Der verwirrte Spielleiter N°51 – …so many ways (not) to die!

„Ist das Spiel jetzt vorbei…?“ Um es gleich vorweg zu nehmen: ich kille als SL eher selten Spielercharaktere. Das ist nicht der Fall, weil die Aufgaben und Gegner, denen sich meine Spieler*innen stellen, einfach wären (manchmal sind diese sogar geradezu lächerlich tödich), sondern eher, weil sie a) eigentlich immer mit Reaktionen und Lösungen um die Ecke kommen, die mich (und damit auch meine NSCs) kalt erwischen und sie b) im richtigen Moment verdächtig oft verdammtes Glück haben – oder ich als SL verdammtes Pech. Kann man sehen wie man will. Ich hätte auch behaupten können, dass die Begegnungen, welche in Kämpfe münden, halt gut ausbalanciert wären; aber das stimmt nicht. Die spielmechanischen Regeln in vielen Pen’n’Paper-Systemen suggerieren nämlich lediglich die Vergleichbarkeit von Kampfstärke, magischer Macht, etc. – aber sie stellen eine solche nicht her! Das ist auch gar nicht möglich, weil die Beschreibungen in den Quellenbüchern immer Interpretations-Spielräume lassen, welche sowohl Spieler*innen als auch SL kreativ zum jeweiligen Vorteil aunutzen können. Und da wir als SL ja eigentlich Fans der Spielercharaktere sein sollen, lasse ich auch mal Ideen zu, von denen mir klar ist, dass der Designer es eigentlich nicht so gedacht hatte. Ist besonders einfach, wenn man mit seinem eigenen Regelwerk spielt…

…ja, ja – die alten Geschichten! (c) Monika Merz

Eine schwierige Herausforderung, oder der Kampf mit einem mächtiger Gegner bedeuten ja auch nicht, dass man sofort stirbt, wenn man mal seinen Wurf verkackt. Verpatzte Aktionen können es in der Folge zweifellos schwieriger (und damit auch spannender) machen, das Ziel doch noch zu erreichen, aber sie bedeuten NICHT das Ende des Spiels. Mal davon abgesehen, dass auch ein verblichener Charakter, nicht das Ende des Spiels bedeutet – sondern die Vorfreude auf den nächsten Charakter, den man spielen kann. Oder die Hoffnung auf ein Wunder… das hängt allerdings vom bespielten Setting ab. Und wenn der Charaktertod „heldenhaft“ war, hat man dadurch oft eine Geschichte erlebt, die des Erzählens unter Gleichgesinnten Pen’n’Paper-Nerds wert ist. Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei verpatzten Aktionen. Natürlich stimmt es schon, dass niemand gerne scheitert, aber wenn wir uns typische Heldengeschichten einmal näher anschauen, dann ist ein zwischenzeitliches Scheitern des/der Helden üblicher Bestandteil der Geschichte; und das schon seit der Beschreibung des klassischen Regel-Dramas:

Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. 

Schauen wir nun mit dem Vergrößerungsglas durch die Kampage und die Session hindurch in eine einzelne Szene hinein, wird klar, dass die hier beschriebenen, übergeordneten Prinzipien sich auch auf einzelne Aktionen und die Interpretation der Würfelergebnisse durch den/die SL anwenden lassen. Nehmen wir an, ein Char wird auf einer erhöhten Position (Dach) stehend von einer fliegenden Kreatur angegriffen (Exposition => Komplikation => Angriff vs. Parade / Ausweichen), getroffen (Komplikation => Patzer) und vom Dach gestoßen (Peripetie => vom SL zugewiesene und beschriebene negative Konsequenz); das bedeutet jedoch NICHT automatisch das Erreichen der Katastrophe (Charakter stürzt zu Tode), sondern eröffnet mögliche Aktionen, die der Char ergreifen kann, um einem drohenden Schicksal zu entgehen; und dann vielleicht mit einer Hand an der Regenrinne hängend neue Pläne zu machen (Rückkehr zur Komplikation => Reaktion und/oder Akrobatikprobe). Als Folge eines Patzers im wahrsten Wortsinn in der Luft zu hängen, erzeugt Spannung, Spannung erzeugt Drama und Drama macht Spaß, wohingegen Scheitern auf Grund eines einzelnen Patzers keinen Spaß macht. Man nennt das Failing Forward und mehrere Failstates zwischen SIEG und TOD zu haben, steigert die Spannung anstatt der Frustration, wenn’s mal nicht auf Anhieb so läuft, wie sich der/die Spieler das gedacht haben.

Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon mal sagte, dass die Spieler sich für Ihre Charaktere sehr wohl ein erfolgreiches Überwinden der angetroffenen Hindernisse im Spiel wünschen, aber dass sich der Sieg VERDIENT anfühlen soll; sie wollen ihn nicht geschenkt bekommen. Allerdings ist Encounter-Design im Pen’n’Paper – aus den bereits oben beschriebenen Gründen – ein verdammt schmaler Grat. Einerseits wünschen wir uns alle Spannung, Drama und am Ende ein Erfolgserlebnis. Auf Grund der Unvorhersehbarkeit der Spieler-Handlungen und der Launen der Würfel, die aus klassischem Storytelling zumindest teilweise auch ein Glücksspiel machen, sind aus meiner Sicht solche Werte, wie etwa das Challenge Rating in Pathfinder/Starfinder oder DnD5E aber großer Käse! Es sind solche Sätze in Regelwerken, welche die ILLUSION präziser Steuerbarkeit von Kämpfen erzeugen. Von Hitpoints/Level, festen Fertigkeitszuwächsen pro Level, etcpp. will ich gar nicht erst anfangen. Matt Colville sagte mal (und er hat verdammt Recht), das Encounter-Design nicht aufhört, nur weil eben Initiative gewürfelt wurde. Und trotzdem müssen Encounter nicht ausbalanciert sein. Das Leben in der realen Welt hat auch kein faires Encounter-Design und fühlt sich genau deswegen realistisch an; manchmal sind die Dinge eben, wie die Dinge sind! Auch in der Secondary World sollte es sich also nicht so anfühlen, als wenn Herausforderungen genau an das Können der Chars angepasst wären. Das bricht die Suspension of Disbelief. Sowas kann ich in simulierten Fallszenarien in meinem Lehrsaal machen. Aber bitte nicht am Spieltisch.

Ich denke über diese Aspekte im Moment deshalb nach, weil ich meine Villera-Kampagne in ein klimaktisches Grand Finale manövriert habe – und wir ausgerechnet jetzt, da die letzte Session mit einem derben Cliffhanger geendet hat, mit Terminfindungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Was mir reichlich Zeit gibt, über Encounter-Design nachzudenken; und eine Nachfolge-Kampagne. Ob das meinen Spieler*innen zum Nachteil gereichen könnte, müsst ihr die Betroffenen hinterher fragen. Ich hoffe vor allem, dass wir alle Spaß daran haben werden. Schließlich bin ich als SL auch ein Spieler am Tisch. Wir hören uns. And never forget – always game on!

Auch als Podcast…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert