Man kann irgendetwas 35 Jahre lang tun und trotzdem kaum besser darin werden, wenn man die gleichen Dinge immer auf die gleiche Art tut, ohne je zu fragen, ob es vielleicht anders ginge – oder ob DAS die richtige Art ist, es zu tun. Oder ob man überhaupt das richtige tut? Man trifft solche Menschen überall; und immer wieder stelle ich mir diese Frage: wie kommt man dazu, wieder und wieder auf neue Fragen die immer gleichen, alten Antworten geben zu wollen? Gehen diese Leute blind und taub durchs Leben? Bilden sich diese Leute nicht mehr weiter? Und ich meine damit ausdrücklich nicht nur den beruflichen Kontext. Interessieren die sich noch für irgendwas? Um etwas spezifischer zu werden: ich meine hier nicht jene Leute, die in ihrem Fachgebiet gut SIND (die bilden sich nämlich aus eigenem Antrieb weiter), sondern jene, die nur GLAUBEN gut zu sein (und sich daher auf ihren „Lorbeeren“ ausruhen). Zweifellos müsste man annehmen, dass lange Erfahrung und Praxis einen automatisch besser machen; aber Pustekuchen – tatsächlich ist es erst die (selbst)reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun und Lassen, die Menschen an ihren Aufgaben wachsen lässt. Will heißen – roboten allein macht einen nicht besser!
Das gilt natürlich auch für kreative Tätigkeiten. Bevor der Spaß entsteht, ist zumeist harte Arbeit angesagt; die Basics lassen sich durch Immitation (abschauen und nachmachen) und Repitition (Wiederholen bis es wehtut) erlernen. Danach entsteht ein Zuwachs jedoch nur noch, wenn man sich mit seinem Handeln auch denkend auseinandersetzt. Ich merke das besonders beim Geschichtenerzählen. Ich habe über eine lange Zeit nur eine flache Lernkurve gehabt, weil ich nicht experimentierfreudig war und ein wenig eingefahren agiert habe. Etwa beim Pen’n’Paper habe ich immer schön das das „Monster of the Week“ präsentiert, bis ich dann irgendwann doch noch verstanden habe, Plots zu entwickeln, verschiedene Story-Bögen miteinander zu verflechten und die Struktur des Dramas zu nutzen. Bis heute funktioniert das mal mehr, mal weniger gut. Wobei unter SL heute auch eine gewisse Diskussion über die Frage herrscht, ob SL denn tatsächlich auch Storyteller sind? Nicht wenige sind der Meinung, dass dies nicht der Fall wäre, weil ja die Spieler durch ihre Charaktere die Geschichte erzählen, und zu viel Storytelling seitens der SL die Freiheit der Spieler einschränken würde; man kommt da ganz leicht auf das unebene Terrain der Railroading-Diskussion. Ich denke jedoch, dass SL sehr wohl ein Storyteller sein darf, ja sogar sein muss. Und dass Storytelling auch bei anderen Gelegenheiten seine Daseinsberechtigung hat. Es gibt jedoch zwischen dem Storytelling des SL beim Pen’n’Paper und bei meiner Arbeit im Lehrsaal einen inhärenten Unterschied: beim Pen’n’Paper ist es klar Charaktergetrieben, wohingegen Storytelling in der Erwachsenenbildung klar Plotgetrieben ist. Und daraus resultieren deutliche Unterschiede in der Herangehensweise.
Wenn ich Abenteuer für meine Spielrunden vorbereite, denke ich mir zuerst die Nichtspielercharaktere aus, ihre Motivationen, ihre Ziele, ihre möglichen Beziehungen zu den Spielercharakteren und wo sie aufzufinden sind. Von diesen Nexuspunkten aus weben die Spieler*innen dann ein Netzwerk möglicher Pfade, und entscheiden sich jeweils für eine Richtung, in die sie weitergehen wollen. Ich habe also keinen Plot im eigentlichen Sinne, sondern – wahrscheinlich irgendwann in Konflikte geratende – Charaktere mit jeweils eigener Agenda, aus deren Tun oder Lassen sich die Handlung der Geschichte ergibt. Meine Arbeit als Storyteller ist, den Rahmen vorzubereiten; wie jedoch das Bild am Ende aussehen wird, weiß ich zu Beginn genauso wenig wie meine Spieler*innen – mal davon abgesehen, dass das Ganze eine rein fiktionale Angelegenheit ist, die der Unterhaltung dient! Im Lehrsaal hingegen brauche ich eine Geschichte, die einerseits real genug ist und in das aktuelle Themengebiet passt, andererseits aber auch genug Anknüpfungspunkte an bereits vorhandene Erfahrungen der Zuhörenden besitzt und überdies den Weg zum Stoff interessant genug präsentiert, dass man sich aktiv damit auseinandersetzen möchte. Hier bereite ich Pfade vor, von denen ich mir wünsche, dass die Schüler*innen diese beschreiten mögen, und das unabhängig von den Charakteren. Ich habe von Anfang an eine klare Vorstellung, wo wir starten, und wo wir enden. Lediglich den Weg dazwischen gestalten die Schüler*innen beim selbstorientierten Lernen nach ihren Bedürfnissen.
Man kann also mit einem Blick erkennen, dass in beiden Instanzen Storytelling die Rolle spielt, die Leute an ihrem gegenwärtigen (mentalen) Standort abzuholen und auf eine mentale Landkarte zu führen; in beiden Fällen wählen die Zuhörenden den Weg! Im Unterrichtssetting muss ich mir als Erzähler, der gleichzeitig Lehrender ist, jedoch das Privileg vorbehalten, ein festes Ziel ansteuern zu wollen, was mein weiteres Handeln strukturiert. Am Spieltisch lasse ich mich einfach von meinen Spieler*innen mitreißen. In beiden Fällen jedoch bin ich wiederum von Charakteren abhängig. Am Spieltisch von den fiktionalen Charakteren, welche die Spieler*innen und ich entwickelt haben, um diese Geschichte gemeinsam weiter – und hoffentlich zu Ende – zu entwickeln. Und im Lehrsaal von den realen Charakteren meiner Schüler*innen, die – hoffentlich – aktiv mit den Inhalten der Erzählung zu interagieren beginnen. Und das stellt mich vor große Herausforderungen. Die Leute an meinem Spieltisch sind freiwillig da und VERLANGEN von meinem Bullshit zu hören! Die Schüler*innen jedoch… auf mich wirkt es oft so, als seien sie in jungen Jahren schon bis zu einem Level abgestumpft, welches ich so von mir selbst in dem Alter nicht kannte. Allerdings ist anekdotische Evidenz ja nicht verallgemeinerbar, also ist DAS zunächst nur so ein Gefühl.
Wenn ich raten müsste, wäre meine erste Vermutung, dass sie während ihrer allgemein-bildenden schulischen Laufbahn zu oft Menschen in die Finger gefallen sind, die seit 35 Jahren das gleiche tun, ohne sich noch je zu fragen, ob das heute noch so passt. Der Charakter zeigt sich durch das Tun oder Lassen und Lehrer sind Rolemodel, im Guten wie im Schlechten. Aber natürlich hat sich auch unser Medienkonsum in diesen 35 Jahren, seit ich in der Schule das erste Mal mit Rollenspiel in Berührung kam, erheblich verändert. Und auch damals gab es schon Pädagogen und Pauker. Ich denke, dass ich den Unterschied nicht unbedingt erklären muss. Für mich ist damit klar, dass die Funktion von Storytelling immer von den involvierten oder erzählten Charakteren und deren Motivationen, Zielen, Beziehungen abhängt. Das macht es für mich so spannend, aber auch so schwierig. Und weckt in mir den Wunsch, nicht nur noch mehr darüber zu lernen, sondern auch mehr Menschen daran teilhaben zu lassen. Mal sehen, ob, bzw. wie ich das hin kriege. Wahrscheinlich bedarf es dazu einer gewissen Charakterfestigkeit… C U soon.