The networked mode – ein paar Ideen zu Netzwerken…

Ich will mir ’n paar Gedanken über das Thema machen, die sich nicht in „…und dann haben wir beim After-Work-Dinner noch den Abschluss klar gemacht!“ oder „…der Typ auf Youtube hat aber gesagt, dass…“ erschöpfen. Es erscheint mir heutzutage oft so, als wenn wir ein paar grundlegende Aspekte des sozialen Miteinanders vergessen hätten (oder aber ignorieren), weil wir „das Netzwerk“ als neues Normal der Interaktion so verinnerlicht haben, dass wir gar nicht mehr hinter das ungesunde Blau der Bildschirme blicken können, die wir fälschlicherweise damit synonymisieren. Daher möchte ich mit einer kleinen Artikelserie (werden so drei bis vier mit unterschiedlichen thematischen Akzenten) ein paar Dinge beleuchten, die mir in letzter Zeit aufgefallen sind. Ob’s jemand kommentiert, ist mir mittlerweile fast egal, ich schreibe das hier für mich, um ein paar Dinge besser verstehen zu können. Mir hilft dabei das Schreiben ganz enorm. Also geht’s los, mit etwas Metatheorie…

Menschen sprechen gerne über „Netzwerke“, über „das Netzwerken“, über positive Effekte und die Synergien, die wir durch die „Vernetzwerkung“ unserer Leben gewonnen haben und immer nopch gewinnen. Jede Medaille hat ja bekanntermaßen zwei Seiten, aber bevor man sich anschaut, was die Aktivierung dieser Synergien tatsächlich bedeutet, wäre es da nicht sinnvoll, sich erstmal über den zu Grunde liegenden Begriff des „Netzwerkes“ Gedanken zu machen? Die meisten Leute denken dabei zuerst an die bunten Kabel hinten in ihren Computern, oder die putzigen Antennen an ihrem Router, und den Zugang den sie dadurch zur Welt (oder auch „nur“ zu den, im Kontext der Arbeit benötigten informationen) bekommen: Internet oder Intranet. Mails schreiben, gemeinsam Dokumente bearbeiten, recherchieren, etc. Sowas eben… Doch dieser rein technizistische Ansatz greift zu kurz.

Wir beginnen mit einem Begriff, der ebenfalls gerne Hollywood-befeuerte Assoziationen weckt: Kybernetik. Ursprünglich von Norbert Wiener im Rahmen der kriegsrelevanten Forschung für das MIT während des 2. WK entwickelt, handelt es sich dabei nicht um fancy Titan-Protesen zur Kampfkraftsteigerung (=> Cyborg), sondern um eine Theorie zur Steuerung komplexer Regelkreise an Hand von Modellen aus der Natur. Wiener sah hier Analogien natürlicher und künstlicher Prozesse, eine Verflochtenheit von Natur und Technik, der später viele lustige Dinge angedichtet wurden. Ursprünglich ging es aber nur um das Regeln und Steuern. Alsbald erkannten andere jedoch, dass diese Verbindung von Natur und Technik (also auch Mensch und Technik) vollkommen neue Möglichkeiten des sozialen Austausches ermöglichen könnte. Oder anders gesagt: man vertraute den alten hierarchisch-formalsierten Formen des Miteinanders und Austausches nicht mehr, welche die Welt im 2. WK erst an den Rand der Vernichtung getrieben und in der Folge zweigeteilt zurückgelassen hatten.

Man sehnte sich (zumindest im Westen) nach anderen Formen der Verbundenheit und einem geringeren Einfluss durch staatliche und wirtschaftliche Institutionen. Ich will das an dieser Stelle nicht zu sehr vertiefen, doch im Ergebnis entstand das Verlangen nach einem Austausch auf persönlicher Ebene (und zunächst auch in kleinerem Maßstab). Die Modelle aus der Kybernetik und die aufkommende Systemtheorie führten zu einem neuen Verständnis von sozialer Verbundenheit, aus dem der Netzwerkgedanke entstand: einzelne Akteure, verbunden mit anderen einzelnen Akteuren, die so anlassbezogen und unreguliert soziale Beziehungen pflegen können sollten (das realweltliche Modell dafür waren übrigens – ohne Witz – die amerikanischen Hippiekommunen der späten 60er und früher 70er Jahre). John Law nannte solche Interaktionen zwischen einzelnen Akteuren und ihren weiteren Netzwerken im Rahmen der Akteur-Netzwerk-Theorie später Punktualisierungen. Die Nomenklatur ist eigentlich egal; wichtig ist nur, dass man versteht, dass der Begtriff Netzwerk nicht nur irgendwelchen www-Kram meint, sondern die Vebundenheit von Akteuren (also vor allem Menschen, aber auch eine Firma kann ein Akteur sein) und deren weiteren Netzwerk-Verbindungen. Wir könnten diese Punkte auch Nexus nennen.

Vermittlungseffekte in Netzwerken

Man kann das so lesen: einzelne Akteure begegnen sich informell oder Anlassbezogen (die Netzwerke beginnen zu konvergieren) und beginnen zu interagieren (daraus emergiert eine Punktualisierung). Diese kann flüchtig, kurzanhaltend oder dauerhaft werden, das hängt jedoch von den Intentionen, Motivationen und Verpflichtungen der Akteure ab. Francisco Varela und Evan Thompson haben bereits 1991 in ihrem Buch „Der mittlere Weg der Erkenntnis“ beschrieben, dass die emergierenden Ergebnisse keinesfalls vorhersehbar sind, die strukturelle Kopplung jedoch auf die Akteure zurück wirkt. Netzwerke, ganz gleich ob geplant oder zufällig entstanden, bleiben also nie folgenlos. Ein Beispiel: ich besuche einen Fachkongress und treffe in einer der Vortragspausen jemanden, mit dem ich eine angeregte Diskussion über ein zufällig aufgegriffenes Thema X führe. Man tauscht Kontaktdaten aus, verabschiedet sich dann irgendwann zum Ende der Veranstaltung, um drei Wochen später festzustellen, dass der Inhalt des Gespräches plötzlich an Relevanz gewonnen hat – und greift dann zum Telefon, oder schreibt eine Mail.

Natürlich kann das im privaten Kontext (Anbahnung körperlicher Lustbarkeiten oder gar einer Beziehung bei Tanzveranstaltungen, etc.) genauso passieren. Das Beispiel war willkürlich gewählt. Es hätte auch so ausgehen können, dass sich kein weiteren Grund für einen erneuten Austausch ergibt, die Verbindung somit schwach bleib,t und die entstandene Punktualisierung irgendwann wieder erlischt. Netzwerke entstehen so – sie vergehen allerdings auch wieder, wenn man sie nicht pflegt. Denn letztlich sind Netzwerke erst mal nichts weiter, als ein Modell für soziale Beziehungen unterschiedlichster Natur. Und hier kommt die eingangs erwähnte Analogie von Natur und Technik zum Tragen. Wir neigen dazu, den Begriff „Netzwerk“ mit dem Begriff „technisches/digitales Netzwerk“ zu verwechseln. Einer der Gründe für die Seuche namens Influencer – man fühlt sich einer Person verbunden, die nicht mehr ist, als ein Zeichen (oder ein Avatar). Abermals, Willkommen in der Semiotik. Die Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung der Welt und vor allem unsere Kommunikation sind sehr vielfältig. Der nächste Aspekt mit dem ich mich nun befassen möchte, ist die Wirkung des beschriebenen Problems in den sozialen Medien. Kommt schon bald…

  • Belliger, A; Krieger, D. 2006: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefed: transcript Verlag.
  • Turner, F. 2008: From Counterculture to Cyberculture. Chicago/London: The Chicago University Press.
  • Caspers, M. 2018: Zeichen der Zeit. Semiotik für Medien, Design, Kunst und Kommunikation. Köln: CreateSpace Independent Publishing Platform.
  • Varela, F.; Thompson, E. 1991: Der mittlere Weg zu Erkenntnis. Die Beziehung von Ich und Welt in der Kognitionswissenschaft. Bern, München, Wien: Scherz Verlag

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