New Work N°4 – Creative Chaos?

Von Zeit zu Zeit hocke ich vor dem Monitor und schaue grübelnd auf die weiße Fläche. Es ist in solchen Augenblicken nicht so, dass mir nicht irgendwelcher Mist durch den Kopf schießen würde, der es durchaus wert sein könnte, zu einem Blogpost verwurstet zu werden oder – fast noch besser – zur Reichhaltigkeit meines Hobby N°1 oder meiner Arbeit beitragen zu können. Eher komme ich nicht dazu, die ganzen unraffinierten Ideen zu kuratieren und in eine brauchbare Form zu bringen. Denn Kreativität bedeutet mitnichten, einfach Ideen generieren zu müssen. Vielmehr geht es darum, die vorhandenen Ideen zu sortieren, zu priorisieren und zu analysieren.

Man erwartet heutzutage insbesondere von White-Collar-Workern zwanghaft, dass sie kreativ sein sollen. Weil man dem Credo huldigt, dass irgendwas von dem Neuen, dem bisher nicht Dagewesenen, das dabei entsteht auf jeden Fall einen Benefit generieren wird; zuallererst natürlich für das Unternehmen. Was für eine grausige Vorstellung von Kreativität. Und überhaupt – was ist das denn, dieses „kreativ sein“? Der Definition nach soll es ja darum gehen, Neues zu erschaffen, das originell und/oder nützlich ist. Womit noch nicht darüber gesprochen wurde, für wen oder warum ich dieses Neue überhaupt brauche. Der Gedanke, der dem zugrunde liegt, ist der unbedingte Glaube an die Kraft des Fortschritts. Dinge sind halt einfach besser, weil sie neu und anders sind – oder…?

Glaube ist natürlich der falsche Begriff. Es geht in erster Linie um den Innovationszwang unseres Wirtschaftsmodells „Kapitalismus“. Nur ein Unternehmen, dass dauernd etwas (vermeintlich) Neues auf den Markt wirft, kann erfolgreich sein. Denn „etwas Neues“ wird subjektiv gleichgesetzt mit Fortschritt. Was natürlich Käse ist. Denn wenn wir zu allen Zeiten Fortschritt allein an Äußerlichkeiten festgemacht hätten, trügen wir heute einfach nur hübsch gefärbte Felle zu unseren besonders nett geschnitzten Keulen. Und vielleicht hätten wir dekorative Höhlenmalerei auch in Purpur entdeckt… Dass dieser Irrglaube auch die Konsumenten erreicht, lässt sich am Beispiel „Ei-Fon“ schön illustrieren. Das Ding kann nichts anderes, als alle anderen Smartphones auch. Weil man die Menschen aber mit einer unfassbaren Marketingmaschinerie dazu dressiert hat, zu glauben, dass ein neues „Ei-Fon“ immer wichtiger ein Fortschritt sei, kaufen sie diesen überteuerten, zu grauenhaften Konditionen hergestellten Ökomüll und fühlen sich wie Könige…

Und doch wird es einige Sillicon-Valley-Huren – pardon, ich meinte natürlich Mitarbeiter von dieser Firma „Ei-Fon“ – geben, die sich wie Innovatoren fühlen. Denn sie haben ja Ideen beigesteuert, wie man das Produkt noch etwas geschmeidiger machen kann. Ist das Kreativität in Aktion? Nö, Null! Denn sie remixen, während sie glauben, das Rad neu zu erfinden einfach nur das, was andere auch schon gemacht haben; und wenn sie in der Pause am Tischkicker ihre veganen Smoothies schlürfen und der Teamleiter Torben-Eicke-Sebastian ihnen anerkennend auf die Schulter klopft, während er sagt, dass es halt erst nächstes Jahr richtig Asche dafür gibt… Zu viele Klischees? Ganz ehrlich, wenn ich irgendwas über so genannte Start-ups, aber auch über die Branchen-Primusse lese wird immer irgendwelcher Dreck von Team-Spirit und Incentives gefaselt und zwischen den Zeilen steht ganz deutlich ein einziges Wort: „AUSBEUTUNG“.

Bis heute ist nicht wissenschaftlich geklärt, ob Teams tatsächlich kreativer sind, als Einzelpersonen. Sicher ist allerdings, dass man Kreativität zwar mit verschiedenen Techniken fördern, jedoch niemals herbei zwingen kann. Aber für viele Prozesse ist Kreativität im wahren Sinne des Wortes auch gar nicht notwendig. Eine Mischung aus gesundem Menschenverstand, Improvisation und Problemlösungskompetenzen genügt für mindestens 85% aller beruflichen Probleme vollkommen. Und bei den übrigen 15% bin ich mir ziemlich sicher, dass die allermeisten dieser Ratgeber zur Kreativitätsförderung ziemlichen Bullshit labern. Lest John Hattie. Da geht’s zwar um die Effekte pädagogischen Handelns; doch letzten Endes ist Projektmanagement genau das: eine pädagogische Intervention. Kreativität an sich hat übrigens eine Effektgröße, die unter dem (eh schon niedrigen) Durchschnitt liegt. Und wenn wir gerade bei modernen Bürodesigns sind: offene Lernumgebungen haben eine Lerneffektgröße nahe Null!

Was ich daraus lerne? Ich mache meinen Kram am liebsten alleine in meiner ruhigen, gemütlichen Kammer, wo ich alle Ressourcen, Gerätschaften und Gimmicks in Greifweite habe, ohne mich verrenken zu müssen. Einerseits huldige ich dem Credo „If you want the job done well, do it yourself!“ Klingt nach altmodischem, kleinkariertem Mikromanager? Tja, dann ist das halt so. Ich weiß nur ziemlich genau, was ich delegieren kann; und worum ich mich doch besser selbst kümmere. Andererseits habe ich heute eine präzise Vorstellung, was ich brauche, um abliefern zu können: nämlich meine Ruhe vor Menschen, die so tun, als wenn man in hippem Baustellencharme aufeinander hocken und dauerplaudern muss, um irgendwas zu erreichen. Die können mir gestohlen bleiben. Teamfähig bedeutet, die eigenen Ergebnisse überdenken zu können, wenn jemand daran berechtigte Kritik übt. Es bedeutet nicht, alles in Gruppen totdiskutieren zu müssen.

Im privaten Bereich fällt es mir sowieso viel leichter, kreativ zu sein. Denn wenn ich nicht durch die Notwendigkeiten beruflicher Vorgaben eingeengt bin, können meine Fantasie und mein Gestaltungswille sich in ungeahnter Weise austoben. Und für all jene, die jetzt „Work-Life-Balance!“ schreien: was dabei zu Tage tritt, taugt sowieso nicht sehr oft für eine berufliche Zweitverwurstung. Und wenn doch – um so besser. Gute Nacht.

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