Scrapbooks voller (geklauter und eigener) Ideen, Mindmaps, Sketchnotes und wasweißichnichtnochallem. Zettelgläser. Eine ausgefeilte Ablage für alles mögliche. Lange Surfsessions im Netz, bei denen man sich von einem Thema zum nächsten treiben lässt, bis etwas Klick macht. Schließlich die Gadgets und Gimmicks, um verschiedene Formen von Content produzieren zu können. Aber das alles ersetzt die EINE Fähigkeit nicht, die wahre Kreativität benötigt: naiv staunen können…
Naivität ist auch so ein Begriff, der eine negative Konnotation hat; allerdings erst, sobald er auf Erwachsene angewendet wird. Kindern nimmt man es nicht krumm, wenn man sie als naiv betrachtet, weil „die Augen des Kindes“ die Welt anders sehen. Dieser Allgemeinplatz ist wahr! Denn Kinder nehmen die Welt (noch) nicht als „…Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager…“ wahr, sondern einfach als Welt! Das eben genannte macht leider das sogenannte Erwachsenwerden aus ihnen. Nun ist „Erwachsen“ kein statischer Zustand, der automatisch nach Beendigung der beruflichen Erstausbildung oder des Erststudiums erreicht wird; andernfalls gäbe es den Begriff „junge Erwachsene“ nicht, dessen Vertreter immer wieder eindrucksvoll illustrieren, wie unwahrscheinlich das dauerhafte Überleben unserer Spezies im Angesicht eines solchen Übermaßes an leichtsinnig-übermütiger Idiotie doch ist. Immerhin kommen wider Erwarten recht viele von Ihnen durch, um dann zu solch bornierten Spaßbremsen zu werden, als die ich mich eben geoutet habe 😉 Schwamm drüber. Fakt ist, dass einem die Fähigkeit zum naiven Stauenen mit wachsendem Alter (und wachsender Verantwortung für dieses oder jenes) ausgetrieben wird.
Wie ausgesprochen bedauerlich. Denn ohne die Naiven (…wusste nicht, dass es nicht geht und hat’s halt einfach mal gemacht…) säßen wir vielleicht noch immer bei Öllampenschein in Holzhäuser und würden unsere Gedanken, so wir des Schreibens mächtig wären, auf Pergament niederlegen. Ich werde mich jetzt nicht zu einem Urteil aufschwingen, ob unserer Welt etwas weniger technologische Entwicklung insgesamt besser getan hätte. Vielleicht wären wir ja auch auf ganz anderen Pfaden gewandelt. Aber ist man erstmal auf einem Pfad unterwegs, auf den sich sehr viele verständigt haben (Individualverkehr mittels Fossilverbrenner z.B.), wird Systemwechsel schwierig. Pfadabhängigkeit realisiert sich in unserer Zeit vor allem durch wirtschaftliche Interessen und deren globale Verflechtungen. Und gegen den Gott Mammon kommt der naive Geist nur schwer an. Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass das Kind in mir zu kurz gekommen ist, was mich unendlich traurig gemacht hat. Ich bemerke diesen Druck zur Effizienz im Berufsleben dauernd und stelle für mich fest, dass mir die Möglichkeiten, kreativ gestaltend tätig zu werden in letzter Zeit immer mehr eingeschränkt wurden. Wie ich darauf reagiere, weiß ich noch nicht. Ich weiß eines allerdings sehr genau: mein inneres Kind muss wieder mehr raus zum Spielen! Egal wie! Und diese Freiheit werde ich mir (wieder) erkämpfen. Versuchts doch auch mal mit Naivität – das könnte ein erfrischender Start in die neue Woche werden!