…und dann rannte ich davon!

Ich hatte gestern Abend mit der besten Ehefrau von allen eine Diskussion darüber, ob das neuerdings so häufig verwendete Label „neurodivergent“ für die betreffenden Menschen gut oder schlecht ist. Ich selbst habe bislang nie eine solche Diagnose bekommen, sehe aber gelegentlich Anzeichen dafür, dass ich vielleicht ein wenig anders bin, als die anderen Kinder im Block. Ob das etwas an meiner bisherigen persönlichen Entwicklung bzw. meinem Leben in seiner Gesamtheit bewirkt hat, bzw. ob irgendein spezifizierendes Etikett aus diesem Sammelsurium der Neurodivergenz etwas daran geändert hätte, wie die Dinge für mich gelaufen sind, weiß ich nicht. Will ich aber auch gar nicht wissen, denn am Ende des Tages bin ich mit dem Mann, der ich geworden bin recht zufrieden – neurodivergent oder nicht! Mal davon abgesehen, dass die allzu einfach gestrickten Menschen da draußen (und von denen gibt es leider verdammt viele, wie die Wahlergebnisse aus Thüringen und Sachen beweisen) eh nicht verstehen können, dass Neurodivergenz nicht ON/OFF funktioniert – also jeder mit ’ner Diagnose ein unführbarer Zappelphilipp o. Ä. ist – sondern wie so ein Schieberegler an einem Graphic Equalizer; für diejenigen, die nicht wissen was das ist: damit kann man einzelne Frequenzbänder einer Tonausgabe regeln und so z.B MEHR BASS geben… 😉

A place to dream about…

Wie dem auch sei, ich WEISS, dass ich nicht immer so ticke, wie der Mainstream der Anderen um mich herum, egal in welcher sozialen Gruppe ich mich gerade bewege. Jahrzehnte der (beruflichen ) Erfahrung im Umgang mit Menschen haben mir hier zu einem gewissen evidenzbasierten Erfahrungsschatz verholfen; und geben mir so wenigstens die Chance, meine Bedienoberfläche etwas geschmeidiger zu gestalten, wenn die Situation dies erfordert. Gerade im professionellen Umfeld ist das (leider) des Öfteren von Nöten. Wenn ich sage, dass ich anders ticke, dann bedeutet das spezifisch einerseits, dass ich mit einer ausgeprägten Empathie ausgestattet wurde, deren Verarbeitung mich im Umgang mit anderen Menschen nach einer gewissen Weile emotional ÜBERLÄDT. Ich hatte die Tage mal davon gesprochen, dass ich mich als Ausgleich dafür manchmal treiben lassen muss; das war kein Scherz, sondern die bittere Wahrheit. Wenn ich zu viel mit Menschen zu tun haben MUSS, deren Gesellschaft ich mir nicht explizit ausgesucht habe, macht mich das ganz wortwörtlich vollkommen fertig. Andererseits hat mich die Natur dafür mit einem ziemlich feinen Analyse-Näschen für Strategie, Organisation und Führung ausgestattet. Und ich gebe es offen zu – wenn ich bei gleicher Faktenlage zu völlig anderen Ergebnissen komme, als mein Gegenüber, macht mich das entweder fuchsig (wenn ich objektiv weiß, dass ich Recht habe, und die andere Person nicht) – oder schickt mich in eine immer tiefer zirkelnde Selbstzweifel-Spirale (wenn ich mir NICHT sicher bin). Und beides macht keinen Spaß.

Ich bin mein ganzes bisheriges Leben deswegen immer wieder angeeckt. Ich meine, es ist nicht so schlimm wie es klingt, aber wenn du oft genug das Gefühl hast, verarscht zu werden, weil die Anderen im Raum einfach nicht sehen können (oder wollen), was DIR schon lange vollkommen klar ist, dann beginnst du halt irgendwann an dir selbst zu zweifeln. Gestern war wieder so ein Moment. Ein Kollege hat in einem Gespräch eher persönlichen Charakters, dass für mich dennoch auch aus Arbeitssicht relevant war – vollkommen zu recht – Kritik daran angebracht, dass ich zu einer bestimmten Zeit nicht so geführt habe, wie es notwendig gewesen wäre; und das dabei emotionaler Schaden entstanden sei, der zumindest implizit auch auf meinen Deckel geht! Und dabei kamen auch Dinge zur Sprache, derer ich mir bislang gar nicht gewärtig gewesen war. Und die ich natürlich auch nicht ungeschehen machen kann – and now they will cost me dearly! Das alte Konzept ist für die Tonne, es wird mir Nerven rauben, und Mehrarbeit erzeugen, die zu geben ich im Moment eigentlich weder Willens noch in der Lage bin, weil mein Geist schon länger nach anderen, neuen Zielen sucht… und dann rannte ich davon! Ich glaube, Ich habe noch nie in meinem Leben kurzfristiger einen freien Tag beantragt

Und so stehe ich gerade in meinem heimatlichen Arbeitszimmer, während ich diesen Artikel schreibe, um meinen kopf wieder richtig frei zu kriegen, während sweet 80s Retro-Synth aus dem Lautsprecher auf meinem Schreibtisch erklingt. Ich habe bislang heute alles getan, um NICHT wieder in eine Negativ-Spirale zu geraten und bislang sieht es so aus, als wenn ich damit Erfolg gehabt hätte. Was aber bedeutet, dass ich mich morgen mit dem Fallout meiner „Flucht“ auseinandersetzen und einige Dinge regeln muss. Ist es nicht eine verdammte Scheiße, dass ich im Moment viel zu selten bessere, fröhlichere, andere, nicht mit Arbeit assoziierte Themen finde? Aber wenn diese Blogposts rings um meine eigenen Fehler herum wenigstens irgendjemanden davor bewahren, in die gleichen Fallen zu tappen, ist es die Zeit trotzdem wert. Ich wünsche euch einen verfickt schönen Abend im langsam sterbenden Spätsommer. Wir hören uns…

Auch als Podcast…

…in my dreams!

Sich treiben lassen zu können – und sei es auch nur in den eigenen Gedanken – ist oft leider ein Luxus, den man sich nicht allzu oft leisten kann. Habe ich dieser Tage über „******** als Wert an sich“ gespochen, dann würde ich an dieser Stelle ergänzen wollen, dass eben das sich-treiben-lassen-können für mich auch ein Wert an sich ist. Und dafür habe ich sogar eine Begründung parat! Es gibt Menschen, deren Gefühlswelt unter vielen Lagen Professionalität, Selbstbeherrschung, Starksein-Müssen für Andere, Selbstreflexion und auch einem Schuss Schüchternheit verborgen liegen. ICH bin so ein Mensch! Anderen komme ich oft vor wie eine Rampensau, weil ich diese Rolle (zwangsweise) im Laufe der Zeit beinahe meisterhaft zu spielen gelernt habe. Zwangsweise wegen der Berufswahl. Aber im Kern bin ich ein ein eher introvertierter Mensch. Ich halte es da mit Bukowski: ich hasse Menschen nicht (wirklich). Ich fühle mich nur (oft) besser, wenn sie nicht da sind. Eine Arbeitswoche wird für mich umso intensiver und erschöpfender, je mehr Sozialkontakte ich abwickeln muss, die ich mir nicht gezielt aussuchen kann. Und intelligente Gespräche sind, wie einer meiner Kollegen gerne zu sagen pflegt, manchmal wirklich rar gesät… Habe ich eine solche Woche (wie jene, die ich gerade abzuschließen im Begriffe bin) hinter mir, dauert es lange, meine Batterien für Contenance, Empathiefähigkeit und Resilienz wieder aufzuladen. Eigentlich deutlich länger, als das Wochenende Zeit bietet. Insbesondere, wenn dann auch noch andere (familiäre) Dinge anstehen.

Dann BRAUCHE ich solche Perioden, in denen mein Geist treiben kann, wohin der Fluss auch gerade fließen mag! Die beste Ehefrau von allen versteht manchmal nicht, wieso ich keine Lust auf einfachen Eskapismus wie ein bisschen Fernsehen habe, weil man dabei doch abschalten könne (und wir sind hier im nationalen Vergleich jetzt beileibe keine Vielkucker). Aber ich funktioniere da GANZ ANDERS! Ich brauche gelegentlich ein Ventil für all die aufgestauten Emotionen, die ich da draußen in der realen Welt nicht ablassen kann und will. Ich setze dann in meinem Arbeitszimmer meine Noise-Reduction-Headphones auf – Vollschalen, denn ich kann diese in-ear-Dinger auf den Tod nicht ausstehen! – und lasse mich durch meinen erratisch-eigenwilligen Musikgeschmack so lange von Song zu Song traiben, bis ich Katharsis erfahre, weil das Werk mich berührt. Für all jene, die jetzt nicht wissen, was eigenwillig-erratisch meint: in meinem Fall springt das munter zwischen Metal, Blues, Punk, Crossover, Klassik, Boogaloo, Funk, Gothic, Post-Punk, Psy-Trance, Techno und was weiß ich nocht allem anderen hin und her, bis es in meinem Kopf KLICK macht und ich merke, wie die Schleusen sich öffnen – und ich WILL dafür allein sein! Sonst klappt das nicht! Denn das sind MEINE Gedanken, MEINE Emotionen, MEINE Katharsis, MEINE Entspannung, und die gehören alleine MIR! Wie könnte ich das vor einem Fernseher mit einer anderen Person teilen? Der Fernseher liefert MIR Unterhaltung für eine andere Ebene meines Geistes, und im Gegensatz zur besten Ehefrau von allen schaue ich nicht fern, um abschalten zu können, sondern kann mich nur darauf einlassen, wenn ich vorher schon abschalten durfte – quasi genau anders herum!

Während ich da so Musik höre, laufen in meinem Kopf Tagträume, deren Inhalt ebenfalls mir gehört; allerdings tauchen dabei manchmal auch Ideen auf, die sich dann z. B. in meinen Blogposts oder anderen Schrifterzeugnissen, den von mir gespielleiteten Pen’n’Paper-Runden und manchmal sogar in meiner Arbeit wiederfinden. Wobei Letzteres ein eher seltenes Ereignis darstellt. Und viele dieser Tagträume sind einfach nur flüchtige Fetzen von Geschichten, die mich in dem Moment, da sie passieren unterhalten, mich ablenken, mir helfen, wieder besser drauf zu kommen. Und damit erfüllen sie auch schon ihren wichtigsten Zweck. Denn genau dabei füllen sich meine Batterien für Contenance, Empathiefähigkeit und Resilienz wieder auf; einfach dadurch, dass ich meine Gedanken, katalysiert durch die Musik auf meinen Ohren wild, irrational, frei assoziierend. kreativ und vollkommen ohne Notwendigkeit irgendwelcher Effizienz, Produktivität oder eines anderen Nutzens von Alpha nach Omega und wieder zurück treiben lassen kann. Für mich sind das manchmal die besten Minuten meines Tages, weil dabei all die anderen Dinge, die mir hinterher hecheln wie Höllenhunde, die meine Seele verbrennen wollen einfach abfallen und im Orkus verschwinden. Klar, am nächsten Tag, oder irgendwann später sind sie wieder da. Aber dann bin ich auch wieder dafür gewappnet. Und dann kann ich auch Fernsehen schauen, mit den Charakteren mitfiebern, mir Ideen für meine eigenes kreatives Handeln suchen und in die Geschichten eintauchen.

Letztlich sind das zwei der Säulen, auf denen meine Nerd-Seele ruht. Die dritte, das sind die wenigen, aber wirklich wichtigen sozialen Verbindungen, die ICH mir aussuche, um sie zu pflegen, in ihnen Validation, Unterstützung und konstruktive Kritik zu finden und diese gleichsam auch zurückgeben zu können. Denn so sehr ich mich manchmal auch – sogar beinahe lustvoll – an meine Introversion klammern mag, bleiben wir Menschen dennoch soziale Wesen und können nicht vollkommen allein existieren. Ich suche mir nur gerne aus, welche anderen Menschen das sind, mit denen ich meine Zeit und meine Energie teile. Denn, wie weiter oben schon erwähnt – manchmal sind intelligente Gespräche sehr rar gesät. Und ich mag intelligente Gespräche wirklich gern! in diesem Sinn, gehabt euch wohl und genießt das Rest-Wochenende.

Auch als Podcast…

New Work N°18 – Ein Wert an sich…?

Hört man immer mal wieder: „******** sei ein Wert an sich!“ ; man kann hier alles Mögliche einsetzen, und der Satz mag dann für den jeweils Einsetzenden einen Sinn ergeben; die Anderen werden jedoch oft zu einem divergierenden Ergebnis kommen. Das Problem mit Debatten über „******** als Wert an sich“ ist nämlich, dass sie niemals beendet sein können! Da ein ETWAS, das IRGENDJEMAND als „Wert an sich“ definiert damit nicht automatisch einer Legaldefinition unterworfen ist, sondern schlicht dem Gutdünken des jeweils tätigen Definitors. „Definitor“ klingt in diesem Fall nicht nur ähnlich wie „Dementor“, es hat auch die gleiche Wirkung: man vergisst wesentliche Dinge. Wie etwa die Notwendigkeit, Konsens herstellen zu müssen, wenn alle diesen eben definierten „Wert an sich“ dann auch als einen solchen respektieren sollen. Ich dekliniere das einfach mal kurz für mich selbst durch und setze an Stelle der ******** den Begriff „Wachstum“ ein. Ach ja, was soll ich denn jetzt noch sagen. Lest doch einfach mal „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“. Wir wissen erst seit 52 Jahren, dass Wachstum als Wert an sich NICHT FUNKTIONIERT, SONDERN DIE MENSCHHEIT IN DEN ABGRUND TREIBT! Nehmt das endlich zur Kenntnis und versteht, das Nachhaltigkeit absolut NICHTS mit dauerndem Wachstum sondern mit anhaltendem Konsolidieren, mit Degrowth, Recycling, Upcycling, Refurbishing und damit geringerem Ressourcen-Verbrauch zu tun hat. Und das Marktanteile, egal in welchem Wirtschaftsbereich damit auch kein Wert an sich sein können. NIEMALS!

Der Biene in dem Bild zuzusehen hatte einen Wert an sich, weil es mich an verschiedene Aspekte des Lebens gemahnte, die des ständigen Erinnertwerdens wert sind: a) meine geringe Rolle im großen Zyklus des Lebens, b) meine Vergänglichkeit und c) die unfassbare Wichtigkeit kleiner Dinge. „Bildung“ zum Beispiel hat einen Wert an sich – aber nur, wenn diese nicht zur Ware degradiert wird. Immer wieder wird geredet über die pädagogische Exzellenz, die man in manchen Einrichtungen der beruflichen Bildung vorfindet. Und dann wird im nächsten Atemzug nur noch über wirtschaftliche Entwicklung gesprochen – und die pädagogische Entwicklung spielt KEINE Rolle mehr, weil BWL-Menschen nur KPI im Kopf haben. Mein Key Performance Indicator ist die Menge an Zeit, welche wir tatsächlich damit verbringen können, den jungen Menschen Entwicklungsanlässe zu geben, Ihnen Entwicklungsrouten zu zeigen, ihre Entwicklungsfortschritte auf diese Routen sichtbar zu machen und ggfs. die individuellen Entwicklungsrouten anzupassen. Aber all das passiert nicht auf dem einem vorgegebenen Weg, sondern ist Ergebnis hoch dynamischer, iterativer Anpassungsprozesse, die Expertise, Geduld und Führungsstärke seitens des Lehrpersonals brauchen. All diese Dinge müssen mühsam kultiviert und entwickelt werden; denn Lehrende sind zugleich auch immer auch Lernende. Etwas, das BWL-Menschen gelegentlich zu vergessen scheinen. Und noch etwas wir immer sehr gern ignoriert: Jede einzelne abgehaltene Unterrichtsstunde erzeugt automatisch eine weitere Unterrichtsstunde an Vor- und Nachbereitungsbedarf; und diese Zeit taucht in keiner Berechnung wirklich vollumfänglich auf. Weil man dann nämlich die Idee, das Bildung Geld verdienen muss endgültig ad acta legen müsste.

Denn… die berufliche Bildung, die wir leisten, ist ein Wert an sich! Eine Investition in die Zukunft. Eine Hypothek, die wir aufnehmen in der Hoffnung und dem guten Glauben, in jungen Menschen die Haltung, die Humanität, die Professionalität und das Können entstehen zu lassen, die es braucht, um der Gesellschaft wirklich dienlich sein zu können. Wirtschaftlich sinnvolles, verantwortungsbewusstes Handeln ist ein notwendiges Übel, um diese Hypothek bezahlen zu können; nicht weniger – aber auch kein Jota mehr! Wachstum hingegen ist eine Schimäre, der nachzujagen lediglich dazu führt, dass das notwendige Übel die Oberhand über den Umfang der Hypothek bekommt – und damit den Wert an sich verkleinert, bis er kaum noch zu sehen ist. Und ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass ich derzeit den Schimären diene. Was mich in ein Dilemma führt. Denn den Schimären zu dienen, ist in unserer heutigen Gesellschaft der EINZIGE Weg in jene Jobs, die so gut bezahlt werden, dass man ehedem durchaus greifbare existenzielle Ängste einfach ablegen kann. Oder anders formuliert – ich verhure mich gerade, während meine Überzeugungen einen langen, langen Urlaub machen müssen. Wäre ich ein weniger duldsamer und verantwortungsbewusster Mensch, hätte ich schon lange hingeschmissen!

Die beste Ehefrau von allen liegt mir schon seit Monaten in den Ohren, dass ich mir was Anderes suchen soll. Vermutlich könnte ich das. Aber… zum einen mag ich mein Team, zum anderen habe ich diese Stelle angetreten, um gestalten zu können. Und ich habe diese Hoffnung noch nicht aufgegeben, auch gegen die Widerstände des Geldes gestalten zu können, weil ich von der Wichtigkeit der Kernaufgabe – nämlich berufliche Bildung richtig zu betreiben – nach wie vor überzeugt bin! Außerdem habe ich Rechnungen zu bezahlen und mit 50 wird es halt schwieriger, einen neuen, äquivalent bezahlten Job zu finden. Wer sagt mir überdies, dass es woanders nicht schlechter oder auf andere Art Scheiße ist…? Wie man es auch dreht, einfacher wird es nicht. Also kämpfe ich weiter gegen anderer Leute Schimären und versuche ihnen eine andere Wahrnehmung der Realität aufzuzeigen. Ansonsten wäre ich als Konstruktivist ja auch am falschen Platz. Aber für BWL-Menschen gilt halt: wenn du einen Taschenrechner und eine Tabelle hast, sieht alles aus wie eine Kennzahl… Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°57 – Don’t be an asshole!

In den über 35 Jahren, seit ich das erste Mal einer Pen’n’Paper-Sitzung beigewohnt habe, hat sich so einiges verändert. Die Art der angebotenen Regelwerke hat sich verändert, vor allem aber deutlich erweitert. Waren es ab Mitte der 1990er zuerst die ganzen Fantasy-Heartbreaker (mehr oder weniger gut identifizierbare Hausregel-Bastarde von D&D, die mit der Verfügbarkeit von Desktop-Publishing auf dem Home-PC aufkamen), fluteten in den 2000ern viele Indy-Systeme auf den Markt, die a) nach neuen Themen abseits der bekannten Topoi suchten und b) andere Herangehensweisen an den Crunch (also die Regeln als solche) suchten. Der Raum, welchen die Regeln einnahmen, wurde schmaler, der Fluff (also die Weltbeschreibungen) nahm dafür mehr Raum ein und auch ungewöhnliche Spielwelten wurden zugänglich. Es wurde damals viel mehr entwicklerische Innovation betrieben, aber deutlich weniger Leute als heute spielten das Spiel. Wenn ich damals versucht habe, jemandem das Spiel zu erklären, der noch keine Ahnung hatte, klang ich immer wie ein Nerd; nun ja, das stimmt ja auch. Man befand sich in einer Nische. Und eigentlich war das auch gut so.

Dann kamen die 2010er. Oft war das Hobby totgesagt worden (was MICH nie besonders gejuckt hat, denn ICH hatte Spaß), aber dann passierten drei Dinge. 2014 kam D&D 5E raus, was zunächst nicht viel änderte. Im März 2015 wurde das erste Mal „Critical Role“ auf Twitch gestreamt (für alle, die das nicht kennen: ihr werdet im Netz rausfinden, was das ist). Im Juli 2016 liefen dann die ersten Episoden von „Stranger Things“ auf Netflix. Und die letzten zwei Dinge haben das Hobby für immer verändert! Denn sie haben eine ganze Generation von neuen Spielern entstehen lassen – und eine verdammt große noch dazu. Letztlich waren es diese zwei Popkultur-Phänomene, die Pen’n’Paper quasi in den Mainstream geholt haben. Das hat aber auch die komplette Wahrnehmung verschiedener Aspekte des Spiels an sich verändert, weil es immer mehr Leute gab, die sich Sessions im Stil von „Critical Role“ mit Stimmen wie von professionellen Voice-Actors wünschten; was SL und Spieler*innen von „Critical Role“ nun mal sind, die meisten anderen incl. mir aber nicht. Sagen wir mal so: es gibt ein paar Ingredenzien, welche eine Pen’n’Paper-Soup zwingend braucht, um Freude zu bereiten – „Doing the Voice“ gehört nicht dazu, „Don’t be an asshole“ aber schon!

So stellt sich DALL-E 3 eine Pen’n’Paper-Session vor…

Was ich damit meine ist Folgendes: wenn sich ein paar Menschen an einen Tisch setzen, um miteinander Geschichten zu erzählen, dann ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass sich alle eine ähnliche Geschichte wünschen und auch an dieser teilzunehmen bereit sind. Also eine, bei der die Prämissen (die Welt, in welcher die Geschichte spielen sollen; der Meta-Plot, welcher dieser Welt Tiefe gibt; schließlich die Core-Story, in welche die Chars verwickelt werden – und die daraus resultierenden möglichen Konzepte für Spieler-Charaktere) allen klar sind – und auch respektiert werden. Sich dann mit einem Char an den Tisch setzen zu wollen, der zu nichts und niemandem passt und nur SEIN DING machen will, wird zwangsläufig für alle Beteiligten zu Problemen führen. Auch Pen’n’Paper lebt von Kompromissen. Ein echtes Problem sind dabei Charaktere, die zwar in der gegebenen Welt funktionieren, letztlich aber darauf ausgelegt sind, allen anderen auf die Nerven zu gehen. Das D&D Dragonlance-Setting hatte eine ganze Spezies, die wie dafür gemacht war: Kender. Es geht aber auch mit anderen Spezies und Konzepten. Ich bin wirklich der Letzte, der irgendjemandem seinen Spaß verbieten möchte – aber ALLE wollen und sollen Spaß haben, das muss man dann einfach akzeptieren. Andernfalls spielt man halt woanders. Denn das Problem hierbei ist nicht der Charakter – sondern der Spieler! Damit ein für alle schönes, erinnerungswürdiges, spaßiges Erlebnis entsteht, müssen die Spieler und die Spielleitung die Charaktere ihrer Mitspieler hinreichend gut mögen können!

Das mag jetzt fast zu platt klingen, um wahr zu sein, aber… Pen’n’Paper ist ein soziales Spiel, welches von der Einhaltung eines sozialen Vertrages innerhalb der Spielerschaft getragen wird, zu welcher selbstverständlich auch die SL gehört! Dieser beinhaltet, allen anderen am Tisch ihren Spaß zu gönnen, ihnen nicht über Gebühr auf den Wecker zu gehen, dem SL wenigstens dann und wann die Chance einzuräumen, eine zur Situation passende STIMMUNG aufzubauen, nicht alles mit einem Witzchen oder einer Anekdote zu dekonstruieren – und insgesamt zu versuchen, ein wenig (mehr) in die dargebotene Welt einzutauchen. Denn ICH mache das wirklich wegen der Immersion. Ich will andere Welten in meinem Kopf sehen dürfen! Die, in der ich real lebe ist mir nämlich manchmal viel zu Depressions-förderlich (ich verweise hierzu auf andere Posts in diesem Blog, welche sich NICHT mit Pen’n’Paper befassen)! Ich möchte dazu all meine Sinne benutzen und auch in meinen Spielern ansprechen. Was mir nicht immer leicht gemacht wird. Schwamm drüber. Ich habe viele verschiedene Spielstile erlebt und selbst durchlaufen, von den SL meiner Anfangszeit, die eher wie Gegner der Chars agiert haben (incl. meiner selbst) hin zu einem kollaborativen Erzählen, welches die Herausforderungen in den Hintergrund gestellt hat – und schließlich heute zu einer, immer schwierig auszutarierenden Balance zwischen den beiden Extrempolen.

Mit dem Spiel als solchem haben sich auch die individuelle Wahrnehmung meines Tuns und meine eigenen Wünsche an das Spielerlebnis verändert; ein vollkommen normaler Prozess, der einerseits meiner (hoffentlich) gewachsenen persönlichen Reife geschuldet ist und andererseits natürlich sich verändernden interessen. Dass ich dem Hobby so lange treu geblieben bin, ist aus meiner Sicht Beweis genug, wie viel Wandlungsfähigkeit darin steckt. Ich bin im Herzen eben schon immer ein Geschichtenerzähler gewesen. Und ich gebe mir immer Mühe, die Chars meiner Spieler*innen gern zu haben, auch, wenn es nicht immer leicht fällt. Wenn sich alle darauf einlassen, dass es eine GEMEINSAM erzählte Geschichte werden soll, ist die halbe Miete schon drin. In diesem Sinne – don’t be an asshole while always gaming on!

Auch als Podcast…

From Hell – a little tale about dys-democracy!

Am Ende des Tages schreiben so viele Leute über das, was da am Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen passiert ist, dass ich meinen Senf eigentlich nicht mehr dazu geben müsste. Aber „eigentlich“ ist einer der Endgegner, an denen wir genausowenig vorbeikommen, wie am Wäscheberg, wenn sich das werte Auditorium entsinnen möchte… Und ich finde, dass ein Aspekt mindestens ebenso unterbelichtet geblieben ist, wie die Wahlentscheidung pro AfD. Adolf Höcke hat sich inszeniert und die AfD (Arbeitsgemeinschaft für Demokratie-feindlichkeit) hat leider ihre antisocial-media-Arbeit so richtig gut gemacht. So gut, dass über 40% Jungwähler ihr Kreuz bei diesem Faschistengeschmeiss gemacht haben! Und der EINZIGE Grund dafür ist, dass unser Bildungssystem es immer und immer wieder vergeigt, Trends in das Klassenzimmer zu holen, junge Menschen da zu packen, wo sie tatsächlich unterwegs sind und den sogenannten Bildungs-Kanon einfach mal Kanon sein zu lassen. Nehmt bitte endlich mal Folgendes zur Kenntnis: Bildung und Kultus sind NICHT Ländersache! Bildung und Kultus müssen von Menschen organisiert werden, die verstehen, wie ihre Zielgruppen ticken, ohne dabei grundlegende Ideale aus den Augen zu verlieren – niemals jedoch von irgendwelchen Hobos, die ausschließlich wegen des Parteiproporzes in Ämter gehievt werden, um von dort dann ihr Ahnungs- und Talentlosigkeitsinduziertes Unheil verbreiten zu dürfen. Gell, Frau Eisenmann und Frau Schopper…? Kann solche selbstgefälligen Idioten als Kultusminister bitte mal irgendjemand entsorgen; und am besten einen nicht geringen Teil der Ministerialbeamten gleich mit.Parteipolitiker und Verwaltungsjuristen haben nämlich in den allermeisten Fällen von Bildung so viel Ahnung, wie Schweine vom Fliegen!

Anstatt die Lebensrealität des frühen 21 Jahrhunderts einfach mal zur Kenntnis zu nehmen und Medienanalyse, Medienkritik und Mediennutzung so nachhaltig in den Unterricht zu integrieren, dass die Schüler*innen auch etwas von dem zur Kenntnis zu nehmen bereit wären, worüber da gesprochen wird, arbeitet man sich vielerorts immer noch an einem Curriculum aus der Steinzeit ab – und wundert sich dann, dass die derart Beschallten abschalten oder sich mit anderem Schall ablenken, um in den Pausen sodann schallend über die Realitätsferne ihrer Lehrer zu lachen… Ja, kann man so machen. wenn man aber nun wenigstens gelegentlich neuere Studien liest, könnte einem klar sein, dass die Gen-Z heutzutage nicht mal mehr googelt, sondern TikTokt, um sich Infos zu besorgen. Und wer ist jetzt auf TikTok noch mal besonders präsent? Ach ja – die Faschos, stimmt ja…! Ja so ein Mist aber auch. Ganz ehrlich: auch ICH habe schon als 14-, 15-jähriger nicht verstanden, wozu es gut sein soll, Gedichte interpretieren zu können. Vermutlich deshalb habe ich auch alles vergessen. Das Einzige, was mir von damals noch präsent ist, sind die Begriffe Jambus, Daktylos und Trochäus; aber wie diese Versmaße noch mal genau gingen…? Es hat mein Leben (und das war bis in meine 20er Prä-Internet) in KEINSTER WEISE beeinflusst. Genausowenig, wie die interpretation, der „Leiden des jungen Werther“. Ich habe schon lange Depressionen und weiß daher heute worum es da geht, aber dieser dämlichen Pussy aus dem Buch habe ich trotzdem von Herzen den Tod gewünscht! Wir versuchen junge Menschen von HEUTE mit Material von GESTERN für die Fragen von MORGEN fit zu machen und wundern uns, das alles den Bach runtergeht? Ja, kann man schon so machen, aber dann wird’s halt Scheiße; von der Farbe her passt es ja schon!

Die Antisozialen Medien haben eine Aufmerksamkeitsökonomie geschaffen, die viele von uns Gen-Xern nur unzureichend verstehen. Eines kann einem aber klar werden: so geht es nicht weiter! Interesse an Kunst und Kultur wecke ich nicht, indem ich den Leuten immer wieder das Gleiche serviere. Die Künstler von damals (etwa Da Vinci) haben ihre Werke nicht geschaffen, damit 550 Jahre später Massen daran vorbeigeschleust werden, damit diese enkulturalisiert werden – das funktioniert sowieso nicht. Denn Menschen suchen sich selbst aus, welche Kulturartefakte für sie relevant und damit interessant sind. Es mag den einen oder anderen jetzt irritieren, aber die subjektiven Ziele des Individuums verändern sich im Lebenslauf ganz von selbst. Und so ist es auch mit Schule. Ich kann nicht erwarten, dass Inhalte von gestern oder gar vorgestern die Kids hooken, selbst wenn diese mit Methoden von heute präsentiert werden. Fehlt der Bezug zur aktuellen Lebensrealität, funktioniert das einfach nicht. Und diesen Bezug herzustellen, ist vielen sogenannten Pädagogen offenkundig nicht gegeben; ich erlaube mir diese Kritik als einer, der selbst Pädagoge ist und vage versteht, wie Bezugsherstellung funktioniert.

Was ist also in Sachsen und Thüringen passiert? Ganz einfach: junge Menschen, die sehr wohl sehen und verstehen können, dass unsere Gesellschaft heute reale Probleme hat, bekommen auf TikTok vermeintlich schnelle Lösungen präsentiert, sind aber auf Grund ihrer Bildung und Erziehung (oder beser des Mangels daran) – und natürlich auch auf Grund ihrer Jugend – nicht in der Lage, differenziert zu sehen, dass Faschisten einen nirgendwohin führen, außer ins Verderben. Ihr haltet das für zu sehr vereinfacht? DANN ERKLÄRT MIR, WAS TATSÄCHLICH PASSIERT IST? Bis irgendjemand mit einer besseren Erklärung um die Ecke kommt, bleibe ich dabei, dass unser Bildungssystem gerade scheitert; und dass die verpopulistisierten (und teilverblödeten) Marktfetischisten von der Käsepartei (FDP heißen die glaube ich) auch noch Investitionen in Bildung kaputtsparen wollen, weil ihre Lobbyisten von solchen Investitionen keinen direkten Return of Investment generieren können. Ich kann verstehen, dass man die Ampel nicht gut findet. Ich finde sie vor allem wegen des kleinsten Lichtes nicht gut. Aber das war mit einem narzisstischen Idioten wie Christian Lindner als Finanzminister auch nicht anders zu erwarten. Genug geschimpft. Starten wir in eine tolle neue Woche und hoffen, dass die Blauen trotzdem NICHTS zu melden haben werden. Adieu!

Auch als Podcast…

Benvenuti nelle Marche N°8 – Arrivederci Marche!

Hat man sein ganzes Gepäck beisammen? Hat man auch wirklich nichts vergessen? Dieses und jenes müssen noch verstaut werden, damit ja nix von dem zurückbleiben muss, was man mitgebracht hatte (wie immer eigentlich zu viel). Die Äußerlichkeiten gewinnen schnell die Oberhand und man findet sich unversehens in jenem Stress wieder, der einen auf den ersten paar 100 Kilometern der Reise hierher noch begleitet hatte; und der dann doch irgendwann die Gnade besaß, nach und nach von einem abzufallen. Und abgefallen soll er noch ein bisschen bleiben, daher ist es der Moment darüber nachzudenken, was man von hier mitnimmt, dass sich in keiner Reisetasche wiederfindet, nicht zu Hause gewaschen, verstaut oder aber verzehrt werden werden muss. Ich habe eine Menge Dinge, die ich von hier mitnehme. Zuallererst die Gastfreundschaft unserer Gastegeber hier in den Marken – ohne die ich nicht so einfach zu einem wieder flott gemachten Familienauto gekommen wäre! Oder die Landschaft – ganz anders als die Toskana, weil oft viel schroffer, ursprünglicher und überraschender, aber mindestens genauso schön!

Die Zeit – so sagt man – heile alle Wunden. Das ist natürlich einfach gelogen, denn Wunden (egal ob innen oder außen) heilen – oder manchmal auch nicht – aber die Zeit macht zumeist, dass der Schmerz besser erträglich wird. Ein Urlaub wie dieser ist dabei absolut förderlich, wieder auf ein erträgliches Level herunter zu kommen und sich beinahe auf das freuen zu können, was einen zu Hause erwarten mag. Auch das ist natürlich gelogen, denn meine Lust, mich mit anderer Leute erheblich differierender Wahrnehmung von Realitäten beschäftigen zu müssen, ist immer noch unterausgeprägt. Ich kann das aber vermutlich aushalten und meinen Unmut zumindest meistens ganz gut überspielen. Daher denke ich, dass ich auch ein schönes Bündel Langmut aus den Marken mitnehme. Insbesondere, weil ich weiß, dass wir nächsten Frühsommer wiederkommen werden, um noch mehr von dieser besonderen Landschaft kennenzulernen. Und ich durfte feststellen, dass der hiesige Menschenschlag diese eine Eigenschaft hat, von der ich noch mehr brauche: Serenità, bzw. die Gelassenheit, Dinge auf sich zukommen lassen, zu schauen was funktioniert und auch mal Fünfe gerade sein lassen; im privaten genauso wie im geschäftlichen Leben.

Was ich hierlassen muss, sind meine allmorgendlichen Bahnen im Pool, die mir verdammt gut getan haben. Aber irgendwas ist ja immer. Man findet ja aber, wenn man nur ausgiebig genug sucht auch immer irgendwas, dass man z.B. an seinem Ferienhäuschen aussetzen kann. Derartige Erbsenzählerei ist mir jedoch fremd, ich bin vollauf glücklich, selbst wenn ich hierorts den Abwasch wieder von Hand machen muss wie früher, gelegentlich Krabbel-Viecher vor die Tür gesetzt werden müssen und der Kühlschrank nach dem Befinden der besten Ehefrau von allen viel zu klein ist. Who cares? Wegfahren ist schön, Heimkehren ist schön, die Zeit dazwischen jedoch muss das Herz mit Glück, den Geist mit Freiheit und die Seele mit Ruhe erfüllen – dann hat man alles richtig gemacht! Und ich hätte mit Blick auf diese Überlegung da jetzt wenig zu beklagen!

Morgen früh rollt der Diesel gen Heimat. Und ganz gleich an welcher Stelle uns der Stau auch erwischen mag (A14 zwischen Rimini und Bologna, A50 Stadtring Mailand, A9 an der Grenze vor Como, A2 vor dem Gotthard oder auf der Stadtdurchfahrt von Luzern, oder auf der A5 in irgendeiner Baustelle) – Hauptsache wir kommen heil heim! Alles andere findet sich dann am Sonntag, wenn der September beginnt. Ich würde gerne sagen „Wake me up, when September ends“, aber vielleicht ergibt sich – der Arbeit zum Trotze – noch die eine oder andere schöne Spätsommererfahrung daheim! In diesem Sinne – habt ein schönes Wochenende.

Benvenuti nelle Marche N°7 – In Style?

T-Shirts in gedeckten Farben… okay, fast alle sind schwarz, nur manche haben (aus meiner Sicht lustige) Mottos aufgedruckt. Jeans (oder im Sommer wegen akuter Verdampfungs-Gefahr auch Shorts) in gedeckten Farben. Hier dominieren Blau- und Grautöne; natürlich neben Schwarz. Sneaker, meistens uni, oft grau oder schwarz, aber niemals weiß. Ergänzt durch Socken, deren Länge und Stoffstärke tatsächlich die Außentemperatur reflektieren. Das ist meine übliche „Uniform“. In der Dienststelle wechsele ich das T-Shirt zumeist gegen eines unserer Dienstpolos, oder manchmal gegen ein richtiges Hemd, wenn der Anlaß dies erfordert. Und an zwei bis drei Tagen im Jahr trage ich einen Anzug: bei meiner Statur selbstverständlich einen dunklen Einreiher, Maßanfertigung und dazu echte Lederschuhe in … tadaaaa… schwarz. Oxfords, keine Budapester; ist eine Entscheidung fürs Leben. Bin ich also stylisch? Ich würde sagen, aus Sicht junger Menschen in etwa so sehr wie der Bauhaus-Katalog, aber das ist mir wumpe. Denn Hübschheit vergeht – Gehirn besteht! Und ab einem bestimmten Punkt im Leben (nicht erst mit 50) muss man sich optisch für niemanden mehr zum Affen machen, weil das schlicht peinlich ist.

Ich finde ja Menschen, die offenkundig älter sind als ich, jedoch immer noch krampfhaft versuchen, sich zu (ver)kleiden wie meine Schüler*innen ehrlich gesagt ziemlich lächerlich. Zumal diese äußerliche „Jugendlichkeit“ meist mit Balearen-ledriger Knusprigkeitsbräune einher geht, bei der viele Kids, deren Wochenverbrauch an LSF 50 mittlerweile in Litern gemessen wird heutzutage einfach nur noch „IGITT“ sagen. Die „gemachte“ Optik in all ihren Spielarten und Ausprägungen hat als Distinktions-Merkmal schon seit eh und je Hochkonjunktur. Aber je „individueller“ sich die Menschen herrichten, desto häufiger stelle ICH mir die Frage, ob das nur eine „Phase“ ist – oder schon ein Schaden? Ich weiß, ich weiß, „lass dem Kind die Puppe!“. Wenn sich jemand unbedingt auf eine bestimmte Art stylen möchte, dann hat das in aller Regel seinen Grund (ich nehme mal an, dass z.B. Lady Gagas „Schnitzkleid“ nicht allzu bequem gewesen sein dürfte) und ist damit Ausdruck von Persönlichkeit; womit sich das jeglicher Diskussion entzieht. Und doch steht/sitzt/liegt man manchmal da und kommt nicht umhin, sich „Was zum *******…?“ zu denken. Und genau damit hat der fragliche Style dann ja auch schon wieder einen Zweck erfüllt: er hat Aufmerksamkeit erregt! Übers Botoxen, Nail- und Hair-Extensions und manch anderen Quatsch für die Optik werde ich jetzt hier allerdings nichts sagen.

Bleibt die Diskussion um die Angemessenheit bestimmter Kleidung an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten. Spielt immer der Male Gaze die erste Geige, wenn Hotpants, Miniröcke, bauchfreie Tops, etc. in Bausch und Bogen verdammt oder sogar institutionell verboten werden? Wie steht man zu einem genderfluiden Style, bzw. der bewussten Konterkarierung tradierter Gender-Stereotype (Stichwort: Conchita Wurst)? Bedeutet Hochzeit automatisch weißes Kleid und Anzug (und Todesdrohungen für Brautjungfern, die ebenfalls weiß tragen…!)? Muss meine optische Darreichungsform heute auch noch alle möglichen Befindlichkeiten in meinen Gegenübern antizipieren und respektieren? Oder kann ich nicht einfach so sein, wie ich möchte? Ich meine, ganz ehrlich, ICH habe damit wenig Probleme, da mein oben beschriebener Nicht-Style a) wenig kontrovers ist, b) bei den meisten Gelegenheiten vollkommen ausreicht, c) nicht gerade nach Aufmerksamkeit heischt und d) bei einem white, middle-aged cis-gender-male von gewissem Format die „Problemzonen“ nicht über Gebühr betont! Abgesehen davon ist er günstig und die Auswahl am Kleiderschrank geht in Nullkommanix. Mir tun diejenigen ehrlich leid, die sich Gedanken um so etwas wie Style machen zu müssen glauben, weil diese Mühe ihr Leben vermutlich erheblich verkompliziert. Aber wenn es halt zum persönlichen Asudruck und vor allem den Balzritualen gehört… Mehr Sorgen mache ich mir um diejenigen, denen ihre Individualität Probleme bereitet, weil andere nicht einfach akzeptieren können, das Optik einfach nur das ist – Optik! Sie sagt über das Innenleben der Person NICHTS aus. Gar nichts… Und wenn das Licht ausgeht, sind wir alle grau – einfach nur Menschen.

Hier in Italien, wo, wie man sagt, JEDE*R sich angeblich stylisch kleide, habe ich durchaus auch ein gewisses Maß an Eitelkeit an einem Teil der Menschen bemerkt (zumeist den Jüngeren). Ebenso viele Andere (eher die Älteren) scheinen sich aber weniger bis (gelegentlich) gar keine Gedanken um ihr Äußeres zu machen, womit sich das kein Jota von meinen Erfahrungen in Deutschland unterscheidet. Ich werde hier dennoch treffsicher als Deutscher erkannt – so gut wie niemand rennt hier in Schwarz rum! Und meine Italienisch-Kenntnisse sind überschaubar. Erwischt! An meinem Italienisch arbeite ich, an meinem Aussehen wird sich in absehbarer Zeit jedoch nichts ändern: keine weißen Sneaker und Tennissocken für mich; da winken mir die 80er zu hart, deren Musik ich liebe, aber deren Kleidungsstil nicht selten heute noch aufgerollte Zehennägel erzeugt. Wenn ich Vintage höre, muss ich meistens ziemlich Lachen, weil das was damals schon scheiße war, heute kaum besser daher kommt. Wenn ich etwa junge Kerle mit blodiertem Vokuhila und Tom-Selleck-Gedächtnisbalken in der Fresse sehe… ach schwamm drüber. Soll jeder nach seiner Facon selig werden – sie dürfen sich nur nicht wundern, wenn ich zu kichern anfange. In diesem Sinne – styleyourself well, you little baby-bell…

Benvenuti nelle Marche N°6 – Mythen treiben Blüten!

Eingerahmt vom Schilf, Bäumen und Weinreben liegt der Naturpool, verborgen vor den allzu neugierigen Augen Dritter. Wenn der eigene Blick schweift, fängt er nicht viel mehr ein als das Innen dieser Oase; eine gelegentliche dunkelblaue Traube schimmert an der Pergola durch das alles dominierende Grün, an der hölzernen Umfriedung nagt der Zahn der Zeit, die dunkle Lasur blättert ab. Aus all dem emergiert ein Gefühl: befreit von der Notwendigkeit auf etwas anderes (wichtigeres?) zu achten als die Zahl der Bahnen, die zu schwimmen ich mich eben angeschickt habe, ist es diese Einfachheit der Dinge, die davon abhält, zu sehr nach irgendetwas zu suchen. Dieser Pool ist der Ort, in dem ich vergesse, dass es jemals eine Box gab, außerhalb welcher man denken sollte. Ich bin einfach und das genügt, um dem ganzen eben so viel Sinn zu geben, wie das Leben braucht. Diese Gedanken begleiteten mich in der Tat, als ich eben genau das tat: einfach nur schwimmen. Das mag jetzt ein bisschen wie eine contradictio in adjecto klingen, jedoch emergierten diese Gedanken – gleich dem beschriebenen Gefühl – auf genau die beschriebene Weise und baten darum, festgehalten zu werden, was ich hiermit pflichtschuldigst erledige. Ich bleibe meinen Gedanken nur ungern etwas schuldig, denn Geschichten wollen erzählt werden… War das eben etwa eine Geschichte? Nun, sagen wir mal so: zumindest wurde etwas über den Protagonisten preis gegeben und das Setting wurde gesetzt. Als ich vor etwa 35 Jahren anfing, tiefer in die Welt des (kollaborativen) Geschichtenerzählens einzutauchen (ich fing u. A, an mit Pen’n’Paper-Rollenspiel), war mir natürlich weder bewusst, wie komplex dieses Hobby für mich werden würde und wie viel Bezug es zu meiner späteren Arbeit als Pädagoge haben würde, noch ahnte ich, WIE VIEL es darüber zu wissen geben könnte. Noch immer sind es vor allem die Worte, mit denen ich gerne und häufig arbeite; wenngleich meine Arbeit mit visuellen Medien in den letzten Jahren an Umfang und Bedeutung erheblich zugenommen hat. Ich sagt ja bereits, dass Kreativität ein Muskel ist, der regelmäßig trainiert werden möchte. Doch alle Übung nutzt nichts ohne eine Quelle, aus der man schöpfen kann!

Ich habe über diese Quellen in der Vergangenheit immer wieder gesprochen, doch ich bin mir nicht sicher, wie viel von meinen Beschreibungen tatsächlich verständlich war. Es gibt ja diese Idee, dass man sich an den einfachen Dingen erfreuen soll, dass es nicht immer den ausufernden Konsum braucht, dass etwas Mäßigung uns allen ganz gut zu Gesicht stünde und das man die Welt um sich herum achtsam betrachten soll, um an dieses Ziel gelangen zu können. Schön und gut, aber dafür braucht man tatsächlich weder ein Retreat im Kloster, noch die Reise nach sonstwo, oder gar ein Achtsamkeits-Seminar auf einer Insel, sondern schlicht die Entkopplung vom eigenen Alltag. Denn es ist die Summe all der kleinen und großen Verpflichtungen, die uns von früh bis spät auf Trab halten und uns nicht selten des Abends vollends erschöpft auf dem nächstbesten Sitz-/Liegemöbel zusammen sinken lassen. Kontemplation, Reflexion, Kreativität? Fehlanzeige. Warum wohl erscheinen meine Blogposts, wenn ich nicht gerade Urlaub habe, vornehmlich am Wochenende… hm…? Oh ja, man könnte mich schon wieder eitler Bigotterie beschuldigen, da ich diese Zeilen 1100 KM weit von zu Hause schreibe. Von wegen, man muss nicht nach sonstwo reisen! Tatsächlich ist das purer Selbstschutz, denn ich musste die Erfahrung machen, dass wenn ich nicht weit genug weg bin, leider dazu neige erreichbar zu sein. Und erreichbar sein ist Scheiße! Also tue ich mir den Gefallen und entkopple auch örtlich. Ich nehme an, dass ich da nicht der einzige Mensch bin, welcher das aus ähnlichen Gründen so handhabt. Jedenfalls sind diese Momente reinen Erlebens meine Quellen. Es geht dabei nicht um Selbstwirksamkeit, oder das motiviert sein, oder die bewusste Selbstreflexion; sondern einfach nur um das Sein an sich. Was in mir an Kreativität steckt, kann erst fließen, wenn ich frei bin von alltäglichen Zwängen.

Ich würde die Erzählung meiner Existenzt gerne Ändern, denn ich habe Angst, dass der Fluss meiner Gedanken in wenigen Tagen, wenn der Alltag zwangsweise mit Macht zurückkehrt alsbald wieder versiegt, einem Wadi gleich, der nur bei Schneeschmelze oder besonders starken Regenfällen überhaupt Wasser führt. Ich will nicht schon wieder an Freiheits-Mangel verdorren, so wie ich dies war, bevor wir hierher kamen! Ich möchte meinen eigene Geschichte auf eine Art neu erzählen dürfen, dass sie dem Mythos des Alltags wiederstehen kann. Jedes Jahr versuche ich auf’s Neue, etwas vom frisch geschöpften Spirit des Urlaubs mit in dieses andere Leben zu nehmen – und jedes Jahr scheitere ich wieder an der Übermacht dieses Endgegners namens ALLTAG! Ich weiß nicht, was ich falsch mache, aber so kann das nicht weitergehen. Ich brauch Change – und zwar nachhaltig. Schönen Abend, schöne Woche.

Benvenuti nelle Marche N°5 – Impressionen aus Assisi…

Hab ich eigentlich irgendwann mal erwähnt, dass ich kein sonderlich gläubiger Mensch bin, wohl aber ein durchaus spiritueller? Mich interessieren die Dogmen einer von Menschen gemachten Organisation nicht die Bohne. Kirche war (und ist teilweise heute noch) zumeist auch nichts anderes als Staat, nur mit anderer Dienstkleidung. Damit könnt ihr mir getrost vom Halse bleiben, denn meine Spiritualität braucht sicher niemand anderes Regeln und auch keinen besonderen Ort oder eine spezielle Zeit, um zu funktionieren. Dennoch gibt es da in mir schon eine besondere Verbindung zu alten Sakralbauten; nicht nur weil ich diese aus dem ästhetischen Kalkül heraus spannend finde, sondern weil ich zu wissen glaube, was Menschen jener Zeit bei dem Anblick empfunden haben müssen. Handwerkskunst als Stein gewordenes Gotteslob ist immer wieder beeindruckend. Manchmal ist sie auch echt spannend, Insbesondere dann, wenn Glaube und Pragmatismus eine Verbindung eingegangen sind. Ich konnte das in einer Kathderale in Südfrankreich sehen, wo man irgendwann einfach mit dem Kirchenschiff aufgehört hat, weil entweder keine Kohle mehr da war, oder kein Platz zum Bauen. Das erinnere ich nicht mehr so genau, ist aber auch Wurst, denn die dadurch entstandene, eher ungewöhnliche Form hat der Bau bis heute behalten. Die allermeisten neuen Kirchen sind aus meiner Sicht wenig spannend, weil die Formensprache sich mir nicht erschließen will. Aber das ist dann mein Problem.

Wenn man nun an einen Ort wie Assisi reist, der für gläubige Christenmenschen auf Grund der Verbindung mit dem Gründervater des Franziskanerordens eine gewisse Bedeutung haben mag, könnte man sich also von der dargebotenen Pracht des Gotteslobes einfangen lassen und gläubig werden; oder man nimmt einfach mit angemessener Bewunderung zur Kenntnis, was Menschen hier geleistet haben, interessiert sich für die Geschichte(n) des Ortes (einfach weil die Geschichte uns IMMER irgendetwas lehren kann) und ehrt diesen schließlich, indem man die Schönheit als Anlass zum inspiriert-sein begreift. Die Tage war ich wieder mal über so einen Artikel auf Zeit Online gestolpert, wo irgendsoein jemand dem „klassischen Bildungsreisenden“ (den es übrigens genausowenig gibt, wie den „klassischen Journalisten“) Schuld an verschiedenen negativen Auswirkungen von Tourismus zuweist. Ich weise diese Anschuldigung insofern weit von mir und meinen Lieben, als wir abseits der Nutzung unseres privaten PKWs, die vermutlich CO2-mäßig allerdings dennoch eine gute Alternative zum viel zu beliebten Fliegen darstellt, stets respektvoll im Umgang mit Land und Leuten sind, nicht an jene Plätze drängen, wo eh schon alle anderen Selfie-Stick-jonglierenden Insta-Huren herum turnen, wo man eigentlich nicht rumturnen soll; und wir versuchen, die örtliche Kultur so gut zu leben, wie wir können. Wenn wir dennoch Teil des Problems sein sollten, muss mir das jemand mitteilen, damit ich was daran ändern kann. Komischerweise habe ich jedoch in den letzten 20 Jahren bei so gut wie allen Urlaubs-Gelegenheiten kein solches negatives Feedback bekommen. Wahrscheinlich sind es doch die Arschlöcher, welche die meiste Publizität bekommen…

Zurück zum inspiriert-sein: was auch immer meine Kreativität triggert versuche ich ganz und gar aufzusaugen. Es mag manchmal so wirken, dass ich diese Orte nur durch den Sucher meiner Kamera betrachte; doch das täuscht! Einerseits, weil der Blick durch den Sucher einem die Suche nach einer anderen, frischeren, besseren Perspektive aufzwängt, wenn man schon eine Weile geübt hat. Und zum Anderen, weil die Ergebnisse meiner Knipserei für mich ein Quell des Nachdenkens sind, aus dem ich noch schöpfen kann, lange nachem ich den fraglichen Ort schon wieder verlassen habe. Dass dabei unter 100 Shots oft nur einer heraussticht, liegt in der Natur des Augenblicks, dieser von mir schon öfter beschworenen, unüberwindbaren Mauer der nächsten Sekunde, deren Vergänglichkeit der Druck auf den Auslöser nur bruchstückhaft zu vermindern mag, weil alle anderen Eindrücke, die mich in dem Moment dazu bewogen haben mögen, genau diese Perspektive zu wählen schon wieder hinfort sind… für immer… Insofern sind meine Bilder nicht nur mangelhafte Abbilder meines inspiriert-seins, Gedankenstützen so nützlich wie ein Knoten im Taschentuch des Schicksals sondern stumme Zeugen meines verzweifelten Bemühens, Fetzen von etwas etwas einzufangen, was man eigentlich nicht einfangen kann – (ER)LEBEN! Also war ich auch nur ein typischer Besucher in Assisi, aber immerhin stets bemüht, kein Arschloch-Touri zu sein. In diesem Sinne einen schönen Abend.

Benvenuti nelle Marche N°4 – all you need is…?

Wenn’de Zeitung liest, kriegste manchmal komischen Kram serviert. Heute Morgen zum Beispiel bekam ich einen Artikel zum Thema „Cortisol-Face“ serviert. Offenbar ist es derzeit ein Trend, ein wenig aus der Form geratene Gesichter einem Stress-induzierten Cortisol-Überschuss im Körper zuschreiben zu wollen. Manchmal wäre es ganz gut, wenn das Insta-Völkchen, die TikTok-Nation und die SnapChat-Jünger NICHT jeden Quatsch einfach replizieren würden. Insbesondere in einem Zeitalter, in dem manche selbsternannte Besserwissende – a.k.a. Influencer – einem auch noch das Letzte Stückchen ALTEN Blödsinn als den NEUEN heißen Scheiss verkaufen wollen. Verkaufen hier im wahrsten Wortsinn, weil diese Bübchen und Mädchen meinen halt, mit gequirlter Scheiße Geld machen zu können. (Der Artikel auf ZON, der den Quatsch mit dem Cortisol-Face sachlich widerlegt, ist leider hinter der Bezahlschranke). Bezeichnend finde ich die Aussage eines Mediziners aus dem Artikel, das eine in seine Ambulanz mitgebrachte Selbstdiagnose aus dem Internet quasi automatisch ein Ausschlußkriterium darstellt. So viel zur Nützlichkeit von Selbstdiagnostik durch die Halbwissenden. Gemischt mit einem Schuß Dunning-Kruger ein weiteres soziales Pest-Bazillus unserer Zeit. Ich sage das jetzt vollkommen unironisch, nicht in beleidigender Absicht aber sehr wohl mit der Zielgruppe Gen Z und jünger: Erfahrung ist durch NICHTS zu ersetzen, außer durch mehr Erfahrung und Dazu(Lernen) findet NIEMALS ohne Anstrengung statt! Merkt euch das endlich und hört endlich auf, dauernd nach der Abkürzung zum Topf voller Gold zu suchen! Das einzige, was ihr damit erreicht, ist noch mehr gequirlte Scheiße in diese Welt zu setzen (siehe oben)!

Das Restaurant in Macerata war nicht übel…

Der Titel sagte ja was von „all you need is…?“. Und auch wenn die Beatles natürlich schon lange und überdies vollkommen richtig besungen haben, dass die Liebe wirklich das Allerwichtigste in unserem Leben ist, bleiben natürlich noch ein paar andere Bedürfnisse, die es zu stillen gilt. Jedes Mal, wenn ich die Frage nach den Bedürfnissen in Aus- und Fortbildungskontexten anspreche, fangen die Leute unwillkürlich an, Maslows Pyramide zu zeichnen oder mit Worten zu beschreiben. Da Brecht schon wusste, dass das Fressen vor der Moral kommt (da hat er natürlich bei Marx abgekupfert), ist das an sich noch nix bemerkenswertes. Es scheint sich aber ins kollektive Gedächtnis eigearbeitet zu haben, dass ganz unten die physiologischen Bedürfnisse stehen. Und „physiologisch“ wird oft und gerne mit „existenziell“ verwechselt, wobei die Leute dann unterschlagen, dass soziale und individuelle Bedürfnisse (zumindest in unserer Gesellschaft) subjektiv sehr wohl ebenso existenziell sein können, wie die physiologischen – anders wären manche psychische Zivilisations-Krankheiten wie etwa Burn-Out wohl nicht zu erklären. Womit wir wohl wieder beim Cortisol-Face angelangt wären. Welche Bedürfnisse noch existenziell sind, bestimmt – sofern die physiologischen halbwegs gedeckt sind – jeder Mensch für sich; was allerdings mittelfristig ein Problem darstellt, wenn jede/jeder der Meinung sind, IHRE diesbezüglichen Empfindungen und Erkenntnisse zu denen ALLER erklären zu müssen! Und das überdies auch noch in die Weiten des Wenig Wichtigen Webs hinausposaunen… Womit wir wieder bei den Influenzeranzien wären; Menschen, die ihre (wie auch immer beschaffene) Reichweite ausnutzen, um gequirlte Scheiße zu ver breiten, was mich dann mental ranzig macht.

Denke ich über das nach, was ich brauche, dann komme ich zummeist zu dem Schluss, dass ich immer noch mehr Konsumkapitalist bin , als ich das gerne wäre, aber immerhin weniger als viele Andere. Ich brauche vor allem eine Ressource: Zeit. Zeit für meine Lieben, vor allem aber auch Zeit für mich, weil ich in letzter Zeit zu oft bemerken musste, dass dieser ständige Modus des (aufoktroyierten) Kommunizieren-Müssens über alles und jedes mich ermattet hat. Bis zu dem Punkt, da meine Resilienz aufgebraucht war. Und ich bin mir NICHT sicher, dass sie zum Ende des Urlaubs wieder voll aufgefüllt sein wird. We’ll see to that… Was ich jedoch feststellen konnte ist, dass Chef-Sein mich NICHT erfüllt. Now, don’t get me wrong: ich mag die Herausforderungen, welche meine Arbeit mit sich bringt, es gibt einige Kolleg*innen, mit denen zusammenzuarbeiten Spaß macht und ich empfinde meine Aufgaben ehrlich als richtig und wichtig. Und trotzdem fehlt mir letzthin der Drive; weil es immer wieder nur um das eine geht: Kohle, Moos, Schotter, Asche, Zaster, Penunze. Ich sehe keine Visionen – und ich finde das Peer Steinbrück ein Dummschwätzer war, als er sagte, für Visionen ginge man zum Wahrsager. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt je zum Chef-Sein gemacht war; insbesondere, weil ich eigentlich kein direktiver Typ bin, sondern eher jemand, der bedächtig lenkt und auf die Einsicht der Menschen hofft. Immer noch. Mittlerweile muss man sagen: wider besseres Wissen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wir fuhren hier in den letzten Tagen mit einem Leihwagen umher, der objektiv betrachtet lächerlich klein, dezent untermotorisiert und nicht sonderlich gut ausgestattet war. Dafür war er halbwegs kostengünstig. (Lancia Ypsilon Model 846). Unser eigenes Auto laboriert an einem Atmungsproblem, welches erst derzeit behoben werden kann, nachdem in der Woche um Ferragosto kein Ersatzteil zu bekommen war. Wir haben trotzdem schöne Ausflüge gemacht und ich war, bzw. bin, allen kleinen Widrigkeiten zum Trotze zufrieden. Sehr sogar. Vor allem, weil unsere Unterkunft einen vieles vergessen lässt, aber auch, weil unsere Vermieter wirklich reizend hilfsbereite Menschen sind. Ich durfte einmal mehr feststellen, dass meine Vorstellung von einem guten Leben und die meiner besten Ehefrau von allen gelegentlich ein wenig differieren. Ich brauche materiell wirklich nicht viel. Vielleicht liegt es daran, dass sie an ihren Wurzeln, also der Art, wie ihre Familie gestrickt ist nicht vorbeikommt. Ich bin – und das kann man unumwunden sagen – vollkommen anders als meine Geschwister. Ob das mit meiner Erziehung (die anscheinend anders verlaufen ist, als bei meinen älteren Geschwistern) oder doch eher mit meinen Lebens-Erfahrungen zu tun hat, werde ich nicht beurteilen. Aber es hat so einige Auswirkungen… Wenn ich ehrlich bin – ich könnte mir das Leben hier auch vorstellen. Doch ich weiß, dass es meinen Lieben da anders geht und ich käme im Leben nicht darauf, sie entwurzeln zu wollen. Denn ihre Bedürfnisse sehen eben ganz anders aus, als meine. Und ihr existenziell sieht vermutlich auch ganz anders aus, als mein existenziell, selbst wenn wir alle Menschen sind. Am Ende des Tages weiß ich nicht, ob ich den Mut aufbrächte, mit 50 in einem anderen Land noch mal ganz neu anzufangen; von den Kosten mal ganz abgesehen. Aber davon träumen ist schon ganz nett. In diesem Sinne wünsche ich einen schönen Tag.