Zufriedenheit N°5 – Minimal zufrieden?

First-World-Problems. Das sind jene Sachverhalte, die Leuten ohne echte existenzielle Sorgen Kopfzerbrechen bereiten. Zum Beispiel so ziemlich alles, womit „Influencer“ ihr Geld verdienen. Minimalismus ist auch so eine Sache, die seit ein paar Jahren in den Köpfen der Menschen herumspukt, ohne dass man so genau weiß, woher das kommt. Oder, besser gesagt, man ahnt, dass es eigentlich mal was mit dem Wunsch nach Ressourcensparen und mehr Nachhaltigkeit im Privatbereich zu tun gehabt haben muss. Doch natürlich haben unsere selbsternannten hippen Trendsetter unbedingt eine Lifestyle-Geschichte daraus machen müssen; damit man das besser vermarkten und mit ober-chic aufgemachten Ratgeberbüchern, Blogs, Videos, Coachings, etc. der Konsumgestressten Großstadtelite noch ein paar Euros aus der Tasche leiern kann. Früher brauchte man zum Aufräumen keine Bücher, sondern Müllsäcke…

So wie Minimalismus heute inszeniert und kuratiert wird, ist er nicht mehr, als ein weiterer Stil im Portfolio von „Schöner Wohnen“; und es kann mir niemand glaubwürdig erklären, dass irgendeiner dieser „spontanen“ Schnappschüsse, die man überall auf Insta, FB und was weiß ich nicht noch wo findet, wirklich spontan zu Stande kam. Die meisten brauchen dafür mindestens mehrere Probeaufnahmen; manche ein ganzes Team. Mal eine Frage an Influencer: wie kann man eigentlich ohne Visagist so eine Visage haben…? Sinnentleerte, oberflächliche Heuchelei, so wie jede andere Werbung für nutzlosen Tand – das ist „Der Minimalismus“, wie er momentan propagiert wird! Es geht darum, in Menschen Unzufriedenheit mit dem zu schüren, was sie haben, um sie dazu anzuregen, einen neuen Zustand erreichen zu wollen. Doch anstatt dabei Verzicht zu üben – was ja der Philosophie eines echten Minimalismus entspräche – wird den Leuten ein Image vorgegaukelt, dass erst erkauft werden muss. Paradoxer Blödsinn, oder?

Mit weniger zufrieden sein können – ist das ein erstrebenswertes Ziel? Ich denke schon. Und ich meine damit jetzt nicht unbedingt weniger Arbeit 😉 Es ist aber schon so, dass wir tendenziell viel zu viel materiellen Besitz anhäufen. Gehe ich durch unsere Wohnung (in der neben meiner Frau und mir auch noch unsere zwei Kinder wohnen), überkommt mich nicht selten der Wunsch, säckeweise Kram wegzuwerfen, der überall rumliegt. Und wenn man eine Sache irgendwo rumliegen lässt, entwickelt diese ja nahezu magische Schwerkraft; sie beginnt also andere Gegenstände anzuziehen, die dann – schneller, als man NEIN rufen kann – eine weitere Agglomeration von Wohlstandsschutt im Sichtbereich bilden. Ich habe festgestellt, dass solche Phänomene meiner Zufriedenheit abträglich sind. Verhindern kann ich sie dennoch nicht. Und ich bin mir noch nicht mal sicher, dass ich das könnte, wenn ich alleine dort wohnen würde!

Natürlich führt Derlei gelegentlich zu familiärem Zwist. Wenn man keine existenziellen Sorgen hat, kann man sich halt schon mal mit Nichtigkeiten befassen. So schnell, wie solche Buschfeuer auflodern, sind sie allerdings auch wieder aus; das funktioniert aber nur, wenn man die ganze andere emotionale Brandlast vorher entsorgt/entschärft. Kleiner Ratschlag: immer auf Augenhöhe im Dialog bleiben tut Beziehungen gut. Ein Minimalist bekäme in unserer Behausung allerdings u. U. Schnappatmung. Wenn es jedoch wirklich um die Philosophie und nicht nur die polierte Oberfläche gehen soll, dann ist unsere Hütte ein Ort, an dem ziemlich vieles Zweitverwertet wird, an dem Menschen leben und der eine gewisse Wohnlichkeit allein dadurch entfaltet, dass seine Bewohner mit den Dingen darin auch durch Emotionen verbunden sind. Da kann ein noch so kleiner, zunächst unbedeutend erscheinender Gegenstand plötzlich große Wichtigkeit erlangen. Wehe mir, wenn ich mal sowas in einen Sack packen und entsorgen würde.

Äußerlichkeiten wirken also durchaus profund auf unsere Zufriedenheit. Doch genau hier liegt ein großes Problem: viele Leute verwechseln die Wirkung mit der Ursache. „Ich konsumiere, also bin ich glücklich“ funktioniert nämlich nur sehr begrenzt, weil das „Schnäppchen“ ja nicht wegen seiner Funktion oder seiner materiellen Dienlichkeit gekauft wird, sondern wegen seines Symbolwertes als Statusobjekt oder Belohnung. Aber was erzähle ich hier; das wisst ihr ja alle und habt daher euren Konsum schon eingeschränkt. Kein jährliches IPhone, keine Kurztrips nach London, Barcelona, Lissabon oder sonst wo hin mehr, kein fünftes Spielgadget für’s Wohnzimmer extra, und so weiter und so fort. NICHT WAHR?

„Aber wenn ich nicht mehr einkaufen darf, was macht mich dann glücklich?“ Ach, so hoch will ich gar nicht streben. Zufrieden wäre vollkommen ausreichend. Was es dafür braucht, kann ich hier natürlich nur für mich beantworten. Eines der kostbarsten Güter für mich persönlich ist Zeit. Zeit, mich mit den Menschen zu beschäftigen, die mir am Herzen liegen. Zeit ohne Sachzwang und Deadline jenen Dingen nachzugehen, die mich faszinieren und mir Freude bereiten. Das beinhaltet auch das Lehren. JA, mein Beruf ist zum Teil wirklich Berufung. Dennoch ist es ein Privileg, über seine Zeit weitgehend selbst verfügen zu können. Das ist ein Traum, den ich mir irgendwann noch erfüllen möchte; allerdings ohne, dass meine sozialen Beziehungen dabei unter die Räder kommen. Solange ich diese Zeit irgendwann bekomme, soll’s mir recht sein, wenn die Hütte manchmal aussieht, wie nach einer infantilen Fröhlichkeits-Detonation… Bis es soweit ist, bin ich dann halt trotz maximal mit Tinnef gefülltem Wohnraum ab und an nur minimal zufrieden. C U!

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